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[Bd. 7 S. 372]

21. Kapitel: Deutschland und die anderen Mächte.

Weite Kreise des Auslandes sahen in den Nationalsozialisten revanchelüsterne Nationalisten, Chauvinisten, die nichts anderes im Sinne hatten, als aus irgendeinem Grunde einen Nachbar zu überfallen, Krieg anzuzetteln und die Welt in Unruhe zu stürzen. Aber eine solche Anschauung war ein Irrtum. Immer wieder betonten Adolf Hitler und seine Mitarbeiter, daß sie den Frieden wollten, denn ihr Aufbauwerk sei nur möglich, wenn das deutsche Volk Frieden habe. Deutschland wolle in guter Freundschaft mit den andern Völkern zusammenarbeiten.

Aus diesem Grunde hatte die Regierung Adolf Hitlers zwei Absichten: den Zustand im Osten nicht zu stören, dort keine neuen Spannungen aufkommen zu lassen, sondern die vorhandenen zu beseitigen, und im Westen eine Einigung mit den Großmächten zu finden auf der Grundlage der Gleichberechtigung in bezug auf Sicherheit und Abrüstung.

  Rußland  

Die starke antikommunistische Energie der deutschen Regierung mußte zu einem Gegensatz zu Sowjetrußland führen. Die Regierungen Preußens und Hamburgs ließen sogar bei der russischen Handelsvertretung und der Deutsch-russischen Ölprodukte-Vertriebsgesellschaft Haussuchungen vornehmen im Rahmen ihrer gegen den Kommunismus gerichteten Tätigkeit. Es wurden auch 20 deutsche Angestellte in Haft genommen, da sie unter dem Deckmantel wirtschaftlicher Interessen eine weitverzweigte kommunistische staatsfeindliche Betätigung getrieben hatten. Diese Vorgänge riefen selbstverständlich in Moskau hellodernde Empörung hervor, aber die Moskauer Staatsmänner zerschnitten nicht den Draht nach Berlin, ebensowenig wie Hitler ein Interesse daran hatte, die Beziehungen mit Rußland abzubrechen. So wurde denn Anfang Mai der Berliner Vertrag vom 24. April 1926, der sich seinerseits auf den Rapallovertrag von 1922 gründet, verlängert. Damit bewies die deutsche Regierung ihren Willen, das alte Verhältnis zu Rußland nicht zu ändern.

[373] Allerdings wurde das Sowjetreich in den Frühjahrsmonaten 1933 stark in die polnisch-französische Interessensphäre hineingezogen, und es blieb eine Kluft zwischen Deutschland und Rußland, die nicht völlig beseitigt werden konnte. Im russisch-polnisch-französischen Pakt Sommer 1933 ging Rußland sogar Verpflichtungen gegen Deutschland ein. Als im Prozeß gegen die Reichstagsbrandstifter Ende September zwei russische Journalisten wegen tendenziös deutschfeindlicher Berichterstattung aus dem Gerichtsgebäude entfernt werden mußten, beantwortete Moskau diesen Schritt mit der Ausweisung aller reichsdeutschen Journalisten. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland waren – das sieht man aus alledem – wie bisher: ein Schwebezustand ohne innere Festigkeit.

  Polen  

Polen bewies von Anfang an der neuen deutschen Regierung gegenüber eine feindselige Haltung. Mitte April wurden an der schlesischen Grenze bewaffnete Insurgententrupps zu Felddienstübungen zusammengezogen. In Kattowitz forderten die Insurgenten Ausweisung sämtlicher Reichsdeutschen. Die jüdische Greuelhetze trieb in Polen üppige Blüten. Die polnischen Gewerkschaften der Regierungsrichtung forderten die "Einheitsfront zum Kampfe gegen alles Deutsche". Die polnische Regierung befürchtete, daß Hitler die Revisionsfrage aufrollen, den Korridor zurückfordern werde. Aber, so verlautete aus den Kreisen der Regierung, Polen werde mit Kanonenfeuer antworten!

Anfang Mai führte die deutsche Regierung auch mit Polen eine Entspannung herbei, indem sie den polnischen Staatsmännern erklärte, sie werde sich streng im Rahmen der bestehenden Verträge und Vereinbarungen halten. Adolf Hitler ging also auch den Polen gegenüber ebensowenig wie Rußland gegenüber über den bestehenden Vertragszustand hinaus, sondern bekannte sich zu dem, was war. So blieb auch in der polnischen Seele ein kräftiger Stachel zurück, da das von Polen seit Jahren heiß begehrte "Ostlocarno" von Deutschland nicht gewährt wurde, um so mehr, als Polen trotz eifrigster Bemühungen Frankreichs nicht in Mussolinis Viermächtepakt aufgenommen wurde.

[374] Mit Lettland kam es Anfang Juni zum Handelskrieg. Das Zentralkomitee der lettländischen Sozialdemokraten sowie ein Komitee jüdischer Organisationen beschlossen, den allgemeinen Boykott über deutsche Waren zu verhängen, und die lettische Regierung ließ, entgegen ihrer früher gegebenen Zusage, diese Boykottaufforderung zu. Die Reichsregierung beantwortete diesen Vorgang mit einer Sperre der Buttereinfuhr aus Lettland vom 12. Juni ab, was den Letten recht überraschend und unangenehm war. Die Angelegenheit wurde durch Verhandlungen beigelegt.

Sozialdemokraten und Juden – das waren die bösen Geister, die überall im Ausland gegen Deutschland zu hetzen versuchten. Nicht nur in Lettland, sondern auch in der ohnehin übelgesinnten Tschechoslowakei und auch in Schweden säten die Marxisten Haß. Der marxistische schwedische Handelsminister Friedjof Ekmann erging sich bei einer Demonstration am 1. Mai in unerhörten Angriffen gegen Hitler und Göring.

  Österreich  

In Österreich waren es die Christlich-Sozialen, die im Bunde mit der Bayrischen Volkspartei und einer Richtung des deutschen Zentrums einen planmäßigen Ausrottungskampf gegen die Nationalsozialisten führten. Infolge der von der Regierung Dollfuß gegen die Anhänger Hitlers ergriffenen Maßnahmen sah sich die deutsche Regierung Ende Mai gezwungen, die Beziehungen zu Österreich insofern abzubrechen, als sie vom 1. Juni ab für jeden nach Österreich Reisenden eine Gebühr von 1000 Mark erhob. Damit war der Reiseverkehr von Deutschland nach Österreich unterbunden, woraus sich für das österreichische Wirtschaftsleben schwere Schädigungen ergaben.

Nun entwickelten sich in der Folgezeit die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich so, daß der immer stärker werdende Dollfußterror gegen die Nationalsozialisten von der deutschen Regierung und der N.S.D.A.P. durch eine zielbewußte Aufklärungspropaganda bekämpft werden mußte. Im deutschen Rundfunk wurden Vorträge gehalten, die das System Dollfuß angriffen, Flugzeuge warfen über österreichischem Gebiete Flugblätter ab, welche gegen die Regierung Dollfuß gerichtet waren. Diese Vorgänge nahmen die französische und eng- [375] lische Regierung nach vorhergehender großer Ankündigung in der Presse zum Anlaß, am 7. August Schritte in Berlin zu unternehmen: es wurden zwei identische Noten überreicht, worin gesagt wurde, daß die beanstandeten Vorgänge nicht dem "internationalen Brauch", nicht den bestehenden Verträgen und auch nicht dem Viermächtepakt entsprächen. Italien hatte sich diesem Schritte ausdrücklich nicht angeschlossen, und ebenso war es Frankreich nicht gelungen, Polen und die Tschechoslowakei zu einem gleichen Vorgehen in Berlin zu bewegen. Der französisch-englische Einspruch, der nur das Ziel hatte, die österreichische Regierung im Ausland und bei ihren eigenen Landsleuten zu stärken, war ein Schlag ins Wasser, denn die deutsche

  Ungarn  

Regierung verbat sich sehr entschieden jede Einmischung in ihre Auseinandersetzung mit Österreich. – Dagegen bestanden zwischen Ungarn und Deutschland freundschaftliche Beziehungen, die sich im Besuche des ungarischen Ministerpräsidenten Gömbös Mitte Juni in Deutschland und in der Ungarnfahrt der deutschen Hitlerjugend im August kundtaten.

War die Stellung des neuen Deutschland zu den Mächten des östlichen Europa im allgemeinen keine allzuherzliche – die Schuld an diesen Dingen traf, wie wir sahen, nicht Deutschland, das überall den Versuch zur Entspannung machte, aber durch das Verhalten der andern zur Abwehr gezwungen wurde –, so war sein Verhältnis zu den westeuropäischen Großmächten nicht minder problematisch.

  Italien  

Herzliche Freundschaft verband das neue Deutschland nur mit Mussolini, dem faschistischen Führer Italiens. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien waren besonders eng, wie man sie seit 1914 nicht mehr in Deutschland kannte. Mussolini sandte nicht nur eine Abordnung der faschistischen Jugend nach Berlin, wo sie von Adolf Hitler und dem ganzen deutschen Volke mit großer Begeisterung empfangen wurde, sondern führte auch mit Deutschland einen sehr bedeutenden international-politischen Schritt durch. Er hatte bekanntlich Ende März einen Viermächtepakt ausgearbeitet, der die Grundlage einer Einigung zwischen Deutschland und den westeuropäischen [376] Großmächten bilden sollte. Der Vertragsentwurf hatte folgenden

  Mussolinis Viermächtepakt  

Wortlaut:

Artikel 1. Die vier westeuropäischen Mächte, Deutschland, Frankreich, England und Italien, verpflichten sich, unter sich eine wahre Politik der Zusammenarbeit zwecks Aufrechterhaltung des Friedens im Geiste des Kellogpaktes und des Nichtangriffspaktes zu verwirklichen und auf dem Gebiet der europäischen Beziehungen so zu handeln, daß diese Friedenspolitik im nötigen Falle auch von den anderen Mächten verfolgt wird.

Artikel 2. Die vier Mächte bestätigen den Grundsatz der Revision der Friedensverträge – unter Zugrundelegung der Klauseln des Völkerbundspaktes – für den Fall, daß eine Lage entstehen sollte, die geeignet ist, einen Streitfall zwischen den Staaten herbeizuführen. Sie erklären gleichzeitig, daß diese Revision nur im Rahmen des Völkerbundspaktes und im Geiste gegenseitiger Verständigung und der Solidarität der gegenseitigen Interessen stattfinden kann.

Artikel 3. Frankreich, England und Italien erklären, daß die Gleichberechtigung, die Deutschland zuerkannt worden ist, sich praktisch auswirken müsse, falls die Abrüstungsverhandlungen nur zu Teilergebnissen führen sollten. Deutschland verpflichtet sich seinerseits, diese Gleichberechtigung nur in dem Maße zu verwirklichen, wie sie nach Verständigung auf diplomatischem Wege zwischen den vier Mächten nach und nach festgesetzt wird. Die vier Mächte verpflichten sich, sich in derselben Weise über Österreich, Ungarn und Bulgarien zu einigen.

Artikel 4. In allen politischen oder unpolitischen europäischen oder außereuropäischen Fragen, ebenso wie auf dem Gebiete der Kolonialpolitik verpflichten sich die vier Mächte, nach Möglichkeit eine übereinstimmende Haltung einzunehmen.

Artikel 5. Dieses Abkommen politischer Verständigung und Zusammenarbeit, das – wenn nötig – den Parlamenten in einem Zeitraum von 3 Monaten zur Annahme unterbreitet werden wird, hat eine Gültigkeitsdauer von 10 Jahren und wird automatisch um die gleiche Zeitspanne verlängert, [377] falls nicht eine der Mächte ein Jahr vor seinem Ablauf die Kündigung beantragt.

Artikel 6. Das Abkommen wird vom Sekretariat des Völkerbundes eingetragen.

Natürlich konnte sich Frankreich mit einem solchen Pakt nicht einverstanden erklären und begann sofort in London dagegen zu intrigieren. Vor allem kam es den Franzosen darauf an, zunächst ihre Sicherheit in den Pakt hineinzubringen und dann auch ihn auszudehnen auf die kleine Entente und Polen. Das Ränkespiel von Locarno 1925 wiederholte sich. Allerdings war der Große Faschistische Rat, Italiens höchstes verfassungsmäßiges Organ, einer solchen Verwässerung und Verfälschung des Mussoliniplanes keineswegs geneigt. Allen derartigen Versuchen, die von Paris oder Bukarest oder sonst woher kamen, wollte man sich energisch widersetzen.

Am 10. April trafen Göring und Papen in Rom ein. Die Mission Görings bestand in einer politischen Aussprache mit Mussolini, während Papen mit dem Kardinalstaatssekretär Pacelli die Verhandlungen über das Reichskonkordat einleitete. Insbesondere erwogen Göring, Mussolini und Balbo, der italische Luftfahrtminister, die Einrichtung einer direkten Flugverbindung zwischen Rom und Berlin, um die Beziehungen zwischen beiden Ländern umso inniger zu gestalten. Das politische Ergebnis der deutsch-italischen Besprechungen kann man in einem Aufsatz Mussolinis vom 12. April sehen, worin er folgendes ausführte:

Es sei gänzlich verfehlt, wenn man plötzlich die kleine Entente als fünfte Großmacht Europas hinstelle, um sie in den Viererpakt hineinzuziehen. Den Staaten der kleinen Entente fehle jegliche Voraussetzung für eine Großmacht. Auch die Bildung einer Zolleinheit unter ihnen sei gänzlich unmöglich. Der Versailler Vertrag sei ein unvollkommenes Menschenwerk und müsse revidiert werden. Damit tue man dem Frieden einen großen und starken Dienst, man vermeide die universelle Katastrophe eines neuen Krieges. Darum müsse der Völkerbund die Revision beschleunigen. Wer die Revision verweigere, stehe außerhalb des Geistes des Völkerbundes, der nicht zum einfachen Wächter der Verträge von 1919 degradiert werden [378] dürfe, sondern der berufen werden müsse zu der hohen Aufgabe, Garant des Friedens unter den Völkern zu sein. Wenn der Völkerbund nicht wage, dieses Problem anzugreifen, dann sei sein Schicksal besiegelt.

Allerdings zögerten die französischen Quertreibereien, die sich vor allem gegen die Revisionsmöglichkeiten richteten, die endgültige Annahme des Viermächtepaktes immer weiter hinaus. Um die von Mussolini angekündigte Revisionspolitik zu vereiteln, schloß die französische Regierung Ende April mit Polen und den Staaten der kleinen Entente einen Vertrag gegen die Revision der Friedensverträge. Ende Mai weilte Minister Göbbels in Rom und unterrichtete sich von dem Stande der Dinge. Anfang Juni konnte die Unterzeichnung des textlich bereits abgeänderten Paktes geschehen, auch Deutschland hatte bereits seine Zustimmung zu dem neuen Wortlaut gegeben, aus dem bereits der Revisionsartikel verschwunden war. Jedoch als der Pakt bereits fertig vorlag, holten die Franzosen, denen die Engländer in den letzten Tagen heftig und dringend zugesetzt hatten, sich zu Zugeständnissen zu bequemen, in den Schlußverhandlungen plötzlich wieder alte und längst erledigte Vorschläge vor, so daß die Unterzeichnung nicht stattfinden konnte. Sie stimmten nicht mit Artikel 3 überein. Italien und England wollten durch eine Kompromißformel den Grundsatz der abschnittweisen Gleichberechtigung Deutschlands in Anwendung bringen. Frankreich erhob Einwendungen, weil es bis zur Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung 5 bis 10 Jahre verstreichen lassen wollte. Italien und England aber konnten sich nicht entschließen, Deutschland den französischen Vorschlag zur Annahme zu empfehlen. Besondere Schwierigkeiten entstanden über die Bedeutung der Einbeziehung des Sanktionsartikels 16 in den Viermächtepakt. Frankreich verlangte, durch die lauten und heftigen Proteste Polens gedrängt, daß in einem deutsch-polnischen Konflikt sich England zum Kampf und zur Blockade gegen Deutschland verpflichte, auch sollte England in keine Erörterungen über Grenzrevisionen eintreten. Der englische Außenminister Simon aber erklärte, daß England [379] außer den bereits bestehenden keine neuen Verpflichtungen übernehmen werde.

Zu Pfingsten ließ Daladier in Rom seinen Paktentwurf überreichen, der sich durch drei Punkte auszeichnete: die Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung wurde ignoriert, die Möglichkeit einer Revision der Friedensverträge blieb ausgeschaltet und die kleine Entente wurde als Trabant Frankreichs in das Abkommen der vier Großmächte eingeschaltet. Der französische Sicherheitskomplex mit Artikel 16 wurde geschickt hineinoperiert.

Und so geschah es denn, daß am Abend des 7. Juni Mussolini und die Botschafter Deutschlands, Englands und Frankreichs in Rom einen durchaus verwässerten, den französischen Forderungen weit entgegenkommenden Viermächtepakt unterzeichneten, in dem von dem ursprünglichen Mussolinipakt kaum noch etwas übrig blieb.

Er hatte folgenden Wortlaut:

      Der Deutsche Reichspräsident, der Präsident der französischen Republik, Seine Majestät der König von Großbritannien, Irland und der britischen überseeischen Gebiete, Kaiser von Indien, und Seine Majestät der König von Italien, im Bewußtsein der besonderen Verantwortung, die ihnen die Tatsache ihrer ständigen Vertretung im Völkerbundsrat gegenüber dem Völkerbund selbst und seinen Mitgliedern auferlegt, und die sich aus ihrer gemeinsamen Unterzeichnung der Abmachungen von Locarno ergibt;
      in der Überzeugung, daß der Zustand des Unbehagens, in dem sich die Welt befindet, nur durch eine Verstärkung ihrer Solidarität beseitigt werden kann, die geeignet ist, in Europa das Vertrauen auf den Frieden zu festigen;
      getreu den Verpflichtungen, die sie durch die Völkerbundssatzung, die Verträge von Locarno und den Briand-Kellogg-Pakt übernommen haben, und Bezug nehmend auf die Erklärung über die Nichtanwendung von Gewalt, die als Grundsatz in der in Genf am 11. Dezember 1932 von ihren Bevollmächtigten auf der Abrüstungskonferenz unterzeichneten Erklärung verkündet und am 2. März 1933 von der Politischen Kommission dieser Konferenz angenommen worden ist;
[380]     in dem Bestreben, allen Bestimmungen der Völkerbundssatzung ihre volle Wirksamkeit zu verleihen unter Beachtung der Methoden und Verfahrensarten, die darin vorgesehen sind, und denen sie nicht zuwiderhandeln wollen;
      unter Achtung der Rechte eines jeden Staates, über die nicht ohne Mitwirkung des Beteiligten verfügt werden kann;
      sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag zu schließen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt: – – –
      die, nachdem sie ihre Vollmachten ausgetauscht und in guter und gehöriger Form befunden haben,
      folgende Bestimmungen vereinbart haben:
      Artikel 1. Die Hohen vertragschließenden Teile werden sich über alle Fragen, die sie angehen, ins Einvernehmen setzen. Sie verpflichten sich, alle Anstrengungen zu machen, um im Rahmen des Völkerbundes eine Politik wirksamer Zusammenarbeit zwischen allen Mächten zur Erhaltung des Friedens zur Anwendung zu bringen.
      Artikel 2. In Ansehung der Völkerbundssatzung, insbesondere ihrer Artikel 10, 16 und 19, beschließen die Hohen vertragsschließenden Teile, unter sich und unter Vorbehalt der nur durch die ordentlichen Organe des Völkerbundes zu treffenden Entscheidungen alle Vorschläge hinsichtlich der Methoden und Verfahrensarten zu prüfen, die geeignet sind, diesen Artikeln gehörige Wirksamkeit zu verleihen.
      Artikel 3. Die Hohen vertragsschließenden Teile verpflichten sich, alle Anstrengungen zu machen, um den Erfolg der Abrüstungskonferenz sicher zu stellen; sie behalten sich vor, falls Fragen, die sie besonders betreffen, bei Beendigung der Konferenz offen geblieben sein sollten, deren Prüfung in Anwendung dieses Vertrages unter sich wieder aufzunehmen, um sicher zu stellen, daß sie auf geeignetem Wege gelöst werden.
      Artikel 4. Die Hohen vertragsschließenden Teile bestätigen ihre Absicht, sich im Hinblick auf eine im Rahmen des Völkerbundes anzustrebende Lösung über alle Fragen wirtschaftlicher Art ins Einvernehmen zu setzen, die für Europa, [381] insbesondere für seinen wirtschaftlichen Wiederaufbau, von gemeinsamem Interesse sind.
      Artikel 5. Dieser Vertrag wird für eine Dauer von 10 Jahren, gerechnet von seinem Inkrafttreten an, abgeschlossen. Wenn keiner der Hohen vertragsschließenden Teile dem anderen vor Ablauf des 8. Jahres seine Absicht mitteilt, den Vertrag zu beendigen, gilt er als erneuert und bleibt ohne zeitliche Befristung in Kraft, wobei jeder der Hohen vertragsschließenden Teile die Befugnis hat, den Vertrag durch eine zu diesem Zwecke mit einer Frist von 2 Jahren abzugebende Erklärung zu beendigen.
      Artikel 6. Dieser Vertrag, der in deutscher, englischer, französischer und italischer Sprache abgefaßt ist, wobei im Falle von Abweichungen der französische Wortlaut maßgebend ist, soll ratifiziert, und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Rom niedergelegt werden. Die Königlich italische Regierung wird jedem der Hohen vertragsschließenden Teile eine beglaubigte Abschrift der Protokolle über die Niederlegung übersenden. Dieser Vertrag tritt in Kraft, sobald alle Ratifikationsurkunden niedergelegt worden sind.
      Er soll im Sekretariat des Völkerbundes gemäß den Bestimmungen der Völkerbundssatzung eingetragen werden.
      Geschehen in Rom am ..... in einem Exemplar, das im Archiv der Königlich-italischen Regierung niedergelegt bleibt und von dem jedem der Hohen vertragsschließenden Teile eine beglaubigte Abschrift übersandt werden wird.
      Zu Urkund dessen haben die genannten Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet.

Dieser Pakt, von dessen ursprünglicher Gestalt kaum noch etwas übrig geblieben war, stellte eine große Enttäuschung dar; er schadete zwar Deutschland nicht, brachte ihm aber auch keinen Nutzen, keine Aussicht auf Revision des Versailler Vertrages. Frankreich triumphierte: Der Viererpakt sei "unschädlich". Ihm war es gelungen, die Artikel 2 und 3 in seinem Sinn zu fassen. Um seine aufrichtige Friedensliebe zu beweisen, verstand sich Hitler zur Unterzeichnung. Die Bedeutung des Paktes könnte vielleicht in zwei Punkten liegen: erstens ging die Führung der europäischen Politik "im Rahmen des Völker- [382] bundes" auf die vier Großmächte über. Es war ein Schritt aus dem schrankenlosen überstaatlichen Liberalismus zum internationalen Führerprinzip hin; zweitens verpflichteten sich diese Großmächte, selbst die Abrüstungsfrage unter sich weiter zu erledigen, wenn die Abrüstungskonferenz scheitern sollte. – Diese beiden Grundgedanken Mussolinis wurden wenigstens gewahrt. Vor allem aber bestand der moralische Wert des Paktes in der weiteren Festigung der Freundschaft zwischen Deutschland und Italien, und der Duce erkannte es an, daß die Regierung Hitler trotz der Abschwächung der für sie günstigen Artikel dennoch zur Annahme des neuen Textes sich bereit gefunden hatte.

Am 15. Juli wurde der Viererpakt endgültig unterzeichnet. Gleichzeitig aber hatte Frankreich zwischen Rußland und Polen einen Geheimvertrag zustande gebracht, in dem sich die drei Mächte verpflichten zur stillen Sabotage des Viererpaktes, falls sich dieser gegen den einen oder anderen der drei wenden könnte. Deutschland soll nach diesem Abkommen vorwiegend wirtschaftlich bekämpft werden. Bei einem polnisch-deutschen Konflikt verpflichtete sich Rußland zu indirekter Unterstützung: Die kommunistische Internationale soll dann im deutschen Hinterlande eingesetzt werden. – Das war Frankreichs unehrliche Apachenmoral, mit der es den "Alpdruck von Rapallo" beseitigte!

  Abrüstungskonferenz  

Die Genfer Abrüstungskonferenz war am 27. März bis zum 25. April vertagt worden, nachdem mit 44 Stimmen Beneschs Antrag angenommen worden war, den englischen Abrüstungsplan als Grundlage für weitere Verhandlungen unter Vorbehalt von Zusatz- und Abänderungsanträgen zu erklären. Nadolny hatte den Plan Macdonalds als Einleitung der entscheidenden Phase bezeichnet, er habe zwar noch gewisse Lücken und erfasse auch Deutschlands Gleichberechtigung noch nicht genügend, aber er setze doch schon für die Bemessung der Rüstungen positive Zahlen fest und könne also als Diskussionsgrundlage betrachtet werden. Nadolny wies auf den Friedenswillen des Reiches hin, den der Kanzler in seiner Rede vom 21. März zum Ausdruck gebracht habe und fuhr fort, daß Deutschland zur Mitarbeit an der Herbeiführung eines dauer- [383] haften Friedens durchaus bereit sei, aber Garantie für einen dauernden Frieden seien gleiches Recht und gleiche Sicherheit.

Die fünfwöchige Pause wurde durch zwei üble Zwischenspiele in Paris und London ausgefüllt. Nachdem man sich am 6. April in der französischen Kammer weidlich über die Greuelmärchen und Judenverfolgungen in Deutschland empört hatte, drohte Paul Boncour, daß, da die Einstellung nationalsozialistischer Hilfspolizei gegen die Verträge verstoße, Frankreich die geeigneten Schritte ergreifen werde, um eine Wiederaufrüstung Deutschlands zu verhindern. Die Presse hetzte zum Präventivkrieg und brachte das Volk in eine derartige Siedehitze, daß es sich zu Beschimpfungen und Angriffen auf deutsche Reisende, so in Lille, hinreißen ließ. Genau eine Woche später verbreitete sich der franzosenfreundliche Austen Chamberlain im englischen Unterhaus: Der neue Geist Deutschlands sei die übelste Art des alten Preußentums, verbunden mit Grausamkeit und Nationalstolz. Dem heutigen Deutschland könne man keine Zugeständnisse machen und auch nicht Gleichberechtigung gewähren. Bevor man abrüsten könne oder andere zur Abrüstung ermutigen könne, müsse man ein Deutschland sehen, das den Frieden wolle, ein Deutschland, das nicht nur gelernt habe, selbst zu leben, sondern auch andere leben zu lassen, nicht nur innerhalb des Landes, sondern auch außerhalb. Churchill lügte hinzu, Deutschland dürfe für beträchtliche Zeit keine Rüstungsgleichheit erhalten, und behauptete, Frankreich sei der Beschützer der kleinen Staaten von Belgien bis Jugoslawien gegen die "teutonische Zentrale Europas".

Der englische Außenminister, Sir John Simon, meinte sodann, die Unterhausdebatte habe die tiefe, allgemeine Stimmung ausgedrückt, die in England wegen der Behandlung von Juden und anderen Minderheiten durch Deutschland empfunden werde! – Juden und Marxisten hatten die Stimmung des Auslandes gegen Deutschland seit Anfang April durch eine systematische Greuelhetze sehr verschlimmert, und die Abrüstungskonferenz war der geeignete Ort, an dem sich die Feindseligkeiten der anderen auf Deutschland ent- [384] laden konnten. Hier setzte seit Ende April ein planmäßig und groß angelegter Angriff auf Deutschland ein.

Frankreich frohlockte über die deutschfeindliche Strömung, die in England zu erstarken begann. Es war eine Stärkung der französischen Politik, die auch noch durch die Erfolge Herriots in Amerika vermehrt wurde. Am 27. April hatte sich Herriot mit Roosevelt dahin geeinigt, daß sich Amerika an einer dauernden und automatischen internationalen Rüstungskontrolle beteiligte und daß Amerika sich dagegen aussprach, gewissen Ländern, d. h. vor allem Deutschland, die Möglichkeit zur Anschaffung gewisser verbotener Waffengattungen zu geben.

Am 25. April begannen die Genfer Verhandlungen von neuem. Deutschland hatte den Macdonaldplan als Verhandlungsgrundlage angenommen, verlangte aber darüber hinaus die Herstellung des im Völkerbundspakt vorgeschriebenen Zustandes, d. h. die Begrenzung der Rüstungen aller Staaten auf das Maß, das zum Schutz ihrer nationalen Sicherheit notwendig sei. Italien nahm den Macdonaldplan ohne Abänderungsanträge an. Frankreich war von vornherein zur Sabotage entschlossen: "Abrüsten – niemals!" Polen forderte Garantie der bestehenden internationalen Verträge. –

Zunächst wurden die Verhandlungen über die Sicherheit im Macdonaldplan zurückgestellt, weil Norman Davis im Auftrage seiner Regierung erklärte, Amerika lehne die endgültige Stellungnahme zu den sicherheitspolitischen Fragen bis zur Entscheidung über die materiellen Abrüstungsmaßnahmen ab. Und dies war jetzt der Punkt, wo der konzentrische Angriff auf Deutschland erfolgte. Die Großmächte schlossen sich zu einer engen Front zusammen, um Deutschland zu isolieren und sein Nachgeben in den entscheidenden Punkten der Abrüstungsverhandlungen zu erzwingen.

Den Auftakt bildete der Beschluß des Effektivausschusses vom 1. Mai, die deutsche Bereitschaftspolizei in Stärke von 38 000 bei der Festsetzung der künftigen deutschen Heeresstärke anzurechnen. Sogar der Amerikaner Oberst Strong bezeichnete diesen Beschluß als eine einseitige, ungerechte Methode, aber ein englischer Kompromißvorschlag, [385] der nur 20 000 Mann der Bereitschaftspolizei auf die deutsche Militärstärke anrechnen wollte, und die Zustimmung Deutschlands fand, wurde von Frankreich und Polen abgelehnt.

  Wachsende Gegensätze  

Während Nadolny zunächst die Durchsprechung des Macdonaldplanes im ganzen forderte, ehe man die einzelnen Punkte behandeln wolle, verlangten am 8. Mai die Vertreter Englands, Frankreichs und Amerikas die sofortige Entscheidung über die Vereinheitlichung der europäischen Kontinentalheere. Jeder Einspruch Deutschlands wurde als Sabotage gebrandmarkt. Eine Entscheidung aber würde ein Todesurteil über die deutsche Reichswehr bedeuten.

Drei Tage später entschied der Effektivausschuß, daß die im Reichskuratorium für Jugendertüchtigung zusammengeschlossenen Verbände einschließlich Stahlhelm, S.A. und S.S. – Frankreich bezifferte sie auf eine Million – als Verbände militärischen Charakters anzusehen seien. Der Einspruch Deutschlands wurde schroff zurückgewiesen. Immer skrupelloser verbreiteten Engländer und Franzosen unter entstellendem Hinweis auf Deutschlands gerechten Widerstand die Behauptung, Deutschland wolle mit brutaler Rücksichtslosigkeit den Zusammenbruch der Konferenz herbeiführen, um sofort wieder aufrüsten zu können. Der deutsche Widerstand gegen die Vereinheitlichung der Armeen sei lediglich ein Scheinmanöver, um die wahren deutschen Sabotageabsichten zu verschleiern. In Wahrheit hatten Frankreich, Polen und England die Absicht, die ihnen unangenehm werdende Konferenz zu sprengen, die Schuld dafür aber sollte Deutschland aufgeladen werden.

Die Dinge trieben unaufhaltsam auf eine Katastrophe, einen Krieg zu. In Frankreich wurde tapfer gehetzt und gerüstet.

Die seit Monaten in Paris ausgearbeiteten bösen Pläne einer neuen Besetzung der Ruhr und der Zerstörung der dortigen Fabriken nahmen feste Formen an. Der französische Generalstab erteilte bereits an die Offiziere Anweisungen, welche Industrieanlagen und Maschinen im Ruhrgebiet vernichtet werden sollten, um auf ein Menschenalter hinaus dort jede industrielle Tätigkeit unmöglich zu machen! Die Begründung für diese unerhörten Sanktions-Absichten bestand darin, daß [386] Deutschland seine Zinsverpflichtungen aus dem Youngplan nicht erfüllt habe, und außerdem "militärische Formationen" innerhalb der entmilitarisierten Zone "nahe der französischen Grenze" erschienen seien. Alle Möglichkeiten eines Präventivkrieges wurden in Frankreich erwogen.

In England war es nicht anders. Anfang Mai hatte sich Alfred Rosenberg, der Hauptschriftleiter des Völkischen Beobachter und Leiter des außenpolitischen Amtes der N.S.D.A.P., nach London begeben und in Unterredungen mit Sir John Simon und dem Kriegsminister Lord Hailsham den deutschen Standpunkt dargelegt; auch mit Norman Davis hatte er eine Zusammenkunft, und der Amerikaner betonte, die Haltung Deutschlands verhindere den notwendigen raschen Abschluß der Abrüstungskonferenz, im übrigen werde sich die amerikanische Regierung jedem deutschen Versuch einer Wiederaufrüstung widersetzen. Rosenberg erwiderte, Deutschland fordere keine Aufrüstung, sondern lediglich die längst überfällige Abrüstung der anderen Mächte, diese müsse erfolgen nach dem Grundsatz der deutschen Gleichberechtigung, dem auch Amerika im Dezember 1932 zugestimmt habe.

Aber auch die besonnenen und ruhigen Ausführungen Rosenbergs vermochten den feindseligen Sinn der Engländer nicht zu ändern. Als er am englischen Gefallenendenkmal einen Kranz mit der Hakenkreuzschleife niederlegte, wurde dieser in die Themse geworfen. Der Kriegsminister Lord Hailsham drohte im Oberhaus am 11. Mai, im Falle eines deutschen Aufrüstungsversuches werde das Rheinland wieder besetzt werden. Auch sei die Wiedereinführung der Militärkontrolle für Deutschland ratsam. Wenn Deutschland die Abrüstungskonferenz zum Scheitern bringe, bleibe es nach wie vor an den Versailler Vertrag gebunden und jeder Versuch, eigenmächtig aufzurüsten, bedeute eine Verletzung dieses Vertrages.

Die politische Atmosphäre Westeuropas war wie im August 1914: Deutschland ist schuld, wenn der Friede Europas gestört wird, und der Schritt zum Kriege war nicht mehr groß. – Lediglich in Amerika bewahrte man kühleres Blut: Die [387] Regierung in Washington dachte mit keiner Silbe an Sanktionen!

Noch einmal vermittelte Henderson in Genf. Am 12. Mai nahm das Präsidium seinen Vorschlag an, am 15. Mai die allgemeine Aussprache über die gesamten Kriegsmaterial- und Effektivfragen und über die Dauer des ersten Abrüstungsabkommens zu beginnen. Das war ein Entgegenkommen gegen Deutschland, welches nach der ganzen Lage der Dinge auch von den Franzosen anerkannt werden mußte. Der unmittelbare Bruch war wenigstens verhütet, die Konferenz hatte aufs neue eine kurze Lebensfrist gewonnen. Aber die Spannung war und blieb vorhanden. Deutschland hatte es gewagt, zum ersten Male nach 15 Jahren, dem unerhörten Druck der Feinde entschlossenen und unnachgiebigen Widerstand entgegenzusetzen. Und dieser Umstand erbitterte die ohnedies von Juden und Marxisten beeinflußten Gegner aufs heftigste.

In dieser Stunde höchster Krisis berief Hitler den Reichstag zum 17. Mai ein. Auf Wunsch der französischen Staatengruppe verschob Henderson nun die für den 15. Mai vorgesehene Aussprache auf den 18. Mai.

Auch der Präsident der Vereinigten Staaten, Roosevelt, griff ein: er kabelte am 16. Mai an 55 Regierungen der Welt eine Friedensbotschaft, in der er als das Endziel der Abrüstungskonferenz die vollständige Ausschaltung aller Angriffswaffen bezeichnete; das unmittelbare Ziel sei die erhebliche Herabsetzung einiger dieser Waffen und die Abschaffung von vielen anderen. Vier Schritte zu diesem Ziele gebe es: Der erste Schritt seien sofortige Maßnahmen im Sinne des Macdonaldplans; der zweite Schritt sei die Einigung über den Zeitpunkt zur Ergreifung des nächsten Schrittes; drittens dürfe während der Zeit des ersten und der folgenden Schritte keine Nation ihre Rüstungen über die Vertragsverpflichtungen hinaus erhöhen, und viertens sollen alle Staaten der Welt einen feierlichen und endgültigen Nichtangriffspakt abschließen: sie sollen feierlich die Verpflichtung wieder bestätigen, die sie zur Begrenzung und Herabsetzung ihrer Rüstungen übernommen haben und einzeln die Erklärung abgeben, keine bewaffnete Macht irgend- [388] welcher Art über ihre Grenze zu schicken. Wenn sich in diesen Punkten eine starke Macht ablehnend verhalte, dann wisse die Welt, wen die Verantwortung treffe. Amerika selbst wollte Treuhänder des Weltfriedens sein.

In Genf atmete man schon beim Bekanntwerden der Rooseveltbotschaft auf: jetzt mußten die Mächte Farbe bekennen! Sie mußten eine weitgehende Einschränkung ihrer Rüstungen auf sich nehmen. In Deutschland begrüßte man Roosevelts Botschaft, denn was sie verkünde, sei ja auch das Ziel der deutschen Regierung. In England war man zurückhaltend, in Frankreich aufs Unangenehmste enttäuscht, denn es war schwer, die Botschaft aus Washington mit den französischen Forderungen in Einklang zu bringen; vor allem aber waren den Franzosen die Hände gebunden in Bezug auf Deutschland.

