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Deutschland und der Korridor

[49-88=Fototeil] [89]
Das politische Schicksal
des Weichsellandes (Teil 1)

Erich Maschke

Das deutsche Weichselland
Das deutsche Weichselland.
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Wer das politische Schicksal des Weichsellandes nur in den letzten Jahrhunderten betrachtet, möchte vielleicht auf den Gedanken kommen, daß der mehrfache Wechsel deutscher und polnischer Herrschaft, den es erfuhr, für seine geschichtliche Stellung überhaupt bezeichnend sei und es nach Lage und Geschichte keinem der beiden Völker ganz gehöre. Doch der Blick, der über die nächste Vergangenheit zurückschweift, erkennt sogleich, daß dem nicht so ist. Über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg hat das Weichselland nur eine dauerhafte und organische politische Bindung gehabt: es gehört in die große Linie der nordisch-germanisch-deutschen Überlieferung hinein. Was von ihr abweicht, ist im mächtigen Zuge der Geschichte belanglos.

Gehört das Land westlich der unteren Weichsel wie auch teilweise östlich derselben schon in der jüngeren Steinzeit (etwa 4000 bis 2000 vor der Zeitwende) zu einem nordischen Kulturkreise, der Südschweden, Dänemark, Schleswig-Holstein, Nord- und Ostdeutschland umfaßte, so gilt etwa der gleiche Raum- und Kulturzusammenhang auch in der folgenden Bronzezeit. In ihrem letzten Abschnitt (etwa seit 1200) zeigt sich, ganz Norddeutschland bis an die Weichsel umfassend und gelegentlich noch über sie hinaus nach Osten reichend, eine Bevölkerung, die schon eindeutig als germanisch bezeichnet werden kann und einer Herkunft mit den Germanen Skandinaviens und Dänemarks ist. Gleichzeitig wirkt sich von Süden her die sogenannte Lausitzer Kultur aus, die vor allem Süddeutschland und Polen umfaßt und wohl illyrischen, gewiß aber nicht urslawischen Stämmen zuzuweisen ist. Mit der Eisenzeit tritt die germanische Lebenseinheit im Weichselraume stets deutlicher hervor. Immer wieder nimmt dieser neue Zuwanderer aus dem Norden auf. Wanderten frühe ostgermanische Stämme, die sich hier bildeten, nach dem Süden ab, so rückten seit etwa 150 vor der Zeitwende neue ostgermanische Stämme in den altgermanischen Siedlungsraum des unteren Weichsellandes ein: Burgunder, Rugier und Vandalen, denen dann nach ihrem Abzuge in der sogenannten Römischen Kaiserzeit, den ersten Jahrhunderten nach der Zeitwende, die Goten folgten. Ihr Teilstamm der Gepiden siedelte westlich der Weichsel, während die eigentlichen Goten östlich derselben bis über die Passarge hinaus ihre Sitze einnahmen. Hatte der ostgermanische Siedelraum schon Jahrhunderte hindurch die Gebiete von Weichsel, Netze und Warthe umfaßt, so dehnte er sich im Laufe der ersten nachchristlichen Jahrhunderte immer mächtiger aus, so daß die Weichsel in ihrem Gesamtverlauf geradezu als Achse des ostgermanischen Lebensbereiches erscheint.

Auch die Goten wanderten in der sogenannten Völkerwanderungszeit nach Süden ab. Gaben sie ihre alten Sitze auch nicht völlig auf, so daß Teile von ihnen zurückblieben und in der späteren Bevölkerung aufgingen, so entstand doch in der Zeit vom sechsten bis achten Jahrhundert im unteren Weichselraume eine völlige Siedlungsleere. Die germanische Zuwanderung von Norden hörte hiernach mit einer Ausnahme auf: denn im neunten bis zwölften Jahrhundert erschienen die Wikinger, die als Händler und Krieger von der Küste her tief in die Flüsse nach Süden vordrangen. An sie schließt noch zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts [90] die dänische Ausdehnung im Ostseeraume an, die auch das Samland erreichte, doch wurde sie sogleich von der deutschen Ostbewegung abgelöst.

Diese Jahrtausende germanischer Geschichte im Weichsellande wie in ganz Ostdeutschland gehören zum stolzesten Inhalt germanisch-deutscher Vergangenheit, doch haben sie im Hinblick auf den weiteren Verlauf der politischen Geschichte im Weichsellande noch eine besondere Bedeutung. Anders als in unserer Zeit moderner Technik schlossen sich früher sowohl Wanderungen wie Staatenbildungen an die natürlichen Bedingungen der engeren und weiteren Landschaften und Räume an. Es beweist daher die eigentlichen organischen und naturgemäßen Zusammenhänge, in die der Weichselraum eingefügt ist, wenn er als Randzone der Ostsee, als Bestandteil der norddeutschen Tiefebene, die uraltes germanisches Heimatland sind, erscheint, aber niemals vom ostmitteleuropäischen Binnenlande, den späteren slawischen Siedlungsgebieten, aus besiedelt oder politisch gestaltet worden ist. Schon in den langen Jahrtausenden der Vorgeschichte gehörte das Weichselland also in den gleichen raumpolitischen Zusammenhang, in den es dann durch deutsche Staatsbildungen von neuem hineingestellt wurde. Ferner zeigen die verschiedenen germanischen Landnahmen im Weichsellande, daß dieses zu beiden Seiten des Stromes eine historische Einheit bildete, die nur vorübergehend unvollständig war, wenn Wanderungen sich an der Weichsel stauten.

Ein solcher Zustand, der die Weichsel zur Völker- und Staatsgrenze machte, trat nach dem Abwandern der Germanen ein. Denn langsam sickerten nun Slawen in das Land westlich der unteren Weichsel ein. Wann sie kamen, ist ungewiß, denn eine lange Zeit der Fundleere zeigt, daß sie friedlich in einen fast verlassenen Raum einrückten, in den sie vor dem siebenten Jahrhundert nicht gekommen sein können. Von Osten her aber wanderten die baltischen, also nichtslawischen Preußen, die sich in einer Jahrhunderte alten Siedlungskontinuität gebildet hatten, wohl schon seit dem fünften Jahrhundert nach Westen über die Passarge bis an die Weichsel. Doch wurde diese auch jetzt nur vorübergehend zur Völkerscheide, denn als der deutsche Orden den Kampf um Preußen aufnahm, hatten die Preußen bereits begonnen, die Weichsel zu überschreiten und in Pommerellen vorzudringen. Doch war der Strom im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts politische Grenze.

Die Slawen, die langsam sich im westlichen Weichsellande ansiedelten, bildeten den Stamm der Pomoranen, das heißt der "Am Meere Wohnenden". Ihre Geschichte ist beherrscht vom Kampfe gegen Polen. Wenn polnische Forscher in Pommern eines der polnischen "Mutterländer" und in den Pomoranen einen der ursprünglichen Stämme sehen wollen, die zum polnischen Volke zusammenwuchsen, so ist die ganze Geschichte des pomoranischen Stammes bis zum Aufgehen in der deutschen Herrschaft ein einziger Widerspruch gegen jene These. Die Warthe-Netzeregion war das Grenzgebiet, in dem die Pomoranen ihre Freiheit gegen das polnische Machtstreben zu verteidigen hatten. Die Ausgrabungen in der Burg Zantoch am Zusammenfluß von Netze und Warthe haben dem Boden die Zeugnisse dieses jahrhundertelangen erbitterten Kampfes entrissen. Die Netze aufwärts lag zwischen diesem Flusse im Süden, der Küddow im Westen, der Weichsel im Osten und Dobrinka und Kamionka im Norden eine ursprünglich zu Pommerellen gehörige Landschaft, die den bezeichnenden Namen "Kraina" (Grenzmark) führte. Wie die Netzeline auf das Weichselknie von Fordon hinführt, so stand auch geschichtlich das Netze-Wartheland in einer notwendigen Verbindung mit dem politischen Schicksal des Weichsellandes. Zunächst war die Region von Netze und Warthe als Kampffeld für das Ringen zwischen Pomoranen und Polen, so daß hier auch über die politische Südgrenze des westlichen Weichsellandes entschieden wurde. Sodann aber wurde die [91] gleiche Linie wirksam für das Wachstum der deutschen Staaten, die entweder auf das Weichselland von Westen her zustrebten oder von ihm aus nach Westen hin die Rückverbindung zur älteren deutschen Staatenwelt suchten: die Askanier und den deutschen Orden.

Die politische Lage im Osten um 1000 Die politische Lage im Osten um 1000
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Die Grenze des polnischen Sprachgebietes, die nach Norden hin die Netzelinie nicht überschreitet, ist nach polnischen Forschungen eingezeichnet. Das polnische Sprachgebiet hat nie die Ostsee erreicht.
Ein Vorstoß polnischer Fürsten über den Grenzraum der Warthe und der Netze gelang nur gelegentlich und nur vorübergehend. Der erste christliche Herrscher Polens, Misika (gestorben 992), hat - als Lehnsmann des deutschen Königs wohl im Einverständnis mit diesem [92] und seinen Markgrafen - den Widerstand der Pomoranen wohl gebrochen, doch erst sein Nachfolger Boleslaw der Kühne vermochte einen Einfluß auszuüben, der bis an die Küste reichte. Nach wenigen Jahrzehnten ist selbst von diesem oberflächlichen Einwirken keine Rede mehr. Erst Boleslaw Schiefmund (1107 bis 1138) unterwarf das westliche Pommern, während er im östlichen Pommern kaum die Küste erreicht haben dürfte. Doch selbst wenn das der Fall war, blieb die polnische Herrschaft über das westliche Weichselland ebenso oberflächlich wie kurzfristig, machten ihr doch die inneren Wirren, die nach dem Tode des Herzogs infolge der Teilung Polens unter seinen Söhnen ausbrachen, schnell wieder ein Ende. Dagegen gelang es Polen, in diesen Kämpfen die Netzelinie zu gewinnen. Um was es damals den Polen und ihren nördlichen slawischen Nachbarn ging, hat ein polnischer Chronist treffend ausgesprochen: "Die Polen erstrebten den Ruhm, die Pomoranen verteidigten ihre Freiheit."

Einen gewissen politischen Einfluß wahrte sich Polen allerdings auch weiterhin durch die kirchliche Organisation, durch die Pommerellen seit 1123 beziehungsweise 1148 dem Bistum Kujawien (Sitz: Leslau an der Weichsel), die Gegend zwischen Küddow, Netze und Brahe dem Erzbistum Gnesen unterstellt wurden. Doch konnten diese die politische Entwicklung nicht tiefer beeinflussen, wie die staatliche Unabhängigkeit Ostpommerns seit der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts beweist.

Lassen sich für diese Zeit auch nur wenige geschichtliche Einzelheiten erkennen, so ist doch gewiß, daß das östliche Pommern unter einer eigenen Dynastie, den Samboriden, seine Unabhängigkeit zurückgewonnen hatte. Als Ostpommern oder Pommerellen bildete das westliche Weichselland einen Staat, der seine Selbständigkeit in politischer Hinsicht gegen Polen sorgsam wahrte, sich aber kulturell und blutsmäßig gern der deutschen Einwanderung erschloß. Hatte Mestwin I. (gestorben 1220) Pommerellen unter seine vier Söhne geteilt, so ragte unter diesen nur der älteste, Swantopolk (1220 bis 1266), hervor. Er nahm den Herzogstitel an, um seine Unabhängigkeit gegenüber Polen zu unterstreichen. Er, der Herr der Gebiete von Danzig und Schwetz wurde, mußte sich nun mit der Tatsache auseinandersetzen, daß östlich der Weichsel sich politische Änderungen von weitreichender Bedeutung anbahnten.

Die politische Lage im Osten
Anfang des 13. Jahrhunderts
Die politische Lage im Osten Anfang des 13. Jahrhunderts
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Im Winter 1225/1226 hatte der polnische Teilfürst Konrad von Masowien den Deutschen Orden um Hilfe gegen die heidnischen Preußen gebeten, deren er sich nicht mehr aus eigener Kraft erwehren konnte. Gleich anderen polnischen und pommerschen Fürsten hatte auch Konrad eine gewaltsame Unterwerfung und Missionierung der Preußen versucht, sie aber damit nur gereizt, so daß er schon das damals polnisch besiedelte Kulmerland an sie verloren hatte. Der Deutsche Orden sollte für seinen Einsatz im Kampf dieses Kulmerland, das zwischen Weichsel, Drewenz und Ossa lag, erhalten sowie alles Land, das er in Preußen erobern könne. Nach mehrjährigen, des öfteren unterbrochenen Verhandlungen hatte der Hochmeister des Ordens, Hermann von Salza, die völlige politische Unabhängigkeit des künftigen Ordensstaates gegenüber seinen Nachbarn hergestellt, so daß die Brüder im Jahre 1230 den Kampf um Preußen aufnahmen.

Thorn
Thorn, 1231 vom Deutschmeister Hermann Balk gegründet und 1233 mit Kulmischem Stadtrecht ausgestattet, war im Mittelalter eine blühende Hansestadt.
Von ihren ersten Burgen aus, von Thorn und Kulm, fuhren sie zu Schiff die Weichsel hinab und von dieser aus nach Osten in das Innere des Landes. Nachdem sie die Küste erreicht und im Jahre 1237 Elbing gegründet hatten, folgten sie der Haffküste nach Osten und konnten nun auch von hier aus in das Innere der preußischen Stammesgebiete vordringen. Nach unendlichen Mühen, die mehrfach, so besonders durch den großen, im Jahre 1260 ausbrechenden Aufstand, durch die Erhebungen der schon Unterworfenen hinfällig wurden, war die Eroberung [93=Karte] [94] der preußisch besiedelten Landschaften östlich der Weichsel noch vor dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts beendet. Wo vorher eine Anzahl einzelner Stämme nebeneinander gehaust und gegeneinander gekämpft hatten, ohne sich zu einer höheren Staatsform zusammenzufinden, da erstreckte sich jetzt der preußische Ordensstaat, der durch den straffen Aufbau der Bruderschaft selbst gleichfalls wohl geordnet und schlagkräftig war, wie kaum ein anderer Staat in Europa. War die Eroberung des Landes nach dem allgemeinen Denken des Abendlandes zu jener Zeit durch die Missionierung der Unterworfenen gerechtfertigt, so erhielt die Errichtung des deutschen Staates östlich der unteren Weichsel seine tiefste Rechtfertigung doch erst durch seine kulturelle Leistung, von der an anderer Stelle die Rede ist.

Durch die Entstehung des Ordensstaates war die politische Lage an der unteren Weichsel durchaus geändert. Nicht nur war hier ein deutscher Staat entstanden. Er gehörte auch dank des Privilegs Kaiser Friedrichs II. von 1226 zum Deutschen Reich. Während seine Beziehungen zum benachbarten Masowien, dessen Herzog der Orden einst aus der Preußennot geholfen hatte, auch weiterhin sich freundschaftlich entwickelten, entstand alsbald nach dem Beginn des Kampfes um Preußen ein scharfer Gegensatz zu Herzog Swantopolk von Ostpommern, der nun östlich der Weichsel nicht mehr eine Vielzahl verhältnismäßig ungefährlicher preußischer Stämme sondern einen starken deutschen Staat zum Nachbarn hatte. Dabei war nicht der deutsche Charakter des neuen Herrn im östlichen Weichsellande dem Herzog bedenklich, stand er doch der deutschen Siedlung in seinem eigenen Lande überaus günstig gegenüber. Es war vielmehr ein staatlicher Gegensatz, der erst nach längeren Kämpfen gegen den mit den Preußen verbündeten Herzog beigelegt wurde.

Das Danziger Rathaus am Langen Markt
Das Danziger Rathaus
am Langen Markt.
Wenn es dann im Jahre 1309 zur Erwerbung Pommerellens durch den Deutschen Orden kam, so war diese Ausdehnung der Ordensherrschaft über den Strom in das westliche Weichselland keineswegs eine Gewalthandlung sondern beruhte auf Rechtsgrundlagen, deren Entstehung nicht leicht zu übersehen, an deren Verbindlichkeit für den Orden aber nicht zu zweifeln ist.

Innere Gegensätze zwischen Herzog Swantopolk und seinen Brüdern, zwischen seinem Sohne Mestwin II. und dessen Oheimen und endlich zwischen Mestwin und seinem Bruder Wartislaw bahnten den brandenburgischen Askaniern wie dem Deutschen Orden den Weg ins westliche Weichselland. Während die Brüder das verständliche Bestreben hatten, sich eine Rückverbindung nach Deutschland auf dem Landwege aufzubauen, deren sie für Kreuzfahrer und Siedler bedurften, drängten die Askanier, das bedeutendste nordostdeutsche
Ostseeküste und Pommersche Seenplatte
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Ostseeküste und Pommersche Seenplatte.
Fürstengeschlecht dieser Zeit, über die Oder und strebten durch das Land Stargard und die Uckermark der westpommerschen, durch die Neumark der ostpommerschen Ostseeküste zu. In verschiedenen innerpolitischen Verbindungen suchten nun die einzelnen ostpommerschen Fürsten sich durch Versprechungen und Gebietsabtretungen die Bundesgenossenschaft einerseits der Askanier, andererseits des Ordens zu sichern.

Die Ausdehnung des Deutschen Ordens bis 1410 Die Ausdehnung des Deutschen Ordens bis 1410
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Sambor, ein Bruder Swantopolks, trat dem Orden schon 1251 die Insel Zantir im Weichseldelta ab und schenkte ihm - ohne Rücksicht auf ältere Besitzansprüche des Klosters Oliva - 1276 das Land Mewe. Trotz der Versuche Mestwins II., diese Zusagen an den Orden hinfällig zu machen, bestätigte die Kurie die Gültigkeit der Anrechte des Ordens auf das Land Mewe; es wurde daher den Brüdern 1282 in der Tat überlassen, während diese auf ihre Ansprüche auf Schwetz, Neuenburg, Thymau und Belgard verzichteten, die ihnen die Oheime Mestwins, Sambor und Ratibor, abgetreten hatten. Den Brüdern blieb auch wertvoller Besitz im Weichsel-Nogat-Delta. Sie errichteten auf dem linken Weichselufer die Burg Mewe. Der [95] Ordensstaat begann so, in langsamem und friedlichem Wachstum nach Pommerellen vorzudringen. Weitere Schenkungen, sogar aus der Hand Mestwins, kamen hinzu.

Andererseits trug Mestwin aus Gegensatz gegen seinen Bruder Wartislaw seine Gebiete Danzig, Dirschau und Schwetz im Jahre 1269 dem Markgrafen von Brandenburg als Lehen auf, doch als die Askanier drei Jahre später Danzig besetzten, vertrieb er sie mit Hilfe des Herzogs Boleslaw von Großpolen, mit dessen Neffen Przemyslaw II. er dann 1282 ohne Rücksicht darauf, daß er über sein Land wegen der brandenburgischen Lehnshoheit gar nicht mehr verfügen konnte, einen Erbvertrag schloß. Außerdem machte der kinderlose pommerellische Herzog auch den Herzögen von Vorpommern Hoffnungen auf die Nachfolge.

Als Mestwin im Jahre 1294 starb, mußte daher notwendigerweise die größte Verwirrung entstehen. Da Przemyslaw von Großpolen das von ihm geforderte Pommerellen sogleich besetzte, nahmen die Brandenburger im Bunde mit Wizlaw von Rügen ihre Rechtsansprüche mit der Waffe wahr. Der Tod Przemyslaws brachte sie ihrem Ziele nicht näher, denn jetzt behauptete einerseits der großpolnische Herzog Wladyslaw Ellenlang, andererseits König [96] Wenzel II. von Böhmen mit der Nachfolge in Polen selbst auch den Anspruch auf Ostpommern. Wenzel II. und sein gleichnamiger Sohn und Nachfolger machten dem Orden mehrere Schenkungen und stärkten in Pommerellen den Einfluß des einheimischen Adelsgeschlechtes der Swenza als Stütze gegen Ellenlang. Als der erbenlose Wenzel III. dann ermordet worden war und Ellenlang schon erfolgreich die Eroberung Pommerellens betrieb, verbanden sich die Swenzas mit den Askaniern, die jetzt mit aller Kraft
Pommerellen als
deutsche Landbrücke
zur Zeit des Ordens
Pommerellen als deutsche Landbrücke zur Zeit des Ordens
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wieder darangingen, ihr verbrieftes Recht auf Ostpommern durchzufechten. Sie besetzten (1308) die Stadt Danzig, konnten aber die Burg nicht nehmen. Deren polnische Besatzung rief nun die Ordensbrüder zu Hilfe, die gegen Entschädigung zum Eingreifen bereit waren und die Brandenburger aus der Stadt Danzig vertrieben. Da aber die Polen nicht die versprochene Entschädigung zahlten, behielten die Ritter die Stadt in ihrer Hand und besetzten nach dem Abzuge der Brandenburger dazu auch das übrige Pommerellen. War dieser letzte Schritt zunächst auch eine Kriegsmaßnahme, so wurde er doch sogleich auf rechtliche Grundlagen gestellt, denn der Orden kauften den Brandenburgern die Gebiete von Danzig, Dirschau und Schwetz gegen eine bedeutende Geldsumme ab, so daß die unzweifelhaften Besitzrechte der Askanier jetzt auf ihn übergegangen waren. Durch [97] Kauf erwarb der Orden in den folgenden Jahren von einer Herzogin von Kujawien das Weichseldelta, von den Swenzas die Grafschaft Neuenburg und das Gebiet von Tuchel, aus anderen Händen Schlochau sowie (1329) Bütow und verschiedenen kleineren Besitz. Er war damit der Herr Pommerellens geworden. Die Kraina bleib bei Polen.

Es ist notwendig, die unübersichtlichen Rechtsverhältnisse und politischen Zusammenhänge, die zu diesem Ergebnis führten, genau zu überblicken. Seit dem vierzehnten Jahrhundert verbreiten die Polen die Auffassung, daß der Orden sich mit Gewalt im Pommerellen festgesetzt habe. Wie verlogen schon damals ihre Darstellung der Tatbestände war,
Die deutsche Ostseestellung
im Mittelalter
Die deutsche Ostseestellung im Mittelalter
wird dadurch gekennzeichnet, daß sie vor dem Forum der Kurie und anderwärts behaupteten, die Ordensritter hätten in Danzig ein Blutbad angerichtet, dem 10.000 Bürger zum Opfer gefallen seien. In Wirklichkeit hatte Danzig damals höchstens 2.000 Einwohner und wurden 16 pommerellische Ritter ausgeliefert und als Straßenräuber hingerichtet.

Der Orden stützte seinen pommerellischen Besitz auf die Rechte der Askanier, die nicht schlechter und zudem älter waren als die Ansprüche der großpolnischen Herzöge. Die Ritterbrüder rundeten diesen Besitz durch Kauf ab. Im Sinne der Zeit und damit für jedes geschicht- [98] liche Denken erscheint das Recht des Ordens auf Pommerellen unbezweifelbar. Es beruhte nicht auf Gewalt. Seine Voraussetzung war der innere Zerfall des ostpommerschen Herrscherhauses. Das Ergebnis war der erneute Zusammenschluß des Weichsellandes unter deutscher Herrschaft, wie es Jahrtausende hindurch einen einheitlichen germanischen Siedlungsraum gebildet hatte. Die wenigen Jahre polnischer Herrschaft in
Die Marienburg
An der Diktatgrenze auf reichsdeutschem Boden die Marienburg, "das edelste weltliche Bauwerk des deutschen Mittelalters" (Heinrich von Treitschke), Wahrzeichen deutscher Aufgabe im Osten, 1274 vom Deutschen Ritterorden zur Sicherung der Nogatstraße gegründet und von 1309 bis 1457 Sitz der Hochmeister des Deutschen Ordens.
Pommern im zwölften und die polnischen Nachfolgeansprüche in Pommerellen im ausgehenden dreizehnten und beginnenden vierzehnten Jahrhundert verschwinden daneben als bedeutungslose Episoden.

Für anderthalb Jahrhunderte stand das Weichselland zu beiden Seiten des Flusses unter dem gleichen politischen Schicksal. Der Orden erhob die Marienburg an der Nogat zur Residenz des Hochmeisters, der nach Preußen übersiedelte; von hier aus umschloß die Verwaltung des Ordens die westliche wie die östliche Hälfte des Landes mit gleicher Sorgfalt und Verantwortung. Erst unter der Ordensherrschaft blühte Danzig auf. Die Gebiete zu beiden Seiten der Weichsel wurden die wertvollsten und wohlhabendsten im ganzen Ordenslande.

Der Orden mußte seinen pommerellischen Besitz auch noch in den Jahrzehnten nach dem Erwerb mit der Waffe und mit der Kunst seiner Diplomatie gegen Polen verteidigen. Wladyslaw Ellenlang, der 1320 mit dem Einverständnis des Papstes den Königstitel angenommen hatte, strengte an der Kurie mehrere Prozesse an, die ohne Ergebnis für ihn blieben. Überdies suchte er seinen Anspruch auf Pommerellen mit Gewalt zu verwirklichen, indem er 1326 zunächst Brandenburg und im folgenden Jahre den Ordensstaat angriff. Der deutsche Osten und seine östlichen Nachbarn bis nach Ungarn und dem ukrainischen Fürstentum von Halicz ordneten sich in diesen Kämpfen in verschiedenen Bundessystemen, bis schließlich der Nachfolger Ellenlangs, Kasimir der Große, im Vertrage von Kalisch (1343) feierlich und unter Zustimmung der polnischen Großen "für ewige Zeiten" auf Pommerellen verzichtete. Der Orden gab dafür seine Ansprüche auf Kujawien und Dobrin an der Weichsel auf. Hat auch der polnische König weiterhin eine Verbindung mit
Der Ostseeraum in der Hanse Der Ostseeraum in der Hanse
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Pommern herzustellen gesucht, so hat er doch den Verzicht auf Ostpommern ernst genommen und zum Orden sogar ein freundschaftliches Verhältnis gefunden, um die Kraft Polens ganz auf den Osten, die Gewinnung Wolhyniens ausrichten zu können.

Der Orden setzte den Heidenkampf, zu dem er seiner Aufgabe nach verpflichtet war, nach der Unterwerfung der preußischen Stämme gegen die im Osten angrenzenden Litauer fort. Das Preußenland selbst aber wuchs nicht nur durch die deutsche Siedlung immer tiefer in den deutschen Lebenszusammenhang hinein sondern knüpfte auch feste politische Fäden zum Ostseeraum. Von den sechs preußischen Städten, die dem Bunde der deutschen Hanse angehörten, lagen drei an der Weichsel. Von ihnen verlor Kulm, das einst die Hauptstadt des Ordens hatte werden sollen, mehr und mehr an wirtschaftlicher Bedeutung, während Thorn zwar seinen alten Wert behielt, aber doch von Danzig, der Königin des Weichsellandes, weit überflügelt wurde. Daher war Danzig auch führend, als sich die preußischen Hansestädte am Kampfe des Bundes gegen König Waldemar IV. von Dänemark beteiligten. Hatte der Hochmeister den Eifer seiner Städte zunächst gedämpft, so ließ er ihnen wegen der ständigen Belästigung des preußischen Handels durch die Dänen dann freie Hand. Die preußischen Städte beteiligten sich an der Kölner Konföderation des Jahres 1367 gegen Waldemar, die die bisherige Handelsfreiheit am Sund und die Hanserechte auf Schonen wiederherstellen sollte. Drei Jahre später mußte sich Dänemark den Forderungen der Hanse beugen, deren Herrschaft im Ostseeraum damit für über ein Jahrhundert gesichert war. An den Vorrechten, die der Vertrag [99] von Stralsund den Hansestädten brachte, hatten nicht nur die preußischen städtischen Mitglieder des Bundes sondern auch das übrige Ordensland teil.

So schlang das Handelsinteresse feste politische Bande, die das Weichselland wieder in den alten Zusammenhang der germanisch-deutschen Ostsee hineinstellten, während der Weichselhandel zwar eine entscheidende wirtschaftliche Rolle spielte, aber Danzig und das übrige Ordensland in keiner Weise etwa zu einer Küstenzone des binnenländischen Polen werden ließ.

Während der Orden in den Litauern seine eigentlichen, dem Auftrage der Mission entsprechenden Gegner sah, vergaß Polen den Anspruch auf Pommerellen trotz des Kalischer Friedens nicht. Es fand sich in gemeinsamer Gegnerschaft gegen den Orden mit Litauen in der Union des Jahres 1386 zusammen. Der litauische Großfürst Jagiello, der in der Taufe den Namen Wladyslaw annahm, erhielt mit der Hand der polnischen Königin Hedwig auch die Krone Polens. Wie eine Zange umschloß jetzt der polnisch-litauische Unionsstaat das Ordensland.

Die Spannung wurde dadurch verschärft, daß der alte pomoranisch-polnische Kampf um die Netzelinie in einer neuen Frontstellung wiedererwachte. Kasimir der Große hatte einige [100] Jahre vor seinem Tode (1370) das Gebiet zwischen Drage und Küddow, das Deutsch-Kroner Land, das zur askanischen Neumark gehört hatte, sowie Driesen und Zantoch am Südufer der Netze erworben und dadurch den Abstand zwischen dem Ordenslande und der Neumark erweitert. Da kaufte der Orden nach längerem Zögern von dem verschuldeten deutschen Könige Sigmund, dem auch Brandenburg gehörte, im Jahre 1402 die Neumark, um zu verhindern, daß sie an Polen verkauft wurde. Im Jahre 1408 gelang es ihm, auch Driesen durch Kauf zu erwerben. Bis auf die Lücke zwischen Drage und Küddow, die von 1365 bis zum Jahre 1772 in polnischem Besitz blieb, war die Verbindung zwischen der Neumark und dem übrigen Ordensland hergestellt. Der großpolnische Handel an der Oder stand unter Aufsicht des Ordens, der Riegel, den Polen mit dem Erwerb der Neumark zwischen das Ordensland und das übrige Deutschland gelegt hätte, war noch einmal gesprengt, der Schritt Polens auf Pommern zu dadurch verhindert. Die Hoffnungen des großpolnischen Adels auf eine Eroberung Pommerellens wurden aussichtsloser, so daß seine Erbitterung gegen die Brüder ins Ungemessene wuchs.

Aus den Grenzkämpfen um die Netzeburgen Zantoch und Driesen sowie um das Deutsch-Kroner Land wuchs der Konflikt des Ordens mit Polen hervor, der jenem die erste Niederlage durch polnische Waffen eintrug. Hochmeister Ulrich von Jungingen glaubte, sich dem Druck der polnisch-litauischen Umklammerung nicht mehr anders als durch den offenen Krieg entziehen zu können. Er nahm den Kampf im Jahre 1409 auf. Doch noch zögerten Verhandlungen den Ausbruch der Feindseligkeiten hin. Erst als ein neunmonatiger Waffenstillstand abgelaufen war, überschritten die Polen im Juli 1410 bei Lautenburg (südöstlich Kauernick) die Grenze des Ordenslandes. Die Zeit der Verhandlungen und der Waffenruhe hatte es dem Feinde möglich gemacht, auch die litauischen, russischen und tatarischen Truppen Witowts, des Vetters König Jagiellos, heranzuführen. So stand das Ordensheer der vereinten Macht des Unionsstaates gegenüber. Das polnisch-litauische Heer beabsichtigte über die Drewenz unmittelbar auf die Marienburg, das Herz des Weichsellandes und der Ordensverwaltung, vorzurücken. Es wurde aber durch den Aufmarsch der Ordenstruppen nördlich der Drewenz daran verhindert, wandte sich nach Osten über Gilgenburg, das in Flammen aufging, und traf am 15. Juli 1410 bei Tannenberg und Grünfelde auf das Ordensheer, das entschlossen war, den Feind an weiteren Greueltaten zu verhindern. Der Tag endete mit der Niederlage des Ordens.

Der polnische König glaubte, jetzt leicht der Marienburg Herr zu werden. Doch als er vor ihr eintraf, hatte der Komtur von Schwetz, der die Schlacht bei Tannenberg nicht mitgemacht hatte, da er die Südgrenze Pommerellens gegen den Feind sichern mußte, bereits alles zur Verteidigung gerüstet. Das feindliche Heer mußte schließlich abrücken. Der Thorner Friede, den der noch während der Belagerung zum Hochmeister gewählte Heinrich von Plauen im Februar 1411 abschloß, ließ dem Orden seinen ganzen Besitz einschließlich der Neumark, doch gab dieser das Dobriner Land zurück, das er 1392 pfandweise wiedererworben hatte; über Driesen und Zantoch sollte ein Schiedsgericht urteilen.

So hatte der Krieg trotz der Niederlage des Ordens auf dem Schlachtfelde keine Entscheidung gebracht. Diese wurde noch einmal um Jahrzehnte hinausgezögert. Als aber endlich die Stunde für sie gekommen war, da riß nicht die polnische Angriffslust das westliche Weichselland vom Orden los. Nur weil die Stände des Landes ihrer Herrschaft den Gehorsam aufsagten, wurde das Ordensland zerschlagen.


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