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Süddeutschland - Eberhard Lutze

Süddeutschland ist das Land der buntschillernden Mannigfaltigkeit unserer deutschen Heimat. Dem Süddeutschlandfahrer bleiben, wenn er aus der ebenen Weite des Nordens und Ostens oder aus dem einheitlichen Gebiet der Fluß- und Waldgebirgslandschaften des mitteldeutschen Raumes den Süden unseres Vaterlandes bereist, die auf beschränktem Raum rasch wechselnden Bilder von Landschaft und Mensch in der Erinnerung haften. Die dunkel-ernsten Nadelwälder von Schwarzwald, Fichtelgebirge und Bayerischem Wald, die weiten Laub- und Mischwälder des Spessarts und Odenwaldes, der Grabenbruch des Oberrheins, die weiten Täler von Main und Donau zeichnen ebenso das Bild der süddeutschen Landschaft wie die erhaben thronende Welt der Alpen, die welligen Höhen und Täler des Schwäbisch-Fränkischen Stufenlandes, die tellerflache Hochebene des bayerischen Alpenlandes und die gesegneten Gefilde des Bodensees. Neben reichen Kulturlandschaften und Industriegebieten, reizvollen alten und häufig zugleich pulsenden neuzeitlichen Städten und großen schmucken Dörfern begegnet verträumte Wald- und Flußeinsamkeit, versinkt die von Menschen zivilisierte Welt vor der schneebedeckten Majestät des Hochgebirges, wo "der Mensch nur ein geduldeter Gast" bleibt. Es fehlt der geschlossene Charakter; charakteristisch ist gerade die Uneinheitlichkeit.

Landschaft und Geschichte haben dafür gesorgt, daß auch das Volk mannigfaltig ist nach Rasse, Stamm, Konfession, Mundart und Brauchtum. Der lebenslustig-derbe Altbayer steht neben dem bedächtig klugen Alemannen, der weltaufgeschlossene redselige Pfälzer neben dem pflichtstrengen, rechtschaffenen Ostfranken. Es ist nicht so, wie es vom Blickpunkt des Norddeutschen immer hingestellt wird, daß der Süddeutsche durchweg leichtlebig, lebensfroh, unbeschwert und oberflächlich sei: das geht gerade dem in Süddeutschland lebenden Deutschen anderen Stammes auf. Und doch ist die Sehnsucht und geheime Liebe des Norddeutschen für die Landschaft und das Volkstum südlich des Mains durchaus berechtigt, jene Liebe, die allzuoft einseitig bleibt und der gestaltenreichen und wechselvollen Lebendigkeit, Gemütstiefe, Fröhlichkeit und Urwüchsigkeit nachhängt. Ihn lockt das sich häufig Widersprechende, jene Wesenszüge des deutschen Menschen, die dem gemesseneren und im allgemeinen geschlosseneren norddeutschen Typus fehlen.

So verschieden das Land im ganzen ist, so gibt es doch Gegenden des Südens, in denen man sich in sandige Kiefernwälder der Mark, liebliche Höhen Thüringens, [680] rauschende Laubwälder Holsteins, nebelige Heideverlassenheit Lüneburgs versetzt glaubt, wenn nicht eben doch plötzlich eine aufklingende Mundart, der kühn aufsteigende Fachwerkgiebel eines Hopfenhauses, ein tief

Uffenheim.
[784]      Uffenheim.