  Hitlers Friedensrede  

Am 17. Mai hielt dann Adolf Hitler vor dem Reichstag seine große Friedensrede an die Welt. Er schilderte die Gewalttat von Versailles, wonach der Sieger stets im Rechte sei. Er kam auf die Reparationen zu sprechen, deren Ergebnis Millionen-Arbeitslosenheere und hunderttausende von Selbstmördern seien, ging dann auf den inneren Sinn der deutschen Revolution über, der in dreierlei bestehe: Verhinderung des drohenden kommunistischen Umsturzes und Aufbau des einigenden Volksstaates und die Erhaltung des Begriffs "Eigentum" als Grundlage unserer Kultur, sodann Lösung des schwersten sozialen Problems durch die Zurückführung der Millionenarmee der Arbeitslosen in die Produktion und schließlich Wiederherstellung einer stabilen und autoritären Staatsführung, getragen von dem Vertrauen und Willen der Nation, die dieses große Volk endlich wieder der Welt gegenüber vertragsfähig macht. Weiter führte der Kanzler aus, daß das Recht auf Revision im Versailler Vertrage selbst begründet sei, die Welt könne nicht ewig in Sieger und Besiegte zerrissen bleiben. Die Gründe, weshalb Deutschland die Abrüstung fordere, seien eine Forderung der Moral, des Rechts und der Vernunft, die im Friedensvertrage selbst anerkannt sei, und weiterhin, daß die Disqualifizierung eines großen Volkes ihr Ende finden müsse. Deutschland erhebe die Forderung der Gleichberechtigung im Sinne der Abrüstung der anderen Nationen. Es seien armselige Ausreden [389] und Ausflüchte, wenn man behaupte, Deutschland habe die Verträge nicht erfüllt oder gar wieder aufgerüstet. S.A. und Stahlhelm seien ohne jede militärische Ausbildung, ohne jede militärische Ausrüstung und ohne jede finanzielle Unterstützung von seiten des Reiches; ihre Aufgabe sei ausschließlich die Beseitigung der kommunistischen Gefahr. Das abgerüstete Deutschland sei jederzeit bereit, weitere Sicherheitsverpflichtungen internationaler Art auf sich zu nehmen, wenn alle Nationen ihrerseits bereit dazu seien und dies Deutschland zugute komme. Deutschland wäre auch ohne weiteres bereit, seine gesamte militärische Einrichtung überhaupt aufzulösen, wenn die anliegenden Nationen ebenso restlos das gleiche tun würden. In dem englischen Plane sehe die deutsche Regierung eine mögliche Grundlage für die Lösung dieser Fragen, aber sie müsse verlangen, daß ihr nicht die Zerstörung einer vorhandenen Wehreinrichtung aufgezwungen werde ohne die Zubilligung einer zumindest qualitativen Gleichberechtigung. Deutschland müsse fordern, daß eine Umwandlung der heutigen von Deutschland nicht gewollten, sondern erst vom Ausland auferlegten Wehreinrichtung Zug um Zug erfolge im Maße der tatsächlichen Abrüstung der anderen Staaten. Deutschland habe nur den einzigen Wunsch, seine Unabhängigkeit zu wahren und seine Grenzen schützen zu können. Deutschland wolle sich auch einer Kontrolle unterwerfen, wenn alle anderen Staaten das auch tun würden. Der Kanzler begrüßte den Plan Mussolinis, der ein Vertrauensverhältnis zwischen den Großmächten herstellen solle. Die deutsche Regierung wolle das äußerste Entgegenkommen zeigen, sofern auch die anderen Nationen zu einer wirklichen Überwindung etwa entgegenstehender Schwierigkeiten geneigt seien. Auch der Vorschlag des Präsidenten Roosevelt verdiene den wärmsten Dank. Deutschland sei bereit, jedem feierlichen Nichtangriffspakt beizutreten, denn es denke nicht an einen Angriff, sondern nur an seine Sicherheit. Sanktionen aber, von denen jetzt soviel gesprochen wurde, bedeuteten Chaos, und die Verantwortung dafür treffe die, die diese Schritte unternehmen. Es sei denkbar, daß man Deutschland gegen jedes Recht und gegen jede Moral vergewaltige, aber es sei undenkbar und ausgeschlossen, daß ein [390] solcher Akt von Deutschland selbst durch eine Unterschrift Rechtsgültigkeit erhalten könne. Dann aber würde es dem deutschen Volke als einem dauernd diffamierten Volke schwer fallen, noch weiterhin dem Völkerbunde anzugehören. – Der Kanzler schloß:

      "Seit dem Friedensvertrag von Versailles hat das deutsche Volk ein politisches Elend erfahren, von dessen Größe sich die andere Welt keine Vorstellung machen kann. Millionen zerstörter Existenzen, ganze Berufsstände ruiniert und eine ungeheuere Armee von Arbeitslosen – ein trostloser Jammer, dessen ganzen Umfang und Tiefe ich am heutigen Tage der ganzen Welt nur durch eine einzige Zahl zum Verständnis bringen möchte:
      Seit dem Tage der Unterzeichnung dieses Vertrages, der als Friedenswerk der Grundstein zu einer neuen und besseren Zeit für alle Völker sein sollte, haben sich in unserem deutschen Volk aus Not und Elend 224 900 Menschen das Leben genommen. Diese unbestechlichen Zeugen sind Ankläger gegen den Geist und die Erfüllung eines Vertrages, von dessen Wirksamkeit einst nicht nur die andere Welt, sondern auch Millionen Menschen in Deutschland sich Heil und Segen versprochen haben.
      Mögen die anderen Nationen daraus aber auch den unerschütterlichen Willen Deutschlands verstehen, eine Periode der menschlichen Irrungen abzuschließen, um den Weg zu finden zu einer endlichen Verständigung aller auf dem Boden gleicher Rechte!"

  Vorübergehende  
Entspannung

Die Rede des Kanzlers, die in Deutschland umfassende Zustimmung erfuhr, hinterließ in der ganzen Welt durch ihre Maßhaltung und Beherrschtheit einen tiefen Eindruck. In England wurde man versöhnlicher und in Frankreich sprach man in sanfteren Tönen, wenn auch die infolge der Annahme des Macdonaldplans durch Deutschland veränderte Lage die Franzosen unangenehm und peinlich überraschte. Aber es war niemanden möglich, sich aufzulehnen gegen diese ruhigen und versöhnlichen Darlegungen eines ehrlichen Staatsmannes, und ein Erfolg dieser Rede war es auch, daß unter den 12 Regierungen, die der Rooseveltbotschaft zustimmten, sich die 4 [391] europäischen Großmächte befanden. So war infolge der Kanzlerrede eine Entspannung in Europa eingetreten, die eine günstige Wendung für Deutschland auch durch Görings Romflug am 19. Mai zu nehmen versprach, denn mit dieser Reise wurde die Initiative Mussolinis in Bezug auf den Viermächtepakt neu gestärkt. Die englische Regierung erwartete nun von Deutschland praktische Vorschläge über die Reichswehr und nahm von ihrem Vorhaben Abstand, die Inspizierung des deutschen Rüstungsstandes vorzunehmen, obwohl man im Kriegsministerium bisher große Lust dazu verspürt hatte.

Die Rooseveltbotschaft und die Hitlerrede hatte die Situation für die Genfer Friedensapostel gründlich verändert. Man mußte nun doch eine neue Taktik einschlagen. Mit dem brutalen Säbelrasseln allein ging es nicht mehr. Frankreichs Lage wurde dadurch aber noch schwieriger, daß Nadolny auf Grund der Kanzlerrede am 19. Mai erklärte, Deutschland nehme den englischen Plan nicht nur als Verhandlungsgrundlage, sondern als Grundlage für die abzuschließende Konvention an. Das war der neue deutsche Standpunkt, der in Angleichung an die italische Auffassung auch England weit entgegen kam. Engländer und Amerikaner wollten die Konferenz vor dem Beginn der Londoner Weltwirtschaftskonferenz Mitte Juni beendet wissen, und Deutschland bewies jetzt durch seine Haltung, daß es an ihm nicht lag, wenn dies Ziel nicht erreicht wurde.

Jetzt wurde sogar Frankreich schwankend, was es tun sollte. Der Kabinettsrat am 21. Mai neigte nun ebenfalls der Annahme des Macdonaldplanes zu, nachdem sich Deutschland zu ihm bekannt hatte, aber der Ministerpräsident und Kriegsminister Daladier sträubte sich immer noch hartnäckig dagegen. Er verhalf einer Formel zur Annahme, daß Frankreich den Macdonaldplan annehmen werde, unter der Voraussetzung 1. der Organisation einer internationalen Abrüstungskontrolle und 2. einer etappenweisen Durchführung der Abrüstung. Natürlich waren diese Vorbehalte nichts anderes als eine wohlbedachte Sabotage des Macdonaldplanes und der Rooseveltbotschaft. – Am gleichen Tage erlitten Frankreich und seine [392] Trabanten in Genf eine Niederlage für ihre nichtsnutzige Politik: mit 8 gegen 6 Stimmen lehnte der Effektivausschuß den französisch-polnischen Antrag ab, die deutsche Hilfs- und Bahnpolizei auf Deutschlands Heeresbestände anzurechnen. Die lügenhaften Beweise, die Frankreich für seinen Antrag vorbrachte, wurden von Deutschland, wie von Italien und Amerika zurückgewiesen.

  Amerikas Vorstoß  

Besonders wichtig war die Erklärung des Amerikaners Norman Davis am 22. Mai in Genf. Die Annahme des Macdonaldplanes durch Deutschland als Basis für den kommenden Abrüstungsentwurf habe die Sachlage von Grund auf geändert. Unter Bezug auf die juristische und moralische Abrüstungsverpflichtung der Schöpfer der Friedensverträge sagte Davis, daß die Vereinigten Staaten, die zwar durch diese Verträge nicht gebunden seien, ebenfalls nun den englischen Abrüstungsplan annähmen. Unter ständigem Hinweis auf Deutschland und die Hitlerrede verlas der Botschafter folgende schriftliche Erklärung seiner Regierung:

1. Die amerikanische Regierung ist bereit, auf dem Abrüstungsgebiet soweit zu gehen, wie irgendein anderer Staat. Das Endziel muß die Herabsetzung der Rüstungen "ungefähr" auf das in den Friedensverträgen festgesetzte Maß sein, d. h. Herabsetzung der Rüstungen durch fortschreitende Etappen so schnell wie möglich bis zu dem Niveau der für innere Polizeizwecke notwendigen Truppen.

2. Die amerikanische Regierung ist als Beitrag zur Organisation des Friedens bereit in einem Konfliktfall mit den übrigen Mächten in Beratungen darüber einzutreten, ob der Friede bedroht ist. Falls die übrigen Nationen nach eingehenden Beratungen beschließen, daß ein Staat den Frieden durch Bruch der internationalen Verpflichtungen gefährdet hat, und falls sodann eine Übereinstimmung zwischen den übrigen Mächten über den als Schuldigen und verantwortlichen Angreifer erfolgt, verpflichtet sich die amerikanische Regierung, sich jeder Handlung zu enthalten, die das gemeinsame Vorgehen der übrigen Mächte zur Wiederherstellung des Friedens gefährden könnte.

[393]  3. Die amerikanische Regierung erklärt sich bereit zu einer gemeinsamen automatischen ständigen Kontrolle der Rüstungen durch einen ständigen Abrüstungsausschuß.

4. Das endgültige Ziel muß nach Auffassung der amerikanischen Regierung die vollständige Durchführung der Abrüstung in Etappen sein, jedoch muß der entscheidende erste Schritt sofort ergriffen werden. –

Wenn also auch kein Zweifel an einem stimmungsmäßigen Umschwung zu Deutschlands Gunsten bestehen konnte, so vermochten die Deutschen sich nicht des unangenehmen Eindrucks zu erwehren, daß sie durch das Entgegenkommen der anderen zu weiterem Nachgeben beeinflußt werden sollten, das darin bestand, daß sie geplante Abänderungsvorschläge zu den einzelnen Punkten unterlassen sollten.

  Erneute Widerstände  

Die Franzosen aber empfanden die Konstellation des 22. Mai als eine angelsächsische Annäherung an den deutsch-italischen Standpunkt und befürchteten ihre Isolierung. Das unangenehm Fatale bei der ganzen Sache war, daß sich der Amerikaner zwar entschieden gegen jede Wiederaufrüstung Deutschlands aussprach, aber ebenso entschieden im gleichen Atemzuge die Abrüstung der anderen forderte.

Paul Boncour suchte also eine hinhaltende Erklärung abzugeben, in der er verlangte, daß mit der Durchberatung der "Voraussetzungen" d. h. der Sicherheit begonnen werden solle, da man ja von einer Entspannung der politischen Atmosphäre noch keineswegs sprechen könnte. Norman Davis lehnte das schroff ab; die Sicherheitsfrage gehöre nicht auf die Abrüstungskonferenz, er forderte sofort die Durchberatung des englischen Planes über die materielle Abrüstung. Er betonte, daß die Rooseveltbotschaft bereits genügend Klarheit über die amerikanische Beteiligung auf dem Sicherheitsgebiete geschaffen habe, so daß die europäischen Mächte sich außerhalb der Sitzungen direkt über die Regelung der Sicherheitsfrage einigen könnten. Es erwies sich, daß trotz der vermeintlichen Entspannung der letzten Tage wieder die alten vielfachen heftigen und unversöhnlichen Gegensätze die Arbeit der Konferenz unmöglich machten. Der amerikanisch-französische Zusammenstoß bewog Henderson, die Sitzung abzubrechen.

[394] In der Fünfmächtebesprechung am 23. Mai wurde der französische Vorschlag einer Besprechung der Sicherheit abgelehnt; der Hauptausschuß begann dann, allerdings ohne Abstimmung in erster Lesung – das war ein Zugeständnis an Frankreich – über die Beschränkung der Artillerie und der Tanks zu verhandeln, und am Ende der Besprechungen machte der Pole Raczinski den politischen Vorstoß, daß er auf strikter und strenger Rüstungskontrolle, Abschaffung der privaten Waffenfabrikation, internationaler Kontrolle des Waffenhandels und Aufrechterhaltung der früher eingegangenen internationalen Abrüstungsverpflichtungen bestand. Darauf erklärte Paul Boncour unumwunden, daß Frankreich jede materielle Abrüstung, jede Abschaffung der Angriffswaffen und das Verbot und die Zerstörung des Hauptkriegsmaterials ablehne, wenn nicht vorher internationale Sicherheitsgarantien und eine wirksame außerordentlich scharfe Rüstungskontrolle mit der Möglichkeit von Sanktionen geschaffen worden sei! Die Hoffnung auf ein Ergebnis der Abrüstungskonferenz war wieder einmal auf null gesunken.

Frankreichs Einfluß in Genf begann nun wieder zu wachsen. England und Amerika bewiesen Entgegenkommen, um die hartnäckigen Sicherheitsforderungen der Franzosen zu befriedigen. Man fing wieder einmal an, über Sicherheit zu sprechen. Der englische Außenminister Simon machte am 24. Mai einen neuen Sicherheitsvorschlag:

Im Falle des Bruchs oder des drohenden Bruchs des Kelloggpaktes kann entweder der Völkerbundsrat oder ein Unterzeichnerstaat des Abrüstungsabkommens, der nicht Mitglied des Völkerbundes ist, eine sofortige Beratung zwischen dem Völkerbundsrat oder der Vollversammlung des Völkerbundes und einem anderen Unterzeichnerstaat des Abkommens vorschlagen. Gegenstand einer derartigen Beratung ist:

1. Gedankenaustausch bei einem drohenden Bruch des Kelloggpaktes zur Vermeidung eines Konflikts und Aufrechterhaltung des Friedens.

2. Im Falle eines Bruchs des Völkerbundspaktes Einwirkung zur Wiederherstellung des Friedens.

[395]  3. Falls die Wiederherstellung des Friedens unmöglich geworden ist, Feststellung, welche Partei für verantwortlich anzusehen ist.

Nadolny erklärte, Deutschland werde dem englischen Vorschlag zustimmen unter der Bedingung einer unmittelbar folgenden wirksamen Abrüstung.

Auch Norman Davis versicherte, daß die Vereinigten Staaten in Zukunft weitere Sicherheitsverpflichtungen übernehmen wollten, so daß die Besorgnisse der Franzosen in diesem Punkte als beseitigt angesehen werden durften. Aber erreicht wurde damit nichts. –

Den Himmelfahrtstag, 25. Mai, glaubte man in Genf nicht besser feiern zu können, als daß man die seit vielen Monaten vertagten Flottenverhandlungen wieder einmal aufnahm. Die Flottenbestimmungen des Macdonaldplanes fanden nur bei England und Amerika Unterstützung, stießen aber bei fast allen anderen Mächten, vor allem bei Frankreich, Japan und Rußland, auf starken Widerstand: unüberbrückbare politische Gegensätze taten sich auf, und es war auch unter diesem Gesichtspunkt sehr fraglich, ob bei solchen Widerständen ein allgemeines Abrüstungsabkommen erreicht würde. Vor allem offenbarte sich immer deutlicher, daß unter der Gemeinsamkeit, die bisher in der Gegnerschaft zu Deutschland bestand, tiefe schwere Spannungen und Konflikte lagerten, die eine endgültige Verständigung, auch wenn sie auf Kosten Deutschlands erfolgen sollte, fast unmöglich erscheinen ließen.

Die Dinge standen Ende Mai ziemlich hoffnungslos in Genf, und die führenden Männer erwogen, die Konferenz vor Beginn der Weltwirtschaftskonferenz durch eine große Entschließung vorläufig abzubrechen und auf mehrere Monate zu vertagen; allerdings praktische Abrüstungsmaßnahmen dürften in der Entschließung nicht enthalten sein, – mit Ausnahme eines ausdrücklichen Verbotes neuer Rüstungen für Deutschland!

In diesem Ermüdungsstadium kam Frankreichs Einfluß weiter voll zur Geltung. Dies bewies der am 29. Mai abgeschlossene Bericht des Effektivausschusses, in dem nun der militärische Charakter der deutschen Bereitschaftspolizei in Höhe von 38 000 Mann festgestellt und nur ein Abzug in Höhe von [396] 10 Prozent der Heeresstärke gestattet wurde. Den Deutschen blieb es überlassen, lediglich schärfsten Protest einzulegen. Am 1. Juni legten die Franzosen dem Hauptausschuß einen Plan des Kontroll- und Sanktionssystems vor, dem Engländer, Amerikaner, Italier, Russen und zahlreiche andere Mächte nur mit grundsätzlichen Vorbehalten zustimmten. Als am 8. Juni die erste, unverbindliche Lesung des Macdonaldplans beendet worden war, wurde die Konferenz bis zum 27. Juni vertagt, damit vor der entscheidenden und endgültigen zweiten Lesung private Besprechungen mit den einzelnen Mächten durchgeführt werden konnten. Als einziger Ausschuß tagte noch der Effektivausschuß, und dieser fügte seinen Entscheidungen über die deutsche Polizei und die Wehrverbände auf französische Initiative am 12. Juni eine neue Fehlentscheidung hinzu, indem er die deutsche Arbeitsdienstpflicht verbot, da sie zwei militärische Elemente in sich schließe: Disziplin und straffe Zusammenfassung in Gruppen.

Die zweite, verbindliche Lesung des Macdonaldplans mußte die kritische Stunde der Abrüstungskonferenz werden, denn mit dieser Lesung sollten Entscheidungen getroffen werden, die durchgeführt werden mußten. Doch Frankreich hatte keineswegs den Willen, es dahin kommen zu lassen. Das ergab sich alsbald aus den Besprechungen, die Macdonald in London mit den Vertretern der Großmächte hatte. Sie verliefen völlig ergebnislos. Und so war an eine Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen Ende Juni kaum zu denken. Henderson schlug am 28. Juni eine Vertagung der Konferenz bis Mitte Oktober vor, die von allen Mächten angenommen wurde; nur Deutschland widersprach heftig, Ungarn enthielt sich der Stimme. Der Franzose Massigli hatte die Stirn, zu erklären, die Schuld an der Vertagung treffe Deutschland, das keineswegs den Geist des Friedens erkennen lasse, sondern ständig gegen den Geist der Abrüstung verstoße. –

Die Problematik der Lage wurde verschärft durch eine Anfang Juli einsetzende verstärkte jüdisch-marxistische Hetze in London, Paris und Prag. In der englischen Hauptstadt begann sich das Judentum mit niedrigen Angriffen gegen Hitler und der Drohung mit dem Boykott gegen deutsche Waren erneut [397] recht kräftig zu regen. Mit Demonstrationen, Pressenotizen und Versammlungen wurde die öffentliche Atmosphäre wieder gründlich getrübt. Diese Vorgänge bedeuteten eine Stärkung der deutschfeindlichen Strömung im englischen Volke, als deren Hauptwortführer sich Austen Chamberlain hervortat. Er und Lansbury unternahmen am 5. Juli im Unterhaus wieder einmal eine widerliche Hetze gegen Deutschland und Hitler. In Frankreich reisten die marxistischen Emigranten im Lande herum, hielten öffentliche Versammlungen ab, sprachen von der deutschen Revanche Hitlers, der Aufrüstung und lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit auf den deutschen Arbeitsdienst, der eine verschleierte Aufrüstung sei. Insbesondere Breitscheid konnte sich nicht genug tun mit Beschimpfungen Deutschlands. In Lille erklärte er Anfang Juli, das nationalsozialistische Deutschland sei "zu einem Gefängnis und zu einem Friedhof" geworden. Derartige Umtriebe erschwerten den englischen Abrüstungspolitikern ihre Aufgabe gar sehr. In der Tschechoslowakei waren die Juden sehr rührig und organisierten einen umfassenden Boykott gegen deutsche Erzeugnisse während der Dauer der Prager Messe und des zionistischen Kongresses, vom 8. August bis 30. September 1933.

  Hendersons Reise  

In der Mitte des Juli unternahm Henderson eine Reise nach Paris, Rom, Deutschland, wo er in Berlin mit Regierungspersönlichkeiten und in München mit Adolf Hitler Besprechungen hatte, und Prag. Das Ergebnis war mager, den Schlüssel, den Henderson zu finden ausgezogen war, die Formel der deutsch-französischen Verständigung, hat er nicht gefunden. Eine Einigung hielt er für möglich in sechs Punkten: Nichtanwendung von Gewalt, Begriffsbestimmung des Angreifers, Kontrolle und Überwachung, Effektivstärke und Standardisierung der europäischen Armeen, kontrollierte Budgetbeschränkungen und Herstellung und Handel von Waffen. Schwierig aber waren die Fragen der Dauer der Abrüstungskonvention, des Verzichts und der Zerstörung der Angriffswaffen und der Bestimmung, ob und inwieweit die Flottenabrüstung in der neuen Konvention berücksichtigt werden könne. Es bestand kein Zweifel darüber, daß Frankreich sich niemals zu einer Herabsetzung seiner militärischen Stärke oder zu irgendeinem Zugeständnis [398] an Deutschland bereit erklären würde, bis das nationalsozialistische Regime seinen "internationalen guten Willen und seine Harmlosigkeit" gezeigt habe und das vorgeschlagene internationale Kontrollsystem sich wirksam erwiesen hätte. Frankreich verlangte eine zwei- bis dreijährige Probezeit, die jeder Abrüstungsmaßnahme vorauszugehen hätte. Die französischen Absichten liefen dann praktisch auf ein zweifaches Abrüstungsabkommen hinaus, d. h. zunächst auf ein Abkommen, das keine Abrüstung brachte, sondern nur eine "Prüfungszeit" über den gegenwärtigen Rüstungsstand, vor allem aber Deutschland einer Rüstungskontrolle unterstellte; erst nach diesem "Prüfungsabkommen" sollte das zweite Abkommen, das die eigentlichen geringfügigen Rüstungsbeschränkungen enthielt, in Kraft treten. Unter diesen Voraussetzungen, das sah Henderson ein, schien es völlig zwecklos, die Abrüstungsbesprechungen im Oktober wieder aufzunehmen. Seine Bemühungen waren ohne Erfolg geblieben.

  Französische Hetze  

Die französische Generalität verstand es in diesen Tagen glänzend, eine wirksame Pressepropaganda für die Kontrollforderungen zu entfalten. In Wort und Schrift wurden die unerhörtesten Verdächtigungen gegen Deutschland erhoben: Deutschland rüste auf, und zwar bereite "ein gewisses eroberungslüsternes Land, in dem ein neues Regime herrscht, schon etwa drei Jahre, ehe es losschlägt", die industrielle Mobilmachung bis ins kleinste vor. Deshalb dürfe Frankreich nicht abrüsten. Der General Debeney meint, ehe man das Wort Abrüstung in den Mund nehme, müsse eine internationale Rüstungskontrolle Deutschlands vorgenommen werden, und zwar seines lagernden Materials und aller der "Etablissements, die seiner industriellen Mobilmachung dienen könnten". Tag für Tag, in allen französischen Städten, bei allen Gelegenheiten und von allen möglichen Leuten wurden derartige, durch nichts begründete Vorwürfe und Begründungen erhoben. Trotzdem es die Genfer Abrüstungskonferenz erreicht hatte, daß mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht am 1. Januar 1934 nicht mehr zu rechnen war, erzählte Géo London im Pariser Journal Dinge über Deutschlands "Aufrüstung", die jeder Vernunft Hohn spra- [399] chen. Seine Ausführungen gipfelten in der Behauptung, der Arbeitsdienst sei die Vorbereitung für die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und ein wichtiger Faktor in Deutschlands Geheimrüstungen.

Ebenso wie Sowjetrußland und Polen drohte auch England der französischen Mentalität zu erliegen. Die Times brachten Anfang September halboffizielle Auslassungen darüber, daß England unter Umständen bereit sein würde, dem französischen Plane einer mehrjährigen Probezeit der Kontrolle beizustimmen. Die englische Zeitung gelangte zu dieser Schlußfolgerung:

      "Wenn die britische und französische Delegation im vollen Einvernehmen – und auch mit Italiens Unterstützung – nach Genf gehen, dann kann die internationale Kontrolle der nationalsozialistischen Regierung als klarer Fall vorgelegt werden, und diese wird dann ihre wirklichen Absichten zeigen müssen. Wenn sie sich weigert, ein gerechtes und aufrichtiges Angebot zur Teilnahme an einem Kontrollsystem anzunehmen, dem alle Mächte gleichmäßig unterworfen sein werden, dann wird auf sie die Verantwortung für ein Scheitern fallen." –

So weit aber war es noch nicht!

Am 18. September begannen in Paris die englisch-französischen Vorbesprechungen über die Abrüstungsfrage. Es beteiligten sich daran Daladier und Paul Boncour, Lord Tyrrell und Eden. Beherrschend im Vordergrunde stand die neueste französische Lieblingsthese der Kontrolle, insbesondere die mehrjährige Vorkontrolle über Deutschland, das man geheimer Aufrüstung zieh. Die Tendenz der Franzosen ging nach wie vor dahin, ein militärisches Kontrollsystem in Art und Umfang wieder herzustellen, wie es in den Jahren unmittelbar nach dem Weltkriege bestand. Ein solches Vorhaben aber, dem sich England und Amerika anzuschließen tatsächlich Miene machten, wurde in Deutschland als absolut widersinnig und im Gegensatz zu den Aufgaben der Abrüstungskonferenz stehend abgelehnt. In Deutschland erklärte man, daß eine derartige Kontrolle nicht nur neue demütigende Eingriffe in die Hoheitsrechte des Reiches mit sich bringe, sondern auch im Gegensatz zur Formel vom 11. Dezember 1932 stehe; aber es sei nicht Deutschlands, sondern Englands Sache, Frankreich [400] umzustimmen. Den deutschen Äußerungen ist es wohl zuzuschreiben, daß am 22. September die Pariser Konferenz ergebnislos abgebrochen wurde und die schon in greifbare Nähe gerückte französisch-englische Einigung in der Kontrollfrage nicht zustande kam. Wenn auch England und Frankreich darin einig waren, daß das deutsche Heer von 100 000 Soldaten durch eine Miliz von 200 000 Mann ersetzt werden solle und daß für Deutschland nach wie vor schwere Artillerie und Tanks verboten sein sollten, so wollte doch England von den beiden entscheidenden Forderungen der Franzosen, der dauernden regelmäßigen und zwangsweisen Kontrolle und der Probezeit, nichts wissen.

  Völkerbundsversammlung  

Die ungeheure internationale Spannung, die seit Monaten über Europa lag, lähmte auch die Ende September in Genf stattfindende Völkerbundsversammlung, an der neben Neurath zum erstenmal ein nationalsozialistischer Minister, Dr. Göbbels, teilnahm. Auch hier stand, alles beherrschend, das Abrüstungsproblem im Vordergrund. Der Engländer Simon betonte in seiner Rede, nichts sei von größerem Wert für die wirtschaftliche Gesundung als ein baldiges Abrüstungsabkommen, es würde wieder größeres Vertrauen in die Welt bringen. Es sei denkbar, daß durch Abänderung des Macdonaldplanes, der, seitdem Deutschland ihn angenommen hatte, den anderen verleidet war, eine Abrüstung in Etappen leichter durchführbar sei. Jedenfalls sei es verkehrt, den Schwierigkeiten auf dem Abrüstungsgebiet durch Vertagung zu begegnen. Mit allen Kräften müsse gesucht werden, so schnell wie möglich ein Abrüstungsabkommen in einer der gegenwärtigen Lage, d. h. dem durch Juden- und Marxistenhetze erzeugten Mißtrauen gegen Deutschland, am besten angepaßten Form abzuschließen.

Schon der Beginn der Völkerbundstagung ließ also ahnen, was Deutschland auf der Abrüstungskonferenz, die am 15. Oktober 1933 wieder zusammentreten sollte, zu erwarten hatte. Neurath aber formulierte den unerschütterlichen deutschen Standpunkt nach wie vor dahin, daß wirksame Abrüstungsmaßnahmen die Vorbedingung für eine auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung beruhende Kontrolle seien. Effektive [401] Abrüstung und Gleichberechtigung vorausgesetzt, sei Deutschland bereit, auch einer periodischen und automatischen Kontrolle zuzustimmen, auf die ja Frankreich so großen Wert lege. Jedenfalls habe Deutschland das gleiche Recht auf Sicherheit wie die anderen, und wenn die anderen ihre Militärluftflotten nicht abschaffen wollten, so sei es eine eklatante Ungerechtigkeit, wenn man Deutschland die Möglichkeit der einzig wirksamen Verteidigung gegen Luftangriffe, nämlich die durch Flugzeuge, auch weiterhin vorenthalten wolle. Deutschland habe abgerüstet und verlange, daß nun endlich auch die anderen abrüsten.

  Italiens Vermittlung  

Italien war stetig bemüht, die Gegensätze zu überbrücken. So schien wenigstens eine Einigung zwischen Italien und Frankreich bei Beginn der Völkerbundsversammlung erreicht zu sein, die sich auf folgende Punkte erstreckte: Die ehemaligen Alliierten nehmen während der Dauer einer vierjährigen internationalen automatischen und ständigen Kontrolle keine neuen Rüstungen vor; die Mächte sind grundsätzlich mit einer Abrüstung einverstanden, die nach der vierjährigen Probezeit einsetzen und etappenweise auf Grund des Macdonaldplanes durchgeführt werden soll; Deutschland soll jetzt schon seine Effektivbestände und Verteidigungswaffen erhöhen dürfen, vorausgesetzt, daß die Reichswehr durch ein Milizheer abgelöst wird und die Ergebnisse der Kontrolle ergeben, daß Deutschland die in den Verträgen übernommenen Verpflichtungen nicht verletzt; chemische Kriegsmittel und Giftgase sollen sofort in allen Ländern verboten sein.

Ohne Zweifel kam diese "Einigung" den Franzosen stark entgegen, immerhin aber war doch die vierjährige Probekontrolle nicht auf Deutschland allein beschränkt. Allerdings – die wirkliche Abrüstung sollte wieder auf 4 Jahre hinausgeschoben werden. Doch schon am 27. September zeigte sich wieder ein anderes Bild. In der Vollversammlung des Völkerbundes berichtete Simon, es müsse wenigstens eine erste, gewissenhaft innegehaltene Etappe der Abrüstung herbeigeführt werden. Wie diese harmlosen Worte zu deuten waren, offenbarte Simon zwei Tage später. Er erklärte nämlich, daß England, Frankreich und Amerika übereingekommen wären, die [402] Abrüstung solle auf zwei Abschnitte von drei bis vier Jahren verteilt werden. Schon im ersten Abschnitt sollten greifbare Abrüstungsmaßnahmen durchgeführt werden, und zwar in erster Linie die Umwandlung der deutschen Reichswehr in ein Milizheer nach dem Vorschlage Macdonalds. Schon in dieser Zeit setze die Kontrolle ein. Ergebe sich die lückenlose Durchführung der Verpflichtungen aller beteiligten Staaten, so werde der zweite Zeitabschnitt "Massiv-Abrüstungen" auch des französischen Heeres bringen.

Es zeichnete sich also Ende September ganz deutlich hinter der schillernden Spiegelfechterei der Westmächte das Bestreben der Franzosen ab, dem sich Italien, England und Amerika anschlossen, zunächst überhaupt einmal, ehe man an die Abrüstung dachte, die Reichswehr zu zerbrechen. Die Großmächte hatten sich tatsächlich schon vom Macdonaldplan entfernt, was vor allem auch darin zum Ausdruck kam, daß England in den ersten Tagen des Oktober gewaltige Rüstungsvermehrung beschloß. Die deutsche Regierung ließ trotz allem in London und Paris erklären, daß sie von ihrem Standpunkte nicht weichen werde, sondern Gleichberechtigung und Abrüstung der anderen verlange.

Die Hinwendung Englands zu Frankreich wurde durch einen Beschluß des englischen Kabinetts vom 9. Oktober endgültig vollzogen. Der Londoner Kabinettsbeschluß betraf folgende Punkte: England stimmt der Übergangsperiode zu, während welcher die ständige Kontrollkommission arbeiten und der Anfang mit der Umwandlung langfristig dienender festländischer Heere (d. h. also der Reichswehr) in kurzfristige Milizen gemacht werden soll, bevor die Abrüstungsvereinbarung in Kraft tritt; sodann soll unter keinen Umständen die Wiederbewaffnung Deutschlands zugestanden werden; wenn Deutschland auf seinen Forderungen bestünde, würde England auf eine Entscheidung drängen, und es der öffentlichen Meinung der Welt überlassen, sich ein Urteil über die Verantwortlichkeit zu bilden; schließlich sei England zu Hendersons ursprünglichem Vorschlag zurückgekehrt, daß die Mächte auch ohne Deutschland die Vereinbarung unterzeichnen sollten, um auf diese Weise einen moralischen Druck auszuüben! Insbesondere [403] wollte England den Macdonaldplan der englisch-französisch-amerikanischen Vereinbarung angleichen, wie das ja Simon schon am 29. September in Genf angekündigt hatte, und die Übergangsperiode, das heißt die Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung, auf 8 Jahre hinausschieben.

  Deutschlands Austritt  
aus dem Völkerbund

Als die Völkerbundsversammlung am 11. Oktober geschlossen wurde, war die abrüstungsgegnerische Phalanx England, Frankreich und Amerika hergestellt. Simon hatte aus London die Weisung erhalten, auch allen Mindestforderungen Deutschlands entgegenzutreten. Ein letzter italischer Vermittlungsversuch, der auch von Amerika unterstützt wurde, auf einer Fünfmächtebesprechung eine Verständigung herbeizuführen, scheiterte. Die folgenden Tage vergingen in Besprechungen und Konferenzen, aus denen sich ergab, daß die Abrüstungskonferenz nur noch das Ziel hatte, Deutschland gänzlich zu entwaffnen und ihm nicht die Rechte der anderen Völker zuzugestehen. Am Vormittage des 14. Oktober hielt Simon im Präsidium der Abrüstungskonferenz eine hochmütige Rede, aus der hervorging, daß Deutschland erneut gedemütigt werden und daß von wahrer Abrüstung und Gleichberechtigung nicht mehr die Rede sein sollte. Frankreich und Amerika schlossen sich den englischen Ausführungen an. Darauf erklärte Adolf Hitler in der Mittagsstunde des 14. Oktober 1933 den Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund. Der Schritt war nötig. Das neue, völkische Deutschland durfte seine Ehre und die Wahrhaftigkeit seines Wollens nicht verhöhnen und mit Füßen treten lassen durch fremde Regierungen, die unter dem Einfluß jüdischer und marxistischer Deutschenhasser standen.

Das neue Deutschland hatte wenig Freunde in Genf. Das bewies auch der Verlauf der Internationalen Arbeitskonferenz im Juni. Die deutschen Vertreter, die von Dr. Ley geführt wurden, wurden nicht nur ebenso wie die italischen Vertreter aus sämtlichen Ausschüssen der Arbeitskonferenz ausgeschlossen, sondern Dr. Ley wurde persönlich von dem Franzosen Jouhaux aufs wüsteste beschimpft. Diese Beschimpfungen [404] setzten sich auch in den nächsten Sitzungen fort, ohne daß sie von dem Vorsitzenden zurückgewiesen wurden. Darauf verließen Dr. Ley und seine Abordnung am 19. Juni Genf.

  Wirtschaftsfragen  

Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen waren durch das Mißtrauen des Auslandes gegenüber der neuen Regierung, durch die jüdische und politische Hetze von starken Erschütterungen bedroht, die ihren Ausdruck in einem Absinken der deutschen Ausfuhr und einer beginnenden Rückziehung von Krediten fanden. Das demokratische System aber hatte Deutschland der nationalsozialistischen Regierung als das größte Schuldnerland der Welt hinterlassen! Es war die Aufgabe des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht, nicht nur zu verhüten, daß Angstmanipulationen der Auslandsgläubiger die Reichsbank, die deutsche Mark und das deutsche Wirtschaftsleben in ein Chaos verwandelten, sondern auch eine Atempause für die immer drückender und schier unmöglich werdenden Zinsverpflichtungen zu erreichen, dem deutschen Volke einen Schutz zu verschaffen, damit die nationalsozialistische Wirtschaftsneuordnung nicht gestört werde, – und diese Aufgabe war nicht leicht.

In der Woche vor Ostern hielt sich der amerikanische Delegierte Norman Davis in Berlin auf. Die Aussprachen mit Hitler und Schacht trugen sehr zur Entspannung zwischen Deutschland und Amerika bei. Norman Davis erklärte, daß er "wirklich beruhigt" Berlin verlassen habe. Er hatte sich überzeugt, daß die neue Regierung zwar eine klare Trennungslinie zwischen ihrer und ihrer Vorgänger Politik ziehen wolle, aber den festen Willen habe, auf der Abrüstungskonferenz und Weltwirtschaftskonferenz mitzuarbeiten. Schon bei diesem Besuch wurde das wichtige Problem der Anpassung der privaten deutschen Schulden an das völlig veränderte Verhältnis der Warenwerte zur Sprache gebracht.

Anfang Mai weilte Schacht in Washington, um an den Vorbesprechungen für die zum 12. Juni nach London einberufene Weltwirtschaftskonferenz teilzunehmen. Schacht konnte hierbei nur immer wieder eins tun, den Amerikanern versichern, daß Deutschland alle seine Privatschulden gewissenhaft be- [405] zahlen und seine Währung stabil erhalten würde. Das waren die beiden Punkte, welche das Ausland am stärksten interessierten. Allerdings, so fuhr Schacht fort: Amerika müsse jetzt Frieden machen, es sei nötig, daß der Versailler Vertrag revidiert werde, es könne nicht länger Sieger und Besiegte geben, und Deutschland könne seine Verpflichtungen nur erfüllen, wenn es Devisen hereinbekomme, diese aber könnten wieder nur durch vermehrte Ausfuhr erhalten werden. Gelänge eine Verbesserung des deutschen Außenhandels nicht, dann werde Deutschland möglicherweise nicht in der Lage sein, kurz- und langfristige U.S.A.-Kredite in Höhe von einer Goldmilliarde zu verzinsen. Man müsse also mit dem Abbau der Handelshemmnisse beginnen.

Dies war das Kernproblem: wie soll, zum Zwecke der Bezahlung der Zinsen für ausländische Kredite, die deutsche Mark von der Reichsbank in ausländische Währung umgewandelt werden, da es der Reichsbank an Devisen fehlte? Das Übertragungs-, das Transferproblem stand im Vordergrunde. Der Zinsendienst für Auslandsanleihen betrug 1933 etwa 1,6 Milliarden. Aber die Eingänge aus dem Leistungs- und Handelsverkehr erreichten nur 1,2 Milliarden. Der Bestand der Reichsbank an Dollar in Gold oder Devisen war von 750 Millionen Ende 1929 auf 500 Millionen zurückgegangen. Der Ausfuhrüberschuß betrug im ersten Vierteljahr 1933 nur noch 113 Millionen (gegen 329 Millionen erstes Vierteljahr 1932). Aus diesem Mißverhältnis zwischen Gold- und Devisenbestand und Schuldendienst, das sich, wenn sich die Außenhandelslage nicht besserte, noch verstärken mußte, ergaben sich die Transferschwierigkeiten.

Dahinter stand natürlich die zweite Frage der Zinsherabsetzung. Die ausländischen Kredite wurden von der durch Brüning Anfang 1932 herbeigeführten Zinssenkung nicht berührt. Wenn es gelang, jetzt eine Herabsetzung der Zinsen zu erreichen, dann diente dieser Vorgang nicht nur zur Entlastung der Reichsbank, sondern vor allem auch der deutschen Wirtschaft, die von den hohen Zinsen bedrückt wurde. In seinen Besprechungen mit dem Gouverneur der Bank von [406] England, Montague Norman, am 21. und 22. Mai rückte Schacht die Frage der Zinsherabsetzung in den Vordergrund.

Am 29. Mai begann in Berlin eine von Schacht einberufene Konferenz der Auslandsgläubiger. Schacht setzte auseinander, wie die Wahnsinnspolitik der Tribute das deutsche Volk in die unermeßliche Auslandsverschuldung gestürzt habe. Seit Ende 1929 habe Deutschland mehr als 10 Milliarden Mark an Kapital und Zinsen abgeführt. Deutschland habe den festen Willen, seinen Verpflichtungen voll und ganz nachzukommen; aber wenn jetzt die Gläubiger mehr verlangen würden, als Deutschland zahlen könne, dann würde die bisher durch Devisenzwangsbewirtschaftung geschützte Mark wieder internationales Spekulationsobjekt werden, eine Katastrophe, ein Chaos, schlimmer als 1923, und der Verlust der ausländischen Guthaben könnte eine mögliche Folge sein. Dies aber wolle und werde die Reichsbank nicht zulassen.

  Transferaufschubabkommen  

Die Auslandsgläubiger waren überzeugt, daß es nötig sei, die Reichsbankreserven an Devisen schrittweise zu erhöhen, um die Reichsbank dadurch zu unterstützen in ihren erfolgreichen Bemühungen, die Stabilität der deutschen Währung fortzuführen. Das war ein außerordentlich großes Zugeständnis, wie es nicht einmal Luther und Brüning in dem kritischen Sommer 1931 und den damals abgeschlossenen Stillhalteverhandlungen zu erlangen vermochten! Aber es war kein Vergleich, den Deutschland suchte, sondern nur ein Zahlungsaufschub: Deutschland versicherte, daß es seine Verpflichtungen in voller Höhe erfüllen werde. Am 9. Juni kam ein Transfermoratorium vom 1. Juli 1933 ab auf sechs Monate zustande für alle diejenigen Verpflichtungen, die bei der Bankenkrise am 15. Juli 1931 bestanden, soweit sie nicht in den Stillhalteabkommen besonders geregelt worden waren. Auf Grund dieser Vereinbarung erließ die Reichsregierung das Transfer-Aufschubgesetz vom gleichen Tage. Die deutschen Schuldner mußten selbstverständlich ihre Zinsen nach wie vor bezahlen, in Reichsmark zu den Tageskursen der fremden Währungen. Diese Markbeträge wurden einer Konversionskasse überwiesen; die Gläubiger hatten das Verfügungsrecht über diese Markbeträge und konnten sich für ihre Guthaben 4prozen- [407] tige Reichsanleihen aushändigen lassen, wodurch an die Stelle der Privatschuldner das Reich trat.

Die Spanne für das Inkrafttreten des Transferaufschubes vom 9. Juni bis 1. Juli war gewählt worden, um der Londoner Weltwirtschaftskonferenz Gelegenheit zu geben, sich inzwischen mit dem Transferproblem zu beschäftigen und es allgemein zu lösen.

Bei dieser Transfereinigung hatten die Gläubiger unter dem Zwange der Not gehandelt, und es gab Kreise unter ihnen, die sehr ungehalten waren! In England zwar war man weniger überrascht. Hier hatte man bereits seit November 1932 mit einem solchen deutschen Schritt gerechnet. In Amerika aber wurde geäußert, im Falle eines allgemeinen deutschen Transfermoratoriums werde man das Eigentum solcher deutschen Firmen in Amerika beschlagnahmen, die mit ihren Bonds in Verzug geraten seien! Diese starken Widerstände, die es also im Auslande gegen ein Transfermoratorium gab, sollten auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz beseitigt werden.

Die Berliner Besprechungen sollten am 13. Juni in London mit den Vertretern der langfristigen Kredite und der sehr widerstrebenden Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Basel) fortgesetzt werden, und zwar auf der Grundlage des Berliner Ergebnisses, nämlich daß

1. die Gold- und Devisenreserve der Reichsbank zum Zwecke der Erhaltung ihrer Funktionen als Währungsinstitut wieder erhöht werden müsse und

2. der laufende Warenhandel Deutschlands keinen Finanzierungsbeschränkungen unterworfen werde, weil sonst die hervorragendste Quelle des Devisenaufkommens verschlossen werden würde. –

  Weltwirtschaftskonferenz  

Am 12. Juni eröffnete König Georg von England in London die mit großer Spannung erwartete Weltwirtschaftskonferenz, die auf Grund des Lausanner Beschlusses vom Juli 1932 der kranken Welt das Heil bringen sollte. 1500 Abgeordnete aus 65 Staaten waren anwesend. Von Deutschland waren Neurath, Hugenberg, Schwerin-Krosigk, Schacht u. a. eingetroffen. Die Aufgaben der Konferenz betrafen folgende Gebiete: Währungs- und Kreditfragen (vor allem Stabilisierung der angelsächsischen Währungen), Erhöhung der Waren- [408] preise, Wiederaufnahme der Kapitalbewegung, Beseitigung der internationalen Handelsbeschränkungen, Organisierung der Erzeugung und des Handels, um die "gemeinsame Krankheit" der Arbeitslosigkeit – mehr als 20 Millionen waren in der Welt arbeitslos – zu bekämpfen. Insbesondere war es das Bemühen der Mächte, neben einer Stabilisierung der Währungen und Hebung des Preisniveaus auch Änderungen der Zollbarrieren herbeizuführen.

Eröffnung der Weltwirtschaftskonferenz in London durch König Georg V.
[Bd. 7 S. 256a]      Eröffnung der Weltwirtschaftskonferenz in London durch König Georg V., 12. Juni 1933.      Photo Scherl.
MacDonald spricht auf der Weltwirtschaftskonferenz.
[Bd. 7 S. 256a]      MacDonald spricht auf der Weltwirtschaftskonferenz.      Photo Scherl.

Neurath wies in seinen Ausführungen darauf hin, daß internationale Schulden letzten Endes nur durch Waren- und Dienstleistungen abgetragen werden können. Zwischen finanziellen und wirtschaftlichen Problemen bestehe eine innere Verbundenheit. Vor allem aber sei gegenseitiges Vertrauen nötig. Die deutsche Regierung könne von sich sagen, daß sie ihr Teil dazu beigetragen habe, dieses Vertrauen wiederherzustellen, aber die Abrüstungskonferenz sei trotz dem großen Entgegenkommen Deutschlands eine ungeheure Enttäuschung geworden. Ohne die Lösung der großen schwebenden politischen Fragen könnten die Beratungen der Weltwirtschaftskonferenz zu keinem befriedigenden Ergebnis führen.

Aber auch London bot das übliche Bild der bisherigen Konferenzen. Der liberalistische Geist, der die Teilnehmer beherrschte, brachte tausend Vorschläge, tausend Rechthabereien, tausend Zänkereien zuwege, aber etwas wirklich Positives wurde nicht geleistet. Die schönen Hoffnungen und Wünsche erstickten immer mehr in Reden und Gegenreden, und Ende Juni befand sich die Konferenz auf dem toten Punkte. Schon am 5. Juli wurden Vertagungspläne erwogen! Aber der Entschluß, die unfruchtbaren Reden zu beenden, war schwer; so zogen sich die Verhandlungen denn von Tag zu Tag weiter hin. Am 27. Juli endlich erlosch die unfruchtbare Versammlung.

Die Weltwirtschaftskonferenz hatte kein Ergebnis. Ihre historische Bedeutung besteht aber darin, daß die Erkenntnis vom Werte einer gesunden Nationalwirtschaft sich Bahn brach. Gesunde Nationalwirtschaft muß Voraussetzung und Grundlage einer gesunden Weltwirtschaft sein. Nationalwirtschaftliche Selbstentwicklung, das sagten die Deutschen, bedeutet [409] keineswegs den Wirtschaftskrieg aller gegen alle, sondern bedeutet einen vernünftigen Ausgleich zwischen den unvergänglichen Rechten eines jeden Landes auf Entfaltung aller seiner eigenen Kräfte und der Notwendigkeit des Zusammenlebens mit den anderen.

Diese wirtschaftliche Selbstbesinnung war es, die Schacht auch unermüdlich in London forcierte. Er erklärte als das Hauptübel der Wirtschaftskrise die Verschuldung der Länder, und es sei im kapitalistischen Zeitalter bekanntlich so, daß man die Ursachen für Mißstände niemals bei sich selbst suche, sondern nur den anderen Vorschriften machen zu müssen glaube. Und das sei das Ziel gewesen, mit dem die Deutschen nach London gekommen seien: Die Bereinigung der wirtschaftlichen und finanziellen Schlacken und Rückstände des Krieges und der unsinnigen Friedensverträge, mit anderen Worten: Die Schaffung eines neuen Staates für alle. Doch die Wirtschaftskonferenz habe sich unfähig gezeigt. Immerhin, Roosevelt habe grundsätzlich denselben Gedanken wie Hitler und Mussolini:

      "Nehmt euer Wirtschaftsschicksal selbst in die Hand und ihr helft nicht nur euch, sondern der ganzen Welt."

In der Schlußsitzung der Konferenz hielt Schacht noch einmal eine Rede. Er stellte fest, daß die Konferenz gescheitert sei. Der Fehler liege im System.

      "Solange die Einzelnationen nicht in sich ein gewisses wirtschaftliches Gleichgewicht wiedergefunden haben, wird der Erfolg einer neuen Weltwirtschaftskonferenz zweifelhaft bleiben. Das ist die große Lehre, die uns diese Konferenz mitgibt. Internationale Zusammenarbeit wird erst dann zur praktischen Wirklichkeit werden, wenn sich nicht mehr der eine auf den andern verläßt, sondern wenn jeder zunächst aus eigener Kraft alles daran setzt, um der Krise Herr zu werden. Die bisher gebräuchliche ungesunde Methode, durch internationale Kreditinanspruchnahme die Wirtschaftslage für den Augenblick zu erleichtern, muß dem Willen weichen, aus eigener Kraft eine gewisse wirtschaftliche Stabilität herzustellen... Die deutsche Regierung wird auch in Zukunft jede internationale Zusammenarbeit zu fördern bereit sein. Wir glauben aber, daß diese Arbeit erst dann Erfolge bringen wird, wenn die einzelnen Länder in ihrer [410] eigenen Wirtschaft und in ihren nachbarlichen Beziehungen einen festen Grund dazu gelegt haben. Das Ziel freilich wird immer das gleiche bleiben: die Bereinigung der Welt von den wirtschaftlichen und finanziellen Schlacken des Krieges, d. h. einen neuen Start zu gewinnen für eine bessere Zukunft."

Neben den Verhandlungen der Weltwirtschaftskonferenz liefen in London wochenlange Verhandlungen Deutschlands mit den ausländischen Gläubigern, die dem Stillhalteabkommen unterworfen waren. Es war außerordentlich schwer, zu einem Ergebnis zu kommen. Die Gläubiger litten unter der Angst, Deutschland werde sein Programm zur Vernichtung des internationalen Kapitalismus durchführen. Daher sträubten sie sich gegen einen Transferaufschub und eine Herabsetzung des Zinsendienstes. Erst Mitte Juli konnten nach vielen Schwierigkeiten Abkommen getroffen werden, die, auch für die öffentlichen Schulden, ein Transfermoratorium von 50% brachten und eine Zinsherabsetzung bei den landwirtschaftlichen Krediten zubilligten. So war denn endlich erreicht, daß für sämtliche Auslandsschulden ein 50%-Transfermoratorium und für einen Teil eine Zinssenkung durchgeführt worden war. Nur für die Dawesanleihe von 1924 sollen Zinsen und Tilgung voll transferiert werden.

Allerdings trat das Transferaufschubgesetz vom 9. Juni bereits am 1. Juli in Kraft, so daß für einen Teil der Auslandsschulden der Transferaufschub für sechs Monate in Kraft war, ehe die endgültige Regelung in London erfolgte. Die von der Reichsbank im Gegensatz zu dem Gesetz und den Junivereinbarungen durchgeführte Milderung bestand darin, daß nur die Hälfte der ausländischen Zinsen dem Moratorium unterworfen, die andere Hälfte aber weiterhin transferiert wurde. Es war dies ein Kompromiß, der dem Standpunkte der Auslandsgläubiger, die nur widerwillig zustimmten, und dem Standpunkte der Deutschen entgegenkam.

  Schicksal des Saargebietes  

Der Aufbruch des deutschen Volkes machte sich auch im Saargebiet bemerkbar. Auch hier setzte sich jetzt siegreich der Nationalsozialismus gegen Marxismus und Separatismus durch, [411] aber in dem Maße, als der Freiheitswille der Saardeutschen stieg, wurde die unglückliche Bevölkerung einem zunehmenden Martyrium durch die Saarregierung und die Franzosen unterworfen.

Schon unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 setzte eine harte Politik der Unterdrückung ein, wie sie nach dem Abschluß des Krieges im Rheinland und 1923 im Ruhrgebiet durch die Franzosen betrieben wurde. Das Tragen von Abzeichen und Uniformen wurde verboten, selbst Versammlungen und Sprechabende waren nicht erlaubt, die N.S.B.O. und der Kampfbund für deutsche Kultur wurden nicht mehr gestattet, nationale Filme durften nicht mehr gezeigt werden, deutsche Zeitungen wurden massenweise verboten und unterdrückt. Eine Gesinnungsknebelei schlimmster Art wurde von der Saarregierung betrieben.

Hinzu kam, daß die Regierung keinerlei Maßregeln gegen kommunistische Überfälle auf Nationalsozialisten ergriff. Der rote Meuchelmord wütete im Lande und kam den Franzosen gerade recht. Die Polizei der Saarregierung ließ den kommunistischen Mördern, die aus dem Reiche flohen, sogar ihren Schutz angedeihen; sie sah ihre Aufgabe nur darin, die Wohnungen von Separatisten und Verrätern und Lumpen zu schützen und zu bewachen.

Das Volk hatte nichts gemein mit dieser verbrecherischen und verräterischen Politik von oben her. Auf den französischen Grubenverwaltungen, auf dem Oberbergamt wehte wohl die Trikolore, aber niemand achtete sie. In den Dörfern waren französische Schulen entstanden, aber nur die Kinder der Lumpen und Verräter besuchten sie. In den Städten und Fabriken wurden französische Zeitungen verteilt, aber niemand las sie. Die Saarländer waren und blieben deutsch, und der Umschwung in Deutschland hatte ihrem Selbstbewußtsein vollends neue Kraft gegeben und alle Unterdrückungsmaßnahmen hatten nur den Erfolg, daß der Nationalsozialismus im Saargebiet um so wuchtiger und mächtiger wurde. Dudweiler, seit langem eine Hochburg des Marxismus, schwamm am 1. Mai 1933 in einem Fahnenmeer von schwarz-weiß-rot und Hakenkreuz. Die Wahlen in den drei Warndtgemeinden [412] Karlsbrunn, Dudweiler und Naßweiler am 2. Juli 1933 erbrachten den Nationalsozialisten mehr als 1000 Stimmen von insgesamt 2700, während die Separatisten eine völlige Niederlage erlitten.

Nun wurde allerdings das Saargebiet in den Frühsommermonaten ein Sammelplatz sozialdemokratischer Emigranten aus Deutschland, und diese Verräter entwickelten sich zu einer Hilfstruppe der Franzosen und Separatisten und ihrer verräterischen Politik. Mitte Juni wurde in Saarbrücken eine neue sozialdemokratische Zeitung Deutsche Freiheit begründet. Welche Bedeutung diesem Vorgange zukam, ergab sich aus einem Artikel Friedrich Adlers, des Sekretärs der Zweiten Internationale. Der schrieb in der Saarbrücker Volksstimme:

      "Das Problem ist, daß die vergewaltigte Partei im Auslande Vertreter haben muß. Das geistige Zentrum der Partei kann nur in Freiheit funktionieren; es kann also nicht in Deutschland seinen Sitz haben. Die Stelle, von der die Neuorganisation der Partei angekurbelt wird, muß im Auslande liegen. Sicher werden immer wieder illegale Zentren im Inlande aufgebaut werden müssen, aber die Kontinuität zwischen diesen Gebilden, die nach kürzerer oder längerer Zeit mit polizeilicher Unterdrückung zu rechnen haben, kann nur durch das Hauptzentrum im Auslande gewährleistet werden."

  Marxisten an der Saar  

Nach den Warndtwahlen im Juli und ihren Anzeichen für das Anwachsen des Nationalsozialismus schien es der Saarregierung angezeigt, die marxistischen Verräter unter ihren besonderen Schutz zu nehmen. Dieser Bundesgenosse war den Franzosen umso willkommener, als die Abstimmung, die im Januar 1935 spätestens stattfinden mußte, immer näher heranrückte und die Aussichten für die Franzosen nicht günstig waren. Gegen die unerhörten Beschimpfungen, welche die Saarmarxisten täglich gegen die deutsche Regierung ausstießen, wehrte sich die deutsche Saarbevölkerung und brandmarkte diese Menschen als Verräter, drohte ihnen mit Vergeltung und tat sie in Acht und Bann. Das ließ die Saarregierung nicht zu: sie bedrohte jeden, der einen Marxisten beschimpfte, mit Gefängnis! Sie könne es nicht zulassen, daß ein Abstimmungs- [413] gebiet, wo das Volk darüber entscheiden solle, ob die Saarregierung weiter im Amte bleiben, oder ob es zu Frankreich oder zu Deutschland (diese Reihenfolge!) gehören wolle, innerlich so zerreiße! – Zugleich mit dieser Anordnung verbot die Saarregierung die evangelischen Kirchenwahlen, die am 23. Juli im Reiche stattfanden.

Ende Juli 1933 trat das Saarproblem in den Vordergrund der europäischen Politik. Es hatte sich eine "Deutsche Front" gebildet, die mit der Aktivität des Nationalsozialismus die Befreiung des Saargebietes von jeglichen französischen Raubgelüsten in Angriff nahm. Eine Verstärkung der französischen Kultur- und Wirtschaftspropaganda war die Antwort. Die Liberté in Paris schlug vor, planmäßig die marxistischen Emigranten Deutschlands in die französische Saarpropaganda einzustellen und ihnen den Schutz des Völkerbundes zu gewähren! Man hoffte von den sozialdemokratischen Greuelmärchen einen "glücklichen Einfluß auf das Abstimmungsergebnis." Daneben aber tauchten auch schon andere Pläne in Paris auf. Das Ergebnis der Warndtwahlen und die daraus sich ergebende deutsche Einstellung der Saardeutschen bewog Ende Juli die französische Presse, den Gedanken einer Teilung, Zerreißung des Saargebietes zu erörtern. Es war ein verwegener Vorstoß, der die Vergewaltigung Oberschlesiens jetzt auch auf die Saar anzuwenden gedachte!

Die Verschärfung des deutschen Kampfes fand Anfang August ihre weitere Fortsetzung, ihre Steigerung bis zur Erbitterung. Bergleute, die ihren Urlaub dazu benutzten, um am deutschen Turnfest in Stuttgart teilzunehmen, wurden von den französischen Grubenverwaltungen entlassen! Darunter gab es Familienväter, die drei Jahrzehnte hindurch ihre Pflicht im Bergbau vorbildlich erfüllt hatten! Als dann noch drei üble Saarkommunisten auf pfälzisches Gebiet gelockt und ihre Verhaftung veranlaßt worden war, hielt sich die französische Regierung sogar für verpflichtet, in Berlin im Wege der Diplomatie einzuschreiten.

Der rote Mordterror nahm immer grauenhaftere Formen an. Unschuldige Leute wurden von den Kommunisten aus dem Hinterhalte rücksichtslos abgeschossen. Ein Beispiel für diese [414] Roheiten bot der Mord an dem 27jährigen Heinrich Scherer aus Hüttersdorf. Immer unverhüllter und brutaler verübten in den Herbstwochen 1933 Marxisten und Separatisten Gewalt- und Mordtaten gegen deutsche Nationalsozialisten. Die roten Mordgesellen durften ungestraft ihr Unwesen treiben, ja die Franzosen traten immer unverhohlener als die Schützer dieser kommunistischen Terrorbanditen und sozialdemokratischen Landesverräter auf. Hatte doch der Figaro am 1. August geschrieben, die Ehre Frankreichs erfordere es, diejenigen zu schützen, die sich an der Saar für seine Sache opferten! Denn der Figaro, von der kommenden Abstimmung nichts Gutes ahnend, stand auf dem Standpunkt, daß man "vor solchen Gegnern, die vor nichts zurückschrecken, schon im voraus als Besiegter dastehe, wenn man nicht mit äußerster Gewalt handle." Übertriebene Achtung vor dem "fair play" sei lächerlich, wenn man die wirklichen Waffen, die man besitze, nicht anwende.

  Bekenntnis der Saardeutschen  
zum Reich

Die gewaltige Saarkundgebung, die am 27. August 150 000 Menschen, in der Hauptsache Saarländer, am Niederwalddenkmal vereinigte, war ein heiliges Bekenntnis der Saardeutschen zum Reiche. Es bewies, daß trotz französischer Gewalttat und Unterdrückung deutsches Blut zu deutschem Blut sich findet. Es war gleichsam eine Probe auf die bevorstehende Abstimmung. Adolf Hitler selbst beschwor die Zusammengehörigkeit der Saar und des Reiches: Was Gott als Volk geschaffen habe, gehöre auch zu diesem Volke, weder das Reich könne auf die Saardeutschen verzichten, noch könnten die Saardeutschen auf das Reich verzichten. Der Reichskanzler schloß seine große Rede mit den Worten:

      "Wie Sie von Deutschland erwarten, daß es an Sie denkt und so, wie Deutschland an Sie denkt, so erwartet Deutschland, daß Sie sich des Vaterlandes erinnern, daß, wenn die Stunde einst kommt, Sie dann feierlich votieren für unser deutsches Volk, für unser Deutsches Reich, für unser deutsches Vaterland. Es wird keine glücklichere Stunde geben für dieses neue Deutschland als die, in der wir die Tore aufreißen können und Euch wieder in Deutschland sehen."

[415] Allein auch diese Kundgebung bewies den Franzosen wieder, daß sie bei der kommenden Abstimmung gar nichts zu erwarten hatten. Selbst die geringen Hoffnungen, die sie im Juli und August noch hatten, und die schließlich sogar im Gedanken einer Teilung des Saargebietes gipfelten, schmolzen dahin. Nicht einmal die Hetze marxistischer und separatistischer Lumpen, nicht der kommunistische Blutterror vermochten das gewaltige Ereignis, das unüberwindliche Hinstreben der Saardeutschen zum Reiche, aufzuhalten. Anfang Oktober 1933 löste sich das Saarländische Zentrum auf und gliederte sich in die allein bestehende "Deutsche Front" ein, deren Träger, Führer und Begründer die Nationalsozialisten waren. All ihr Geld, das die Franzosen aufwandten, um wie 1923 im Rheinland eine separatistische Bewegung zu entfachen, war nutzlos vergeudet. Dennoch ließen sie die Hoffnung nicht sinken. Sie kamen nun auf ihren letzten Ausweg zurück, den einzigen, den sie noch hatten, indem sie nachdrücklicher als zuvor für eine "autonome" Saarrepublik eintraten. Die Saardeutschen, die nicht zu Frankreich wollten, sollten auch nicht zu Deutschland kommen! Und so sprach die englische Zeitung Daily Expreß die Befürchtung aus, der unter französischem Einfluß stehende Völkerbundsrat werde versuchen, aus dem Saargebiet einen autonomen Pufferstaat zu machen.

In der Tat ereigneten sich im September Vorgänge, die diese Befürchtung zu bestätigen schienen. Unter unzweifelhaftem Bruch des Saarstatuts begann die Regierungskommission dem Drängen der Marxisten und Separatisten nachzugeben und den saarländischen Polizeikörper mit Ausländern, vor allem mit Luxemburgern, zu durchsetzen und so die Polizei zu internationalisieren. Diese Ausländer sollten als Kriminalbeamte den politischen Überwachungsdienst innerhalb der deutschen Bevölkerung übernehmen, die deutsche Bevölkerung sollte also zu Heloten internationaler Gewalthaber herabgewürdigt werden! Aber nicht genug damit; die Regierung beabsichtigte auch die Justiz im verstärkten Umfange zu internationalisieren! Neben dem obersten Gerichtshof sollten Sondergerichte eingesetzt werden, die, mit ausländischen Richtern besetzt, sämtliche politische Prozesse verhandeln sollten! Schlimmere [416] Schmach konnte deutschen Menschen kaum noch zugefügt werden.

Ein in hemmungsloser Brutalität ausartendes Gewaltregiment setzte Ende September ein. Der Polizei wurde der Urlaub gesperrt, sie wurde in erhöhten Alarmzustand versetzt. Rücksichtslos mußte die Polizei jetzt gegen Verstöße gegen das Verbot von Parteiuniformen und Parteiabzeichen vorgehen. Dutzende von Leuten wurden auf der Straße aufgegriffen, weil sie irgendwelche Abzeichen oder nach Uniformstücken aussehende Bekleidung trugen. Es genügte schon, daß jemand zur Wache geführt wurde, wenn er vorschriftswidrige Stiefel trug!

Dieses brutale Gewaltregiment war das Werk Frankreichs. Wenn die Franzosen auch genugsam bewiesen hatten, daß sie unfähig waren, im Bunde der Kulturvölker aufbauende Arbeit zu leisten, so hatten sie wenigstens erneut bewiesen, daß sie sich auf das Handwerk der Henker deutscher Freiheit vorzüglich verstanden!



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra