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[Bd. 7 S. 156]

18. Kapitel: Der Ruf an Hitler. Volkswahl. Der Deutsche Reichstag.

Schleichers Rücktritt erfüllte die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie mit Unmut und Sorge. Die Angst vor dem "Siege der Reaktion" erfüllte sie.

Wenige Stunden nach Schleichers Rücktritt übersandten die gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen, Allgemeiner deutscher Gewerkschaftsbund, Allgemeiner freier Angestelltenbund, Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften, Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände und Allgemeiner deutscher Beamtenbund ein Telegramm an Hindenburg:

      "In tiefer Sorge über die drohenden politischen Gefahren sind die Gewerkschaften aller Richtungen zur Beratung der überaus ernsten Lage zusammengetreten. Sie halten sich in dieser Entscheidungsstunde für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß die Berufung einer sozialreaktionären und arbeiterfeindlichen Regierung von der gesamten deutschen Arbeitnehmerschaft als eine Herausforderung empfunden werden würde. Die Gewerkschaften erwarten, daß Sie, Herr Reichspräsident, allen unterirdischen Bestrebungen, die auf einen Staatsstreich hinzielen, Ihren entschiedenen Widerstand entgegensetzen und auf einer verfassungsmäßigen Lösung der Krise bestehen."

Zugleich mit diesem Telegramm baten die Organisationen um einen Empfang beim Reichspräsidenten, um ihm persönlich ihre Befürchtungen darzulegen. Der Empfang hat aber nicht stattgefunden.

Am Tage nach dem Rücktritt, am 29. Januar, einem Sonntag, veranstaltete die Sozialdemokratie Groß-Berlins mit der Eisernen Front im Lustgarten eine Massendemonstration unter dem Leitwort: "Gegen die Provokationen der Nationalsozialisten (womit die Horst Wessel-Kundgebung der Nationalsozialisten am 22. Januar gemeint war) und gegen die Millionengeschenke an die Junker, für Demokratie und [157] Sozialismus." Die Massen, die sich auf zwölf Plätzen gesammelt hatten und bei denen sich viele Kommunisten befanden, da sämtliche Kundgebungen der Kommunisten verboten worden waren, zogen mit zahlreichen roten Fahnen durch die Straßen. Künstler, der Führer der Ortsgruppe Berlin, mußte sprechen, weil die beiden vorgesehenen Redner Paul Löbe und Rudolf Breitscheid nicht erschienen waren! Er erklärte, daß Berlin rot sei. Die letzten Vorgänge in der Wilhelmstraße seien Alarm für die Eiserne Front, für die Gewerkschaften und die republikanischen Verbände. Es gehe um die Staatsbürgerrechte und die sozialen Errungenschaften, die das Volk mit allen Mitteln verteidigen werde. Im Kampf um Sein oder Nichtsein werde die Einheitsfront des Proletariats geboren. Es könne der Tag kommen, da Berlin für ganz Deutschland entscheide. Dieser Tag müsse die Arbeiterschaft einig finden. Bei dieser Kundgebung fehlte die Jugend fast gänzlich. Und diese Tatsache bewies so deutlich wie nur irgendmöglich, daß die deutsche Jugend nicht mehr im Lager der Sozialdemokraten stand, daß diese Partei abstarb.

Unmittelbar nach dem Rücktritte des Kabinetts erteilte Hindenburg Herrn von Papen den Auftrag, festzustellen, welche Möglichkeiten für eine Regierungsneubildung bestünden "im Rahmen der Verfassung und mit dem Reichstag". Der Reichspräsident, der nun den Sturz dreier Präsidialkabinette erlebt hatte, war entschlossen, zur normalen Zusammenarbeit mit dem Parlament zurückzukehren. Deshalb ließ er jetzt seinen Widerstand, den er im August und November 1932 gegen Hitler erhoben hatte, fallen und war willens, ihn, als Führer der stärksten Partei, zum Kanzler zu berufen. Sein Vertrauensmann Papen sollte die Möglichkeiten einer vom Führer der stärksten Partei zu bildenden Mehrheitsregierung erkunden. Die Mehrheit im Parlamente war die Bedingung Hindenburgs, eine Vollmacht zur Auflösung des Reichstags wollte er grundsätzlich keinem neuen Kabinett geben, da er ja an eine Regierung mit sehr breiter Basis von den Nationalsozialisten bis zum Zentrum dachte.

Papens Verhandlungen
  mit der Harzburger Front  

Die Verhandlungen, die Papen mit den Führern der Harzburger Front und – nach dem Willen Hindenburgs – allen [158] Parteien bis zum Zentrum hin hatte, gestalteten sich außerordentlich schwierig. Am 29. Januar abends, nach anderthalbtägigen Besprechungen, war es soweit, daß Hitler alle weiteren Verhandlungen mit Papen ablehnte, weil es unmöglich schien, programmatische und personelle Schwierigkeiten mit dem Zentrum zu überwinden. Hitler verlangte für sich den Kanzlerposten und zwei Ministersitze für Nationalsozialisten.

Schon standen die Dinge so, daß auch der Reichspräsident die Kandidatur Hitlers fallen lassen und ein reines Beamtenkabinett ernennen wollte. Tat er dies aber, dann konnte er keine auf Volksmehrheit gestützte Regierung mehr bilden lassen und mußte den Staatsnotstand, d. h. Außerkraftsetzung der Verfassung, verkünden. Das wollte er aber auch nicht, da hierdurch ein Putsch auf anderer Seite ausgelöst werden konnte. Zudem kamen in den kritischen Nachtstunden Gerüchte auf, daß die Generäle Schleicher und Hammerstein und Oberst von Bredow mit der Potsdamer Garnison einen Putsch machen und die Militärdiktatur errichten wollten. In den frühen Morgenstunden des Montag hatte sich die Lage so weit geklärt, daß Hindenburg, um den Staatsnotstand zu vermeiden, darauf verzichtete, auch das Zentrum in die neue Regierung hineinzubeziehen, und daß nun eine Verständigung zwischen Hitler und Papen möglich war.

  Der 30. Januar 1933:  
Hitler, Reichskanzler

Am Mittag des 30. Januar war die neue Regierung gebildet: Adolf Hitler war Reichskanzler, die Nationalsozialisten Dr. Frick und Göring traten als Innenminister und Minister ohne Geschäftsbereich bzw. Reichskommissar für den Luftverkehr ein. Diese drei eisernen Männer bildeten das Rückgrat des neuen Kabinetts. Hugenberg wurde Reichswirtschafts- und Ernährungsminister, Seldte Reichsarbeitsminister. Papen als besonderer Vertrauensmann Hindenburgs wurde Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen. Neurath behielt das Außenministerium, Graf Schwerin von Krosigk übernahm das Finanzministerium und Generalleutnant von Blomberg das Reichswehrministerium. Freiherr von Eltz-Rübenach wurde Reichspost- und Verkehrsminister, Gereke blieb Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung.

[159] Hier begann eine neue Epoche der deutschen Geschichte. Die Zeit des Liberalismus und Marxismus war vorüber, der Kampf der Nationalsozialisten gegen diese wurde am 30. Januar 1933 abgelöst durch den nun anhebenden größeren Kampf um Deutschland. Die Stunde war da, daß der Nationalsozialismus aus seiner parteimäßigen Isolierung heraustreten und in das gesamte Volk, in den Staat, in das Reich zurückfluten mußte. Aber die zu erfüllende Aufgabe war ungeheuer: sie konnte nur gelöst werden, wenn der Nationalsozialismus das nationale Trümmerfeld, das er vorfand, wieder mit neuem organischen Leben erfüllte.

30. Januar 1933. Die Menschen jubeln Hitler zu vor der Reichskanzlei.
[Bd. 7 S. 32b]      30. Januar 1933:
Die Menschen jubeln Hitler zu
vor der Reichskanzlei.
      Photo Scherl.
Eine gewaltige Begeisterung ergriff die Massen des Volkes, welche der neuen Regierung anhingen. Mehr als 700 000 jubelnder Menschen wogten am Nachmittag und Abend dieses Tages auf den Straßen und Plätzen Berlins, S.A. und Stahlhelm veranstalteten einen Fackelzug, der vier Stunden lang war. Die Fahnen und Standarten des soldatischen Deutschland zogen durch das alte Siegestor, das Brandenburger Tor, und an Hindenburg und Hitler vorüber, die Lieder von deutscher Größe und Freiheit brausten empor in die kalte Winternacht. Ein heiliges Feuer hatte dieses Volk ergriffen, dieses gequälte Volk, das fast zwei Jahrzehnte unter Not und Verzweiflung gelitten hatte. Während des Vorbeimarsches hielt Minister Göring folgende Rundfunkansprache:

      "Während ich hier am Mikrophon stehe, drängen sich draußen vor den Fenstern der Reichskanzlei Hunderttausend von Menschen, eine Stimmung, wie sie nur mehr zu vergleichen ist mit jenem August 1914, da ebenfalls eine Nation aufgebrochen ist, alles, was sie besaß, zu verteidigen. Der 30. Januar 1933 wird in der deutschen Geschichte als der Tag bezeichnet werden, da eine neue Nation aufbrach und abtrat alles an Qual, Schmach und Schande der letzten 14 Jahre. Heute wird der Tag sein, an dem wir das Buch deutscher Geschichte der letzten Jahre, der Not und Schande schließen und ein neues Kapitel beginnen.
      Und auf diesem Kapitel wird stehen die Freiheit und die Ehre als das Fundament des kommenden Staates.

[160]     Wir danken heute nicht nur dem Führer dieser großen Bewegung, wir danken auch dem greisen Generalfeldmarschall von Hindenburg, der heute mit der jungen Generation einen Bund geschlossen hat. So steht der ehrwürdige Feldmarschall aus dem großen Kriege, der Führer Deutschlands, an seiner Seite und unter ihm der junge Führer Deutschlands, der nunmehr wieder Volk und Reich neuen besseren Zeiten entgegenführen wird. Möge das deutsche Volk den heutigen Tag ebenso freudigen Herzens aufnehmen, wie dort draußen vor den Fenstern die Hunderttausende es tun, die mit neuer Hoffnung, mit neuem Glauben beseelt einer besseren Zukunft entgegensehen. Dann werden sich wieder alle Hände rühren, das Vertrauen wird zurückkommen und so können und dürfen wir hoffen, daß die Zukunft das bringen wird, worum vergebens gerungen wurde: Brot und Arbeit für den Volksgenossen, Freiheit und Ehre für die Nation!"

Und wie in Berlin, so war es in allen Teilen des Reiches. Überall loderten tausende, zehntausende von Fackeln des Jubels und der Freude hinaus in die Nacht, überall brauste der mächtige Gesang der deutschen Revolution über die bewegten Menschenmassen im Dunkel dahin. Doch auch in diesen Stunden der Erhebung ging der kommunistische Meuchelmord um: in Charlottenburg wurden ein S.A.-Mann und ein Polizeibeamter niedergeschossen, in Stuttgart demonstrierten die Kommunisten, in Düsseldorf, in Königsberg, in Schweinfurt krachten Schüsse in der Nacht.

Überhaupt hatte sich bei allen denen, die an der neuen Regierung keinen Anteil hatten, starker Groll aufgesammelt. Zentrum und Bayerische Volkspartei waren sehr verstimmt, weil die Verhandlungen über die Regierungsbildung mit ihnen abgebrochen worden waren. Die enttäuschten Gewerkschaften erließen einen wilden Aufruf, mahnten aber zugleich ihre Anhänger zur Besonnenheit. Die linken Sozialdemokraten unter Löbes Führung betrieben emsig die "proletarische Einheitsfront" und die Kommunisten vertrieben Handzettel, mit denen sie zum Generalstreik aufforderten. Die wilde Streikhetze, die gemeinsam mit den Sozialdemokraten inszeniert wurde "gegen die faschistische Diktatur der Hitler – Hugenberg – [161] Papen" führte zum Verbot kommunistischer Zeitungen. Der Aufforderung zum Generalstreik wurde aber nirgends Folge geleistet. Die Vorstände der Sozialdemokratischen Partei und Reichstagsfraktion gaben einen gemeinsamen Aufruf heraus, der besagte, daß sich die in der Harzburger Front vereinigten Feinde der Arbeiterklasse zusammengefunden hätten zum gemeinsamen Kampf gegen die Arbeiterklasse, zu einer reaktionären großkapitalistischen und großagrarischen Konzentration. Die Stunde fordere die Einigkeit des ganzen arbeitenden Volkes zum Kampfe gegen die vereinigten Gegner. Bereitschaft zum Einsatz der letzten, äußersten Kräfte sei nötig. Der Kampf werde auf dem Boden der Verfassung geführt. Undiszipliniertes Vorgehen würde der Arbeiterklasse schaden. "Kaltblütigkeit, Entschlossenheit, Disziplin, Einigkeit und nochmals Einigkeit ist das Gebot der Stunde!" Dieser Aufruf, so feindselig er klang, war doch von einer Angst vor dem unbekannten Neuen erfüllt, und die Versicherung, nicht vom Boden der Legalität abzuweichen, war in Wahrheit bereits die Kapitulation vor Hitler.

Die nächste Aufgabe des neuen Kanzlers war, sich im Parlament, das nun am 31. Januar nicht zusammentrat, eine Mehrheit zu verschaffen. Zu dem Zwecke verhandelte er am 31. Januar mit den Führern des Zentrums, Kaas und Perlitius. Das Ziel der Verhandlungen Hitlers war, der Regierung vom Parlament diejenigen Vollmachten gewähren zu lassen, die der Reichspräsident nicht geben wollte. Doch die Haltung des Zentrums war die gleiche wie am 29. Januar vor der Ernennung Hitlers: unfreundlich. Kaas legte Hitler verschiedene Fragen vor:

1. Die Zentrumspartei wünscht über das Arbeitsprogramm der neuen Regierung genau unterrichtet zu sein.

2. Besonders wichtig wäre die Klärung folgender Einzelfragen:
      a)
Welche Sicherheiten können seitens der Reichsregierung dafür gegeben werden, daß ihre Maßnahmen sich im Rahmen der Verfassung halten?
      b) Ist die Reichsregierung insbesondere bereit, bindende Zusicherungen zu geben dafür, daß nicht auf Grund des sogenannten Staatsnotstandes verfassungswidrige Maßnahmen ergriffen werden?
      c) Ist die Reichsregie- [162] rung bereit, die baldige Rückkehr zu normalen verfassungsrechtlichen Verhältnissen in Preußen zuzusagen und in welcher Weise will sie diese Normalisierung durchführen?
      d) Ist die Reichsregierung bereit, im Interesse des bäuerlichen Berufsstandes wie auch aus volks- und nationalpolitischen Gründen die Wiederaufnahme des umfassenden Siedlungswerkes in Angriff zu nehmen und gegen alle Widerstände durchzuführen?
      e) Ist die Reichsregierung bereit, die größten sozialen Härten der Notverordnungen zu beseitigen und welche Einzelmaßnahmen in dieser Richtung sind von ihr vorgesehen?
      f) Ist es richtig, daß das Arbeitsministerium abgebaut werden soll und wesentliche Teile seiner Zuständigkeiten dem neuernannten Krisenminister unterstellt werden sollen?
      g) Gedenkt die Regierung das Koalitionsrecht im bisherigen Umfange aufrechtzuerhalten?
      h) Wie steht die Reichsregierung zur Erhaltung der deutschen Sozialversicherung und des Tarifvertragsrechts?
      i) Wie denkt die Reichsregierung einen gerechten Ausgleich zwischen der Förderung des deutschen Binnenmarktes und der lebensnotwendigen Ausfuhr zu sichern?
      k) Ist die Reichsregierung bereit, Sicherungen dafür zu schaffen, daß jede Form von Inflation unterbleibt und finanzpolitische Experimente, die von gewisser Seite privat propagiert wurden, wirksam abgewehrt werden.

  Auflösung der Parlamente  
in Reich und Preußen

Von der Beantwortung dieser Fragen wollte das Zentrum seine Haltung Hitler gegenüber abhängig machen. Hitler aber verlangte grundsätzliche Tolerierung, die darin bestehe, daß das Zentrum einer einjährigen Vertagung des Reichstages zustimmen sollte. Kaas jedoch glaubte, eine solche nicht zusagen zu können, bevor man nicht über die Absichten der Regierung unterrichtet sei. Daraufhin brach Hitler die Verhandlungen ab, indem er die Fragen des Zentrums von vornherein als Ablehnung und bewußte Störungsmanöver auffaßte, und am Abend des 1. Februar wurde der Reichstag durch den Reichspräsidenten aufgelöst:

      "Nachdem sich die Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheit als nicht möglich herausgestellt hat, löse ich auf Grund des Artikels 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf, damit das deutsche Volk durch Wahl eines neuen Reichstages zu der Neubildung der Regierung des nationalen Zusam- [163] menschlusses Stellung nimmt."

Kaas bestritt zwar den "rechtmäßigen Grund" der Auflösung, da die Verhandlungen abgebrochen seien, bevor eine wirkliche Klärung herbeigeführt worden wäre, aber sein Protest blieb ohne Erfolg. Als Termin für die Neuwahl bestimmte Hindenburg den 5. März.

  Regierungsprogramm  

Am Abend des gleichen Tages gab Hitler im Rundfunk das Programm der neuen Regierung bekannt, das, ausgehend von der furchtbaren Vernichtung der letzten anderthalb Jahrzehnte, die Ziele des neuen Regimentes darlegte:

"Das Erbe, das wir übernehmen, ist ein furchtbares.
      Die Aufgabe, die wir lösen müssen, ist die schwerste, die seit Menschengedenken deutschen Staatsmännern gestellt wurde. Das Vertrauen in uns allen aber ist unbegrenzt, denn wir glauben an unser Volk und seine unvergänglichen Werte. Bauern, Arbeiter und Bürger, sie müssen gemeinsam die Bausteine liefern zum neuen Reich. So wird es die nationale Regierung als ihre oberste Pflicht und erste Aufgabe ansehen, die geistige und willensmäßige Einheit unseres Volkes wieder herzustellen. Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen. Sie wird über Stände und Klassen hinweg unser Volk wieder zum Bewußtsein seiner volklichen und politischen Einheit und der daraus entspringenden Pflichten bringen. Sie will die Ehrfurcht vor unserer großen Vergangenheit, den Stolz auf unsere alten Traditionen zur Grundlage machen für die Erziehung der deutschen Jugend. Deutschland darf und wird nicht im anarchistischen Kommunismus versinken. Sie wird an Stelle turbulenter Instinkte wieder die nationale Disziplin zum Regenten unseres Lebens erheben. Sie wird dabei all der Einrichtungen in höchster Sorgfalt gedenken, die die wahren Bürgen der Kraft und Stärke unserer Nation sind.

Zwei große Vierjahrespläne.
      Die nationale Regierung will das große Werk der Reorganisation der Wirtschaft unseres Volkes mit zwei großen Vierjahresplänen lösen. Rettung des deutschen Bauern zur Erhaltung der Ernährung und damit Lebensgrundlage der Na- [164] tion. Rettung des deutschen Arbeiters durch einen gewaltigen und umfassenden Angriff gegen die Arbeitslosigkeit.
      In 14 Jahren haben die Novemberparteien den deutschen Bauernstand ruiniert. In 14 Jahren haben sie eine Armee von Millionen Arbeitslosen geschaffen.
      Die nationale Regierung wird mit eiserner Entschlossenheit und zähester Ausdauer folgenden Plan verwirklichen: Binnen vier Jahren muß der deutsche Bauer der Verelendung entrissen sein. Binnen vier Jahren muß die Arbeitslosigkeit endgültig überwunden sein. Gleichlaufend ergeben sich die Voraussetzungen für das Aufblühen der übrigen Wirtschaft.
      Mit dieser gigantischen Aufgabe der Sanierung unserer Wirtschaft wird die nationale Regierung verbinden die Aufgabe und Durchführung einer Sanierung des Reiches, der Länder und der Kommunen in verwaltungsmäßiger und steuertechnischer Hinsicht. Damit wird erst der Gedanke der föderativen Erhaltung des Reiches blut- und lebensvolle Wirklichkeit.
      Zu den Grundpfeilern dieses Programms gehört der Gedanke der Arbeitsdienstpflicht und der Siedlungspolitik.
      Die Sorge für das tägliche Brot wird aber ebenso die Sorge sein für die Erfüllung der sozialen Pflichten bei Krankheit und Alter.
      In der Sparsamkeit ihrer Verwaltung, der Förderung der Arbeit, der Erhaltung unseres Bauerntumes sowie der Nutzbarmachung der Initiative des einzelnen liegt zugleich die beste Gewähr für das Vermeiden jedes Experimentes der Gefährdung unserer Währung.

Wiedererringung der Freiheit.
      Außenpolitisch wird die nationale Regierung ihre höchste Mission in der Wahrung der Lebensrechte und der Wiedererringung der Freiheit unseres Volkes sehen. Indem sie entschlossen ist, den chaotischen Zuständen in Deutschland ein Ende zu bereiten, wird sie mithelfen in der Gemeinschaft der übrigen Nationen, einen Staat gleichen Wertes und damit allerdings auch gleicher Rechte einzufügen.
[165]     So groß unsere Liebe zu unserem Heere als Träger unserer Waffen und Symbol unserer großen Vergangenheit ist, so wären wir doch beglückt, wenn die Welt durch eine Beschränkung ihrer Rüstungen eine Vermehrung unserer eigenen Waffen niemals erforderlich machen würde.

Überwindung der kommunistischen Zersetzung.
      Soll aber Deutschland diesen politischen und wirtschaftlichen Wiederaufstieg erleben und seine Verpflichtungen den anderen Nationen gegenüber erfüllen, dann setzt dies eine entscheidende Tat voraus: Die Überwindung der kommunistischen Zersetzung Deutschlands.
      Wir Männer dieser Regierung fühlen uns vor der deutschen Geschichte verantwortlich für die Wiederherstellung eines geordneten Volkskörpers und damit für die endgültige Überwindung des Klassenwahnsinns und Klassenkampfes. Nicht einen Stand sehen wir, sondern das deutsche Volk, die Millionen seiner Bauern, Bürger und Arbeiter, die entweder gemeinsam die Sorgen dieser Zeit überwinden werden oder ihnen sonst gemeinsam erliegen.
      Entschlossen und getreu unserem Eide wollen wir damit angesichts der Unfähigkeit des derzeitigen Reichstages, diese Arbeit zu unterstützen, dem deutschen Volke selbst die Aufgabe stellen, die wir vertreten.
      Der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg, hat uns berufen mit dem Befehl, durch unsere Einmütigkeit der Nation die Möglichkeit des Wiederaufstieges zu bringen.
      Wir appellieren nunmehr an das deutsche Volk, diesen Akt der Versöhnung selbst mitzuunterzeichnen. Die Regierung der nationalen Erhebung will arbeiten und sie wird arbeiten. Sie hat nicht 14 Jahre lang die deutsche Nation zugrunde gerichtet, sondern will sie wieder nach oben führen. Sie ist entschlossen, in vier Jahren die Schuld von 14 Jahren wieder gutzumachen. Allein sie kann die Arbeit des Wiederaufbaues nicht der Genehmigung derer unterstellen, die den Zusammenbruch verschuldeten. Die Parteien des Marxismus und seiner [166] Mitläufer haben 14 Jahre lang Zeit gehabt, ihr Können zu beweisen. Das Ergebnis ist ein Trümmerfeld.

Das Volk hat das Wort.
      Nun deutsches Volk gib uns die Zeit von vier Jahren und dann urteile und richte uns.
      Getreu dem Befehl des Generalfeldmarschalls wollen wir beginnen. Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere Einsicht segnen und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken. Denn wir wollen nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland. –"

Um nun bei den bevorstehenden Wahlen die verderblichen liberalistischen Splitterparteien auszuschalten, gab Hindenburg am 2. Februar eine Verordnung über die Änderung des Wahlgesetzes heraus. Sie berührte in keiner Weise Wahlalter und allgemeines, gleiches Wahlrecht, sondern ihre wichtigsten Bestimmungen waren, daß auch die Auslandsdeutschen – zum ersten Male wieder – an der Wahl teilnehmen durften, vor allem aber, daß jede Partei für mindestens einen ihrer Kreiswahlvorschläge soviel Unterschriften aufbringen mußte, als Stimmen zur Erlangung eines Sitzes im Wahlkreisverband nötig seien, also 60 000. Da dies für die kleinen Interessentenparteien unmöglich war, fielen sie automatisch bei den bevorstehenden Wahlen aus.

Im Reichstag fehlten der Regierung 45 Sitze zur Erringung der Mehrheit; ob sie diese bei der Wahl erhalten werde, erschien zweifelhaft. Im preußischen Landtag fehlten aber nur 10 Sitze, und diese zu erringen schien wesentlich leichter. Es war nun immerhin eine Politik möglich, in der sich die Reichsregierung, wenn sie auch im Reichstage nicht über die Mehrheit in ihren Parteien verfügte, auf eine durch Personalunion verbundene nationale und starke Landesregierung stützen konnte. Daraufhin beschlossen die Nationalsozialisten, im preußischen Landtage die Auflösung zum Zwecke von Neuwahlen zu beantragen. In der Vollsitzung des Landtages am 4. Februar begründete Kube den Auflösungsantrag: es sei trotz erfolgter Bemühungen der Nationalsozialisten dem Landtage [167] nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Aber Braun und Severing seien nicht mehr zu ertragen. Die Auflösung des Landtages sei aus Gründen der politischen Sauberkeit und der nationalen Ehre des preußischen Volkes notwendig. Als es jedoch zur Abstimmung kam, stimmten 196 Nationalsozialisten, Deutschnationale, Volksparteiler, Christlich-Soziale und Hannoverer für den nationalsozialistischen Auflösungsantrag, während 214 Kommunisten, Sozialdemokraten, Staatsparteiler und Zentrumsanhänger dagegen stimmten. Der Antrag war also abgelehnt.

Das hatte Hitler vorausgesehen, und so erwog er bereits die zweite Auflösungsmöglichkeit, die bei dem sogenannten Dreimännerkollegium lag. Dies Dreimännerkollegium bestand aus dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Braun, dem Staatsratspräsidenten Adenauer, welcher dem Zentrum angehörte, und dem nationalsozialistischen Landtagspräsidenten Kerrl. In dieser Zusammensetzung natürlich hatte das Dreimännerkollegium am 4. Februar ebenfalls eine Auflösung abgelehnt; aber hier mußte der Hebel angesetzt werden, da eine dritte Auflösungsmöglichkeit, nämlich durch den Reichspräsidenten mit Hilfe des Artikels 48, nicht ratsam erschien, weil das Verfahren die geschlossene Front der Länderregierungen zur Folge gehabt hätte. So tat dann die Reichsregierung mit dem Reichspräsidenten zusammen am 6. Februar den entscheidenden Schritt, der im Interesse der Staatsmacht und des Staatswohles notwendig war: Auf Grund des Artikels 48, Absatz 1 der Reichsverfassung wurde infolge der auf das Leipziger Urteil vom 25. Oktober 1932 gestützten Umtriebe die Regierung Braun abgesetzt, ihre Befugnisse wurden dem Reichskommissar Papen, der seit dem 30. Januar an Stelle Brachts Reichskommissar in Preußen geworden war, und seinen Beauftragten übertragen. Jetzt gehörte Papen auch dem Dreimännerkollegium an Stelle Brauns an, und dieses beschloß nun unverzüglich Auflösung des Parlamentes zum 4. März. Adenauer protestierte zwar, weil der Schritt der Reichsregierung dem Artikel 17 der Reichsverfassung und dem Leipziger Urteil vom 25. Oktober 1932 widerspreche, doch er wurde überstimmt.

[168] Auch Otto Braun nahm den Vorgang nicht ruhig hin. Sofort reichte er beim Staatsgerichtshof eine neue Klage ein, um feststellen zu lassen, daß Hindenburgs Verordnung zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen vom 6. Februar 1933 gegen die Reichsverfassung verstoße. Aber diese Auflehnung gegen die neue Macht war gänzlich fruchtlos. Der "Hoheitsregierung" wurden nun auch noch alle die Rechte entzogen, die ihr Hindenburg in seiner Verordnung vom 18. November eingeräumt hatte. Diesmal waren die süddeutschen Staaten, insbesondere Bayern, klüger als im Juli: sie schlossen sich der Klage Brauns in Leipzig nicht an! Sie suchten nach anderen Möglichkeiten, ihre Proteste gegen das Vorgehen der Reichsregierung auszudrücken.

Doch bis in die kleinsten Selbstverwaltungskörperschaften mußte der neue Geist und der neue Kurs sich durchsetzen. Darum verfügte die kommissarische Regierung Preußens auch die Auflösung der Gemeindevertretungen und deren Neuwahl am 12. März. Es war nötig, daß eine nationale Regierung, wenn sie erfolgreich arbeiten sollte, ihre Wurzeln und Fundamente bis in den letzten Urgrund politischer Betätigung des Volkes senkte. In dem systematischen Vorgehen gegen alles, was gegnerisch war, lag die Gewähr des unbestrittenen Erfolges.

Die Tätigkeit der Reichsregierung beschränkte sich vor dem 5. März lediglich darauf, die allzu drückende Not von den Bauern – durch Zollerhöhung und Vollstreckungsschutz, Pachtzinserleichterungen und Besserung der Absatzmöglichkeiten – und Rentnern – durch Erhöhung der Unterstützungen – und Arbeitern – durch Schutz der Löhne – zu nehmen und die Vorbereitung für die Arbeitsbeschaffung zu treffen. Die Zahl der Arbeitslosen war Ende Januar auf 6 014 000, Mitte Februar auf 6 247 000 gestiegen und sank Ende Februar auf 6 200 000. Auch in der sozialen Versicherung wurden Erleichterungen durchgeführt. Den Beamten wurde das Doppelverdienen verboten und in den staatlich subventionierten Betrieben wurden die hohen Gehälter gekürzt. Bevor das Wahlergebnis nicht vorlag, sollten einschneidende Maßnahmen nicht erfolgen. Insbesondere betonten Frick und Hitler im Reichsrat, daß sie den gesunden Föderalismus des Reiches nicht antasten [169] wollten und daß man die Meinungsfreiheit der Presse nicht zu knebeln beabsichtige, sondern nur da, wo diese offensichtlich gegen die Interessen des Volkes und der Regierung arbeite, eingreifen werde. Vor allem galt es dafür zu sorgen, daß nicht die Autorität der Regierung durch Angriffe und Beschimpfungen geschmälert werde. Um dies zu verhindern, wurde am 6. Februar eine Notverordnung zum Schutze des deutschen Volkes verkündet, welche Verbot und Auflösung politischer Versammlungen vorsah und auch Möglichkeiten enthielt, die gegnerische Presse bei schikanöser und unrichtiger Darstellung von Regierungsvorlagen hart zu bestrafen. Neu war in dieser Verordnung das Verbot ausländischer Zeitungen. Die Regierung durfte jederzeit deren Vertrieb untersagen, sobald sich herausstellte, daß diese ausländischen Zeitungen vom Geiste der regierungsfeindlichen Kreise in Deutschland beseelt wurden. Und in der Folgezeit wurden zahlreiche marxistische und pazifistische Zeitungen des Auslandes verboten. Gewisse Personalveränderungen im Regierungskörper ließen sich ebenfalls nicht umgehen. So wurden Mitte Februar im Reichsrat die bisherigen Vertreter der preußischen Regierung Braun durch die Reichskommissare und deren Vertreter ersetzt, ein Vorgang, der die etappenweise durchgeführte Abdrosselung der Hoheitsregierung Braun abschloß und infolgedessen bei den andern Länderregierungen Unwillen hervorrief.

  Görings Tätigkeit in Preußen  

In Preußen begann Göring sofort mit einem energischen Umbau des Beamtentums. Gehorsam und Pflichttreue wurden wieder als die Grundlagen des Staatsdienstes erklärt. Scharenweise wurden die Beamten des alten Systems aus ihren Stellungen entfernt. Nationalsozialisten, nach dem Grundsatze der Parteizuverlässigkeit, der Leistung und Befähigung ausgewählt, traten an ihre Stelle. Besonders im Westen des Staates wurden sehr tiefgreifende Veränderungen vorgenommen, um die Männer des Zentrums und der Sozialdemokratie von der Staatsmacht zu entfernen. Um dies so nachdrücklich wie irgend möglich durchführen zu können, ernannte Göring für die Provinzen Rheinland und Westfalen einen Staatskommissar mit diktatorischen Vollmachten. Göring war entschlossen, die Reinigung bis in die untersten Schichten des Beamtentums durchzuführen. Kein [170] Sozialdemokrat werde mehr in der Verwaltung geduldet werden, erklärte er.

Das Ziel der Aktion sei die Wiederherstellung des alten parteimäßig nicht beeinflußten Beamtentums nach Wiederkehr der Ruhe im Inneren. Deshalb würden auch nach einer Kampfperiode, die "auf einige Jahre" bemessen werde, die aus den Reihen der jetzigen Regierungsgruppen entnommenen Persönlichkeiten wieder zurückgezogen und durch Fachbeamte ersetzt werden. Schon jetzt herrsche das Bestreben, die Vizepräsidenten in den einzelnen Verwaltungen nicht nach politischen, sondern nach fachlichen Gesichtspunkten auszuwählen.

Die Kreise des Bürgertums äußerten Bedenken gegen die Art des Beamtenwechsels. Vor allem die Deutschnationalen nahmen Anstoß an dem Beamtenwechsel. Die Deutsche Allgemeine Zeitung schrieb, mit wenigen Ausnahmen handle es sich um Außenseiter: Offiziere, Volksschullehrer, Postbeamte, Gutsbesitzer usw.

      "Sollten in dem riesigen Arsenal der preußischen Verwaltung nicht genügend Berufsbeamte vorhanden sein, die sich als politische Vertrauensmänner der neuen Regierung ebensogut eignen, und liegt in dieser Form der Stellenbesetzung nicht ein Widerspruch gegen früher programmatische Ankündigungen gerade auch der Nationalsozialisten?"

Die Bedenken waren unnötig: Das erste Erfordernis war, die seit einem Jahrzehnt zerrissene Vertrauensbindung zwischen Volk und Verwaltung wieder herzustellen, und im übrigen war der Nationalsozialismus, im Gegensatz zur erstarrten, fortschrittsfeindlichen Sozialdemokratie, eine vom ursprünglichen Leben des Volkes erfüllte Bewegung, die jederzeit in der Lage sein würde, da, wo es nötig war, das Gegenwärtige durch Besseres zu ersetzen. Darin aber lag der eigentliche und wahre Sinn der deutschen Revolution, den viele nicht verstehen konnten!

Außer in den Regierungsstellen fand ein umfassender Personenwechsel auch in den Reihen der Polizeipräsidenten statt. Die Polizei mußte das zuverlässige Machtmittel in den Händen der neuen Regierung werden. Den Beamten wurde die Anweisung gegeben, den Angehörigen der nationalen Verbände in jeder Weise entgegenzukommen, sofern nicht Vergehen gegen [171] die Gesetze vorliegen. Das Bestreben der neuen Regierung, die Polizei der Befehlsgewalt der Regierungs- und Oberpräsidenten zu entziehen und sie unmittelbar dem preußischen Innenministerium zentral unterzuordnen, fand seinen Ausdruck in der neuen Zusammenfassung und Gruppierung der Polizeiformationen unter dem Oberbefehl von Polizeigenerälen. Diese Zentralisation der preußischen Polizei in der Hand des Innenministers durch die Einsetzung dieser Polizeigeneräle fand Mitte Februar statt. Sie war besonders nötig infolge der kommunistischen Wühlereien. Eine in der Hand des Ministers zentral zusammengefaßte Polizei konnte viel schneller und schlagfertiger gegen alle Umstürze vorgehen als eine durch das Zwischenglied der Regierungspräsidenten zersplitterte und in ihrer Schlagkraft gelähmte Polizeimacht.

SA. als Hilfspolizei vor dem Rathaus zu München.
[Bd. 7 S. 64a]      SA. als Hilfspolizei
vor dem Rathaus zu München.

Photo Scherl.
Es erwies sich, daß die Polizeikräfte zahlenmäßig zu schwach waren, um die Ordnung des neuen Staates gegen die kommunistischen Angriffe zu schützen. Deshalb ordnete Göring am 22. Februar an, daß die ordentlichen Polizeikräfte durch Hilfspolizei zu verstärken seien. Diese sollte aus den Reihen der S.A. und des Stahlhelms genommen werden und der Befehlsgewalt der Polizeikommandeure unterstehen. So traten jetzt überall in den preußischen Städten neben der staatlichen Polizei die Formationen der bewaffneten Hilfspolizei auf.

Auch auf kulturellem Gebiet ging Göring zusammen mit dem Bildungskommissar Dr. Rust zum Angriff gegen das alte System vor. Ehrenhaftigkeit und Sittlichkeit sollten wieder die Herzen der Volksgemeinschaft beherrschen. Die Schmutz- und Schundliteratur, die schlüpfrigen Darstellungen verschwanden radikal aus der Öffentlichkeit, die bis ins Mark verfaulte Kurfürstendamm-Moral, die Prostitution in allen ihren Formen, die abgrundtiefe Unsittlichkeit im öffentlichen wie im geheimen wurde durch schonungsloses Vorgehen der Polizei bekämpft. Nacktkulturorganisationen wurden verboten und Vergnügungsstätten, die Nacktvorstellungen boten, wurden geschlossen. Von der Jugend galt es wieder die sittliche Gefährdung fernzuhalten. Die Jugend sollte in Christentum und Sittlichkeit, in Arbeit und Gehorsam heranwachsen, um wieder stark und männlich zu werden, und so wurde auch dem Schulbolschewis- [172] mus ein Ziel gesetzt. Die weltlichen Sammelschulen wurden gedrosselt, Göring verfügte, daß von Ostern ab neue Schüler in diesen Schulen nicht mehr aufgenommen werden durften. – Um den Machenschaften der gegnerischen Presse kräftig entgegenzutreten, befahl Göring der Polizei rücksichtsloseste Durchführung der Pressenotverordnung. –

  Wahlkampf  

Der Wahlkampf, der den Februar 1933 ausfüllte, unterschied sich dadurch von den früheren Wahlkämpfen, daß ihn die Nationalistische Deutsche Arbeiterpartei als Inhaberin der Reichs- und Staatsgewalt führte und jetzt zwingend und eindeutig an die großen Traditionen der deutschen Vergangenheit, insbesondere Preußens, anknüpfte. Die von der Begeisterung von zehn, zwanzig, ja hunderttausenden von Menschen erfüllten Massenversammlungen waren Staatsaktionen erster Ordnung, an denen die Mehrzahl der diplomatischen Vertreter der fremden Mächte teilnahmen. Noch nie zuvor zeigte sich das deutsche Volk in dieser Einheit und Geschlossenheit und nie ging ein gewaltigeres Ahnen von der Größe des Zieles, um das es ging, durch ein Volk. In diesem Wahlkampf begann der Nationalsozialismus in die zweite Epoche seines Wirkens einzutreten, er begann die gewaltige aufbauende Seelenkraft des ganzen Volkes zu werden gegen Bolschewismus und Untergang. Denn unter der Parole führte Hitler den Wahlkampf: nationalsozialistisches Reich der Freiheit oder bolschewistisches Chaos des Unterganges! So wurde der Nationalsozialismus, der bisher die revolutionäre Wucht des Vorwärtsstürmens darstellte, auch inniger herangeführt an die ewigen Werte großer deutscher Tradition, wie sie zum Teil auch noch in anderen Parteien und Bevölkerungskreisen lebendig waren, und aus der Vereinigung mit diesen Kräften der Geschichte zog der Nationalsozialismus die Kraft der Gegenwart, Träger des Staates, des Reiches und Fundament des Volkes zu sein. So schloß der Kanzler seine große Wahlrede im Berliner Sportpalast am 10. Februar:

      "Wir haben kein anderes Ziel als dem zu dienen, was uns das Höchste auf Erden ist: unserem Volke! Ich kann mich nicht lossagen von der Überzeugung, daß die Nation einst wieder auferstehen wird. Ich kann mich nicht entfernen von der Liebe zu diesem Volk. Das ist mein Glaube: es wird wie- [173] der auferstehen ein neues Deutsches Reich der Größe, der Ehre, der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit, Amen!"

Die Leidenschaft des Nationalsozialismus raste durch Deutschland, riß die Menschen zu Millionen zusammen, schmiedete sie in der Begeisterung vor dem Führer zu einer unzertrennlichen Gemeinschaft zusammen, und man erlebte in Deutschland nichts weiter als den Geist des Nationalsozialismus, der alles überstrahlte, vor dem alle anderen Richtungen und politischen Strömungen kümmerlich erblaßten. Hier war ein Feuer angezündet, in dem ein neues Volk geschmiedet wurde! Rundfunk, Presse, öffentliches Leben und das persönliche Leben jedes einzelnen standen Tag und Nacht unter dem machtvollen Eindruck des Nationalsozialismus.

Der Nationalsozialismus gab einen großartigen Beweis seiner wuchtigen Lebenskraft. Gegenüber der trostlosen Zerrissenheit und Kraftlosigkeit anderer zeigte er, daß er die durch Schleicher ausgelöste Krisis des Dezember und Januar völlig überwunden hatte. Der vorzügliche Parteiapparat und die Festigkeit der S.A. waren das zuverlässige Rückgrat der von Führerfreude und freiwilligem Gehorsam erfüllten Bewegung, die sich auf dem breiten Fundament der begeisterungsfähigen deutschen Jugend erhob. Die reine Leidenschaft der Zwanzigjährigen, die vielfach den Kreisen des vom vergangenen System Enterbten und Entwurzelten angehörten, aber in ihrem unverdorbenen deutschen Blute den Glauben an die Zukunft trugen, wurde das Zentralfeuer, dem in hellen Scharen nun auch die Massen des Volkes, die in anderen Lagern standen, zuströmten. Die Partei, die am 30. Januar 1933 etwa 1½ Millionen eingeschriebene Mitglieder zählte, konnte am Tage der Wahl einen Zugang von etwa einer Million verzeichnen! –

Papen, Seldte, Düsterberg waren bemüht, zur Wahl eine einige Front der Rechten, eine Einheitsliste, zustande zu bringen. Nationalsozialisten, Deutschnationale und Stahlhelm sollten gemeinsame Listen wählen. Die Führer dieser "konservativen" Richtung, die an sich schon recht unwillig wegen schwerwiegender Bedenken ihre Zustimmung zur Auflösung und Neuwahl des Parlamentes gegeben hatten, glaubten auf diese Weise einen Ausgleich herbeiführen, ihre eigene Schwäche [174] verdecken zu können, denn aller Voraussicht nach mußten die Nationalsozialisten mit überwältigender Stärke aus dem Wahlkampfe hervorgehen. Aber die Nationalsozialisten hatten nicht die Absicht, sich mit den anderen zu verbünden, und da Hugenberg am 8. Februar eine Bindung auch mit anderen politischen Parteien ablehnte, schlossen sich die Deutschnationalen mit dem Stahlhelm zur Kampffront "Schwarz-Weiß-Rot" zusammen, deren Führer Hugenberg, Seldte, Papen waren. In der Führung des Wahlkampfes durch diese Parteien waren mehr oder weniger schwere Spannungen zu den Nationalsozialisten deutlich zu erkennen.

  Die Parteien im Wahlkampf  

Wie gesagt: die nach dem Scheitern der Koalitionsversuche mit den Nationalsozialisten von Papen dann eifrig betriebene Verbindung der Deutschnationalen mit den bürgerlichen Mittelgruppen zur "Christlich-nationalen Front" wurde durch Hugenberg vereitelt. Die vom liberalen "Deutschen Nationalverein" geplante Zusammenfassung der "volksbürgerlichen Mitte", Deutsche Volkspartei, Christlich-Soziale, Bauernpartei zu einer "Technischen Fraktion" war erstens mehr Gegner als Freund der neuen Regierung und glaubte zweitens, daß die Regierungsparteien nicht die Mehrheit erreichen würden, so daß die "Technische Fraktion" als Zünglein an der Waage im Parlament stets den Ausschlag geben würde. In den Parlamenten aller Zeiten hat es Richtungen und Parteien gegeben, deren Stärke in ihrer Schwäche, in ihrem Vorhandensein zwischen zwei großen Gegnern bestand. Im Aufruf des Nationalvereins vom Anfang Februar hieß es:

      "Unser Staatsgefüge, die Grundlagen der Wirtschaft und Kultur, der soziale Gedanke sind bedroht. Es gilt, die Volksgemeinschaft gegen Reaktion und Revolution zu verteidigen. An Stelle des bisherigen Nebeneinander und Gegeneinander der einzelnen Gruppen muß daher endlich der geschlossene Aufmarsch der Front der Mitte treten."

Diesen Wunsch hatte die liberalistische Mitte schon seit Jahren, war aber unfähig gewesen, ihn zu verwirklichen; alles, was sie jetzt erreichte, war ein "technisches Wahlabkommen", das jedoch nicht vermochte, den liberalistischen Geist der Gegensätze durch äußere Zusammenarbeit zu überwinden.

[175] Das Zentrum, zu dem Papen auch Fühlung aufnahm, befand sich im Gegensatz zur Regierung Hitlers. Kaas bezeichnete als Aufgabe des Zentrums die Sammlung der ganzen Nation: "Aufbau der Nation aus den Grundkräften einer geistigen und politischen Mitte, die eint, versöhnt und zusammenfaßt." Die Spannungen zwischen Nationalsozialisten und Zentrum nahmen im Laufe des Wahlkampfes derart zu, daß die Reichsregierung am 19. Februar vorübergehend die Germania wegen eines Aufrufes der katholischen Verbände Deutschlands verbot. Im Gebiete des Rheines kam es sogar dahin, daß Zentrumsversammlungen von Nationalsozialisten gewaltsam gesprengt wurden, so in Kaiserslautern und Krefeld, – Vorgänge, die von den Regierungsstellen stark verurteilt wurden. Wenn auch das Zentrum wegen Görings Maßnahmen in scharfe Opposition zur Regierung geriet, ja sogar künstlich eine konfessionelle Kulturkampfstimmung zu erzeugen versuchte, so war Kaas klug genug, es nicht zum vollen Bruche kommen zu lassen, da er immer noch damit rechnete, nach den Wahlen von den Nationalsozialisten wieder an die Regierungsmacht herangeführt zu werden. Auch das Zentrum hoffte, daß die Regierungsparteien nicht die absolute Mehrheit erreichen würden. Die Bayerische Volkspartei glaubte die Gelegenheit gekommen, die lang ersehnte Monarchie wieder einzuführen und hatte Ende Februar über diese Frage lange und eingehende Verhandlungen. Man wollte klug vorgehen und scheute einen Umweg nicht: es sollte für Bayern der Posten eines Staatspräsidenten geschaffen werden, für den Kronprinz Rupprecht vorgesehen war. Aber die Pläne kamen nicht über das Anfangsstadium hinaus, da man im Landtag den Widerstand der Nationalsozialisten fürchtete. – Held insbesondere attackierte die Reichsregierung wegen der Presseverbote und forderte die Pressefreiheit. Drohungen mit der Mainlinie tauchten in den Reden der Bayerischen Volkspartei auf.

Und mit dieser Mainlinie, welche Zentrum und Bayerische Volkspartei stolz für sich in Anspruch nahmen, glaubten sie Hitler einzuschüchtern. Sie rechneten mit der Angst des Spießers, der Hitler verlassen würde, wenn er der Anlaß zur Trennung des deutschen Nordens und Südens wurde. Aber [176] der Kanzler trat diesen frevelhaften Reden mutig entgegen:

      "Was wollen die Feinde der deutschen Einheit? Wer sind sie überhaupt? Sie sind nicht das deutsche Volk! Mögen sie überzeugt sein, daß, wenn auch der eine oder der andere heute eine Mainlinie wieder wünscht, das ist nicht Bayern, das ist nicht Süddeutschland, das ist höchstens eine Partei. Wir haben damit nichts zu tun.
      "Im Gegenteil, wenn diese Frage je kommen sollte, dann wird aus Bayern selbst ein solcher Versuch zerbrochen und zerschlagen werden. Zum ersten Male seit der Gründung des Reiches ist die Würde Bismarcks in die Hände eines Bayern gelegt worden. So wahr mir Gott helfe, ich werde Deutschland davor bewahren, daß unter meiner Betrauung mit dieser Würde durch unseren Stamm Deutschland jemals zerfällt. Es ist unsere Pflicht, unsere Ehre, die Einheit des Reiches zu wahren. Ich habe den Kampf gegen den Marxismus aufgenommen. Wenn jemand es für nötig erachtet, sich mit ihm zu verbünden, dann möge er die Überzeugung haben, retten wird er den Marxismus nicht, nur mit ihm zugrunde gehen. Wer mir in einem Atemzug sagt: Ich möchte mit Ihnen gehen, aber ich nehme mir aus, mit dem Marxismus gehen zu können, dann muß ich sagen: Nein. Vor allem: Ich lasse mich nicht von Parteien tolerieren. Ich wünsche, daß das gesamte deutsche Volk mich toleriert.
      "Dem deutschen Volk will ich auch Rede und Antwort stehen, nicht den Parteien. Dem deutschen Volke werde ich mich wieder stellen. Es soll urteilen und entscheiden und es soll mich kreuzigen, wenn es glaubt, daß ich meine Pflicht nicht erfüllt habe. Ich wünsche, daß dieses Volk selbst mithilft an dieser Arbeit, damit in gemeinsamer Arbeit dafür gesorgt wird, daß die Blätter in der deutschen Geschichte von unserem Zerfall und Hader durchgestrichen werden und daß einst die deutsche Jugend wieder leben kann, und daß dann wiederersteht ein Deutsches Reich, auf das wir stolz sind, das die Freiheit geben wird, das tägliche Brot und damit den Frieden auf Erden."

Die Staatspartei fühlte sich durch die Ereignisse des Januar bewogen, den entschlossenen Schritt nach links zu tun. Sie [177] ging für den Wahlkampf in Reich und Preußen die Listenverbindung mit der Sozialdemokratie ein – ein Schritt, der in ihren eigenen Reihen starke Bedenken hervorrief, weil die Einheitsbestrebungen der Sozialdemokraten mit den Kommunisten noch vor kurzem stark in den Vordergrund getreten waren.

Die marxistische Sozialdemokratie war die erklärte Gegnerin des Nationalsozialismus und der neuen Regierung. In einer Parteiführerbesprechung am 31. Januar, an der auch Vertreter der Eisernen Front teilnahmen, erging sich Breitscheid in scharfen Angriffen gegen die Regierung und erklärte, die Sozialdemokratie habe den Wunsch, in dem bevorstehenden Kampfe "in einem guten Verhältnis zu den kommunistischen Arbeitern zu stehen." Bereits am 3. Februar wurde der Vorwärts auf drei Tage verboten, weil er einen Kampfaufruf gegen die Regierung gebracht hatte. Am 7. Februar veranstaltete die Eiserne Front im Lustgarten zu Berlin eine große Kundgebung, bei der sich Kommunisten und Sozialdemokraten verbrüderten. Der Parteivorsitzende Otto Wels rühmte die Verdienste der Sozialdemokratie nach dem verlorenen Kriege and meinte, es sei falsch, von "Novemberverbrechern" zu sprechen. Er, der bisher immer der Verbindung mit den Kommunisten zurückhaltend gegenübergestanden hatte, betonte jetzt, daß der Kampf um die Einheitsfront des werktätigen Volkes gehe. Allerdings wagten die sozialdemokratischen Führer nicht, den anwesenden kommunistischen Abgeordneten Torgler die Einheitsfronterklärung vorlesen zu lassen, die er in der Tasche bei sich trug. Sie hätten kein Interesse daran, "Konkurrenzmanöver der Kommunisten" zu begünstigen. Die Zeiten hatten sich innerhalb einer Woche doch sehr geändert. Waren die Einheitsbestrebungen zuerst von der Sozialdemokratie ausgegangen und an der Zurückhaltung der Kommunisten gescheitert, so hatten sich jetzt die Dinge von Grund aus verkehrt. Die Kommunisten fühlten sich durch die neue Regierung und ihr Vorgehen bedroht und machten jetzt öffentliche und private Einheitsangebote an die Sozialdemokratie mit der Begründung, daß der kommunistisch-sozialdemokratische Zusammenschluß eine nicht mehr [178] zu umgehende Notwendigkeit sei. Nun aber wurden die Sozialdemokraten vorsichtig, denn sie wünschten, möglichst dem Strafgericht zu entgehen, von dem man ahnte, daß es über den Kommunismus heraufziehe. Auch die sozialdemokratischen Gewerkschaften mißbilligten den Zusammenschluß mit den Kommunisten, und wo untergeordnete Parteistellen hier und da doch einen solchen herbeiführten, wurde dies Vorgehen von der Parteileitung verboten. Sie wollte die letzte politische und taktische Entscheidung sowohl gegenüber der Regierung wie gegenüber den Kommunisten in der Hand behalten.

  Zerfallende Sozialdemokratie  

Innerhalb der Sozialdemokratie selbst herrschte nämlich keineswegs Einmütigkeit und Freude. Die Parteileitung hatte schon fürsorglich den für März angekündigten Parteitag auf lange Zeit vertagt. Das rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Mitte Februar hatten sich die Funktionäre von sieben Berliner Bezirken versammelt, die sich in schwersten Vorwürfen gegen die Parteileitung ergingen. Sie protestierten gegen die Hinauszögerung des Parteitages und verlangten mit 380 gegen 32 Stimmen die Einberufung eines außerordentlichen Parteitages nach Berlin. Man forderte Wels auf, sofort den Parteivorsitz niederzulegen. Braun und Severing sollten wegen ihrer Feigheit am 20. Juli 1932 aus der Partei ausgeschlossen werden. Sämtliche Redaktionsmitglieder des Vorwärts sollten ihrer Posten enthoben werden. Leipart und Höltermann hätten die Interessen der Werktätigen verraten. Die ganzen Spitzen der Partei, soweit sie bezahlt würden, seien korrupt. – All dies bewies, wie morsch die Sozialdemokratie innerlich war. Sie trug den Tod in sich. Nicht die Zahl der Wählermassen konnte mehr das Schicksal der Partei aufhalten, es erfüllte sich an der Unfähigkeit ihrer Führer, die sich jeden Tag aufs neue enthüllte in den unerhörten Korruptionsskandalen und ‑prozessen.

Die letzte Hoffnung der systemtreuen Marxisten war das Reichsbanner. Ende Februar erklärte Höltermann in der Landes-Generalversammlung, daß das deutsche Volk vor einer historischen Entscheidung stehe. Der deutschen Freiheit gelte die Arbeit des Reichsbanners: "Vorwärts für ein Deutsch- [179] land der Freiheit!" Nun, Waffen und Munition hatte ja das Reichsbanner genug. Die Entdeckungen, die nach und nach stattfanden, bewiesen dies. Aber das Entscheidende fehlte ihm: die Kraft des Mutes und das Bewußtsein, für eine gerechte Sache zu streiten. So war auch das Reichsbanner unfähig, sich zu einer Tat gegen Hitler aufzuraffen: es wäre schonungslos zusammengehauen worden.

Die Verschärfung des Wahlkampfes, die Aufforderung der sozialdemokratischen Zeitungen zum Ungehorsam gegen die Reichsregierung und Generalstreik führte seit Mitte Februar dazu, daß die sozialdemokratische Presse in großem Umfange auf mehr oder weniger kurze Fristen verboten wurde. Tagtäglich mußten neue Zeitungsverbote ergehen, Flugblätter wurden beschlagnahmt, ihre Verteiler verhaftet. Besonders die Kritik an den Maßnahmen Görings in Preußen, die von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften als im Gegensatz zur Verfassung stehend bezeichnet wurden, führte zu einer umfassenden Lahmlegung der marxistischen Presse.

Vorbereitung des
  kommunistischen Aufstandes  

Die Kommunisten erhielten durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler einen neuen Antrieb zu revolutionären Taten. Wir haben gesehen, welche Anweisungen im August 1932 von Moskau gegeben wurden. Das Ziel der Bolschewisten war vorerst allein darauf gerichtet, zu verhindern, daß der Nationalsozialismus an die Regierung gelangte. Die Kommunisten wußten, daß sie um ihr Leben kämpfen mußten, wenn Hitler zur Macht kam. Die schwache Regierung Schleichers begünstigte, wie wir feststellen konnten, ihre Umtriebe; und wären die Vorverhandlungen über die Regierungsbildung Hitlers nicht in aller Stille geführt worden, so wäre eine kommunistische Erhebung unter Schleichers Regiment im Januar durchaus möglich gewesen. So aber waren die Kommunisten überrascht worden. Um so eifriger bereiteten sie nun den Aufstand vor, um die gefürchtete Herrschaft Hitlers, die wider alles Erwarten gekommen war, zu stürzen.

Sofort wurden von Moskau die Mobilmachungsbefehle gegeben. Bis Ende Februar sollte die Partei zum Losschlagen fertig sein. Anfang Februar wurde der Parteileitung eine "ge- [180] heime Kopfleitung" des bewaffneten Aufstandes vorgesetzt, die aus drei Personen bestand und zu deren Beratungen die Leiter der kommunistischen Kampfverbände Olbrich, Schneller und Hans Kippenberger hinzugezogen wurde. Die oberste Leitung lag in den Händen des Juden Manuilski, der die westliche Sektion der kommunistischen Internationale in Moskau führte und nach dessen Anweisungen vom August 1932 bereits der Bürgerkrieg vorbereitet worden war.

Es wurde jetzt ein strategischer Plan ausgearbeitet: Die geheime Leitung des Aufstandes sollte in der entmilitarisierten Zone, in Krefeld und Düren, sich befinden. Die militärischen Operationen sollten von dem russischen Juden Wolkenberg geleitet werden. Im Rheinland sollte der Aufstand beginnen, das Signal dazu sollte die Ermordung Hitlers oder Hindenburgs sein. Sofort sollten alle lebenswichtigen Betriebe gesprengt oder stillgelegt und Sabotageakte an öffentlichen Gebäuden, Eisenbahnen, Brücken, Kasernen, Polizeiunterkünften verübt werden. Vom Ruhrgebiet aus sollte der Aufruhr nach Oberschlesien, dann nach Berlin überspringen.