Donauwörth. Ein Stadttor.
[807]      Donauwörth. Ein Stadttor.
eingeschnittenes Tal mit gewachsenem Fels, irgendetwas für den Norddeutschen gänzlich Unerwartetes und Beglückendes begegnete. Hinzukommt der verwickelte rassische und volksstammliche Aufbau des Landes, das in unzählige Gaue zerfällt. Südlich der Mainlinie beginnt eine kompliziertere Zusammensetzung des rassischen Aufbaues. Immer noch beherrscht die nordische Rasse den Menschentypus; indessen ist sie mehr als im Norden überdeckt, manchmal verdrängt. Im Westen hat die westische, im Osten die ostische und vor allem im Alpengebiet die im übrigen Deutschland gänzlich fehlende dinarische Rasse an der Erscheinung und Art der Stämme teil. Einflüsse der Slawen, der Franzosen, ja Reste römischer Kolonialbevölkerung haben an dem Werden des süddeutschen Volkstums mitgearbeitet, das, bald zu höchster persönlicher Eigenart und Leistungskraft sich steigernd, uns mit begnadeten Gaben völkischer Kultur beschenkt hat, bald in der Summe der vielen Anteile und Charakterzüge abgestumpft und abgeschwächt, in kultureller Bedürfnislosigkeit dahinlebt. Der bunten Fülle der süddeutschen Erscheinungen, die so gar nichts vom Typus, so alles vom Individuell-Einmaligen her empfängt, stehen nun allerdings doch auch einheitliche Züge gegenüber. Als ältestes staatsbildendes Gebiet ist es ein Land alter deutscher Geschichte und Kunst, das sowohl in bedeutenden Städten wie traulichen kleinen Zentren seine Brennpunkte findet. Die volkreichsten deutschen Großstädte, durch Eisenbahn, Technik, Politik, Industrie zu dem geworden, was sie heute sind, liegen außerhalb des Südens. Dafür gibt es hier eine Unsumme von Städten, bis hinab zur anderswo undenkbaren Zwergstadt, reich an ehrwürdigen Kirchen und Klöstern, Schlössern und Bürgerhäusern mit Werken höchsten deutschen Kunstfleißes: "eine günstige Kehrseite der politischen Zersplitterung", in der auch die große Zahl der Universitäten ihre geschichtliche Begründung findet. Der Bürger der süddeutschen Städte lebt seiner geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Vergangenheit näher als der Siedler auf Kolonialboden, wo häufig zu dem späten Lebensraum noch verheerende Stadtbrände eine geschichtliche Einöde schufen. Möglich, daß die anheimelnde und trotz der Erstreckung über Jahrhunderte so stilvolle Gemeinde der Bürgerhäuser, daß das sichtbare Erbe der Väter bis auf viele Formen der Geselligkeit, die heute noch lebendig sind, nachgewirkt hat. Man denke nur an die Vertrautheit der Stände untereinander, die Alt und Jung, Hoch und Niedrig verbindende Mundart oder die gegen alle aufgedrängte steife Form aufsässige, manchmal biedermeierliche Gemütlichkeit. Auf jeden Fall schließen die staatliche und städtische Entwicklung, die vielerorts innerlich verwandt oder parallel miteinander verlaufen ist, die stammesartlichen Sondererscheinungen - denen später im einzelnen nachgegangen wird - zu einer unverkennbaren kultivierten Einheit zusammen, eben der süddeutschen.

Horb am Neckar.
[802]      Horb (Neckar).

Kann man kulturell Süddeutschland unter vielerlei Gesichtspunkten als geschlossene Landschaft mit vielen Ausdrucksmöglichkeiten begreifen, so ist es in [681] seiner natürlichen Beschaffenheit ein Sammelraum. Wenn die Staatskunst in hohem Maße in Niederdeutschland, die Musik am schönsten im Herzen Deutschlands ihre Heimat hat, so hat nirgends ergriffener und beschwingter, vielseitiger und geprägter das Landschaftsgefühl im süddeutschen Raum in wortgewaltiger Dichtung, farbglühender Palette und liebevoll nachfahrendem Stift künstlerische Gestalt gefunden. In Goethes Jugendstil "fand die Bewegtheit der süddeutschen Landschaft stürmischen Ausdruck", Schiller erfaßte sie begrifflich "und machte sie zum Gegenstande empfindsamer Betrachtung", Jean Pauls zarte Landschaftsgespinste, Mörikes beseelte Naturliebe bis hin zu Stifterschem Waldesweben und Thomas wolkenweißer Fluß- und Bergwelt - sie alle lieben und dichten vor der Vielfalt dieser ewig reichen Gaue. Der Regensburger Albrecht Altdorfer schenkte der deutschen Kunst die erste Darstellung einer süddeutschen Waldlandschaft um ihrer selbst willen, gleichzeitig, als in Matthias Grünewalds magisch überleuchteten Landschaftsgründen Himmel und Erde einander begegneten, als Dürer das fränkische Land in herber Klarheit formwürdig fand. Ausdruck und Form dieser Meister sind Erfüllung und Reife. Längst schon waren, Jahrhunderte vor ihnen, Meister und Sänger voll gleicher Liebe durch die süddeutschen Gaue geritten und hatten um die künstlerische Gestalt ihres Naturgefühls gerungen.

Dieses Landschaftsgefühl macht vor den staatlichen Grenzen nicht halt. Es ist lebendig in Österreich ebenso wie im Elsaß, in der deutschen Schweiz wie in Gebieten der Tschechoslowakei. Das muß gesagt werden, weil die Reichsgrenzen an kaum einer Stelle den natürlichen Landschaften folgen, und weil noch weniger die Grenzen des süddeutschen Kulturraumes mit der Ausdehnung des Reiches übereinstimmen.

Angesichts des Auseinanderfallens der Grenzen von natürlichen Landschaften und politischen Einheiten, worunter nicht nur die außenpolitischen, sondern genau so die Grenzen der innerdeutschen Länder zu verstehen sind, hat man im allgemeinen die Nordgrenze unseres Gebietes in genauer Anpassung an die natürliche Landschaftsgliederung angenommen. Sie folgt der Südgrenze der "mitteldeutschen Schwelle", beginnend am Südhang von Hunsrück und Taunus, des Vogelsbergs und der Rhön, um unter Ausschluß des thüringischen Vorlandes der Wasserscheide von Werra und Main zu folgen, südlich am Frankenwald entlangzustreichen und das Fichtelgebirge mit einzubegreifen. Von dort südlich begleiten wir die Reichsgrenze, die für das übrige an das Ausland stoßende Gebiet verbindlich bleibt. Geht man auf dem Atlas dem Wege nach, so erkennt man den überwiegenden Mittelgebirgscharakter, der nur in den Flußtälern auf tiefere Lagen übergreift und im Süden von der Barre der hochgebirgigen Algäuer und Bayerischen Alpen abgeriegelt wird, deren verblauende Gipfel weithin nach Norden in die Schwäbisch-Bayerische Hochebene hineingrüßen. Mit den wildzerklüfteten, vielgratigen und tälerreichen Alpen und dem Senkungsfeld des Vorlandes, dessen von Seen und Mooren durchsetzte Landschaft durch Aufschüttungen und Gletscherablagerungen des Gebirges aufgefüllt ist, sind bereits zwei morphologische Einheiten Süddeutsch- [682] lands genannt. Als dritte ist das in nordwestlicher Richtung streichende, der Umwallung des Böhmischen Beckens zuzurechnende Ostbayerische Gebirge - Bayerischer und Oberpfälzer Wald, Fichtelgebirge - zu nennen. Das übrige Gebiet ist in seiner Erscheinungsform weniger einfach zu fassen. Der Oberrhein legt sich als Hauptachse durch dieses Stufenland, weswegen man von einem oberrheinischen System spricht. Es zerlegt sich in einzelne Schichtstufen je nach der Beschaffenheit der Gesteine, und greift vom westpfälzisch-lothringischen bis zum schwäbisch-fränkischen Stufenland. Außer den rheinischen Randgebirgen sondert sich nur das Hebungsgebiet des Nordpfälzischen Berglandes und das Schollengebiet der Oberpfälzer Senke von der Landform des Stufenlandes ab.

Das Stufengebiet des oberrheinischen Systems verzahnt sich auf vielfältige Weise mit dem Gebiet der jungen Donau. Der in Süd-Nordrichtung der Nordsee zuströmende Rhein und die rechtwinklig nach Osten dem Schwarzen Meer entgegenziehende Donau bestimmen die Wasserscheide Süddeutschlands. Dabei streben die beiden Flußsysteme erdgeschichtlich betrachtet keineswegs auseinander, sondern sind gegenseitig kämpferisch und räuberisch in ihre Bezirke eingebrochen (R. Gradmann) und stehen noch heute miteinander in Beziehung. Der Wanderer merkt an den meisten Stellen gar nicht den Übergang. Uralt ist das Bestreben, die aus dem nachbarlichen Verhältnis sich für den Wasserverkehr ergebenden Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, von dem genialen Plan des "Grabens" Karls des Großen bis hin zu dem neuzeitlichen Großschiffahrts-Projekt des Rhein-Main-Donau-Kanals.

Bei der unglaublich rasch wechselnden Landschaft, dem Nebeneinander der bedeutendsten Berge ganz Deutschlands und durchsonnter Flußtäler kann es nicht verwundern, wenn Süddeutschland auch klimatisch ein Land der Gegensätze ist. Es umschließt mit der Zugspitze und der Oberrheinischen Tiefebene des Kaiserstuhlgebietes die extremsten in Deutschland gemessenen Wärmeschwankungen. Es hat im Südwesten Striche mit einer mittleren Jahrestemperatur von 9 und 10 Grad, die nirgendwo sonst in Deutschland erreicht werden; die beträchtlichsten süddeutschen Ländereien von 7 bis 8 Grad Jahresmittel entsprechen typisch norddeutschen Landschaften, während die rauhen Hochflächen etwa der Alb mit 5 bis 7 Grad "nur mit Ostpreußen zu vergleichen" sind. Das Gefühl des Süddeutschlandfahrers allerdings wird anders empfinden als die durch Beobachtungen belegten Zahlenbeweise. Es hält infolge der verstärkten Sonnenstrahlung den Süden für wärmer, und dies Gefühl erfährt durch den hier vorzeitiger erfolgenden Frühlingseinzug von der Natur seine Bestätigung. Nichtsdestoweniger kann der Sommerurlauber, der nun im Süden den stetigen blauen Himmel sucht, böse Enttäuschungen erleben. Fällt doch in den Gebirgen die niederschlagsreichste Zeit neben dem Monat Dezember auf - Juli! Während im Sommer häufig Dunst die Aussicht behindert, wird schon im September die Luft klar und durchsichtig und schenkt uns die aus den Alpen und ihrem Vorland traumhaft in der Erinnerung bleibenden märchenhaften Fernblicke. Aber auch die anderen Gebirge durchbrechen im [683] Unterschied zu den mitteldeutschen Bergketten die Wolken, und südlich klarer Himmel und lachende Sonne lohnen dem Wanderer den Gipfelaufstieg.

Auf das Ganze gesehen stoßen also die Gegensätze von Feuchtigkeitsverteilung und jährlichem Wärmegang hart aneinander, so daß mit R. Gradmann von einem schachbrettförmigen Wechsel ozeanischen und kontinentalen Klimas gesprochen werden darf.

Nicht immer in der mit Jahrtausenden rechnenden Geschichte unserer Erde ist das so gewesen. Die Eiszeit, die einer sehr warmen Zeit folgte, hat nicht nur auf alle Lebewesen verheerend eingewirkt, sondern auch den immergrünen Pflanzenwuchs zunichte gemacht und nur im Bergland, in halbarktischem Klima, Einöden von Steppen und dürftigem Nadelwald übriggelassen. Die in die sogenannte Litorinazeit (um 5000 bis 2500 v. Chr.) fallende Klimaaufbesserung hat die Gletscher-, Schnee- und Eisgrenze wieder zurückgeschoben, ließ den Boden sich mit den aus Laub- und Nadelbäumen in wirrem, feuchtdunklem Dickicht zusammengewachsenen riesigen Urwäldern bedecken. Dazwischen schoben sich waldfreie Steppenheiden- und Wiesengebiete: die gegebenen Siedelräume der urmenschlichen Rassen. Die Bedeutung dieser auf wasserdurchlässigem Boden in die unwegsamen Wald- und Gebirgseinöden eingestreuten Siedlungsgebiete erhellt daraus, daß eine neue "Kältewelle" in der späten Bronzezeit (um 800 bis 500 v. Chr.) den Anlaß gab für die massenweise aus dem Norden in den Süden einsetzende Abwanderung von Germanen in der anschließenden Eisenzeit. Die ungeheuren Ströme der Völkerwanderung waren aus klimatischen Gründen wegen Raummangel in Bewegung gekommen. Planmäßige Rodungen, die dem Wald mit Axt und Pflug zu Leibe gingen, sind erst aus dem achten und neunten nachchristlichen Jahrhundert bekannt. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, den seit dem fünften Jahrhundert zum Stillstand gekommenen Völkermassen den nötigen Lebensraum "einzuräumen". Die stetige mittelalterliche Neusiedlung hat indessen an dem Charakter Deutschlands als Waldland nicht viel ändern können, und Süddeutschland rechnet noch heute mit einem über dem Reichsdurchschnitt liegenden fast ein Drittel des Bodens bedeckenden Waldgebiet zu den stärkst bewaldeten europäischen Ländern.

Wie verteilt sich nun die aus Funden und Ausgrabungen gewonnene Vorstellung von der deutschen Urgeschichte auf Süddeutschland? Wie ist die Besiedlung verlaufen? Welches sind ihre stammlichen Hintergründe? Es wird gut sein, diese Voraussetzungen im Zusammenhang noch kurz zu betrachten, ehe, das Bild der Gegenwart zum Ausgang nehmend, von der Einzellandschaft die Rede sein, ehe von der Gesamtschau der Blick auf die Fülle der Erscheinungen gelenkt werden soll.

Der Unterkiefer eines ältesten mitteleuropäischen Urmenschen überhaupt wurde in dem Dorfe Mauer unweit von Heidelberg gefunden. Er ist noch tierähnlicher als die bekanntere Neandertalrasse und weist in die älteste Steinzeit. Die in Deutschland während dieser Epoche sehr ungleichmäßige Besiedlung [684] folgte dem zurückweichenden Eise, ist demnach in Süd-, Mittel- und Westdeutschland besonders ausgiebig zu belegen. Weitberühmte Fundorte aus allen Stufen der Steinzeit sind Achenheim im Elsaß, Munzingen in Baden, Schussenried und Sirgenstein in Württemberg und die Ofnethöhle bei Nördlingen im Ries. In der letztgenannten hat man zwei Nester mit Schädeln in roter Erde gefunden, die mit Schmuckbeigaben versehen, ohne Körper dort beigesetzt worden waren. Setzen sich die übrigen Funde der älteren Steinzeit vorwiegend aus Feuersteingerät zusammen, so ist Süddeutschland an der Kunst der Eiszeit (etwa 30 000 bis 10 000 v. Chr.) durch mehrere bekanntgewordene Stationen beteiligt. Es handelt sich um Höhlenmalerei, ornamentale und figürliche Knochen- und Steingravierung.

Die in der jüngeren Steinzeit errungenen Kulturfortschritte der mit Ackerbau und Viehzucht verbundenen Seßhaftwerdung hat hauptsächlich in Keramikfunden Belege hinterlassen. In Süddeutschland sind Denkmäler verschiedener Kulturkreise anzutreffen. In der Umgebung von Worms sind in fettem Lößboden Wohngruben gefunden worden: Siedlungen eines friedliebenden Bauernvolkes, deren Kultur nach dem Ornament der ausgegrabenen Gefäße als Bandkeramik bezeichnet wird. Ihr Kerngebiet sind die Donauländer, doch greift ihre Verbreitung nach allen Richtungen. Deutlich setzt sich hiervon die Michelsberger (Michelsberg bei Bruchsal, Goldberg bei Nördlingen) und die Pfahlbaukultur (Bodensee; Federseemoor bei Schussenried) ab, die zu einem westeuropäischen Kulturkreis gehörig, ausgesprochen kriegerischen Charakter tragen. Waffen (Streitäxte, Dolche, Pfeilspitzen) und Gerät (Pflugschar in Schuhleistenform) finden sich in großer Zahl. Man vermutet, daß Mischungen der Träger dieser Kulturen zur Entstehung der Germanen und der Kelten geführt haben. Vermutlich bewohnten die letzteren - oder Vorformen zu ihnen - bereits während der Bronzezeit (in Süddeutschland: um 1600 bis 1100 v. Chr.) den süddeutschen Raum. Jedenfalls scheiden sich die zahlreich gefundenen Waffen, Gewandnadeln und übrigen Zierstücke deutlich von nord- und ostdeutschen Funden. Im ganzen tritt Süddeutschland hinter den anderen Kulturen zurück. Nur die Keramik kann es mit den nördlicheren Kulturen aufnehmen. Die Toten sind in Hügeln unverbrannt beigesetzt.

Die jüngere Bronzezeit (etwa seit 1000 v. Chr.), überreich an herrlich-edlen getriebenen und gegossenen Bronzegefäßen, schnittig geschliffenen Waffen und erlesenem Goldschmuck, beschränkt sich auf das germanische Kerngebiet. Allein, insbesondere das Gold wurde im Tausch gegen das "Gold des Nordens", den Bernstein, auf klug ausgebauten Handelsstraßen aus den mitteleuropäischen Räumen der Hallstattkultur eingeführt. Zwei wichtige Straßen führen beiderseits des Oberrheins entlang, deren eine bei Mainz nach Osten abbiegt, um sich dann in einen Weg in das Brandenburgische und einen nach Nordwestdeutschland zu gabeln. Zwei weitere Süddeutschland durchziehende Verbindungsstraßen zweigen bei Regensburg und Linz von der Donau ab, streben zur Elbe und führen bis in die norddeutsche Ebene. Obgleich noch nicht klar geworden ist, wer die Träger der Hallstattkultur waren, deren Vermittlung [685] dem Norden zu der überlegenen Kulturhöhe des "goldenen Zeitalters" verhalf, so ist der Grund zu ihrem Ende (um 550) genauer zu vermuten. Die kriegerischen Züge der Kelten dürften die Verbindung zwischen Norden und Süden gesprengt und sich wie ein trennender Riegel zwischengeschaltet haben.

Die gewaltige Völkerunruhe während der jüngeren Bronzezeit (in Süddeutschland Hallstattzeit, so genannt nach einem Gräberfeld am Salzberg in Oberösterreich), wo die Bewegung germanischer Stämme Gegenwehr und Befestigung der Angegriffenen bewirkte, spiegelt sich in der ausgesprochenen Gruppenbildung, die aus den Bronze- und Eisengeräten abgelesen werden kann. So heben sich während der schon rein eisenzeitlichen mittleren Epoche "der das Eisen zur Herrschaft führenden Hallstattkultur" zwei süddeutsche Formenkreise heraus: die Koberstadtergruppe rechts des Rheines und die Albkultur in der Schwäbischen Alb, in Südbaden und Unterelsaß. Unsere Vorstellung von der süddeutschen Hallstattzeit ist aus Grabfunden (Skelett- und Brandgräbern) mit Beigefäßen (groß und dünnwandig, reich geometrisch verziert, glänzend schwarz), Depot- und Einzelfunden (Fibeln, Bügelnadeln, Eimern, Waffen), ferner aus Befestigungsanlagen gewonnen.

Die der Hallstattkultur folgende vorrömische Eisenzeit (um 550 bis Christi Geburt) wird nach einer keltischen Militärstation am Neuenburger See als La-Tène-Kultur bezeichnet. Aus Berichten der römischen Schriftsteller wissen wir, daß während dieser Epoche der kriegerischen Auseinandersetzungen und beginnenden großen Völkerverschiebungen die Kelten, ein den Germanen nahe verwandtes indogermanisches Volk, politisch und kulturell die Vormacht an sich gerissen hatten. Ihre bis nach Kleinasien führenden Eroberungszüge waren der Schrecken der antiken Welt. Gegen Norden halten die Kelten den Druck der Germanen, nach Süden die Offensive Roms aus; beide Völker treten in der Spät-La-Tène-Kultur das Erbe des Keltentums an. Den aufschlußreichsten Einblick in die reiche Welt, zugleich aber auch den barbarisch-protzigen Geschmack der Keltenfürsten gewähren die üppigen Fürstengräber, als deren süddeutsche Hauptbeispiele Kleinaspergle bei Ludwigsburg am Neckar, Villingen in der Baar, Rodenbach und Dürkheim in der Pfalz gelten können. Neben den üblichen Schmuck- und Waffenbeigaben eigener Herstellung, dem Streitwagen des Verstorbenen und seinem Tafelgeschirr finden sich Importstücke aus Rom und Griechenland - Schnabelkannen, Eimer, Amphoren -, deren klassisch-edle Einfachheit bezeichnenderweise durch Zutaten den Ansprüchen des emporgekommenen Kriegervolkes angeglichen ist.

Die Verteidigungslinie der Kelten gegen die Germanen deckt sich etwa mit der von uns oben gezogenen Nordgrenze unseres Gebietes. Der Südwesten des Thüringer Waldes war befestigt, als Sperrforts angelegte Gipfelburgen zogen sich über die Rhön. "Der strategische Hauptstützpunkt der keltisch-germanischen Grenze" aber war die Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg bei Römhild: eine in konzentrischen Ringen angelegte Festung, noch heute in einer Länge von 8½ Kilometern nachmeßbar, mit 4 Meter hoher, 3,40 bis 5,70 Meter dicker Ummauerung und offenem Sammellager für die Bevölkerung der Um- [686] gegend. Bei der Landnahme durch die Germanen wurde die feste Burg nicht erstürmt, sondern umgangen und wahrscheinlich durch Umklammerung zur Übergabe gezwungen.

Die Waffenfunde aus der Keltenzeit sind in ganz Süddeutschland zahlreich: eiserne Langschwerter - ausgesprochene Hiebwaffen -, Lanzenspitzen, Halsringe. Für die mit der Antike in Verbindung stehende Schmuckfreudigkeit zeugen die kopf- und fabeltiergeschmückten Sicherheitsnadeln, deren schönste bei Parsberg in der Oberpfalz gefunden wurde.

Noch in der keltisch bestimmten Spät-La-Tenè-Zeit fällt durch die Wanderung der Cimbern und Teutonen, die um 120 v. Chr. eine Sturmflut aus ihrer jütländischen Heimat vertreibt, Licht auf die germanischen Stämme. Diese Wanderung ist ein Vorläufer der allgemeinen, zu den gewaltigsten weltgeschichtlichen Ereignissen zählenden Völkerwanderung, deren Beginn gemeinhin mit dem Jahre 375 gezählt wird, als die Hunnen die ostgermanischen Reiche Südrußlands zerschlugen. Der Germanenschub nach Mittel-, West- und Südeuropa, ja bis nach Nordafrika, der durch die bereits erwähnte Klimaverschlechterung ausgelöst war, er ist die Grundlage zu der großen Umrassung unserer Heimat geworden, die in einer Wandlung von nie gesehenen Maßen dem nordischen Menschentum gewonnen wurde. Das Keltenreich wurde zerschlagen, nach Westen eingeengt und abgedrängt. Aus der Welt des Römers gesehen gibt Cäsars Gallischer Krieg Einblick in diese weltgeschichtlichen Erschütterungen und Neuordnungen. Tacitus hat mit den Augen des Kulturgeschichtlers, der einem spätzeitlichen Volk angehört und in romantischer Sehnsucht verlorene Tugenden bei den jungen Völkern des Nordens suchte, seine unersetzlichen Berichte über unsere Vorfahren hinterlassen. Was uns hier angeht, das ist der Weg der Wanderungen und die Frage, welche Stämme durch Süddeutschland marschierten, welche in ihm Fuß faßten, um zum Kern des süddeutschen Volkes, zu seinem bis heute bestimmenden und kraftvoll lebendigen stammhaften Gefüge zu werden.

Eine erste vorchristliche Germanisierung, die sich in Cäsars Berichten widerspiegelt, erfolgte durch die Sweben. Sie haben das Land keltenfrei gemacht durch die Abdrängung der Bojer nach Böhmen, der Helvetier in die Schweiz. Sie ließen sich am Mittelrhein nieder; ihre Spuren haben sich in germanischen Brandgräbern feststellen lassen. Des Swebenführers Ariovist Besieger war Cäsar. Dessen und seiner Nachfolger Offensive verlangsamte für zweieinhalb Jahrhunderte das Vordringen der Germanen. Nach dem Stillstand der offensiven Kriegführung Roms seit der Hermannschlacht hat der noch heute klar erkennbare Grenzwall (Limes) das unter Rom stehende und von ihm zivilisierte Land politisch, kulturell, wirtschaftlich und siedlungsgeographisch gegen das teils bewaldete, teils in wechselnden Vorstößen von den angrenzenden Stämmen beunruhigte rein germanische, weite Ost- und Nordland abgeriegelt. Hinter dem Wall, der zum Teil mit Mauer und Graben, überall mit Wachttürmen [687] und in regelmäßigen Abständen mit Kastellen besetzt war, spielte sich im "Zehntland" ein buntes römisches Kolonialleben ab.1 Völkergemisch war die Folge: rassische Nachwirkungen sind bis heute in den Gauen, die er zwischen Main und Donau umschloß, deutlich wahrnehmbar.

Die Alemannen legen die erste bahnschaffende Bresche in das römische System. Im Jahre 213 n. Chr. erscheinen sie nördlich des Zehntlandes am mittleren Main, erobern in harten Kämpfen die römische Kolonie auf germanischem Boden, erzwingen die Aufgabe des Limes, besetzen nacheinander das gesamte schwäbische Alpenvorland, Bodenseegebiet, Schweiz, Elsaß. Die riesige Landnahme wird im fünften Jahrhundert erschüttert infolge des Durchzuges der Wandalen und Alanen, die Burgunder mitreißend, die ihr tragisches, im Nibelungenlied besungenes erstes Reich um Worms gründeten.

Gewaltiges hatte das starke Kriegervolk der Alemannen geleistet, als ihm ein von Norden nachdrängendes Volk unter Annahme schwerster Bedingungen den größten Teil seines Neulandes wegnahm. Das waren die Franken, deren Stämme der Salier und Ripuarier, unter König Chlodweg geeinigt, 496 oder 497 die Alemannen besiegten. Ihre Stärke lag in der Einigung der bis dahin locker zusammengefügten Völkerschaften durch Chlodweg. Sie hatten bereits eine bedeutende Geschichte hinter sich, die um 240 einsetzt. Von Norden her bis nach Belgien hinein und vom Rhein aus, etwa der Gegend von Köln bis an die Maas, hatten sie die Kelten und Römer in die Zange genommen. Um 475 ist das gesamte Rhein- und Moselland fränkisch. Ganze Stämme gehen in diesem von einem "der größten Gewaltherrscher aller Zeiten" geführten Volke auf. Die Lande nördlich des Neckars werden das Kernland des nachmaligen Herzogtums Franken, während die Alemannen im Schutze des Ostgotenreiches sich zwischen Bodensee und Lech behaupten. Die rücksichtslose Eroberungspolitik Chlodwegs legt den Grund zum Frankenreich; die Gefahr der Völkerwanderung: Entwurzelung aus dem Heimatboden ist durch ihn gebannt.

Der Einfluß Frankens greift auch auf den dritten, das süddeutsche Volkstum bestimmenden Stamm über: die Bajuvaren. Sein Kern ist von dem in Böhmen ansässigen Swebenstamm der Markomannen gebildet. Es nahm als letztes germanisches Volk römischen Boden ein. Die Besetzung war die Frucht verheerender Einfälle in die schutzlos gewordene rätische Provinz, die das Alpenland östlich des Lech umfaßte. Zweifellos stießen die Baiern bei der Besiedlung der auf kaiserlichen Befehl im sechsten Jahrhundert geräumten römischen Provinz noch auf namhafte Reste der kelto-romanischen Bevölkerung. Am spätesten erfolgte die Besetzung des Nordgaues. Allgesichts der nunmehr nach drei Richtungen an fränkisches Gebiet stoßenden Grenzen zogen die Baiern es vor, sich unter fränkische Oberhoheit zu begeben. Selbst ihr Herzogsgeschlecht der Agilolfinger dürfte fränkisch gewesen sein.

[688] Verschieden wie das Land, das sie nahmen und behaupteten, ist das Wesen und das Schicksal dieser Stämme. Die Alemannen sind, nachdem sie in einem Kampfe ohnegleichen von sechs Menschenaltern den römischen Grenzwall gesprengt hatten, einem Strome vergleichbar mit ungeheurer Wucht in den Südwesten Deutschlands gebrandet. Die natürliche Beschaffenheit des Landes, der Widerstand vom Süden und endlich das Schwert der Franken haben dem Volk den Grund zugewiesen, den es heute noch bewohnt: den Raum, der von den Vogesen und vom Schweizer Jura im Westen, im Südosten von der Alpenkette trichterartig begrenzt ist. Die verspätet nachdrängenden Sweben, mit denen die Alemannen verschmolzen und denen der spätere Name Schwaben verdankt wird, hat weniger zur Volkwerdung der Alemannen beigetragen als die "räumliche Lage ihres zweihundertjährigen Schlachtfeldes". "Das alemannische Volk lebt geschichtlich in dreifacher Gestalt; zwischen Rhein und Donau als Schwabe, südlich des Rheines als Schweizer, westlich des Rheines als Elsässer" (J. Nadler). Die Verschiedenartigkeit der Landschaften findet ihren Ausdruck in den drei Erscheinungsformen des Alemannentums. Welch eine Kraft staatengründender Geschlechter ist doch dem alemannischen Boden entsprossen: Zähringer, Welfen, Staufen, Habsburger, Hohenzollern! Wahrhaft geschichtereiche Namen und ein unvergeßlicher Ruhm für die Stammesart. Die einstige kleine Grafschaft Württemberg ist "die deutschstaatliche Gestalt des alemannischen Volkes" geworden; gemischt mit fränkischen Bestandteilen greift es auf Baden über. Elsaß und Schweiz - auch hier in Gemeinschaft mit anderen Völkern - wurden bereits genannt.

Die Franken sind ohne eigenen Staat geblieben. Ihr Schicksal war, daß durch sie die Achse lief zwischen West und Ost, Frankreich und Deutschland. Dieses Volk, das in seiner Frühzeit so stolze Völker wie die Hessen aufsog, das die alemannisch-thüringische Bevölkerung des heutigen Oberfrankens bis zur Slawengrenze überlagerte, dieses Volk der größten deutschen Formbegabung ist in Herkunft und Begegnung mit dem Westen Mittler gewesen, zum Guten und zum Bösen. Durch seine gewaltige Ausdehnung hat seine Art nachhaltigen Einfluß auf die gesamte innerdeutsche Stammes-, Siedlungs- und Kulturgeschichte ausgeübt. Die Elastizität und Veränderlichkeit drückt sich uns bezeichnend aus in Rheinfranken und Ostfranken.

Ganz anders die Baiern. Sie sind vom Augenblick ihrer Landnahme an ein Stammesstaat. Erst die spätere rein dynastisch-politische Angliederung nichtbaierischer Stammesgebiete an den Staat hat aus ihm ein überstammliches Gebilde werden lassen. Erst die politische Loslösung der einstigen Ostmark hat in Österreich ein Brudervolk der Baiern - die österreichischen Donaubaiern - entstehen lassen. Trotzdem decken sich in keinem Lande Süddeutschlands derart Land- und Stammesgrenze wie in Bayern. Zwei Wesenszüge kennzeichnen das Volk: daß es ein Bauern- und daß es ein Grenzvolk ist. Die bäuerliche Grundhaltung trägt zu der außerordentlichen Geschlossenheit - trotz der händlerisch glänzenden Lage und trotz München! - wesentlich bei. An der hohen Blüte von Kunst und Wissenschaft im 19. Jahrhundert ist das Volk [689-704=Fotos] [705] schöpferisch sehr wenig beteiligt. Es hat geschichtlich gesehen für das Deutschtum die große Leistung hinter sich, treu sein Wesen erhalten zu haben, obwohl der bayerische Staat durch falsche Parteinahmen in den entscheidenden, um den Bestand des Reiches geführten Kriegen 1700, 1740 und 1800 tragisch-schuldvoll gewesen ist an der Minderung deutscher Geltung.

Verschiedenerlei Rasse und Rassenmischung hat sich in den süddeutschen Stämmen verwirklicht. Ihre heutige Erscheinung, die Kulturlandschaften, die sie im süddeutschen Raum schufen, dies alles ist "unsere süddeutsche Heimat". Nach den Menschen, die sie formten, die in ihr leben, wollen wir sie gliedern, denn auch die Staaten sind nur Gebilde von Menschenhand.

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1Er nimmt als obergermanischer Limes seinen Lauf von Rheinbrohl bei Koblenz nach Osten, biegt vor dem Vogelsberg scharf südlich ab bis nach Lorch, wo er als Rätischer Limes dem Donaulauf nördlich folgend abermals sich nach Osten wendet und bei Kehlheim die Donaulinie erreicht. ...zurück...

Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke