[10]
Aufbruch zur Türkenabwehr: St.
Gotthard
Zweihundertachtzig Jahre deutscher Geschichte sinken vor unseren Augen in den
Schoß der Vergangenheit zurück, da am 15. März 1938 auf der
Ringstraße zu Wien die Bataillone aus dem Altreich neben den
Deutschösterreichern heranmarschieren. Mahnend, voll von ahnender,
für das deutsche Schicksal bangender Eindringlichkeit tritt uns das Jahr
1658 aus der altersgrauen Reihe seiner Zeitraumskameraden entgegen. Wie kein
anderes nach dem Dreißigjährigen Krieg trägt dieses Jahr die
ersten Merkmale eines wiedererwachenden deutschen Heldenzeitalters in sich, das
nicht in der Selbstzerfleischung deutscher Zwietracht erstickt, sondern dem die
Waffen gemeinsam marschierender deutscher Soldaten ihre verpflichtenden
Runen eingeprägt haben.
"Wir haben unser Blut, wir haben unser Ehr und Namen hingegeben und nichts
ausgerichtet, als daß wir uns schier zu Dienstknechten gemacht haben. Sind
Rhein, Weser, Elbe und Oderstrom nunmehr anderes als fremder Nationen
Gefangene? Wer nun kein fremd Brot essen will, soll daran denken, was er
für die Ehre des deutschen Namens zu tun habe, um sich gegen sein eigen
Blut und sein für alle Nationen dieser Welt berühmtes Vaterland
nicht zu vergreifen: Bedenke, daß Du
ein Teutscher bist!" - Solche Worte ruft der Große
Kurfürst Friedrich Wilhelm Anno 1658 den Deutschen
Schleswig-Holsteins und damit dem ganzen deutschen Volke entgegen. Er
erläßt diesen Aufruf angesichts brandenburgischer und kaiserlicher
Soldaten und gibt damit den Kämpfern des Schwedenkrieges in
Jütland und Pommern zum ersten Male wieder seit den großen Zeiten
mittelalterlicher deutscher Einigung eine Losung auf die Schlachtfelder mit, die
seit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges im Bewußtsein
des deutschen Volkes gestorben zu sein schien.
"Bedenke, daß Du ein Teutscher bist!" - unter dieser Parole haben im Jahre
1658 zum ersten Male stehende deutsche Heere ihre Schlachten gegen
Feinde des Reiches geschlagen. So trägt die deutsche Heeresgeschichte
beinahe seit ihrem Ursprung jene verpflichtende Mahnung in sich, der wir in den
großen Zei- [11] ten
preußisch-deutschen und ostmarkdeutschen Soldatentums, besonders nach
den Epochen gegenseitigen Ringens, immer wieder begegnen.
Vierzig Jahre waren Anno 1658 seit dem Westfälischen
Frieden vergangen.
Auf diese vier Jahrzehnte blickte die deutsche Ostmark als den Zeitpunkt der
Gründung ihres stehenden Heeres zurück. Wohl hatte schon vor und
während des Dreißigjährigen Krieges in den habsburgischen
Heeren das eine oder andere Regiment als stehende Truppe des Kaisers bestanden.
Ja, das österreichische Dragonerregiment Graf Montecuccoli führte
als ältestes Regiment Europas seine Entstehungsgeschichte bis zu diesem
Zeitraum zurück, doch ein eigentliches stehendes Heer wurde erst unter
Ferdinand III. ein Jahr nach dem Frieden von Münster und
Osnabrück aus den Beständen der ehemaligen Wallensteinschen
Armee geschaffen. Ferdinand befahl, daß neun Regimenter zu Fuß
und zehn Regimenter zu Roß auf dem Fuße stehenbleiben sollten.
Dieses Heer führte nun als Kern einer inzwischen durch neue Regimenter
erweiterten Kriegsmacht im Jahre 1658 in Holstein und Jütland zusammen
mit den Brandenburgern den Schwedischen Krieg. Blutig war soeben das Jahr
1657 sowohl für Habsburg als auch für Hohenzollern zu Ende
gegangen. Tobte doch seit 1655 zwischen Polen und Schweden ein erbitterter
Erbfolgekrieg. Habsburg, das sich durch den Verbündeten Schwedens,
Georg Rakoczy II. von Siebenbürgen, in Oberungarn und durch den
Sieg der Schweden auch im Reiche bedroht fühlte, hatte sich als
Verbündeter Polens geschlagen. Hohenzollern führte in der Absicht,
die Anerkennung der Unabhängigkeit Preußens als
Bündnisdank von den Schweden zu holen, auf Seite König Karl
Gustavs X. von Schweden den Krieg. Da zwang das Eingreifen
Dänemarks die Schweden zum Schutze des Herzogtums Bremen von den
Toren Warschaus zurück. Siegreich drangen kaiserliche Generale, voran
Hatzfeld, Montecuccoli und Spork, von Oberschlesien aus in Polen vor. Krakau,
Thorn und andere von den Schweden eroberte Plätze wurden mit
stürmender Hand von den Kaiserlichen genommen, und während in
der Hofburg zu Wien der dritte Ferdinand starb, trugen kaiserliche Soldaten die
Fahnen des Reiches bis an die Ostseeküste heran und legten damit dem
jungen Thronfolger Leopold ein Waffenerbe zu Füßen, das für
diesen siebzehnjährigen, unkriegerisch und von Jesuiten erzogenen Prinzen
zur Grundlage jener späteren, ihm vom Zwang der Ereignisse geradezu
abgerungenen "glorreichen" Regierungszeit wurde, deren "Glorie" ihm die
herrlichsten deutschen Waffensiege erfochten.
Aber auch ein anderer, durch seine eigene Tatkraft Großer der deutschen
Geschichte wurde gerade im Jahre 1658 an die Seite der
leopol- [12] dinischen Heere gestellt.
Der staatsmännische Weitblick des
Großen Kurfürsten hatte
diesen Anno achtundfünfzig zur Abkehr von dem schwedischen
Bündnis gezwungen. Auch in Brandenburg war erst seit fünf Jahren
mit der Errichtung eines stehenden Heeres begonnen worden. Wie nun, dank Derfflingers
und Montecuccolis Kriegskunst, ganz Jütland in die
Hände der Verbündeten fiel, konnte Friedrich Wilhelm endlich an
die Verwirklichung seiner größten Aufgaben schreiten und in
weiterer Verfolgung des Feldzuges von dem jetzt auch verbündeten Polen
die Aufhebung der Lehnsherrschaft über das Herzogtum Preußen
verlangen, die damit den Begriff dieses Namens zum großen Vorbild der
deutschen Soldatengeschichte erhob.
So hatten in diesem Jahre 1658 kaiserliche und brandenburgische Truppen durch
den im gleichen Jahre geschlossenen Bund ihrer Fürsten mit der Waffe die
Voraussetzung für den Frieden von Oliva geschaffen. Als dann 1659 auch
noch der größte Teil des schwedischen Pommern für Karl
Gustav X. verlorenging, mußten die Schweden die
Friedensbedingungen Habsburgs und Hohenzollerns annehmen, und nun stand am
Beginn der preußisch-deutschen und ostmarkdeutschen Heeresentwicklung
eine vom Schicksal den Deutschen zum ersten Male nach dem
Dreißigjährigen Kriege wieder mahnend ins Bewußtsein
gebrachte Einigkeit der Waffen, die bald darauf eine noch stärkere
Feuerprobe im Türkenfeldzug von 1664 erlebte.
"Gerührt durch die Bitten der Christen, gewährt der Sultan
ihnen den Frieden...!" - so hatte seit 1568, dem Zeitpunkte des Friedens
von Adrianopel, oder auch später im Jahre 1606, beim
Vertrage von Szitva-Torok, der Wortlaut des Friedensvertrages zwischen der
kaiserlichen Majestät des Römischen Reiches Deutscher Nation und
der Hohen Pforte gelautet. Nichts vermochte sinnfälliger die
äußere Ohnmacht des Reiches und die durch die Selbstzerfleischung
des Dreißigjährigen Krieges hervorgerufene geringschätzige
Wertung seiner Waffen zum Ausdruck bringen, als diese demütigende
Einleitung der Friedensverträge, die neben einem, vom Kaiser bis zum
Jahre 1606 jährlich zu leistenden "Ehrengeschenk" von 30 000
Dukaten an den Sultan, den durch die türkischen Waffen in Ungarn und
Siebenbürgen noch vor dem Dreißigjährigen Kriege
geschaffenen Zustand zu gewährleisten hatten.
Dennoch waren es weder der Kaiser noch die Türken, die
siebenundfünfzig Jahre nach dem Friedensschluß von
Szitva-Torok den Funken in dem ewig geladenen Pulverfaß
Ungarn-Siebenbürgen zur Entzündung brachten. Zum Glück
für das Reich hatten die Türken, durch innere Schwierigkeiten
gezwungen, während des ganzen Dreißigjährigen Krieges
Frieden gehalten. Da war es jener
schwedisch-polnische [13] Erbfolgestreit, der die Ursache zum ersten
großen deutschen Feldzug gegen die türkische Bedrohung des
Abendlandes hergab.
Georg Rakoczy II. von Siebenbürgen hatte sich trotz der Abmachung des
Kaisers und gegen das Verbot seines Lehensherrn, des Sultans, in den Krieg gegen
Polen als Verbündeter Schwedens hineinziehen lassen. Die Ursache dieser
seiner Einmischung in den Krieg war die Hoffnung eines sicheren Erfolges der
Schweden und einer damit verbundenen Stärkung seiner eigenen Macht
gegenüber Wien und Stambul gewesen. Nun hatte aber die vereinigte Kraft
kaiserlicher und brandenburgischer Waffen die Wünsche Rakoczys im
fernen Norden zerschlagen. Er selbst kehrte schon 1657, von Montecuccoli
beinahe vernichtet, mit den Resten seines Heeres nach Siebenbürgen
zurück. Doch nun überzog auch der türkische
Großwesir Achmed Köprülü, der in einem nach
außen geführten Feldzuge eine willkommene Ablenkung sich
gegenseitig bekämpfender innerosmanischer Machtgruppen erblickte,
Siebenbürgen zur Strafe für den Ungehorsam seiner Fürsten
mit einem Kriege. Rakoczy wurde bei Gyula geschlagen, und da er an den Folgen
einer in dieser Schlacht erlittenen Verwundung bald darauf starb, erhielt Johann
Kemeny von den siebenbürgischen Ständen den Fürstenhut.
Aber die Türken hatten schon Michael Apassi in
Maros-Vasarhely zum Fürsten erhoben. Da Kemeny ein Schützling
Kaiser Leopolds war, kam es nach einem zweijährigen wechselvollen
Kampfe der beiden siebenbürgischen Thronprätendenten, der Sultan
und Kaiser zur Entsendung militärischer Hilfskräfte zwang, als Folge
der endgültigen Niederlage Kemenys und dessen bei Megyes erfolgten
Tode im Jahre 1663 nun auch zwischen den zwei an den
Machtverhältnissen in Siebenbürgen interessierten Mächten,
Österreich und der Pforte, zum offenen Krieg.
Der Oberbefehl für diesen Feldzug wurde dem Präsidenten des
Hofkriegsrates, dem kaiserlichen Feldmarschall Raimund Graf Montecuccoli,
übertragen. Montecuccoli, der aus dem italienischen Herzogtum Modena
stammte, hatte sich schon während des Dreißigjährigen
Krieges ausgezeichnet. 1627 war er als gewöhnlicher Musketier des
Regimentes Colalto in kaiserliche Dienste getreten. Und nun begann für ihn
bald eine glänzende militärische Laufbahn. Er wurde Hauptmann in
einem Reiterregiment, rückte dann zum Obristleutnant im Regiment
Vitzthum vor und zeichnete sich verschiedentlich unter Wallenstein aus. Im
Gefecht bei Melnik wurde er von Truppen Banérs gefangengenommen
und nach Stettin gebracht. Unter dem Zwang der unfreiwilligen
Beschäftigungslosigkeit fing er an, sich mit dem Studium der
verschiedensten Wissenschaften zu beschäftigen. Hier entstanden auch die
Entwürfe für seine später so berühmt gewordenen
Betrachtungen "Von der Kriegskunst".
[14] Wieder freigelassen,
erklomm Montecuccoli bald die höchsten Stufen des militärischen
Ranges. Für den Sieg bei Troppau zum Generalfeldwachtmeister ernannt,
wurde er schon 1644 Feldmarschalleutnant und nach der Beendigung des
nordischen Krieges Feldmarschall.
Der Kampf, den nun Graf Montecuccoli in Oberungarn begann, trug von Anfang
an die Merkmale einer vorsichtigen, durch meisterhaftes Manövrieren
gekennzeichneten Taktik. Montecuccoli war durch die ewige Ebbe in den
kaiserlichen Kassen, die sich in der Bereitstellung einer viel zu geringen
Truppenzahl ausgewirkt hatte, zu dieser hinhaltenden Kriegführung
gezwungen. Und auch hier mutet es wie ein dem Deutschtum der Ostmark unter
den Fahnen Habsburgs durch Jahrhunderte vorgezeichnetes Verhängnis
seines soldatischen Schicksals an, daß schon am Beginn seines Einsatzes im
Rahmen eines stehenden Heeres die bittere Notwendigkeit stand, ohne
Bereitstellung der nötigen Mittel für eine erfolgreiche
Kriegsführung zu kämpfen. Was dem Großen
Kurfürsten, dem Soldatenkönig, Friedrich dem Großen und
fast allen preußischen Herrschern und später den Kaisern und
Feldherren des Zweiten Reiches gelang, durch Erfassung aller Kräfte des
Staates die militärische Macht ihrer Reiche zu stärken, blieb den
Feldherren der Ostmark, von Montecuccoli über Prinz Eugen, dann Erzherzog Karl, Radetzky, Benedek, Conrad von Hötzendorf und der
letzten deutschösterreichischen Wehrmacht, dem Bundesheer der
Nachkriegszeit, versagt. Mit um so unvergänglicheren Lettern haben diese
Feldherren und ihre Soldaten dafür ihre Taten in das Buch der deutschen
Soldatengeschichte eingetragen. Denn wenn trotz der oft furchtbaren Ebbe in der
Wiener Kriegskasse es dennoch gelang, gegen eine halbe Welt und durch
Jahrhunderte zum Schutze des Reiches nicht nur im Felde zu bestehen, sondern
auch zu siegen, dann hat das deutsche Soldatentum der Ostmark damit den
Beweis erbracht, daß es heute voller Stolz in den Reihen der
großdeutschen Wehrmacht auf seine Geschichte zurückblicken kann.
Aber zugleich mit der Not an Mannschaften, Kriegsmaterial und Waffen ist in
allen Kriegen des Soldaten der Ostmark die Sehnsucht nach einem starken Reich,
das dem Soldaten gab, was dem Soldaten gebührte, entstanden. Von den
Feldzügen Montecuccolis bis zu den Kämpfen des Weltkrieges herab
hat sich dieser Wunsch, diese Hoffnung im Herzen der Soldaten des
österreichischen Heeres erhalten. So war es auch für die letzten
Soldaten des Staates Österreich wie eine Befreiung aus einem
vielhundertjährigen Zwang des Verzichtens und Sparens, als Adolf Hitler
am 15. März 1938 der deutschen Ostmark endlich wieder die
Möglichkeit gab, die in ihrem Volkstum ruhenden soldatischen
Kräfte voll zu entfalten.
[15] So trat auch an Montecuccoli die bittere
Notwendigkeit heran, sich anfänglich nur mit sechstausend Mann einer
türkischen Übermacht von nahezu hunderttausend Kämpfern
entgegenzustellen. Aber dank seiner Geschicklichkeit im Täuschen des
Gegners vermochte er den Großwesir Achmed Köprülü
zur Zersplitterung seiner Kräfte zu bringen.
Während er den Türken vor der kleinen Festung Neuheusel in
Oberungarn band, gelang es ihm, die niederösterreichische Grenze zu
decken. Doch als seine Vorstellungen in Wien um Verstärkungen noch
immer erfolglos blieben und selbst der Großwesir dem Sultan auf dessen
Vorwurf, warum er Wien nicht angegriffen habe, zur Antwort gab: "Er habe nicht
voraussetzen können, daß ein so wichtiger Platz in solcher Weise
vernachlässigt sei", legte Montecuccoli sein Amt als Oberbefehlshaber
nieder. Er habe keine Lust, so erklärte er: "Ein kleines tapferes Heer
für ein Reich auf die sichere Schlachtbank zu führen, dessen
Regierung trotz des Kriegslärmes eingeschlafen sei!"
Die Schuld an diesen Versäumnissen in der Ausrüstung des Heeres
traf allerdings in erster Linie mehr die vom französischen König
bestochenen Räte Portia und Lobkowitz als den Kaiser. Auch der
Regensburger Reichstag hatte sein gewichtiges Teil Verschulden daran. Als dann
aber die Hilferufe aus Wien immer dringlicher wurden, und für das Jahr
1664 wirklich die Besetzung Wiens durch die Türken zu fürchten
war, bequemte sich der plötzlich aufgeschreckte Reichstag endlich zur
Bewilligung der dringendsten Hilfe. Auch der Papst steuerte bedeutende
Geldmittel bei, und so gelang es, im Frühjahr 1664 ein Heer von rund
66 000 Mann auf die Beine zu bringen. Unter der Führung Markgraf
Leopolds von Baden-Durlach, der Grafen Hohenlohe und Waldeck, des Herzogs
Adolfs von Holstein und des jungen Obristen Prinz Carl von Lothringen zog nun
das Reichsheer, schwerfällig und durch dauernde Eifersüchteleien
der militärischen Führer in seiner Schlagkraft behindert, gegen die
niederösterreichische Grenze heran. Auch 2000 Brandenburger
marschierten in dieser Streitmacht der Reichshilfe mit. Was aber für diese
christliche Armee noch ein besonders gefährliches Hindernis ihrer ohnehin
schon so schwierigen Manövrierfähigkeit bedeutete, war das
Herannahen von 5000 Franzosen, die der französische König unter
dem Befehle des Prinzen Coligny dem Kaiser zur Hilfe entsandt hatte. Diese
Franzosenhilfe war kaum als Unterstützung des Kaisers gedacht. Denn dem
Obersten Kriegsherrn Colignys, dem jungen vierzehnten Ludwig, lag wenig daran,
durch seine Truppen den von den Türken offen daliegenden Osten des
Reiches zu schützen. Für ihn bedeutete die Entsendung eines
Hilfskorps nur den Ausdruck französischer Macht und den
sinnfälligen Hinweis jenes französischen
Pro- [16] tektorates über
den ersten Rheinbund, das sich Ludwig XIV. bereits angemaßt hatte.
So war denn auch Coligny durch einen strikten Befehl seines Herrn gebunden, der
dem französischen Befehlshaber die Weisung mitgegeben hatte, die
Soldaten des Sonnenkönigs nach Möglichkeit bei den Gefechten zu
schonen.
Gegen Ende Mai 1664 war dann endlich der größte Teil der vom
Reich entsandten Streitkräfte an der ungarischen Grenze versammelt. Aber
nun zeigte sich bald, daß angesichts des nun auch langsam aus den
serbischen und ungarischen Winterquartieren heranziehenden Feindes die
Uneinigkeit der Befehlsführung eine schwere Gefährdung der
Schlagkraft des Heeres bedeutete. Schon ging Woche um Woche mit
schleppenden Beratungen und noch schleppenderen Bewegungen des christlichen
Heeres verloren. Nur die kühnen Vorstöße des kroatischen
Banus Zrinyi auf die Drau- und Donaubrücken des Großwesirs
brachten die Kriegsführung allmählich in Gang. Auch die
Brandenburger erfochten bei Lewencz in Oberungarn einen ersten schönen
Erfolg. Doch als es dem Großwesir gelang, Zrinyis Hauptstützpunkt,
Serinvar, zu erstürmen, und es infolge der Eifersüchteleien zwischen
Hohenlohe und dem Banus zu keinem erfolgversprechenden Zusammenwirken
der beiderseitigen Streitkräfte kam, entschloß man sich in Wien,
Montecuccoli wieder um die Übernahme des Oberbefehls zu bitten. Erst
nur widerstrebend, aber dann doch von der Größe der ihm
übertragenen Aufgabe durchdrungen, nahm dieser an. Mit dem Markgrafen
von Baden und Generalleutnant Coligny, die als letzte mit ihren Truppen
herangezogen kamen, marschierte nun Montecuccoli nach Oberungarn und
stieß mit den von ihm nunmehr geführten
Reichs- und Hilfsvölkern Anfang Juli zum Heer. Dort führte er mit
einer für den "Zauderer" ungewöhnlichen Energie die Vereinigung
aller Hilfstruppen und die Vereinheitlichung des Oberbefehls unter seiner Hand
durch. Der Grund, warum dies mit einer für die Herren Reichsgenerale
durchwegs nur mit Widerwillen ertragenen Entschiedenheit geschah, war in der
bedrohlichen Nähe des Gegners zu suchen. Achmed
Köprülü war nach der Eroberung Serinvars an die Mur
marschiert und hatte diese zu überschreiten versucht. Doch dank des gerade
noch rechtezeitig beim Heere eingetroffenen Montecuccoli wurde er daran
gehindert. Nun zog Köprülü an die Raab. Doch hier wurde in
energisch geführten Gefechten bei Körmönd und Czakan der
Versuch der Türken, die Raab zu überschreiten, vereitelt. Über
den plötzlich unerwartet hartnäckigen Widerstand ergrimmt, zog der
Großwesir nun stromaufwärts. Doch Montecuccoli folgte ihm am
gegenüberliegenden Ufer nach, und als die zwei Heere in der Gegend der
Abtei von Sankt Gotthard nahe der Grenze des
heut- [17-18=Illustrationen]
[19] tigen steirischen Burgenlandes mit Ungarn anlangten,
bezogen beide Feldherren ein befestigtes Lager. Nur getrennt durch den hier
bloß zwölf Schritte breiten Flußlauf der Raab, die sich
zwischen den Dörfchen Moggersdorf und Windischdorf in einem nach
Südosten vorspringenden Bogen aus dem Gebirge in die Ebene
hinauswindet, ließ der Großwesir, in der Absicht, hier den
Flußübergang zu erzwingen, seine Schanzen aufwerfen,
während Montecuccoli, rings um das Dörfchen Moggersdorf
gelagert, willens war, die Absicht des Gegners um jeden Preis zu vereiteln.
Die Nichtbefolgung eines Befehls durch den Führer der Reichstruppen und
das Ungestüm des kaiserlichen Reitergenerals Spork zwingen Montecuccoli
jedoch vorzeitig zur Annahme der Schlacht. Er hat seine Truppen derart in dem
befestigten Lager verteilt, daß die kaiserlichen Regimenter den rechten
Flügel zu decken haben, während die Reichstruppen im Zentrum
stehen und die Franzosen auf dem linken Flügel postiert sind. Die Anlage
des Lagers, das auch als Aufmarschraum für die Schlachtordnung zu dienen
hat, ermangelt jedoch eines wichtigen Schutzes. Vor dem Lager beschreibt
nämlich die Raab einen Bogen zwischen den beiden Ortschaften
Moggersdorf und Windischdorf, das den geeignetsten Übergangspunkt
für den Großwesir darstellt. Darum hat Montecuccoli dem Grafen
Hohenlohe bereits während des Anmarsches befohlen, die Sehne des
Bogens durch seine Vortruppen mit Schanzen und Geschützen sichern zu
lassen. Dieser Befehl ist von Hohenlohe jedoch nicht ausgeführt worden,
weil es seiner Eitelkeit nicht behagt, sich den Anordnungen Montecuccolis
unterzuordnen. Das hat zur Folge, daß die Türken nun
ungestört auf dem jenseitigen Ufer Befestigungen und Batterien zu
errichten vermögen.
Unter dem Schutze dieser Befestigungen bringen sie dann in der dem eigentlichen
Schlachttage vorangehenden Nacht auch einen Teil leichter Truppen über
die Raab, die sich dicht vor den Wällen der Kaiserlichen eingraben.
Während sich diese Vorgänge nun zwischen den Befestigungen der
beiden Hauptlager abspielen, gelingt Spork im Frührot des 1. August
weiter westwärts ein Überfall auf eine starke türkische
Fouragierkolonne, der er den größten Teil ihrer Leute und Hunderte
von Mauleseln und Kamelen abnimmt. Dieser Handstreich erzürnt Achmed
Köprülü derart, daß er unverzüglich den Befehl
zum Vorgehen seiner im Zentrum aufmarschierenden Streitkräfte gibt. 3000
Spahis, von denen jeder einen Janitscharen hinter sich auf dem Pferd sitzen hat,
[20] durchqueren den Fluß und greifen das
Mitteltreffen der nun ebenfalls eilig in die Schlachtordnung einrückenden
Reichstruppen an. Und nun rächt sich das von Hohenlohe verschuldete
Versäumnis. Die Türken entwickeln, ohne aufgehalten zu werden, in
dem unverteidigten, vor den Wällen des deutschen Lagers liegenden
Uferabschnitt ihre Angriffskolonnen und erklimmen, ehe die Reichstruppen
ernstlichen Widerstand leisten können, bereits den Lagerwall.
Unaufhaltsam ergießt sich bald darauf Welle um Welle von Janitscharen in
die in Flammen aufgehende Zeltstadt. Moggersdorf wird von ihnen genommen;
und schon scheint dem Großwesir die Sprengung der christlichen
Schlachtfront an deren gefährdetsten Punkte im Zentrum zu glücken,
bevor die beiden Flügel des christlichen Heeres überhaupt zum
Einsatz gelangen. Es ist ein Zufall, daß Köprülü jetzt aus
dem Gewühl des im Lager der Deutschen wild
hin- und herwogenden Kampfes nicht klar genug den sich ihm bietenden Vorteil
erkennt. Er bringt keine neuen Angriffswellen über den Fluß und
enthebt Montecuccoli damit der Sorge um das Fortbestehen der Flügel.
Dafür bemerkt der kaiserliche Feldherr aber um so rascher jetzt den Fehler
des Gegners. Während man in seiner Umgebung bereits vom
Rückzug spricht, ergreift er selber die Fahne eines kaiserlichen
Fußregiments und führt dieses und mit ihm noch zwei andere
Infanterieregimenter zum Gegenstoß vor. Auch die
Kürassierregimenter Lothringen und Schneidau brechen jetzt mit
entschlossener Wucht über die Türken herein. Der Markgraf von
Baden aber bringt die Reichsvölker endlich zum Stehen und wirft sie erneut
gegen die türkische Flanke. Endlich weichen die Janitscharen wieder bis an
die vor dem Fluß errichteten Schanzen. Dieser hartnäckige Kampf,
bei dem sich vor allem Prinz Carl von Lothringen hervortut, endet aber doch
schließlich mit der wilden Flucht der Janitscharen und der ebenfalls vor den
Schanzen am Fluß postierten großwesirlichen Leibwache. Erst jetzt
befiehlt Köprülü den allgemeinen Angriff. Wieder quillt
Angriffswelle um Angriffswelle über die Raab. Montecuccoli hatte
indessen noch zwei Infanterieregimenter und ein Kürassierregiment vom
rechten Flügel zur Verstärkung der Mitte einschwenken lassen und
auch Coligny zur Abgabe von Truppen gebeten. Doch der Franzose entspricht der
Aufforderung des Oberbefehlshabers nicht. Fast durch eine Stunde spielte sich,
während das Ringen um den Besitz der Flußkrümmung mit
erhöhter Heftigkeit fortdauert, zwischen den beiden Feldherren eine nicht
minder heftige Auseinandersetzung um die Anerkennung des deutschen
Oberbefehls durch den französischen Befehlshaber ab. Bis Montecuccoli
durch einen geharnischten Appell an die Soldaten des Franzosen diesen am Ende
doch zur Entsendung der
gefor- [21] derten
Verstärkung bestimmt. Endlich schickt Coligny 1000 Mann und 600 Reiter
unter dem Befehl des Generals Franz d'Aubusson Herzog von La Feuillade. Als
diese Franzosen mit ihren gepuderten Perücken jetzt anrückten,
erschallte vielhundertstimmiges Gelächter bei den Janitscharen und Spahis.
"Wer sind denn diese Mädchen?" soll Achmed Köprülü
beim ungewöhnten Anblick der seltsamen Haartracht dieser neuen Truppen
gefragt haben. Dann feuerte er seinen Sturmhaufen neuerdings zur Ausdauer an.
Doch die "Mädchen" machen den Janitscharen sehr bald in
ungewöhnlichem Maße zu schaffen. Mit unerhörtem Elan
werfen sich die französischen Truppen auf ihre Gegner. Mitgerissen durch
das Beispiel ihres Führers, der das bisher ablehnende Verhalten Colignys
selber wie eine der französischen Waffenehre angetane Beschimpfung
empfindet, gelingt es ihnen sehr bald, das deutsche Zentrum vom Druck des
feindlichen Ansturmes zu entlasten. Da zeigt ein gegen Mittag auch an den
Flügeln erfolgendes Vorrücken des osmanischen Heeres an,
daß sich der Großwesir scheinbar entschlossen hat, nun auch auf
Montecuccolis beide Flanken zu drücken. Angesichts seiner gewaltigen
Übermacht muß ihm dies ohne viel Mühe gelingen.
Große Streitmassen führt der Wesir jetzt gegen den rechten und drei
Heerhaufen gegen den linken Flügel der christlichen Aufstellung heran.
Außerdem schiebt er drei neue Treffen gegen deren Mitte im Raume des
Raabbogens vor. Allein sechs weitere Angriffskolonnen sollen überdies
noch den Ansturm seiner drei Treffen verstärken. Im Rücken dieser
Massen läßt Achmed Köprülü jedoch
30 000 erlesene Reiter aufsitzen, die er zur Verfolgung des geworfenen
christlichen Heeres bestimmt.
Angesichts des Herannahens dieser Übermacht sprengen einige Generale
nochmals an den Feldmarschall heran und fordern ihn auf, wenigstens jetzt noch
die Schlacht abzubrechen. Doch Montecuccoli scheint sich aus dem
bespöttelten "Zauderer" der Feldzugsmärsche mit einem Male in
einen verbissenen Kämpen der Entscheidungsschlacht gewandelt zu haben.
Mit den Worten: "Ich will einen betrauen, der wohl den Willen hat, solches
Schlagen zum Siege zu bringen!" fertigte er kaltblütig alle Einwendungen
ab. Allerdings ist er sich im Innern vollkommen darüber im klaren, auf
wessen Einsatz er angesichts des nun einsetzenden Vernichtungskampfes nur
bauen kann. - Auf den westfälischen Bauernsohn und
weißhaarigen Reiterführer, General Spork! Selber reitet er jetzt an
den vierundsechzigjährigen Haudegen heran. Der hat seit seinem
Überfall vor dem Beginn der Schlacht beinahe untätig mit seinen
beiden Kürassierregimentern im Rücken des rechten Flügels
gehalten. Wie er aber jetzt von Montecuccoli den Befehl zur [22] Attacke erhält, wendet er sich im Sattel zu
seinen Reitern und ruft: "Sieg oder Tod!" Kniend springt er daraufhin zu Boden,
beugt neben seinem Rothengst das Knie und betet, so daß jeder einzelne
seiner Gepanzerten Wort für Wort zu vernehmen mag. "Allmächtiger
Generalissimus oben, willst du uns, deinen christgläubigen Kindern, heute
nicht helfen, so hilf doch wenigstens den Türkenhunden auch nicht, und du
sollst deinen Spaß daran haben!" Gleich darauf sitzt er wieder im Sattel.
Hoch hebt er den flimmernden Pallasch. Da schmettert der herrliche Klang der
ältesten deutschen Reitersignale über das Schlachtfeld.
Dröhnend, stampfend, im Blitzen tausender gezogenen Klingen setzt sich
die schimmernde Kürassierbrigade in Trab. Erst geht es an den Resten des
Lagers, dann im Rücken der letzten kaiserlichen Flügeltruppen
entlang. Da tauchen auch schon die dichten Schwärme der über die
Raab setzenden Spahis vor den Geschwadern der Gepanzerten auf. Ein neues
schmetterndes Signal, und schon setzt sich die Masse der Eisenreiter in
brausenden Galopp. Wenige Augenblicke später entbrennt hier der
grimmigste Kampf dieses Tages. Von Roß zu Roß, Mann gegen
Mann wird mit sausenden Pallaschen und hartaufkrachenden Lanzen durch fast
zwei Stunden gefochten. Was den türkischen Reitern an Behendigkeit
gegen ihre Gegner gelingt, wird bald wieder durch die Wucht der schweren
Doppelklingen zerschlagen. Oft scheint es, als würde es der
[17]
Raimund Graf von Montecuccoli,
der Sieger von St. Gotthard.
Zeitgenössischer Stich im Heeresmuseum Wien.
(Österreichische Lichtbildstelle, Wien)
|
Übermacht der Türken doch noch gelingen, die Leute Sporks zu
umzingeln. Doch immer wieder hauen sich die Kürassiere blutige Bahn.
Endlich beginnen die Spahis zu wanken. Durch das unerschütterliche
Fechten der kaiserlichen Reiter mürbe gemacht und wohl auch durch die
bessere Kampfweise der Deutschen gezwungen, wenden sich die Osmanen zum
ersten Male an diesem Tage zur offenen Flucht. Wie aber jetzt die ersten
türkischen Reiter ihre Rosse herumwerfen, kommen auch etliche Haufen
des türkischen Fußvolkes ins Wanken, und nun scheint es, als habe
Spork nur darauf gewartet. Immer weiter treibt er jetzt den Keil seiner Eisenreiter
in die türkischen Treffen hinein. Schon jagen die Kürassiere
zwischen den schon regellos zur Seite weichenden Gruppen des türkischen
Fußvolkes am Ufer der Raab. Eine wilde Panik hat mit einem Male ganze
Schwärme erfaßt. Die wird vermehrt, als die zurückjagenden
Spahis nun auch über den Fluß zu setzen beginnen und in die jenseits
des Flusses anrückenden Kolonnen Unordnung bringen. Diesen Augenblick
benützt Montecuccoli, um sein Zentrum zum entscheidenden Einsatz zu
führen. Entschlossen läßt er es vorrücken, und
während die Franzosen des Prinzen Coligny jetzt ebenfalls
vorstürmen, zerreißt der gewaltige Ansturm der in
außerordentlicher Kampfdisziplin angreifenden Christen, die
zusammenhangslosen Haufen der osmani- [23] schen Angriffskolonne. Mit einem Male zerbirst
die türkische Schlachtfront. Hunderte stürzen sich in die Fluten der
Raab, ertrinken oder werden von den nachsetzenden Reitern Sporks und
Lothringens noch am anderen Ufer gefangen. Im unwiderstehlichen Angriff
erklimmen die Deutschen jetzt auch noch die während der Nacht von den
Türken am Ufersand errichteten Schanzen. Eine neuerliche Attacke
Lothringens, der mit seinen Reitern jetzt schon tollkühn auf das Gefolge
des Großwesirs einhaut, veranlaßt Köprülü, jetzt
selbst übereilt den Befehl zum Rückzug zu geben. Er muß die
Niederlage mit dem Tode Ismails, des Paschas von Bosnien, und fast aller Agas
der Janitscharen und Spahis bezahlen. 15 Kanonen,
40 Roßschweife und Fahnen sind die Beute Montecuccolis in dieser
Schlacht. Aber auch von den Deutschen werden am Abende dieses
denkwürdigen Tages über 2000 Tote begraben. Es sind die
Gefallenen einer Schlacht, die Krieger fast aller deutschen Stämme zum
ersten Male seit dem Dreißigjährigen Kriege wieder zum Schutze des
bedrohten Reiches geschlagen haben.
|