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Süddeutschland - Eberhard Lutze

Bayerische Ostmark

Als König Ludwig I. von Bayern am 18. Oktober 1842, dem Jahrestage der Völkerschlacht bei Leipzig, auf den Dungauhöhen über der Donau unweit von Regensburg den in schneeweißem Untersberger Marmor leuchtenden griechischen Tempel der Walhalla vor einer Festgemeinde von 30 000 Menschen feierlich einweihte, da stand diese Ruhmeshalle des deutschen Volkes "in Deutschlands Mitten". "Daß sie gegenüber der vergänglichen Komödie fremden Kriegsgepränges dem unvergänglichen weltgeschichtlichen Ruhm der ganzen germanischen Vorzeit als ein künstlerisches Ehrendenkmal" diene, so hatte der großdeutsche Wille des königlichen Gründers gelautet.

Die Walhalla mit der Donau.
[810]      Die Walhalla mit der Donau.

Im Herzen Deutschlands war dieser wider Napoleons Imperialismus geführte Ruf erklungen, gleich weit von der französischen Grenze und Österreichs Hauptstadt entfernt, mitten im gesicherten Binnenland. Heute ist das Land, das die drei Städte Hof, Regensburg und Passau umschreiben, Grenzland, Grenzland in Not, ist es wieder bayerische Ostmark, die ihre reichsdeutsche Wacht bezogen hat, wie einst in den Jahrhunderten der Kolonisation. Das Jahr 1918 hat 340 Kilometer deutsches Grenzland aus der freundnachbarlichen Flankensicherung zu dem verbündeten Österreich gelöst und der nationalistischen Politik des tschecholowakischen Nachfolgestaates gegenübergestellt, hat die wenigen, bisher dem friedlichen Warenaustausch über die Grenzumwallung des Bayerisch-Böhmischen Waldes dienenden Pässe geschlossen und zu festen Mauern um einen in den Grenzmarken erbittert geführten Lebenskampf versteinern lassen. Und gerade hier liegt Deutschlands "Wespentaille": Weißenburg im Elsaß und Furth im Wald, diese strategisch wichtige Luftlinie verbindet die sich am nächsten liegenden Orte unserer West- und Ostgrenze. Die Further Senke, die die ostbayerischen Grenzgebirge in einen nördlichen, den Oberpfälzer Wald und das Fichtelgebirge umfassenden, und einen südlichen Teil mit dem vorderen und Hinteren Wald und dem beide trennenden Quarzgang des "Pfahls" zerlegt, diese wichtigste und einschneidendste, von der Natur in den Rand des Böhmischen Kessels gekerbte Senke ist von jeher die Einfallspforte von Osten nach Westen gewesen. Nach Norden schließen sich noch mehrere Verkehrstore an, während südlich der Senke einst undurchdringlicher, auf sumpfigem Boden sich breitender Urwald jede Menschensiedlung, jede Rodung und irgendwelche wandernden Völkerzüge schreckte. Die Bedeutung dieser Pforte im Leben der Völker folgt der Natur: Der Gebirgszug, den sie öffnet, trägt die Wasserscheide zwischen Donau und Elbe. Kein Zweifel, daß die Lücke in den harten Gneis- und Granitfelsen des Gebirges die am spätesten in das Gewoge der Völkerwanderung gerissenen Völkerschaften der Bayern aus dem Böhmerland in den noch heute von ihren Nachfahren bewohnten Gau zwischen Donau und Alpen einströmen sah. Das war im 6. Jahrhundert n. Chr. Die in der alten Heimat Zurückgebliebenen aber wurden allmählich von den langsam nachsickernden Slawen durchsetzt, die sich im 11. Jahrhundert zu dem Stamm der Tschechen einend, [831] teils unter deutscher christlicher Kulturbotmäßigkeit blieben, teils sogar - um 1200 - Deutsche von der Westseite des Gebirges herbeiriefen, damit sie Wälder rodeten, Bergwerke gründeten, Städte bauten, Kunst und Kultur mitbrachten und ausstrahlten in den slawischen Raum. Dieses "Kulturgefälle" von West nach Ost blieb die starke Überlegenheit der Deutschen gegenüber den östlichen Nachbarn und ihr harter Wille zum Siedeln und Roden, mit dem die bayerischen Kolonisten der Ungunst der Natur Herr zu werden suchten. Denn die Natur ist der natürliche Bundesgenosse der Tschechen. Die Flußtäler mit ihren breiten sumpfigen Oberläufen, ihren verkehrsfeindlichen, schroff in das harte Gestein geschnittenen Unterlaufen legten der Besiedlung auf der deutschen Seite des Gebirges fast unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg. Obgleich die Böhmen von Anfang an ihre Wohnsitze bis hart an den Waldrand heranschoben, mieden sie das Waldgebirge selbst doch nahezu völlig. Die Tschechen sind waldfeindlich, ihnen fehlt der Eroberungswille zur Erschließung und Urbarmachung neuen Bodens, der frohe Tatwille zur Expansion; sie sahen im Walde nur einen willkommenen, schier undurchdringlichen Wall, eine natürliche Befestigung zur Verteidigung ihres Landes. Heute würden im Ernstfall von der betonierten Kuppe der von unterkellertem Unterstandshaus und Aussichtsturm bekrönten Schwarzkoppe die auf strategisch glänzend geführten Militärstraßen herbeigeschafften tschechischen Geschütze nicht nur die Further Senke beherrschen, sondern könnten den Regensburger Bahnhof, ja den in Nürnberg zusammenlaufenden deutschen Kräftestrom unter Feuer nehmen.

Grundsätzlich, aus Blut und Gesinnung anders ist das Verhältnis der Deutschen zum Wald. Mönch und Bauer, Adel und Bürger haben die südostdeutsche Kolonisation zwischen die Baumriesen und Karseen in Deutschlands größtes Waldgebiet hineingetragen. Was wir heute als deutsche Kultur- und Kunstdenkmale in der bayerischen Ostmark bewundern, was wir aus den Bauwerken an Adel der Form, Größe der Gesinnung, hinreißendem Gefühl erleben, das ist aus der deutschen Sendung des südöstlichen Bayern geflossen. Bezeichnend, daß zwei alte, strategisch glänzend gewählte Römerstädte die Träger der deutschen Kulturarbeit wurden und noch sind: Regensburg, die Stadt des Sendboten Emmeran an der Mündung des Regen in die Donau, und Passau, die "schwimmende Stadt", wo die hellgrünen ungestümen Fluten des Inn und das dunkle Wasser der Ilz sich mit dem breiten Strom der Donau vereinen. Chammünster wurde die für die Volkstumspolitik im Gebiet der Further Senke entscheidende Zelle, eine Gründung der Mönche von St. Emmeran im 8. Jahrhundert. Die großen Benediktinerabteien an der Donau Niederaltaich und Metten rodeten und siedelten im Donaugebirge. Die Kolonistenorden der Zisterzienser und Prämonstratenser trugen Deutschtum und Christentum weit hinein ins Böhmerland. Waldsassen, der Mittelpunkt des Stiftslandes - östlich von Marktredwitz gelegen - wurde die Seele dieser aktiven Missionsarbeit. Goldenkron, von dem deutschfreundlichen Przemesliden Ottokar II. gegründet, arbeitete auf der böhmischen Seite. Harte Kämpfe gegen [832] Frost und Hunger galt es zu bestehen. Im Jahre 1218 sind Abt und Mönche des Klosters Schlägl "auf der Grenzwacht verhungert."

Die von den freien Bauern geführten Pflugscharen bedurften des Schutzes. Die hohen Adelsgeschlechter Bayerns haben sich ihre blitzendsten Sporen im Dienst der Kolonisationsarbeit verdient. Sie führten Mönche und

Die Flossenbürg im Bayrischen Wald.
[814]      Die Flossenbürg im Bayrischen Wald.
Bauern über die Pässe bis in die Länder der böhmischen Wenzelkrone. Sie verließen sich nicht auf den "Festungsgürtel des Urwaldes", sondern bauten Burgen. Ihre Mauern, immer noch wehrhaft und drohend, starren als Ruinen über schroffe Felsstürze in den Himmel; die riesige Wehranlage der Leuchtenberg, Ruine Weißenstein, die Sulzbacher- und Hohenstaufen-Veste Flossenbürg.

Die Vorposten im vorgeschobenen Lande, von Rodehacke und Pflug erschlossen, von Krummstab und Schwert geschützt, hatten unter den furchtbaren Geißelhieben der fanatisierten Hussitenscharen und des 30jährigen Krieges entsetzlich zu leiden. Die Oberpfalz war fast ausgestorben, als die Kriegsfurie ausgetobt hatte. Vergeblich läuteten nun bei Einbruch der Dämmerung die "Säumerglocken", damit sie den Handelszügen den Weg durch den Wald wiesen, die über den "Güldenen Steig" Salz aus dem Inngebiet nach Böhmen trugen. Die Zähigkeit der Grenzmärker hat diese Notzeiten überstanden bis hin in die Notzeit unserer Tage. "Wie ein Symbol der steten Ostmarknot mutet uns das alte Spiel des Drachenstiches in Furth im Wald, dem Angelpunkt der Gefahrengrenze, an: der Drache als Verkörperung drohender, nie ganz besiegter Naturkräfte, Boguslaw, der schwarze Ritter, als der versprechende, werbende Verführer jenseits der Grenze, der Hilfe nur für Unterwerfung gibt; der deutsche Ritter, der die Not wendet, als Symbol der einzigen Rettung aus Ostmarknot: der wehrhaften Südosthilfe" (K. Trampler).

"Die Ostmark ruft!", so hallt es in unseren Tagen durch Deutschlands Gaue; lauter, mahnender ist dieser Ruf geworden, seit der Nationalsozialismus daran ging, die Not der Grenzmark zurückzudämmen und mit leidenschaftlichem Zukunftsglauben planmäßige Aufbauarbeit zu leisten. Die Stammesgrenzen der Oberfranken, Oberpfälzer und Niederbayern wurden zerschnitten und dieses Grenzland seiner reichsdeutschen Aufgabe zugeführt in dem Gau "Bayerische Ostmark".

Gewaltige Aufgaben harren der Lösung. Die Reichsautobahn Hof–Passau wird an die Ostmark heranführen und über Bayreuth die beiden Eckpfeiler verstreben. Denn nur Stichbahnen führen bisher von der D-Zugstrecke Passau–Regensburg–Hof in das Waldgebiet. Diese "Eisenbahnstümpfe" zwingen den in Nord-Südrichtung durch die Ostmark Reisenden dazu, immer wieder an die Hauptbahn zurückzufahren, so daß man als rüstiger Wanderer schneller zum Ziele kommt. Ein Beispiel: für die 19,2 Kilometer entfernt liegenden Orte in der Further Senke Schönsee und Waldmünchen beträgt die Eisenbahnstrecke 131,8 Kilometer, welchen Umweg man mit der Eisenbahn bei dreimaligem Umsteigen in 5 Stunden 25 Minuten zurücklegt! Kraftpostlinien wurden bisher erschwert durch einen beklagenswerten Zustand der Autostraßen, die in anderen deutschen Ländern nicht viel mehr als das Prädikat von gebesserten Wegen [833-848=Fotos] [849] erhalten würden. Eine Ausnahme macht die 1931 fertiggestellte, herrlich geführte Scheiben-Brennes-Hochstraße zwischen Furth und Eisenstein. Sie erschließt das Arbergebiet. Düster träumende Bergseen, weit schweifende Fernblicke, das Erlebnis des in ewiger Schönheit sich über endlosen Tannenwipfeln erhebenden König Arber, der Grenzberge Osser und Hohenbogen, die ganze herb-würzige, unberührte Welt des Bayerischen Waldes breitet sich vor den Fenstern der auf dieser einzigartigen Paßstraße verkehrenden Postautos aus.

Die Folge der im Argen liegenden Verkehrsverhältnisse ist klar. Die in der Ostmark hergestellten Glas-, Porzellan- und Webwaren finden keinen Absatz, da sie mit anderen, besser bedachten Gegenden des Reiches nicht konkurrieren können, weil sie in einem Wettkampf ohnegleichen von der tschechischen Seite unterboten werden. Als das alte Regime vollends die Schleusen nach Osten öffnete und die deutsche Wirtschaft mit russischem Holz überfluten ließ, war auch der natürliche Reichtum des Landes entwertet. Höher, immer höher stiegen die Stapel der Hölzer und Bretter, ein unerbittlicher Pegel für die steigende Volksnot.

Bis zu 100 Prozent beträgt der Preisunterschied zwischen reichsdeutschen und tschechischen Waren, 125 Prozent niedriger liegen die Schuhpreise in der Tschechoslowakei als in Deutschland! Der Gewinnung und Verarbeitung des Granites wurde in der Ostmark der Garaus gemacht durch die Asphaltierung der Straßen. 60 - 80 Prozent der Granitarbeiter mußten stempeln. Auch hier die gestapelten Berge nutzlos gebrochenen Materials, das einst zu den schönsten Bauten des In- und Auslandes verwendet wurde. So ist das granitene Grabmal des unbekannten Soldaten in London im Bayerischen Wald gebrochen worden. Was Wunder, wenn Menschen im Grenzland der tschechischen Versuchung erlagen, die mit glänzend eingerichteten deutschen "Trutzschulen" die deutschen Kinder aus ihren verwahrlosten und ungesunden Schulen zu locken sucht, die durch eifrige Bautätigkeit, durch Enteignung deutschen Grundbesitzes und durch Planmäßige Durchdringung des deutschen Sprachgebietes in der Tschechoslowakei mit Siedlern aus dem Landesinnern das Vorfeld zur Bayerischen Ostmark zersetzt? Was Wunder wenn gerade die Besten der deutschen Grenzbevölkerung den zermürbenden und ins Elend führenden ungleichen Kampf aufgaben und landflüchtig wurden? Eine mittellose, kärglich ihr Leben fristende Bevölkerung, kümmerliche, dem Verfall preisgegebene Hütten, hohe Kindersterblichkeit, freudlose, vergrämte Jugend ohne Kraft und Zukunftsfreude, das sind die Opfer, die das Deutschtum im bayerischen Osten der tschechischen Entdeutschungspolitik, der gesamtdeutschen Not, der Verständnislosigkeit der liberalistischen Aera hat bringen müssen.

"Die Ostmark ruft!" Neues Leben wurde geweckt, der Absatz der hochwertigen Qualitätserzeugnisse wird mit allen Mitteln gefördert, Straßen erstehen - nun nicht mehr in Asphalt, sondern aus dem unverwüstlichen Gestein des Landes -, Gasthöfe und Unterkunftshäuser wurden errichtet, den Fremdenverkehr zu beleben. Das ist das Bild, das sich seit der Machtübernahme an die [850] Stelle der grauen Not geschoben hat. Viel wurde bereits seit 1933 durch die Hilfe des neuen Staates und durch Selbsthilfe erreicht; weiter geht der Kampf um kulturelle Hebung und um Eingliederung des bedrohten Landes in die gesamtdeutsche Wirtschaft.

Und welch ein Land ist dies! Das Erlebnis urwaldähnlicher Forste wartet auf den Wanderer, wo riesige Baumleichen in dichtem Untergehölz faulen und üppig schießenden Moosen, Farnen und Kräutern Nahrung geben, wo nur dämmeriges Licht über die Wildnis spielt, wo Stille, modriger Erdgeruch und gleichmäßiges Waldesrauschen Einblick in deutsche Urlandschaft schenken. Im unergründlichen Spiegel der sieben Karseen flimmert das Grün der Waldhänge, ziehen die Wolken dahin. Von der Hochwarte des Bayerischen Waldes, dem Arber, gleitet der Blick an den Felsen und den zerzausten, stachlichen Baumriesen des Vordergrundes vorbei über das wellig, in erhabener Einsamkeit sich streckende Land, Wälder auf den Höhen, Felder und Wiesen in den Tälern, Dörfer und Gehöfte eingestreut: das Reich Adalbert Stifters.

    "Doch die Erinnerung, die bleibt mir stets gewiß,
    daß ich den Böhmerwald gar nie vergiß",
so singt ein Waldlerlied. Heimatliebe auch fern der Heimat klingt aus ihm. Der Waldler macht nicht viele Worte um seine Heimat, seine Liebe sitzt im Herzen, liegt nicht auf den Lippen. Die Einsamkeit und die Not des Alltages machen ihn wortkarg, fast scheu. Wenn die Not der Zeit einen rapiden Anstieg

Totenbretter im Bayrischen Wald.
[814]      Totenbretter im Bayrischen Wald.
kommunistischer Stimmen mit sich gebracht hatte, so wird in dieser Tatsache die unnatürliche Krisis besonders deutlich: von Natur hält der Waldler zäh fest an einem um den Mittelpunkt des Katholizismus kreisenden Lebensstil. Fromme, gottergebene Sprüche und volkstümlich derbe kann man auf den Totenbrettern lesen, die häufig in dichter Folge an den Wegen aufgestellt sind. Es sind die Bretter, darauf der Tote gelegen hatte, die schön beschrieben, sein Gedächtnis wach halten sollen. Zwei seelische Möglichkeiten des Waldlers leben in derlei Sprüchen. Schwermut begegnet derber Fröhlichkeit. Der einzige Genuß, den sich der Waldler leistet, ist der Schmalzler, den er sich selbst aus Tabak, Schmalz und Kalk bereitet. Lassen wir ein "G'sangel" sprechen, das in der Wirtsstube gesungen wird, wenn "s'Brisilglas geht":

    "Mia ham scho' Derndl g'hot,
    die ham uns nimma mög'n,
    weil mia um d'Nos'n 'um
    voll Schnupfdowag san g'wen;
    mia ham nix g'fragt dano,
    mia ham's glei' selba g'sagt,
    daß uns viel lejwa is a Pris Dowag."

Das eigentliche Volksfest ist die Kirchweih, auf der es einmal üppiger zugeht. Bei den Klängen der "Kerwa" und der "Schlumpaliedla" schlägt das Herz dieser anspruchslosen Grenzmärker höher.

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    "Wenn die Kerwa kummt,
    Und die Rummbl brummt
    Und a jeda Mad hot a neis Klad,
    Stellt si vor die Tier,
    Schaut si rei zu mir,
    Trinkt a Tröpfla Bier vo mir."

Derlei Weisen erklingen vom Bayerischen Wald nordwärts über den Oberpfälzer Wald bis hinauf ins Fichtelgebirge. Die Gemeinsamkeiten dürfen aber über wesentliche Unterschiede des Fichtelgebirgsfranken und des bayerischen Waldlers nicht hinwegtäuschen. Das macht, weil das Fichtelgebirge ein "altes" Gebirge nicht nur dem Gestein nach, sondern auch dem Bergbau und seiner kulturellen Schätzung nach ist, weil es verkehrstechnisch günstiger liegt als die südliche Grenzmark und weil seine Bewohner protestantisch sind. Schon der alte Caspar Bruschius (1512) weiß die "Fichtelberger" zu rühmen: "Es hat der Fichtelberg und schier das ganze umgelegene Land ein fromm, getreu, freundlich, aber doch fast grob, bäuerisch, hart und starkes Volk, das Hitz und Frost in aller Müh und Arbeit wohl leiden und vertragen mag." Das Schicksal hat auch den Fichtelgebirglern ein hartes Arbeitslos zugeteilt. Aber ihr Fleiß, ihre Ausdauer und ihre Intelligenz, alles verklärt durch einen lebenskräftigen lutherischen Glauben, haben ein aufrechtes, tüchtiges Geschlecht aus ihnen gemacht. Man sieht im alten "Sechsämterland" rund um Wunsiedel viele scharf gezeichnete, versonnene Gesichter, wie von Gestalten aus den Dichtungen Jean Pauls, Wunsiedels größtem Sohn. Die Gewerbe, die im Fichtelgebirge blühen, besitzen an ihren Hauptstätten gute Schulen, die handwerkliche Gediegenheit und ererbte Formen von Generationen weitergeben. Wunsiedel hat eine Fachschule für Granitbildhauer. In Selb, wo die Schlöte der größten Porzellanfabriken der Welt rauchen, sorgt eine Staatliche Fachschule für Porzellanindustrie für entsprechenden Nachwuchs. In Münchberg bildet eine Webschule die Fachkräfte für die leistungsfähige oberfränkische Baumwolle und Buntweberei aus. Die beliebtesten Sommerfrischen und Wintersportplätze des Fichtelgebirges sind Berneck und Warmensteinach; dieses reizend im tief eingesenkten Tal der Ölschnitz zu Füßen der Burgruine Wallenrode gelegen, ein aufstrebendes, mit neuzeitlichen Kureinrichtungen ausgestattetes Bad, jenes wegen seiner Höhenlage besonders im Winter besucht. Spiegelglasschleifereien und Glasperlenfabriken ernähren die Bevölkerung.

Im Mittelalter gab es Zeiten, da der Goldreichtum des Gebirges leichter als heute zu Geld und Gut verhalf. Geheimnisvoll raunt die Sage von dem unermeßlichen Reichtum des Fichtelgebirges. Nach dem Volksglauben soll auch der gemeinste Feldstein edle Metalle bergen. Fremden ist der Sinn für die unerkannten Schätze geöffnet, besonders den Welschen, während der einfache Mann des Landes sich mit dem Wissen um das Geheimnis begnügen muß:

    "Wirft mancher einen Stein nach einer Kuh,
    Ist der Stein mehr wert als die Kuh!"

[852] So erzählt die Sage, daß am goldenen Sonntag oder am St. Johannistage, wenn in Bischofsgrün das Vaterunser geläutet wird, der Ochsenkopf seine Kammern öffne und seine Goldwände zeige, von denen das Gold wie Eiszapfen und Edelsteine wie Zwiebelstränge herabhängen. Solange der Pfarrer von Bischofsgrün das Evangelium liest, kann der fromme und einfältige Mensch die Wunderblume pflücken, die am Eingangsfelsen wächst. Sie dient ihm als Schlüssel, der die Pforten dieser Goldhallen öffnet. Er darf sich Schätze holen, so viel er tragen kann. Nur darf er den Zeitpunkt nicht versäumen, wo das Evangelium schließt, sonst wird er in der Tiefe zurückbehalten.

Wie ein Symbol auf die träumende Goldsehnsucht eines armen Bergvolkes ist das goldene Leuchtmoos, das in der Gegend von Wunsiedel wächst. Von ferne lockt es in goldigem Schimmer, tritt man aber näher hinzu, so verschwindet der trügerische Glanz und ist nur ein armes einfaches Moos. "Wo dieses Moos wächst, da ist auch der Sagenkreis von den goldenen Reichtümern des Fichtelgebirges gewachsen."

Spätere Zeiten haben sich an den sichtbar zutage liegenden Reizen des schönen Waldgebirges genügen lassen. Die berühmten Fichtelgebirgsgläser der Barockzeit zeigen die Wahrzeichen ihres Herkunftslandes: das Abbild eines Ochsenkopfes, die bewaldete Kuppe des Fichtelberges und die Flußläufe von Saale, Eger, Nab und Main, die der "Gebirgsknoten" des Fichtelgebirges nach den vier Himmelsrichtungen in das Gebiet der drei Hauptströme Deutschlands entsendet. Die geographische Lage und das Vorkommen von Eisen, Zinn, Silber und Gold haben die Vorliebe eines Alexander von Humboldt für das Fichtelgebirge geweckt. Das gewaltige Felsenlabyrinth der Luisenburg trägt noch heute wunderliche Inschriften einer empfindsamen Zeit. Goethe schrieb über die Luisenburg, "daß die ungeheure Größe der übereinandergestürzten Granitmassen einen Anblick gibt, dessengleichen mir auf allen meinen Wanderungen niemals wieder vorgekommen." Seinen Namen führt der Schauplatz der Luisenburg-Festspiele nach der Königin Luise, die bei ihrem Besuch in dem vornehm-stillen Alexandersbad wohnte. Weiter führt der Weg zur Kösseine, von deren Gipfel man das ganze Gebirge überblickt. Schneeberg, Ochsenkopf und Waldstein im Norden; südlich ragt der Steinwald auf. Dort, wo die Grenzberge des Oberpfälzer und Bayerischen Waldes hinstreichen, verläuft die Grenze nach Böhmen. Wie eine deutsche Grenzburg steht das Gebirge, hart wie das Urgestein, das es formte.

    "Wetter und Sturm
    Trotzt der Asenturm,
    Tu's ihm gleich,
    Mein deutsches Reich!"

Wie ein Bekenntnis der ganzen Bayerischen Ostmark grüßt die Inschrift vom Turm des Ochsenkopfes den Wanderer.

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Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, besonders das Kapitel "Bayern".

Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke