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Süddeutschland - Eberhard Lutze
Altbayerisches Volkstum
Ein Sprichwort aus der Oberpfalz kann für das gesamte altbayerische
Gebiet Geltung beanspruchen: "Wenn die Bauern am Felde sind, ist kein
Bürger daheim". Das will sagen, daß der Ackerbürger die
Mehrzahl auch in den bayerischen Kleinstädten und den Märkten
ausmacht, daß die Landwirtschaft bis in die Stadtmauern hinein herrscht
und nicht, wie anderwärts in Deutschland, die Stadt auf das Land hinaus
wirkt und das Umland verstädtert. Großstädte fehlen,
Mittelstädte sind selten. Nirgendwo spielen die
Vieh-, Getreide- und Hopfenmärkte eine solche Rolle wie im
Altbayerischen. Freilich dort, wo das erwähnte Sprichwort entstand, in der
"steinigen Kartoffelpfalz", lebt der Ackerbauer aus anderen Bedingungen wie aus
den schweren Ackerböden des Dungaues, den Hopfengärten der
Holledau, den wogenden Kornfeldern Niederbayerns.
"Erdöpfl in da Früah;
z' Mittag in da Brüah;
af d' Nacht mitsamt dem Kleid,
Erdöpfl in Ewigkeit"
so mögen noch heute Knecht und Magd über die Hauptnahrung der
Oberpfalz stöhnen. Die Donau zieht die Grenzlinie zu den
niederbayerischen "Protzenbauern", die wohlhabend und selbstbewußt auf
jahrhundertealten Erbhöfen den Boden von Bayerns Kornkammer bestellen.
Auf dem steinigen Oberpfälzer Boden steht ein einfaches Steinhaus,
deutlich sich absetzend von dem steilgiebligen fränkischen Fachwerkhause.
Weit ausladend, behäbig den Vierseithof beherrschend, erhebt sich das
niederbayerische Bauernhaus und das verwandte oberbayerische Haus mit
Fassadenmalerei, das, nach Süden ständig flachgiebeliger werdend,
die Landschaft bis in die bayerischen Berge hinein beherrscht. Die wie Burgen auf
die reichen Äcker des niederbayerischen Kornlandes blickenden
Höfe stellen die wohlhabendste Entwicklung aus dem bayerischen
Einheitshaus dar, das - ursprünglich als Blockhaus im holzreichen
Rodungsland erbaut - Wohnräume,
Kuh- und Roßstände mit der Streukammer unter einem Dach
vereinigt, ob es nun als Zwerchhaus quer zur Straße steht oder als Firsthaus
den galerieumzogenen Giebel der Dorfstraße zukehrt. In den
Almhütten hat sich ein Urtypus bis heute erhalten. Er ließe sich um
Jahrtausende zurückversetzen. Der mit Mauersteinen gepflasterte
Flötz ist das Herz im Grundriß des bayerischen Einraumhauses. Von
hier gelangt man zu Küche und Ehekammer, zu Stube und Ställen, zu
den Dienstbotenkammern, der Gaststube und der Kornkammer im
Obergeschoß. Dieses Schema diktiert auch die Hausanlage der
Landstädte, auch dort, wo die Häuser, wie etwa in Partenkirchen oder
Mittenwald, enger aneinander rücken. Gewachsen aber scheint es aus der
mächtigen Weiträumigkeit des bayerischen Hochlandes, das sich wie
eine "Riesenbrücke" zwischen die Alpen und die binnendeutschen
Mittelgebirge [825] spannt. Weite ist hier
in der Landschaft wie in den breiten Dorfstraßen; Himmel und Feld,
namenlose Hügelkuppen, in der Ferne Bergeshöhen oder wohl am
Horizont der Umriß der schneebedeckten Alpen: das alles klingt zu der
feierlichen, unbegrenzt sich dehnenden bayerischen Alpenvorlandschaft
zusammen. Nach Westen zieht der Lech eine klare Grenze; nicht so sehr in der
Landschaft - sie verändert sich fast unmerklich im
Schwäbischen -, wie im Volkstum. Der Grund dazu, daß der
Lech wohl eine Völkerscheide, dagegen keine Landesscheide ist, liegt in
seiner natürlichen Grenznatur. "Der Lech ist die senkrechte Linie von den
Alpen auf die Donau gefällt, also die natürlichste Verteidigungslinie
gegen jedes durch die breite Heerstraße des Donautales einflutende Heer.
Und so ward der natürliche Landwehrgraben in so vielen
Völkerkämpfen zum Grenzgraben, an welchem die zwei
Hauptgegensätze des süddeutschen Volkstumes auseinandergehen" (W. H. Riehl).
Als 955 die verheerenden Barbareneinfälle der
Ungarn das ganze christliche Abendland bedrohten, da wurde auf der weiten
Walstatt des
Lechfeldes südlich von Augsburg einer der glorreichsten Siege
des Mittelalters erfochten. Alle deutschen Stämme hatten mit ihren
tapfersten Mannen teil an dieser deutschen Befreiungsschlacht.
Äußerlich markiert sich die Trennungslinie zwischen Schwaben und
Bayern durch die Verschiedenartigkeit der Ortsnamen. Auf dem westlichen Ufer
regiert die schwäbische Endung "ingen", in Bayern das "ing", das im
Donauraum bis nach Österreich anzutreffen ist. Drüben wohnt der
schwäbische Bauer, rege, beharrlich und besinnlich, hüben der
dunklere, große, schwerblütige Bayer. Was sind das für
prächtige, großgewachsene Männer von herkulischer Kraft und
gelegentlicher Berserkerwut, verwegenem
Bauern- und Jägeradel, in der prahlenden Haltung des Körpers, im
Ausdruck der durchbohrenden Augen, der kräftig vorspringenden Nase, der
breiten Kinnbacken: ein Typus, der vorwiegend die Merkmale der nordischen und
dinarischen Rasse trägt. Kleinwüchsiger die Frauen, unter denen man
neben ausgesprochen blonden auch dunklen "römischen
Schönheiten" begegnet. Ludwig Ganghofers
und Ludwig Thomas Feder, Wilhelm Leibls Pinsel
haben Rasse und Volkstum dieses kernhaften bayerischen
Menschenschlages gefeiert. Für seinen Charakter lassen wir die
berühmte Schilderung bei dem Humanisten Aventin folgen, deren
Grundzüge noch heute zutreffen: "Das bayerische Volk ist geistlich
schlecht und gerecht. Es geht und läuft gern auf Kirchfahrten, zu denen es
auch reichlich Gelegenheit hat. Es legt sich mehr auf den Ackerbau und das Vieh,
als auf den Krieg, dem es nicht viel nachläuft. Es trinkt sehr, erzeugt viel
Kinder, ist etwas unfreundlich und eigensinnig, weil es nicht oft hinauskommt,
sich gern daheim hält, wenig Hantierung treibt und fremde Länder
ungern aufsucht. Der Kaufmannschaft achtet es nicht, und wie Kaufleute selten zu
ihm kommen, sind im Land selbst wenige, die großen Handel
führen." Aventin umschreibt mit anderen Worten das Bauerntum des
Stammes, das bis in das Kunst- und Kulturleben Quelle und Kraftstrom ist. Der
Bauernmaler Friedrich Defregger hat das sehr deutlich ausgesprochen: "Siehst,
das ärgert mich, daß die Leut allweil meinen, i wär kein
richtiger Bauer g'wesen!"
[826] Bauern denken
langsam, gründlich und konservativ; unzählige Eigenarten im
kirchlichen und weltlichen Brauchtum, in der politischen Denkweise des
bayerischen Stammes erfahren aus dieser bäuerlichen Grundhaltung ihren
Sinn.
Da ist ein konservativer Geist der Treue zur katholischen Kirche, deren Kultus im
Bayerischen, entgegen dem strengeren Zug des rheinischen Katholizismus, in
festlich-bunter, unkomplizierter Gestalt im Volkstum wurzelt. Nicht zuletzt hat
hier der fromme, am alten Glauben festhangende Bauernsinn der
landsässigen Bayern über das Schicksal der Reformation
entschieden. Eine Stadt wie Regensburg war dank der Aufgeschlossenheit und
inneren Bereitschaft der Geschlechter bereits für die evangelische Sache
gewonnen. Die Reichsstadt wurde wieder katholisch, weil die Minderheit der
wenigen Stadtgeschlechter gegen den ständigen Zuzug eines kinderreichen
Landvolkes auf die Dauer nichts ausrichten konnte. Die Gotteshäuser
spiegeln in herrlich-unvergleichlicher Schönheit den frommen Sinn des
bayerischen Volkes wieder. Keinen anderen Stil hat dieses Volk mehr geliebt und
liebt es noch, als den des höfischen 18. Jahrhunderts! Wie ein
sprühend lebendiger, aus tausend verborgenen Quellen der Volksphantasie
und Formbegabung gewundener Kranz legen sich die vielen Klosterkirchen und
Wallfahrtsorte, Stadtkirchen und Residenzen um die Blätter der bayerischen
Geschichte. In einsamen Gebirgstälern, als Erben mittelalterlicher
geistlicher Missions- und Rodungsarbeit erheben sich die prunkvollen Bauten der
Benediktiner, auf Bergeshöhen grüßen Kapellen, in den
Straßen der Stadt herrschen
Pfarrkirchen - überall klingen das durchdringende Weiß oder
warm leuchtende Geäder des Stuckmarmors, die zischenden, in
kühner Durchbrechung architektonischer Symmetrien auf den Grund
gestreuten Muschelornamente mit den Kurven der unübertrefflich
geschweiften, von Lichtfluten übergossenen Räume zusammen.
Bayerisches
Rokoko - diese Wortverbindung besteht zu Recht. Was in anderen
Nationen klassisch und streng war, in den benachbarten deutschen
Stämmen vielleicht edler in der Einzelform, großartiger und
höfischer in der Gesinnung ist: seliger und rauschender,
volkstümlicher und bunter wurde nirgends die Konsequenz eines
europäischen Spätstiles gezogen als im Bayerischen Rokoko.
Unzähligen romanischen und gotischen Innenräumen hat das
Jahrhundert des Johann Michael Fischer, der Gebrüder Asam und
Dominikus Zimmermanns flimmernde Stuckgewänder über den
ernsten Kern der steinernen Schiffswände geworfen. Der Freisinger Dom,
die Klosterkirche auf dem heiligen Berg zu Andechs, sie sind im
18. Jahrhundert zu neuen kultischen und künstlerischen
Erscheinungen umgeformt worden.
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Passau. Der Dom mit dem Marienbrunnen.
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Welch' eine Kraft architektonischen und
malerischen Denkens erschließen unter sich so verschiedenartige Kirchen
wie Rott am Inn, Ettal und die Wieskirche!
Organisch erblühen die weltmännisch hoheitsvollen Holzplastiken Franz Ignaz Günthers
aus dem kreisenden, alle Ecken verschleifenden
lichten Raum Joh. Michael Fischers. Die bildmäßig
aufgelösten, von Putten umgaukelten Altäre setzen mit den
Gehäusen der Beichtstühle beschwingte Akzente in die edle Ellipse
der Ettaler Klosterkirche, Gegenspiel und Ausgleich zu der von Gestalten
wimmelnden, farbenselig freskierten Kuppel. [827] Und die Wies: einsam,
auf den Matten des Allgäuer Vorlandes gelegen, in der
feierlich-stillen Landschaft vor den Bergen des Hochgebirges läuten die
Glocken dieser unendlich festlichen, wie im Rausch gestalterischer Vollendung
aus entstofflichter Schale, aus Altären und Beichtstühlen, Plastiken
und Stuckornamenten zu musikalisch schwingendem Raumerleben
verschmolzenen Kirche. Fast porzellanhaft zart, sehr licht, sehr bunt und bei aller
weltlichen Daseinsfreude sehr unwirklich, fast traumhaft umfängt das
Meisterwerk Dominikus Zimmermanns die zur Wies wallfahrende
ländliche Gemeinde, die mit wächsernen Votivgaben Freud und Leid
aus betendem, beichtendem und erlöstem Herzen vor das Antlitz Gottes,
der Jungfrau Maria und der lieben Heiligen trägt.
Es ist das Vollendete und
Arteigene des Bayerischen Rokoko, daß der Funke zur Genialität der
großen Meister sich an der Bäuerlichkeit des bayerischen Stammes
entzündet hat, wie sie im Handwerk fortlaufend schöpferisch am
Werke ist. Es gibt geschnitzte Andachtsgruppen aus dem 18. Jahrhundert,
die, ohne von der dazwischenliegenden Krise der gesamtdeutschen Kunst zu
ahnen, gotische Schnitztradition durch die Jahrhunderte hinübergerettet
haben. Auf den bunt bemalten Möbeln erscheinen dieselben Ornamente wie
in den Kirchen, wie andererseits die Kirchenkunst außer im Herrgottswinkel
mit den als Schmuckformen verwendeten Monogrammen Christi und Mariens
gelegentlich auch mit kirchlicher Deckenmalerei in der holzvertäfelten
Stube des bayerischen Bauernhauses heimisch ist. Vielfach verknüpft sich
das kirchliche Leben mit dem bäuerlichen
Werk- und Feiertag, häufig uralte vorchristliche Bräuche abwandelnd
und umdeutend. Zweifellos gehen der Georgiritt, der zu Ostern im
Inn- und Salzachgau, der Pfingstritt, der als Bittwallfahrt in Kötzting und
die Leonhardifahrten, die um Tölz und Benediktbeuren von den
Männern des Ortes unter Beteiligung der Geistlichkeit veranstaltet werden,
auf germanische Feuer- und Feldkulte zurück. Die festlich
geschmückten, glänzend gehaltenen Pferde empfangen ebenso den
geistlichen Segen wie die Äcker, die auf dem Umritt berührt werden.
Ein ausgedehntes Volksfest - in Tölz fahren die Frauen im
girlandengeschmückten Truhenwagen mit im
Zuge - beschließt die geistliche Feier.
"Lustig" - ein bevorzugtes Wort bei den
Bayern - geht es auf den Festen zu. Die Trachten haben eine festlichere
Note, die Hüte sitzen den Männern noch verwegener auf dem Ohr als
sonst, und surrend wie Kreisel drehen sich die Frauen im Tanz, während die
Männer mit echter Leidenschaftlichkeit lockend und schnalzend und
jubelnd wie balzende Birkhähne ihre berühmten Schuhplattler
schmettern, deren prahlendes Stampfen das Gellen der Klarinetten, Trompeten
und Zithern noch übertönt. Die Bayern sind ein ebenso
tanz- wie sangesfreudiges Volk. Ihre Volksmusik hält sich in
traditionsgebundenen Grenzen. Die
Schrammel- und Jodlermusik, die Trutzgesänge der Schnadahupferl sind
durch den Rundfunk in ganz Deutschland bekannt geworden. Wo die eigentliche
Begabung liegt, das beweisen die Dachauer Hutsänger, die, während
eine Kerze niederbrennt, "möglichst viel gereimte Vierzeiler aus dem
Stegreif" singen. Die Begabung zum behenden Schnelldichten hält sich da
öfters durch ganze Geschlechterfolgen in einzelnen Familien. Man [828] hat beobachtet,
daß bei derartigen Singwettstreiten die Mehrzahl der Vierzeiler aus
Stabreimen bestehen. Im 20. Jahrhundert ist noch die Reimform im
Schwange, die seit dem im bayerischen Wessobrunn gedichteten Gebet des
8. Jahrhunderts aus der hohen Literatur verschwunden ist! Auch sonst ist
uraltes Volksgut lebendig. In den vier Rauhnächten lebt neben dem hellen
Geschehen der Christgeburt das "wilde Gejaid" als lärmender, brausender
Zug in den Lüften, in den zwölf heiligen Nächten zwischen
Weihnachten und dem Hl. Dreikönigstag geht die Perchtfrau um,
belohnt die fleißige Arbeit und straft die Faulen. Böse Geister zu
schrecken, schreibt man am Dreikönigstag mit geweihter Kreide die
Initialen der Könige C(aspar), M(elchior), B(althasar) und die Jahreszahl an
alle Türen in Haus und Stall. Nach dem Abendläuten geht der
Hausvater durch die Räume seines Anwesens und räuchert sie mit
dem aus heiligen Kräutern aufsteigenden Rauch. Danach beginnt erst das
"große Neujahr", während der 1. Januar nur als Tag der
Beschneidung Christi gefeiert wird.
Zum 1. Mai wird der Maibaum inmitten des Dorfes errichtet, zuvor in feierlichem
Zuge eingeholt und reich verziert. Fahnen, Kränze, Inschriften, die
Leidenswerkzeuge Christi, Kirche und Bauernhaus, Bauer und Bäuerin, die
Zeichen der Handwerke und endlich vier Armbrüste als Symbole
bäuerlicher Wehrhaftigkeit schmücken den Baum. Er ist die
sichtbare Verkörperung der Inhalte, die das bäuerliche Leben
erfüllen.
Die Schafwolle, der Loden und das Leder bestimmen Form und Farbe der
bayerischen Männertracht. "Ganz sicher hat die Tracht viel
Urwüchsiges bis auf den heutigen Tag, man spürt noch immer,
daß sie natürlich gewachsen ist in stetem Kampf mit Wind und
Wetter und mit den Bergen und dem Wald" (R. Helm). Jedermann kennt
sie; sie hat den Siegeszug durch ganz Deutschland angetreten, seitdem die
Sommerfrischler "neugierig und vorurteilslos die praktische Überlegenheit
dieser Kleidung für Bergwanderungen sofort sahen und anerkannten".
Anders die Frauentrachten, die eckige und seltsame Dachauer, die kleidsamere
Miesbacher Tracht. Sie sind bunt und fröhlich mit ihren steifen runden
Hüten, dem seidenen Brusttuch, schwarzem Mieder, reichlichem
Silberbehang.
Die Urwüchsigkeit in der Art des Menschenschlages und die bunte Farbe
der Kleidung geht mit Bräuchen und Singweisen eine fröhliche
Einheit ein, davon eine Probe am Schluß unserer Skizze stehen mag:
"Zum Dirndl auf d'Alm
Bin i oft auffi grennt,
Und da hats mi von weit scho
Am Juchezen kennt."
Die bayerischen Städte danken in der Mehrzahl den
Straßen, voran der von West nach Ost ziehenden Salzstraße, ihr
Wachsen, z. T. auch ihr Entstehen. Das 13. Jahrhundert ist das
große Jahrhundert der bayerischen Städtegründungen gewesen,
die auf die wittelsbachischen Herzöge zurückgehen. Die [829] Städte wurden
noch im 13. Jahrhundert in die landesherrliche Politik eingespannt, die
gegen die älteren Rechtsansprüche der Kirche gerichtet war. In einem
Falle hat diese Politik auch nicht vor Konflikten mit der Reichsgewalt
zurückgeschreckt, in der Reichsstadt Regensburg, die "in Bayern
immer schon das Reich verkörperte" (A. Elsen). Der düstere
Charakter der herrlich gelegenen Donaustadt spiegelt noch heute die
Wehrhaftigkeit der romanischen Zeit wieder. Man begegnet in den schachtengen
Gassen dem eingemauerten Torrest der römischen Siedlung, steht vor den
sechs und mehr Stockwerke hohen adligen Geschlechtertürmen, die wie
Burgen in der Stadtmauer stehen und der schönen Baugruppe des gotischen
Rathauses zu trotzen scheinen. Als das Rathaus entstand, war Regensburgs
bedeutendste Rolle im Grunde schon ausgespielt. Indessen blieb es auch fernerhin
Sitz zahlloser Reichstage. Merkwürdige Ironie des Schicksals, daß
eine der ehrwürdigsten Schauplätze der deutschen Geschichte bis
1803 den ewigen Reichstag in seinen Mauern sah: Anfang und Ende deutscher
Reichsherrlichkeit sind mit Regensburg verbunden.
[809]
Regensburg. Brückentor und Domtürme.
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Regensburgs Bauten sind aus Bruchsteinen gemauert, wie sie sonst in keiner
anderen bayerischen Stadt wieder begegnen. In Straubing und
Landshut regieren die Straßenplätze, überragt von
den steil gen Himmel sich reckenden Türmen der Stadtkirchen. Verputzter
Ziegelbau ist ihr Werkstoff, nicht anders wie in Niederdeutschland.
Giebelhäuser stehen an den langgestreckten Märkten, die in Landshut
als doppelte Rippe den Stadtraum zerteilen.
[813]
Wasserburg (Inn). Ein Kaufherrnhaus aus dem 18. Jahrhundert.
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In Landsberg, Passau und
Wasserburg diktiert die Flußlage den Stadtaufbau. In Passau
beginnt der italienisch wirkende Zuschnitt der mit Grabendächern und
Stirnmauer abgedeckten Häuser, wie sie den
massig-großartigen Zauber des Innviertels ausmachen. Ist die herrliche, um
die Feste Oberhaus und den barocken Dom gruppierte Dreiströmestadt der
volltönendste, von der Höhe des Mariahilferberges aus
überwältigend großartigste Stadteindruck in Bayern, so
Burghausen ihr wehrhaftester. Am Steilhang der Salzach gelegen,
schmiegt sich die Bürgerstadt an die langgestreckte feste Burg, die sich
mächtig über Flußlauf und Wöhrsee erhebt. Als
Grenzfeste ist der Fürstensitz der
Bayern-Landshuter Herzöge gewaltig stark gebaut. Und welch' Aufstieg ist
das: Graben und Tore, Bauten und Mauern scheiden den sich in einer Länge
von 700 Meter dehnenden Komplex in nicht weniger als sechs bewehrte
Höfe! Als indessen München alleinige Residenzstadt wurde, verlosch
Burghausens Glanz. Die händlerisch gute Grundlage hat in den
bayerisch-österreichischen Kriegen nichts geholfen, hilft auch
heute - wie lange noch? - nichts. So manche groß und herbe
gebaute altbayerische Landstadt teilt Burghausens abgelegenes Schicksal, das sich
mit einem bescheiden-stillen Abglanz alten Ruhmes begnügen muß.
Nur wenn zu den regelmäßigen Märkten das Landvolk den
Stadtraum füllt, und die geräumigen Ausspanngasthöfe von
kaufeifrigen und trunkfrohen Gesprächen widerhallen, dann kommt Leben
auch in die kleinste Stadt. Dann begegnen sich die steinernen Reliquien alter
bayerischer Stammesgeschichte und der lebendige Träger bayerischer Art
und Leistung: das bayerische Landvolk.
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