|
Volkstum und völkische Leistung
im Weichselland (Teil 3)
Erich Keyser
Die Verbreitung
der Hauländerdörfer im Osten
|
Während des Dreißigjährigen Krieges flüchteten ferner
zahlreiche Bauern und Handwerker aus Schlesien vor den Verfolgungen der
Soldateska in die Städte und Dörfer des Weichsellandes; auch
namhafte schlesische Dichter jener Zeit, wie Martin Opitz und Andreas Gryphius,
begaben sich nach Danzig. Sie verstärkten den mitteldeutschen Einschlag,
der in der Bevölkerung des Weichsellandes schon seit der Ordenszeit
bestand. Eine oberdeutsche Volksgruppe trat dagegen zum ersten Male am Ende
des achtzehnten Jahrhunderts an der Weichsel auf. Es waren "Schwaben", die aus
wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat in Südwestdeutschland
verließen und [37=Karte] [38] durch
Friedrich
den Großen im Netzegebiet, im
Kulmerlande und auf der Danziger Höhe angesiedelt wurden. Ihr Zuzug
Kolmar am
Südrand des Netzebruches.
|
beschränkte sich auf die Jahre 1776 bis 1805 und umfaßte nur einige
Tausend Siedler. Da sie geschlossen angesetzt wurden und ihre Mundart und
Sitten zum Teil bis zur Gegenwart beibehielten, nehmen sie gleich den
Mennoniten eine Sonderstellung unter den Deutschen des Weichsellandes ein.
Weit geringer war der Einfluß, den einige schottische Einwanderer seit dem
Ende des sechzehnten Jahrhunderts in Danzig, Elbing und [39] einigen anderen Orten
blutsmäßig und kulturell ausübten. Auch Hugenotten haben
sich auf ihrer Flucht aus Frankreich im Lande nicht unmittelbar niedergelassen
sondern sind erst später aus ihrer neuen Heimat im östlichen
Ostpreußen oder aus Pommern und der Kurmark zugezogen. Es braucht
nicht betont zu werden, daß es Litauer an der Weichsel niemals gegeben
hat. Die Bevölkerung des Weichsellandes bestand in der Mehrzahl aus
deutschen Bauern und Bürgern und neben ihnen aus je einer kaschubischen
Bevölkerungsgruppe im Norden und einer polnischen
Bevölkerungsgruppe im Süden von Pommerellen und im
Kulmerlande.
Der deutsche Anteil an den
Städten des Weichsellandes um 1772
[Vergrößern]
|
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß der
Weichselraum, als er im Jahre 1772 durch Friedrich den Großen mit dem
übrigen, östlichen Preußenlande wiedervereinigt wurde und
erneut unter deutsche Herrschaft kam, noch eine deutsche
Bevölkerungsmehrheit aufwies. Zwar waren gerade in den letzten
Jahrzehnten der polnischen Zeit, besonders durch die
schwedisch-polnischen Kriege und später durch den Einfall der Russen,
wiederum wie im fünfzehnten Jahrhundert zahlreiche Ortschaften
zerstört worden. Viele Städte hatten nicht mehr als 1.000 Einwohner.
"Das Land ist wüst und leer, die Äcker ausgesogen, voll Unkraut
und Gestein, die Wiesen versumpft, die Wälder gelichtet." In solchem
Zustand hatten die Polen das einst so blühende Land zurückgelassen.
Stadt Marienburg.
|
Zum Glück war der deutsche Besitzstand in der ganzen Weichselniederung
von Thorn bis Danzig, in den Gebieten um Elbing, Marienburg und
Marienwerder, um Thorn und Kulm und im äußersten Westen im
ganzen erhalten geblieben. Die Bevölkerung des Gebietes, das 1772 dem
Königreich Preußen eingegliedert wurde, bestand je zur Hälfte
aus Protestanten und Katholiken und hatte somit, da ein Teil der katholischen
Bevölkerung auch deutscher Herkunft war, eine deutsche Mehrheit.
Im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung haben Friedrich der
Große und seine Nachfolger wohl viel zur kulturellen Hebung des
Wohlstandes und zur Beseitigung der schweren Schäden der "polnischen
Wirtschaft" geleistet, aber nur im geringen Umfange Bevölkerungspolitik
getrieben. Es wurden nicht allzuviel Deutsche neu angesetzt; nur wenige von
ihnen kamen von außerhalb des Landes. Wenn alsbald, besonders nach den
erneuten Schrecken der Napoleonischen Kriege, der Anteil der deutschen
Bevölkerung ständig anwuchs, so ist diese Erscheinung darauf
zurückzuführen, daß die planmäßige
Förderung von Landwirtschaft und Gewerbe, die Schaffung neuer
Arbeitsplätze, die Verbesserung der Lebensverhältnisse und vor
allem das Ende des Kampfes gegen die deutsche Volksgruppe ihre
natürliche Vermehrung angeregt haben. Eine Unterdrückung der
polnischen und kaschubischen Volksgruppen kann dagegen der preußischen
Regierung, besonders des neunzehnten Jahrhunderts, nur mit Unrecht
vorgeworfen werden. Das Gegenteil wäre statthaft. Denn gerade die
sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen der preußischen Regierung
haben der polnischen und der kaschubischen Bevölkerung in der neu
eingerichteten Provinz Westpreußen erst die Bildung eines gesunden
Bauerntums und eines bürgerlichen Mittelstandes ermöglicht. Der
Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung
des Landes ist daher auch nicht zurückgegangen sondern gestiegen. Er
betrug im Regierungsbezirk Danzig 1831 nur 24 v.H., dagegen 1890 schon 28
v.H. und im Regierungsbezirk Marienwerder 1831 nur 34 v.H. und 1890 bereits
40 v.H. Volkstum und völkische Leistung stehen in wechselseitiger
Beziehung. Jede Volksgruppe bestimmt Umfang und Art der kulturellen Arbeit,
die von ihren Angehörigen geleistet wird. Die Höhe dieser Leistung,
die Blüte städtischen und bäuerlichen Lebens beeinflußt
aber wiederum die zahlenmäßige Vermehrung und die
artmäßige Besserung der gleichen Volksgruppe. Je weniger eine
Volksgruppe kulturell leistet, umso geringer ist sie an Zahl und Geltung; je mehr
sie Vorbild- [40] liches schafft, desto mehr übt sie auch auf die
volksfremde Bevölkerung eine
starke Anziehungs- und Angleichungskraft aus und nimmt selbst an Zahl,
Bedeutung und Selbstbewußtsein zu. Gerade die weitgehende Anpassung
an den deutschen Kulturstand hat die polnische und die kaschubische
Bevölkerung in der Provinz Westpreußen im neunzehnten und im
beginnenden zwanzigsten Jahrhundert an Volkszahl, Besitzumfang, Wohlstand
und Bildung gefördert.
[41] Bei der letzten Volkszählung vor
dem Weltkriege 1910 betrug die
Einwohnerzahl der Provinz Westpreußen nach den auch von polnischer
Seite veröffentlichten Angaben 1.703.474 Personen. Von ihnen gaben
1.097.943 deutsch, 475.853 polnisch, 107.199 kaschubisch und der Rest deutsch
und eine andere Sprache als Muttersprache an. Die Bevölkerung bekannte
sich somit mit 65 v.H. zur deutschen und nur 35 v.H. zu einer der slawischen
Muttersprachen. In der Provinz Westpreußen lag somit eine
überwiegende deutsche Mehrheit vor. Das gleiche war in den beiden
Regierungsbezirken Danzig und Marienwerder der Fall. Im Regierungsbezirk
Danzig bekannten sich 532.620 Personen (72 v.H.) zur deutschen und nur
102.080 (14 v.H.) zur pol- [42] nischen und 100.148 (14 v.H.) zur kaschubischen
Muttersprache. Im Regierungsbezirk Marienwerder hatten 565.323 (59 v.H.)
deutsche, 373.773 (39 v.H.) polnische und 7.051 (2 v.H.) kaschubische
Muttersprache.
Es bekannten sich ferner zur deutschen Muttersprache in der Stadt Elbing 100
v.H., in der Stadt Danzig 97 v.H., in der Stadt Graudenz 85 v.H. und in Thorn 66
v.H. Nur in [43=Karte] [44] wenigen Städten gab es eine Mehrheit mit
nichtdeutscher Muttersprache. Es war somit ungerecht und eine vertragswidrige
Verfälschung des feierlich zugesicherten Selbstbestimmungsrechts der
Völker, wenn die Bevölkerung der Provinz Westpreußen in
ihrer Gesamtheit nicht nach ihrem Willen gefragt und ohne Rücksicht auf
Der deutsche ländliche Grundbesitz in Posen und
Westpreußen im Jahre 1910
[Vergrößern]
|
die geschichtlich gewordenen Lebenszusammenhänge
gebietsmäßig willkürlich auseinandergerissen wurde. Die
Abstimmung ist in dem größten Teile Westpreußens
unterblieben, weil die Polen ein für sie selbst ungünstiges Ergebnis
einer solchen Volksbefragung vorausgesehen haben dürften. Denn nicht
nur in der Gesamtheit der Provinz sondern auch in ihren Polen zugeteilten Teilen
war eine deutsche Mehrheit schon allein nach der Muttersprache vorhanden.
In dem vom Deutschen Reich abgetrennten Gebieten der Provinz
Westpreußen standen sich 1910 736.721 (57 v.H.) Personen mit deutscher
und 557.664 (43 v.H.) mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache
gegenüber; in den abgetrennten Gebieten des Regierungsbezirkes Danzig
waren es sogar 418.559 (67 v.H.) Personen mit deutscher und nur 204.651 (33
v.H.) Personen mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache. Auch in dem
abgetrennten Teil des Regierungsbezirkes Marienwerder standen nur 353.013 (52
v.H.) Personen mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache einer Gruppe
von 318.162 (48 v.H.) Personen mit deutscher Muttersprache
gegenüber.
Diese Ziffern lassen jedoch nicht das deutsche Volkstum im Weichsellande in
seinem vollen Umfang erkennen. Denn wie eine Volksabstimmung, die im Jahre
1920 im Bezirk von Marienwerder und im südlichen Ostpreußen
durchgeführt wurde, gezeigt hat, ist die Angabe dieser oder jener
Muttersprache im Jahre 1910 nicht dem politischen Bekenntnis zu einem
Volkstum gleichzusetzen. Während die Zählung der
Bevölkerung nach Muttersprachen in Masuren ein Überwiegen der
Gruppe mit masurischer Muttersprache ergeben hatte, hat gerade dort fast die
gesamte Bevölkerung zu 97 v.H. für das Verbleiben ihrer Heimat
zum Deutschen Reich sich entschieden. In Masuren haben 86 v.H. der
Bevölkerung mit masurischer Muttersprache und in den
westpreußischen Abstimmungsgebieten 50 v.H. der Bevölkerung mit
polnischer oder kaschubischer Muttersprache für Deutschland gestimmt.
Es ist somit anzunehmen, daß auch in Pommerellen und im Kulmerlande
bei einer Abstimmung mindestens die Hälfte der Bevölkerung, die
im Jahre 1910 das Polnische oder Kaschubische als Muttersprache für sich
angegeben hatte, ein Bekenntnis zum Deutschtum abgelegt haben
würde.
Posen - Kaiserschloß,
erbaut 1905 bis 1910 von Schwechten.
|
Die obigen Zahlen über die Verteilung der Volksgruppen in den ohne
Abstimmung abgetrennten Gebieten sind demnach erheblich zu berichtigen. Bei
einer Abstimmung im Weichselkorridor, also in den Gebieten, die ohne
Befragung der Bevölkerung vom Deutschen Reiche abgetrennt wurden,
würden im Jahre 1920 nicht nur 57 v.H. der Bevölkerung mit
deutscher Muttersprache sondern auch noch mindestens die Hälfte der
Bevölkerung mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache, also
weitere 22 v.H., somit im Ganzen 79 v.H. für Deutschland sich entschieden
haben. Die vom Regierungsbezirk Danzig abgetrennten Gebiete würden
eine deutsche Mehrheit von 84 v.H., die vom Regierungsbezirk Marienwerder
Posen - Kaiserschloß.
Posen ist als Handelsstadt an der Straße Berlin - Frankfurt an der
Oder - Warschau entstanden und zeigt auf dem westlichen Wartheufer
heute noch den Kern der deutschen Stadtgründung.
|
abgetrennten Gebiete würden eine deutsche Mehrheit von 74 v.H. gehabt
haben. Dabei ist bei dieser Berechnung noch der für Deutschland
ungünstigste Fall angenommen. Mindestens drei Viertel, wahrscheinlich
vier Fünftel der Bevölkerung des Weichsellandes sind somit durch
den Machtspruch von Versailles vergewaltigt worden. Selbst wenn von dieser
Zahl die Bevölkerung im späteren Gebiet der Freien Stadt Danzig
abgerechnet werden würde, hätte eine Abstimmung nur in den der
Republik Polen zugeteilten Gebieten schlecht gerechnet eine deutsche Mehrheit [45]
von 56 v.H. ergeben. Es muß aber berücksichtigt werden, daß
die ungerechtfertigte und sinnlose Zerreißung des ganzen Weichsellandes
der gesamten Bevölkerung der früheren Provinz Westpreußen
Rathaus in Posen, Renaissancebau
aus dem 16. Jahrhundert.
|
schwersten Schaden gebracht hat. Denn bei einem engen wirtschaftlichen,
kulturellen und familiären Zusammenhang, der zwischen allen Teilen des
Landes seit jeher bestanden hat, wurden die Gebiete um Elbing, Marienburg,
Marienwerder von dem Versailler Gewaltakt nicht weniger betroffen als die
Bevölkerung im Gebiet der Freien Stadt Danzig und auch im Bereich der
späteren Wojewodschaft Pomorze.
Die politische Aufteilung des Weichsellandes war das erste Unrecht, das die
Westmächte angeblich zugunsten Polens der dortigen deutschen
Volksgruppe und damit auch dem gesamten deutschen Volke zugefügt
haben. An dem zweiten Unrecht, das sie erleiden mußte, waren die Polen
allein schuldig. Sie haben bereits in den ersten Jahren ihrer Herrschaft aus den
von ihnen unrechtmäßig besetzten Gebieten des
Weichsel- und Warthelandes mehr als 1.000.000 Deutsche vertrieben. Es wurde
hier die größte Völkerwanderung erzwungen, welche die
Geschichte Mitteleuropas bisher [Anm d. Scriptorium: d. h. bis
zum Jahre 1939] aufzuweisen gehabt hat. Nur dieser erneuten
Gewalttat ist es, abgesehen von der anzuzweifelnden Gültigkeit der
späteren polnischen Volkszählungen, zuzuschreiben, wenn diese in
den letzten Jahren eine starke polnische Mehrheit in Pommerellen und im
Kulmerland erbracht haben. Denn die Vertreibung der Deutschen wurde
zahlenmäßig durch ein weiteres, drittes Unrecht am Weichsellande
ausgeglichen, durch die Herbeiziehung von kulturell tiefstehenden Siedlern aus
Galizien und den östlichen Gebieten des polnischen Staates. Das
völkische Gesicht des Weichsellandes wurde in den polnisch beherrschten
Teilgebieten zwangsweise osteuropäisiert. Dagegen ist das Deutschtum im
Danziger Lande und in den dem Deutschen Reich verbliebenen Bezirken an Zahl
und kultureller Leistungsfähigkeit spätestens seit 1933 erheblich
gesteigert worden; es übt auch auf die abgetrennten Landschaften und auf
die dort verelendenden deutschen Volksgruppen eine wachsende Anziehungskraft
aus.
Mächtiger deutscher
Kirchenbau in Thorn.
|
Der einzigartigen Bedeutung, welche das deutsche Volkstum im Weichsellande
seit jeher besessen hat, entspricht seine kulturelle Leistung. Selbst wenn alle
anderen Quellen von der Anwesenheit der deutschen Siedler in den Städten
und Dörfern des Weichsellandes schweigen sollten, würden ihre
Werke von ihnen zeugen, und zwar nicht nur von ihrem Dasein sondern auch von
ihren überragenden Fähigkeiten. Denn alles, was von menschlicher
Arbeit aus jenen fernen Jahrhunderten erhalten ist, ist allein ihnen zu verdanken.
Es gibt kein Baudenkmal und kein Kunstwerk, keinen Kanal und keinen Deich,
keine Burg und keine Kirche, keinen Stadtgrundriß und keine Dorfanlage,
die nicht von Deutschen geschaffen sind. Vor ihrer Ankunft war das Land, soweit
nicht noch der Boden die Schätze ostgermanischer Kultur verbarg,
wüst und leer. Es ist auch später keine einzige kulturelle Leistung
von anderen als von Deutschen vollbracht worden. Wer an jenen Tatsachen
zweifeln sollte, braucht nur einmal auf einer Reise durch das Weichselland
stromaufwärts von der Wahrheit dieser Behauptung sich zu
überzeugen. Schon die Mündung der Weichsel bei ihrem alten
Ausfluß bei Weichselmünde oder bei ihrem Durchbruch durch die
Dünen im Jahre 1840 oder bei ihrem Durchstich bei Schiewenhorst aus
dem Jahre 1895 oder bei der Stelle, bei der die Elbinger Weichsel in das Frische
Haff fließt, sind durch deutsche Hände geregelt, wenn nicht erwirkt
worden. Deutsche Wasserbauer haben den Strom in Deiche eingezwungen und
jahrhundertelang durch sie das Land, soweit es möglich war, gegen
Überschwemmungen geschützt; sie haben den westlichen Teil des Frischen
Haffes, der einst bis nach Danzig reichte, eingedämmt und trockengelegt
und damit im wahrsten Sinne des Wortes sogar erst das Land geschaffen, auf dem
heute deutsche [46] Dörfer stehen. Sie haben die Radaune von Praust nach
Danzig geleitet, damit sie dort Mühlen trieb und die Graben der Burg und
Stadt bewässerte. Sie haben ähnliche Mühlengräben bei
Marienburg und Marienwerder angelegt. Sie haben die gesamte Niederung im
Vorlaubenhaus in Taunsee
in der Danziger Niederung.
|
oberen Laufe der Weichsel bis nach Thorn hin sowie den Netzebruch urbar
gemacht. Deutsche Bauern haben die Felder in Fluren geteilt und die
Urwälder gerodet. Überall zeigt die Landschaft des Weichsellandes
den ordnenden Sinn des deutschen Menschen. Ein Schritt über die Grenze
nach Süden, nach Polen hinein, und alles schaut anders aus.
[47] Die Deutschen haben die Mehrheit
der Dörfer und Güter
begründet, die Ausmaße ihrer Höfe und Häuser, ihrer
Backsteinkirche in Kulm.
|
Wiesen und Äcker abgesteckt. Sie haben die älteren Ortschaften, wo
sie solche vorfanden, nach deutscher Art umgelegt; nur auf dem unfruchtbaren
Boden der Kaschubei finden sich noch Siedlungen, die von den Deutschen nicht
umgestaltet worden sind. Denn jene Sandflächen wurden den Pomoranen
überlassen. Es gibt wenige Gebiete in Deutschland oder sogar in
Mitteleuropa und keines in Osteuropa, das an der Pracht seiner
Bauernhäuser mit dem Weichselland wetteifern kann. Die
Vorlaubenhäuser der Weichselniederung mit ihrem schwarz und
weiß gemusterten Fachwerk sind ein Kennzeichen der Landschaft und
gehen, wie wohl mit Recht vermutet wird, auf ostgermanische Vorbilder
zurück. Das Straßendorf oder das Angerdorf werden überragt
von der Pfarrkirche, die meist in Backstein ausgeführt und mit trutzigem
Turm versehen ist. In den Gutssiedlungen bildet das Herrenhaus den Mittelpunkt
der Ortschaft; nicht selten ist es schloßartig ausgebaut, wie in Finkenstein
bei Rosenberg.
Alte Backsteinkirche
in Bromberg
|
Neben den Dörfern und Gütern ziehen die Städte die
Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich. Eine Kette unvergleichbarer
Städte reiht sich zu beiden Seiten des Stromes aneinander, an seiner
Mündung liegen Danzig und Elbing, die Umschlagplätze der Hanse,
auf dem östlichen Ufer der Nogat und der Weichsel die Trutzburgen in
Marienburg und Marienwerder. Ihnen gegenüber ragen am Abhange der
pommerellischen Hochflächen Dirschau, Mewe, Neuenburg empor. Weiter
Hohe Speicher
an der Mottlau in Danzig.
|
südlich grüßen sich über den Strom hinweg Graudenz,
Schwetz und Kulm, und endlich bildet das turmreiche Thorn den würdigen
Abschluß an der südlichen Pforte nach Polen hin. Diese Städte
waren einst wehrhaft mit ihren Mauern, Türmen und Toren, wie sie noch in
Danzig und Thorn erhalten sind. Die Speicher in Danzig, Elbing und Graudenz
zeugen von ihrem Handel. Die Burgen und Burgtürme in Marienwerder,
Mewe, Graudenz und Schwetz künden von dem Machtbewußtsein
ihrer Landesherren. Auch die Landschaften, die von der Weichsel weiter entfernt
sind, waren durch Burgen geschützt, wie sie in Schlochau und in Rheden,
in Bütow, das lange Jahrhunderte auch zum Weichsellande gehörte,
und in Gollub noch vorhanden sind.
Backsteinkirche in
Pelplin, von den Zisterziensern im 13./14. Jahrhundert als eine der
bedeutendsten gotischen Kirchen des Ordenslandes errichtet.
|
|
Backsteinkirche in
Posen. |
Die Pfarrkirchen, unter ihnen in Danzig St. Marien, St. Katharinen, St. Johann, in
Elbing St. Nikolai und St. Marien, in Marienwerder der Dom, in Thorn St. Johann
und St. Marien, sind mit edelsten Kunstwerken, Altären, Grabsteinen,
Gittern und Leuchtern geschmückt. Die Kirchen der großen
Klöster, wie Oliva und Pelplin, stehen ihnen in keiner Hinsicht nach; auch
viele Dorfkirchen beherbergen ungewöhnliche künstlerische
Erzeugnisse, deren Wert auch den Einheimischen oft unbekannt ist. Die
Rathäuser in Danzig, Thorn und Marienwerder, die Große
Mühle und der Große Kran in Danzig, die Zeughäuser und
Bürgerhäuser derselben Städte gelten seit alters als
hervorragende Beispiele deutscher Baukunst und Technik. In den kleineren
Städten ist vieles nur ein Abglanz von der Kunst und dem Kunstgewerbe
der kulturell führenden Orte; aber ihr Gepräge ist nicht minder
Turm der Danziger Marienkirche.
|
deutsch zu allen Jahrhunderten gewesen. Wenn übereifrige Fanatiker
versucht haben, den polnischen Ursprung dieser oder anderer Gebäude im
Weichsellande daraus zu erweisen, daß sie Bauten in Krakau oder
Warschau gleichen, so übersehen sie bewußt oder aus geschichtlicher
Unkenntnis, daß deutsche Meister seit jeher in polnische Städte
gerufen worden sind. Gerade Danziger Künstler, Baumeister, Bildhauer,
Silberschmiede und Maler haben ebenso wie die Buchdrucker in Danzig und in
Thorn maßgebende Werke des vermeintlich polnischen Geisteslebens
gefertigt.
Rathaus von Thorn.
Die Anfänge des Baues gehen in das 13. Jahrhundert
zurück.
|
Die deutschen Künstler, die in den Städten und auf den Burgen des
Weichsellandes gearbeitet haben, stammten ebensogut aus dem
Preußenland wie aus anderen Gebieten Deutsch- [48] lands. Sie sind noch mehr
und noch weiter gewandert als die bürgerlichen und bäuerlichen
Siedler. Dichter und Gelehrte wanderten ein; sie alle haben das Weichselland zu
einem unabtrennbaren Bestandteil des großdeutschen Kulturraumes
gemacht. Das Weichselland hat reichlich vergolten, was ihm von auswärts
beschert wurde. Es sei nur an den Thorner Nikolaus Coppernicus und den
Danziger Arthur Schopenhauer
erinnert; beide entstammten altansässigen
deutschen Familien und haben die geistige Entwicklung nicht nur des deutschen
Volkes sondern der gesamten Menschheit befruchtet. Auch Andreas
Schlüter nannte sich einen Danziger, und die Nennung aller der
Die mächtige
Ordensburg Mewe.
|
hervorragenden, für die deutsche Geistesgeschichte bedeutsam gewordenen
Männer und Frauen, die in den kleineren Orten an der Weichsel beheimatet
waren, würde viele Seiten füllen. Niemals aber hat ein Pole das
Antlitz des Landes künstlerisch gestaltet,
niemals einen geistigen und kulturellen Einfluß auf die Bevölkerung
ausgeübt und nicht ausüben können, weil die Kulturtragenden
und -empfangenden, die Deutschen, seine Sprache gar nicht verstanden haben.
Denn das Polnische wurde in den Städten höchstens als
Fremdsprache von den Kaufmannssöhnen aus geschäftlichen
Rücksichten gelernt.
Es ist für den Kenner der Geschichte überflüssig, über
einen etwaigen Vorrang deutscher und polnischer Kultur im Weichsellande zu
streiten; denn da es keine polnische Kultur in ihm jemals gegeben hat, kann sie
auch keinen Vorrang gehabt haben. Es sind Geschichtsfälschungen
übelster Art, wenn neuerdings Werke deutscher Kunst in Darstellungen der
polnischen
Kunst- und Kulturgeschichte veröffentlicht werden oder wenn
Männer wie Daniel Chodowiecki,
der trotz seinem polnischen Namen nicht
polnisch sprechen konnte, zu einem polnischen Geisteshelden gestempelt werden.
Wirkliches polnisches Wesen hat im Weichsellande erst nach seinem Raub im
Jahre 1920 um sich gegriffen. Denn nie wird sich das deutsche Volk zu dem
"Wunder" von Gdingen oder zu den "Poniatowkis", den Hütten der neuen
galizischen Siedler, bekennen wollen. Sie wirken auf jeden, der einen
unverbildeten Sinn für die Eigenart natürlich gegebener und
geschichtlich gewordener Landschaft besitzt, als störende
Fremdkörper; sie sind nicht nur undeutsch, sie sind auch
unweichselländisch. Denn es gilt immer noch das Wort, das der Danziger
Ratsherr Johann Fürst im Jahre 1552 dem polnischen Großmarschall
entgegengeschleudert hat: Mein Herr, der Erdboden im Lande kann es nicht
leiden, wenn die Polen über die
Deutschen - und fügen wir hinzu: über ihr deutsches
Land - regieren sollen oder Gewalt an ihm üben.
Deutschland und der Korridor
|
|