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Deutschland und der Korridor

 
Volkstum und völkische Leistung
im Weichselland (Teil 3)

Erich Keyser

Die Verbreitung
der Hauländerdörfer im Osten
Die Verbreitung der Hauländerdörfer im Osten
Während des Dreißigjährigen Krieges flüchteten ferner zahlreiche Bauern und Handwerker aus Schlesien vor den Verfolgungen der Soldateska in die Städte und Dörfer des Weichsellandes; auch namhafte schlesische Dichter jener Zeit, wie Martin Opitz und Andreas Gryphius, begaben sich nach Danzig. Sie verstärkten den mitteldeutschen Einschlag, der in der Bevölkerung des Weichsellandes schon seit der Ordenszeit bestand. Eine oberdeutsche Volksgruppe trat dagegen zum ersten Male am Ende des achtzehnten Jahrhunderts an der Weichsel auf. Es waren "Schwaben", die aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat in Südwestdeutschland verließen und [37=Karte] [38] durch Friedrich den Großen im Netzegebiet, im Kulmerlande und auf der Danziger Höhe angesiedelt wurden. Ihr Zuzug
Kolmar am Südrand des Netzebruches
Kolmar am Südrand des Netzebruches.
beschränkte sich auf die Jahre 1776 bis 1805 und umfaßte nur einige Tausend Siedler. Da sie geschlossen angesetzt wurden und ihre Mundart und Sitten zum Teil bis zur Gegenwart beibehielten, nehmen sie gleich den Mennoniten eine Sonderstellung unter den Deutschen des Weichsellandes ein. Weit geringer war der Einfluß, den einige schottische Einwanderer seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts in Danzig, Elbing und [39] einigen anderen Orten blutsmäßig und kulturell ausübten. Auch Hugenotten haben sich auf ihrer Flucht aus Frankreich im Lande nicht unmittelbar niedergelassen sondern sind erst später aus ihrer neuen Heimat im östlichen Ostpreußen oder aus Pommern und der Kurmark zugezogen. Es braucht nicht betont zu werden, daß es Litauer an der Weichsel niemals gegeben hat. Die Bevölkerung des Weichsellandes bestand in der Mehrzahl aus deutschen Bauern und Bürgern und neben ihnen aus je einer kaschubischen Bevölkerungsgruppe im Norden und einer polnischen Bevölkerungsgruppe im Süden von Pommerellen und im Kulmerlande.

Der deutsche Anteil an den
Städten des Weichsellandes um 1772
Der deutsche Anteil an den Städten des Weichsellandes 
um 1772
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Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß der Weichselraum, als er im Jahre 1772 durch Friedrich den Großen mit dem übrigen, östlichen Preußenlande wiedervereinigt wurde und erneut unter deutsche Herrschaft kam, noch eine deutsche Bevölkerungsmehrheit aufwies. Zwar waren gerade in den letzten Jahrzehnten der polnischen Zeit, besonders durch die schwedisch-polnischen Kriege und später durch den Einfall der Russen, wiederum wie im fünfzehnten Jahrhundert zahlreiche Ortschaften zerstört worden. Viele Städte hatten nicht mehr als 1.000 Einwohner. "Das Land ist wüst und leer, die Äcker ausgesogen, voll Unkraut und Gestein, die Wiesen versumpft, die Wälder gelichtet." In solchem Zustand hatten die Polen das einst so blühende Land zurückgelassen.
Stadt Marienburg
Stadt Marienburg.
Zum Glück war der deutsche Besitzstand in der ganzen Weichselniederung von Thorn bis Danzig, in den Gebieten um Elbing, Marienburg und Marienwerder, um Thorn und Kulm und im äußersten Westen im ganzen erhalten geblieben. Die Bevölkerung des Gebietes, das 1772 dem Königreich Preußen eingegliedert wurde, bestand je zur Hälfte aus Protestanten und Katholiken und hatte somit, da ein Teil der katholischen Bevölkerung auch deutscher Herkunft war, eine deutsche Mehrheit.

Die Wirtschaftsbelebung
im unteren Weichselland
unter Friedrich II.
Die Wirtschaftsbelebung im unteren Weichselland unter Friedrich II.
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Im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung haben Friedrich der Große und seine Nachfolger wohl viel zur kulturellen Hebung des Wohlstandes und zur Beseitigung der schweren Schäden der "polnischen Wirtschaft" geleistet, aber nur im geringen Umfange Bevölkerungspolitik getrieben. Es wurden nicht allzuviel Deutsche neu angesetzt; nur wenige von ihnen kamen von außerhalb des Landes. Wenn alsbald, besonders nach den erneuten Schrecken der Napoleonischen Kriege, der Anteil der deutschen Bevölkerung ständig anwuchs, so ist diese Erscheinung darauf zurückzuführen, daß die planmäßige Förderung von Landwirtschaft und Gewerbe, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Verbesserung der Lebensverhältnisse und vor allem das Ende des Kampfes gegen die deutsche Volksgruppe ihre natürliche Vermehrung angeregt haben. Eine Unterdrückung der polnischen und kaschubischen Volksgruppen kann dagegen der preußischen Regierung, besonders des neunzehnten Jahrhunderts, nur mit Unrecht vorgeworfen werden. Das Gegenteil wäre statthaft. Denn gerade die sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen der preußischen Regierung haben der polnischen und der kaschubischen Bevölkerung in der neu eingerichteten Provinz Westpreußen erst die Bildung eines gesunden Bauerntums und eines bürgerlichen Mittelstandes ermöglicht. Der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung des Landes ist daher auch nicht zurückgegangen sondern gestiegen. Er betrug im Regierungsbezirk Danzig 1831 nur 24 v.H., dagegen 1890 schon 28 v.H. und im Regierungsbezirk Marienwerder 1831 nur 34 v.H. und 1890 bereits 40 v.H. Volkstum und völkische Leistung stehen in wechselseitiger Beziehung. Jede Volksgruppe bestimmt Umfang und Art der kulturellen Arbeit, die von ihren Angehörigen geleistet wird. Die Höhe dieser Leistung,
Die Siedlungstätigkeit
Preußens seit 1870
Die Siedlungstätigkeit Preußens seit 1870
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die Blüte städtischen und bäuerlichen Lebens beeinflußt aber wiederum die zahlenmäßige Vermehrung und die artmäßige Besserung der gleichen Volksgruppe. Je weniger eine Volksgruppe kulturell leistet, umso geringer ist sie an Zahl und Geltung; je mehr sie Vorbild- [40] liches schafft, desto mehr übt sie auch auf die volksfremde Bevölkerung eine starke Anziehungs- und Angleichungskraft aus und nimmt selbst an Zahl, Bedeutung und Selbstbewußtsein zu. Gerade die weitgehende Anpassung an den deutschen Kulturstand hat die polnische und die kaschubische Bevölkerung in der Provinz Westpreußen im neunzehnten und im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert an Volkszahl, Besitzumfang, Wohlstand und Bildung gefördert.

[41] Bei der letzten Volkszählung vor dem Weltkriege 1910 betrug die Einwohnerzahl der Provinz Westpreußen nach den auch von polnischer Seite veröffentlichten Angaben 1.703.474 Personen. Von ihnen gaben 1.097.943 deutsch, 475.853 polnisch, 107.199 kaschubisch und der Rest deutsch und eine andere Sprache als Muttersprache an. Die Bevölkerung bekannte sich somit mit 65 v.H. zur deutschen und nur 35 v.H. zu einer der slawischen Muttersprachen. In der Provinz Westpreußen lag somit eine überwiegende deutsche Mehrheit vor. Das gleiche war in den beiden Regierungsbezirken Danzig und Marienwerder der Fall. Im Regierungsbezirk Danzig bekannten sich 532.620 Personen (72 v.H.) zur deutschen und nur 102.080 (14 v.H.) zur pol- [42] nischen und 100.148 (14 v.H.) zur kaschubischen Muttersprache. Im Regierungsbezirk Marienwerder hatten 565.323 (59 v.H.) deutsche, 373.773 (39 v.H.) polnische und 7.051 (2 v.H.) kaschubische Muttersprache.

Es bekannten sich ferner zur deutschen Muttersprache in der Stadt Elbing 100 v.H., in der Stadt Danzig 97 v.H., in der Stadt Graudenz 85 v.H. und in Thorn 66 v.H. Nur in [43=Karte] [44] wenigen Städten gab es eine Mehrheit mit nichtdeutscher Muttersprache. Es war somit ungerecht und eine vertragswidrige Verfälschung des feierlich zugesicherten Selbstbestimmungsrechts der Völker, wenn die Bevölkerung der Provinz Westpreußen in ihrer Gesamtheit nicht nach ihrem Willen gefragt und ohne Rücksicht auf
Der deutsche ländliche Grundbesitz in Posen und Westpreußen im Jahre 1910 Der deutsche ländliche Grundbesitz in Posen und 
Westpreußen im Jahre 1910
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die geschichtlich gewordenen Lebenszusammenhänge gebietsmäßig willkürlich auseinandergerissen wurde. Die Abstimmung ist in dem größten Teile Westpreußens unterblieben, weil die Polen ein für sie selbst ungünstiges Ergebnis einer solchen Volksbefragung vorausgesehen haben dürften. Denn nicht nur in der Gesamtheit der Provinz sondern auch in ihren Polen zugeteilten Teilen war eine deutsche Mehrheit schon allein nach der Muttersprache vorhanden.

In dem vom Deutschen Reich abgetrennten Gebieten der Provinz Westpreußen standen sich 1910 736.721 (57 v.H.) Personen mit deutscher und 557.664 (43 v.H.) mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache gegenüber; in den abgetrennten Gebieten des Regierungsbezirkes Danzig waren es sogar 418.559 (67 v.H.) Personen mit deutscher und nur 204.651 (33 v.H.) Personen mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache. Auch in dem abgetrennten Teil des Regierungsbezirkes Marienwerder standen nur 353.013 (52 v.H.) Personen mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache einer Gruppe von 318.162 (48 v.H.) Personen mit deutscher Muttersprache gegenüber.

Diese Ziffern lassen jedoch nicht das deutsche Volkstum im Weichsellande in seinem vollen Umfang erkennen. Denn wie eine Volksabstimmung, die im Jahre 1920 im Bezirk von Marienwerder und im südlichen Ostpreußen durchgeführt wurde, gezeigt hat, ist die Angabe dieser oder jener Muttersprache im Jahre 1910 nicht dem politischen Bekenntnis zu einem Volkstum gleichzusetzen. Während die Zählung der Bevölkerung nach Muttersprachen in Masuren ein Überwiegen der Gruppe mit masurischer Muttersprache ergeben hatte, hat gerade dort fast die gesamte Bevölkerung zu 97 v.H. für das Verbleiben ihrer Heimat zum Deutschen Reich sich entschieden. In Masuren haben 86 v.H. der Bevölkerung mit masurischer Muttersprache und in den westpreußischen Abstimmungsgebieten 50 v.H. der Bevölkerung mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache für Deutschland gestimmt. Es ist somit anzunehmen, daß auch in Pommerellen und im Kulmerlande bei einer Abstimmung mindestens die Hälfte der Bevölkerung, die im Jahre 1910 das Polnische oder Kaschubische als Muttersprache für sich angegeben hatte, ein Bekenntnis zum Deutschtum abgelegt haben würde.

Kaiserschloß
Posen - Kaiserschloß, erbaut 1905 bis 1910 von Schwechten.
Die obigen Zahlen über die Verteilung der Volksgruppen in den ohne Abstimmung abgetrennten Gebieten sind demnach erheblich zu berichtigen. Bei einer Abstimmung im Weichselkorridor, also in den Gebieten, die ohne Befragung der Bevölkerung vom Deutschen Reiche abgetrennt wurden, würden im Jahre 1920 nicht nur 57 v.H. der Bevölkerung mit deutscher Muttersprache sondern auch noch mindestens die Hälfte der Bevölkerung mit polnischer oder kaschubischer Muttersprache, also weitere 22 v.H., somit im Ganzen 79 v.H. für Deutschland sich entschieden haben. Die vom Regierungsbezirk Danzig abgetrennten Gebiete würden eine deutsche Mehrheit von 84 v.H., die vom Regierungsbezirk Marienwerder
Posen - Kaiserschloß
Posen - Kaiserschloß.
Posen ist als Handelsstadt an der Straße Berlin - Frankfurt an der Oder - Warschau entstanden und zeigt auf dem westlichen Wartheufer heute noch den Kern der deutschen Stadtgründung.
abgetrennten Gebiete würden eine deutsche Mehrheit von 74 v.H. gehabt haben. Dabei ist bei dieser Berechnung noch der für Deutschland ungünstigste Fall angenommen. Mindestens drei Viertel, wahrscheinlich vier Fünftel der Bevölkerung des Weichsellandes sind somit durch den Machtspruch von Versailles vergewaltigt worden. Selbst wenn von dieser Zahl die Bevölkerung im späteren Gebiet der Freien Stadt Danzig abgerechnet werden würde, hätte eine Abstimmung nur in den der Republik Polen zugeteilten Gebieten schlecht gerechnet eine deutsche Mehrheit [45] von 56 v.H. ergeben. Es muß aber berücksichtigt werden, daß die ungerechtfertigte und sinnlose Zerreißung des ganzen Weichsellandes der gesamten Bevölkerung der früheren Provinz Westpreußen
Rathaus in Posen
Rathaus in Posen, Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert.
schwersten Schaden gebracht hat. Denn bei einem engen wirtschaftlichen, kulturellen und familiären Zusammenhang, der zwischen allen Teilen des Landes seit jeher bestanden hat, wurden die Gebiete um Elbing, Marienburg, Marienwerder von dem Versailler Gewaltakt nicht weniger betroffen als die Bevölkerung im Gebiet der Freien Stadt Danzig und auch im Bereich der späteren Wojewodschaft Pomorze.

Die politische Aufteilung des Weichsellandes war das erste Unrecht, das die Westmächte angeblich zugunsten Polens der dortigen deutschen Volksgruppe und damit auch dem gesamten deutschen Volke zugefügt haben. An dem zweiten Unrecht, das sie erleiden mußte, waren die Polen allein schuldig. Sie haben bereits in den ersten Jahren ihrer Herrschaft aus den von ihnen unrechtmäßig besetzten Gebieten des Weichsel- und Warthelandes mehr als 1.000.000 Deutsche vertrieben. Es wurde hier die größte Völkerwanderung erzwungen, welche die Geschichte Mitteleuropas bisher [Anm d. Scriptorium: d. h. bis zum Jahre 1939] aufzuweisen gehabt hat. Nur dieser erneuten Gewalttat ist es, abgesehen von der anzuzweifelnden Gültigkeit der späteren polnischen Volkszählungen, zuzuschreiben, wenn diese in den letzten Jahren eine starke polnische Mehrheit in Pommerellen und im Kulmerland erbracht haben. Denn die Vertreibung der Deutschen wurde zahlenmäßig durch ein weiteres, drittes Unrecht am Weichsellande ausgeglichen, durch die Herbeiziehung von kulturell tiefstehenden Siedlern aus Galizien und den östlichen Gebieten des polnischen Staates. Das völkische Gesicht des Weichsellandes wurde in den polnisch beherrschten Teilgebieten zwangsweise osteuropäisiert. Dagegen ist das Deutschtum im Danziger Lande und in den dem Deutschen Reich verbliebenen Bezirken an Zahl und kultureller Leistungsfähigkeit spätestens seit 1933 erheblich gesteigert worden; es übt auch auf die abgetrennten Landschaften und auf die dort verelendenden deutschen Volksgruppen eine wachsende Anziehungskraft aus.

Mächtiger deutscher Kirchenbau in Thorn
Mächtiger deutscher Kirchenbau in Thorn.
Der einzigartigen Bedeutung, welche das deutsche Volkstum im Weichsellande seit jeher besessen hat, entspricht seine kulturelle Leistung. Selbst wenn alle anderen Quellen von der Anwesenheit der deutschen Siedler in den Städten und Dörfern des Weichsellandes schweigen sollten, würden ihre Werke von ihnen zeugen, und zwar nicht nur von ihrem Dasein sondern auch von ihren überragenden Fähigkeiten. Denn alles, was von menschlicher Arbeit aus jenen fernen Jahrhunderten erhalten ist, ist allein ihnen zu verdanken. Es gibt kein Baudenkmal und kein Kunstwerk, keinen Kanal und keinen Deich, keine Burg und keine Kirche, keinen Stadtgrundriß und keine Dorfanlage, die nicht von Deutschen geschaffen sind. Vor ihrer Ankunft war das Land, soweit nicht noch der Boden die Schätze ostgermanischer Kultur verbarg, wüst und leer. Es ist auch später keine einzige kulturelle Leistung von anderen als von Deutschen vollbracht worden. Wer an jenen Tatsachen zweifeln sollte, braucht nur einmal auf einer Reise durch das Weichselland
Anm. d. Scriptorium, 2005: Und nachdem Polen die Weichselbefestigungen seit 1945 vernachlässigt und sich dadurch Hochwasserkatastrophen selbst eingehandelt hat, sind es wieder bzw. noch immer die Deutschen, die bei Überschwemmungen mit Geld- und Sachspenden einspringen und den Schaden in dem durch polnische Mißwirtschaft verkommenen, einst deutschen Land aus eigener Tasche beheben helfen! Man denke nur an das Hochwasser im Juli 2001: "Mit Spenden und umfangreichen Hilfstransporten unterstützen die Hilfsorganisationen aus Nordrhein-Westfalen die Hochwasseropfer in Polen..." Wir kommen nicht umhin, zu fragen, ob Polen im umgekehrten Falle Deutschland wohl auch so großzügig geholfen hätte?
stromaufwärts von der Wahrheit dieser Behauptung sich zu überzeugen. Schon die Mündung der Weichsel bei ihrem alten Ausfluß bei Weichselmünde oder bei ihrem Durchbruch durch die Dünen im Jahre 1840 oder bei ihrem Durchstich bei Schiewenhorst aus dem Jahre 1895 oder bei der Stelle, bei der die Elbinger Weichsel in das Frische Haff fließt, sind durch deutsche Hände geregelt, wenn nicht erwirkt worden. Deutsche Wasserbauer haben den Strom in Deiche eingezwungen und jahrhundertelang durch sie das Land, soweit es möglich war, gegen Überschwemmungen geschützt; sie haben den westlichen Teil des Frischen Haffes, der einst bis nach Danzig reichte, eingedämmt und trockengelegt und damit im wahrsten Sinne des Wortes sogar erst das Land geschaffen, auf dem heute deutsche [46] Dörfer stehen. Sie haben die Radaune von Praust nach Danzig geleitet, damit sie dort Mühlen trieb und die Graben der Burg und Stadt bewässerte. Sie haben ähnliche Mühlengräben bei Marienburg und Marienwerder angelegt. Sie haben die gesamte Niederung im
Vorlaubenhaus in Taunsee in der Danziger Niederung
Vorlaubenhaus in Taunsee
in der Danziger Niederung.
oberen Laufe der Weichsel bis nach Thorn hin sowie den Netzebruch urbar gemacht. Deutsche Bauern haben die Felder in Fluren geteilt und die Urwälder gerodet. Überall zeigt die Landschaft des Weichsellandes den ordnenden Sinn des deutschen Menschen. Ein Schritt über die Grenze nach Süden, nach Polen hinein, und alles schaut anders aus.

[47] Die Deutschen haben die Mehrheit der Dörfer und Güter begründet, die Ausmaße ihrer Höfe und Häuser, ihrer
Backsteinkirche in Kulm
Backsteinkirche in Kulm.
Wiesen und Äcker abgesteckt. Sie haben die älteren Ortschaften, wo sie solche vorfanden, nach deutscher Art umgelegt; nur auf dem unfruchtbaren Boden der Kaschubei finden sich noch Siedlungen, die von den Deutschen nicht umgestaltet worden sind. Denn jene Sandflächen wurden den Pomoranen überlassen. Es gibt wenige Gebiete in Deutschland oder sogar in Mitteleuropa und keines in Osteuropa, das an der Pracht seiner Bauernhäuser mit dem Weichselland wetteifern kann. Die
Die Bevölkerungsdichte
im unteren Weichselland
Die Bevölkerungsdichte im unteren 
Weichselland
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Vorlaubenhäuser der Weichselniederung mit ihrem schwarz und weiß gemusterten Fachwerk sind ein Kennzeichen der Landschaft und gehen, wie wohl mit Recht vermutet wird, auf ostgermanische Vorbilder zurück. Das Straßendorf oder das Angerdorf werden überragt von der Pfarrkirche, die meist in Backstein ausgeführt und mit trutzigem Turm versehen ist. In den Gutssiedlungen bildet das Herrenhaus den Mittelpunkt der Ortschaft; nicht selten ist es schloßartig ausgebaut, wie in Finkenstein bei Rosenberg.
Alte Backsteinkirche in Bromberg
Alte Backsteinkirche
in Bromberg

Neben den Dörfern und Gütern ziehen die Städte die Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich. Eine Kette unvergleichbarer Städte reiht sich zu beiden Seiten des Stromes aneinander, an seiner Mündung liegen Danzig und Elbing, die Umschlagplätze der Hanse, auf dem östlichen Ufer der Nogat und der Weichsel die Trutzburgen in Marienburg und Marienwerder. Ihnen gegenüber ragen am Abhange der pommerellischen Hochflächen Dirschau, Mewe, Neuenburg empor. Weiter
Hohe Speicher an der Mottlau in Danzig
Hohe Speicher
an der Mottlau in Danzig.
südlich grüßen sich über den Strom hinweg Graudenz, Schwetz und Kulm, und endlich bildet das turmreiche Thorn den würdigen Abschluß an der südlichen Pforte nach Polen hin. Diese Städte waren einst wehrhaft mit ihren Mauern, Türmen und Toren, wie sie noch in Danzig und Thorn erhalten sind. Die Speicher in Danzig, Elbing und Graudenz zeugen von ihrem Handel. Die Burgen und Burgtürme in Marienwerder, Mewe, Graudenz und Schwetz künden von dem Machtbewußtsein ihrer Landesherren. Auch die Landschaften, die von der Weichsel weiter entfernt sind, waren durch Burgen geschützt, wie sie in Schlochau und in Rheden, in Bütow, das lange Jahrhunderte auch zum Weichsellande gehörte, und in Gollub noch vorhanden sind.

Backsteinkirche in Pelplin
Backsteinkirche in Pelplin, von den Zisterziensern im 13./14. Jahrhundert als eine der bedeutendsten gotischen Kirchen des Ordenslandes errichtet.
Backsteinkirche in Posen
Backsteinkirche in Posen.

Die Pfarrkirchen, unter ihnen in Danzig St. Marien, St. Katharinen, St. Johann, in Elbing St. Nikolai und St. Marien, in Marienwerder der Dom, in Thorn St. Johann und St. Marien, sind mit edelsten Kunstwerken, Altären, Grabsteinen, Gittern und Leuchtern geschmückt. Die Kirchen der großen Klöster, wie Oliva und Pelplin, stehen ihnen in keiner Hinsicht nach; auch viele Dorfkirchen beherbergen ungewöhnliche künstlerische Erzeugnisse, deren Wert auch den Einheimischen oft unbekannt ist. Die Rathäuser in Danzig, Thorn und Marienwerder, die Große Mühle und der Große Kran in Danzig, die Zeughäuser und Bürgerhäuser derselben Städte gelten seit alters als hervorragende Beispiele deutscher Baukunst und Technik. In den kleineren Städten ist vieles nur ein Abglanz von der Kunst und dem Kunstgewerbe der kulturell führenden Orte; aber ihr Gepräge ist nicht minder
Turm der Danziger Marienkirche
Turm der Danziger Marienkirche.
deutsch zu allen Jahrhunderten gewesen. Wenn übereifrige Fanatiker versucht haben, den polnischen Ursprung dieser oder anderer Gebäude im Weichsellande daraus zu erweisen, daß sie Bauten in Krakau oder Warschau gleichen, so übersehen sie bewußt oder aus geschichtlicher Unkenntnis, daß deutsche Meister seit jeher in polnische Städte gerufen worden sind. Gerade Danziger Künstler, Baumeister, Bildhauer, Silberschmiede und Maler haben ebenso wie die Buchdrucker in Danzig und in Thorn maßgebende Werke des vermeintlich polnischen Geisteslebens gefertigt.

Rathaus von Thorn
Rathaus von Thorn. Die Anfänge des Baues gehen in das 13. Jahrhundert zurück.
Die deutschen Künstler, die in den Städten und auf den Burgen des Weichsellandes gearbeitet haben, stammten ebensogut aus dem Preußenland wie aus anderen Gebieten Deutsch- [48] lands. Sie sind noch mehr und noch weiter gewandert als die bürgerlichen und bäuerlichen Siedler. Dichter und Gelehrte wanderten ein; sie alle haben das Weichselland zu einem unabtrennbaren Bestandteil des großdeutschen Kulturraumes gemacht. Das Weichselland hat reichlich vergolten, was ihm von auswärts beschert wurde. Es sei nur an den Thorner Nikolaus Coppernicus und den Danziger Arthur Schopenhauer erinnert; beide entstammten altansässigen deutschen Familien und haben die geistige Entwicklung nicht nur des deutschen Volkes sondern der gesamten Menschheit befruchtet. Auch Andreas Schlüter nannte sich einen Danziger, und die Nennung aller der
Ordensburg Mewe
Die mächtige Ordensburg Mewe.
hervorragenden, für die deutsche Geistesgeschichte bedeutsam gewordenen Männer und Frauen, die in den kleineren Orten an der Weichsel beheimatet waren, würde viele Seiten füllen. Niemals aber hat ein Pole das Antlitz des Landes künstlerisch gestaltet, niemals einen geistigen und kulturellen Einfluß auf die Bevölkerung ausgeübt und nicht ausüben können, weil die Kulturtragenden und -empfangenden, die Deutschen, seine Sprache gar nicht verstanden haben. Denn das Polnische wurde in den Städten höchstens als Fremdsprache von den Kaufmannssöhnen aus geschäftlichen Rücksichten gelernt.

Es ist für den Kenner der Geschichte überflüssig, über einen etwaigen Vorrang deutscher und polnischer Kultur im Weichsellande zu streiten; denn da es keine polnische Kultur in ihm jemals gegeben hat, kann sie auch keinen Vorrang gehabt haben. Es sind Geschichtsfälschungen übelster Art, wenn neuerdings Werke deutscher Kunst in Darstellungen der polnischen Kunst- und Kulturgeschichte veröffentlicht werden oder wenn Männer wie Daniel Chodowiecki, der trotz seinem polnischen Namen nicht polnisch sprechen konnte, zu einem polnischen Geisteshelden gestempelt werden. Wirkliches polnisches Wesen hat im Weichsellande erst nach seinem Raub im Jahre 1920 um sich gegriffen. Denn nie wird sich das deutsche Volk zu dem "Wunder" von Gdingen oder zu den "Poniatowkis", den Hütten der neuen galizischen Siedler, bekennen wollen. Sie wirken auf jeden, der einen unverbildeten Sinn für die Eigenart natürlich gegebener und geschichtlich gewordener Landschaft besitzt, als störende Fremdkörper; sie sind nicht nur undeutsch, sie sind auch unweichselländisch. Denn es gilt immer noch das Wort, das der Danziger Ratsherr Johann Fürst im Jahre 1552 dem polnischen Großmarschall entgegengeschleudert hat: Mein Herr, der Erdboden im Lande kann es nicht leiden, wenn die Polen über die Deutschen - und fügen wir hinzu: über ihr deutsches Land - regieren sollen oder Gewalt an ihm üben.


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