SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


I. 3. Politische Organisationen, parlamentarische Vertretung und Presse (Teil 3)

b) Die politischen Organisationen 1934 bis 1935
(Teil 2)

Die Organisierung des Deutschtums in Mittelpolen, Galizien und Wolhynien

In Mittelpolen war das um 1930 herum wieder stagnierende Deutschtum, das vor allem in Lodz z. T. geglaubt hatte, sich durch passives Verhalten am ehesten Duldung seines Eigenlebens "verdienen" zu können, durch die Vorfälle am Palmsonntag 1933 aufgerüttelt worden. Obwohl sich die Deutschen in Lodz nicht im geringsten herausfordernd verhalten hatten, kam es gerade hier (wie übrigens auch in Graudenz) im Zuge der durch den Westerplatten-Zwischenfall in Danzig am 6. März 1933 und durch den Judenboykott im Reich in Polen ausgelösten Hetzkampagne gegen Deutschland und Danzig am 9. April [41] zu deutschfeindlichen Ausschreitungen, bei denen der Straßenpöbel Verlag und Schriftleitung der Tageszeitung Freie Presse, einige deutsche Buchhandlungen und das deutsche Gymnasium stark demolierte, ohne von der Polizei daran gehindert zu werden. Dieser "Schwarze Palmsonntag" bewirkte, daß die Lodzer Deutschen entweder aus ihrer Lethargie erwachten, ihre zuletzt geübte Reserve aufgaben oder ihre bisherige politische Haltung überprüften. So kam es gelegentlich der Vorbereitung der Kommunalwahlen im Frühjahr 1934 zu einer Spaltung innerhalb der "Deutschen Sozialistischen Arbeiterpartei Polens" (DSAP). Der ehemalige Sejmabgeordnete Arthur Kronig, der seit Gründung der DSAP ihr erster Vorsitzender gewesen war, lehnte jetzt ein weiteres Zusammengehen der Polizei mit den polnischen und jüdischen Sozialisten ab und verhandelte mit dem Vorsitzenden des Deutschen Volksverbandes, Senator Utta, wegen Schaffung einer Deutschen Wahlfront. Da die Organe der DSAP diesen Kurs aber nicht mitmachen wollten, schieden Kronig und mit ihm der bisherige Magistratsschöffe L. Kuk sowie Stadtverordneter Ewald aus der Partei aus. Deren Leitung übernahm der bisherige zweite Vorsitzende, der ehemalige Abgeordnete Emil Zerbe, der, unterstützt von der Lodzer Volkszeitung, weiterhin mit den polnischen und jüdischen Sozialisten zusammenging, einen internationalen Kurs steuerte und das Dritte Reich entschieden sowie kompromisslos bekämpfte. Der in der Volksgruppe einsetzenden Entwicklung stemmte er sich ebenso entgegen wie in Ostoberschlesien Dr. Pant und Johann Kowoll. Bei den Kommunalwahlen in Lodz verlor die DSAP dann auch 6 von 7 Mandaten, wogegen die Deutsche Wahlfront über 18.000 Stimmen erzielte (1927 hatte die bürgerliche "Deutsche Wahlvereinigung" nur 7.400 Stimmen auf sich vereinen können.)23

In diesem Zusammenhang darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß der Schriftleiter der Lodzer Volkszeitung, [42] Otto Heike, in Schulfragen weiterhin wie bisher unerschrocken für die deutschen Belange eintrat. Die größte Reaktion löste aber der "Schwarze Palmsonntag" bei jüngeren Kräften aus, die durch die im Jahre 1926 entstandene Deutsche Jungenschaft gegangen waren. Diese fühlten sich jetzt verpflichtet, nicht nur an sich selbst, sondern in der Volksgruppe zu arbeiten und suchten nach Betätigungsmöglichkeiten. Da die im Jahre 1934 gegründete Lodzer Ortsgruppe der JDP von Personen geführt wurde, zu denen weite Kreise des Lodzer Deutschtums kein Vertrauen hatte, ging die Jugend unter Führung von Ludwig Wolff im Herbst 1934 in den "Deutschen Volksverband" (DVV). Sie unterstellte sich Senator August Utta, arbeitete aber in Lodz-Stadt und Lodz-Land selbständig, erneuerte und belebte die alte Ortsgruppe des Verbandes bzw. gründete neue, in der ersten Zeit in stetem Kampf mit der JDP. Diese hatte nämlich in Lodz und in einigen benachbarten Industriestädten dadurch an Boden gewonnen, daß es ihr gelungen war, Teile der Arbeiterschaft zu erfassen, die sich von der DSAP abgewandt hatten.

Seit 1935 gelang es ferner der JDP, auch auf dem Lande Fuß zu fassen, und zwar von Warschau aus in der Weichselniederung und von Sompolno aus auf der Kujawischen Seenplatte sowie im Kalischen Land. Das dort völlig vereinsamte, z. T. schon der Polonisierung ausgesetzte Deutschtum wurde dadurch neu belebt. In der Stadt Lodz behielt aber der DVV die Oberhand, was bei den am 27. September 1936 stattgefundenen Stadtratwahlen klar zum Ausdruck kam, bei denen die Liste der JDP nur 3.200, die des DVV aber 13.000 Stimmen erhielt.24 Dieser Erfolg verlieh dem DVV neuen Aufschwung, so daß er seine Stellungen nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Lande immer weiter ausbauen und sogar volkstumsmäßig weitgehend gefährdete Siedlungen wieder in den deutschen [43] Lebenskreis einschalten konnte. In Ronin (Warthebruch), in Wyszogrod (Weichselniederung) sowie in Bialystok arbeiteten Zweiggeschäftsstellen, und im Jahre 1938 wurde sogar das bisher noch von keiner deutschen Organisation betreute Cholmer und Lubliner Land erfasst. Im Mai desselben Jahres übernahm Ludwig Wolff an Stelle des zurückgetretenen August Utta den Vorsitz im Verband. Einen schönen Erfolg, der die errungene Einheit des Lodzer Deutschtums dokumentierte, bedeutete der Ausgang der Lodzer Kommunalwahlen am 18. 12. 1938. Die Liste der DVV, die das erste Mal als einziger deutscher Wahlvorschlag eingereicht worden war, erzielte 5 Mandate und 23150 Stimmen - die Höchstzahl der seit 1927 erreichten deutschen Stimmen. Damals waren neben den bereits erwähnten 7400 Stimmen der deutschen bürgerlichen Liste noch 16643 Stimmen auf die DSAP entfallen.25 Auf den Charakter dieses Wahlganges und auf die Wahlerfolge des DVV auf dem Lande wird noch im Teil III eingegangen werden.

Somit hatte sich in Mittelpolen in der Berichtszeit der DVV im großen und ganzen durchgesetzt, wenngleich in den vorher genannten mittelpolnischen Landschaften Ortsgruppen der JDP bis zuletzt bestanden und arbeiteten. Im Jahre 1935 nahm die JDP auch die Arbeit in Galizien und Wolhynien auf. Obwohl in beiden Siedlungsgebieten noch keine andere politische Organisation gearbeitet hatte, konnte die JDP wegen der ablehnenden Haltung der dort tonangebenden und von verdienten Deutschen geführten evangelischen Kirchen nur in einigen ländlichen deutschen Siedlungen (den sogen. "Kolonien") Fuß fassen. Im Jahre 1937 nahm auch der DVV seine Tätigkeit in Galizien auf, errichtete eine Zweiggeschäftsstelle in Lemberg und gründete Ortsgruppen in den von der JDP nicht erfassten deutschen Dörfern.


[44]
Auf dem Wege zur Einheit

Der von der JDP so nachhaltig verkündeten und überall einschlagenden Forderung nach Überbrückung der Teilgebietsgrenzen hatte die alte Führung insoweit Rechnung getragen, als sich die einzelnen Gebietsorganisationen unter Beteiligung der deutschen Parlamentarier im Oktober 1934 zum "Rat der Deutschen in Polen" zusammenschlossen. Jedoch stellte dieser Rat unter Vorsitz von Erwin Hasbach nur eine Dachorganisation und somit einen föderalistischen Zusammenschluss der Vertretungen der einzelnen Siedlungsgruppen dar, wogegen die JDP eine zentralistische, straffe Erfassung aller deutschen Menschen des ganzen Staatsgebietes für erforderlich hielt. Doch bedeutete auch dieser lose Zusammenschluss einen Fortschritt. Zu einer Verengung der Bande kam es bei den Ratsorganisationen auf dem Gebiete der Jugendarbeit. So wurden die vom DVV in den Jahren 1935 bis 1938 alljährlich Anfang November in Lodz veranstalteten Jugendtagungen von den Jugendführern aus allen Siedlungsgebieten besucht. Obwohl also die sachlichen Hauptforderungen der JDP, "Erneuerung", Aktivierung der gesamten Volksgruppe und Zusammenschluss der verschiedenen Deutschtumsgebiete, wenigstens bis zu einem gewissen Grade im ganzen Lande verwirklicht wurden, hat die JDP selber ihr weiteres Ziel, die Eroberung der Führung in der Volksgruppe, nicht erreichen können. Allerdings wurde der jungdeutsche Landesleiter Dipl. Ing. Wiesner zusammen mit dem Vorsitzenden des "Rates der Deutschen", Erwin Hasbach, im September 1935 vom polnischen Staatspräsidenten zum Senator ernannt.

Wenn auch die gleichstarke Berücksichtigung der JDP bei dieser einzigen, sich der deutschen Volksgruppe nach der neuen polnischen Verfassung vom 23. 4. 1935 noch bietenden Möglichkeit einer parlamentarischen Vertretung für die neu aufgetretene Organisation ein Plus bedeutete und Senator Wiesner von der Senatstribüne [45] unerschrocken für die deutschen Belange eintrat, so mussten doch spätestens Ende 1937 beide Gruppen erkennen, daß keine von ihnen die andere mehr würde ausschalten können. Der genannte Zeitpunkt ist insofern von Bedeutung, als im Juni 1937 der langjährige stellvertretende Landesleiter Wilhelm Schneider und seine Anhänger aus der JDP ausschieden, diese deswegen aber nicht auseinanderbrach, wie ihre Gegner erhofft hatten. Andererseits verlor die JDP durch diesen Vorgang so viel an Schwung und an befähigten und geeigneten Mitarbeitern, daß von nun an ihr Führungsanspruch in der Volksgruppe erst recht nicht berechtigt zu sein schien. Wilhelm Schneider gründete 1938 in Kattowitz einen "Deutschen Arbeitskreis", in dem er die aufbauwilligen Kräfte im Deutschtum ohne Rücksicht auf ihre parteipolitische Gebundenheit zusammenführen wollte. Der "Arbeitskreis" gab 1938/39 die einzige politische Zeitschrift des Deutschtums in Polen, den Aufbau, heraus, die zu den politischen Problemen aller Siedlungsgebiete Stellung nahm und immer wieder zur Einigung der streitenden Parteien aufrief. Schneider wurde dann noch nach Paul Golletz' Tode im Juni 1939 zum Vorsitzenden des "Deutschen Volksblocks für Polnisch-Schlesien" gewählt, übrigens ohne dieser Organisation vorher angehört zu haben. Seine Anhänger in Mittelpolen gingen im Sommer 1938 in den Deutschen Volksverband, nachdem Ludwig Wolff dort die Führung übernommen hatte und in Verfolg eines Abkommens mit Schneider die in Mittelpolen an sich stagnierende JDP nicht mehr bekämpfte.

Überhaupt flaute der Bruderkampf im Laufe des Jahres 1938 ab. Der "Rat der Deutschen" beschloss im April 1938, eine neue Gesamtorganisation, den als autonomen Minderheitenverband im Sinne des Art. 109 der Staatsverfassung gedachten [46] "Bund der Deutschen in Polen" zu gründen, in dem alle Organisationen einschließlich der JDP aufgehen sollten. Allerdings gelang es Senator Hasbach, der den diesbezüglichen Antrag am 5. 5. 1938 dem Ministerpräsidenten unterbreitete, nicht, die behördliche Genehmigung für dieses Vorhaben zu erlangen. Gleichzeitig wurden verschiedentlich Verständigungsverhandlungen zwischen Rat und JDP geführt, die zwar keine Einigung erbrachten, die aber doch ein Zusammengehen beider Richtungen in gewissen Lebensfragen des Deutschtums, vor allem bei den Wahlen 1938/39 und während der polnischen Unterdrückungsmaßnahmen im Sommer 1939 zur Folge hatten. Vorher schon hatten im Jahre 1935 alle deutschen Organisationen im ganzen Staatsgebiet - bis auf Ostoberschlesien - eine gemeinsame "Deutsche Nothilfe", ein Winterhilfswerk, aufgebaut, ebenso war es schon im Jahre 1936 in Lodz zu einer gemeinsamen Aktion in Schulfragen gekommen.26 Wenn daher manchmal das Vorhandensein der beiden Richtungen bzw. der Kampf zwischen denselben nur als ein Unglück und als ein Nachteil für die Volksgruppe gerade dem Polentum gegenüber hingestellt wurde und dahingehende polnische Äußerungen zitiert wurden,27 darf nicht außer acht gelassen werden, daß diese ursprünglich in gewissen polnischen Kreisen vorhanden gewesene Meinung gar bald revidiert wurde. Schon am 17. 4. 1935 machte sogar der polnische Generalkommissar in Danzig, Papée, das polnische Außenministerium auf die "starke Agitation" aufmerksam, die die JDP in Westpreußen angeblich unter den Kaschuben entfalte, und hielt den Erlass entsprechender "Verhaltungsmaßregeln" an alle polnischen Verwaltungsstellen für notwendig.28 Tatsächlich behinderten die polnischen Behörden nach einer nur anfänglichen Tolerierung der deutschen Organisationstätigkeit ungefähr seit Mitte 1935 sowohl die JDP als auch die anderen Organisationen ständig in ihrer Arbeit. Bei der Sejm- und [47] Senatswahl im November 1938 wurde wohl noch Hasbach, aber nicht mehr Wiesner, sondern statt seiner ein wenig bedeutendes JDP-Mitglied (der Vorsitzende des "Vereins Deutscher Bauern", Max Wambeck) in den Senat berufen. Wenn ferner mancherorts von deutscher Seite eingewandt wurde, daß infolge der Auseinandersetzungen zwischen den Organisationen "sich ein großer Teil der Deutschen der politischen Tätigkeit ganz fernhält",29 so konnte dem entgegengehalten werden, daß auch ohne diesen Teil die Zahl der nun ehrenamtlich in der Volkstumsarbeit stehenden Kräfte im Verhältnis zu der Zeit vor 1934 um ein Vielfaches größer geworden war. Daher bewertete auch ein führender Deutschtumsspezialist der polnischen Regierungspresse - Joszef Winiewicz - im Jahre 1939 die Auswirkungen des Bruderkampfes auf die Aktivität der Volksgruppe wie folgt: "Diese große Mobilisierung (der Volksgruppe) erfolgte entgegen den Annahmen vieler nicht genügend wachsamer polnischer Beobachter, welche zu voreilig glaubten, daß die heftigen Schwierigkeiten und inneren Auseinandersetzungen die Organisationskraft des Deutschtums in Polen zerstören würde... dabei sind die Deutschen in Polen aus diesen verbissenen Kämpfen nicht nur organisationsmässig ungeschwächt, sondern im Gegenteil - gestärkt hervorgegangen".30 An einer anderen Stelle (S. 28) erklärte Winiewicz: "Die Streitigkeiten und die weltanschaulichen Auseinandersetzungen unter den Deutschen in Polen wirkten als Hefe, auf welcher der Teig der politischen Aktivität dieses Elementes... wuchs und gedieh."

Winiewicz's Meinung steht durchaus nicht vereinzelt da, denn Prause berichtet in seiner Untersuchung über die polnische Presse, diese hätte im Jahre 1936 allgemein festgestellt, daß "der Rest der Deutschen, der nach dem Kriege in Polen zurückblieb und zur Assimilierung geneigt war, aus [48] seiner Erstarrung erwachte und die Neugeburt der völkischen Gemeinschaft erlebte".31 Auch Grazynski wies schon am 17. 4. 1935 beim polnischen Innenminister darauf hin, daß als Resultat der deutschen "Propaganda" in seiner Wojewodschaft "die Deutschen dazu neigten, sich immer mehr zusammenzuschließen".32 Hinsichtlich der angeblich zerschlagenen Einheit der Volksgruppe stellte W. Schneider im Jahre 1938 fest: "Wir befinden uns jetzt erst auf dem Wege zur Einheit, die vordem niemals da war. Der Kampf der JDP hat bewirkt, daß wir uns dieses Zustandes der Zerrissenheit bewusst wurden, aber hat ihn nicht herbeigeführt".33 Und von den prominentesten Vertretern der jüngeren Generation innerhalb der Ratsorganisationen, die in vorderster Reihe des an sich natürlich bedauerlichen Bruderkampfes gestanden hatten, bekannte Gero von Gersdorff in Vertretung von Dr. Kohnert auf dem Schlussappell der DV in Bromberg 1940, "daß jener Kampf... der Ausdruck eines heißen Ringens und Suchens nach neuen Wegen zur Überwindung der Not war. Der Kampf weckte neue Kräfte, begeisterte sie für eine greifbare Organisation und schärfte den politischen Instinkt. Keiner von beiden hat den anderen besiegt".34 Gleichzeitig schrieb in Lodz Ludwig Wolff: "Innerhalb des DVV und der JDP ging das heiße Bemühen um Schaffung von Widerstandszentren gegen die Polonisierung und für die Erneuerung des so stark überfremdeten Volkssplitters. Die Auseinandersetzung der Generationen war nicht zu vermeiden".35

Letztere Feststellung verweist uns noch auf ein besonderes Problem. Wie aus obigem Zitat von Prause hervorgeht und wie unten in Teil II ausführlich klargelegt wird, stellt die in fast allen Siedlungsgebieten trotz aller vertraglichen und verfassungsmäßigen Zusicherungen der Erhaltung der nationalen Eigenart z. T. schon außerordentlich akut [49] gewordene Polonisierungsgefahr die allergrößte Gefährdung der Volksgruppe dar, der nur durch eine weitgehende Erfassung und regelmäßig Betreuung auch der verlassensten deutschen Siedlungen begegnet werden konnte. Eine solche Arbeit ist aber in vollem Umfange erst im Verfolg der Auseinandersetzungen innerhalb der Volksgruppe durch den Wettstreit beider Richtungen hervorgerufen und mit Erfolg durchgeführt worden. In den von der Polonisierungsgefahr weniger bedrohten Westgebieten wirkte die durch die Rivalität beider Richtungen hervorgerufene Aktivität auf volkspolitischem Gebiet der bedrohlichen Abwanderungsgefahr entgegen, wenngleich sie diese nicht völlig zu unterbinden vermochte. Aber in der Zeit vor der politischen Organisierung der Volksgruppe hatten der Deutschtumsführung überhaupt keine geeigneten Möglichkeiten zur Massenbeeinflussung zur Verfügung gestanden.



c) Die deutsche Presse in Polen

Eine sehr wichtige Rolle im Behauptungskampf der Volksgruppe spielte die Presse. Das Deutschtum in Polen verfügte, besonders im ehemaligen preußischen Gebiet, über eine stattliche Anzahl von Tageszeitungen und Wochenschriften, die im Verhältnis zur Kopfzahl der Volksgruppe auch beachtliche Bezieherzahlen aufwiesen. Im Jahre 1937 wurden in Polen 105 deutsche Zeitungen und Zeitschriften (1938 waren es 96) herausgeben. Davon erschienen 20 täglich, etwa 10 zwei- bis viermal wöchentlich. Gegen 30 waren Wochenzeitschriften rein zeitungsmäßigen Charakters.36 Von der Gesamtzahl hatten 20 Lodz als Verlagsort, 1939 waren es 15.37 Die bedeutendsten Tageszeitungen, die die ganze Zeit des Versailler-Polen hindurch erschienen, waren: die Deutsche Rundschau, Bromberg; das Posener Tageblatt; die [50] Kattowitzer Zeitung mit dem Kopfblatt Schlesische Zeitung für Bielitz; der Oberschlesische Kurier, Königshütte, mit dem Kopfblatt Ostschlesische Post, Bielitz; sowie die Freie Presse, Lodz. Diese Zeitungen, die durchweg eine Auflage von je 10000 bis 15000 hatten, standen der alten Volksgruppenführung zur Verfügung und wurden jeweils in ihren Siedlungsgebieten gelesen. In der Berichtszeit wurde in Polen noch ein den Ratsorganisationen nahestehender Deutscher Pressedienst aus Polen für das In- und Ausland herausgegeben.

Die JDP verfügte zuerst nur über eine Wochenschrift, den in Kattowitz erscheinenden Aufbruch. Mit dem 1. 11. 1934 konnte sie aber in Posen als Gemeinschaftswerk ihrer Anhänger - durch Zeichnung auch kleinster Anteile war das erforderliche Kapital vor allem in Posen-Westpreußen aufgebracht worden - eine eigene Tageszeitung, die Deutschen Nachrichten, herausbringen. Der Aufbruch wurde dann als Kopfblatt der Deutschen Nachrichten mit einer Schlesier Seite gleichfalls Tageszeitung. In Lodz erschienen ferner 3 Wochenzeitschriften als politische Organe, der Volksfreund als Sprachrohr der alten Führung im DVV 1919-1939, der Deutsche Weg als Kampfblatt der jungen Generation im DVV 1935-1939 und der Völkische Anzeiger als Organ der JDP 1935-1937. Außerdem gab die "Deutsche Sozialistische Arbeitspartei" die drei bis viermal wöchentlich erscheinende Lodzer Volkszeitung heraus. Die Deutschen Galiziens verfügten über eine Wochenschrift, das 1907 begründete Ostdeutsche Volksblatt, Lemberg.

Alle diese Blätter setzten sich unerschrocken für die Belange und Lebensrechte der Volksgruppe ein und hatten zeitweise (besonders die Tageszeitungen) sehr viel unter Beschlagnahmungen zu leiden. Entgegen der manchmal noch im Jahre 1937 u. a. in den Osteuropäischen Lageberichten, [51] Königsberg, vertretenen Meinung, daß die Zeitungen Mittelpolens, Wolhyniens, und Galiziens erst "heute richtige Kampfblätter" geworden seien und früher keinem scharfen Kampf ausgesetzt gewesen wären,38 sei darauf hingewiesen, daß die Lodzer Freie Presse bereits am 16. 10. 1919 das erste Mal und anschließend noch mehrere Male verboten (nicht nur beschlagnahmt) wurde, so daß sie bis Mai 1923 etwa zehnmal ihren Namen hatte wechseln müssen, bis sie dann als Freie Presse fortgeführt werden konnte, und daß sie auch noch in der Berichtszeit, wie schon vorher, zahllose Geldstrafen und Beschlagnahmen, Dutzende von Prozessen, Haussuchungen und andere Schikanen zu ertragen hatte.39

Als typisch für die Geschicke der deutschbewussten Presse in Polen können wir die für die Deutsche Rundschau in Bromberg vorliegenden Zahlen bezeichnen. Diesem Blatte waren von 1920 bis 1939 872 Strafverfahren angehängt worden. 546 mal unterlag die Zeitung der Beschlagnahme. Aber die Schriftleiter waren insgesamt nur zu 5 Jahren, 11 Monaten und 20 Tagen Gefängnis sowie zu 24050 Zloty Geld- und zu 38700 Zloty Gerichtsstrafen verurteilt worden.40 Dieses im Verhältnis zu der Anzahl der Strafverfahren oder Beschlagnahmen niedrige Gesamtausmaß an Strafen beweist, daß weitaus die meisten Verfahren mit einem Freispruch [endeten,] also zu Unrecht eingeleitet worden waren. Durch die laufenden Beschlagnahmen verhinderten die Polen jedoch die Verbreitung ihnen unangenehmer Nachrichten und schädigten das Blatt wirtschaftlich. In Polen erschienen ferner verschiedene deutsche Wochenschriften, die von kirchlichen Kreisen (die evangelische Pressearbeit in Posen-Westpreußen war besonders gut entwickelt), Genossenschaftsverbänden und kulturellen sowie berufsständischen Organisationen herausgegeben wurden.

[52] Neben diesen deutschbewussten Blättern - die Sonderstellung des von Dr. Pant herausgegebenen Deutschen in Polen haben wir bereits umrissen - sind noch einige in ihrer nationalen Haltung unklare zu nennen, wie die 1903 gegründete Tageszeitung Neue Lodzer Zeitung, die öfter ihren Charakter wechselte, sich vorübergehend sogar für die JDP einsetzte, meistenteils aber der jeweiligen Regierung genehmen Kurs steuerte. In den Jahren 1903 bis 1915 war sie russophil, 1918 bis 1939 polonophil. Der für ein Aufgehen der Deutschen im Polentum eintretende "Deutsche Kultur- und Wirtschaftsbund" gab in Lodz die Wochenschrift Vereinigung der Deutschen in Polen, den Deutschen Wegweiser, gleichfalls eine Wochenschrift, heraus.

Seite zurückInhaltsübersichtSeite vor



23Nation und Staat. Jg. VII, S. 517f u. 705f; Wien 1934;
Wertheimer, Fritz: Von deutschen Parteien und Parteiführern im Ausland. S. 109; Berlin 1930 (2.Aufl.). ...zurück...

24Nation und Staat. Jg. X, S. 38; Wien 1937. ...zurück...

25Wertheimer, Fritz: Von deutschen Parteien und Parteiführern im Ausland. S. 109; Berlin 1930 (2. Aufl.). ...zurück...

26Nation und Staat. Jg. IX, S. 715; Wien 1937. ...zurück...

27Hasbach, Erwin in: Zeitschrift für Ostforschung. Jg. I. S. 263f; Marburg/Lahn 1952. ...zurück...

28Szembek, Jean Comte: Journal 1933-1939. S. 61-62; Paris 1952. ...zurück...

29Lattermann, Alfred in: Kauder, Viktor (Hrsg.): Das Deutschtum in Polen. T. 3, S. 9 (Ein Bildband Teil 1-5.) Plauen-Leipzig 1937/39. ...zurück...

30Winiewicz, Jozef: Mobilizacja sil niemieckich w Polsce. (Die Mobilisierung der deutschen Kräfte in Polen.) S. 19; Warschau/Posen 1939. ...zurück...

31Prause, Fritz: Die polnische Presse im Kampf gegen die deutsche Volksgruppe in Posen und Westpreußen. S. 84; Würzburg 1940. ...zurück...

32Szembek, Jean Comte: Journal 1933-1939. S. 62; Paris 1952. ...zurück...

33in: Der Aufbau. Jg. I, S. 8; Kattowitz 1938. ...zurück...

34Gersdorff, Gero von: 20 Jahre Front gegen Polenterror. S. 10; Berlin 1940. ...zurück...

35in: Der Osten des Warthelandes. S. 187; Litzmannstadt o. J. (1941). ...zurück...

36Osteuropäische Lageberichte. Jg. III, Heft 12, S. 12; Königsberg 1937. ...zurück...

37Der Osten des Warthelandes. S. 147; Litzmannstadt o. J. (1941). ...zurück...

38Osteuropäische Lageberichte. Jg. III, Heft 12, S. 12; Königsberg 1937. ...zurück...

39s. auch Kargel, Adolf bei Schmidt, Arthur (Hrsg.): Deutsches Schicksal in Polen. S. 200, Hannover 1953. ...zurück...

40Lück, Kurt: Der Lebenskampf im deutsch-polnischen Grenzraum. S. 45; Berlin 1940. ...zurück...

Seite zurückInhaltsübersichtSeite vor


Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939