Die illegalen und geheimen Vorbereitungen wurden von einem verstärkten Blutterror begleitet. Obwohl die Behörden es verboten, rotteten sich die Kommunisten zu vielen Hunderten zusammen, veranstalteten Demonstrationszüge, verteilten Flugblätter, forderten zum Generalstreik auf und versuchten Barrikaden zu errichten. Wenn sich auch die Generalstreikparole nicht durchzusetzen vermochte, so kam es doch in Berlin, Hamburg und anderswo zu Sabotageakten. Der rote Freischärlerkrieg loderte in allen Teilen des Reiches mit erneuter Wucht auf, und der Abend des 1. Februar brachte bereits 10 Tote und mehr als 100 Verletzte. In den nächsten 4 Tagen fielen weiter 5 Todesopfer und 50 Verletzte. So ging es von nun an weiter, wie im Juli 1932.

  Gegenaktionen Görings  

In Anbetracht dieser Vorgänge ordnete Minister Göring bereits am 2. Februar ein allgemeines Verbot für kommunistische Demonstrationen und Aufmärsche unter freiem Himmel an. Kommunistische Wahlversammlungen wurden zunächst noch nicht verboten, hier wurde eine verschärfte polizeiliche Kontrolle für ausreichend befunden. Immerhin wurden in den Häusern [181] der revolutionären Gewerkschaftsorganisation und der Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit Haussuchungen vorgenommen, wobei manch aufschlußreiches Material gefunden wurde. Auch die Regierungen Thüringens, Braunschweigs und Anhalts hielten es für nötig, sich dem preußischen Vorgehen anzuschließen.

Straßenkampf mit Kommunisten in Eisleben, 12. Februar 1933.
[Bd. 7 S. 48a]    Straßenkampf mit Kommunisten
in Eisleben, 12. Februar 1933.
     Photo Scherl.
Unter den vielen Bluttaten war eine der abscheulichsten der Überfall in Eisleben am 12. Februar. Hier entbrannte zwischen den kommunistischen Angreifern und der Polizei und S.A. eine regelrechte Straßenschlacht, die 4 Tote forderte. Während ganz Deutschland von Empörung widerhallte, trafen die kommunistischen Leitungen in den Provinzen weitere Aufruhrvorbereitungen. Am 13. Februar hatten sich in Aue in Sachsen, wo man übrigens viel Waffen, Sprengstoff und Munition aufgestapelt hatte, auserlesene kommunistische Führer versammelt, die da prophezeiten, daß demnächst "große Dinge gedreht würden"!

Gleichzeitig machten die Behörden in Göttingen eine überraschende Entdeckung. Der Universitätsinspektor Goßmann wurde als geheimer kommunistischer Funktionär entlarvt, dessen Beziehungen nach Braunschweig reichten, wo andere maßgebende Verschwörer verhaftet wurden. Die Existenz eines bolschewistischen Informations- und Diskussionsbüros für Niedersachsen wurde festgestellt, das ein eingehendes Arbeitsprogramm für den niedersächsischen Bezirk ausgearbeitet hatte. Dies Gebiet, so hieß es da, sei wegen seiner geographischen Lage (Eisenbahnknotenpunkte, Wasserstraßen) sehr bedeutungsvoll, und sein agrarischer Charakter könne es leicht zum Stützpunkt der Gegenrevolution machen. Aber zum Glück sei diese deutsche Vendée von einem starken kommunistischen Ring umgeben: Wasserkante, Ruhrgebiet, Mitteldeutschland, Berlin, und von hier aus müsse ein enges Netz kommunistischer Zellen über Niedersachsen gespannt werden, um es bei einem Aufstande niederhalten zu können.

Während der rote Meuchelmord Tag für Tag seine Opfer forderte, verdichteten sich die Anzeichen für den bevorstehenden kommunistischen Aufstand. Kommunisten selbst verrieten die heimlichen Umtriebe und lieferten ihre Spießgesellen den [182] Staatsbehörden aus. Man erfuhr, daß in Flensburg eine aus Hamburger Schwerverbrechern bestehende bewaffnete Terrorgruppe existierte. Im Ruhrgebiet waren nächtliche bewaffnete Überfälle auf die Polizei geplant. In Camin in Pommern wurde der Polizei ein schiffrierter Plan übergeben, wonach eine Terrorgruppe von 25 Mann Geiseln verhaften und Eisenbahnbrücken sprengen sollte. Altona erwies sich als ein gefährlicher Stützpunkt des militärischen Aufstandes, da hier Rotfrontkämpferbund, Rote Marine und Kampfbund gegen den Faschismus sehr stark waren und über zahlreiche Waffen verfügten. Deutschland stand unmittelbar vor dem Ausbruch eines großen kommunistischen Aufstandes.

Um dieser gefährlichen kommunistischen Umtriebe Herr zu werden, hatte Göring bereits am 22. Februar die Einstellung der Hilfspolizei angeordnet. Am 24. Februar ließ er das Karl-Liebknechthaus, die kommunistische Zentrale in Berlin, besetzen. Bei der Untersuchung des Gebäudes wurden nicht nur hochverräterische Schriften in ungeheuren Mengen vorgefunden, sondern auch unterirdische Geheimgänge und Keller, Katakomben entdeckt, in denen Waffen und Sprengstoffe aufgestapelt waren.

Polizei im 
Karl-Liebknecht-Haus, Februar 1933.
[Bd. 7 S. 48a]      Polizei im Karl-Liebknecht-Haus, Februar 1933.      Photo Scherl.

Reichstagsbrand am 27.-28. Februar 1933.
[Bd. 7 S. 48b]      Reichstagsbrand
am 27.–28. Februar 1933.

Photo Scherl.

  Reichstagsbrand  

Allerdings hatte die Hydra, der man einen Kopf abgeschlagen hatte, noch viele andere Köpfe, und das deutsche Volk erkannte, vor welchem Abgrund es stand, als am 27. Februar abends 9 Uhr das Reichstagsgebäude in Flammen stand. In kurzer Zeit war der gewaltige Bau in ein Feuermeer verwandelt und die Feuerwehren standen der furchtbaren Katastrophe machtlos gegenüber. Ein junger holländischer Kommunist, Marinus van der Lubbe, der zu einer internationalen Anarchistenvereinigung gehörte, hatte den Brand angelegt. Seine Spießgesellen, zu denen deutsche Kommunisten gehörten, versuchten auch, allerdings vergeblich, das königliche Schloß anzuzünden. Auch die Einäscherung des Rathauses war geplant. Diese Brände sollten, ähnlich wie der des Wiener Justizpalastes im Juli 1927, das Signal für die allgemeine, kommunistische Erhebung sein.

Regierungskampf
  gegen den Kommunismus  

Jetzt mußte gehandelt werden. Zwar an ein Verbot der Kommunistischen Partei, wie es weite Volkskreise seit langem erwarteten, dachte die Regierung nicht. Diese Maßnahme hätte [183] unmittelbar vor den Reichstagswahlen ihre moralische und materielle Wirkung eingebüßt. Sie hätte nur dazu gedient, den sozialdemokratischen Wählermassen neuen Zuwachs zu verschaffen, was keineswegs im Interesse der Regierung liegen konnte. Zunächst wurden im ganzen Reiche Polizeiaktionen allergrößten Umfangs gegen den Kommunismus durchgeführt. Zeitungen und Flugblätter

Verbot der gesamten
  marxistischen Presse  

wurden, soweit man sie fand, bis aufs letzte Blatt beschlagnahmt und vernichtet. Die Häuser der Partei wurden besetzt. Hunderte von marxistischen Führern und Funktionären, auch Thälmann, wurden in Haft genommen, doch manchem gelang es, zu entkommen. Die gesamte kommunistische und sozialdemokratische Presse wurde verboten, das Vorwärtsgebäude wurde von Polizei und S.A. besetzt. Nachdem das Reichskabinett am 27. Februar bereits eine Verordnung erlassen hatte, welche für Landesverrat die Todesstrafe androhte, wurde am folgenden Tage eine Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat beschlossen, welche der Regierung das Recht gab, zur Abwehr kommunistischer Gewalttaten die Verfassungsbestimmungen über die Freiheit der Person, der Presse, der Versammlung aufzuheben und Haussuchungen und Beschlagnahmen vorzunehmen. Außerdem nahm das Reich das Recht in Anspruch, bei drohender Gefahr die Exekutive in den Ländern zu übernehmen (was wieder lächerliche Bedenken und Einwendungen Helds zur Folge hatte). Todesstrafen wurden angedroht für Hochverrat, Giftmischung, Brandstiftung, Eisenbahnanschläge, Mordanschläge gegen Regierungspersonen, schweren Aufruhr, Geiselverhaftung. – Den kommunistischen Abgeordneten wurden die Diäten gesperrt. Frick und Göring setzten außerdem Polizei und S.A. mit außerordentlichen Vollmachten in allen Teilen des Reiches ein.

Aufgedeckte
  kommunistische Pläne  

Es war bekannt geworden, daß noch am Tage nach dem Reichstagsbrand, am 28. Februar, von der geheimen Aufstandsleitung zentrale Kampfanweisungen an die Terror- und Kampfverbände ausgegeben worden waren. Es erging ein kommunistischer Befehl für die höchste Alarmstufe, der so lautete:

      "Bis Samstag muß dem Reichskurier gemeldet sein, wieviel Waffen in euren Bezirken sind. Sofort mitzuteilen, daß die eingesetzte Hilfspolizei dort, wo man sie antrifft, mit allen [184] zu Gebote stehenden Mitteln zu erledigen ist. Es muß so sein, daß kein Faschist mehr über die Straßen gehen kann. Festzustellen, wo Nazikasernen und alle strategischen Punkte der Nazi. Einheitliches Vorgehen der gesamten Organisation. Auf Nazi ist kein Pardon zu geben. Die Ortsgruppen haben in allen Aktionen freie Hand, nur wo es sich um Polizei handelt und um Kasernen der Polizei sowie um technische Betriebe, muß die Einwilligung der BL. der M.-Abteilung eingeholt werden. Höchste Alarmstufe, 5. März, abends. 12 Uhr, Eintreffen der Alarmmeldung. Positive Anweisung über Operation im Reich. Eintreffen des Reichskuriers. Wir erwarten, daß unsere Anweisungen sofort durchgeführt, werden zum Sturz der Hitlerregierung."

Ein besonderer Aktionsplan war für Berlin entworfen worden für die Zeit vom 5.–9. März. Eisenbahnbrücken sollten gesprengt, Hochspannungsleitungen umgelegt und Elektrizitäts- und Kraftwerke zerstört werden. Terrorgruppen sollten die Polizei in Schach halten, ein Massenaufgebot von Erwerbslosen sollte Überfälle und Plünderungen in den Villen ausführen.

Die Regierung des Reiches und Preußens war in der glücklichen Lage, alle diese Pläne zu kennen, und so konnten Frick und Göring mit starker Hand das notwendige eiserne Regiment aufrichten. Um die von den Kommunisten geplante Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs zu verhindern, mobilisierte Frick in Deutschland 40 000 Mann Bahnschutz, die das Recht hatten, bei der geringsten verdächtigen Handlung sofort auf den Täter scharf zu schießen. Trotzdem wagten es verwegene Gesellen hier und da die Eisenbahn zu attackieren. Doch wurden diese Versuche rechtzeitig entdeckt.

Görings Reden
  über Kommunismus  

Vor welcher Gefahr und Katastrophe das deutsche Volk im Februar 1933 stand und wie berechtigt die Maßnahmen der Regierenden waren, bewiesen zwei Reden Görings, die er auf Grund des aufgefundenen kommunistischen Materials am Mittag des 28. Februar im Reichskabinett und am Abend des 1. März im Rundfunk hielt:

In seiner ersten Rede stellte Göring fest, daß die Brandstiftung im Berliner Schloßgebäude und im Reichstag auf [185] Anweisungen zurückzuführen sei, die man unter dem im Karl-Liebknecht-Haus vorgefundenen Material festgestellt habe.

Bei der Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses seien über 100 Zentner hochverräterische Akten in unterirdischen Gängen gefunden worden, deren bisherige nur oberflächliche Sichtung und Überprüfung durch den Oberreichsanwalt ein Material an das Tageslicht gefördert habe, das bis ins Einzelne gehende hochverräterische und landesverräterische Pläne der K.P.D. enthülle.

Nach diesem Material stehe einwandfrei fest, daß die K.P.D. systematische Terroraktionen vorbereitet habe. Diese Aktionen sollten auf ein bestimmtes Signal hin gleichmäßig in ganz Deutschland von besonders ausgebildeten Terrorformationen durchgeführt werden. Unter diesen Aktionen seien in erster Linie planmäßige Brandstiftungen, die in allen lebenswichtigen Betrieben und an öffentlichen Gebäuden vorgenommen werden sollen, zu verzeichnen. Hand in Hand mit diesen Terroraktionen sollte eine ungeheuere Steigerung des Individualterrors gehen, die sich besonders auf Attentate gegen die verantwortlichen Leiter des Staates erstrecken sollten. Neben diesen Terrorakten gegen einzelne verantwortliche Persönlichkeiten und gegen die Führer politischer Parteien war die Bereitstellung besonderer Terrorformationen vorgesehen, deren Aufgabe es sein sollte, die Angehörigen führender politischer Persönlichkeiten, vor allem Frauen und Kinder als Geiseln fortzuschaffen. Aus dem Material, das bisher gesichtet worden sei, gehe ferner hervor, daß die K.P.D. starke Terrorgruppen zusammengestellt habe, die als Schutzpolizisten, S.A.- und S.S.-Leute und als Stahlhelmer verkleidet, in Aktion treten sollten. Alle diese Terroraktionen, so betonte Reichsminister Göring, seien genau vorbereitet gewesen und es seien genug Verdachtsmomente vorhanden, daß der Reichstagsbrand das Signal zu einem kommunistischen Umsturzversuch werden sollte. Reichstagsbeamte hätten ausgesagt, daß Torgler schon im Laufe des fraglichen Tages über 10 Zivilisten in das Reichstagsgebäude gebracht habe, von [186] denen jetzt einwandfrei feststehe, daß sie zu den Brandstiftern gehören. Es sei anzunehmen, daß die übrigen Brandstifter kurz vor Entdeckung des Brandes durch unterirdische Verbindungsgänge, die vom Reichstagsgebäude zum Palais des Reichstagspräsidenten führen, entflohen sind. Außerdem konnten nach den Mitteilungen des Reichsministers zwei Leute gefaßt werden, die sich kurz nach Bekanntwerden des Brandes vom Reichstagsgebäude aus telephonisch mit der Redaktion des Vorwärts in Verbindung setzten, um irreführende Meldungen an den Vorwärts weiterzugeben.

In der zweiten Rede vor dem Volke führte Göring folgendes aus:

Die Reichsregierung sei sich bewußt gewesen, daß der Brand im Reichstag nur als das erste Zeichen einer längeren Folge von Gewalttaten zu deuten sei. An Hand umfangreichen Materials, das der Polizei in die Hände gefallen ist, wies der Minister darauf hin, daß die kommunistischen Funktionäre seit Anfang Februar an allen Orten regste Tätigkeit entfalteten. Es habe festgestellt werden können, daß diese Aktivität eingestandenermaßen auf die Entfesselung eines Aufstandes hinzielen sollte. Ich möchte es offen aussprechen, so hob der Minister hervor, daß wir nicht einen Abwehrkampf führen, sondern auf der ganzen Front zum Angriff übergehen wollen. Am 15. Februar z. B. sei festgestellt worden, daß die K.P.D. mit der Bildung von Terrorgruppen in Stärke bis zu 200 Mann beschäftigt sei. Diese Gruppen, so erklärte Göring, hätten die Aufgabe, sich die S.A.-Uniform anzuziehen und dann auf Autos, Warenhäuser, Läden usw. Überfälle zu unternehmen. Auf der anderen Seite sollten Terrorgruppen in Stahlhelmuniform ähnliche Taten ausführen. Bei der Verhaftung sollten die falschen Ausweise vorgezeigt werden. Ferner wurden zahlreiche gefälschte Befehle von S.A.- und Stahlhelmführern gefunden, in denen die S.A. in geheimnisvoller Weise aufgefordert wurde, sich für die Nacht zum 6. März bereit zu halten, um Berlin zu besetzen, und zwar unter rücksichtslosem Waffengebrauch, Niederschlagung aller Widerstände usw. Auch Polizeibefehle wurden gefälscht, wo- [187] nach Panzerwagen auszuliefern waren. In einer Sitzung der K.P.D. am 18. Februar war von einem ausdrücklichen Angriffspakt der vereinigten Proletarier gegen den faschistischen Staat die Rede. Am gleichen Tage wird der Führer einer Brückensprengkolonne, der sich durch Stehlen größerer Mengen Sprengstoff verdächtig gemacht hatte, festgenommen. Bald danach wurde eine Organisation der K.P.D. aufgedeckt, die mit Gift vorgehen sollte. Durch die Aufdeckung eines solchen Giftdiebstahls in Köln (Rhein) wurde offenbar, daß das Gift in Gemeinschaftsspeisungen der S.A. wie auch des Stahlhelm verwendet werden sollte. Am 23. Februar wurde vom Zentralkomitee die Parole zur Bewaffnung der Arbeiterschaft ausgegeben. Es sollten alle Leute gemeldet werden, die mit der Waffe umzugehen verstehen, alles habe sich auf die Illegalität umzustellen.

Es ist nur ein erster Schreck durch die Führung der K.P.D. gegangen. Jetzt will man den illegalen Druck von Blockzeitungen außerhalb Berlins vornehmen. Der Minister gab dann einige Auszüge aus dem großen Organisationsplan zum bewaffneten Aufstand, betitelt "Die Kunst des bewaffneten Aufstandes".

      "Wir haben keine Lust, so schloß Göring, durch die kommunistische Bestie das Volk zerfleischen zu lassen. Wenn mir als Reichskommissar die Hauptaufgabe dieses Kampfes zufällt, so nehme ich diese Aufgabe gern auf meine Schultern, weil ich weiß, daß sie zum Besten meines Volkes notwendig ist. Den Kommunisten darf ich sagen: Meine Nerven sind bisher noch nicht durchgegangen und ich fühle mich stark genug, ihrem verbrecherischen Treiben Paroli zu bieten!"

Natürlich war der von Göring angekündigte Kampf ein Kampf auf lange Sicht. Feuerüberfälle und Sabotageakte wiederholten sich immer wieder. Aber das waren lokale Zuchtlosigkeiten irregeleiteter Fanatiker, nachdem man die Köpfe der Kommunistischen Partei, die Führer, welche die Schandpläne ausgeklügelt hatten, zum größten Teile unschädlich gemacht hatte.

Das Vorgehen Fricks und Görings rief das Wutgeheul der [188] marxistischen II. und III. Internationale hervor. Die Bolschewisten in Moskau überboten sich in Beschimpfungen und blutrünstigen Drohungen. Leon Blum in Paris erließ einen Aufruf, worin er den Kampf gegen die deutsche Regierung proklamierte und aufforderte, die deutsche Sozialdemokratie, die den "Kampf auf Leben und Tod" aufgenommen habe, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.

Die Bundesleitung des Reichsbanners erließ einen Aufruf "An das deutsche Volk! An die Kameraden des Reichsbanners!" Millionen von Volksgenossen, hieß es darin, seien außerhalb des gemeinsamen vaterländischen Rechts gestellt worden; die Soldaten des Weltkrieges, die im Lager des arbeitenden Volkes stünden, würden heute beschimpft, ihre Blutopfer würden verachtet, ihre Gesinnung würde verdächtigt. Um Deutschlands willen gehe das Reichsbanner wiederum in den Kampf für Freiheit und Recht der Nation. Nie habe ein Volk die äußere Freiheit erstritten, wenn es die innere Freiheit verloren habe. Die Wiederherstellung der Demokratie sei zur Lebensfrage für Deutschland geworden. Die selbstmörderische Zerstörung des Parlaments habe zur Entrechtung und Entmachtung des Volkes geführt: "Für ein Deutschland ohne Hunger! Für das Deutschland der Arbeit! Für das junge Deutschland der Zukunft!"

Die Sozialdemokratie hätte in diesem Augenblick herzlich viel darum gegeben, wenn sie die Einigungsverhandlungen der letzten Monate mit den Kommunisten hätte ungeschehen machen können. Otto Wels schrieb an Papen einen Brief, worin er die Schuldlosigkeit der Partei und die Ungerechtigkeit der Maßnahmen Fricks und Görings zu beweisen versuchte: Die ganze Vergangenheit der Sozialdemokratischen Partei biete keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sie mit Leuten, die den Reichstag in Brand steckten, irgend etwas zu tun habe. Vielmehr beweise ihre ganze Geschichte, daß sie terroristische Akte jeder Art ablehne und daß ihre Anhänger stets eine in jeder Beziehung vorbildliche Disziplin an den Tag gelegt hätten. Ein Blick in die kommunistische Presse, die bis zur Gegenwart mit schärfsten Angriffen gegen die Sozialdemo- [189] kratische Partei angefüllt sei, beweise am besten, daß eine sozialdemokratisch-kommunistische Einheitsfront nicht bestehe. Es sei nicht richtig, daß die Vorwärts-Redaktion Anweisung an zwei Leute gegeben habe, während des Brandes aus dem Reichstag an den Vorwärts die Meldung gelangen zu lassen, Reichsminister Göring habe den Brand veranlaßt. Das Verbot der sozialdemokratischen Zeitungen, Flugblätter und Plakate halte die Partei für ungesetzlich, sie spreche daher die Erwartung aus, daß Papen es nicht durchführen werde.

Otto Wels hatte sich getäuscht. Die Regierung Hitler betrachtete, wie es in den Wahlreden der letzten Tage deutlich genug gesagt wurde, als ihre Hauptaufgabe die Ausrottung des Marxismus. Dieser sei eine Weltgefahr, er habe Deutschland 14 Jahre im Banne gehalten und es sei Zeit, daß damit Schluß gemacht würde.

Am Abend des 4. März hielt der Kanzler seine letzte gewaltige Rede. Er hielt sie vor vielen Zehntausenden bis zum Fanatismus begeisterter Deutscher in Königsberg, an der Stätte, von der die Größe Preußens und die Einheit des Reiches ihren Ausgang nahmen. Nichts forderte Hitler vom Volke als vier Jahre Ruhe und Vertrauen. Er setzte auseinander, wie sein Lebensweg ihn, den einfachen deutschen Mann und Feldsoldaten unter vielen Millionen gleicher Menschen, dahingeführt habe, wo er heute stehe. Er wies darauf hin, daß der Nationalsozialismus kein radikaler Bruch mit der Vergangenheit sei, sondern die lebendigen Kräfte guter Tradition fortsetzen wolle, um das deutsche Volk in ein neues Reich hineinzuführen. Der Rundfunk verbreitete die Rede und die Begeisterung ohne Maß und Grenzen in alle deutschen Häuser, und durch die sternenklare Vorfrühlingsnacht trugen die Ätherwellen über Deutschland hin das leidenschaftliche Lied der deutschen Revolution:

Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen,
S.A. marschiert mit ruhig festem Schritt.
Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen,
Marschiern im Geist in unsern Reihen mit.

[190] Die Straße frei den braunen Bataillonen,
Die Straße frei dem Sturmabteilungsmann!
Es schaun aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen,
Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.

Zum letztenmal wird nun Appell geblasen,
Zum Kampfe stehn wir alle schon bereit.
Bald flattern Hitlerfahnen über alle Straßen,
Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit!

Rings an der Grenze gegen Polen aber loderten Freiheitsfeuer über vereiste Schneefelder und griffen mit feurigen Armen in den Nachthimmel hinauf, gleichsam die göttliche Weihe für den anbrechenden Tag der Freiheit, der erwachenden Nation herabzuflehen.

  Die Wahlen am 5. und 12. März  

Der Tag brach an, der 5. März, da die Millionen der braunen und grauen Streiter für Deutschlands Sieg fochten. Die Städte und Dörfer waren in ein Meer von Hakenkreuzfahnen und schwarz-weiß-roten Fahnen verwandelt. Eine freudige Gehobenheit hatte das Volk ergriffen; neun Zehntel aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Die Nationalsozialisten erhielten mit 17¼ Millionen Stimmen 288 Sitze, die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot mit 3⅛ Millionen Stimmen 52 Sitze. Die Sozialdemokraten errangen mit 7 Millionen Stimmen 118 Mandate, die Kommunisten mit 46/7 Millionen Stimmen 81 Sitze. Die sechs übrigen Parteien hatten zusammen 106 Mandate mit 6⅖ Millionen Stimmen. Die nationale Regierung hatte mit 52 Prozent aller Stimmen die absolute Mehrheit im Reichstag erlangt!

Im preußischen Landtag fielen von insgesamt 474 Mandaten den Nationalsozialisten 210, der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot 42 zu. Hier hatte die Regierung 53% erhalten. – Der Marxismus hatte gegenüber der Reichstagswahl vom 6. November 1932 insgesamt 1½ Millionen Stimmen eingebüßt.

Die Prozentziffern waren folgende, wobei in Klammern die Reichstagswahl vom 6. November 1932 und die preußische Landtagswahl vom 24. April 1932 angegeben sind:
[191]

Reich       Preußen
N.S.D.A.P.   44,1%   (33,1) 43,2%     (36,3)
S.P.D. 18,8% (20,4) 16,5% (21,2)
K.P.D. 12,3% (16,9) 13,1% (12,8)
Zentrum 11,2% (11,9) 14,1% (15,3)
Kampffront   7,9% (  8,3)   9,3% (  6,8)
Bayr. Vpt.   2,7% (  3,1)   –
D.V.P.   1,8% (  1,9)   1,1% (  1,5)
Chr.-Soz. Vd.   0,9% (  1,2)   0,9% (  1,2)
Staatspartei   0,8% (  1,0)   0,7% (  1,5)
Dt. Bauern   0,2% (  0,4)   –
Württ. Weing.   0,2% (  0,3)   –
Hannoveraner       0,1% (  0,2)   0,2% (  0,3)

Die Mehrheitsverhältnisse im Reich:
Regierungsblock 341 Mandate
Opposition 306 Mandate
 
Die Mehrheitsverhältnisse in Preußen:
Regierungsblock 254 Mandate
Opposition 220 Mandate

474 Mandate

Die Wahl, die überall mit außerordentlicher Disziplin vor sich gegangen war, hatte eine außerordentliche Bedeutung in der deutschen Geschichte. Sie stellte die Übereinstimmung im Willen des Präsidenten und des Volkes her, d. h. sie führte die beiden verfassungsmäßigen Energiequellen der deutschen Politik, Parlament und Präsident, zusammen. Es trat jener Zustand ein, um den das deutsche Volk und der Reichspräsident seit drei Jahren mit aller Kraft gerungen hatten. Dies, von Hitler allein erreicht, war möglich, weil alle Gegner dieser Vereinigung auf der einen wie auf der andern Seite geschlagen waren: zum erstenmal seit Bismarcks Zeiten war die Schlüsselstellung des Zentrums gebrochen, in die süddeutsch-separatistische und marxistische Front war ein beachtenswerter Einbruch erfolgt. Der siegende [192] Nationalsozialismus hatte all die trennenden Kräfte überwunden und der Einheit des politischen Willens, dem großen Ziele Adolf Hitlers, den Weg geebnet. – Trotzdem die Wahl im allgemeinen ruhig verlief, blieben Bluttaten dem deutschen Volke nicht erspart, so in Hessen und in Breslau.

13. März 1933: Flaggenparade vor dem preußischen Innenministerium.
[Bd. 7 S. 80a]      13. März 1933: Flaggenparade vor dem preußischen Innenministerium.
Photo Scherl.
Verbrennung roter und schwarzrotgelber Fahnen am Bahnhof Tempelhof, 10. März 1933.
[Bd. 7 S. 80a]      Verbrennung roter
und schwarzrotgelber Fahnen
am Bahnhof Tempelhof, 10. März 1933.

Photo Scherl.

Der 12. März bestätigte das Ergebnis des 5. März für die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften Preußens. Der zweite Abschnitt des nationalsozialistischen Ringens, das Ringen um die Befestigung der Macht, konnte nun beginnen. Der Nationalsozialismus war jetzt, durch das legale Bekenntnis des Volkes, Herr der politischen Macht bis in die kleinste Gemeinschaft hinein. Träger dieser neuen Macht waren die braunen Soldaten der S.A., die, wie bisher, jetzt das eherne Fundament des neuen politischen Gedankens und die ausführenden Organe des Führers wurden. Sie schickten sich jetzt an, die deutsche Revolution durchzuführen, die durchgreifende Umwälzung der deutschen Dinge zu vollenden, das System der Korruption, der Schmach und Schande, des tödlichen Hasses aller gegen alle, das vierzehn Jahre lang das Volk gequält hatte, auszulöschen. Hitler und Göring mahnten ihre Kämpfer zu unbedingtestem Gehorsam und strenger Disziplin, denn die Ehre der deutschen Revolution sollte nicht durch Gesetzesverletzung und Willkür befleckt werden. Und so ging das gewaltige Werk in vorbildlicher Zucht vonstatten, wenn auch hier und da im allzugroßen Eifer und bei hartnäckigem Widerstand der Gegner kleine Übergriffe nicht vermieden werden konnten.

Die deutsche Revolution, die jetzt abrollte, war ein Triumph des freiwilligen Volksgehorsams und der reinen, jubelnden Freude zum Führer. Der endliche Sieg eines jahrelangen, mühseligen aber ehrlichen Kampfes war vom Gedanken des Heldischen überstrahlt. Nicht die geringste Spur von jenem Chaos, das im November 1918 über Deutschland hereinbrach, zeigte sich, nicht ein einziger Tropfen Blut wurde vergossen, nirgends wurde Besitz und Vermögen angetastet. Das deutsche Volk gab der Welt ein neues Beispiel seiner Gesetzesachtung und sittlichen Größe; alle die aber, welche dieses Volk in den letzten 14 Jahren gedrückt und getreten hatten, waren erfüllt von [193] der Angst ihres bösen Gewissens, und in Scharen flohen die sozialdemokratischen und kommunistischen Führer ins Ausland, die Juden schlossen sich an. Der Berliner Polizeioberst Heimannsberg und der jüdische Vizepolizeipräsident Bernhard Weiß, sowie der ehemalige sozialdemokratische Minister Klepper waren die ersten, die Deutschland verließen. Der jüdische Intellektuelle Albert Einstein, der Begründer der Relativitätstheorie, die Führer der Sozialdemokraten begaben sich ins Ausland.

Flaggenhissung am Münchener Rathaus am 11. März 1933.
[Bd. 7 S. 64a]      Flaggenhissung
am Münchener Rathaus
am 11. März 1933.
      Photo Scherl.

  Flaggenverordnung  

Gleichsam als das äußere Zeichen für den Sieg der nationalen Revolution wehten jetzt von allen öffentlichen Gebäuden das Hakenkreuzbanner und die schwarz-weiß-rote Fahne. Überall fanden bei diesen Flaggenhissungen erhebende und würdige Feiern statt, und über dem ganzen deutschen Vaterlande flatterten nun die Symbole des neuen Reiches. Dennoch wagte das Zentrum in Baden und im Rheinland, dagegen Einspruch zu erheben. Dem Zentrumsabgeordneten Joos in Köln antwortete Göring auf eine diesbezügliche Beschwerde:

      "Ich bin dafür verantwortlich, daß der Wille der Majorität des deutschen Volkes gewahrt wird, hingegen nicht die Wünsche einer Gruppe, die anscheinend die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden hat."

In Goslar kam es bei der Flaggenhissung auf dem Gewerkschaftshaus zu blutigen Zusammenstößen zwischen S.A. und Marxisten. Am Volkstrauertag, dem 12. März, legalisierte der Reichspräsident die neuen Reichsfarben:

      "Am heutigen Tage, an dem in ganz Deutschland die alten schwarz-weiß-roten Fahnen zu Ehren unserer Gefallenen auf Halbmast wehen, bestimme ich, daß vom morgigen Tage ab bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzflagge gemeinsam zu hissen sind. Diese Flaggen verbinden die ruhmreiche Vergangenheit des Deutschen Reiches und die kraftvolle Wiedergeburt der deutschen Nation. Vereint sollen sie die Macht des Staates und die innere Verbundenheit aller nationalen Kräfte des deutschen Volkes verkörpern.
      Die militärischen Gebäude und Schiffe hissen nur die Reichskriegsflagge."

Rückholung der am 9. November 1923 von der Münchener Polizei<BR>
eingezogenen Fahnen der NSDAP.
[Bd. 7 S. 64b]      Rückholung der am 9. November 1923 von der Münchener Polizei
eingezogenen Fahnen der NSDAP.
      Photo Scherl.

[194] Eine weitere Maßnahme war die Befreiung der nationalen Gefangenen aus den Kerkern, in die sie durch die früheren Regierungen geworfen worden waren. Mitte März wurden die im Potempafall zum Tode Verurteilten, dann zu lebenslänglichen Zuchthaus Begnadigten aus dem Gefängnis entlassen.

SA. besetzt Gewerkschaftshäuser.
[Bd. 7 S. 96a]
SA. besetzt Gewerkschaftshäuser.
Photo Scherl.
Jetzt wurde auch die tatkräftige Säuberung der marxistischen Stützpunkte durchgeführt. Polizei, S.A. und Stahlhelm besetzten die Parteihäuser der Sozialdemokraten und Kommunisten, die Verlagsgebäude und Gewerkschaftshäuser. Das war nötig, weil der rote Meuchelmord hemmungslos weiter wütete und die Gefahr eines kommunistischen Aufstandes unvermindert weiter bestand. In Hamburg kam es am Abend des 6. März zu schweren Schießereien: Kommunisten griffen planmäßig aus Fenstern und von Dächern her marschierende Polizei- und S.A.-Kolonnen an. Panzerwagen, Maschinengewehre und Handgranaten mußten gegen die Aufrührer angewandt werden. In verschiedenen Städten des Rheinlandes verübten die Kommunisten Mordtaten und Brandstiftungen. Am 8. März wurde aus dem Breslauer Gewerkschaftshaus ein Schnellfeuer auf vorbeimarschierende S.A. eröffnet. In Braunschweig schlugen Angehörige des Reichsbanners einen S.S.-Mann vor dem Gebäude der sozialdemokratischen Zeitung nieder. Als dies von Hilfspolizei besetzt werden sollte, erhoben die sozialdemokratischen Insassen ein wildes Feuer. Dasselbe ereignete sich in Dresden, in Königsberg, in Magdeburg, in Karlsruhe, in Gelsenkirchen, in Wurzen. – Um diese unterirdische Zerstörungsarbeit nachdrücklich zu beenden, war die Besetzung der marxistischen Gebäude notwendig. Das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin wurde verstaatlicht und Sitz der neugeschaffenen Abteilung des Berliner Polizeipräsidiums zur Bekämpfung des Bolschewismus.

Polizei-Razzia in der Berliner Künstler-Kolonie.
[Bd. 7 S. 80b]      Polizei-Razzia in der
Berliner Künstler-Kolonie, 15. März 1933.

Photo Scherl.
Verbrennen einer Marxistenfahne.
[Bd. 7 S. 80b]      Polizei in der
Berliner Künstler-Kolonie:
Verbrennen einer Marxistenfahne.

Photo Scherl.

Erneute
  kommunistische Umtriebe  

Daß die Kommunisten ihre Sache noch längst nicht verloren gaben, zeigte sich immer wieder von neuem. Berlin wurde nach der Wahl von einer Flut kommunistischer Hetzschriften überschwemmt. Auch in anderen Teilen des Reiches tauchten kommunistische Flugblätter auf, in denen der Hilfspolizei gedroht wurde, man wolle sie wie tolle Hunde abknallen! Im oberen [195] Erzgebirge wurde ein kommunistischer Attentatsplan entdeckt, wonach das Annaberger Gas- und Elektrizitätswerk in die Luft gesprengt werden sollten! In diesem Winkel Deutschlands verfügten die Kommunisten über 2000 Zentner Dynamit, 350 Handgranaten und 250 Schußwaffen. In Limbach wurde der Plan eines gemeinsamen Putsches von Kommunisten und Anarcho-Syndikalisten gefunden. Geiseln sollten verhaftet und niedergemacht, Brücken und Bahnanlagen gesprengt werden. Waffen waren in der Tschechoslowakei angekauft worden, die Kommunisten hatten einen Schießstand und Unterstände und verfügten über S.A.- und S.S.-Uniformen. Auf die Lötzener Bank in Ostpreußen wurde Mitte März ein Bombenattentat verübt. Ein Anschlag auf das Wasserwerk von Greiz mußte von der Polizei mit Gewalt verhindert werden. In Lobenstein sollten Rathaus und Kurhaus gesprengt werden. In Göttingen wurde eine kommunistische Terrorgruppe von 25 Mann verhaftet, die planmäßig Sprengstoffdiebstähle und Raubüberfälle durchgeführt hatte. Bei Jena wurden Stücke von Betonröhren auf den Eisenbahnschienen gefunden. Marxistische Sprengstoff- und Waffenlager wurden in den Bergen Thüringens und des Harzes entdeckt. In St. Andreasberg (Harz) wurde ein unerhörter Mordplan der Kommunisten gefunden, die ein zu den Nationalsozialisten übergetretener Kommunist verraten hatte; 18 Andreasberger Bürger waren von den Kommunisten zum Tode verurteilt worden und sollten bei einem Putsch öffentlich erschossen werden!

Die Sozialdemokraten trieben ihr unsauberes Spiel auf ihre Weise. Mitte März berichtete die französische Zeitung Figaro, daß 10 deutsche Sozialdemokraten nach Paris gekommen wären und in Unterhandlungen mit Führern der französischen Sozialisten ersucht hätten, eine Wiederbesetzung des Ruhrgebietes herbeizuführen! Die deutschen Sozialdemokraten verwahrten sich zwar energisch gegen diese Behauptungen und bezeichneten sie als grobe Lüge, dennoch aber war es durchaus möglich, daß sie in ihrem Kampfe gegen die Regierung Adolf Hitlers auch solche Pläne erwogen.

[196] Die Absicht, Adolf Hitler zu ermorden, bestand nicht nur bei den Kommunisten. Mitte März plante der der Bayerischen Volkspartei angehörende und stark im Gedanken eines Donaustaates befangen Graf Arco, den Reichskanzler zu ermorden. Arco, der durch seine jüdische Mutter Halbjude war, hatte im Februar 1919 den Unabhängigen Kurt Eisner erschossen, war im Januar 1920 zum Tode, dann zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt und 1927 begnadigt worden. Aus Wut über die Niederlage des separatistischen Gedankens am 5. März wollte er nun den nationalsozialistischen Führer "umlegen". Doch sein Plan wurde verraten und vereitelt. –

Die Dienstordnung im Konzentrationslager Oranienburg.
[Bd. 7 S. 192a]      Die Dienstordnung
im Konzentrationslager Oranienburg.

Photo Scherl.
Daß für die marxistischen Verbrecher im neuen Reiche kein Platz mehr war, ergab sich von selbst. So kündigte der Reichsinnenminister Frick unmittelbar nach der Wahl an, daß man die Kommunisten in den Parlamenten nicht mehr dulden werde: man werde ihnen die Mandate entziehen. Überall in den Selbstverwaltungskörperschaften wurden jetzt die Kommunisten ausgeschlossen, wo sie etwa noch Beamte waren, wurden sie sofort entlassen. Dasselbe geschah mit denjenigen Beamten, die führend in der Sozialdemokratie gewesen waren, den andern aber wurde die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei verboten. Die Funktionäre und Aktivisten der Linksparteien wurden systematisch verhaftet, in wenigen Wochen waren rund 15 000 Marxisten in Haft genommen; sie wurden in Konzentrationslager überführt, wo sie an einen geregelten Lebenswandel und die wertvolle Bedeutung praktischer Arbeit wieder gewöhnt wurden und Gelegenheit hatten, sich eingehender mit dem Wesen des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Wer aber von den ordentlichen Gerichten für schuldig befunden wurde an Mordtaten gegen Angehörige der nationalen Front, der wurde mit dem Tode bestraft. Gegen Volksteile, die in Zuchtlosigkeit entartet waren, mußte die Rechtsprechung des neuen Staates hart sein.

Appell im Konzentrationslager Oranienburg.
[Bd. 7 S. 240a]    Appell im Konzentrationslager Oranienburg.      Photo Scherl.
Sport im Konzentrationslager Oranienburg.
[Bd. 7 S. 240a]    Sport im Konzentrationslager Oranienburg.      Photo Scherl.

  Beamtenreinigung  

Rücksichtslos zogen die Nationalsozialisten jeden zur Verantwortung, der einst seine hervorragende Stellung zu Korruption und Selbstbereicherung mißbraucht hat. Ministerpräsidenten und Minister, Braun, Severing, denen man die Auslandspässe abgenommen hatte, Hirsch, Hirschfeld, Abegg, [197] Hermes, Grimme, wurden in Untersuchungshaft genommen, ja den Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung in der eigenen Regierung, Dr. Gereke, ließ Göring verhaften, weil er ihm anvertraute Gelder veruntreut hatte, dem ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten Grzeszinsky gelang es Ende März, sich durch die Flucht in die Schweiz der Verhaftung zu entziehen. Gegen Severing und Grimme wurde ein Gerichtsverfahren eingeleitet, weil sie 1932 zwei Millionen Staatsgelder für Wahlpropagandazwecke ihrer Partei verwandt hatten.

Das Reichsbanner, die marxistische Schutzgarde der Republik, verfiel dem Verbot und der Auflösung; sein Vermögen wurde eingezogen. Jede weitere Zugehörigkeit zu dieser Organisation wurde mit Strafe bedroht. Unter diesen Umständen löste sich Mitte März auch die Eiserne Front, die sowieso nur ein Schattendasein führte, von selbst auf. Besonders die Gewerkschaften erklärten, daß die Eiserne Front keine Aufgabe mehr zu lösen habe und daß sie die von ihnen gebildeten Hammerschaften ebenfalls auflösen würden. Die klugen Gewerkschaften versicherten, daß sie fortan sich rein sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben widmen wollten. Braun verzichtete nicht nur, wie Severing, auf sein Landtagsmandat, sondern auch auf die Durchführung seiner zweiten Klage in Leipzig.

Auch unter den Oberbürgermeistern der deutschen Städte wurde aufgeräumt. Sozialdemokraten wie Reuter in Magdeburg und Zentrumsmänner wie Adenauer in Köln und viele andere mußten ihre Ämter niederlegen. Binnen kurzem wurden 70 deutsche Städte kommissarisch von nationalsozialistischen Bürgermeistern verwaltet.

Schacht
  Reichsbankpräsident  

Bedeutungsvoll war der Wechsel im Präsidium der Reichsbank: am 17. März trat Dr. Luther nach mehreren Unterredungen mit Adolf Hitler zurück, der seit März 1930 Präsident war. Die Regierung konnte nicht mit diesem Manne zusammenarbeiten, da er sich als Sachwalter der internationalen Hochfinanz fühle. Er war es gewesen, der im Jahre 1924 die Enteignung des bodenständigen deutschen Eigentums durch seine Aufwertungsnotverordnung durchgeführt hatte, er hatte den Dawesplan und den Youngplan befürwortet. Dr. Schacht, der [198] im März 1930 aus Protest gegen den Youngplan zurückgetreten war, übernahm jetzt wieder das Amt des Reichsbankpräsidenten. Schacht entwickelte im Rundfunk das Programm, nach dem die Reichsbank in Zukunft verfahren wolle:

      "Es ist heute nicht mehr die Zeit für lange Reden. Es ist die Zeit zu handeln. Sie werden es deshalb verstehen, wenn ich mich bei meiner heutigen Ansprache auf einige kurze Sätze beschränke.
      Das Geld-, Bank- und Kreditwesen ist keine Angelegenheit, die nach irgendwelchen mathematischen Regeln ein Sonderdasein führt, sondern ist in stärkstem Maße mit den Interessen der nationalen Wirtschaft und damit des gesamten Volkslebens verwoben. Es ist deshalb nicht möglich, eine Notenbank zu leiten, ohne mit den politischen Grundsätzen der Regierung im Einklang zu sein.
      Aus Meinungsverschiedenheiten über die nationalen Grundlagen der gesamtpolitischen Führung habe ich vor genau drei Jahren mein Amt als Reichsbankpräsident niedergelegt. Die Befürchtungen, die ich damals gehegt habe, haben sich leider erfüllt.
      Willkürliche Beeinflussung von außen her hat den durch die falsche Auslandsanleihepolitik an sich schon geschwächten Wirtschaftskörper Deutschlands in solchem Maße ausgedörrt, daß die Rückwirkungen davon nicht nur im deutschen Volke selbst, sondern auch im internationalen Wirtschaftsleben schwer fühlbar geworden sind.
      Als ich vor drei Jahren aus der Reichsbank schied, stand die Bank mit rund 3,3 Milliarden eigenem Gold und Devisen da. Heute beträgt der eigene Besitz der Reichsbank an Gold und Devisen nur den neunten Teil davon. Der Zusammenbruch der österreichischen Creditanstalt Mitte Mai 1931 war die bewußt herbeigeführte Folge einer gegen Deutschland gerichteten Politik; ihr folgte in Deutschland die Kündigung nahezu aller kurzfristigen Auslandskredite seitens der ausländischen Geldgeber. Von jenem Ereignis bis heute hat die deutsche Volkswirtschaft rund 10 Milliarden Reichsmark an das Ausland zurückgezahlt. Das ist ein Aderlaß von so unerhörtem Ausmaß, daß er auch auf eine weniger verarmte Volkswirtschaft, [199] als es die deutsche nach dem Kriege ist, verheerende Folgen ausüben mußte. Solche Riesenzahlungen haben uns dennoch nicht vor einer zwangsweisen Regelung unseres Zahlungsverkehrs mit dem Ausland bewahren können, und diesem Kontrollzwang allein verdanken wir es, daß die Wertbeständigkeit der Mark aufrechterhalten worden ist.
      Die Entziehung von 10 Milliarden Mark in einem Zeitraum von noch nicht zwei Jahren hat den Schrumpfungsprozeß der deutschen Wirtschaft erheblich verschärft. Die Aufgaben für eine nationale Notenbankpolitik ergeben sich daraus von selbst.
      Wir werden jeden möglichen Weg beschreiten müssen, um die Reichsbank wieder mit Gold und Devisen anzureichern.
      Solange die internationale Welt fortfährt, sich unseren Waren zu versperren, werden wir eine starke, eigene Initiative für die Erreichung dieses Zieles nicht entbehren können. Dabei darf das Ausland versichert sein, daß wir unsere kommerziellen Schuldverpflichtungen in vollem Umfange anerkennen. Ich hoffe aber, daß die übrige Welt gemeinsam mit uns den internationalen Zahlungsverkehr wieder in Gang bringen wird, ohne den auch der Warenverkehr nicht wieder in Gang kommen kann.
      So lange indessen die Neigung, unsere Warenexporte aufzunehmen, in der Welt so gering ist wie jetzt oder sogar sich noch verringert, werden wir nicht umhin können, der Pflege des inländischen Marktes eine weit stärkere Beachtung zu schenken als bisher. Wo immer sich produktive Möglichkeiten in Deutschland ergeben, sei es in der Landwirtschaft, sei es im Gewerbe, wird die Reichsbank Hilfsstellung geben. Gerade der Initiative und Verantwortung des einzelnen kleinen Geschäftsmannes, Fabrikanten, Landwirts und Unternehmers wird jedes mögliche Entgegenkommen gezeigt werden müssen, nachdem die Überorganisation und Bürokratisierung der großen Konzerne nicht nur soziale, sondern auch so manche wirtschaftlichen Nachteile ans Licht gebracht hat.
      Die künftige Währungspolitik wird ihrer Aufgabe, die Wertbeständigkeit der Mark zu erhalten, unverändert treu bleiben. Aber sie wird mit größtem Nachdruck darauf aus- [200] gehen, diese Wertbeständigkeit wieder organisch in einer kraftvollen Wirtschaft zu verankern. Die gleiche Willensrichtung von Reichsregierung und Reichsbank wird ein einheitliches Zusammenarbeiten im gesamten Finanz-, Bank- und Kreditwesen sowohl bei den staatlichen wie gegenüber den privaten Stellen gewährleisten. Große Arbeit steht hier bevor. An diese Arbeit wollen wir jetzt herangehen zum Wohle unseres arbeitenden und arbeitswilligen Volkes."

Schacht war durch seine Persönlichkeit und Fähigkeiten der Mann, der nicht nur im Innern das deutsche Wirtschaftswesen zu lenken verstand, sondern auch das Vertrauen des Auslandes genoß. Seine Aufgabe bestand darin, die deutsche Währung unversehrt zu erhalten, und da mußte er zunächst dafür Sorge tragen, daß die schier unerträglichen Auslandslasten erleichtert wurden und der Reichsbank die Möglichkeit geboten, durch eine gesunde Devisenpolitik die deutsche Währung zu schützen. Wie Schacht die ihm gestellte Aufgabe löste, wird im letzten Kapitel gezeigt werden. –

  Polizeikommissare  
in den Ländern

Hochpolitisch waren die Maßnahmen, die der Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick unmittelbar nach der Wahl in den Ländern durchzuführen sich anschickte. Da in Hamburg, Bremen und Lübeck die marxistischen Senatoren nicht zurücktreten wollten, übernahm Frick die Befugnisse der obersten Landesbehörden und übertrug deren Ausnutzung seinen Polizeibeauftragten. Am gleichen Tage, am 7. März, wurde auch die geschäftsführende Regierung Hessens, die seit Herbst 1931 im Amte beharrte, hinweggefegt. Nachdem im Laufe des Tages auf allen öffentlichen Gebäuden die Hakenkreuzfahnen gehißt worden waren, übernahm in der Nacht zum 8. März der von Frick eingesetzte Polizeikommissar, Regierungsrat Dr. Müller, die Polizeigewalt. Damit war der sozialdemokratische Staatspräsident Adelung abgesetzt. S.A.-Formationen besetzten Regierungsgebäude, Ministerwohnungen und marxistische Gebäude in Darmstadt, und die Schutzpolizei streckte widerstandslos die Waffen. In aller Ruhe hatte sich der Umschwung in Hessen vollzogen. Auch in Schaumburg-Lippe, Baden, Württemberg und Sachsen legte Frick die Regierungsgewalt in die Hände der von ihm ernannten national- [201] sozialistischen Polizeibeauftragten. In Baden entzog die neue kommissarische Regierung den früheren Ministern sämtliche Pensionen.

  Sturz Helds in Bayern  

In Bayern befestigte Frick, der selbst ein Bayer aus der Rheinpfalz ist, am 9. März die Reichsgewalt durch die Einsetzung des politischen Kommissars, Generalleutnants von Epp. In der Mittagsstunde dieses Tages begab sich Röhm mit dem Gauleiter Wagner und dem Reichsführer der S.S., Himmler, zum Ministerpräsidenten Held, und forderte ihn ultimativ auf, aus den Wahlen des 5. März die Folgerungen zu ziehen, den Rücktritt der Gesamtregierung zu erklären, und dem General von Epp die oberste Polizeigewalt zu übergeben. Held schlug darauf vor, daß General von Epp durch Beschluß des Gesamtministeriums zum Generalstaatskommissar in Bayern ernannt werde. Als dann aber um 14.30 Uhr das Gesamtministerium zu einer Sitzung zusammentrat, lehnte dieses die Einsetzung eines Generalstaatskommissars ab. Held hatte ein Telephongespräch mit der Reichsregierung, die ihm zunächst mitteilte, daß die bayerische Regierung mit den ihr zu Gebote stehenden Machtmitteln selbst für Sicherheit und Ordnung in Bayern sorgen solle. Sodann aber telephonierte Held mit Dollfuß in Wien, dem österreichischen Bundeskanzler, und eingeweihte Kreise waren der Ansicht, daß Dollfuß den bayerischen Ministern Held und Schäffer Zusicherungen und Versprechungen gemacht habe, die sich in der Linie der von Held verfolgten Politik einer Donaumonarchie bewegt und Helds Lieblingsgedanken einer politischen Konzentration von Paris über München nach Wien wieder gestärkt hätten. Dem Scheine nach war Held nun bereit, am 11. März durch den alten Landtag einen neuen Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Aber dieser Vorgang hätte höchstens einen Personenwechsel, nicht einen Systemwechsel bedeutet. Der Kabinettsrat des 9. März hatte also nicht das von Berlin erwartete Ergebnis; seine Beschlüsse waren: Ablehnung des Kommissars von Epp und Wahl des neuen Ministerpräsidenten durch den alten Landtag. Mit beiden Beschlüssen aber konnte die Reichsregierung nicht zufrieden sein, da durch sie die Abkehr vom bisherigen System nicht gewährleistet war. Inzwischen aber [202] hatten die Nationalsozialisten bereits an verschiedenen Stellen Münchens die Hakenkreuzfahne gehißt und forderten kategorisch den sofortigen Rücktritt der Regierung.

Da die Ministerbeschlüsse offensichtlich auch gegen den Willen des bayrischen Volkes gerichtet waren, setzte Frick in den Abendstunden den General von Epp zum Reichskommissar in Bayern ein, um zu verhindern, daß die aufs höchste gestiegene Spannung zu einer gewaltsamen Entfernung der Regierung Held und zu Zusammenstößen führte. Abteilungen der S.A. und S.S. zogen in die Regierungsgebäude, das Parlamentsgebäude, das Polizeipräsidium, das Rathaus und das Gewerkschaftshaus, in dem Maschinengewehre, Handgranaten, Pistolen und Munition gefunden wurden, ein, ohne daß ihnen Widerstand geleistet wurde. Die politischen Gefangenen wurden befreit. Die gemaßregelten nationalen Beamten wurden in ihre Stellen wieder eingesetzt. Der Stahlhelm beteiligte sich an der Machtübernahme. Ein Protest Helds bei Hindenburg blieb ohne Wirkung. Am 17. März endlich trat Held zurück. Epp ernannte darauf eine kommissarische Regierung.

Die Maßnahmen Fricks in den deutschen Ländern waren notwendig, um zu verhindern, daß die geschäftsführenden Regierungen, die dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstanden, der Reichsregierung in den Rücken fielen. Sowohl Hitler wie Frick haben immer wieder betont, daß sie den gesunden Föderalismus nicht antasten würden. Dieser gesunde Föderalismus erstreckte sich aber auf die kulturelle Stammesart der Deutschen. Seit je war es ein Hauptgrundsatz der Nationalsozialisten gewesen, das Bewußtsein der Bodenständigkeit und die Heimatliebe der Deutschen als die Grundlagen ihrer kulturellen schöpferischen Betätigung zu pflegen. Wo es sich aber um den politischen Willen des Reiches handelte, da mußte unbedingt die Einheit gesichert werden. Der Raub an der Reichsmacht, den gewisse Länderregierungen mit Hilfe ihrer Parteien nach dem Sturze der Dynastien begangen hatten, mußte beseitigt werden. In der Regierung des Reiches mußte der politische Wille wieder seine Einheit finden, sei es wie in Preußen, durch die personelle Verbindung der kommissa- [203] rischen Regierung mit der Reichsregierung, sei es wie in den andern Ländern durch die Einsetzung von Reichskommissaren.

Was die Regierung Hitler tat, fand seinen Schwerpunkt im Willen des Volkes. Das deutsche Volk hatte mit klarer Mehrheit der Regierung das Vertrauen ausgesprochen, es hatte ihre Pläne und ihren Willen gutgeheißen und die Regierung hatte die Pflicht, dies Vertrauen durch Willenskraft und Weitblick zu rechtfertigen. Die Regierung hatte aber auch die Pflicht, besonders darauf zu achten, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Führer und Volk nicht wieder zerriß, die innige Verbundenheit mußte erhalten bleiben. Die Regierenden waren sich dieser ihrer Aufgabe voll bewußt. Emporgehoben durch den freiwilligen Gehorsam und dem freudigen Willen weitester Volkskreise durften sie jetzt nicht zu alten Obrigkeitsmethoden zurückkehren. Göring erklärte daher einmal, daß weit wirksamer als jede Verordnung ein eiserner nationaler Erziehungswille und Erziehungszwang sein würde. Diese Erziehung des Volkes zum Willen des Führers bedurfte aber einer gigantischen Aufklärung, einer steten Propaganda in einem Maße, das bis dahin in Deutschland unbekannt war. Die dem Nationalsozialismus innewohnende ungeheure Kraft der Erziehung konnte nur dann lebendig bleiben, wenn sie täglich aufs neue wirken konnte. Darum betonte Adolf Hitler, daß es nötig sei, eine besondere Reichspropagandazentrale zu errichten. So wurde denn am 14. März Dr. Göbbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt.

  Reichspropagandaministerium  

Dieses Propagandaministerium war etwas gänzlich Neues in Deutschland, seine Einrichtung war eine revolutionäre Tat. Es sollte die dauernde Verbindungsstelle zwischen Volk und Regierung sein, weit unmittelbarer und wirksamer als die Parlamente dies bisher zu sein vorgaben. Dies Ministerium sollte die Gleichschaltung zwischen den beiden Machtquellen des Reiches, Führer und Volk, herbeiführen, und verhindern, daß ihre Willensrichtungen sich wieder wie ehedem in entgegengesetzten Richtungen trennten. Die Tätigkeit des neuen Ministeriums erstreckte sich auf fünf Kulturgebiete: Rundfunk, Presse, aktive Propaganda, Theater und Film, Volkserziehung. [204] Bei den Gauleitungen wurden Landesstellen dieses neuen Ministeriums errichtet, welche es dem Ministerium ermöglichten, tatsächlich bis an den letzten Deutschen heranzukommen und ihn zu erfassen. Es wurde ein neuer, billiger Volksempfänger geschaffen, der es auch dem Ärmsten ermöglichte, sich durch das Mittel des Rundfunks jederzeit unmittelbar mit der Regierung in Verbindung zu setzen, in einer unverfälschten und persönlich bestimmten Weise, wie dies durch die Presse niemals möglich war. Der gigantische Organisationsbau der nationalsozialistischen Bewegung gab dieser eine Kraft der Volksdurchdringung, wie man sie bisher in Deutschland bei keiner politischen Bewegung anzutreffen hatte. –

Das neue Staatsgebilde, das sich bereits im Frühjahr 1933 abzuzeichnen begann, strebte nach dem Vorbilde antiker Demokratien hin, wie sie bei allen gesunden Völkern, auch den Deutschen der Römerzeit, angetroffen wurden. Die Kraft dieser Demokratien beruhte in der Zusammenfassung des Volkes unter einen Führerwillen. Die letzte Stütze einer solchen Zusammenfassung war nach dem Sturz der Dynastien verloren gegangen. Jetzt nun bewies der Nationalsozialismus, daß auch ein 65 Millionen-Volk bei geschickter Benutzung der modernen Technik, des Rundfunks, in unmittelbarer und nächster Nähe des Führers jeden Augenblick zu einer großen geschlossenen Einheit zusammengefaßt werden konnte, ohne daß es der trennenden und zerstörenden Zwischenglieder Parteien, Parlamente und Presse bedurft hätte. So wurde das Propagandaministerium die eigentliche und charakteristische Ausdrucksform des nationalsozialistischen Reiches. –

Die dringendste Aufgabe, die zu lösen war, erblickte die Regierung in einer Neuorganisation der Wirtschaft. Es kam darauf an, vor allem dem bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstand und den Arbeitslosen zu helfen. Unmittelbar nach der Reichstagswahl hatte sich eine Bewegung gegen Warenhäuser und jüdische Geschäfte erhoben, die aus dem Volke hervorging. Vor den Geschäften sammelten sich große Menschenmassen und verlangten die Schließung. Starke Trupps verhinderten ein Betreten der Geschäfte und trugen Plakate: "Deutsche, kauft in deutschen Geschäften!" S.A. und Polizei sorgten für [205] Ruhe und Ordnung. Die Reichsregierung kam diesen Forderungen des Volkes entgegen, nicht, indem sie nun diese Geschäfte kurzerhand schloß, sondern für sie eine Sondersteuer einführte, um dadurch zu verhindern, daß ihre allzu billigen Preise für den kleinen Gewerbetreibenden zu einer gefährlichen Konkurrenz wurden.

Den Automobilbesitzern wurde durch eine teilweise Beseitigung der Kraftfahrzeugsteuer eine Erleichterung gebracht. Man erhoffte hiervon auch einen Aufschwung für die Automobilindustrie. Weiterhin wurde bestimmt, daß vom 1. April die von Papen eingeführte Einstellungsprämie fortfallen sollte, da sie in der Hauptsache nur den Großbetrieben, nicht aber dem Mittelstande zugute kam. Auch wurde beschlossen, dem Mittelstande Krediterleichterungen zu verschaffen, um ihn von der Bedrückung durch das Großkapital zu befreien.

Alle diese Pläne fanden ihre Verwirklichung in der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 18. März 1933 über Finanzen, Wirtschaft und Rechtspflege, die darin gipfelte, daß eine Erhöhung der Beamtengehälter bis zum 31. März 1934 und eine Vermehrung der planmäßigen Stellen bis 31. März 1936 unmöglich gemacht wurde. Im Interesse der Staatssparsamkeit mußte also der gegenwärtige Zustand beibehalten werden. Ferner wurden Erleichterungen auf allen Gebieten des Steuerwesens angekündigt und das Verbot einer Erhöhung der unerträglichen Realsteuern bis zum 31. März 1934 verlängert. Den Ländern wurde die Möglichkeit einer Erhöhung der Filial- und Warenhaussteuer gegeben. Die Grundsteuer der Landwirte durfte bis 1938 nicht erhöht werden, das Pächterkreditgesetz vom 9. Juli 1926 wurde um 10 Jahre verlängert. Den gewerblichen Kreditgenossenschaften wurden 30 Millionen Stützungsgelder für den Mittelstand gegeben.

Die kommissarische Regierung Preußens nutzte diese Bestimmungen sogleich aus, indem sie nicht nur die Schlachtsteuer ermäßigte, sondern auch den Gemeinden das Recht gab, Gewerbesteuern für Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte um ein Fünftel zu erhöhen, zum Schutze des gewerblichen Mittelstandes gegen die übermächtige Konkurrenz.

[206] Eine für die deutsche Landwirtschaft geradezu gewaltige Bedeutung hatte die Notverordnung des Reichspräsidenten über die Neuregelung der Fettwirtschaft vom 24. März 1933. Der Sinn dieser Notverordnung war, die deutsche Landwirtschaft von dem starken Druck der Einfuhr ausländischer Fette zu befreien. Was drei Jahre lang die Regierungen nicht vermochten, das führte Hitler jetzt entschlossen durch. Der Zoll für Margarine wurde um 150%, der für Kunstspeisefett um 500% erhöht! Die Erzeugung von Margarine, Palmin usw. wurde auf 50% des Jahres 1932 herabgesetzt, der von Schleicher im Dezember 1932 verordnete Butterbeimischungszwang wurde aufrechterhalten. Die Rohstoffe für Margarine, Speisefette, Ersatzstoffe und Futtermittel wurden einer Monopolbewirtschaftung unterstellt. Durch diese Maßnahmen sollte erreicht werden, daß der deutsche Fettbedarf, der bisher nur zu 40% aus eigener Erzeugung gedeckt wurde, jetzt zu 80% der inländischen Produktion entnommen wurde. Da mit diesen Maßnahmen eine Verteuerung der Fette verknüpft war, wurden für annähernd die Hälfte der deutschen Bevölkerung Fettverbilligungskarten ausgegeben. –

Die Frage nach dem Schicksal der Gewerkschaften wurde durch die umfangreichen Besetzungen durch S.A.-Formationen akut. Die Gewerkschaftsführer erhoben Protest gegen diese Vorgänge und suchten daraus eine Gewerkschaftsfeindlichkeit des Nationalsozialismus zu konstruieren. Die Partei aber entgegnete Mitte März, daß sie keineswegs eine Feindin der Gewerkschaften sei. Sie bejahe vielmehr die Gewerkschaften als natürliche Vertretung der Interessen der Handarbeiterschaft und wende sich ausschließlich gegen jede Verfälschung des gesunden Gewerkschaftsgedankens durch engstirnige marxistische Parteipolitik. Es war das Ziel der neuen Regierung, die Gewerkschaften streng und rücksichtslos vom Marxismus zu trennen, ebenso natürlich vom Zentrum. Man erwog die Einsetzung eines Reichskommissars für die Gewerkschaften, der nicht nur die Finanzen prüfen, sondern auch den Personenbestand von allen Juden und Marxisten säubern sollte.

Die Deutschen Fahnen über Potsdams Königsschlössern.
[Bd. 7 S. 96a]      Die Deutschen Fahnen über Potsdams Königsschlössern.      Photo Scherl.

  Der Tag von Potsdam  
21. März 1933

Am 21. März 1933 begann die Eröffnung des nationalen Reichstages in der Garnisonkirche zu Potsdam mit einem feier- [207] lichen Staatsakte. Die Kommunisten hatten keine Einladungen dazu erhalten und waren nicht erschienen.

Die Regierung hatte mit Absicht Potsdam gewählt. Potsdam war ein Symbol, das Gegenstück zu Weimar. In Potsdam sollte die Revolte von 1918 staatsrechtlich überwunden werden. In Potsdam, der klassischen Stätte jenes Geistes, der die rücksichtslose Unterordnung des einzelnen unter die Gemeinschaft des Volkes forderte, sollte die Staatsauffassung der letzten 150 Jahre sterben. Potsdam ist verklärt von der Gestalt des Großen Königs, jenes ewigen Führers der Deutschen zu Einigkeit und Recht, jenes Bahnbrechers des Deutschen Reiches. Hier in Potsdam sollte sich nun der harte Geist preußischer Staatszucht verbinden mit dem von dem Bayern Adolf Hitler proklamierten freiwilligen Gehorsam des deutschen Volkes zu einem neuen Deutschen Reiche. In Potsdam sollte sich stolze Tradition der Vergangenheit mit dem stolzen Willen in die Zukunft der Freiheit vermählen. In einem Aufruf wies der Reichspräsident auf diese Verbindung hin, welcher die zwei Millionen Toten des Weltkrieges die Bahn gebrochen hatten.

Potsdam, 21. März 1933. Ankunft der Regierung.
[Bd. 7 S. 96b]      Staatsakt in Potsdam,
21. März 1933: Ankunft der Regierung.

Photo Scherl.
Vorbeimarsch der Reichswehr vor Hindenburg an der Garnisonkirche.
[Bd. 7 S. 96b]      Staatsakt in Potsdam:
Vorbeimarsch der Reichswehr vor Hindenburg
an der Garnisonkirche.
      Photo Scherl.

Gottesdienst in der Nikolaikirche.
[Bd. 7 S. 112a]      Staatsakt in Potsdam: Gottesdienst in der Nikolaikirche.      Photo Scherl.

Aus allen Teilen des Reiches waren Hunderttausende in die Stadt preußischer Tradition gewallfahrtet, die im Schmucke der Fahnen der Nation unter dem rauhen, blauen Frühlingshimmel strahlte. In der Nicolaikirche und in der Katholischen Kirche wurden Gottesdienste abgehalten, an denen die Mitglieder der Regierung teilnahmen, dann begaben sich der Reichspräsident, der Reichskanzler und die Reichsminister sowie sämtliche Abgeordnete, während die Menge begeistert das Deutschlandlied singt, in die Garnisonkirche, in der die Gruft des großen Königs ist. An den Seitenwänden der Kirche befinden sich die Fahnen der Friderizischen Regimenter, die einst Preußen zur Großmacht geführt hatten, jetzt geschmückt mit frischem Eichenlaub. Auf den Emporen drängen sich die Gäste und das diplomatische Korps, vor der Kirche stehen tausende und abertausende deutscher Männer und Frauen, Reichswehr, S.A., Stahlhelm, Bund deutscher Mädchen und die Schuljugend, in die preußische Marschmusik [208] mischt sich das Glockenspiel der Kirche: "Üb immer Treu und Redlichkeit."

Hindenburgs Ansprache in der Potsdamer Garnisonkirche, 21. März 1933.
[Bd. 7 S. 112b]      Hindenburgs Ansprache
in der Potsdamer Garnisonkirche,
21. März 1933.

Photo Scherl.
Als das Parlament, mit Ausnahme der Kommunisten versammelt ist, eröffnet der greise Reichspräsident den deutschen Reichstag mit einer kurzen Ansprache:

      "Durch meine Verordnung vom 1. Februar löste ich den Reichstag auf, damit das Volk selbst zu der von mir neugebildeten Regierung des nationalen Zusammenschlusses Stellung nehmen könne. In der Reichstagswahl am 5. März hat unser Volk sich mit klarer Mehrheit hinter diese durch mein Vertrauen berufene Regierung gestellt und ihr hierdurch die verfassungsmäßige Grundlage für ihre Arbeit gegeben. Schwer und mannigfaltig sind die Aufgaben, die Sie, Herr Reichskanzler, und Sie, meine Herren Reichsminister, vor sich sehen, auf innen- und außenpolitischem Gebiete, in der eigenen Volkswirtschaft und in der Welt sind schwere Fragen zu lösen und bedeutsame Entschließungen zu fassen. Ich weiß, daß Kanzler und Regierung mit festem Willen an die Lösung dieser Aufgaben herangehen, und ich hoffe von Ihnen, den Mitgliedern des neugebildeten Reichstages, daß Sie in klarer Erkenntnis der Lage und ihrer Notwendigkeiten sich hinter die Regierung stellen und auch Ihrerseits alles tun werden, um die Regierung in ihrem schweren Werk zu unterstützen.
      Der Ort, an dem wir uns heute versammelt haben, mahnt uns zum Rückblick auf das alte Preußen, das in Gottesfurcht durch pflichttreue Arbeit, nie verzagenden Mut und hingebende Vaterlandsliebe groß geworden ist und auf dieser Grundlage die deutschen Stämme geeint hat. Möge der alte Geist dieser Ruhmesstätte auch das heutige Geschlecht beseelen, möge er uns frei machen von Eigensucht und Parteizank und uns in nationaler Selbstbesinnung und seelischer Erneuerung zusammenführen zum Segen eines in sich geeinten, freien, stolzen Deutschlands! Mit diesem Gruß begrüße ich den Reichstag zu Beginn seiner neuen Wahlperiode und erteile nunmehr dem Herrn Reichskanzler das Wort."

  Hitlers Rede  

Dann begibt sich Adolf Hitler zu dem goldenen Pult, das auf einem kleinen Podest vor dem Altar steht, und hält folgende Rede:

[209]     "Herr Reichspräsident! Abgeordnete, Männer und Frauen des Deutschen Reichstages!
      Schwere Sorgen lasten seit Jahren auf unserem Volk. Nach einer Zeit stolzer Erhebung, reichen Blühens und Gedeihens auf allen Gebieten unseres Lebens sind – wie so oft in der Vergangenheit – wieder einmal Not und Armut bei uns eingekehrt.
      Trotz Fleiß und Arbeitswillen, trotz Tatkraft, einem reichen Wissen und bestem Wollen suchen Millionen Deutsche heute vergebens das tägliche Brot. Die Wirtschaft ist verödet, die Finanzen sind zerrüttet, Millionen ohne Arbeit.
      Die Welt kennt nur das äußere Scheinbild unserer Städte, den Jammer und das Elend sieht sie nicht.
      Seit zwei Jahrtausenden wird unser Volk von diesem wechselvollen Geschick begleitet. Immer wieder folgt dem Emporstieg der Verfall. Die Ursachen waren immer die gleichen. Der Deutsche, in sich selbst zerfallen, uneinig im Geist, zersplittert in seinem Wollen und damit ohnmächtig in der Tat, wird kraftlos in der Behauptung des eigenen Lebens. Er träumt vom Recht in den Sternen und verliert den Boden auf der Erde.
      Je mehr aber Volk und Reich zerbrechen und damit der Schutz und Schirm des nationalen Lebens schwächer wird, um so mehr versuchte man zu allen Zeiten, die Not zur Tugend zu erheben. Die Theorie der individuellen Werte unserer Stämme unterdrückt die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Willens. Am Ende blieb den deutschen Menschen dann immer nur der Weg nach innen offen. Als Volk der Sänger, Dichter und Denker träumte es dann von einer Welt, in der die anderen lebten, und erst, wenn die Not und das Elend es unmenschlich schlugen, erwuchs vielleicht aus der Kunst die Sehnsucht nach einer neuen Erhebung, nach einem neuen Reich und damit nach neuem Leben.
      Als Bismarck dem kulturellen Streben der deutschen Nation die staatspolitische Einigung folgen ließ, schien damit für immer eine lange Zeit des Haders und des Krieges der deutschen Stämme untereinander beendet zu sein.
      Getreu der Kaiser-Proklamation nahm unser Volk teil an [210] der Mehrung der Güter des Friedens, der Kultur und der menschlichen Gesittung. Es hat das Gefühl seiner Kraft nie gelöst von der tief empfundenen Verantwortung für das Gemeinschaftsleben der europäischen Nationen.
      In diese Zeit der staats- und machtpolitischen Einigung der deutschen Stämme fiel der Beginn jener weltanschaulichen Auflösung der deutschen Volksgemeinschaft, unter der wir heute noch immer leiden.
      Und dieser innere Zerfall der Nation wurde wieder einmal, wie so oft, zum Verbündeten der Umwelt. Die Revolution des Novembers 1918 beendete einen Kampf, in den die deutsche Nation in der heiligsten Überzeugung, nur ihre Freiheit und damit ihr Lebensrecht zu schützen, gezogen war. Denn weder der Kaiser, noch die Regierung, noch das Volk haben diesen Krieg gewollt. Nur der Zerfall der Nation, der allgemeine Zusammenbruch zwangen ein schwaches Geschlecht wider das eigene bessere Wissen und gegen die heiligste innere Überzeugung, die Behauptung unserer Kriegsschuld hinzunehmen.
      Diesem Zusammenbruch aber folgte der Zerfall auf allen Gebieten. Machtpolitisch, moralisch, kulturell und wirtschaftlich sank unser Volk tiefer und tiefer.
      Das Schlimmste war die bewußte Zerstörung des Glaubens an die eigene Kraft, die Entwürdigung unserer Traditionen und damit die Vernichtung der Grundlagen eines festen Vertrauens.
      Krisen ohne Ende haben unser Volk seitdem zerrüttet. Aber auch die übrige Welt ist durch das politische und wirtschaftliche Herausbrechen eines wesentlichen Gliedes ihrer Staatengemeinschaft nicht glücklicher und nicht reicher geworden.
      Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnsinn der Reparationen, und in der Folge die Katastrophe unserer Weltwirtschaft.
      Während so das deutsche Volk und Deutsche Reich in inneren politischen Zwiespalt und Hader versanken, die Wirtschaft dem Elend entgegentrieb, begann die neue Sammlung der deutschen Menschen, die in gläubigem Vertrauen auf das [211] eigene Volk dieses zu einer neuen Gemeinschaft formen wollen.
      Diesem jungen Deutschland haben Sie, Herr Generalfeldmarschall, am 30. Januar 1933 in großherzigem Entschluß die Führung des Reiches anvertraut.
      In der Überzeugung, daß aber auch das Volk selbst seine Zustimmung zur neuen Ordnung des deutschen Lebens erteilen muß, richteten wir Männer dieser nationalen Regierung einen letzten Appell an die deutsche Nation.
      Am 5. März hat sich das Volk entschieden und in seiner Mehrheit zu uns bekannt. In einer einzigartigen Erhebung hat es in wenigen Wochen die nationale Ehre wiederhergestellt und dank Ihrem Verstehen, Herr Reichspräsident, die Vermählung vollzogen zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft.
      Indem nun aber die nationale Regierung in dieser feierlichen Stunde zum ersten Male vor den neuen Reichstag hintritt, bekundet sie zugleich ihren unerschütterlichen Willen, das große Reformwerk der Reorganisation des deutschen Volkes und des Reichs in Angriff zu nehmen und entschlossen durchzuführen.
      Im Bewußtsein, im Sinne des Willens der Nation zu handeln, erwartet die nationale Regierung von den Parteien der Volksvertretung, daß sie nach fünfzehnjähriger deutscher Not sich emporheben mögen über die Beengtheit eines doktrinären parteimäßigen Denkens, um sich dem eisernen Zwang unterzuordnen, den die Not und ihre drohenden Folgen uns allen auferlegen.
      Denn die Arbeit, die das Schicksal von uns fordert, muß sich turmhoch erheben über den Rahmen und das Wesen kleiner tagespolitischer Aushilfen.
      Wir wollen wiederherstellen die Einheit des Geistes und des Willens der deutschen Nation.
      Wir wollen wahren die ewigen Fundamente unseres Lebens: unser Volkstum und die ihm gegebenen Kräfte und Werte.
      Wir wollen die Organisation und die Führung des Staates wieder jenen Grundsätzen unterwerfen, die zu allen Zeiten die Vorbedingung der Größe der Völker und Reiche waren.
[212]     Wir wollen die großen Traditionen unseres Volkes, seiner Geschichte und seiner Kultur in demütiger Ehrfurcht pflegen als unversiegbare Quellen einer wirklichen inneren Stärke und einer möglichen Erneuerung in trüben Zeiten.
      Wir wollen das Vertrauen in die gesunden, weil natürlichen und richtigen Grundsätze der Lebensführung verbinden mit einer Stetigkeit der politischen Entwicklung im Inneren und Äußeren.
      Wir wollen an die Stelle des ewigen Schwankens die Festigkeit einer Regierung setzen, die unserem Volke damit wieder eine unerschütterliche Autorität geben soll.
      Wir wollen alle die Erfahrungen berücksichtigen, sowohl im Einzel- und im Gemeinschaftsleben, wie aber auch in unserer Wirtschaft, die sich in Jahrtausenden als nützlich für die Wohlfahrt der Menschen erwiesen haben.
      Wir wollen wiederherstellen das Primat der Politik, die berufen ist, den Lebenskampf der Nation zu organisieren und zu leiten.
      Wir wollen aber auch alle wirklich lebendigen Kräfte des Volkes als die tragenden Faktoren der deutschen Zukunft erfassen, wollen uns redlich bemühen, diejenigen zusammenzufügen, die eines guten Willens sind, und diejenigen unschädlich machen, die dem deutschen Volk zu schaden versuchen.
      Aufbauen wollen wir eine andere Gemeinschaft aus den deutschen Stämmen, aus den Ständen, den Berufen und den bisherigen Klassen. Sie soll zu jenem gerechten Ausgleich der Lebensinteressen befähigt sein, den des gesamten Volkes Zukunft erfordert. Aus Bauern, Bürgern und Arbeitern muß wieder werden ein deutsches Volk.
      Es soll dann für ewige Zeiten in seine treue Verwahrung nehmen unseren Glauben und unsere Kultur, unsere Ehre und unsere Freiheit.
      Der Welt gegenüber aber wollen wir, die Opfer des Krieges von einst ermessend, aufrichtige Freunde sein eines Friedens, der endlich die Wunden heilen soll, unter denen alle leiden.
      Die Regierung der nationalen Erhebung ist entschlossen, ihre vor dem deutschen Volke übernommene Aufgabe zu er- [213] füllen. Sie tritt daher heute hin vor den deutschen Reichstag mit dem heißen Wunsch, in ihm eine Stütze zu finden für die Durchführung ihrer Mission. Mögen Sie, meine Männer und Frauen, als gewählte Vertreter des Volkes den Sinn der Zeit erkennen, um mitzuhelfen am großen Werk der nationalen Wiedererhebung.
      In unserer Mitte befindet sich heute ein greises Haupt. Wir erheben uns vor Ihnen, Herr Generalfeldmarschall. Dreimal kämpften Sie auf dem Felde der Ehre für das Dasein und die Zukunft unseres Volkes. Als Leutnant in den Armeen des Königs für die deutsche Einheit, in den Heeren des alten deutschen Kaisers für des Reiches glanzvolle Aufrichtung, im größten Kriege aller Zeiten aber als unser Generalfeldmarschall für den Bestand des Reiches und für die Freiheit unseres Volkes.
      Sie erlebten einst des Reiches Werden, sahen vor sich noch des Großen Kanzlers Werk, den wunderbaren Aufstieg unseres Volkes und haben uns endlich geführt in der großen Zeit, die das Schicksal uns selbst miterleben und mit durchkämpfen ließ.
      Heute, Herr Generalfeldmarschall, läßt Sie die Vorsehung Schirmherr sein über die neue Erhebung unseres Volkes. Dies Ihr wundersames Leben ist für uns alle ein Symbol der unzerstörbaren Lebenskraft der deutschen Nation. So dankt Ihnen des deutschen Volkes Jugend und wir alle mit, die wir Ihre Zustimmung zum Werk der deutschen Erhebung als Segnung empfinden. Möge sich diese Kraft auch mitteilen der nunmehr eröffneten neuen Vertretung unseres Volkes.
      Möge uns dann aber auch die Vorsehung verleihen jenen Mut und jene Beharrlichkeit, die wir in diesem für jeden Deutschen geheiligten Raum um uns spüren als für unseres Volkes Freiheit und Größe ringende Menschen zu Füßen der Bahre seines größten Königs."

Bei den letzten Worten schreitet Adolf Hitler, der Führer des jungen Deutschland, auf den greisen Feldmarschall zu und besiegelt mit einem festen Händedruck das Bündnis des jungen mit dem alten Deutschland. Eine atemlose Stille umfängt die vielen hundert Menschen, dann braust gewaltig das [214] Niederländische Dankgebet durch die geweihte Stätte. Gefolgt von dem evangelischen Geistlichen begibt sich der Generalfeldmarschall zur Gruft des großen Königs, und während der Feldherr an den Särgen Friedrichs des Großen und seines Vaters Lorbeerkränze niederlegt, rauscht es draußen über die Massen: "Herr mach uns frei!" und vom Lustgarten her dröhnen die dumpfen Schüsse der Salutbatterie.

Vorbeimarsch der SA. vor Hindenburg.
[Bd. 7 S. 128a]      Staatsakt in Potsdam: Vorbeimarsch der SA. vor Hindenburg.      Photo Scherl.

Vorbeimarsch der nationalen Verbände vor Hindenburg.
[Bd. 7 S. 144a]      Staatsakt in Potsdam,
21. März 1933: Vorbeimarsch der nationalen Verbände vor Hindenburg.
      Photo Scherl.
Vorbeimarsch des Stahlhelm.
[Bd. 7 S. 144a]      Staatsakt in Potsdam,
21. März 1933: Vorbeimarsch des Stahlhelm.

Photo Scherl.

Grüßend mit dem Feldmarschallstab tritt nun der Präsident vor die Kirche und läßt an sich den Vorbeimarsch des nationalen Deutschland vorüberziehen. Stunde um Stunde dröhnt der preußische Gleichschritt an der Kirche vorüber: zuerst die Reichswehr, dann in Zwölferreihen die braunen Bataillone der deutschen Revolution. Standarte auf Standarte, Kolonne auf Kolonne aus allen deutschen Stämmen grüßt die Führer des Volkes. Dann nahen der Stahlhelm, die Kriegervereine, die Jugendverbände. Der brausende Jubel will kein Ende nehmen, das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied werden immer wieder von der Menge, die wohl fast eine halbe Million Menschen zählt, gesungen, und als der Reichspräsident und der Reichskanzler die Preußische Stadt verlassen, liegt auf den Fahnen der deutschen Nation bereits der letzte Schein der Abendsonne.

Menschenmenge auf dem Alten Markt.
[Bd. 7 S. 128b]      Staatsakt in Potsdam:
21. März 1933, Menschenmenge
auf dem Alten Markt.
      Photo Scherl.
Hindenburg vor der Garnisonkirche.
[Bd. 7 S. 128b]      Staatsakt in Potsdam:
Hindenburg vor der Garnisonkirche.

Photo Scherl.

Ein Fackelzug, an dem sich 80 000 Menschen beteiligen, beschließt den denkwürdigen Tag. Ganz Deutschland hatte in flammender Begeisterung das machtvolle Ereignis miterlebt, der Rundfunk übertrug die Feier bis in die letzte deutsche Hütte, in allen Städten fanden Gottesdienste, Paraden und Fackelzüge statt.

  Reichstag in der Krolloper  

Am nächsten Tage eröffnete Göring, der wieder Präsident des neuen Reichstages war, das Parlament in der Krolloper. Unter einer riesigen Hakenkreuzfahne, welche die Stirnwand des Saales schmückte, hielt Göring folgende Rede:

      "Durch ein fluchwürdiges Verbrechen sind wir gezwungen worden, aus dem Hause, das einst dem deutschen Volke erbaut war, auszuziehen. In einem Augenblick, da die ersten Ansätze zu einer neuen Ordnung, zu einem Wiederaufbau des Reiches da waren, in wenigen Wochen, hat die heilige Flamme der nationalen Revolution das deutsche Volk er- [215] griffen. Es ist vielleicht ein einzigartiges Vorzeichen, daß am 21. März der Reichstag eröffnet wird. Es ist nicht allen bekannt, daß schon einmal am 21. März ein Deutscher Reichstag eröffnet wurde, der erste Deutsche Reichstag 1871 durch den Fürsten Bismarck, der an diesem Tage zum ersten Male die deutschen Stämme im Deutschen Reichstag vereinigt sah. Damals wurde dem deutschen Volk der Rahmen gegeben, die Klammer, die alle Stämme zusammenfassen sollte. Langsam aber wurde das Volk zerspalten und zerklüftet. An uns muß es liegen, zu diesem heiligen Rahmen auch die Geschlossenheit und Einheit des Inhalts zu setzen. Wir danken deshalb an dieser Stelle, daß es vor 14 Jahren ein Mann unternommen hat, mitten im Chaos in schwärzester Nacht den Glauben neuaufzurichten an ein kommendes Reich. In mühevoller, schwerer Arbeit und gewaltigem Ringen gegen Terror und Unterdrückung hat sich diese Bewegung durchgesetzt. Heute sehen wir den Anbruch einer neuen Zeit.
      Als man 1919 glaubte, Deutschland auf der Basis der Demokratie, des Parlamentarismus und des Pazifismus neuordnen zu müssen, glaube man, dies auch symbolisch tun zu müssen. Man hat damals das Wort 'Potsdam' verfemt und hat geglaubt, aus dem Geist von Potsdam herausgehen zu müssen nach Weimar, hat aber auch nicht verstanden, den wahren Geist von Weimar zu übernehmen. Nun ist Weimar überwunden. Auch heute war es symbolisch, daß der neue Reichstag, der wieder das Reich aufbauen will in alter Größe, alter Würde, Ehre und Freiheit, zurückgefunden hat zu der Stätte, von der einst Preußen und von Preußen Deutschland ausgegangen ist. Jede Zeit, jedes Volk wählt sich die Embleme, unter denen es kämpfen, arbeiten und aufbauen will. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß wir einem gütigen Schicksal danken, das in einem Augenblick, da über Deutschland nicht mehr Ehre und Freiheit regierten, sondern Schmach und Schande, die ruhmreiche schwarz-weiß-rote Fahne gütig eingehüllt hat, um ein eigenes Emblem zu schaffen. Nicht wir haben das vergangene Emblem schwarz-rot-gelb beschmutzt, nicht wir haben diese Fahne zerstört, sondern diejenigen selbst, die sie geschaffen haben. Hätte man 1918 uns die [216] schwarz-rot-gelbe Fahne gebracht als Zeichen des Widerstandes, des absoluten Festhaltens an deutscher Größe und Ehre, wir hätten dieses Zeichen dankbar geehrt und getragen. Man hat uns dieses Zeichen aber aufgezwungen als Zeichen der Unterwerfung und Unterdrückung, der Schande und Ehrlosigkeit. Wir haben es darum in dem Augenblick ablegen müssen, als ein neues Deutschland antrat. In diesem haben wir die alte ruhmreiche Fahne, unter der zwei Millionen Deutsche ihr Leben für Deutschlands Größe gegeben haben, vereint mit jenem Siegeszeichen, das uns 14 Jahre in Not und Kampf vorangeflattert hat, das uns stets Kraft, Glaube und Hoffnung gab. In das Rot und das leuchtende Weiß haben wir das uralte Zeichen unserer Urväter, das ewig neue Sonnenzeichen als Zeichen des Aufstieges, der Reinheit und Ehre gestellt. In bin glücklich, als Präsident diesen Reichstag eröffnen zu dürfen unter diesen siegreichen Zeichen, die jetzt über Deutschland wehen sollen.
      Niemals konnte man ergriffener sein, als heute, wo wir die Worte hörten, die aus Schmach und Not heraus wieder zur Größe und Ehre führen sollen. Es war wohl das Erschütterndste, als der greise Feldmarschall in die Gruft jener Könige hineintrat, die einst Preußen zur Weltmacht gestalteten und durch ihr Vorbild die Grundlagen zu dem heutigen Deutschland legten. Wir danken aber auch aus innerstem Herzen unserem Volkskanzler, daß er an dieser Stätte Worte gefunden hat, wie sie sonst kein Deutscher zu finden vermag, Worte, die uns überhaupt erst klar machten, in welch gewaltiger Zeit wir leben und welche gewaltigen Aufgaben wir vor uns haben. Ich danke Ihnen, daß Sie heute das Wort zu uns gesprochen haben: 'Deutschland wird seine Ehre zurückgegeben!' Der Reichstag wird sich in seiner Mehrheit bemühen, die Würde Ihres schweren Amtes mittragen zu helfen. Freiheit und Ehre sollen von dieser Stunde ab das Fundament des kommenden Deutschland sein."

Hitlers Rede
  vor dem Reichstag  

Der 23. März brachte Adolf Hitlers große Rede vor dem Reichstag, in der er zur Begründung eines Ermächtigungsgesetzes, das Nationalsozialisten und Deutschnationale einbrachten, folgendes ausführte:

[217]     "Im Einvernehmen mit der Reichsregierung haben die nationalsozialistische und die deutschnationale Reichstagsfraktion ein Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich dem Reichstag zur Beschlußfassung unterbreitet. Die Gründe für diesen außerordentlichen Vorgang sind folgende: Im November 1918 rissen marxistische Organisationen unter Bruch der Verfassung durch eine Revolution die vollziehende Gewalt an sich. Das Gelingen der Revolution im materiellen Sinne sicherte ihre Urheber vor dem Zugriff der Justiz. Die moralische Legitimierung für ihr Verhalten suchten sie in der Behauptung, Deutschland bzw. seine Regierung trage die Schuld an dem Ausbruch des Krieges. Diese Behauptung war wissentlich und sachlich falsch. Alle von den Männern des November 1918 dem deutschen Volk gemachten Versprechungen erwiesen sich, wenn nicht als bewußte Irreführungen, so als nicht minder verdammenswürdige Illusionen. Für die überwältigende Mehrheit der deutschen Volksgenossen waren die Folgen unendlich traurige.
      Der nüchterne Vergleich der gemachten Versprechungen mit den durchschnittlichen Ergebnissen der letzten 14 Jahre fällt für die verantwortlichen Regisseure dieses für die deutsche Geschichte beispiellosen Verbrechens vernichtend aus. Das deutsche Volk hat während dieser Zeit einen Verfall erlitten, der kaum größer sein konnte. Deshalb hat es sich auch trotz seiner schweren Beweglichkeit in politischen Empfindungen und Stellungnahme in steigendem Maße von den in seinen Augen für diese Zustände verantwortlichen Parteien und Verbänden abgewendet. Als die nationale Erhebung kam, war die Zahl der innerlich auf dem Boden der Weimarer Verfassung stehenden Deutschen trotz der rücksichtslosen Ausnutzung der Regierungsgewalt nur noch ein Bruchteil des Volkes. Die nationalsozialistische Bewegung vermochte daher trotz furchtbarster Unterdrückung immer mehr Deutsche zum Abwehrkampf zu erfassen. Sie hat mit anderen nationalen Verbänden in wenigen Wochen die seit 1918 herrschenden Mächte beseitigt und in einer Revolution die Gewalt in die Hände der nationalen Regierung gelegt. Am 5. März hat das deutsche Volk diesem Akt seine Zustimmung erteilt. Das Programm des Wiederaufbaues von Volk und [218] Reich ergibt sich aus der Größe der Not unseres politischen, moralischen und wirtschaftlichen Lebens. Es ist das Ziel der Regierung der nationalen Revolution, diejenigen Gebrechen aus unserem völkischen Leben zu beseitigen, die auch für die Zukunft jeden tatsächlichen Wiederaufstieg verhindern würden.
      Der Massenterror hat die nationalsozialistische Bewegung im Laufe der Jahre über 300 Tote und Zehntausende an Verletzten gekostet. Die Brandstiftung im Reichstag war der mißglückte Versuch einer großangelegten Aktion, die zeigt, was Europa von dem Siege der bolschewistischen Ideen zu erwarten hätte. Wenn eine bestimmte Presse besonders außerhalb des Deutschen Reiches versucht, die nationale Erhebung Deutschlands mit dieser Schandtat zu identifizieren, kann das mich nur in meinem Entschluß bestärken, nichts unversucht zu lassen, um in kürzester Zeit dieses Verbrechen durch die öffentliche Hinrichtung des schuldigen Brandstifters und seiner Komplizen zu sühnen. Der ganze Umfang der beabsichtigten Aktion ist weder dem deutschen Volke noch der übrigen Welt genügend zum Bewußtsein gekommen. Nur durch ihr blitzschnelles Zuschlagen hat die Regierung eine Entwicklung verhindert, die durch ihren katastrophalen Ausgang ganz Europa erschüttert haben würde. Es wird die oberste Aufgabe der nationalen Regierung sein, diese Erscheinungen nicht nur im Interesse Deutschlands, sondern auch des übrigen Europa in unserem Lande restlos auszurotten.
      Nur die Herstellung einer wahren Volksgemeinschaft, die sich über die Gegensätze der Stände und Klassen erhebt, vermag allein auf die Dauer den Verirrungen des menschlichen Geistes den Nährboden zu entziehen. Die Erinnerung einer solchen weltanschaulichen Geschlossenheit des deutschen Volkskörpers ist um so wichtiger, als nur sie die Möglichkeit der Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu den außerdeutschen Mächten gibt. Die Beseitigung des Kommunismus in Deutschland ist nur eine innerdeutsche Angelegenheit. Die übrige Welt mag insofern daran interessiert sein, als der Ausbruch des Kommunismus in dem dicht besiedelten Deutschland politische und wirtschaftliche Folgeerscheinungen im westlichen Europa zeitigen würde, die unvorstellbar sind.
[219]     Es ist Pflicht der Regierung, den Reichsgedanken an sich über jeden Zweifel zu erheben. Die Wohlfahrt der Kommunen und Länder wird genau so wie die Existenz des einzelnen deutschen Menschen durch die Kraft und Gesundheit des Reiches gewährleistet. Die Reichsregierung beabsichtigt daher nicht, durch ein Ermächtigungsgesetz die Länder aufzuheben, wohl aber wird sie diejenigen Maßnahmen treffen, die von nun ab und für immer eine Gleichmäßigkeit der politischen Intensionen des Reiches und der Länder gewährleistet. Je größer die geistige und willensmäßige Übereinstimmung ist, um so weniger Interesse kann in Zukunft für das Reich bestehen, das kulturelle und wirtschaftliche Eigenleben der einzelnen Länder zu vergewaltigen. Vollends unmöglich ist der Zustand einer gegenseitigen Herabsetzung von Länder- und Reichsregierung unter Zuhilfenahme der modernen Mittel der politischen Propaganda. Ich werde es unter keinen Umständen hinnehmen, und die Reichsregierung wird alle Maßnahmen dagegen treffen, daß in Zukunft jemals noch Minister deutscher Regierungen vor der Welt in öffentlichen Versammlungen und unter Rundfunkverwendung sich gegenseitig anklagen und herabsetzen.
      Es führt weiter zu einer völligen Entwertung der gesetzgebenden Körperschaften in den Augen des Volkes, wenn innerhalb von vier Jahren im Reich und in den Ländern das Volk etwa zwanzigmal zur Wahlurne getrieben wird. Die Reichsregierung wird einen Weg finden, der aus einer einmal gegebenen Willensäußerung der Nation für das Reich und für die Länder zu einheitlichen Konsequenzen führt. Eine weitergehende Reorganisation des Reiches wird sich nur aus der lebenden Entwicklung ergeben können. Ihr Ziel muß die Konstruktion einer Verfassung sein, die den Willen des Volkes mit der Autorität einer wirklichen Führung verbindet. Die gesetzliche Legalisierung einer solchen Neugestaltung der Verfassung muß dem Volke selbst zustehen. Die Regierung der nationalen Revolution sieht es als Pflicht an, entsprechend dem Sinne des ihr gegebenen Vertrauensvotums des Volkes diejenigen Elemente von der Einflußnahme auf die Gestaltung des Lebens der Nation fernzuhalten, die bewußt und mit Absicht diesen Weg negieren.
[220]     Die Regierung wird die Gleichheit vor dem Gesetz allen zubilligen, die in der Frage der Rettung des Volkes sich hinter die nationalen Interessen stellen. Überhaupt soll es ihre höchste Aufgabe sein, die geistigen Führer der Vernichtungstendenz zur Verantwortung zu ziehen. Sie sieht insbesondere in dem Umstand, daß Millionen deutscher Arbeiter einer Idee des Wahnsinnes und der Selbstvernichtung huldigen, das Ergebnis einer unverzeihlichen Schwäche früherer Regierungen. Die Regierung wird sich in dem Entschluß, diese Frage zu lösen, durch niemanden beirren lassen. Es ist Sache des Reichstages, nun seinerseits eine klare Stellung einzunehmen. Am Schicksal des Kommunismus und der sich mit ihm verbindenden Organisationen ändert dies nichts.
      Die nationale Regierung trifft ihre Maßnahmen unter keinem anderen Gesichtspunkt als dem, das deutsche Volk und insbesondere die Millionen seiner arbeitenden Menschen vor namenlosem Elend zu bewahren. Sie sieht daher die Frage einer monarchistischen Restauration nur aus dem Grunde des Vorhandenseins dieser Zustände zur Zeit als undiskutabel an. Sie würde jeden Versuch einer Lösung dieses Problems auf eigene Faust der einzelnen Länder als Angriff gegen die Reichseinheit ansehen müssen und demgemäß ihr Verhalten einrichten.
      Gleichlaufend mit dieser politischen Entgiftung unseres öffentlichen Lebens wird die nationale Regierung eine durchgreifende moralische Sanierung an unserem Volkskörper vornehmen. Unser gesamtes Erziehungswesen, Theater, Film, Literatur, Presse und Rundfunk werden als Mittel zu diesem Zweck angesehen. Aufgabe der Kunst ist es, Ausdruck des bestimmenden Zeitgeistes zu sein. Gerade in einer Zeit beschränkter politischer Macht muß der innere Wert des Menschen und der Lebenswille der Nation kulturellen Ausdruck finden.
      Indem die Regierung entschlossen ist, die politische und moralische Entgiftung des öffentlichen Lebens durchzuführen, schafft und sichert sie die Voraussetzungen für ein wirkliches religiöses Leben. Die Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen den wichtigsten Faktor der Erhaltung des Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren. Sie erwartet aber, daß ihre [221] Arbeit die gleiche Würdigung erfährt. Sie wird allen anderen Konfessionen mit objektiver Gerechtigkeit gegenüberstehen. Sie wird aber niemals dulden, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession oder einer bestimmten Rasse jemals ein Freibrief zur Begehung oder Tolerierung von Verbrechen ist. Die Sorge der Regierung gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat.
      Unser Rechtswesen muß in erster Linie der Aufrechterhaltung der Volksgemeinschaft dienen. Der Unabsetzbarkeit der Richter auf der einen Seite muß die Elastizität der Urteilsfindung zum Zwecke der Erhaltung der Gesellschaft dienen. Landes- und Volksverrat soll künftig mit barbarischer Rücksichtslosigkeit verfolgt werden.
      Groß sind die Aufgaben der nationalen Regierung auf dem Wege des wirtschaftlichen Lebens. Das Volk lebt nicht für die Wirtschaft, und die Wirtschaft existiert nicht für das Kapital, sondern das Kapital dient der Wirtschaft und die Wirtschaft dem Volke. Grundsätzlich wird die Regierung die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen des Volkes nicht über den Umweg einer staatlich zu organisierenden Wirtschaftsbürokratie betreiben, sondern durch stärkste Förderung der Privatinitiative unter Anerkennung des Privateigentums. Allein zwischen der produktiven Intention einerseits und der produktiven Arbeit andererseits muß ein gerechter Ausgleich geschaffen werden.
      Der Vereinfachung der Verwaltung muß die Verbilligung der öffentlichen Lasten, eine Reform des Steuerwesens folgen. Die Regierung wird grundsätzlich Währungsexperimente vermeiden. Über allem steht die Rettung des deutschen Bauern. Seine Erhaltung ist erste Voraussetzung für das Blühen und Gedeihen der Industrie, für den deutschen Binnenhandel und den deutschen Export. Die endgültige Behebung der Not ist abhängig von der Eingliederung der Arbeitslosenarmee in den Produktionsprozeß. Die Rettung des Mittelstandes kann nur im Zuge einer allgemeinen Wirtschaftsaktion erfolgen. Die Steigerung der Konsumkraft der Massen wird ein wesentliches Mittel zur wirtschaftlichen Belebung sein. Unter Aufrechterhaltung der sozialen Gesetzgebung wird die Vereinfachung und [222] Verbilligung der Verwaltung der erste Schritt zu einer Reform sein müssen.
      Wir wissen, daß die geographische Lage des rohstoffarmen Deutschlands eine Autarkie für uns nicht vollkommen zuläßt. Wir wissen, daß wir die Verbindung mit der Welt nötig haben. Wir wissen aber auch, welcher Art die Voraussetzungen für den gesunden Leistungsaustausch zwischen den Völkern der Erde sind. Deutschland war jahrelang gezwungen, Leistungen ohne Gegenleistungen zu machen. Unter den gegenwärtigen Umständen sind wir leider auch zur Aufrechterhaltung der Devisenzwangswirtschaft gezwungen. Die Regierung ist deshalb auch verpflichtet, gegen den Abfluß des Kapitals über die Grenzen einen Damm aufzurichten, weil sie in der Erhaltung des Wertes der Reichsmark eine wesentliche Aufgabe erblickt. Die Förderung des Verkehrs muß zu einem vernünftigen Ausgleich der Interessen der verschiedenen Verkehrsmittel führen. Die Reform der Kraftfahrzeugsteuer wird ein erster Schritt in dieser Richtung sein. Die Erhaltung der Reichsbahn und ihre möglichst schnelle Zurückführung in den Besitz des Reiches ist eine Aufgabe, die uns nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch verpflichtet.
      Bei der Lösung ihrer Aufgaben bedarf die Regierung der hingebenden Treue und Arbeit des Berufsbeamtentums. Nur bei zwingendster Not der öffentlichen Finanzen sollen hier Eingriffe stattfinden. Aber auch dann soll strenge Gerechtigkeit das oberste Gesetz des Handelns sein. –
      Der Schutz der Grenzen des Landes liegt bei unserer Reichswehr, die als einziges wirklich abgerüstetes Heer anzusehen ist. Trotz ihrer dadurch bedingten Kleinheit darf das deutsche Volk mit Stolz auf seine Reichswehr blicken. In seinem Geiste ist er der Träger unserer alten soldatischen Tradition. Deutschland wartet seit Jahren auf die Erfüllung der Abrüstungsversprechungen der übrigen Staaten. Es ist der aufrichtige Wunsch der nationalen Regierung, von einer Vergrößerung des deutschen Heeres und einer Vermehrung unserer Waffen absehen zu können, sofern etwa die andere Welt geneigt ist, nun endlich auch ihre Versprechungen einer radikalen Abrüstung zu verwirklichen. Denn Deutschland will nichts als gleiche Lebensrechte und gleiche Freiheiten.
[223]     In diesem Geiste des Freiheitswillens will die nationale Regierung das deutsche Volk erziehen. Die Ehre der Nation, die Ehre unserer Armee, das Ideal der Freiheit – sie müssen dem deutschen Volke wieder heilig werden. Das deutsche Volk will mit der Welt in Frieden leben. Die Regierung wird aber gerade deshalb mit allen Mitteln für die endgültige Beseitigung einer Unterscheidung der Völker in zwei Kategorien eintreten. Die ewige Offenhaltung dieser Wunde führt zum Mißtrauen und damit zu einer allgemeinen Unruhe. Die nationale Regierung ist geneigt, jedem Volke die Hand zu einer aufrichtigen Verständigung zu reichen, das gewillt ist, die traurige Vergangenheit endlich einmal gründlich abzuschließen.
      Leider stehen wir hier vor der Tatsache, daß die Genfer Konferenz bisher kein praktisches Ergebnis erzielt hat. Die Entscheidung über die Herbeiführung wirklicher Abrüstungsmaßnahmen ist immer wieder durch das Aufwerfen technischer Einzelfragen und das Hineinwerfen von Problemen, die mit der Abrüstung nichts zu tun haben, verzögert worden. Als ein Zeichen guten Willens erkennen wir den britischen Vorschlag an. Die Reichsregierung wird jeden Versuch unterstützen, der darauf gerichtet ist, einer allgemeinen Abrüstung wirksam zu dienen und den Anspruch auf Gleichberechtigung zu befriedigen. Seit 14 Jahren sind wir abgerüstet. Und seit 14 Monaten warten wir auf ein Ergebnis der Abrüstungskonferenz.
      Noch umfassender ist der Plan des Chefs der italienischen Regierung, in dessen Rahmen die deutsche Regierung durchaus zur Mitarbeit geneigt ist. Aus diesem Anlaß empfinden wir besonders dankbar die verständnisvolle Herzlichkeit, mit der die nationale Erhebung in Deutschland in Italien begrüßt worden ist. Ebenso wie wir die Kräfte des Christentums unentbehrlich für den sittlichen Wiederaufstieg des deutschen Volkes halten, wünschen wir unsere freundschaftlichen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl auszugestalten. Selbstverständlich ist es, daß sich die nationale Regierung aufs engste verbunden fühlt mit unserem Brudervolk in Deutschösterreich, wobei sie sich der Gemeinsamkeit des Schicksals aller deutschen Stämme bewußt ist.
[224]     Die nationale Regierung ist auch gewillt, mit der Sowjetregierung beiderseitig nutzbringende Beziehungen zu pflegen. Dabei muß sie allerdings betonen, daß der Kampf gegen den Kommunismus unsere eigene Angelegenheit ist, bei der Einmischungen von außen niemals geduldet werden. –
      Eine vertrauensvolle Verständigung zwischen den Völkern ist auch die Voraussetzung für die Beseitigung der allgemeinen Wirtschaftskrise. Die Reichsregierung ist bereit, an der Weltwirtschaftskonferenz mit allen Kräften mitzuarbeiten. – Für die Stabilisierung der wirtschaftlichen Kräfte der Welt ist vor allem auch eine Anpassung der privaten Schulden und des Zinsproblems an die veränderten Verhältnisse notwendig. Zehn Jahre einer friedlichen und aufrichtigen Verständigung zwischen den Völkern werden für die Wohlfahrt aller Nationen nützlicher sein, als eine dreißig Jahre lange Verrennung in die Begriffe von Siegern und Besiegten, die endlich verschwinden müssen.
      Um die Regierung in die Lage zu versetzen, die Aufgaben zu erfüllen, die innerhalb dieses allgemein gekennzeichneten Rahmens liegen, hat sie im Reichstage durch die Nationalsozialistische und die Deutschnationale Partei das Ermächtigungsgesetz einbringen lassen. Ein Teil der beabsichtigten Maßnahmen erfordert die verfassungsändernde Mehrheit. Die Durchführung der Aufgaben ist notwendig. Es würde dem Sinn der nationalen Erhebung widersprechen und dem beabsichtigten Zweck nicht genügen, wollte die Regierung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall die Genehmigung des Reichstages erhandeln und erbitten. Die Regierung wird dabei nicht von der Absicht getrieben, den Reichstag als solchen aufzuheben. Im Gegenteil: sie behält sich auch für die Zukunft vor, ihn über ihre Maßnahmen zu unterrichten und um seine Zustimmung zu ersuchen, für Maßnahmen, bei denen sie es für wertvoll hält. Sie hält aber eine weitere Tagung im heutigen Zustand der tiefgehenden politischen Erregung im deutschen Volke für nicht möglich.
      Keine Revolution ist wohl so diszipliniert verlaufen wie die der nationalen Erhebung in Deutschland. Es ist mein Wille, auch in der Zukunft für eine ruhige Entwicklung zu sorgen. Allein um so nötiger ist es, daß der nationalen Regierung jene [225] souveräne Stellung gegeben wird, die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Regierung wird von dem Ermächtigungsgesetz nur insoweit Gebrauch machen, als die Durchführung lebensnotwendiger Maßnahmen das erfordert. Es ist weder die Existenz des Reichstages noch die des Reichsrats bedroht. Stellung und Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt. Der Bestand der Länder wird nicht beseitigt. Die Rechte der Kirchen werden nicht geschmälert und ihre Stellung zum Staate nicht geändert.
      Die Regierung besteht auf der Verabschiedung des Gesetzes. Sie zieht in jedem Falle eine klare Entscheidung vor. Sie bietet den Parteien des Reichstages die Möglichkeit einer ruhigen Fortentwicklung und einer sich daraus in der Zukunft anbahnenden Verständigung. Sie ist aber ebenso entschlossen und bereit, die Bekundung der Ablehnung und damit die Ansage des Widerstandes entgegenzunehmen. Mögen Sie, meine Herren, nunmehr selbst die Entscheidung treffen über Frieden oder Krieg!"

  Auseinandersetzung mit  
den Sozialdemokraten

Nach einer dreistündigen Unterbrechung der Sitzung versuchte der Sozialdemokrat Wels seine Partei zu rechtfertigen:

      "Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben. Ich habe als erster Deutscher vor einem internationalen Forum auf der Berner Konferenz am 3. Februar 1919 gegen die Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges Stellung genommen. Das Wort des Reichskanzlers, daß in der Außenpolitik die Theorie von Siegern und Besiegten ein Aberwitz sei, gilt in gleichem Umfange auch für die Innenpolitik. Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen – im Innern erst recht nicht. Eine wirkliche Volksgemeinschaft läßt sich aus ihm nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht! Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird niemand von ihr billigerweise verlangen und erwarten können, daß sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Durch die Wahlen vom 5. März [226] ist den Regierungsparteien die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. Niemals seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten in so weitem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt der Fall und wie es weiter durch das Ermächtigungsgesetz geschehen soll."

Der Redner verlangt völlige Rechtsgleichheit. Als er zum Schluß von dem "Bekennermut der Sozialdemokraten" spricht, ertönt auf den Reihen der nationalsozialistischen Abgeordneten lautes Lachen. Die Sozialdemokraten klatschen ihrem Fraktionsführer Beifall.

Reichskanzler Hitler, der darauf das Wort erhält, wird wieder mit lauten Heilrufen empfangen. Er begibt sich zum Rednerpult, weist auf die Worte der Sozialdemokraten hin und erklärt:

      "Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt! Die schönen Theorien, die Sie, Herr Abgeordneter, vorhin hier verkündeten, sind der Weltgeschichte zu spät mitgeteilt worden. Sie erklären, daß die Sozialdemokratie unser außenpolitisches Programm unterstreicht, daß sie die Kriegsschuldlüge ablehnt, daß sie gegen Reparationen sich wende. Ich erhebe nur die eine Frage: Wo war dieser Kampf in der Zeit, in der Sie die Macht in Deutschland hatten? Sie hatten einst die Möglichkeit, dem deutschen Volk das Gesetz des inneren Handelns vorzuschreiben. Sie haben es auf anderen Gebieten gekonnt. Es wäre genau so möglich gewesen, der deutschen Revolution, die von Ihnen mit ausging, denselben Schwung und dieselbe Richtung zu geben, wie einst Frankreich seiner Erhebung im Jahre 1870. Sie sagen, daß wehrlos nicht ehrlos ist. Nein, das braucht es nicht zu sein. Auch wenn wir wehrlos sein müßten, würden wir nicht ehrlos sein. Unsere Bewegung ist jahrelang hier wehrlos gemacht worden, ehrlos ist sie nicht gewesen. Ich bin der Überzeugung, wir haben dem deutschen Volke den Geist eingeimpft, daß es auch bei seiner heutigen Wehrlosigkeit sicherlich nicht ehrlos sein wird.
      Auch hier lag es ja an Ihnen, dafür zu sorgen, daß das deutsche Volk der Welt das Beispiel einer Ehre gegeben hätte. Der Landesverrat konnte von Ihnen genau so beseitigt werden, wie er von uns beseitigt wird. Sie hätten damals, als jede [227] deutsche Revolution, jeder Hochverrat in Tateinheit Landesverrat sein mußte, ihre Hand auch nicht indirekt bieten dürfen. Es ist nicht ehrenvoll, sich vom Feinde seine innere Gestaltung aufzwingen zu lassen. Sie hätten sich damals weiter zur deutschen Trikolore bekennen müssen und nicht zu einer Farbe, die der Feind in Flugblättern auf die deutschen Gräben herabwarf.
      Wenn Sie sagen, gleiches Recht wie nach außen so auch im Innern, so muß ich Ihnen gegenüberhalten: Für dieses gleiche Recht haben wir 14 Jahre lang gekämpft. 14 Jahre haben Sie es nicht gekannt. Reden Sie heute nicht vom gleichen Recht! Sie scheinen ganz und gar vergessen zu haben, daß man uns sogar die – Hemden herunterriß, weil Ihnen die Farbe nicht gefiel. Wenn Sie von der Heilsamkeit der Kritik sprechen, so sage ich: Wer Deutschland liebt, mag uns kritisieren, wer eine Internationale anbetet, kann uns nicht kritisieren. Die Heilsamkeit der Kritik hätten Sie in der Zeit erkennen müssen, da wir uns in der Opposition befanden. Jahrelang hat man uns, hat man mir das Reden verboten und jetzt sagen Sie, Kritik ist heilsam."

Der Kanzler kommt dann auf die Lügennachrichten ausländischer sozialdemokratischer Zeitungen über die gegenwärtigen Zustände in Deutschland zu sprechen und erwähnt dabei insbesondere auch die sozialdemokratische Presse in Deutsch-Österreich.

      "Sie (zu den Sozialdemokraten, so erklärt der Kanzler,) haben nichts getan, um durch ihre internationalen Verbindungen dafür zu sorgen, daß die Welt nicht ein schiefes Bild über Deutschland erhält. (Abg. Wels: Doch, das haben wir getan!) Dann bin ich neugierig, wann Ihr Schritt wirksam werden wird. Ihre Zeitungen im Saargebiet treiben täglich Landesverrat und versuchen dauernd, Deutschland dem Ausland gegenüber in eine schiefe Lage zu bringen. Wenn Sie vom Recht sprechen, darf ich sagen: Wenn wir nicht das Gefühl für Recht hätten, dann wären wir nicht hier, und dann säßen Sie nicht da. Sie haben im Jahre 1918 sich gegen die gewandt, die Ihnen nichts getan hätten. Wir beherrschen uns, uns gegen die zu wenden, die uns 14 Jahre gequält und gepeinigt haben. Sie reden von Verfolgungen, wer hat Sie denn bisher verfolgt? Sie haben sich als den einzigen Träger des [228] Sozialismus in Deutschland bezeichnet. In Wirklichkeit sind Sie der Träger jenes geheimnisvollen Sozialismus gewesen, den das deutsche Volk niemals zu sehen erhielt. An den Früchten soll man auch Sie erkennen und diese Früchte zeugen gegen Sie. Wenn das Deutschland das Spiegelbild ihres sozialistischen Wollens ist, dann geben Sie uns vier Jahre Zeit, damit wir das Spiegelbild unseres Wollens zeigen können.
      Sie sprachen davon, daß wir den Reichstag nach Hause schicken wollten, um Gewaltpolitik zu treiben. Wenn Ihre Vorwürfe richtig wären, dann hätten wir den Reichstag nicht erst zusammenzurufen brauchen. Sie können versichert sein, daß uns der Mut, uns mit Ihnen auch anders auseinanderzusetzen, nicht gefehlt hätte. Sie sagen weiter, daß die Sozialdemokratie auch von uns nicht weggedacht werden kann, weil sie die erste war, die diese Plätze freimachte für die arbeitenden Menschen. In allem, Herr Abgeordneter, kommen Sie zu spät. Warum haben Sie diese Erinnerungen nicht beizeiten Ihren Freunden Grzesinski, Braun, Severing gegeben, die jahrelang mir vorwarfen, ich sei doch nur ein Anstreichergeselle? – Man drohte, mich mit der Hundepeitsche hinaustreiben zu lassen. Wir Nationalsozialisten werden dem Arbeiter die Bahn zu dem, was er fordern und verlangen kann, freimachen. Wir Nationalsozialisten werden seine Fürsprecher sein. Sie, meine Herren (zu den Sozialdemokraten) sind nicht mehr dafür nötig. Sie sprechen weiter, daß nicht die Macht entscheidend sei, sondern das Rechtsbewußtsein. Dieses Rechtsbewußtsein haben wir im Volke erweckt. Aus den eigenen politischen Erfahrungen, die ich mit Ihnen gemacht habe, glaube ich, daß das Recht allein noch nicht genügt. Man muß auch die Macht besitzen. Verwechseln Sie uns nicht mit einer bürgerlichen Welt.
      Sie meinen, daß Ihr Stern wieder aufgehen könnte. Der Stern Deutschlands wird aufgehen und Ihrer wird sinken. Sie sagen, daß Sie nicht gebrochen seien in der Zeit der Sozialistengesetzgebung. Damals sah die deutsche Arbeiterschaft in Ihnen noch etwas anderes als Sie heute sind. Warum aber haben Sie diese Erkenntnis uns gegenüber vergessen? Ihre Stunde hat geschlagen. Nur weil wir Deutsch- [229] land sehen, seine Not und die Notwendigkeit des nationalen Lebens, appellieren wir in dieser Stunde an den deutschen Reichstag, uns zu genehmigen, was wir auch ohnedem hätten nehmen können. Des Rechtes wegen tun wir es, nicht weil wir die Macht überschätzen, sondern weil wir denen, die heute von uns getrennt, aber doch irgendwie auch an Deutschland glauben, uns einst vielleicht leichter finden können. Ich möchte nicht nur in den Fehler verfallen, die Gegner bloß zu reizen, statt sie entweder zu vernichten oder zu versöhnen. Ich möchte denen, die am Ende vielleicht auf anderem Wege auch mit ihrem Volke empfinden, die Hand reichen und nicht ihnen ewigen Krieg ansagen. Sie wollen mich aber niemals mißverstehen: Die Hand gebe ich jedem, der sich für Deutschland verpflichtet. Ich erkenne nicht das Gebot einer Internationale an. Ich glaube, daß Sie gegen dieses Gesetz stimmen, weil Ihrer innersten Mentalität nach die Absicht Ihnen unerträglich ist, die uns dabei beseelt. Ich glaube, daß Sie das nicht tun würden, wenn wir das wären, was heute Ihre Presse im Ausland über uns verbreitet. Ich kann nur sagen, ich will gar nicht, daß Sie dafür stimmen. Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie."

Als der Reichskanzler das Rednerpult verläßt, umjubeln ihn die Heilrufe der Nationalsozialisten. Auch die Tribünenbesucher beteiligen sich an den Kundgebungen.

Das Zentrum, das nach dem Ergebnis der Wahlen vom 5. und 12. März eine merkliche Erschütterung seiner Stellung verspürt hatte, hielt es für geraten, einzulenken. Entsprechende Weisungen zu positiver Mitarbeit waren auch aus Rom eingegangen. Prälat Kaas erklärte, daß seine Partei eine Reihe wesentlicher Bedenken, die sie vorher noch gehabt habe, durch die Erklärungen des Kanzlers als gemildert betrachte und dem Ermächtigungsgesetz zustimme. Auch die Redner der Bayrischen Volkspartei und die Splitterparteien der Mitte stimmten zu.

  Ermächtigungsgesetz  

Das Ermächtigungsgesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, dem auch der Reichsrat zugestimmt hatte, hatte folgenden Wortlaut:

[230]     Artikel 1. Reichsgesetze können außer dem in der Reichsverfassung vorgenommenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Das gilt auch für die in den Artikeln 85, Abs. 2, und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
      Artikel 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstages und des Reichsrates zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unverändert.
      Artikel 3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündigung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung.
      Artikel 4. Verträge des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen für die Dauer der Geltung des Gesetzes nicht der Zustimmung der in der Gesetzgebung bezeichneten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
      Artikel 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft. Es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird. Dieser Gesetzentwurf wird von den Regierungsparteien als Initiativantrag mit der Unterschrift der Fraktionsführer der Regierungsparteien im Reichstag eingebracht werden.

Das Gesetz wurde mit 441 Stimmen gegen 94 Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. Darauf wurde der Reichstagspräsident ermächtigt, Zeitpunkt und Tagesordnung der nächsten Sitzung zu bestimmen. Die Sitzung wurde mit einem brausenden Heil auf den Kanzler geschlossen. Die dreitägige Arbeit des Parlamentes war zu Ende.

Die historische Bedeutung
  des Potsdamer Parlaments  

[231] Mit dem Potsdamer Parlament schloß die liberalistische Epoche ab, die mit dem Frankfurter Parlament 1848 ihren Anfang nahm. Der Raub der Parteien an der Staats- und Reichsmacht begann in Frankfurt, als die kurzsichtigen monarchischen Regierungen dem Drängen des Volkes nach dem deutschen Reiche sich widersetzten. Die Dynastien waren Schuld daran, daß der Liberalismus der Parteien sich kräftig entfalten konnte. Und der Liberalismus war es, der die Dynastien 1918 stürzte. In Weimar 1919 gelangte der Liberalismus zur höchsten Entfaltung seiner selbst: er riß die ganze Staatsmacht an sich und machte sie zum Kuhhandelsobjekte der Parteien. Die Zerstörung der Staatsmacht und das unerhörteste Elend war die Folge. Deutschland drohte im Chaos zu versinken. Und unter dem Drucke des Elends wuchs der Wille des Volkes, wieder einen einzigen unantastbaren Reichswillen zu schaffen, welcher der Raubgier und den Machtgelüsten der Parteien entzogen war. So gab das deutsche Parlament von Potsdam der Reichsregierung die Einheit und den ungeteilten Willen der politischen Macht zurück. Wie einst das Frankfurter Parlament sein Recht gegen die Regierungen aus dem Willen des Volkes herleitete, so leitete das Potsdamer Parlament sein Recht auf Machtentäußerung zu Gunsten der höchsten, gesetzlich berufenen Trägerin der Reichsmacht aus der Übereinstimmung des Willens von Volk und Regierung her. Tatsächlich wurde durch die Vorgänge vom 21.–23. März das Parlament als Zwischenglied zwischen Volk und Regierung ausgeschaltet. Ihre Berührung wurde inniger, unmittelbarer, sie bestand fortan in der Einheit des Reichswillens, nicht mehr in den Gegensätzen von Parlamenten und Parteien. So war in Potsdam an die Stelle des bisherigen Zwiespaltes Regierung–Parlament die Einheit von Führer und Volk getreten.

Das Ausland
  und die Juden  

Im Ausland begegnete die Regierung Adolf Hitler von allem Anfang an Mißtrauen und Ablehnung. Nur das faschistische Italien bekannte sich zur Freundschaft mit dem nationalsozialistischen Deutschland.

Es war ein raffiniertes Vorgehen der Kommunistischen Internationale gewesen, daß sie einen Ausländer, einen Hollän- [232] der, als Brandstifter des Reichstages vorschickte. So wurden die deutschen Ereignisse gleichsam eine internationale Angelegenheit, und um das Ereignis rankten sich alsbald phantastische Lügen des hitlerfeindlichen Auslandes. Man behauptete, der Kommunist Marinus van der Lubbe sei mit deutschen Nationalsozialisten bekannt geworden und habe auf deren Anstiftung den Reichstag in Brand gesteckt!

In Schweden erlaubte sich Anfang Februar die Göteborg Handelstidning gehässige Angriffe auf die Männer der Hitlerregierung, und am 6. März machte der sozialdemokratische Ministerpräsident Hansson seinem Hasse gegen Hitler Luft.

Die englische Presse bemühte sich, die Maßnahmen der Regierung Hitlers zu verstehen, konnte aber eine gewisse Unfreundlichkeit in bezug auf befürchtete Wirtschaftsmaßnahmen nicht unterdrücken. Simon erklärte am 28. Februar im Unterhaus, er habe keinen Grund, bei der deutschen Regierung Vorstellungen zu erheben, da britische Bürger und britisches Eigentum nicht gefährdet würden. Im Laufe des März aber entfalteten in den angelsächsischen Ländern die Juden eine wüste Lügenpropaganda gegen die Hitlerregierung. Es wurde von blutigen Judenverfolgungen phantasiert, man entrüstete sich, daß die Gewalttaten gegen die Juden, die zu Tode gequält würden, allen Kulturbegriffen Hohn sprächen! Da wurde berichtet, daß Hunderte von Juden in die Schweiz geflüchtet wären, deren Rücken von Peitschenhieben blutunterlaufen gewesen seien! Weder Frauen noch Kinder seien geschont worden. Andere Juden seien grausam zu Tode gequält. Es waren ähnliche Greuelmärchen wie am Anfang des Weltkrieges. Diese Lügen über Pogrome wurden mit einem derartigen Eifer und einer solchen Folgerichtigkeit verbreitet, daß daraus eine ernstliche Gefährdung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen sich zu entwickeln drohte. Ende März beantragte im Repräsentantenhaus zu Washington der linksradikale Judenführer Rabbi Stephen Weiß ein Einschreiten gegen die "Unterdrückung der Juden in Deutschland", aber das Staatsdepartement erklärte, daß es nicht gewillt sei, amtliche Schritte in der deutschen Judenfrage zu unternehmen, sondern nur dann [233] einschreiten werde, wenn amerikanische Bürger betroffen würden.

Die Juden waren der zäheste, gefährlichste und heimlichste Feind, den die deutsche Regierung für die Folgezeit in der Welt hatte. Für die Juden war es geradezu eine Existenzfrage, daß die völkisch bestimmte Hitlerregierung gestürzt wurde. Denn sollte dieser deutsche Präzedenzfall, daß die Juden aus Volk, Politik und Kultur ausgeschlossen wurden, Bestand haben oder sich gar günstig auswirken, dann bestand die Gefahr, daß das deutsche Beispiel allmählich von allen Nationen nachgeahmt würde. Eine solche Entwicklung mußte im Keime erstickt werden, und die Juden des Auslandes bedienten sich mannigfacher Mittel, mit denen sie das nationalsozialistische Deutschland zu stürzen versuchten: sie verbreiteten Lügen über deutsche Greuel an Juden, sie boykottierten die deutsche Wirtschaft, sie stempelten den Verbrecher Marinus van der Lubbe zum unschuldigen Märtyrer, sie stachelten die Zweite Internationale, die ausländische Sozialdemokratie, zu Angriff und Hetze gegen Deutschland auf, ja, ihr unheilvoller Einfluß betäubte das Ausland derart, daß auch das deutsche Recht auf der Abrüstungskonferenz mit Füßen getreten wurde! Völkerbund, Marxismus, Staatsregierungen – überall machten die Juden ihren Einfluß geltend, überall versuchten sie nun, Deutschland, das nichts als sein Recht forderte, zu erdrosseln.

Vor allem aber fühlte sich auch Frankreich durch Hitler bedroht. Mit Hitler war eine Regierung ans Ruder gekommen, die, das wußte man in Paris, sich nicht weiterhin alles bieten lassen würde, wie das von Erzberger bis Brüning der Fall war, und vor dem erwachenden Selbstbewußtsein der Deutschen hatten die Franzosen Angst! Ihr besonderer Kummer war, daß nun Deutschland und Italien in Genf eine geschlossene Einheitsfront gegen Frankreich bilden würden. Herriot, der frühere Ministerpräsident, schrieb am 1. Februar in der Ere Nouvelle:

      "Der außenpolitische Horizont ist umdüstert. Hitler ist an der Macht. Die Reichstagsauflösung steht bevor. In Doorn herrscht Bewegung. Sicheren Nachrichten zufolge gibt es dort ein verdächtiges Kommen und Gehen. Paul Boncour wird also in Genf eine sehr heikle Situation vorfinden."

Die [234] vom bösen Gewissen Geplagten verkündeten mit umwölkter Stirn: "Das Ziel der Hitlerbewegung ist die Revanche."

Frankreich fürchtete um seine europäische Hegemoniestellung, die es sich 1919 erschlichen hatte. Es war nötig, sich nicht nur noch mehr zu bewaffnen, sondern auch sich neue Freunde zu suchen. Die öffentliche Meinung forderte kategorisch eine Annäherung an Italien, um dieses von Deutschland abzuziehen. Der Pessimist Herriot empfahl als ein "glänzendes Mittel" zur Niederhaltung Deutschlands und zur Bekämpfung der revisionistischen Bestrebungen eine Allianz zwischen Frankreich und Sowjetrußland.

Der Vizekanzler von Papen versuchte, die französischen Ängste zu beschwichtigen. In einer Unterredung mit dem französischen Journalisten Suarez Anfang Februar erklärte Papen, daß Deutschland den Frieden und die Freundschaft mit der ganzen Welt wünsche. Nur derjenige würde Deutschlands Gegner sein, der sich systematisch dem Streben Deutschlands nach dem ihm gebührenden Platz unter den Nationen widersetze. Papen versicherte, daß alle deutschen Parteien ausnahmslos eine Entspannung in den deutsch-französischen Beziehungen wünschten. Man müsse auch in Frankreich begreifen, daß man Deutschland 14 Jahre nach dem Kriege nicht weiterhin Bedingungen auferlegen kann, die Frankreich anzunehmen sich sehr wohl hüten würde, wenn es an Deutschlands Stelle stünde.

Aber Frankreich begriff gar nichts. Es erblickte die Linie seiner zukünftigen Politik in der Erhöhung seiner Rüstungen und im Anschluß an die "großen Demokratien der Welt", wie sich Daladier als Kriegsminister ausdrückte, im Gegensatz zur deutschen "Gewaltherrschaft".

Nach den Reichstagswahlen unternahm Frankreich einen Vorstoß gegen die Hilfspolizei. In Kehl hatten 90, nach französischer Meldung 500, S.A.-Leute die Kaserne der Polizei besetzt, worüber jenseits des Rheins große Aufregung herrschte. Man traf die "notwendigen Schritte, um die Rheinbrücke zu sichern"! Dann versuchte man England zu gemeinsamem Vorgehen gegen Deutschland zu veranlassen. Aber Macdonald und Simon lehnten eine Einmischung in innerdeutsche Angele- [235] genheiten ab, so daß am 14. März der französische Botschafter François Poncet allein sich zu Neurath begab und im Auftrage seiner Regierung Einspruch erhob gegen die Verwendung von Hilfspolizei in Kehl und in der entmilitarisierten Zone. Dies stünde im Widerspruch zu Artikel 43 des Versailler Vertrages. Jedoch Neurath wies die Beschwerde als unbegründet zurück; in Kehl sei die Hilfspolizei nur 36 Stunden in der Polizeikaserne untergebracht gewesen, und jeder zehnte Mann habe eine Pistole gehabt, so daß von bewaffneten Streitkräften nicht die Rede sein könne. Im übrigen handle es sich um innenpolitische Maßnahmen, die nötig seien, um die Gefahren für Ruhe und Sicherheit abzuwenden.

Ringen um die
  Abrüstung in Genf  

Die Umwälzung in Deutschland wirkte auch auf die Abrüstungskonferenz zurück. Der Hauptausschuß begann am 1. Februar 1933 wieder in Tätigkeit zu treten und die allgemeine Aussprache über den französischen Sicherheits- und Abrüstungsplan zu eröffnen. Für Frankreich sei ja, so betonte der französische Vertreter, Abrüstung und Sicherheit unlösbar verbunden. Der italische Vertreter Aloisi kritisierte den französischen Plan sehr stark. Er könne einem kontinental-europäischen System unter Ausschluß Englands nicht beistimmen. Der deutsche Botschafter von Nadolny stellte sich auf den unverrückbaren deutschen Standpunkt: so schnell wie möglich Abrüstung nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung. Wenn er auch dem französischen Vorschlag, Heere aus Soldaten mit langer und kurzer Dienstzeit zusammenzusetzen, zustimmen könne und dies als ein allgemein gültiges Wehrsystem für alle Staaten anerkennen wolle, so vermisse er doch ernst gemeinte Vorschläge über qualitative Abrüstung und Beschränkung des Materials. Auch sei es nicht gerechtfertigt, daß die Abrüstung von neuen vertraglichen Sicherheitsgarantien abhängig gemacht werde.

      "Die deutsche Delegation wird sich von dem Grundgedanken leiten lassen, daß die erste Etappe der Abrüstung wirklich ein entscheidender Schritt in der Herabsetzung der Rüstungen der hochgerüsteten Staaten werden muß."

[236] Hatte schon die italische und deutsche Erklärung, der am 3. Februar auch die Absage Englands folgte – Hauptmann Eden erklärte, daß die englische Regierung nicht in der Lage sei, über den Völkerbundspakt, Locarnovertrag und Kelloggpakt hinausgehende Verpflichtungen zu übernehmen und eine sofortige allgemeine Herabsetzung der Rüstungen für nötig halte – die Franzosen merklich beunruhigt, so gerieten sie außer Fassung, als am 6. Februar der polnische Vertreter Raszinski meinte, daß der französische Sicherheitsplan im Augenblick undurchführbar sei. Die erboste Presse bezeichnete die Erklärung des polnischen Bundesgenossen für eine Schlappe Paul Boncours, die Politiker in Paris verloren bei den Aussichten einer solchen Entwicklung allen Geschmack an der Konferenz und erwogen eine schnelle Beendigung durch eine bescheidene ganz allgemeine Konvention. Dann wäre allerdings auch die Gleichberechtigungserklärung vom 11. Dezember 1932 hinfällig.

In einer persönlichen Unterredung mit Paul Boncour forderte auch Nadolny ein baldiges Ende der Konferenz und kritisierte wieder die französischen Sicherheitsforderungen. Boncour erklärte aber gerade diese als Vorbedingung für die Anerkennung der deutschen Rechtsgleichheit: Die französische Regierung werde nicht gestatten, daß Deutschland die Gleichberechtigung im Sinne einer Wiederaufrüstung auslege. Deutschland hätte die Wahl zwischen der Reichswehr und einer nationalen Miliz, beides zugleich dürfe es nicht besitzen.

Die Franzosen merkten wohl, daß ihre Lage in Genf durch Deutschlands Festigkeit kritisch wurde, und wollten jetzt die Konferenz so schnell wie möglich durch ein ganz allgemeines Abrüstungsabkommen beenden, das den gegenwärtigen Rüstungsstand praktisch auf weitere fünf Jahre verlängern sollte. Solche Pläne fanden aber in Berlin ebensowenig Anklang wie in Rom, London und Moskau.

  Frankreichs Sabotage  

Es konnte niemand mehr im Zweifel sein, daß ein schwerer Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich um die Formel vom 11. Dezember im Anzug war. War Nadolny bereit, das englische Arbeitsprogramm als Verhandlungsgrundlage anzunehmen, vorausgesetzt, daß Deutschland einige abrüstungs- [237] technische Abänderungsanträge dazu vorbringen konnte, so lehnte er grundsätzlich jede Diskussion über die Gleichberechtigungsfrage ab. Das hieß nichts anderes, als daß er sich gegen den französischen Plan aussprach. Paul Boncour versicherte demgegenüber, daß die französische Regierung darauf hinweisen werde, die Gleichberechtigung könne nur in einem System allgemeiner Sicherheit bestehen. Frankreich hatte, um im Trüben fischen zu können, wieder einmal gründlich alle Begriffe verfilzt und ein System unversöhnlicher Gegensätze aufgerichtet, an dem die Konferenz scheitern sollte.

Doch Paul Boncours These, daß Abrüstung und Sicherheit unlöslich miteinander verbunden seien und daß das gegenwärtige Sicherheitssystem nicht ausreiche, fand nirgends Anklang. Amerika erklärte sich desinteressiert und lehnte ein Urteil ab, England wies schroff alle neuen Sicherheitsverpflichtungen ab, Deutschland, Italien und Holland meinten, Frankreichs Forderung, erst Sicherheit, dann Abrüstung habe nichts mit der Abrüstungskonferenz zu tun. Am 9. Februar war der französische Plan erledigt, – abgelehnt, worauf Paul Boncour erklärte, die Regelung der Gleichberechtigungsfrage vom 11. Dezember 1932 sei lediglich eine Vereinbarung zwischen einigen Mächten und in keiner Weise bindend für die Konferenz, womit er die Verhandlungen auf den Stand vom Juli 1932 zurückführte und in ein außerordentlich kritisches Stadium hineinbrachte.

In diesen Tagen waren die Genfer Diplomaten wirklich konferenzmüde. Man sehnte sich nach Ruhe, denn das stand fest: das leichte Spiel mit Deutschland war vorüber! Am besten wäre es, wenn die Konferenz geschlossen würde und erst nach Jahren wieder zusammentrete. Man konnte ja solange an den Entwaffnungsbestimmungen der Friedensverträge festhalten. Allerdings zu einem derartigen Entschluß fehlte allerseits der Mut, und so begnügte man sich zunächst mit einer einwöchigen Vertagung. Macdonald begann sich mit dem Gedanken einer Wiederaufnahme der Fünfmächtekonferenz zu beschäftigen.

Unterdessen reichte Nadolny die deutschen Abänderungsvorschläge zum materiellen Teil des englischen Arbeitsprogramms [238] ein. Hauptsächlich wurden darin ziffernmäßige Festsetzung der Truppenbestände und die Vernichtung des verbotenen schweren Angriffsmaterials gefordert. Auch wurde eine Entscheidung über die Luftrüstungen beantragt, wie sie dann einige Tage später von Brandenburg im Luftfahrtausschuß gefordert wurde. Die deutsche Gleichberechtigung wurde als selbstverständlich und außer jeder Diskussion stehend vorausgesetzt. – Dieser Vorschlag, erklärte Nadolny, sei die Voraussetzung für eine weitere Teilnahme Deutschlands.

Das Drängen der Deutschen war den unnachgiebigen Franzosen und den kompromißfreundlichen Engländern außerordentlich unangenehm. Sie wußten nicht mehr ein und aus bei all den heiklen Punkten, deren sofortige Klärung von den Deutschen beharrlich und kategorisch verlangt wurde. Die Haltung der Deutschen war um so beunruhigender, als Nadolny erklärte, daß die deutsche Regierung, falls die Abrüstungskonferenz durch die Schuld der anderen scheitere, sich ihre Entscheidungen für die Zukunft vorbehalten müsse. Am 16. Februar begann der Hauptausschuß, sich mit dem französischen Vorschlag auf Vereinheitlichung der Heeressysteme

  Erklärung Nadolnys  

auf dem Kontinent und Einführung eines Milizsystems mit kurzer Dienstzeit zu beschäftigen. Nadolny
gab hierzu folgende grundsätzliche Erklärung ab:

      "Im Jahre 1919 mußte das damalige deutsche Heer mit kurzer Dienstzeit in ein Heer mit langer Dienstzeit umgewandelt werden. Kaum sind 14 Jahre verflossen, so wird von Deutschland die Rückkehr zu einem System mit kurzer Dienstzeit verlangt. Es ist selbstverständlich, daß die Reichsregierung unter diesen Umständen fragt, ob diesmal eine Bürgschaft vorliegt, daß dieses neue Heeressystem tatsächlich die ideale und gerechte Lösung für immer darstellt. Ein einheitliches Heeressystem und eine für alle Staaten gleiche Heeresorganisation ist nicht möglich. Der französische Vorschlag schafft einen Unterschied zwischen Heeren mit Angriffs- und Verteidigungscharakter. Die Reichsregierung muß ihr Erstaunen zum Ausdruck bringen, daß ein derartiger Trennungsstrich zwischen einzelnen Heeren geschaffen wird. Der französische Plan widersetzt sich nun der Aufrechterhaltung [239] der Heere mit langer Dienstzeit. Tatsächlich gibt es aber gegenwärtig auf dem europäischen Festland Berufsheere nur in den durch die Friedensverträge entwaffneten Staaten. Es muß deshalb der Eindruck entstehen, daß der französische Vorschlag auf eine Abschaffung der Heeressysteme hinzielt, die Deutschland und den übrigen Staaten auferlegt worden sind. Die Reichsregierung sieht das System der Berufsheere keineswegs als eine ideale, den besonderen deutschen Bedingungen angepaßte Lösung an.
      Es ist jedoch völlig ausgeschlossen, ein in 14 Jahren mühsam geschaffenes Werk nur aus dem Grunde zu zerstören, daß sich die Auffassung über die Bedeutung einer solchen Militärorganisation an einer Stelle geändert hat.
      Bevor die Reichsregierung daher zu dem Vorschlag der Schaffung eines neuen einheitlichen Heeressystem Stellung nimmt, ist es unerläßlich, genau zu wissen, welche Neuregelung an die Stelle der bisherigen zu beseitigenden Regelung tritt. Der französische Plan spricht sich hierüber nur in allgemeinen Linien aus. Die Erklärung des französischen Außenministers Paul Boncour hat leider die wünschenswerte Klarheit nicht geschaffen.
      Die Reichsregierung ist bereit, den Vorschlag der französischen Regierung im Effektiv-Ausschuß in den Einzelheiten zu erörtern, behält sich jedoch ihre endgültige Stellungnahme bis zur Kenntnisnahme der Einzelheiten des Planes und bis nach der Entscheidung der Konferenz über die Abschaffung des Angriffsmaterials vor."

Am folgenden Tage antwortete der französische Vertreter, Luftfahrtminister Pierre Cot, auf Nadolnys Rede und faßte den französischen Plan in folgende Punkte zusammen: daß

1. allein ein Militärstatut ausschließlich defensiven Charakters mit der Sicherheit vereinbar sei, und

2. in Kontinentaleuropa die Armee mit kurzer Dienstfrist und geringen Effektivbeständen der einzige Typus eines rein defensiven und langsam mobilisierbaren Militärsystems sei und daß durch die allgemeine Einführung dieses Armeetyps eine allgemeine Herabsetzung der Effektivbestände herbeigeführt werde.

Cot machte dann noch für den Fall der grundsätzlichen Annahme [240] der Vereinheitlichung der Heerestypen drei Vorschläge:

1. Herabsetzung der Dienstzeit auf 8–9 Monate einschließlich der Reservedienstzeit auch in Frankreich, wenn dessen allgemeine Sicherheits- und Kontrollforderung im wesentlichen berücksichtigt werde.

2. Prozentual gleichmäßige Festsetzung der Zahl des Ausbildungsmaterials bei allen großen Staaten und

3. Verwirklichung der Umwandlung der Heerestypen in zwei Etappen von drei bis vier Jahren und Anpassung dieses Systems an die besonderen Verhältnisse der einzelnen Länder, auch Deutschlands.

Die Delegierten der andern Staaten waren über dieses Anzeichen beginnender Einsicht bei den Franzosen hochbeglückt, und insbesondere Aloisi sprach Cot seine Anerkennung aus. Es war doch schon viel gewonnen, wenn Frankreich selbst zu gewissen Opfern bereit war. – Aber wie tobten die französischen Chauvinisten! Cot sei verrückt, er sei ein Verräter, der mit seinen skandalösen Worten die französische Politik der Kapitulation entgegenführe! Paul Boncour mußte wieder einmal harte Worte hören wie kurz zuvor bei dem polnischen Zwischenfall.

In der weiteren Verhandlung des Hauptausschusses forderte Nadolny restlose Abschaffung der Militärluftfahrt und ein Verbot des Bombenabwurfs. Es wurde beschlossen, einen Sonderausschuß für Luftfahrtfragen einzusetzen, an dem sich 18 Mächte unter Vorsitz des Spaniers Madariaga beteiligen sollten. In diesem Sonderausschuß sollten alle vorliegenden Vorschläge behandelt und untersucht und schließlich ein abschließender Vorschlag gefunden werden, der dem Hauptausschuß zu unterbreiten sei.

In diesem Ausschuß verlangte der deutsche Vertreter am 20. Februar, Ministerialdirektor Brandenburg, gemäß dem von Nadolny überreichten Abänderungsantrag eine klare Entscheidung über das allgemeine Verbot der Militärluftfahrt und des Luftbombardements. Brandenburg verlangte, daß der Hauptausschuß unverzüglich eine Entscheidung treffe, ob

1. eine völlige Abschaffung der Militärluftfahrt mit einem uneingeschränkten Verbot des Bombenabwurfs und einer Reglementierung für die Zivilluftfahrt, oder

2. eine völlige Ab- [241] schaffung der Militärluftfahrt mit einem uneingeschränkten Verbot des Bombenabwurfs und einer Reglementierung sowie einer Kontrolle der Zivilluftfahrt, oder

3. ein uneingeschränktes allgemeines Verbot des Bombenabwurfs durchgeführt werden soll.

Aber Pierre Cot war gar nicht dafür, daß hier klare Entscheidungen getroffen wurden. Er durchkreuzte die deutsche Forderung, indem er für die Gründung einer internationalen Lufttransportgesellschaft und für die Errichtung einer internationalen Luftpolizei eintrat. Wenn diese Forderungen und im übrigen Frankreichs allgemeine Kontrollwünsche im Rahmen der allgemeinen Abrüstungskonvention erfüllt würden, sei Frankreich für die vollständige Abschaffung der Militärluftfahrt zu haben. Es war die übliche Scheinheiligkeit, mit der die Franzosen in entscheidenden Augenblicken alle Abrüstungsbemühungen sabotierten.

      "Wir sind durchaus nicht gegen die Internationalisierung der Zivilluftfahrt, bevor wir uns aber dazu äußern," erwiderte Brandenburg, "wollen wir die Erklärung haben über die Abrüstung der Militärluftfahrt. Solange diese Erklärung nicht besteht, halte ich eine Erörterung der Internationalisierung für verfrüht. Ich vermag mich an ihr nicht zu beteiligen."

Der deutsche Standpunkt rief einen lauten Tumult hervor, und die Mehrheit des Ausschusses stand auf der Seite des Franzosen, und der franzosenfreundliche Vorsitzende, der Spanier de Madariaga, lehnte den deutschen Antrag ab und schlug vor, die französische Forderung zu behandeln. So war es den Franzosen wieder einmal gelungen, die Behandlung der Frage, ob die Militärluftfahrt abgeschafft werden solle, zu verschleppen.

Dieser Vorfall führte zu einer vollständigen Stockung der Verhandlungen im Ausschuß, und am 1. März endlich kam ein Kompromiß zustande, daß Deutschland sich formell weiter beteiligen wolle, aber den sachlich ablehnenden Standpunkt gegen die von Frankreich geforderte Internationalisierung der zivilen Luftfahrt uneingeschränkt aufrecht erhalte.

  Heerestypen  

Der Hauptausschuß setzte am 22. Februar die Beratungen über den französischen Plan zur Vereinheitlichung der kontinental-europäischen Heerestypen fort. Nadolny ging auf Pierre Cots Plan vom 17. Februar ein, meinte aber, daß die [242] deutsche Stellungnahme von der befriedigenden Lösung bestimmtet Fragen abhängig sei, die durch die Annahme folgender deutscher Entschließung erreicht werde:

"Der Hauptausschuß stellt fest:
      a) daß nur Heere mit reinem Verteidigungscharakter mit einem System der Sicherheit vereinbar sind,
      b) daß es, um den Heeren einen Verteidigungscharakter zu geben, in erster Linie erforderlich ist, diesen die Angriffsmittel durch Abschaffung der Waffen mit besonderem Angriffscharakter zu nehmen (schwere bewegliche Artillerie, Kampfwagen, Luftstreitkräfte, Verbot des Bombenabwurfs) und für jedes Heer die Menge an zugelassenem Kriegsmaterial festzusetzen,
      c) daß es für die Schaffung eines Sicherheitssystems außerdem erforderlich ist, eine wesentliche Herabsetzung der Streitkräfte der stark gerüsteten Staaten und einen Ausgleich der Streitkräfte aller Staaten vorzunehmen. Hierbei müssen die Überseestreitkräfte, die sich in den in der Nähe des Mutterlandes liegenden Überseegebieten befinden, eben wie die im Mutterlande selbst stehenden Überseestreitkräfte als Teil der Heimatstreitkräfte betrachtet werden.
      Der Hauptausschuß beschließt daher, bevor er sich über den Grundsatz der Vereinheitlichung der Heerestypen ausspricht:
      a) selbst ohne Verzögerung die Frage der Abschaffung der besonderen Angriffswaffen und die Begrenzung des zugelassenen Kriegsmaterials zu regeln,
      b) den Effektivausschuß zu beauftragen, die Bestimmungen zur Herabsetzung und zum Ausgleich der Streitkräfte im Sinne der Grundsätze des Hooverplanes festzusetzen und dem Hauptausschuß den Vorschlag hierüber auf einen Zeitraum von... Tagen vorzulegen."

Paul Boncour, der es auf die Zertrümmerung der deutschen Reichswehr abgesehen hatte, protestierte und Aloisi brachte einige Abänderungsvorschläge zum französischen Plane vor. Ohne auf Nadolnys Vorschläge einzugehen, beauftragte Henderson Paul Boncour und Aloisi, den französischen Vorschlag abzuändern. Auf Nadolnys Frage, warum nicht auch sein Vorschlag berücksichtigt werde, entgegnete Henderson, der Haupt- [243] schuß könne nicht andere Entscheidungen vorwegnehmen, bevor er sich über das Prinzip der Vereinheitlichung der Heerestypen ausgesprochen habe. Als sich Nadolny nochmals zum Worte meldete, beachtete ihn der Engländer nicht, sondern schloß die Sitzung. – Bei der Abstimmung am 24. Februar wurde der französische Vorschlag auf Vereinheitlichung der kontinental-europäischen Armeen in einem Heeressystem mit kurzer Dienstzeit und beschränkten Truppenverbänden mit 21 Stimmen von 64 angenommen, der deutsche Vorschlag aber abgelehnt. Frankreich triumphierte: es hatte wieder gesiegt.

Als man nun in den nächsten Tagen dazu überging, die Frage zu prüfen, ob auch die Kolonialtruppen von der Vereinheitlichung der Heerestypen betroffen werden sollten, wurde diese von den Vertretern der Kolonialmächte einmütig verneint. Der Widerspruch Nadolnys und Aloisis blieb ohne jeden Erfolg. Am 1. März nahm der Hauptausschuß den französischen Antrag, der eine Folge des Beschlusses vom 24. Februar war, an, daß Berufsheere neben Milizheeren in einem Staate nicht gestattet sein dürften. Damit war das Schicksal über die deutsche Reichswehr gesprochen, wenn die Milizheere anerkannt wurden. Zwei Tage später wurde mit 20 Stimmen gegen Deutschland, Österreich und Ungarn der französische Antrag angenommen, die Frage, in welchem Verhältnis die Effektivbestände herabgesetzt werden sollen, fristlos zu vertagen. Nadolny war empört: ein Jahr tage nun die Abrüstungskonferenz, neun Monate seien seit der Hooverbotschaft verflossen, aber ihrer Hauptaufgabe, die Truppenstärke herabzusetzen, entziehe sich die Konferenz beharrlich. In grobem Tone entgegnete Henderson, niemand habe das Recht, Steine auf die Konferenz zu werfen oder anderen Mächten Vorwürfe zu machen.

  Kriegsmaterial  

Am 9. März wagte sich der Hauptausschuß an eine heikle Frage, nämlich die Frage des Kriegsmaterials heran. Der englische Staatssekretär Eden hoffte, daß es gelingen werde, eine Liste der Waffen aufzustellen, die den Regierungen nicht mehr zur freien Verfügung stehen sollten. Doch Nadolny wollte mehr: man solle sich nicht nur damit begnügen, Merkmale und [244] Definitionen festzusetzen und die Frage der Herabsetzung und Begrenzung der Rüstungen wieder offen lassen.

      "Jetzt müssen sichtbare Ergebnisse herbeigeführt werden, jetzt muß man sich entscheiden, die wenigen Waffen, die einen spezifisch offensiven Charakter haben, abzuschaffen."

Sofort war der Franzose Massigli auf dem Plan: Frankreich mache die quantitativen und qualitativen Rüstungsherabsetzungen von zwei Bedingungen abhängig: von einer allgemeinen Organisation der europäischen Sicherheit und von der Vereinheitlichung der Heerestypen auf der Grundlage kurzer Dienstzeit und beschränkter Effektivbestände. Die Frage des Kriegsmaterials sei unlöslich verbunden mit der Frage der Heeresorganisation und der Effektivstärken. Man könne nicht verlangen, daß ein Staat seine Verteidigungsmittel aufgebe, wenn er, falls er angegriffen werde, nicht auf die Hilfe der anderen Staaten rechnen könne. Deswegen könne Frankreich jetzt keine Erklärungen abgeben, zu welchen Rüstungsherabsetzungen es bereit sei. Nach langem Hin und Her wurde endlich der italische Vorschlag angenommen, einen Dreizehnerausschuß zu bilden, der einen Fragebogen über das abzuschaffende oder zu begrenzende Kriegsmaterial aufstellen sollte.

  Frankreichs "Sicherheit"  

Inzwischen war der politische Ausschuß der Konferenz bemüht, die von England vorgeschlagene Verpflichtung für sämtliche Mächte, in einem zukünftigen Konflikte unter keinen Umständen zu Gewaltmaßnahmen zu greifen, mit der französischen Forderung nach Sicherheit zu verbinden. Deutschland beharrte auf seinem Standpunkte, daß es eine neue Bekräftigung der entehrenden Locarnobestimmungen ablehnen müsse. Frankreich und Belgien aber wollten dies: sie weigerten sich, daß ihre Rechte, bei einer deutschen Truppenansammlung in der entmilitarisierten Rheinlandzone Gewaltmaßnahmen gegen Deutschland zu ergreifen, in die von England vorgeschlagene Verpflichtung einbezogen würden. Mit andern Worten: sie wollten nicht, daß ihre "Rechte" durch den neuen Garantievertrag außer Kraft gesetzt wurden.

Am letzten Februartage einigten sich die Locarnomächte auf folgende Gewaltverzichtsformel:

[245]     "Die Regierungen, in dem Wunsche, die Sache der Abrüstung zu fördern, indem sie den Geist gegenseitigen Vertrauens unter der Bevölkerung Europas durch eine Erklärung stärken, die ausdrücklich den Gebrauch der Gewalt unter den Umständen untersagt, wo der Pakt von Paris den Krieg untersagt, bestätigen von neuem ausdrücklich, daß sie unter keinen Umständen untereinander zur Gewalt als Werkzeug nationaler Politik greifen werden."

Von deutscher Seite wurde darauf hingewiesen, daß nun der endlosen Kette der "Sicherheiten" ein neues Glied angefügt worden sei und somit die französischen Sicherheitswünsche befriedigt seien. Dem Völkerbundsvertrag, dem Locarnovertrag, dem Kelloggpakt, den internationalen Schiedsgerichtsabkommen geselle sich jetzt noch die Gewaltsverzichtsformel hinzu, und so bestehe für sofortige und wirksame Abrüstungsmaßnahmen kein Hinderungsgrund mehr.

Frankreich aber wollte mehr: es verlangte europäische Abkommen für gegenseitige Hilfeleistung zur Stabilisierung der gegenwärtigen kontinental-europäischen Verhältnisse. Das aber lehnten England und Deutschland, Italien und Sowjetrußland, Österreich, Ungarn und Holland ab. Nur die kleine Entente, Griechenland und Finnland traten für Frankreich ein. Am 7. März jedoch waren die französischen Bemühungen gescheitert. Es blieb bei der Gewaltverzichtsformel.

Anfang März 1933 hatte sich die Abrüstungskonferenz derart auseinandergeredet, daß sie kurzerhand ohne jeden Erfolg abgebrochen werden konnte. Aber niemand wollte die Verantwortung für einen solchen Schritt übernehmen. Der eigentlich schuldige Teil war das starrköpfige Frankreich. Adolf Hitler hatte, ebenso wie seine Vorgänger, den ehrlichen Willen einer Abrüstung, aber er forderte eine wirkliche, nicht verklausulierte Abrüstung! Diese Abrüstung müsse auf der Grundlage unbedingter Gleichberechtigung aller Staaten vor sich gehen und dieselbe Sicherheit für alle Völker mit sich bringen. Die Teilung zwischen Sieger und Besiegten müsse aufhören, da sie das gegenseitige Vertrauen untergrabe.

Frankreich anderseits war nicht gewillt, die Hegemonie, die es 1919 gewonnen hatte, wieder preiszugeben. Es ging sogar [246] jetzt soweit, die deutsche Reichswehr, deren legale Grundlage der Versailler Vertrag war, anzugreifen und ihre Zerstörung zu fordern, weil es in diesem "Berufsheer" einen schrecklichen Gegner ahnte. Da es den Schein des Rechtes wahren wollte, um nicht die gesamte Welt gegen sich zu mobilisieren, versuchte es die Abrüstungskonferenz durch raffinierte Verschleppungsmanöver zu sabotieren.

Italien stand zu Deutschland. England suchte zu vermitteln. Es wollte unter allen Umständen den Abrüstungsgedanken zum Erfolg führen, da dieser zugleich ein Erfolg der britischen Politik sein würde. Aber es war ratlos, wie es einen Ausweg aus dem französischen Labyrinth der Winkelzüge finden sollte. Ein Scheitern der Abrüstungskonferenz, darüber waren sich die englischen Staatsmänner klar, würde auch ein Scheitern der geplanten Weltwirtschaftskonferenz zur Folge haben. Das aber war nicht nach Englands Sinn. So faßten denn Anfang März, als die Abrüstungskonferenz wieder einmal auf dem toten Punkte angekommen war, Macdonald und Simon den Plan, selbst nach Genf zu fahren und die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen.

Macdonald
  in Paris und Genf  

Die Initiative Macdonalds begann mit einer Unterredung Lord Tyrrells mit Daladier am 6. März, die als Anzeichen einer sich bildenden Einheitsfront zwischen London und Paris bezeichnet wurde. Der englische Premierminister selbst hatte ganz allgemein den Plan, in Paris eine "Versöhnungskonferenz" zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln, an der auch England und Italien teilnehmen sollten. Doch am 7. März war in London bekannt, daß weder Hitler noch Neurath noch Mussolini zu dieser Versöhnungskonferenz erscheinen würden. Es blieb nun nur noch der Ausweg, einen fünfjährigen "Rüstungswaffenstillstand" zu erreichen. Hiergegen lehnte sich aber die deutsche Regierung auf, die nicht mehr fünf Jahre auf die Erfüllung des Abrüstungsversprechens anderer warten wollte. "Unsere Geduld ist erschöpft."

Am Nachmittag des 8. März trafen Macdonald und Simon in Paris ein. Die Franzosen sahen diesem Besuch mit Mißtrauen entgegen, denn sie fürchteten, Macdonald werde ihnen Vorhaltungen wegen Genf machen. Andererseits versuchten sie [247] den englischen Premierminister durch die Drohung mit einem bevorstehenden Kriege zwischen Deutschland und Frankreich dahin zu bringen, daß er ihnen Bündnishilfe versprach. Macdonald fand in Paris eine derart überhitzte Atmosphäre vor, daß in der Tat der einzige Ausweg, europäische Verwicklungen zu vermeiden, jetzt nur noch eine Vertagung der Konferenz darstellt. Eine Vertagung würde zwar England aus der unangenehmen Lage befreien, eingreifen zu müssen, falls wirklich ein deutsch-französischer Konflikt durch die Fortführung der Konferenz heraufbeschworen würde. Andererseits aber würde aus einer solchen Vertagung Deutschland das Recht auf seine Handlungsfreiheit herleiten, was dem Engländer ebenfalls unangenehm war, denn deutsche Handlungsfreiheit bedeutete, darüber war man sich klar, Wiederaufrüstung.

Es scheint, daß die Pariser Besprechungen, die sich bis zum 11. März hinzogen, die Franzosen sehr enttäuscht haben. Die Franzosen forderten von Macdonald und Simson ein gemeinsames Vorgehen gegen die deutsche Regierung wegen der S.A.-Hilfspolizei im Rheinland. Die englischen Kronjuristen sahen aber in dieser Tatsache keinen Verstoß gegen den Versailler Vertrag, da die S.A. weder als militärische Formation noch als Polizeikräfte anzusehen seien. Übrigens könnten bei einer Revolution, wie sie zur Zeit in Deutschland vor sich gehe, rein juristische Gesichtspunkte nicht vorherrschend sein. Der Übergang der Macht auf die Nationalsozialisten in den Städten des Rheinlandes sei eine rein innerdeutsche Angelegenheit, in welche sich einzumischen England ablehnen mußte. Diesen Standpunkt machte sich Macdonald zum heftigen Ärger der Franzosen zu eigen. So waren die Pariser Besprechungen für beide Teile ohne Erfolg geblieben.

Am 11. März traf Macdonald in Genf ein Er wußte nun, daß eine Fortführung der Konferenz gleichsam zu einem Ultimatum Frankreichs, eine Vertagung aber zu einem Ultimatum Deutschlands führen konnte. Hier galt es allen Ernstes zu vermitteln. Zunächst hatte er eine Besprechung mit Paul Boncour, dem er erklärte, daß die im französischen Plan vorgesehenen Maßnahmen ungenügend seien und keine Aussicht hätten, von Deutschland und Italien angenommen zu werden, [248] französische Zugeständnisse seien deshalb unbedingt nötig. Eine von Paul Boncour vorgeschlagene Mehrheitskonvention, der Deutschland und Italien später beitreten sollten, verwarf der Engländer ebenso wie den Gedanken einer Fünfmächtekonferenz. Die Unterredung endete ohne jedes Ergebnis. Sehr zur Beunruhigung der Franzosen nahm Macdonald dann sofort die Beziehungen zu Aloisi auf und gelangte am folgenden Tage in den Gesprächen mit dem Italiener zu einem neuen Abrüstungsplan. Macdonald und Aloisi erwogen eine Vertagung der Konferenz auf sechs Wochen, um in der Zwischenzeit die aufgetürmten Schwierigkeiten auf diplomatischem Wege zu beseitigen und die Haltung der deutschen Regierung kennen zu lernen.

  Der Macdonaldplan  

Der neue Plan Macdonalds war ein Kompromiß zwischen den bisher bekannten Vorschlägen. Von Hoovers Vorschlag übernahm er die umfangreiche Herabsetzung der Effektivstreitkräfte. Ferner wurde das Verbot gewisser Angriffswaffen aufgenommen. Von den französischen Anregungen wurden die internationale Rüstungskontrolle und die Verpflichtung, nicht zu Gewaltmaßnahmen zu greifen, übernommen. Die Dauer dieser Konvention, die sich außerdem auf Locarno- und Kelloggpakt bezog, soll 5 Jahre betragen. Im einzelnen sah der Vorschlag so aus:

1. Bestätigung der Gleichberechtigung aller Nationen.

2. Sicherheit durch abermalige Bestätigung aller Garantieverträge.

3. Einsetzung eines internationalen Kontrollausschusses, eines dauernden Abrüstungsausschusses und eines Ausschusses zur Entgegennahme von Beschwerden.

4. Abschaffung der schweren Geschütze, der schweren Tanks und anderer schwerer Angriffswaffen, wie Deutschland und Italien es wünschen.

5. Herabsetzung der Heeresstärke im Sinne des amerikanischen Vorschlages.

6. Verbot des bakteriologischen, chemischen und Gaskrieges.

7. Abschaffung des Luftbombardements und internationale Kontrolle der Zivilfliegerei.

8. Seeabrüstung und Beschränkung der Verwendung von Unterseebooten.

9. Begrenzung der Etats für Heer und Flotte.

10. Unbedingtes Verbot einer Wiederaufrüstung für Deutschland.

Interessant waren Macdonalds Vorschläge über Heerestypen und Heeresstärken. Ein Milizsystem sollte die Basis bilden. [249] Die Dienstzeit sollte acht Monate, in Ausnahmefällen bis zu zwölf Monaten betragen. Die Heeresstärken sollten sein: Deutschland 200 000, Frankreich 400 000 (davon 200 000 Festlandstruppen), Italien 250 000, Polen 200 000, Rumänien 150 000, Tschechoslowakei 100 000, Belgien 75 000, Ungarn und Bulgarien je 60 000, Rußland 500 000, Jugoslawien 100 000 Mann.

Bezüglich der qualitativen Abrüstung wurden ebenfalls konkrete Vorschläge gemacht.

Bei der Artillerie schlug Macdonald 105 mm als höchstes Kaliber vor. Aber Staaten, die schwerere Geschütze hätten, dürften solche bis zur Grenze von 155 mm vorläufig behalten. Für Tanks sollten 16 Tonnen als Maximalgrenze gelten. In Etappen von ein bis drei Jahren sollte das verbotene Material zerstört werden. In bezug auf die Flottenrüstungen soll sich an Deutschlands Lage bis 1936 nichts ändern. Das Luftbombardement sollte verboten und nur in weit entlegenen Gebieten als Polizeimaßnahme gestattet sein. Die Zahl der Militärflugzeuge, die Macdonald nach Ablauf von fünf Jahren gestattete, betrug für Frankreich, Italien, Japan, Rußland, England, Vereinigte Staaten je 500, für Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien je 200, für Rumänien und Belgien je 150. Aber für Deutschland und die andern abgerüsteten Staaten war die Beibehaltung des status quo bis nach Ablauf der ersten fünfjährigen Etappe vorgesehen. Vorhandene Luftschiffe sollen gestattet, Neuanschaffungen verboten sein. Die Hälfte der Flugzeuge, welche die angegebene Grenze übersteigen, sollen bis 30. Juli 1936 zerstört werden, der Rest vor Ablauf der Konvention. Nach Ablauf der ersten Abrüstungsetappe soll die Militär- und Marineluftschiffahrt unter Vorbehalt einer wirksamen internationalen Kontrolle vollständig abgeschafft werden. Für die Zivilluftfahrt sah der Plan eine Reglementierung vor, der gesamte chemische und bakteriologische Krieg soll verboten sein.

Am Nachmittag des 16. März hielt Macdonald im Hauptausschuß eine große Rede, mit der er die Konferenz vor endgültigem Zusammenbruch zu retten versuchte. Die Konferenz trete in ihre entscheidende Phase und jeder müsse Zugeständ- [250] nisse machen. Gewiß sei es so, wie ein "langjähriger Freund" – er meinte Neurath – ihm einmal gesagt habe: "Entweder gewährt man Deutschland Gerechtigkeit und Freiheit, oder Europa läuft Gefahr, zusammenzubrechen." Aber als nur fordernde Macht werde Deutschland in eine falsche Lage geraten. Die Grundzüge seines neuen Planes seien die Festsetzung einer ersten Abrüstungsetappe von fünf Jahren, Bekundung des Abrüstungswillens vor aller Welt, Einsetzung eines ständigen Abrüstungskontrollorgans, Vorbereitung weiterer Rüstungsherabsetzungen für die zweite Etappe, Schaffung einer Vertrauensatmosphäre.

      "Die Konferenz hat die Freiheit, den Plan zurückzuweisen, aber sie muß sich darüber klar sein, daß sie mit dieser Ablehnung eine andere Wahl trifft. Abrüstung ist kein Selbstzweck, sondern ein Beitrag zum Frieden. Nur hierauf kommt es an. Eine Ablehnung bedeutet das Risiko eines neuen Krieges. Ein Mißerfolg würde die zerstörenden Kräfte im Leben der Völker wieder an die Oberfläche bringen. Um eine solche Tragödie zu verhindern, sind wir hier."

Daladier und Gibson wie auch Aloisi und Nadolny stimmten dem Plane Macdonalds zu. Nadolny drückte die Genugtuung und Hoffnung aus, daß der englische Vorschlag endlich zu einem praktischen Ergebnis führen möge. Die deutsche Regierung stelle mit Befriedigung fest, daß der englische Konventionsentwurf eine wahrhafte und wesentliche Abrüstung anstrebe. Im übrigen behalte sich die deutsche Regierung eine eingehende Prüfung des Planes vor. – Um allen Regierungen eine solche Prüfung zu ermöglichen, wurden die Sitzungen des Hauptausschusses auf eine Woche vertagt.

Der Reichsaußenminister Neurath war sehr pessimistisch über den Fortgang der Konferenz, da er bei den anderen die Absicht erkannte, Deutschland um sein gutes Recht zu betrügen. Die Hoffnungen, die man auf die Gleichberechtigungsformel vom 11. Dezember gesetzt habe, hätten sich in keiner Weise erfüllt, äußerte Neurath Mitte März, nun, wo es ans Praktische gehen solle, erlebe die Politik der Winkelzüge nicht ihr Ende, sondern ihre Blütezeit. Überall werde das Wesentliche durch das Unwesentliche in den Hintergrund gedrängt. Das deutsche Volk wolle sich aber keineswegs mehr mit negativen Beschlüssen [251] abspeisen lassen. Wenn das hochgerüstete Frankreich nach Sicherheit verlange, was solle da erst das waffenlose Deutschland tun? Jede Vertagung der Konferenz, jeder Vorschlag von Rüstungsfeierjahren, jede gehaltlose Notlösung schaffe neue Beunruhigung. Das deutsche Volk beanspruche keine Sonderrechte für sich. Es wolle kein Vorrecht, das einem anderen Volke nicht gewährt werde. Aber auf Grund seiner Geschichte und seiner Selbstachtung sei auch das deutsche Volk nicht gewillt, weiterhin Bevormundungen über sich ergehen zu lassen, die jeder andere, seiner Würde bewußte Staat, mit Entrüstung zurückweisen würde.

Über den Macdonaldplan äußerte Neurath, daß die Herabsetzung der Heeresstärken dem Hooverplane entspreche, aber nicht genüge. Unklar sei die Stellung der militärischen Verbände. Unmöglich sei es für Deutschland, daß die Staaten, die keine Luftflotte besitzen, auch in Zukunft keine haben sollten.

Die anderen Völker konnten seit Wochen nicht mehr darüber im Zweifel sein, daß die Regierung Adolf Hitlers, nachdem die Regierungen Papens und Schleichers die Gleichberechtigung erkämpft hatten, nun auch fest und unerschütterlich die praktische Durchführung ihrer Rechte forderten und von dieser Forderung keinen Schritt abwichen. Die Zeiten der konzilianten Liebenswürdigkeiten und faulen Kompromisse waren vorüber, und diese Erkenntnis lastete schwer auf Frankreich und England. Die Franzosen fühlten sich derart in die Enge getrieben, daß sie keinen anderen Ausweg fanden, als mit dem Gedanken des Krieges zu spielen, und die Engländer versuchten ernstlich, eine Vermittlung zwischen den kontinentalen Gegensätzen zu betreiben. Deshalb hatten Macdonald und Simson die Reise nach Paris und Genf unternommen und begaben sich nun nach Rom, wo sie am 18. März eintrafen.

  Macdonald und Mussolini  

In England vermutete man, daß die Zusammenkunft Macdonalds mit Mussolini den Zweck verfolge, ein Zusammengehen Englands, Frankreichs und Italiens herbeizuführen, um dadurch einen Druck auf Deutschland auszuüben. In Frankreich argwöhnte man, daß aus den römischen Besprechungen ein englisch-italischer Plan auf Vertragsrevision hervorgehen werde.

[252] Das Ergebnis der Romreise, um dies vorwegzunehmen, war, daß die Initiative in der Fortentwicklung der europäischen Dinge von England auf Italien überging. Mussolini erklärte Macdonald, daß dessen Abrüstungsvorschlag eine geeignete Verhandlungsgrundlage bilde, insbesondere, weil er konkrete Ziffern enthalte. Dann aber überzeugte Mussolini den englischen Premierminister davon, daß es nicht den Tatsachen entspreche, wenn man in der deutschen Umwälzung eine Gefahr für den Frieden Europas sehen wolle. Schließlich aber lehnte Mussolini den Gedanken Macdonalds einer englisch-französisch-italischen Zusammenarbeit ab, denn Deutschland habe Anspruch, als gleichberechtigter Partner zu allen Verhandlungen hinzugezogen zu werden.

Mussolinis
  Viermächtepakt  

Darauf unterbreitete Mussolini den Engländern einen "politischen Pakt der Entente und Zusammenarbeit zwischen den vier Westmächten", eine Art erweiterten Locarnopaktes, der England, Frankreich, Italien und Deutschland umfassen solle. Der Vertragsentwurf, der übrigens auf einer von Mussolini bereits im Herbst 1932 geäußerten Idee beruhte und dem deutschen Botschafter von Hassell und dem französischen Botschafter de Jouvenel vorher vorgelegt worden war, erkannte alle bestehenden Vertragsverpflichtungen einschließlich Locarnopakt, Kelloggpakt und Erklärung der Nichtanwendung von Gewalt, erneut an, ohne England neue Verpflichtungen aufzuerlegen. Weiter schlug er einen fünfjährigen Rüstungs- und politischen Waffenstillstand vor, und schließlich sah er mit Rücksicht auf Frankreich eine Revision der Friedensverträge nur durch den Völkerbund vor. Es war bei dieser Revision zunächst an die Straf- und Minderwertigkeitsbestimmungen des Versailler Vertrages, dann aber auch an den westpreußischen Korridor gedacht.

Um diesen Pakt in Gang zu setzen, entwickelte Mussolini den Plan einer Viermächtekonferenz in Rom, deren Aufgabe es sein müsse, die Kriegsbefürchtungen zu zerstreuen und damit das Werk der Abrüstungskonferenz zu erleichtern. Dieser Plan gab der internationalen Politik eine überraschende Wendung. In die mit Hochspannung geladenen, völlig zerfahrenen machtpolitischen Strömungen, die in tiefen Gegensätzen aufeinander- [253] prallten, trat plötzlich wieder der Gedanke der Einigung und Einheit. Und so geschah es, daß in dem Augenblicke, da Hitler durch die Eröffnung des Reichstages die Wende des deutschen Schicksals aller Welt vor Augen führte, sich der Schwerpunkt der internationalen Politik von Genf nach Rom verlegte, ein Vorgang, der die Stellung der Hitlerregierung im Auslande stark festigen mußte.

Auf der Rückreise von London hatten Macdonald und Simon in Paris eine Unterredung mit den französischen Staatsmännern, die nach einigem Widerstreben sich bereit erklärten, in eine Erörterung des Mussolinipaktes eintreten zu wollen.

Am gleichen Tage, dem 21. März, wurde auch in Washington ein Plan bekanntgegeben, dessen Ziel ein europäisches Abrüstungsabkommen war. Der Plan, den Norman Davis nach Europa mitnehmen sollte und der die volle deutsche Gleichberechtigung anerkannte, hatte vier Punkte:

1. Die Vereinigten Staaten sind für eine Mitarbeit am Mussoliniplan. Sie treten darüber hinaus ein für ein Abkommen, das auf die Dauer von 10 Jahren in Europa den Gewaltverzicht festlegt.

2. Die Bestrebungen der europäischen Länder bezüglich eines endgültigen Abkommens über die Landrüstungen werden im Interesse der Erhöhung des gegenseitigen Vertrauens gebilligt.

3. Amerika bietet seine Mitarbeit bei der Aufstellung der Ziffern für ein derartiges Übereinkommen an.

4. Die Regierung der Vereinigten Staaten tritt dafür ein, alle europäischen Länder in den Mussolinipakt aufzunehmen.

Der Mussoliniplan war in den Vordergrund des internationalen Interesses getreten. Um ihn ungestört erörtern und zum Erfolge führen zu können, wurde die Abrüstungskonferenz in der letzten Märzwoche auf 5 Wochen bis Ende April vertagt.



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra