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Süddeutschland - Eberhard Lutze
Bayerische Ostmark
Als König Ludwig I.
von Bayern am 18. Oktober 1842, dem Jahrestage der
Völkerschlacht bei Leipzig, auf den Dungauhöhen über der
Donau unweit von Regensburg den in schneeweißem Untersberger Marmor
leuchtenden griechischen Tempel der Walhalla vor einer Festgemeinde von
30 000 Menschen feierlich einweihte, da stand diese Ruhmeshalle des
deutschen Volkes "in Deutschlands Mitten". "Daß sie gegenüber der
vergänglichen Komödie fremden Kriegsgepränges dem
unvergänglichen weltgeschichtlichen Ruhm der ganzen germanischen
Vorzeit als ein künstlerisches Ehrendenkmal" diene, so hatte der
großdeutsche Wille des königlichen Gründers gelautet.
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Die Walhalla mit der Donau.
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Im Herzen Deutschlands war dieser wider Napoleons Imperialismus geführte
Ruf erklungen, gleich weit von der französischen Grenze und
Österreichs Hauptstadt entfernt, mitten im gesicherten Binnenland. Heute
ist das Land, das die drei Städte Hof, Regensburg und Passau umschreiben,
Grenzland, Grenzland in Not, ist es wieder bayerische Ostmark, die ihre
reichsdeutsche Wacht bezogen hat, wie einst in den Jahrhunderten der
Kolonisation. Das Jahr 1918 hat 340 Kilometer deutsches Grenzland aus
der freundnachbarlichen Flankensicherung zu dem verbündeten
Österreich gelöst und der nationalistischen Politik des
tschecholowakischen Nachfolgestaates gegenübergestellt, hat die wenigen,
bisher dem friedlichen Warenaustausch über die Grenzumwallung des
Bayerisch-Böhmischen Waldes dienenden Pässe geschlossen und zu
festen Mauern um einen in den Grenzmarken erbittert geführten
Lebenskampf versteinern lassen. Und gerade hier liegt Deutschlands
"Wespentaille": Weißenburg im Elsaß und Furth im Wald, diese
strategisch wichtige Luftlinie verbindet die sich am nächsten liegenden Orte
unserer West- und Ostgrenze. Die Further Senke, die die ostbayerischen
Grenzgebirge in einen nördlichen, den Oberpfälzer Wald und das
Fichtelgebirge umfassenden, und einen südlichen Teil mit dem vorderen
und Hinteren Wald und dem beide trennenden Quarzgang des "Pfahls" zerlegt,
diese wichtigste und einschneidendste, von der Natur in den Rand des
Böhmischen Kessels gekerbte Senke ist von jeher die Einfallspforte von
Osten nach Westen gewesen. Nach Norden schließen sich noch mehrere
Verkehrstore an, während südlich der Senke einst
undurchdringlicher, auf sumpfigem Boden sich breitender Urwald jede
Menschensiedlung, jede Rodung und irgendwelche wandernden
Völkerzüge schreckte. Die Bedeutung dieser Pforte im Leben der
Völker folgt der Natur: Der Gebirgszug, den sie öffnet, trägt
die Wasserscheide zwischen Donau und Elbe. Kein Zweifel, daß die
Lücke in den harten Gneis- und Granitfelsen des Gebirges die am
spätesten in das Gewoge der Völkerwanderung gerissenen
Völkerschaften der Bayern aus dem Böhmerland in den noch heute
von ihren Nachfahren bewohnten Gau zwischen Donau und Alpen
einströmen sah. Das war im 6. Jahrhundert n. Chr. Die in der
alten Heimat Zurückgebliebenen aber wurden allmählich von den
langsam nachsickernden Slawen durchsetzt, die sich im 11. Jahrhundert zu
dem Stamm der Tschechen einend, [831] teils unter deutscher
christlicher Kulturbotmäßigkeit blieben, teils
sogar - um 1200 - Deutsche von der Westseite des Gebirges
herbeiriefen, damit sie Wälder rodeten, Bergwerke gründeten,
Städte bauten, Kunst und Kultur mitbrachten und ausstrahlten in den
slawischen Raum. Dieses "Kulturgefälle" von West nach Ost blieb die
starke Überlegenheit der Deutschen gegenüber den östlichen
Nachbarn und ihr harter Wille zum Siedeln und Roden, mit dem die bayerischen
Kolonisten der Ungunst der Natur Herr zu werden suchten. Denn die Natur ist der
natürliche Bundesgenosse der Tschechen. Die Flußtäler mit
ihren breiten sumpfigen Oberläufen, ihren verkehrsfeindlichen, schroff in
das harte Gestein geschnittenen Unterlaufen legten der Besiedlung auf der
deutschen Seite des Gebirges fast unüberwindliche Schwierigkeiten in den
Weg. Obgleich die Böhmen von Anfang an ihre Wohnsitze bis hart an den
Waldrand heranschoben, mieden sie das Waldgebirge selbst doch nahezu
völlig. Die Tschechen sind waldfeindlich, ihnen fehlt der Eroberungswille
zur Erschließung und Urbarmachung neuen Bodens, der frohe Tatwille zur
Expansion; sie sahen im Walde nur einen willkommenen, schier
undurchdringlichen Wall, eine natürliche Befestigung zur Verteidigung
ihres Landes. Heute würden im Ernstfall von der betonierten Kuppe der von
unterkellertem Unterstandshaus und Aussichtsturm bekrönten
Schwarzkoppe die auf strategisch glänzend geführten
Militärstraßen herbeigeschafften tschechischen Geschütze
nicht nur die Further Senke beherrschen, sondern könnten den
Regensburger Bahnhof, ja den in Nürnberg zusammenlaufenden deutschen
Kräftestrom unter Feuer nehmen.
Grundsätzlich, aus Blut und Gesinnung anders ist das Verhältnis der
Deutschen zum Wald. Mönch und Bauer, Adel und Bürger haben die
südostdeutsche Kolonisation zwischen die Baumriesen und Karseen in
Deutschlands größtes Waldgebiet hineingetragen. Was wir heute als
deutsche Kultur- und Kunstdenkmale in der bayerischen Ostmark bewundern, was
wir aus den Bauwerken an Adel der Form, Größe der Gesinnung,
hinreißendem Gefühl erleben, das ist aus der deutschen Sendung des
südöstlichen Bayern geflossen. Bezeichnend, daß zwei alte,
strategisch glänzend gewählte Römerstädte die
Träger der deutschen Kulturarbeit wurden und noch sind:
Regensburg, die Stadt des Sendboten Emmeran an der Mündung
des Regen in die Donau, und Passau, die "schwimmende Stadt", wo die
hellgrünen ungestümen Fluten des Inn und das dunkle Wasser der Ilz
sich mit dem breiten Strom der Donau vereinen. Chammünster
wurde die für die Volkstumspolitik im Gebiet der Further Senke
entscheidende Zelle, eine Gründung der Mönche von
St. Emmeran im 8. Jahrhundert. Die großen
Benediktinerabteien an der Donau Niederaltaich und Metten
rodeten und siedelten im Donaugebirge. Die Kolonistenorden der Zisterzienser
und Prämonstratenser trugen Deutschtum und Christentum weit hinein ins
Böhmerland. Waldsassen, der Mittelpunkt des
Stiftslandes - östlich von Marktredwitz
gelegen - wurde die Seele dieser aktiven Missionsarbeit.
Goldenkron, von dem deutschfreundlichen Przemesliden
Ottokar II. gegründet, arbeitete auf der böhmischen Seite.
Harte Kämpfe gegen [832] Frost und Hunger galt
es zu bestehen. Im Jahre 1218 sind Abt und Mönche des Klosters
Schlägl "auf der Grenzwacht verhungert."
Die von den freien Bauern geführten Pflugscharen bedurften des Schutzes.
Die hohen Adelsgeschlechter Bayerns haben sich ihre blitzendsten Sporen im
Dienst der Kolonisationsarbeit verdient. Sie führten Mönche und
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Die Flossenbürg im Bayrischen Wald.
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Bauern über die Pässe bis in die Länder der böhmischen
Wenzelkrone. Sie verließen sich nicht auf den "Festungsgürtel des
Urwaldes", sondern bauten Burgen. Ihre Mauern, immer noch wehrhaft und
drohend, starren als Ruinen über schroffe Felsstürze in den Himmel;
die riesige Wehranlage der Leuchtenberg, Ruine
Weißenstein, die
Sulzbacher- und Hohenstaufen-Veste Flossenbürg.
Die Vorposten im vorgeschobenen Lande, von Rodehacke und Pflug erschlossen,
von Krummstab und Schwert geschützt, hatten unter den furchtbaren
Geißelhieben der fanatisierten Hussitenscharen und des 30jährigen
Krieges entsetzlich zu leiden. Die Oberpfalz war fast ausgestorben, als die
Kriegsfurie ausgetobt hatte. Vergeblich läuteten nun bei Einbruch der
Dämmerung die "Säumerglocken", damit sie den
Handelszügen den Weg durch den Wald wiesen, die über den
"Güldenen Steig" Salz aus dem Inngebiet nach Böhmen trugen. Die
Zähigkeit der Grenzmärker hat diese Notzeiten überstanden
bis hin in die Notzeit unserer Tage. "Wie ein Symbol der steten Ostmarknot mutet
uns das alte Spiel des Drachenstiches in Furth im Wald, dem
Angelpunkt der Gefahrengrenze, an: der Drache als Verkörperung
drohender, nie ganz besiegter Naturkräfte, Boguslaw, der schwarze Ritter,
als der versprechende, werbende Verführer jenseits der Grenze, der Hilfe
nur für Unterwerfung gibt; der deutsche Ritter, der die Not wendet, als
Symbol der einzigen Rettung aus Ostmarknot: der wehrhaften Südosthilfe"
(K. Trampler).
"Die Ostmark ruft!", so hallt es in unseren Tagen durch Deutschlands Gaue;
lauter, mahnender ist dieser Ruf geworden, seit der Nationalsozialismus daran
ging, die Not der Grenzmark zurückzudämmen und mit
leidenschaftlichem Zukunftsglauben planmäßige Aufbauarbeit zu
leisten. Die Stammesgrenzen der Oberfranken, Oberpfälzer und
Niederbayern wurden zerschnitten und dieses Grenzland seiner reichsdeutschen
Aufgabe zugeführt in dem Gau "Bayerische Ostmark".
Gewaltige Aufgaben harren der Lösung. Die Reichsautobahn
Hof–Passau wird an die Ostmark heranführen und über Bayreuth die
beiden Eckpfeiler verstreben. Denn nur Stichbahnen führen bisher von der
D-Zugstrecke
Passau–Regensburg–Hof in das Waldgebiet. Diese
"Eisenbahnstümpfe" zwingen den in
Nord-Südrichtung durch die Ostmark Reisenden dazu, immer wieder an die
Hauptbahn zurückzufahren, so daß man als rüstiger Wanderer
schneller zum Ziele kommt. Ein Beispiel: für die 19,2 Kilometer
entfernt liegenden Orte in der Further Senke Schönsee und
Waldmünchen beträgt die Eisenbahnstrecke 131,8 Kilometer,
welchen Umweg man mit der Eisenbahn bei dreimaligem Umsteigen in
5 Stunden 25 Minuten zurücklegt! Kraftpostlinien wurden
bisher erschwert durch einen beklagenswerten Zustand der Autostraßen, die
in anderen deutschen Ländern nicht viel mehr als das Prädikat von
gebesserten Wegen [833-848=Fotos] [849]
erhalten würden. Eine Ausnahme macht die 1931 fertiggestellte, herrlich
geführte Scheiben-Brennes-Hochstraße zwischen Furth und
Eisenstein. Sie erschließt das Arbergebiet. Düster
träumende Bergseen, weit schweifende Fernblicke, das Erlebnis des in
ewiger Schönheit sich über endlosen Tannenwipfeln erhebenden
König Arber, der Grenzberge Osser und Hohenbogen, die ganze
herb-würzige, unberührte Welt des Bayerischen Waldes breitet sich
vor den Fenstern der auf dieser einzigartigen Paßstraße verkehrenden
Postautos aus.
Die Folge der im Argen liegenden Verkehrsverhältnisse ist klar. Die in der
Ostmark hergestellten Glas-, Porzellan- und Webwaren finden keinen Absatz, da
sie mit anderen, besser bedachten Gegenden des Reiches nicht konkurrieren
können, weil sie in einem Wettkampf ohnegleichen von der tschechischen
Seite unterboten werden. Als das alte Regime vollends die Schleusen nach Osten
öffnete und die deutsche Wirtschaft mit russischem Holz überfluten
ließ, war auch der natürliche Reichtum des Landes entwertet.
Höher, immer höher stiegen die Stapel der Hölzer und Bretter,
ein unerbittlicher Pegel für die steigende Volksnot.
Bis zu 100 Prozent beträgt der Preisunterschied zwischen reichsdeutschen
und tschechischen Waren, 125 Prozent niedriger liegen die Schuhpreise in
der Tschechoslowakei als in Deutschland! Der Gewinnung und Verarbeitung des
Granites wurde in der Ostmark der Garaus gemacht durch die Asphaltierung der
Straßen.
60 - 80 Prozent der Granitarbeiter mußten stempeln.
Auch hier die gestapelten Berge nutzlos gebrochenen Materials, das einst zu den
schönsten Bauten des In- und Auslandes verwendet wurde. So ist das
granitene Grabmal des unbekannten Soldaten in London im Bayerischen Wald
gebrochen worden. Was Wunder, wenn Menschen im Grenzland der
tschechischen Versuchung erlagen, die mit glänzend eingerichteten
deutschen "Trutzschulen" die deutschen Kinder aus ihren verwahrlosten und
ungesunden Schulen zu locken sucht, die durch eifrige Bautätigkeit, durch
Enteignung deutschen Grundbesitzes und durch Planmäßige
Durchdringung des deutschen Sprachgebietes in der Tschechoslowakei mit
Siedlern aus dem Landesinnern das Vorfeld zur Bayerischen Ostmark zersetzt?
Was Wunder wenn gerade die Besten der deutschen Grenzbevölkerung den
zermürbenden und ins Elend führenden ungleichen Kampf aufgaben
und landflüchtig wurden? Eine mittellose, kärglich ihr Leben
fristende Bevölkerung, kümmerliche, dem Verfall preisgegebene
Hütten, hohe Kindersterblichkeit, freudlose, vergrämte Jugend ohne
Kraft und Zukunftsfreude, das sind die Opfer, die das Deutschtum im bayerischen
Osten der tschechischen Entdeutschungspolitik, der gesamtdeutschen Not, der
Verständnislosigkeit der liberalistischen Aera hat bringen
müssen.
"Die Ostmark ruft!" Neues Leben wurde geweckt, der Absatz der hochwertigen
Qualitätserzeugnisse wird mit allen Mitteln gefördert, Straßen
erstehen - nun nicht mehr in Asphalt, sondern aus dem
unverwüstlichen Gestein des
Landes -, Gasthöfe und Unterkunftshäuser wurden errichtet,
den Fremdenverkehr zu beleben. Das ist das Bild, das sich seit der
Machtübernahme an die [850] Stelle der grauen Not
geschoben hat. Viel wurde bereits seit 1933 durch die Hilfe des neuen Staates und
durch Selbsthilfe erreicht; weiter geht der Kampf um kulturelle Hebung und um
Eingliederung des bedrohten Landes in die gesamtdeutsche Wirtschaft.
Und welch ein Land ist dies! Das Erlebnis urwaldähnlicher Forste wartet
auf den Wanderer, wo riesige Baumleichen in dichtem Untergehölz faulen
und üppig schießenden Moosen, Farnen und Kräutern Nahrung
geben, wo nur dämmeriges Licht über die Wildnis spielt, wo Stille,
modriger Erdgeruch und gleichmäßiges Waldesrauschen Einblick in
deutsche Urlandschaft schenken. Im unergründlichen Spiegel der sieben
Karseen flimmert das Grün der Waldhänge, ziehen die Wolken
dahin. Von der Hochwarte des Bayerischen Waldes, dem Arber, gleitet der Blick
an den Felsen und den zerzausten, stachlichen Baumriesen des Vordergrundes
vorbei über das wellig, in erhabener Einsamkeit sich streckende Land,
Wälder auf den Höhen, Felder und Wiesen in den Tälern,
Dörfer und Gehöfte eingestreut: das Reich Adalbert Stifters.
"Doch die Erinnerung, die bleibt mir stets gewiß,
daß ich den Böhmerwald gar nie vergiß",
so singt ein Waldlerlied. Heimatliebe auch fern der Heimat klingt aus ihm. Der
Waldler macht nicht viele Worte um seine Heimat, seine Liebe sitzt im Herzen,
liegt nicht auf den Lippen. Die Einsamkeit und die Not des Alltages machen ihn
wortkarg, fast scheu. Wenn die Not der Zeit einen rapiden Anstieg
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Totenbretter im Bayrischen Wald.
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kommunistischer Stimmen mit sich gebracht hatte, so wird in dieser Tatsache die
unnatürliche Krisis besonders deutlich: von Natur hält der Waldler
zäh fest an einem um den Mittelpunkt des Katholizismus kreisenden
Lebensstil. Fromme, gottergebene Sprüche und volkstümlich derbe
kann man auf den Totenbrettern lesen, die häufig in dichter Folge an den
Wegen aufgestellt sind. Es sind die Bretter, darauf der Tote gelegen hatte, die
schön beschrieben, sein Gedächtnis wach halten sollen. Zwei
seelische Möglichkeiten des Waldlers leben in derlei Sprüchen.
Schwermut begegnet derber Fröhlichkeit. Der einzige Genuß, den
sich der Waldler leistet, ist der Schmalzler, den er sich selbst aus Tabak, Schmalz
und Kalk bereitet. Lassen wir ein "G'sangel" sprechen, das in der Wirtsstube
gesungen wird, wenn "s'Brisilglas geht":
"Mia ham scho' Derndl g'hot,
die ham uns nimma mög'n,
weil mia um d'Nos'n 'um
voll Schnupfdowag san g'wen;
mia ham nix g'fragt dano,
mia ham's glei' selba g'sagt,
daß uns viel lejwa is a Pris Dowag."
Das eigentliche Volksfest ist die Kirchweih, auf der es einmal üppiger
zugeht. Bei den Klängen der "Kerwa" und der "Schlumpaliedla"
schlägt das Herz dieser anspruchslosen Grenzmärker
höher.
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"Wenn die Kerwa kummt,
Und die Rummbl brummt
Und a jeda Mad hot a neis Klad,
Stellt si vor die Tier,
Schaut si rei zu mir,
Trinkt a Tröpfla Bier vo mir."
Derlei Weisen erklingen vom Bayerischen Wald nordwärts über den
Oberpfälzer Wald bis hinauf ins Fichtelgebirge. Die
Gemeinsamkeiten dürfen aber über wesentliche Unterschiede des
Fichtelgebirgsfranken und des bayerischen Waldlers nicht hinwegtäuschen.
Das macht, weil das Fichtelgebirge ein "altes" Gebirge nicht nur dem Gestein
nach, sondern auch dem Bergbau und seiner kulturellen Schätzung nach ist,
weil es verkehrstechnisch günstiger liegt als die südliche Grenzmark
und weil seine Bewohner protestantisch sind. Schon der alte Caspar Bruschius
(1512) weiß die "Fichtelberger" zu rühmen: "Es hat der Fichtelberg
und schier das ganze umgelegene Land ein fromm, getreu, freundlich, aber doch
fast grob, bäuerisch, hart und starkes Volk, das Hitz und Frost in aller
Müh und Arbeit wohl leiden und vertragen mag." Das Schicksal hat auch
den Fichtelgebirglern ein hartes Arbeitslos zugeteilt. Aber ihr Fleiß, ihre
Ausdauer und ihre Intelligenz, alles verklärt durch einen
lebenskräftigen lutherischen Glauben, haben ein aufrechtes, tüchtiges
Geschlecht aus ihnen gemacht. Man sieht im alten "Sechsämterland" rund
um Wunsiedel viele scharf gezeichnete, versonnene Gesichter, wie von Gestalten
aus den Dichtungen Jean Pauls, Wunsiedels größtem Sohn. Die
Gewerbe, die im Fichtelgebirge blühen, besitzen an ihren
Hauptstätten gute Schulen, die handwerkliche Gediegenheit und ererbte
Formen von Generationen weitergeben. Wunsiedel hat eine Fachschule
für Granitbildhauer. In Selb, wo die Schlöte der
größten Porzellanfabriken der Welt rauchen, sorgt eine Staatliche
Fachschule für Porzellanindustrie für entsprechenden Nachwuchs. In
Münchberg bildet eine Webschule die Fachkräfte für
die leistungsfähige oberfränkische Baumwolle und Buntweberei aus.
Die beliebtesten Sommerfrischen und Wintersportplätze des
Fichtelgebirges sind Berneck und Warmensteinach; dieses
reizend im tief eingesenkten Tal der Ölschnitz zu Füßen der
Burgruine Wallenrode gelegen, ein aufstrebendes, mit neuzeitlichen
Kureinrichtungen ausgestattetes Bad, jenes wegen seiner Höhenlage
besonders im Winter besucht. Spiegelglasschleifereien und Glasperlenfabriken
ernähren die Bevölkerung.
Im Mittelalter gab es Zeiten, da der Goldreichtum des Gebirges leichter als heute
zu Geld und Gut verhalf. Geheimnisvoll raunt die Sage von dem
unermeßlichen Reichtum des Fichtelgebirges. Nach dem Volksglauben soll
auch der gemeinste Feldstein edle Metalle bergen. Fremden ist der Sinn für
die unerkannten Schätze geöffnet, besonders den Welschen,
während der einfache Mann des Landes sich mit dem Wissen um das
Geheimnis begnügen muß:
"Wirft mancher einen Stein nach einer Kuh,
Ist der Stein mehr wert als die Kuh!"
[852] So erzählt die
Sage, daß am goldenen Sonntag oder am St. Johannistage, wenn in
Bischofsgrün das Vaterunser geläutet wird, der Ochsenkopf
seine Kammern öffne und seine Goldwände zeige, von denen das
Gold wie Eiszapfen und Edelsteine wie Zwiebelstränge herabhängen.
Solange der Pfarrer von Bischofsgrün das Evangelium liest, kann der
fromme und einfältige Mensch die Wunderblume pflücken, die am
Eingangsfelsen wächst. Sie dient ihm als Schlüssel, der die Pforten
dieser Goldhallen öffnet. Er darf sich Schätze holen, so viel er tragen
kann. Nur darf er den Zeitpunkt nicht versäumen, wo das Evangelium
schließt, sonst wird er in der Tiefe zurückbehalten.
Wie ein Symbol auf die träumende Goldsehnsucht eines armen Bergvolkes
ist das goldene Leuchtmoos, das in der Gegend von Wunsiedel wächst. Von
ferne lockt es in goldigem Schimmer, tritt man aber näher hinzu, so
verschwindet der trügerische Glanz und ist nur ein armes einfaches Moos.
"Wo dieses Moos wächst, da ist auch der Sagenkreis von den goldenen
Reichtümern des Fichtelgebirges gewachsen."
Spätere Zeiten haben sich an den sichtbar zutage liegenden Reizen des
schönen Waldgebirges genügen lassen. Die berühmten
Fichtelgebirgsgläser der Barockzeit zeigen die Wahrzeichen ihres
Herkunftslandes: das Abbild eines Ochsenkopfes, die bewaldete Kuppe des
Fichtelberges und die Flußläufe von Saale, Eger, Nab und Main, die
der "Gebirgsknoten" des Fichtelgebirges nach den vier Himmelsrichtungen in das
Gebiet der drei Hauptströme Deutschlands entsendet. Die geographische
Lage und das Vorkommen von Eisen, Zinn, Silber und Gold haben die Vorliebe
eines Alexander von
Humboldt für das Fichtelgebirge geweckt. Das
gewaltige Felsenlabyrinth der Luisenburg trägt noch heute
wunderliche Inschriften einer empfindsamen Zeit. Goethe schrieb über die
Luisenburg, "daß die ungeheure Größe der
übereinandergestürzten Granitmassen einen Anblick gibt,
dessengleichen mir auf allen meinen Wanderungen niemals wieder
vorgekommen." Seinen Namen führt der Schauplatz der
Luisenburg-Festspiele nach der Königin Luise,
die bei ihrem Besuch in dem
vornehm-stillen Alexandersbad wohnte. Weiter führt der Weg zur
Kösseine, von deren Gipfel man das ganze Gebirge überblickt.
Schneeberg, Ochsenkopf und Waldstein im Norden; südlich ragt der
Steinwald auf. Dort, wo die Grenzberge des Oberpfälzer und Bayerischen
Waldes hinstreichen, verläuft die Grenze nach Böhmen. Wie eine
deutsche Grenzburg steht das Gebirge, hart wie das Urgestein, das es formte.
"Wetter und Sturm
Trotzt der Asenturm,
Tu's ihm gleich,
Mein deutsches Reich!"
Wie ein Bekenntnis der ganzen Bayerischen Ostmark grüßt die
Inschrift vom Turm des Ochsenkopfes den Wanderer.
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