I. Die historischen Grundlagen
(Forts.)
Die wirtschaftlichen Einigungsbestrebungen
vom Wiener Kongreß bis zum Zusammenbruch
Dr. Otto Erwin von Scala (Graz)
Die ersten wirtschaftlichen Einigungsbestrebungen
deutscher Staaten Friedrich List Die
österreichische Regierung und Lists Pläne
Metternich und die Zollunionsfrage Der Deutsche
Zollverein Nebenius Stellung Englands und
Frankreichs zur deutschen Zolleinigungsbewegung in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts Preußen
gegen Österreichs Eintritt in den Deutschen Zollverein
Ungarns Haltung Die Frankfurter
Nationalversammlung Haltung der österreichischen
Eisenindustrie Freiherr von Bruck
Mitteleuropäische Pläne Preußens
Widerstand Der
österreichisch-preußische Handelsvertrag 1853
Der Handelsvertrag zwischen Frankreich und dem Deutschen Zollverein
1862 Bismarck und Rudolf von
Delbrück Königgrätz
Bismarcks Handelspolitik gegenüber
Österreich-Ungarn Die Zollunionbewegung
während des Weltkrieges Die Salzburger
Verhandlungen 1918.
Die Anfänge der wirtschaftlichen Anschlußbestrebungen fallen in die
Zeit des Wiener
Kongresses. Wohl hat es auch bereits vorher an Versuchen, eine
großdeutsche, mitteleuropäische Wirtschaftseinheit anzubahnen,
nicht gefehlt. Aber diese früheren Bestrebungen waren entweder von
vornherein ein totgeborenes Kind oder aber haben sie sich bloß auf
Teilgebiete der Wirtschaft erstreckt. So konnte die Forderung des
preußischen Kurfürsten vom Jahre 1521 nach Herstellung eines
einheitlichen großdeutschen Wirtschaftsgebietes bei dem damaligen
Autarkiefanatismus der deutschen Kleinstaaten nur als frommer Wunsch
betrachtet werden. Praktische Ansätze für eine wirtschaftliche
Verflechtung Österreichs und Bayerns finden wir in der Zeit der Fugger im
Anfange des 16. Jahrhunderts. Damals unterstützten die Grafen
Fugger die Habsburger in finanzieller Hinsicht in [20] großem
Maße. Dafür revanchierten sich letztere in der Form, daß sie
den Fuggern die Erzbergwerke in Schwaz überließen. Auch die
Erzbergwerke in Steiermark und Kärnten brachten die Fugger in eigene
Regie. Wenn auch diese kapitalistische Verflechtung gleichzeitig handelspolitisch
eine Annäherung Österreichs mit den süddeutschen Staaten
brachte und die Ausfuhr von Eisen und Stahlwaren nach Bayern erhöhte, so
konnten sie doch ein einheitliches
Zoll- und Wirtschaftsgebiet niemals herbeiführen. Das gleiche gilt
für die rein währungspolitischen Abmachungen zwischen Maria
Theresia und Max von Bayern vom Jahre 1753, die durch einen
Münzvertrag eine Konventionsmünze1 schufen, die aber auch nur wieder
für Österreich und Süddeutschland Geltung hatte.
Schließlich kann auch den Bestrebungen Josefs II., reichsdeutsche
Unternehmer zur Hebung des Gewerbefleißes in Österreich
anzusiedeln, im Hinblick auf die Schaffung einer mitteleuropäischen
Wirtschaftseinheit nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen werden, so
wertvoll sich die insbesondere durch das Toleranzpatent vom Jahre 1782 erfolgte
Heranziehung deutscher Unternehmer für die österreichische
Wirtschaft auch ausgewirkt hat.
Erst die Zoll- und Handelseinigungsbestrebungen Friedrich Lists, des
geistigen Vaters der Zollvereinsidee, hätten den wirtschaftlichen
Anschluß Österreichs an Deutschland ermöglichen
können. Dieser große wirtschaftspolitische Agitator hat zu Pfingsten
des Jahres 1819 in Frankfurt a. M. den deutschen
Handels- und Gewerbeverein, dem 6000 Kaufleute und Gewerbetreibende
angehörten, mit dem Hauptzwecke gegründet, einen
großdeutschen Zollverein zu schaffen. Die 38 inneren Zollmauten sollten
abgebaut und eine einheitliche Zollinie alle deutschen Bundesgebiete umfassen. In
dem Pfingstmanifest Friedrich Lists vom Jahre 1819 ist dieses Programm klar
vorgezeichnet.2 Hier ist zum erstenmal ein
großdeutscher Zollverein ins Auge gefaßt worden. Eine
großdeutsche Teilzollunion allerdings wurde schon im Jahre 1817 von dem
württembergischen Gesandten in der 29. Sitzung der
Bundesversammlung angeregt. Der Vorschlag ging damals dahin, innerhalb aller
Staaten des Deutschen Bundes den [21] Verkehr mit den
notwendigsten Lebensmitteln, vor allem Getreide und Schlachtvieh, freizugeben.
Doch scheiterte dieser aus der Lebensmittelnot der deutschen Kleinstaaten
erstandene Plan an dem Widerstande des Kaisers Franz. Die ablehnende Haltung
des Wiener Hofes gegenüber den allgemeinen Zolleinigungsbestrebungen
mußte auch Friedrich List im Jahre 1820 erfahren, als er persönlich in
Wien bei Kaiser Franz und Metternich
vorsprach und sie mit Worten, Eingaben
und Zeitungsartikeln ersuchte, die Initiative bei der großdeutschen
Zolleinigung zu übernehmen. List war damals der Meinung, daß
Österreich, das schon seit Maria Theresia zum größten Teil
eine Wirtschaftseinheit bildete, für die Führung in der deutschen
Zolleinigung prädestiniert sei. List schmeichelte sowohl Kaiser Franz wie
Metternich, indem er sie als Retter des Vaterlandes wie der deutschen Industrien
im besonderen begrüßte. Doch hat die damalige Wiener Regierung in
ihrem von politischer Angst eingegebenen Abschließungsbestreben kein
Interesse und Verständnis für die Bestrebungen Lists aufbringen
können, obwohl die bedeutendsten und einflußreichsten Fabrikanten
Wiens zum großen Teil und die Staatsbeamten Österreichs zur
Gänze sich für den Listschen Plan einer Zollvereinigung
ausgesprochen hatten.3 Diese ablehnende Haltung der Wiener
Regierung ist auch deshalb merkwürdig, da selbst Metternich damals noch
dem Listschen Projekt einer Zolleinigung aller deutschen Staaten mit
Ausschluß Ungarns und Dalmatiens gewogen war. Soll doch
Metternich zu jener Zeit List das Versprechen abgegeben haben, die Bitten des
deutschen
Handels- und Nahrungsstandes in Erfüllung zu bringen.
Diese
günstige Einstellung Metternichs gegenüber dem Listschen Plan
eines großdeutschen Zollvereines, wie insbesondere einer Partialzollunion
für Agrarprodukte, ist jedoch allmählich durch die Intrigen der
Kommerzien-Hofkammer in eine gegenteilige verwandelt worden. Der
anschlußfeindliche Präsident der
Kommerzien-Hofkammer Stahl ist es gewesen, der es verstanden hat, Metternich
von der Unmöglichkeit eines einheitlichen deutschen Zollsystems zu
überzeugen. Stahl redete Metternich ein, daß List überhaupt
nur demagogische, revolutionäre Ziele verfolge und ein
erneuerungssüchtiger deutscher Schwindelkopf sei. Diese Worte scheinen
bei Metternich eingeschlagen zu haben, da er als traditionalistisch gerichteter
Geist gegen jedwede Revolution war und eine solche sowohl in [22] der nationalen wie in der
demokratischen Bewegung witterte. Aber auch der Einfluß des bekannten
Nationalökonomen Adam Müller auf Metternich ist nicht zu
unterschätzen. War doch Adam Müller ein unermüdlicher
Gegner des preußischen Zollgesetzes vom Jahre 1818. Seiner Meinung nach
war eine Zolleinigung zwischen 34 Staaten nicht durchführbar,
wenngleich er die Angleichung der verschiedenen deutschen
Handelsgesetzgebungen in seinem Gutachten an Metternich befürwortete.
Metternich gewann nun die Überzeugung, daß es sich bei dem
preußischen Zollgesetz um einen Anschlag der Liberalen zur
Einführung der Repräsentativverfassung in Preußen handle. Er
versuchte daher nunmehr, alle Mittel anzuwenden, um die preußische
Zolleinheit zu sprengen und eine Erweiterung des preußischen Zollvereines
zu verhindern. Er unterstützte sowohl England wie den mitteldeutschen
Zollverein in ihren Bestrebungen, Süddeutschland von Preußen
abzuriegeln.
Aber auch andere Erwägungen scheinen Metternich zu einem
Gegner der Zolleinigungsbestrebungen gemacht zu haben. So war damals die
Wiener Regierung zu stark mit der wirtschaftlichen Eingliederung der im Wiener
Kongresse erworbenen italienischen Provinzen beschäftigt.
Schließlich war die zollpolitische Trennung der deutschen Staaten der
Monarchie von den nichtdeutschen Staaten auch eine Schwierigkeit, wie aber
auch wirtschaftlich nicht so unbedingt für Österreich notwendig wie
für Deutschland, das durch den Wiener Kongreß eine ungeheure
Vermehrung der Zollmauten zwischen den einzelnen deutschen Staaten erfahren
hat.
Diese Ansichten Metternichs, die er auch in einem Schriftstück an den
Präsidenten der
Kommerzien-Hofkammer Stahl niedergelegt hat, sind ja teilweise
verständlich. Zweifellos war die Zolleinigung für Deutschland ein
größeres wirtschaftliches Bedürfnis als wie für
Österreich. Waren doch auf Grund des Wiener Kongresses bei der
Errichtung von Zollstätten nicht nur wie bisher die Kurfürsten,
sondern auch die Landesherren ungebunden und konnten nach eigenem Ermessen
Zollstätten errichten, wovon sie auch ausgiebig Gebrauch machten. Hatte
doch Preußen allein nicht weniger als 67 verschiedene Zolltarife
aufzuweisen. Dazu kamen noch die durch den Krieg hervorgerufenen
staatsfinanziellen Schwierigkeiten Preußens. Der Wiener Kongreß hat
ebenso wie unsere jetzigen Friedensverträge auf die materiellen Interessen
und insbesondere für die nationale Handelspolitik keine Rücksicht
genommen. Nicht zuletzt ist aber in Deutschland auch das nationale Moment der
Zolleinigung von großer Bedeutung [23] gewesen, da ja die
Zolleinigung die Vorstufe zur politischen Einigung bilden sollte. List, von
Treitschke und der preußische Finanzminister von Motz haben auf den
engen Zusammenhang der
Handels- und politischen Einheit hingewiesen. Dennoch wurde auf dem
Ministerkongreß in Wien vom Jahre 1820 von dem Bundestag eine
Vereinbarung bezüglich der deutschen Zolleinigung noch abgelehnt. Ja, der
Bundestag verweigerte sogar der Petition des Handelsvereines die Antwort mit
der Begründung, daß der eigenmächtig konstituierte
Handels- und Gewerbeverein als solcher nicht anerkannt werde und daher die
fragliche Eingabe nicht berücksichtigt werden könne. So ging der
Bundestag vor, obwohl der Artikel 19 der Bundesakte ausdrücklich
eine Verbesserung der handelspolitischen Beziehungen vorgesehen hatte und
bereits im Jahre 1818 eine Konferenz des Bundestages in Frankfurt am Main zur
Regelung der deutschen Handelsverhältnisse zusammengetreten war. Aber
immerhin wurde doch damals in Wien wenigstens privat von einigen mittleren
und kleinen deutschen
Staaten – zu denen aber Österreich nicht
zählte – auf eigene Faust beschlossen, einen Separatkongreß in
dieser Angelegenheit in Darmstadt abzuhalten. Dieser Kongreß führte
dann auch zur Zolleinigung Bayerns und Württembergs wie in weiterer
Folge auch zur Zolleinigung der süddeutschen Staaten mit Preußen,
was schließlich auch die mitteldeutschen Staaten zur Aufgabe ihrer
ablehnenden Haltung hinsichtlich ihres Eintrittes in den Zollverein
veranlaßte.
Schlag auf Schlag erfolgten diese zollpolitischen Zusammenschlüsse.
1828 wurde der Zollverein zwischen Bayern und Württemberg und der
zwischen Preußen und
Hessen-Darmstadt gegründet. 1829 erfolgte der Abschluß des
Handelsvertrages zwischen Preußen und dem süddeutschen
Zollverein. 1831 schloß sich
Kur-Hessen an Preußen an und 1833 kamen auch noch Sachsen und die
Ernestinischen Länder dazu. Und am 22. März 1833 folgte der
vollständige Zusammenschluß zwischen dem
preußisch-hessischen und dem süddeutschen Zollverein. Und
welchen Jubel löste dann die Neujahrsnacht des Jahres 1834 aus, als die
deutsche Wirtschaftseinheit dem größten Teil Deutschlands zuteil
ward! Treffend schildert von Treitschke diesen erhebenden Moment: "Lange
Warenzüge standen auf den Hauptstraßen, die bisher durch Zollinien
zerschnitten waren. Als die Mitternachtsstunde schlug, öffneten sich die
Schlagbäume und unter lautem Jubel eilten die Warenzüge
über die Grenze, die sie fortan mit voller Freiheit überschreiten
konnten. Alle waren vom Gefühl durchdrungen, daß Großes
[24] errungen sei."
Daß
dies möglich war, verdankt Deutschland in erster Linie der
unermüdlichen Agitation Friedrich Lists.
Aber neben List hat sich auch der
Badenser Nebenius große Verdienste in schriftstellerischer Hinsicht um die
Zolleinigung erworben. In seinem Buch über den "Zollverein" nennt
Nebenius "eine wirtschaftliche Verbindung aller deutschen Staaten den
schönsten und bevölkertsten aller Märkte, den je eine Zollinie
umschlossen hat". Waren so List und Nebenius die geistigen Wegbereiter des
Zollvereines, so sind die preußischen Staatsmänner Eichhorn, von
Motz, Massen, der größte deutsche Verleger Johann Friedrich von
Cotta und nicht zuletzt der Preußenkönig
Friedrich Wilhelm es
gewesen, die die Zollvereinsidee in die Praxis umgesetzt haben. Und welche
großen Schwierigkeiten waren doch damals zu überwinden. Welche
Angst hatten die kleinen Betriebe Süddeutschlands vor der Konkurrenz der
großen Fabrikbetriebe Norddeutschlands. Und welche gewaltigen
Unterschiede bestanden zwischen den Zolleinnahmen Preußens und der
kleinen deutschen Staaten,4 und wie schwer war es daher, einen
richtigen Modus zur Verteilung der Zolleinkünfte zu finden. Und mit
welchen Mitteln arbeitete das Ausland, um den Anschluß der
süddeutschen Staaten an Preußen zu verhindern. England und
Frankreich boten den deutschen Kleinstaaten günstige
Handelsverträge an und Metternich stellte den süddeutschen Staaten
günstige Schiffahrtsverträge in Aussicht, um die süddeutschen
Staaten von Preußen abzuhalten. Und welche Gegensätze bestanden
schließlich zwischen dem freihändlerischen Preußen und den
schutzzöllnerischen Südstaaten! Wenn dennoch alle diese
Schwierigkeiten überwunden wurden, dann muß dies auch uns Kraft
und Hoffnung geben, daß wir nunmehr die damals versäumte
Gelegenheit des Eintrittes in den Deutschen Zollverein nachholen.
Die Nichteinbeziehung Österreichs in den Deutschen Zollverein war die
Vorbereitung der Ausschließung Österreichs aus dem Reiche. War
hieran bis zur Begründung des Deutschen Zollvereines Österreich in
erster Linie schuld, so ist nach Erstehen des Deutschen Zollvereines
Preußen es gewesen, das eine nachträgliche Einbeziehung
Österreichs zu verhindern wußte. Noch in den zwanziger Jahren war
nach einem Berichte Webers Preußen mit Freuden bereit, sich einem
gemeinsamen Handelssystem anzuschließen. Dagegen verliefen sowohl die
im Jahre 1836 wie im Jahre 1847
an- [25] geknüpften
Verhandlungen Österreichs mit dem Zollverein zwecks Abschluß
eines Handelsvertrages respektive Zollkartells infolge der Ablehnung
Preußens, von ganz unwesentlichen Erleichterungen des Grenzverkehres
abgesehen, resultatlos. Auf der anderen Seite machte die österreichische
Regierung nunmehr in den vierziger Jahren vielfach Anstrengungen, zu einem
kommerziellen Verbande mit dem Zollvereine zu gelangen. Auf diese
unausgesetzten Bemühungen der höchsten Staatsmänner
Österreichs verweist auch der österreichische Graf Schirdning in
seiner Schrift Österreich im Jahre 1840. Ist doch auch Metternich
auf die ursprüngliche Anschauung zurückgekommen, daß
Österreich den Anschluß an den Zollverein suchen und zu diesem
Zwecke sein Prohibitivsystem abschaffen müsse. Metternich verfaßte
selbst Denkschriften über die Fortschritte des Deutschen Zollvereines und
regte List an, seine Gedanken in einer Denkschrift niederzulegen. "Immerhin",
sagte Weber in seiner Schrift Der Deutsche Zollverein 1871, "ward es den
österreichischen Staatsmännern zu ihrem eigenen Leidwesen klar,
daß der Deutsche Zollverein mit der gewaltigen Entwicklung der gesamten
volkswirtschaftlichen Tätigkeit, die er erzielt hatte, in der Hand
Preußens einen furchtbaren Hebel bilde, der die Suprematie
Österreichs ernstlich zu erschüttern vermöge, und daß
daher für letztere eine dringende Notwendigkeit gegeben sei, seine
bisherige abgeschlossene und abwartende Stellung zum Zollvereine zu
ändern. Die erste Vorbedingung hiezu aber war unverkennbar eine
durchgreifende Reform des österreichischen
Prohibitiv-Protektionssystems." Trotz dieser Überzeugung Metternichs und
der Versuche des letzteren, auch Kaiser Franz diese Tatsache klarzulegen, wurde
damals in den vierziger Jahren das Prohibitivsystem Österreichs dennoch
nicht revidiert. So hat Kaiser Franz am 9. April 1844 diesen Abbau der
Zollmauern abgelehnt, obwohl nach Ansicht des Vizepräsidenten der
Hofkammer von Breyer wie auch der österreichischen Finanzverwaltung5 der Anschluß an den Zollverein
für die Mehrzahl der Produkte als kein Wagnis anzusehen sei und nur
für einzelne wenige Artikel die fremde Superiorität des Zollvereines
einen etwas wirksameren Schutz für die gleichartigen einheimischen
Erzeugnisse bedinge. Eine Anknüpfung enger
Handels- [26] beziehungen mit dem
Deutschen Zollverein wurde auch auf der Staatskonferenz vom
17. November 1841 ins Auge gefaßt, an der Metternich, Kolowrat,
Kübeck und Hartig teilnahmen.
Wenn die Anschlußbestrebungen der österreichischen
Staatsmänner in den vierziger Jahren erfolglos geblieben sind, so ist
außer dem Widerstande des Kaisers Franz noch ein anderer Grund mit
maßgebend gewesen. Es war dies die ablehnende Haltung Ungarns
gegenüber dem Anschluß an den Zollverein. Hatte doch damals im
Magyarenreiche der nationale Gedanke Einzug gehalten unter dem bekannten
Vorkämpfer für Ungarns wirtschaftliche und politische Einheit,
Freiherrn von Kossuth. Nach dessen Ansicht war gleich den Ideen Lists die
wirtschaftliche Selbständigkeit die Vorstufe zum ungarischen
Nationalstaate. So trachtete er, die gewerbliche und industrielle Produktion
Ungarns möglichst unabhängig von Österreich zu machen und
sträubte sich daher auch gegen den Anschluß
Österreich-Ungarns an den Deutschen Zollverein. Nun war aber bei der
engen wirtschaftlichen Verflechtung Österreichs mit Ungarn die
Zustimmung Ungarns eine notwendige Voraussetzung für den Eintritt in
den Deutschen Zollverein. Zu dieser Erkenntnis ist in den vierziger Jahren auch
Friedrich List gekommen, der bisher in seinem Zollvereinsblatte und seinem
Nationalen System der politischen Ökonomie bloß für
einen Zollverein aller Staaten des Deutschen Bundes eingetreten war. Sein
ursprüngliches Projekt eines großdeutschen Zollvereines verwandelte
sich seit Mitte des Jahres 1843 in ein mitteleuropäisches. Er fährt
selbst nach Budapest und hält dort Vorträge, die mit Begeisterung
von den Magyaren aufgenommen wurden. Und in seinem Zollvereinsblatte vom
Jahre 1843 weist er darauf hin, daß das Fallen der Zollinie zwischen
Österreich und Ungarn eine Voraussetzung für den Eintritt
Österreichs in den Zollverein sei.
Noch einmal jedoch ist der Gedanke eines großdeutschen Zollvereines in
den vierziger Jahren eifrig erörtert worden. Es war dies im Jahre 1848, dem
denkwürdigen Jahre der Tagung der konstituierenden
Nationalversammlung in Frankfurt am Main. Wohl hatte es sich damals in erster
Linie um staatsrechtliche Fragen gehandelt. Nichtsdestoweniger sind auch die
zollpolitischen Fragen in Erörterung gezogen worden. So enthielt die
Verfassung im § 33 die Bestimmung: "Das Deutsche Reich soll ein
Zoll- und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze mit
Wegfall der Binnenzölle." Und bei den beiden Projekten, die damals
für die Einbeziehung
Öster- [27] reichs vorlagen, wurde
auch das Verhältnis der Zollunion behandelt. So traten die Verfechter der
Zolleinigung für das Projekt des rein deutschen Nationalstaates ein, das zur
Voraussetzung die staatsrechtliche und wirtschaftliche Teilung der
österreichischen Länder hatte. Denn nach § 2 der von
Dalman ausgearbeiteten Vorlage durfte kein Teil des Deutschen Reiches mit
nichtdeutschen Ländern zu einem Staate vereinigt werden. Wenn nun auch
die wirtschaftliche Trennung der deutschen Länder Österreichs von
den nichtdeutschen Staaten außerordentlich schwer gewesen wäre, da
damals bereits die vollständige wirtschaftliche Einheit der Monarchie
hergestellt war, so zogen dennoch die Zollunionsanhänger dieses Projekt
dem zweiten vorliegenden Plane vor, der dahin ging, daß Österreich
bei Erhaltung seiner Integrität ein dauerndes völkerrechtliches
Bündnis mit dem Deutschen Reiche eingehe.6
Die Zollunionsvorkämpfer der Frankfurter Nationalversammlung wurden
durch eine einmütige Anschlußerklärung der
gesamten österreichischen Eisenindustrie vom Jahre 1848
unterstützt.7 Diese forderte die Bildung eines
einheitlichen deutschen Wirtschaftsgebietes als natürliche Ergänzung
des Einheitsstaates und als einzige Hilfe für die damaligen
Absatzschwierigkeiten der österreichischen Eisenindustrie. Trotz dieser
warmen Befürwortung der Zollunionsidee war diese damals nicht
realisierbar, da eine wirtschaftliche Zweiteilung Österreichs auf zu
großen Widerstand gestoßen ist.
In der Erkenntnis dieser Schwierigkeiten hat dann auch der größte
Repräsentant der Zollunionsidee auf österreichischer Seite, der
[28] Rheinländer
Freiherr von Bruck, das Projekt eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses der
gesamten Donaumonarchie mit dem Deutschen Zollverein propagiert. Dieser
größte österreichische
Finanz- und Handelsminister trat damit in die Fußstapfen Lists der vierziger
Jahre. Bruck löste List ab, der im Jahre 1846 aus Gram über die
mangelnden Erfolge seiner großen Bestrebungen sich in Kufstein an der
österreichisch-deutschen Zollgrenze das Leben genommen hatte. Es ist
sicherlich vom Schicksal nicht ungewollt, daß List heute an der
österreichisch-deutschen Grenze begraben liegt, und uns damit ein
dauerndes Wahrzeichen gibt, die Grenzpfähle zum Fallen zu bringen. Auch
das Schicksal des wesensverwandten Bruck ist ein ähnliches wie das Lists
gewesen. Auch er hat sich das Leben genommen, weil man ihn als
Mitbeschuldigten der verbrecherisch vorgegangenen Unterschleife des Krieges
vom Jahre 1859 verdächtigte.
Wenn nun Freiherr von Bruck für ein wirtschaftliches Mitteleuropa eintrat,
so hat er doch hiebei vor allem den großen Vorteil der Stärkung des
deutschen Elementes in Österreich und der Kräftigung der deutschen
Bildung und Kultur ins Auge gefaßt. In seinen Denkschriften8 hat Bruck mehrfach darauf
hingewiesen. Diese Denkschriften wie der Entwurf über die
österreichisch-deutsche Zollvereinigung haben dann auch die Industriellen
auf den Plan gerufen und eine Reihe von Kundgebungen ausgelöst. Die
Vorarlberger Baumwollfabrikanten, die Tiroler Seidenwarenerzeuger, der Linzer
Verein zur Unterstützung und Förderung von Industrie und Gewerbe,
die Kärntner Roheisengewerke, die oberösterreichischen
Eisenindustriellen begrüßten die
österreichisch-deutsche Zollvereinigung. Aber auch die [29] Landwirte in den
Alpengebieten waren mit den Vorschlägen Brucks zufrieden.
Wenn Bruck einen mitteleuropäischen Wirtschaftsblock erstrebte, so hat
ihn hiezu auch seine vorherige Praxis bewogen. Als Schöpfer und ersten
Direktor des österreichischen Lloyd in Triest schien ihm auch die
Einbeziehung Triests und der Küstenländer in den Zollverband eine
Notwendigkeit. Er träumte wie List von einem einheitlichen
Wirtschaftsgebiet von der
Nord- und Ostsee bis an die Adria. Aber auch die italienischen Provinzen hat
Bruck nicht missen wollen, da er doch kurz vorher Modena und Parma zum
Versprechen einer Zolleinigung mit Österreich veranlaßt gehabt
hat.
Doch seine Pläne konnten wegen des Widerstandes Preußens,
insbesondere wegen der ablehnenden Haltung des preußischen
Handelsministers Rudolf von Delbrück, nicht verwirklicht werden. Schlug
doch Preußen auf der Kasseler Konferenz die Erhöhung der
Einfuhrzölle für verschiedene Artikel vor, die speziell aus dem
Kaiserstaate bezogen wurden. Dies bezeichnete Bruck als gegen Österreich
feindselig und teilweise sogar vertragswidrig. Trotzdem war Bruck gleichzeitig
geneigt, den Berliner Kreisen politische Zugeständnisse zu machen, und in
keinem Falle wollte er der deutschen Union unter Preußens Führung
entgegentreten. Übrigens hat auch Friedrich List, der noch in den zwanziger
Jahren Österreich die Initiative für die Zolleinigung überlassen
wollte, auf Grund der Enttäuschungen, die er von letzterem erlebte, die
Führerrolle Preußens in der Zolleinigung anerkannt und die
Verdienste Preußens hervorgehoben. Auch verteidigte List in seinem
Zollvereinsblatte Preußen gegen verschiedene Angriffe. Das, was sich
jedoch das preußische Handelsministerium Österreich
gegenüber in den fünfziger Jahren leistete, hätte aber
sicherlich nicht die Sympathien Lists erweckt. Um bei diesem Widerstande den
Zollunionsplan in die Tat umzusetzen, beschloß nun Bruck, die
mittel- und süddeutschen Staaten zu gewinnen. Dieser Plan schien
Aussichten zu haben, da letztere ebenso wie Österreich
schutzzöllnerisch eingestellt waren und gerade infolge des
handelspolitischen Gegensatzes zu dem freihändlerischen Norddeutschland
ein
Vier-Königs-Bündnis geschlossen hatten. Bruck versprach den
mittel- und süddeutschen Staaten sogar, mit ihnen in einen neuen
Zollverband zu treten, wenn Preußen den Zollverein kündigen sollte.
Durch diesen Druck auf Preußen konnte Bruck doch wenigstens einen
Teilerfolg erzielen. Wohl waren die Ergebnisse der Olmützer [30] Unterredung vom
26. November 1850, wie der Dresdner Konferenz vom
23. Dezember 1850 bis 15. Mai 1851 wie auch der Zollkonferenz
von Wiesbaden noch mehr oder minder resultatlos. Aber schließlich konnte
doch am 20. Februar 1853 der
österreichisch-preußische Handelsvertrag unterzeichnet werden, in
dem sich Preußen und Österreich die größten
Konzessionen gewährten, die sie sich jemals zugestanden haben.9 Immerhin blieb der Handelsvertrag
doch weit hinter den Forderungen Brucks zurück. Bruck erstrebte die
völlige wirtschaftliche Verschmelzung
Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Zollverein innerhalb von
zwölf Jahren. Auch im Handelsvertrage vom Jahre 1853 finden wir diese
zwölfjährige Frist, aber sie bezog sich nur auf die Dauer des
Vertrages in dem Sinne, daß im Jahre 1865 Kommissionen zusammentreten
sollten, um über die vollkommene Zusammenlegung der beiden
kontrahierenden Teile oder, falls dies nicht möglich, über
weitgehende Verkehrserleichterungen und gleichzeitige
Zolltariferhöhungen zu verhandeln. Der Handelsvertrag kann sogar als
Musterbeispiel für einen zukünftigen
österreichisch-deutschen Handelsvertrag betrachtet werden.
Leider hat der freihändlerische Handelsvertrag des Deutschen Zollvereines
mit Frankreich vom Jahre 1862 diesen Bestrebungen ein Ende gemacht. Dieser
Handelsvertrag wie auch die übrigen freihändlerischen
westeuropäischen Handelsverträge haben Österreich den
Eintritt in den Zollverein gesperrt. Die österreichische Industrie war damals
zu schwach, um den Kampf mit der französischen, belgischen und
englischen Industrie aufzunehmen. Österreich war ja kein exportierendes
Agrarkulturland wie das Reich. Überdies stand es um die Staatsfinanzen
Österreichs damals herzlich schlecht. Dabei setzte Österreich alle
Hebel in Bewegung, um den
deutsch-französischen Handels- [31] vertrag zu hintertreiben.
Es erbot sich, sämtliche Einrichtungen des Zollvereines und seine zur Zeit
bestehenden Tarife, Gesetze und Vorschriften für das gesamte Zollgebiet
der habsburgischen Monarchie anzunehmen. Preußen lehnte dieses Angebot
mit dem Hinweis ab, daß der Zollvereinsvertrag revisionsbedürftig
sei und vor der bestehenden Erneuerung des Zollvereines eine grundlegende
Umgestaltung desselben erfolgen müsse. Doch war dies nur ein Vorwand.
In der Tat trug die Schuld an diesem für Österreich so
ungünstigen Handelsvertrage der damalige Leiter der preußischen
Handelspolitik, der freihändlerisch gesinnte Rudolf von Delbrück,
der seit dem Jahre 1849 dauernd gegen eine
österreichisch-deutsche Zolleinigung arbeitete. Als im Jahre 1855 eine
Erneuerung des
deutsch-österreichischen Handelsvertrages von Bismarck erwogen wurde,
vermochte Delbrück, unterstützt vom Handelsminister
Bodelschwingh und vom Grafen Itzenplitz, den König Wilhelm dahin zu
bewegen, den Vorschlag des österreichischen Grafen Rechberg abzulehnen
und die Zolleinigungsverhandlung abzubrechen. Nichtsdestoweniger ist
König Wilhelm doch immerhin ein Freund eines möglichst
weitgehenden Handelsvertrages geblieben. Hat er doch bei der Eröffnung
des Zollparlaments im Jahre 1868 darauf hingewiesen, daß der
deutsch-österreichische Handelsvertrag Anknüpfungspunkte zur
weiteren Fortbildung biete. Auch Bismarck hat lebhaft im Jahre 1852 einen
weitgehenden Handelsvertrag mit Deutschland in Wien befürwortet, so
schwierig ihm damals auch der Abschluß einer Zollunion schien. Trotzdem
hatte
Bismarck – wie er in seinen Gedanken und Erinnerungen
erzählt – keinerlei Bedenken, dem Grafen Rechberg den
gewünschten Dienst zu erweisen. Allerdings schien ihm die
Durchführung einer Zollunion deshalb schwierig, weil die deutsche Frage
in Österreich im Sinn einer reinlichen Scheidung noch ungelöst war.
Außerdem war ein schwerwiegender Gegensatz von Lebensgewohnheiten
und Konsumption zwischen den östlichen Ländern
Österreich-Ungarns (insbesondere Galizien und der tschechischen Gebiete)
und den fortgeschritteneren Ländern Deutschlands festzustellen. Und
schließlich hat auch die ewige Meistbegünstigungsklausel
Deutschlands gegenüber Frankreich vom Jahre 1862 respektive von 1871
(Artikel 2 des Frankfurter
Friedensvertrages) Bismarck Schwierigkeiten
für eine
deutsch-österreichische Zollunion bereitet, obwohl ausdrücklich in
dem deutsch-französischen Handelsvertrage eine Zollunion mit Österreich
von der Meistbegünstigungsklausel ausgeschlossen war. Aber die
all- [32] mähliche
Durchführung einer
Zollunion – und nur an eine solche dachte
Bismarck – war durch die Meistbegünstigungsklausel sehr erschwert.
Aus allen diesen Gründen bezeichnete Bismarck die Zollunionsfrage in
einem Briefe an den Prinzen von Preußen vom 25. Juli 1865 als eine
offene Frage.
Auf österreichischer Seite jedoch wurden in den sechziger Jahren bis zu
dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bunde große Anstrengungen
gemacht, um die im Handelsvertrage vom Jahre 1853 vorgesehene Zolleinigung
zu realisieren. Die österreichische Regierung arbeitete ein
diesbezügliches Projekt im Jahre 1863 gleichzeitig mit dem
verfassungsrechtlichen Plan aus, der eine Gleichberechtigung Österreichs
und Preußens vorsah. Der Verfasser dieser Projekte war der
Ministerpräsident Heinrich von Schmerling, der auch am Frankfurter
Fürstentage vom 18. August 1863 für die Aufnahme
Österreichs in den Deutschen Zollverein eintrat und ein gemeinsames
Münz-, Maß- und Gewichtssystem einführen wollte. Aber auch Kaiser Franz Joseph hat sich auf dem Frankfurter Fürstentage für den
Anschluß Österreichs an Deutschland ausgesprochen, nachdem er
schon ein Jahr zuvor anläßlich des
deutsch-französischen Freihandelsvertrages dem Vorsitzenden des
Juristentages gegenüber seinen entschiedenen Wunsch für den
innigsten Anschluß an Deutschland geäußert hatte. Die
Anschlußfreundlichkeit der damaligen
Außen- und Innenpolitik Österreichs geht auch aus dem Antrage des
Abgeordneten Giskras für eine
deutsch-österreichische Zolleinigung im österreichischen Parlamente
hervor, der von 112 Abgeordneten mitunterzeichnet war. Die
Wirtschaftsorganisationen Niederösterreichs nahmen gleichfalls in einem
Gutachten im Jahre 1863 zu dem Zollunionsprojekte Stellung, wobei zwei Drittel
sich für dasselbe erklärten.
Erst Königgrätz hat den großdeutschen Plänen
Deutschösterreichs ein Ende gemacht. Klar kommt dies in der
Kündigung des deutschen Münzvertrages von seiten
Österreichs im Jahre 1867 zutage. Österreich trat nunmehr der
lateinischen Münzunion in dem Präliminarvertrage mit Frankreich
am 31. Juli 1867 bei. Allerdings gab es trotzdem auch dann noch in
Österreich einige begeisterte Vorkämpfer für die Zollunion.
Zu diesen wenigen gehörten insbesondere die Abgeordneten Mayer und
Dr. Kaiser.
Nach der Begründung des Deutschen Reiches war es Bismarck, der eine
wirtschaftliche Annäherung erstrebte. Bereits im Jahre 1878 [33] beabsichtigte er eine
Differenzialbegünstigung
Österreich-Ungarns durch Deutschland, die jedoch an der
Meistbegünstigungsklausel des Handelsvertrages mit Frankreich scheiterte.
Auch das Bündnis vom Jahre 1879 wollte Bismarck auf das
handelspolitische Gebiet erstreckt haben. Diese Tatsache erhellt aus einer von ihm
am 14. März 1887 im Reichstag gehaltenen Rede,10 wie auch aus einer Antwort, die
Bismarck auf die ihm am 5. März des Jahres 1880 von dem
Reichstagsabgeordneten Guido von Baußnern ausgearbeiteten Denkschrift
über die
deutsch-österreichische Zollunion gab.11
Auf österreichischer Seite wäre als Zollunionsvorkämpfer in
den achtziger Jahren Otto von Schönerer hervorzuheben, der im Reichsrate
für die Zolleinigung eintrat. Doch hatte Schönerer einen schweren
Kampf auszufechten, da nicht bloß die slawophile Regierung Taffe, sondern
auch Anhänger seiner Richtung, wie der Rechtsanwalt Dr. Pattei, aus
kleinlichen Bezirksinteressen gegen die Handelseinigung ankämpften.
Eine Zollunion wurde zwar in den folgenden Jahren nicht hergestellt, wohl aber
schloß im Jahre 1892, als sämtliche deutschen Handelsverträge
mit dem Ausland abliefen, Deutschland zuerst wieder einen Handelsvertrag mit
Österreich-Ungarn auf Grundlage der Meistbegünstigung. Der hiebei
vereinbarte Tarif diente dann sowohl in Österreich wie in Deutschland als
Basis beim Abschlusse mit anderen Staaten. Ja, Deutschland und
Österreich-Ungarn kamen sogar überein, die
Handelsvertragsverhandlungen mit dritten Staaten gemeinsam zu
führen. So war dies gegenüber Bulgarien und der Schweiz der
Fall.
[34] Die Zollunionsidee fand
dann insbesondere im Weltkriege eine Belebung, wo das gemeinsam geflossene
Blut den Gedanken an eine noch engere Verkettung auch auf wirtschaftlichem
Gebiete aufkommen ließ. Eine Reihe von nationalökonomischen
Persönlichkeiten beschäftigte sich damals sehr eingehend mit dieser
Frage. Gewöhnlich waren sie, von einigen Ausnahmen abgesehen, durchaus
einig in ihren Bestrebungen, nur in der Kardinalfrage, ob Zollbund oder
Vorzugszölle, divergierten die Meinungen. Es fanden aber damals auch
offizielle Kundgebungen von führenden wirtschaftlichen
Interessenorganisationen statt. Am ersten und am klarsten hat die im
Reichshandwerkerrat vertretene deutsche Handwerkerschaft Österreichs
unter der Führung des Kommerzialrates Kandl sich aus wirtschaftlichen,
politischen und völkischen Gründen für das engste
wirtschaftliche Bündnis mit dem Deutschen Reiche ausgesprochen. Und
der Niederösterreichische Gewerbeverein, der bereits in den Jahren 1852
und 1863 für die Zollunion warm eingetreten war, richtete in der ersten
Sitzung des Winterhalbjahres 1914/15 eine Denkschrift an die befreundeten
wirtschaftlichen Körperschaften des Deutschen Reiches, in welcher der
damaligen gemeinsamen Interessen aller Wirtschaftskreise beider Reiche gedacht
wurde. Des weiteren sprachen sich der Bund österreichischer Industrieller,
der Industriellenklub und der Mitteleuropäische Wirtschaftsverein
für einen Wirtschaftsbund mit gemeinsamer Handelspolitik nach
außen aus. Allein von der Sektion Wien des Bundes der
österreichischen Industriellen gaben nicht weniger als 850 Industrielle ihre
Ansichten zur Zollunionsfrage bekannt. Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen,
haben sich alle für eine wirtschaftliche Annäherung ausgesprochen.
Nur die österreichische Eisenindustrie sprach sich wegen der höheren
Herstellungskosten in Österreich damals gegen eine Zollunion aus.
Schwierigkeiten machte in jenen Tagen noch der Widerstand des
Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh, wie auch die ablehnende
Haltung Ungarns, das eine Zwischenzollinie gegenüber Österreich
und Deutschland forderte und sich hinsichtlich der autonomen Agrarzölle
mit Österreich nicht einigen konnte. Nichtsdestoweniger wurde bereits
damals ein Mantel zu einem gemeinsamen
deutsch-österreichischen Zolltarif, dem sogenannten Salzburger
Schema, fertiggestellt, der dem zukünftigen gemeinsamen Zolltarife
zugrunde gelegt werden sollte. Den Wünschen der verschiedenen
österreichischen Industrien wurde in der Weise Rechnung getragen,
daß die wirtschaftliche Annäherung in Form [35] eines
völkerrechtlichen Bündnisses (Zwischenzollunion und gemeinsame
Handelspolitik nach außen) bei den Salzburger Verhandlungen vom
9. Juli bis 12. Oktober 1918 beschlossen wurde. Für
ungefähr die Hälfte der österreichischen Zollpositionen
konnten Zwischenzölle aufrechterhalten werden; Deutschland dagegen
gewährte die vollständige Zollfreiheit. Hier hatte sich bloß die
Holzindustrie gegen eine Zollunion ausgesprochen. Leider konnten die
Früchte dieser wertvollen Vereinbarung nicht mehr geerntet werden, denn
wenige Wochen vor der Vollendung des Vertrages erfolgte der Zusammenbruch.
Nichtsdestoweniger werden die damals gegebenen Richtlinien, die ja zum
großen Teil auch wieder an diejenigen Lists und Brucks sich anlehnen,
historisch immer wieder eine große Bedeutung besitzen, insbesondere
für die gegenwärtigen
österreichisch-deutschen Zollunionsverhandlungen eine wertvolle
Grundlage darstellen.
Heute sind alle die damaligen Schwierigkeiten und Hindernisse, die ewige
Meistbegünstigungsklausel12 des
deutsch-französischen Handelsvertrages, die dynastischen und ungarischen
Sonderinteressen, die internationale Zusammensetzung des österreichischen
Wirtschaftsgebietes, die Verschiedenheit der Zollsysteme und bis zu einem
gewissen Grad auch die Feindseligkeit der Regierungen weggefallen. Der Weg ist
offen für eine Eingliederung Deutschösterreichs in den "Deutschen
Zollverband".
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