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Süddeutschland - Eberhard Lutze

München

Es dürfte kaum übertrieben sein, wenn man behauptet, München sei die beliebteste Stadt Deutschlands. Wahrlich, wer je das Glück gehabt hat, diese Stadt kennenzulernen oder in ihr zu leben, wird aus vollem Herzen in dieses Loblied miteinstimmen. Wer die Stadt der Kunst und der Hohen Schulen, des Englischen Gartens, des Bieres und des Faschings, wegen der nahen Berge oder als die ewig denkwürdige Hauptstadt der Bewegung liebt, für jedermann bleibt München als ein Wunder von Stadt in der Erinnerung. Ein stolzes Wort König Ludwigs I. hat eine stolze Erfüllung gefunden: "Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutschland so zur Ehre gereichen soll, daß keiner Deutschland kennt, wer nicht München gesehen hat." Dabei hat nicht die Gunst der Lage, die Fruchtbarkeit des Umlandes die Stadt zur Blüte gebracht. Sie liegt inmitten der weiten Hochebene, am Berührungspunkte zweier Bodenarten. Besteigt man an einem klaren Tage einen der vielen Kirchtürme, so umfängt der Blick nach Norden die Weite der Schotterebene mit Mooren, Heide und Nadelwäldern. Im Süden breitet sich die Endmoränenlandschaft aus, deren Gestalt durch Vorberge, Seen und Wälder mannigfaltig erscheint und von dem teils durch steile Engtäler, teils in weiten Schleifen geführten silbernen Lauf der Isar durchzogen ist. Angesichts solchen Umlandes, das sicherlich nicht beuteschwer war, konnte der Schwedenkönig Gustav Adolf das Wort auf München prägen, es sei ein "goldener Sattel auf einer dürren Mähre". Das war im 17. Jahrhundert. Jean Paul gar fand die Umgebung von Bayerns Hauptstadt so abschreckend häßlich, daß er es unterließ, nach hier überzusiedeln. Das war zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Inzwischen hat das Aufblühen der bayerischen Königsstadt, haben die Technik, der Verkehr und der alljährlich ansteigende Fremdenstrom die Umgebung mit ihrem romantischen Isartal, den herrlichen Seen, den glanzvollen Schlössern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, den stillen Kirchen und Klöstern des Spätmittelalters und Barocks ebenso bekannt gemacht wie München selbst. Ja, sie gehört zur Stadt untrennbar dazu, als weite, von Natur und Mensch begünstigte landschaftliche Folie der festlichen, bei allem Glanz so gemütlichen Stadt.

Wer vom Hauptbahnhof kommend die Kaufingerstraße entlang geht oder das Sendlingertor durchschreitet, befindet sich auf einer der alten Zufahrtsstraßen zur inneren Stadt. Die heute noch in recht veränderter Gestalt bestehenden Sendlinger-, Karls- und Isartore sind Reste der Befestigung, die Kaiser Ludwig der Bayer der wachsenden Stadt um 1319 gab. Der Lauf des Stadtgrabens kann noch heute zum Teil verfolgt werden: am deutlichsten in den breiten Grünanlagen des Ritter v. Epp-Platzes, der Herzog Wilhelm- und Blumenstraße. Da der Ausdehnung der Stadt im Osten durch die nicht regulierte Isar eine natürliche Grenze gesetzt war, konnte sie sich nicht in konzentrischen Ringen ausdehnen, sondern behielt die Stadt die Gestalt eines Halbovals, dessen unter Ludwig dem Bayern erreichter Umfang für 400 Jahre aus- [854] reichte. Deutlich hebt sich noch heute der älteste Kern der Innenstadt ab: ein Gewirr von Gassen, dessen Ausdehnung in jeder Richtung vom Karls- bis zum Isartor, vom Sendlingertor bis zum Platz vor der Feldherrnhalle kaum 500 Meter mißt. Der Turm des alten Rathauses ist einer der Tortürme gewesen. Mitten in der Enge des altväterischen München, das niemals schöner gefeiert wurde als durch den Pinsel Karl Spitzwegs, reckt sich das Wahrzeichen Münchens, die Frauenkirche, empor. Ihr mächtiger Backsteinbau steht an der Stelle einer älteren Marienkirche, die ihrerseits auch nicht mehr in die Gründungszeit der Stadt "ze den Munchen" hinaufreichte. An die Mönche erinnert noch das Münchener Kindl im Stadtwappen. Der eigentliche Gründer Münchens ist der Welfe Heinrich der Löwe, Herzog von Bayern, gewesen. Er verwandelte 1158 das unbedeutende Klosterdorf durch gewaltsame Verlegung des Brücken-, Markt-, Zoll- und Münzrechtes von Föhring, das dem Bischof von Freising gehörte, nach München, in eine Salzniederlage von Bedeutung. Der Markt - der heutige Marienplatz - wurde das Herz der Anlage, dem auf der Salzstraße von Schwäbisch Hall und Reichenhall reichlich Handelsgut zugetragen wurde. Er ist für mittelalterliche Verhältnisse meisterhaft angelegt und konnte leicht den Verkehr der Frachtwagen in Ost-West- und Nord-Südrichtung bewältigen. Wickelt sich auf ihm doch noch heute ein beängstigender Großstadtverkehr erstaunlich reibungslos ab!

Des nur im Kern alten Rathauses gedachten wir bereits. Ein schöner alter Tanz- und Festsaal darin ist sehenswert. Die berühmten Moriskatänzer des großen altbayerischen Schnitzers Erasmus Grasser, die ihn in spätgotischer Verschränkung und Ausdruckskraft als Einladung an die Festgesellschaft, es ihnen gleich zu tun an Tanzesfreude, schmückten, sind neuerdings wieder aus dem Städtischen Museum am Jakobsplatz an ihren alten Standort zurückgeführt. Nicht weit vom Rathaus grüßt der "Alte Peter", wie der Turm der ältesten Münchener Kirche, St. Peter, im Volksmund heißt. Der gotische Kern der in bewegten Umrissen aufgeführten Kirche hat, wie so oft in Bayern, im Inneren eine barocke Überarbeitung erlebt. Um so eindringlicher bewahrt die Frauenkirche ihr architektonisch herbes, klares Gesicht aus der Erbauungszeit, die 1488 endete. Groß und einfach der Umriß: das riesige Dach der Hallenkirche, die Zwiebeltürme mit ihren grün patinierten Kupferdächern; groß und sachlich das Innere, sparsam in allen Einzelheiten. Eng gereiht tragen freistehende hohe Pfeiler das Gewölbe. Jörg Ganghofer ist der Name des Baumeisters. Er hat auch das Alte Rathaus geschaffen.

München. Der Münzhof, früher Kunstkammer.
[836]      München. Der Münzhof, früher Kunstkammer.

Nicht weit von der Domkirche, die sich die Münchener als Pfarrkirche erbaut hatten, liegt das Geschenk der Herzöge und Könige von Bayern an die Stadt, ihre Residenz. Wer Freude daran hat, auf gedrängtem Grundriß Räume und Stile verschiedener Zeiten hintereinander in geradezu blendender Schönheit zu sehen, dem wird die Residenz in München zu den stärksten Eindrücken zählen. Von der Renaissance an bis zum vorigen Jahrhundert reiht sich Stil an Stil. Da ist das Antiquarium, das Wilhelm V. für seine ausgedehnte Kunstsammlung bauen ließ, da sind der Brunnen- und Grottenhof, [855] stimmungsvolle Rahmen der neuerdings mit Erfolg aufgeführten sommerlichen Abendmusiken, da tragen die "Reichen Zimmer" ihren Namen geradezu mit Bescheidenheit, da feiert der Barock in den "Päpstlichen Zimmern" und den Räumen Max Emanuels rauschende Feste. Maximilians I. Schauseite mit Hans Krumpers bronzener Patrona Bavariae zwischen prachtvollen Marmorportalen gibt dem Außenbau eine ernste kühle Vornehmheit. Um so heiterer schließt sich der Hofgarten an mit dem zierlichen Rundtempel, den freskengeschmückten Arkaden, den beliebten Kaffeehäusern. Münchens Herz schlägt hier. Dem heutigen Münchener Volkstum steht noch immer der Barock nahe, der sich so vollendet im Altbayerischen ausgesprochen hat und sicherlich - trotz der Frauenkirche: daß sie nicht barock umgebaut wurde, ist eine Ausnahme - auch die barocken Kirchen. Nennen wir nur drei: die Hofkirche, die Theatinerkirche und das Asamkirchlein. Die Michaelskirche, Hof- und Jesuitenkirche zugleich, im Hauptgeschäftsviertel der Neuhauserstraße gelegen, ist ein Hauptbau der Gegenreformation, Denkmal und Grabkirche der Wittelsbacher. Wie dieser erste Bau, der den römischen Jesuitenstil eindeutscht, hält sich auch die Theatinerkirche an südländische Vorlagen. Die von einer italienischen Mutter ersehnte Geburt des Thronerben Max Emanuel war der Anlaß zur Kirchenstiftung. Italiener haben an dem Bau mitgewirkt, doch wie einzigartig bestimmen die Kuppel und die doppeltürmige Schauseite Münchens Stadtbild; sie sind keine Fremdkörper. Wie meisterhaft ist der in warmem Ockerton gehaltene, aus der Ruhe der Sockelzone zu der Bewegung der Turmhelme sich stetig steigernde Bau in den Abschluß der späteren Ludwigsstraße einberechnet!

München. Theatiner Kirche mit Feldherrnhalle.
[833]      München. Theatiner Kirche mit Feldherrnhalle.

München. Inneres der St. Johannes-Nepomuk-Kirche (Asamkirche 1735).
[835]      München. Inneres der St. Johannes-Nepomuk-Kirche (Asamkirche 1735).
Reichste Erfüllung alles dessen, was die Baumeister dieser Kirchen für die deutsche Baukunst begründeten, bringt die Asamkirche in der Sendlingerstraße. Auftragslos, neben dem Wohnhause der Brüder Egid Quirin und Cosmas Damian Asam, auf plastischen Steinsockeln zu durchglaster, kurvig ausschwingender Umrahmung des Portals aufwachsend, enthüllt das einschiffige Innere die volkstümlich katholische Seele der beiden aus kraftvoll bayerischem Volkstum schaffenden Künstler. Dieser unbeschreiblich phantasievolle Kirchenraum steht für viele aus verwandtem Geist im bayerischen Stammesgebiet gebaute andere. In der kräftig leuchtenden Dekoration fügen sich graziöse Bildwerke, die zu den schönsten in der deutschen Kunst des 18. Jahrhunderts gezählt werden dürfen.

Ludwig I. hat das mittelalterliche und barocke München zu einer königlichen Residenzstadt gemacht. Er hat durch seinen königlichen Willen ganze Stadtteile planmäßig entstehen lassen, er hat die beiden herrlichen Prachtstraßen der Brienner und Ludwigsstraße geschaffen. Briennerstraße: das sind locker an rasch folgenden rechteckigen und runden Plätzen ausgerichtete, gut proportionierte palaisartige Häuser. Von hier aus baute sich die fernere Planung des großen Bauherrn auf. Die Kunsttempel der Glyptothek und Pinakothek sind nach ihrer Achse orientiert. Welch' einzigartige Platzwirkung wurde durch die Verkoppelung der Bauten mit Leo von Klenzes Propyläen erzielt! Ludwigstraße: das ist die große Repräsentationsstraße des neuen München. Schnurgerade läuft sie von der Feldherrnhalle bis zum Siegestor, von hier als Leopold- [856] straße weiter, eine vornehme Villenstraße. In Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner standen dem König die beiden Baumeister zur Seite, die seinen Willen durch große Form und Einordnung des Einzelbaues in den Gesamtrhythmus der Straße zu glänzender, nirgendwo sonst in Deutschland erreichter einheitlicher Verwirklichung verhalfen. Die Universität mit dem Priesterseminar, die Staatsbibliothek liegen an der Ludwigstraße. Hier ist wirklich ein klassischer Stil von edler Größe entstanden.

München. Das Siegestor.
[834]      München. Das Siegestor.

Die beiden jüngeren Prachtstraßen, Maximilians- und Prinzregentenstraße, unter Nachfolgern Ludwigs I. entstanden, halten einen Vergleich nicht aus. Die Mittel zur Monumentalität sind manchmal kulissenhaft romantisierend geworden (Maximilianeum, Bayerisches Nationalmuseum). Allein, auch sie haben noch Haltung. Wie wäre das angesichts der Isar mit ihren schönen Anlagen und des einzigartigen Englischen Gartens anders möglich! Selbst in heißen Sommern sorgen die eilig strömenden Isararme dafür, daß dem Münchener Bürger saftiges Grün aus den herrlichen baumumstandenen Wiesen als erquickendes Echo zum blauen Himmel entgegenlacht, und der Chinesische Turm, der Kleinhesseloher See und der Aumeister ihm beneidenswerte Erholungsplätze beim schäumenden Bier sind.

Ein neuer Bauherr tritt in unseren Tagen das Erbe Ludwigs I. an: Adolf Hitler. Der Königliche Platz hat durch die Bauten der NSDAP. eine städtebaulich bedeutsame Ausweitung und Geschlossenheit erfahren. Im Zuge der Prinzregentenstraße ist das Haus der Deutschen Kunst erstanden. Die klassizistischen Formen P. L. Troosts schließen sich in glücklicher Weise der bewährten Alt-Münchener Tradition an. Die "Hauptstadt der Bewegung" prägt sich ihre Form.

München. Der Königliche Platz.
[815]      München. Der Königliche Platz.

Noch zweier Denkmale ist in diesem Zusammenhang zu gedenken: des Gefallenendenkmals vor dem Armeemuseum und des Mahnmals an der Feldherrnhalle. In vertiefter Gruft, inmitten eines Ehrenhofes, ruht die Gestalt des toten Kriegers von Bernhard Bleeker als Symbol der 13 000 gefallenen Söhne der Stadt. Wenige Schritte nur entfernt steht eine Ehrenwache vor dem Mahnmal, wo am 9. November 1923 die ersten Blutopfer der nationalen Revolution "im treuen Glauben an die Wiederauferstehung ihres Volkes" fielen. Beide sind zu Nationaldenkmälern, zu Heiligtümern der Nation geworden.

München. Mahnmal an den 9. November 1923 auf der Ostseite der Feldherrnhalle.
[816]      München. Mahnmal an den 9. November 1923 auf der Ostseite der Feldherrnhalle.

München kennt nur, wer auch Münchener Museen gesehen hat. Der Alten Pinakothek und dem Deutschen Museum gebührt der erste Rang. Die kostbare Gemäldesammlung ist die herrlichste Säule, auf der Münchens Ruf als Kunststadt fußt. Dürer, Grünewald, Rubens, Rembrandt sind hier in einzigartiger Schönheit vereinigt. Die Sammlungsstücke bayerischer Kurfürsten und der Bilderschatz der pfälzischen Wittelsbacher bestimmen den Wert der Galerie für die abendländische Kunstgeschichte. Die Erwerbung der in Köln durch die Brüder Boisserée in romantischer Begeisterung zusammengetragenen Bildersammlung durch König Ludwig I. hat die Alte Pinakothek zu der bedeutendsten Galerie altdeutscher Malerei werden lassen.

Das Deutsche Museum, eine Gründung Oskar von Millers, hat Weltruf als Schausammlung aller Gebiete der Technik. Das Anziehende dieses "Hauses [857] der 1000 Druckknöpfe", das es zum stärkstbesuchten Museum in Deutschland gemacht hat, liegt in der anschaulichen Lernbarkeit technischer Einrichtungen und ihrer Geschichte, in dem Reiz, daß der Besucher selbst hunderte von Modellen bedienen darf. Da mag auch gern mittun, wem Technik sonst zu "trocken" ist!

München. Schloß Nymphenburg.
[837]      München. Schloß Nymphenburg.
Und München kennt nur, wer Schloß und Park Nymphenburg besucht hat. Hier schlägt die weltliche Lebensfreude des bayerischen Rokoko am unvergänglichsten. Von strahlender Regelmäßigkeit die Gesamtanlage, der mit dem Park F. L. Sckells ein aus französischem und englischem Gartenstil gemischter festlicher Rahmen gegeben ist. Als feinstes Kabinettstück sei die Amalienburg von Franz Cuvilliés hervorgehoben.

Wer das Gesicht dieser durchsonnten Stadt im Bayernland an sich vorüberziehen läßt, beginnt die geistige, künstlerische, wirtschaftliche Bedeutung Münchens zu ahnen. Ein nirgends in gleicher Schärfe in Deutschland anzutreffender Zentralismus hat die Lieblingsstadt der Wittelsbacher in jeder Beziehung zur Hauptstadt Bayerns gemacht. Der Münchener trägt das Ansehen seiner glühend geliebten Heimatstadt mit Würde und Selbstverständlichkeit. Er blickt selten über sein eigenes Wesen hinaus, das gemütvoll und derb und lustig sich dem Fremden am eigenartigsten in den Münchener Bierkellern, im Oktoberfest und im unsterblichen Münchener Fasching darbietet. Deutsche aller Stämme lieben diesen Stil. Immer haben Nichtmünchener Münchens geistiges und künstlerisches Leben - oft sogar entscheidend - mitgeformt, nie aber hat sich das Münchnerische überfremden lassen. Darin liegt seine Größe, liegen die Wurzeln der Kraft, die der heiteren Isarstadt und der altbayerischen Stammesart unversiegbar zugewachsen sind, klingt der Zauber, der bei dem Klang des Stadtnamens aufleuchtet: München!

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Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, besonders das Kapitel "Bayern".

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Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke