Unter der Schutzherrschaft der Könige von
Polen.
Von 1454 - 1793. (Teil 5)
7. Die Alleinherrschaft der deutschen Literatur und
Dichtung in Danzig
Zur Frage der geistigen Beziehungen zwischen Danzig und Deutschland
gehört neben den Wissenschaften unzweifelhaft auch die Erörterung
der Beziehungen zwischen beiden auf dem Gebiete der Literatur, der
Dichtkunst und des Theaters, welchen Fragen wir auch hier unsere
Aufmerksamkeit kurz schenken müssen, ohne dies recht vielseitige Thema
erschöpfend erörtern zu wollen. Daß nach dieser
Be- [215] ziehung enge
Verbindungen bestanden haben müssen, ergibt sich zum Teil schon aus
dem, was wir über die Lehrer an dem akademischen Gymnasium und an
den anderen Danziger höheren Schulen gesagt haben.
Die Wellen der geistigen Entwicklung haben von Deutschland her immer recht
kräftig nach Danzig hineingeschlagen, und auch in literarischer
Hinsicht nehmen wir hier die gleichen Strömungen wahr, denen wir dort
begegnen, ja wir können ihren Gang im einzelnen sogar mitunter recht
genau verfolgen. Bei der Grundeinstellung der Danziger, deren Hauptinteresse
eben dem praktischen Sinn und dem Handel in erster Linie gewidmet war,
ist es natürlich, daß das literarische Leben hier nicht die Wellen
geschlagen hat, wie anderswo, und daß es immer nur einzelne sind, die hier
besonderes Interesse und besondere Verbindungen gezeigt haben. Bedingt wurde
diese gewisse Zurückhaltung zum Teil auch durch den Charakter der
Menschen, der schwerer ist als im Westen und Süden, der an und für
sich zur poetischen Schöpfung weniger neigt. Der aufs Nüchterne,
Praktische gerichtete Sinn der Danziger brachte es mit sich, daß allen
Fragen literarischer und
poetisch-künstlerischer Natur nur so nebenher Aufmerksamkeit geschenkt
wurde, daß für sie hier im allgemeinen gerade kein sehr
günstiger Boden war. Das gilt wie für die Wissenschaften so auch
für die literarischen Fragen überhaupt. Dazu kam, daß durch
die systematische Polonisierung der Gebiete westlich von Danzig doch eine
gewisse Scheidewand errichtet war, wenn diese damals sicherlich auch nicht so
schwer und so trennend empfunden worden ist, wie wir heute den
Weichselkorridor
tagtäglich fühlen.
Aber doch hat auch hier am Weichselstrand die beflügelte Muse nimmer
vollkommen geschwiegen. Danzig, und mit ihm Elbing und Thorn, ging immer
wacker voran auch in der Dichtung. Kleidet sich diese zunächst auch
meistens noch in lateinisches Gewand, so pulst in ihr doch
deutsches Fühlen und Denken, das auch im
Volks- und Kirchenlied sowie in gesunder, humorvoller Spruchdichtung seinen
Ausdruck findet. Zwar sind es keine besonderen Leistungen, die hier die Dichtung
hervorbringt. In keiner Weise ist sie vergleichbar dem deutschen Westen und
Süden. Aber der Geist dessen, was hervorgebracht worden ist, ist
deutsch.
Wenn in Danzig im 15. und 16. Jahrhundert uns sehr wenig poetische Erzeugnisse
begegnen, so ist dies sehr erklärlich. Es war dies die Zeit des
Überganges, die Zeit der religiösen Kämpfe und Wirren nicht
nur hier in Danzig, sondern auch in Deutschland, wo die poetische Art des
[216] Geisteslebens auch sozusagen völlig
brach lag. Die Zeit der Hochblüte der deutschen Dichtung des Mittelalters
war vorbei, sie fehlt dem deutschen Osten vollständig, denn sie fällt
bekanntlich in jene Zeit, da hier im Osten erst die eigentliche Kolonisation vor
sich ging, also in eine Zeit, da man hier für derartige Dinge weder Zeit noch
Raum, noch Interesse haben konnte.
Die Dinge änderten sich bedeutend mit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts.
Um die Jahrhundertwende scheint der literarische Verkehr hier doch bereits recht
bedeutend gewesen zu sein, denn im Jahre 1595 gab es in Danzig nicht weniger
als zehn Buchhändler, und die erste öffentliche Buchdruckerei war
bereits im Jahre 1539 angelegt worden. Allerdings dürften die literarischen
Erzeugnisse weniger poetischen als theologischen Inhalts und ein Niederschlag
der deutschen Reformationsbewegung gewesen sein.
Aber eine Dichtungsart scheint doch im Vordergrunde gestanden zu haben. Die
bewegten, an wechselvollen Ereignissen reichen Zeitläufte des 16.
Jahrhunderts boten dem historischen Volkslied zahlreiche Anregungen.
Eine reiche Fülle politischer Lieder begegnet uns an der ganzen
deutschen Ostseeküste, auch in Danzig. Vor allem ist es die Danziger
Geschichte dieser Zeit, die sich in einer Anzahl solcher Gedichte poetisch
widerspiegelt. Auch Verse auf die gewalttätigen Angriffe der Polen auf die
Rechte der westpreußischen Stände und besonders Danzigs, sind uns
erhalten. Schon der Anschlag auf Westpreußen und die Vorgänge auf
dem Lubliner Reichstag im Jahre 1559 riefen das politische Lied auf den
Plan:
"Solich weszen kan nicht lange bestan
Als jetzt die Polen fangen an.
Brechen freiheit, recht und nehmen
Das gutt, auch sich nicht schemen.
Das gilt bey inen alles erhelt.
-----------
Und kan soch weszen nit lange stehen,
Oder die welt musz untergehen."
Es klingt geradezu modern, wenn wir folgende Verse lesen:
"Sulches (böse Zeit) erreget sich wider itzt aufs
neu
Durch großen neidt vnd schnöde untreu,
Mit dem uns die Polen sezten zu,
Achten nicht mehr der Preußen nu"
u. s. w.
[217] In dieser Zeit der politischen Kämpfe
entstand neben vielen andern auch das schneidige Kampflied eines
städtischen "Reutherjungen", der "Polnisch Verstand", ein in
nieder- und hochdeutscher Mundart weit verbreitetes Gedicht, das
folgendermaßen beginnt:
"Zu Dantzig in dem Thore,
da ligen fünff hündelein (Geschütze),
sie bellen alle Morgen
vnnd lassen kein Polen ein.
Desgleichen auff dem Walle,
Da sind der Vogel vil,
sie singen süß und sawre,
danach mans haben vil.
Ade, ade, je Polen!
Dis Lied sey euch gemacht.
Der Teuffel soll euch holen
in einem Leddern sack!
Das er euch nicht vorzittel
vnter wegen in nobis krugk
er blew euch vol den rücken
vnd halt euch in guter hut!"
Mit der Belagerung Danzigs durch Stephan Bathory im Jahre 1577 erreichte dann
der Gegensatz zwischen Danzig und Polen seinen Höhepunkt. Damals war
es, als Hans Hasentöder, der gelehrte Danziger Stadtschreiber und
Humanist, der seine Treue zu der frei gewählten Heimat in zahlreichen
dichterischen Ergüssen bekundet hat, sein Streitlied erklingen
ließ:
"O Dantzig halt dich feste,
Du weltberümbte Statt
Betrachte itzund deine Beste
Und geh nicht lang zu Rath,
Mit vielem Cotrahieren
Wird es nicht werden gut
Der Feind will dich vexieren
Und faß eines Mannes Mut.
Dem Feind thu widerstreben,
Laß dich nicht weiter ein.
Thustu dich ihm ergeben,
So wirds dir bringen Pein.
Und wirst du wol erfahren,
[218] Wenn du halb Türkisch bist,*
Dafür wüll dich bewaren,
Zu vielen tausend Jaren
Der lieb Herr Jesus Christ."
Auch im Danziger Drama hat diese stürmische, besonders polenfeindliche
Zeit ihren Nachhall gefunden in den in ihm auftretenden komischen polnischen
Personen.
Nicht minder vertreten sind in dieser Zeit die Volksweisheit und der Volkshumor
in der deutschen Spruchdichtung, die von Mund zu Mund ging. In ihr
sprudelt gesunder, kerniger, herzfrischer, mitunter auch recht derber Humor. Wie
sonst in deutschen Landen, nimmt diese Spruchdichtung ihren Stoff aus allen
menschlichen Lebenslagen, und man kann nicht gerade sagen, ob sie hier
entstanden oder
aber - was mindestens zum erheblichen Teil zutreffen
dürfte - aus deutschen Landen hierher gekommen ist. Genug, sie ist
da und recht reichlich vertreten. Da tritt uns der zechfrohe Geselle mit leerem
Beutel im Wirtshaus folgendermaßen entgegen:
"O wie ich lachte,
Da mir der wirdt bier brachte!
O wie ich sangk!
Da ich bier trangk,
O wie ich fluchte,
Da ich geldt suchte!
O wie ich mich kram,
Da mir der Wirdt den mantel nam!"
Ein nicht geringer Frauen-, Herzens- und Männerkenner scheint der
Verfasser folgender Verse gewesen zu sein:
"Ein turteltaube beim raben,
Ein mägdtlein beim jungen knaben,
Die sein gewiß so wol behüt,
Als wen man schaffe zum wolffe thut."
Oder:
"Es ist allzeit der Jungfrau sit,
Bit man sie darumb, so sagen sie 'nit',
Sie sagen zwar mit dem munde nein,
Das Herz spricht: Mochts itzt Hochzeit sein!"
[219] Nicht minder häufig begegnet uns in
reicher Fülle und Mannigfaltigkeit diese Spruchdichtung in den
Bruderbüchern der Banken des Artushofs, bald lateinisch, zumeist aber
deutsch, mitunter trägt sich auch ein ausländischer Gast in seiner
Muttersprache ein. Nur wenige möchte ich anführen:
1589: |
"Halt dich rein, sey gern allein, mach dich nicht zu gemein." |
1607: |
"Distlen und Dornen stechen sehr,
Falsche Zungen noch viel mehr,
Noch will ich lieber in Distlen und Dornen baden
Alss midtt falschen Zungen sein beladen." |
1602: |
"Im unglück habe einen lewen mhutt,
Vertrawe gott, es wirdt woll wider gutt!" |
1597: |
"Ehrlich gelebt und selig gestorben
Is hie auf Erd genug erworben." |
1622: |
"Golt, Adams Ripp und Rebensaft,
Die drei geben Leben, Ehren und Kraft." |
1616: |
"Lieb und Huld
Hat mich gebracht in manche Schuld." |
1609: |
"Großen Herren und schönen Jungfrauen
Soll man gerne dienen, aber selten trauen." |
Geradezu ungezählt sind solche, zum Teil auch recht derbe und
anzügliche poetische Ergüsse.
Daß auch nach manch anderer Richtung der Geist der deutschen Poesie im
16. Jahrhundert nicht ganz an Danzig vorübergegangen ist, darauf lassen
gewisse, wenn auch nur ganz schwache, von außen hereingetragene
Nachwirkungen des Nürnberger Schuhmacherpoeten Hans Sachs
schließen, was unzweifelhaft auf gewisse Danziger Beziehungen zu
Süddeutschland hinweist. Unter den Danziger Handwerkern, insbesondere
unter den Kürschnern, finden wir83 auch ausübende Freunde der
Dichtkunst. Sie schlossen sich zu einer deutschen
Meistersingerschule zusammen, die freilich nur einmal, im Jahre 1597,
durch einen Straßburger Meistersinger erwähnt wird. Ihre
Seele war wohl der im Jahre 1585 aus Augsburg hier eingewanderte
Kürschner Hans Bantzer, von dem verschiedene Meisterlieder
bekannt sind.
In ein ganz anderes Stadium tritt bei uns die Dichtung im 17. Jahrhundert, in dem
Danzig wirtschaftlich seine zweite Blütezeit erlebte und wo es
wissenschaftlich bestrebt war, den übrigen deutschen Gebieten nicht
nachzustehen. In dieser Zeit finden wir in Deutschland wieder ein
allmähliches
Auf- [220] steigen der literarischen Erzeugnisse, und der
Einfluß auf Danzig ist unverkennbar. Trotz der
schwedisch-polnischen Kriege, trotz der Pesten, trotz heftiger stadtpolitischer und
religiöser Unruhen, bleibt das Leben der Stadt sehr rege. Danzig bildet nun
gleichsam einen Mittelpunkt der deutschen Renaissancedichtung, der Danziger
Dichterkreis besteht zum größten Teil aus eingewanderten deutschen
Stammesgenossen, meist aus Schlesiern. Schriftstellern ist nun hier das
Geschäft fast jedes Gelehrten, und man muß über die
außerordentlich fleißige literarische Tätigkeit staunen. Die
Poesie des 17. Jahrhunderts ist vor allem Gelehrtendichtung, und in Danzig gaben
sich zahlreiche bedeutende und die deutsche Poesie beeinflussende Dichter
zeitweise geradezu ein Stelldichein. Es war eine feine Kultur und dichterische
Atmosphäre, aus der später eine Gottschedin und ein Schopenhauer
hervorgehen konnten.
Fürst Ludwig von Anhalt war es gewesen, der auf Vorschlag des
thüringischen Ritters Kaspar von Teutlingen nach dem Vorbilde
italienischer Akademien, insbesondere in enger Anlehnung an die Academia della
Crusca in Florenz, einen Verein zu gründen beschlossen hatte, dessen
Mitglieder sich des Gebrauches der hochdeutschen Sprache ohne die damals so
beliebte Beimischung fremder Worte, der besten Ausdrucksform im Reden, der
reinsten Art im Schreiben und Reimdichten und außerdem eines
deutsch-ehrbaren und sittsamen Verkehrs befleißigen wollten. So entstand
im Jahre 1617 die Fruchtbringende Gesellschaft, die zu ihrem Symbol den
Palmenbaum erwählte und die trotz der kriegerischen Zeiten bis
zum Jahre 1629 bereits 200 Mitglieder zählte. Zwar ist vieles kraus und
übertrieben bei ihr, manches klingt uns heute abgeschmackt und
lächerlich, vieles ist übersteigert und ins Extreme gesetzt, auch fehlt
es ohne Zweifel an höheren selbständigen Schöpfungen. Aber
sie hat sich bei allem doch außerordentliche Verdienste erworben um die
Hochhaltung und Reinigung der deutschen Sprache, und sie
weckte erst wieder das Interesse und den Sinn für deutsche Dichtung
dadurch, daß sie teils klassische Werke fremder Nationen durch gute
Übersetzungen dem deutschen Volke zugänglich zu machen
suchte, teils indem sie die vorhandenen Schätze der heimischen Sprache
und Literatur sammelte, und schließlich, indem sie sich in
eigenen, wenn auch noch so ungeschickten und teilweise barbarischen
Dichtungen versuchte.
Einer der bedeutendsten, wenn nicht gar der größte der Männer
dieser Fruchtbringenden Gesellschaft war Martin Opitz von Boberfeld,
dem Danzig von 1630 bis zu seinem [221] plötzlichen Tode im Jahre 1639 seine
Pforten öffnete und der hier einen Ort fand, an dem sich seine Vielseitigkeit
besonders fruchtbringend erwies, an dem liebe, begeisterte Freunde und
Gönner sich um ihn scharten und sein Arbeiten segensreich
beeinflußten. Er, der gefeierte und gepriesene Dichter Deutschlands, war der
Mittelpunkt des literarischen und geselligen Lebens dieser Zeit, und auch sein
Vorgänger in der Poetik, Ernst Schwabe von der Heyde, hatte
bereits vor ihm (1616) eine Zeitlang in Danzigs Mauern geweilt. Opitz wurde bald
zum Mittelpunkt aller gelehrten und kunstliebenden Kreise Danzigs. Außer
mit seinem in Brieg geborenen Landsmann Bartholomäus Nigrinus,
der seit 1626 in Danzig war und seit 1631 calvinistischer Pastor bei St. Petri, und
außer mit anderen angesehenen Danziger Geistlichen stand er in engem
Verkehr mit den vornehmen Familien Danzigs, den Czierenberg, Schwarzwald,
Jaski, Proite, von Gehema, Jacobsohn, von der Linde, von Bodeck u. a. Er
erwarb sich durch sein Buch von der teutschen Poeterey (1624) den Ruhm des
Begründers der deutschen Renaissancedichtung. Er hatte bereits, ehe er
nach Danzig kam, mit Danziger Druckern Verbindungen angeknüpft, und
er war manchem Danziger bereits von früher her bekannt. Die Danziger
Jahre waren Opitzens glücklichsten, und seine Danziger Muße
widmete er besonders den Bestrebungen der "Fruchtbringenden Gesellschaft".
Außer einer wiederholten Herausgabe seiner Gedichte und außer
mannigfachen anderen poetischen Arbeiten, brachte er hier in Danzig die
Antigone des Sophokles in einer für jene Zeit immerhin guten
Übersetzung heraus, vollendete seine damals viel gelesene
Übersetzung der Psalmen, und er gab hier auch eines der
ältesten Denkmäler unserer altdeutschen Literatur, das
Annolied, heraus, das er, mit Anmerkungen versehen, seinem besonderen
Freunde und Gönner, dem Danziger Bürgermeister Czierenberg,
widmete.
Nicht minder hoch anzuschlagen als die eigenen Arbeiten von Martin Opitz sind
die poetischen Anregungen, die er damals allen nach dieser Seite hin
tätigen künstlerischen Kräften in Danzig gab. Danzig wurde so
ein Mittelpunkt junger dichterischer Bestrebungen, namentlich auch junger
Kräfte aus der engeren Heimat Opitzens. Auch eine Reihe junger Danziger
scharte sich um ihn, den dann leider die Pest am 20. August 1639 innerhalb
weniger Stunden aus ihrer Mitte riß. Doch sein Geist und seine Kraft
wirkten auch nach dem Tode fort. Eine Unzahl dichterischer Versuche sind in
dieser Zeit in Danzig zu verzeichnen. Es waren durchweg keine Glanzleistungen,
gar manche dieser poetischen Ergüsse sind sogar recht abgeschmackt, aber
das Verdienst ist ihnen [222] nicht abzusprechen, daß auch sie
entschiedene Arbeit bedeuteten an der Reinerhaltung der deutschen Sprache und
daß auch sie Dienst geworden sind am Deutschtum der Stadt Danzig.
Unter jenen, die sich besonders eng um den Dichter geschart und sich auch
dichterisch versucht haben, ist u. a. auch zu nennen die Tochter des
Bürgermeisters von Greifswald, Sibylla Schwarz, ein junges
Mädchen, das schon mit 20 Jahren starb.84 Der talentvollste Schüler von
Martin Opitz und derjenige, der seine Kunst zuerst nach Danzig brachte, war sein
treuer Landsmann und Bewunderer Johann Peter Tietz
(1619 - 1689), der im Jahre 1636 nach Danzig gekommen war. Er
war 1619 zu Liegnitz in Schlesien geboren, hatte durch Krieg und Pest seine
Eltern verloren, war nach kurzem Aufenthalt in Breslau im Jahre 1636 als
Siebzehnjähriger nach Danzig gekommen, wo er engsten Anschluß
an Opitz gefunden hatte. Die Frucht dieses Umganges waren zahlreiche poetische
Versuche, namentlich aber die von ihm 1642 herausgegebene Verskunst,
oder wie die Schrift eigentlich heißt: "Kunst hochdeutsche Verse und Lieder
zu machen", d. h. eine Theorie der Dichtungsarten, die ihm, als er sie drei
Jahre nach Opitzens Tode herausgab und in ihr Opitzens Vorschriften weiter
ausführte, einen über ganz Deutschland ausgebreiteten Ruf und in
Danzig eine mächtige Gönnerschaft einbrachte. Er war
Schüler des Danziger akademischen Gymnasiums und wurde, nachdem er
mit Unterstützung Danzigs seine Studien in Rostock beendet hatte, im
Jahre 1648 in den Dienst der Stadt Danzig gezogen, wo er siebenunddreißig
Jahre lang als Professor der Poesie und Humanität am akademischen
Gymnasium eine segensreiche Tätigkeit entfaltete. Außer Epen
schrieb Tietz eine große Anzahl deutscher und lateinischer Gedichte.
Groß ist die Zahl seiner geistlichen Lieder und seiner Gelegenheitsgedichte,
auch in der Epik sowie im Übersetzen hat er sich versucht. Sein Hauptwerk
ist die genannte Poetik. Tietz ist ein geschickter Schüler und Nachfolger
seines Meisters Opitz, sein Ansehen in ganz Norddeutschland war bedeutend, und
er hat zweifellos auf die Entwicklung der Poesie in Deutschland einen gewissen
Einfluß ausgeübt. Zu seinen zahlreichen Freunden zählte auch
der für die Poesie begeisterte Danziger Bürgermeister Adrian von
der Linde III., der nach dem Vorbilde der damals bestehenden
deutschen Dichtergesellschaften hier eine ähnliche unter dem Namen
"Weichselorden" stiften wollte.
Zu Opitzens und Tietzens engeren Freunden in Danzig gehörte auch ihr
Landsmann Hofmann von Hofmannswaldau [223] (1617-1679), das spätere Haupt der
zweiten schlesischen Dichterschule, der 1635 auf das akademische Gymnasium
nach Danzig gekommen war und auch den besonderen Schutz Opitzens gefunden
hatte, bei dem er eine Zeitlang fast täglich Gast war. Die lyrischen Gedichte
Hofmanns, die Benjamin Neukirch erst nach des Dichters Tode herausgab, sind
die ersten Früchte seines täglichen Umganges mit Opitz.
Tietz an Begabung und Vielseitigkeit überlegen war der temperamentvolle
Georg Greflinger (um
1600 - 1677), der Vermittler zwischen süddeutscher
Volks- und norddeutscher Kunstdichtung, der eine Zeitlang hier an der Weichsel
herumflirtete und dichtete. Er stammt aus dem
Regensburgischen - er selbst nennt sich gern
"Regensburger" - war Liedersänger, Journalist und Übersetzer,
ein begeisterter Lobsänger Danzigs, der hier in den Jahren
1639 - 1642 und 1644 bis 1646 seine Zelte aufgeschlagen hatte.
Seine Lieder haben schon zu seiner Zeit Anklang gefunden, und selbst in unseren
Tagen begegnet man noch ab und zu seinen Gedichten in neuem
Abdruck. - Er selbst war ein unruhiger Geist. 1643 ging er von Danzig nach
Drengfurt am Main, kehrte dann hierher zurück, ging im Oktober 1646
über Bremen nach Frankfurt a. M., 1648 nach Hamburg, wo er sich
als Notarius publicus caesareus niederließ und endlich einen
ständigen Wirkungskreis fand, in dem er auch etwa 1677 gestorben ist.
Johann Peter Tietz schließt sich auch Michael Albinus
(1610 - 1653) an, der im Jahre 1610 als Sohn des Predigers zu
Pröbbernau im Gebiete Danzigs geboren ist. Er wurde im Jahre
1633 Prediger zu Wossitz im Danziger Werder, und fünf Jahre
später Diakonus bei St. Katharinen in Danzig. Mit vier Jahren
verwaist, hatte sich seiner vom 10. Lebensjahre an Hövelke, der Vater des
berühmten Danziger Gelehrten und Astronomen, angenommen, der ihn
1628/29 dem später noch zu erwähnenden Plauen zur Erziehung
übergab. Von diesem wurde er auch in die Poesie eingeführt und
für dieselbe begeistert, durch ihn wurde er mit der Sonettdichtung bekannt
und versuchte in dieser Zeit auch selbst schon, seine Gedanken in poetische Form
zu kleiden. Seinen Studien hatte er außer in Danzig in Königsberg,
Stettin und Frankfurt a O. obgelegen. Albinus war eine dichterisch
fromm-schwärmerische Natur, er nimmt durch die Fülle seiner
poetischen Arbeiten nicht den letzten Platz unter den Danziger Poeten ein. "Auch
die Deutschen können erfolgreich wie Franzosen und Niederländer
Hervorragendes leisten, besonders, wenn es sich um heilige und himmlische
Sachen handelt", sagt er an einer Stelle seiner zwölf Danziger [224] Patriziern gewidmeten poetischen Schrift "Die
allerheiligste Empfängnis", und er selbst hat sich in seinen zahlreichen
Dichtungen bemüht, diese Behauptung bei sich wahr zu machen. Nach dem
Muster von Opitzens geistlichen Liedern versuchte auch er sich in dieser
Dichtungsart und fand bei seinen Zeitgenossen großen Anklang. Zahlreiche
poetische Andachtsbücher rühren von ihm her. Manch schönes
Kirchenlied ist seiner Muse entsprossen, er gehört zu den fruchtbarsten
Danziger Kirchenliederdichtern. Edel und geläutert ist der Geschmack in
seinen zahlreichen asketischen Poesien. Das im Danziger Staatsarchiv (300, 42
Nr. 136) aufbewahrte Verzeichnis der in Danzig erschienenen
Bücher zeigt, wie fruchtbar er schon zu Opitzens Zeit gewesen ist. Nicht
weniger als zehn größere poetische Werke von ihm sind allein aus
dem Jahre 1636 aufgeführt.
Ein anderer Freund Tietzens und ein auswärtiges Mitglied des
Königsberger Dichterkreises war der Schlesier (aus Glogau) Joachim
Pistorius von Hirtenberg
(1611 - 1681), Professor am akademischen Gymnasium zu Danzig,
der 1654 nach Danzig gekommen war. Er trat später zum Katholizismus
über und starb reich an Ehren in Frauenburg. In nahe Beziehungen zur
Danziger Dichterschule ist ein weiterer Schlesier, ein Bunzlauer wie Opitz,
getreten, der mit diesem und mit Tietz in enger freundschaftlicher Verbindung
stand, Andreas Tscherning
(1611 - 1659), nach Opitzens Tode ein Haupt der schlesischen
Dichterschule. Tscherning wirkte an der Universität Rostock und war weit
und breit geehrt. 1642 hatte er in Danzig geweilt. Ein weiterer Freund Tietzens
war Gottfried von Peschwitz
(1631 - 1693), der Verfasser eines "Teutschen Parnaß" (1663).
Von weiteren Dichtern nennen wir den bedeutenden Danziger Pädagogen
Dr. Johannes Maukisch
(1617 - 1669), einen geborenen Sachsen - in Bertelsdorf bei
Freiburg stand seine
Wiege -, der 1651 nach Danzig gekommen war als Professor an das
akademische Gymnasium und zugleich als Pastor der Trinitatiskirche. Eine
stattliche Reihe geistlicher Lieder, von denen eine größere Zahl auch
in die Gesangbücher aufgenommen worden sind und so weite Verbreitung
gefunden haben, entstammen seiner Feder, auch in der deutschen dramatischen
Dichtung hat er sich versucht und u. a. eine Weihnachtskomödie
geschrieben, die am 17. und 18. Januar 1669 auch am akademischen Gymnasium
aufgeführt
wurde. - Ein anderer, sehr fruchtbarer dichtender Sachse in Danzig war
Ludwig Knaust
(1620 - 1674), Mitglied des Elbschwanenordens. Er war Unterrichter
und Geschichtsschreiber der [225] Altstadt Danzig. Die Zahl seiner Gedichte ist
sehr groß, manche haben sogar mehrere Auflagen erlebt. Sein Landsmann
war Erasmus Rothmaler († 1662) aus Frankenhausen,
kaiserlich gekrönter Poet, der im Jahre 1642 als Prediger nach
Güttland im Bereiche unseres heutigen Freistaates Danzig gekommen war.
Ein weiteres Mitglied des Elbschwanenordens war Karl Taut
(1635 - 1725), ein geborener Danziger, der im Jahre 1698 als
Prediger nach Letzkau im Danziger Werder und 1705 in der gleichen Eigenschaft
nach Käsemark ebendaselbst kam. Der vorhin genannte Ludwig Knaust war
sein Pflegevater. - In den Kreis der damals in Danzig lebenden Dichter
gehörte auch der in Stettin geborene Peter Vogel, der die Danziger
Katharinenschule besucht und bei dem Pastor der Katharinenkirche, Walter
Magir, freundliche Aufnahme gefunden hatte. Bis zum Jahre 1663 blieb er in
Danzig, bis 1693 war er Pastor in Gotteswald, ging dann nach Wittenberg, wo er
ein gewaltsames Ende gefunden haben soll. Seine Gedichte zeigen starke
Anklänge an Albinus und Maukisch, nicht Ungeschicktheit im Reim, doch
leiden sie sehr stark unter zu großer Weitschweifigkeit.
Unabhängig von Opitz
und den bisher Genannten muß ein anderer
Danziger Dichter dieser Zeit, ein geborener Thüringer, genannt
werden, Johannes Plauen85 (oder auch Plavius), ein in der
Geschichte des deutschen Sonetts nicht unbedeutender Mann. Er ist
gewissermaßen der Prügelknabe aller Poeten des 17. Jahrhunderts,
namentlich der Opitzianer, geworden, die ihn erwähnen, wenn sie zeigen
wollen, wie man die Poesie nicht machen soll. Sie haßten ihn, weil
er nicht ein sklavischer Nachahmer ihres Meisters Opitz war. Aber gerade darin
liegt seine Stärke und Bedeutung. Er ist der erste Vorbote der gegen
Opitz hereinbrechenden italienisch-spanischen Reaktion in Deutschland. Sein
Bändchen Gedichte erschien im Jahre 1630, sie erinnern an Werder, an
Fleming, an Zesen und die Nürnberger, und Andreas Gryphius ist
durch ihn in Danzig und später beeinflußt worden. Eine wichtige
Rolle aber spielt Plauen besonders in der Geschichte des deutschen
Sonetts, denn er ist der erste Deutsche, der mit dieser südlichen Form
religiöse und moralische Stoffe verband. Besonders bedeutsam ist,
daß seine Sonette auf den jungen Andreas Gryphius nachhaltigen
Eindruck gemacht haben, als dieser als
18- und 19-jähriger Jüngling zwei Jahre lang das Danziger
akademische Gymnasium besuchte und hier mit Plauen näher bekannt
wurde. Er ließ drei Jahre nach seinem Weggange von Danzig im Jahre 1639
in Leyden ebenfalls einen Zyklus von hundert Sonetten religiösen Inhalts
drucken, in denen Plauen die würdigste Nachfolge gefunden [226] hat. Danzig ist für die Entwicklung von
Gryphius' Lyrik die Mitte seiner ersten Epoche gewesen, und auch dramatische
Anregungen für sein Schaffen hat er in der Hansestadt an der
Weichselmündung empfangen. Auch Kaspar Stieler aus Erfurt
(1632 - 1707), ein Landsmann Plauens, ist auf seiner vielbewegten
Lebensfahrt nach Danzig gekommen. Im Jahre 1649 war auch Georg Neumark
(1621 - 1681) aus Langensalza, der Dichter des Liedes "Wer nur den
lieben Gott läßt walten" poetischer Gast in Danzig. Er war über
Thorn hierher gekommen, hatte sich mit mehreren Verehrern Opitzens befreundet,
vor allem mit Tietz. Als weiterer in diesem Bunde ist der 1625 zu Schreibersdorf
in Schlesien geborene Jeremias Gerlick zu nennen, der in Wittenberg
studiert hatte. Ferner Samuel Gerlach aus Göpfingen in Schwaben,
ein bedeutender Danziger Theologe, der durch poetische und prosaische Schriften
den lutherischen Katechismus zu erklären suchte und auch eines der damals
üblichen Schwankbüchlein herausgab.
Nicht unbedeutend als Dichter ist der aus Thüringen stammende
Andreas Bythner, der 1615 zu Langensalza geboren war und in Danzig
eine neue Heimat gefunden hatte, wo er seit 1642 das Konrektorat der
Katharinenschule inne hatte, deren Rektor er 1644 wurde, welches Amt er bis zum
Jahre 1651 bekleidete, in welchem er als Pastor nach Käsemark im
Danziger Gebiet kam, wo er aber bereits am 14. August 1552 starb. Bythner
gehörte zu den gekrönten Poeten, er dichtete lateinisch und deutsch
und hat sich auch als religiöser Dichter in seinem "geistlichen Lustgarten"
versucht. Auch bei ihm tritt der Einfluß der Opitzianer, mit denen er enge
Freundschaft hielt, sehr deutlich in die Erscheinung.
In den gleichen Danziger Dichterkreis gehört auch Adam Bythner
aus Frankenstein in Schlesien, der Superintendant in Freistadt in Schlesien war,
von dort aber durch die Stürme des 30jährigen Krieges an den
Ostseestrand verschlagen wurde, wo sich ihm seit 1629 ein neuer Wirkungskreis
als Prediger in Weichselmünde auftat. Auch er gehört zu den
gekrönten Poeten und hat bei seinem Tode im Jahre 1643 zahlreiche
Gedichte in lateinischer und deutscher Sprache hinterlassen.
Im Jahre 1642 kam auch Abraham von Frankenberg, der
Gesinnungsgenosse, Freund und Biograph Jakob Boehmes, nach Danzig. Er war
am 24. Juni 1593 zu Ludwigsdorf bei Oels (Schlesien) geboren, hatte das
Gymnasium zu Brieg besucht, dann auf mehreren deutschen Universitäten
studiert. [227] Er lebte auf seinem Heimatgut, wo er sich
besonders mit den Schriften Taulers, Thomas v. Kempens, Weigels und
namentlich Jakob Boehmes beschäftigte, besonders mit dessen 1612
erschienenen "Aurora", durch die er in seiner mystischen Geistesrichtung noch
bestärkt wurde. Wegen theologischer Anfeindungen und um den
Kriegswirren zu entgehen, verließ er 1642 seine Heimat und kam nach
Danzig - hier besonders unterstützt von seinem Freunde Johann
Hevelius -, wo er bis 1649
blieb und sich besonders literarisch und dichterisch betätigte. Hier entstand
auch sein s. Zt. viel verbreitetes Lied: "Christi Tod ist Adams Leben". 1650 kehrte
er in seine Heimat zurück, wo er auch am 25. Juni 1652 gestorben ist.
In die Reihe der Danziger Dichter dieser Zeit gehört auch der am Ende des
16. Jahrhunderts in Danzig geborene Michael Brock,86 wenn sein dichterisches
Betätigungsfeld auch auf anderem Gebiete liegt. Wir begegnen ihm 1605
auf der Universität Leyden, 1611 tritt er als Sekretär in den Dienst
seiner Vaterstadt Danzig, welche Stelle er bis zu seinem Tode 1658 innehatte. Er
gehörte gleichfalls zu dem Kreise um Opitz. In dem Streit, den die Stadt
Danzig mit dem polnischen Könige um die sogenannte "Zulage"
führte,87 veröffentlichte er, offenbar auf
Veranlassung des Danziger Rats, die Denkschrift: "Information wegen der
Bürger Zulage in Dantzigk". Neben seinen politischen Schriften besitzt die
Danziger Stadtbibliothek zwei kleinere poetische Erzeugnisse von ihm,
Gelegenheitsgedichte. Bedeutsamer und unzweifelhaft ein Vorläufer des Klopstockschen
Messias, ist sein umfangreiches, ungedruckt gebliebenes
deutsches poetisches Werk der Lebensgeschichte Christi, das in einer
sauberen Handschrift vorliegt. Ein Werk von 494 Seiten, in Alexandrinern
abgefaßt, das etwa
1500 - 1600 Verse umfaßt und mit zahlreichen Kupfern
geschmückt ist. Also ein Danziger Messiadendichter.
So sehen wir während des ganzen 17. Jahrhunderts einen recht
ansehnlichen Kreis deutscher und auch überwiegend aus Deutschland
stammender Dichter hier in Danzig tätig, ihr Kreis wuchs ständig,
namentlich die Gelegenheitsgedichte nahmen geradezu überhand, so
daß sich der Danziger Rat im Jahre 1657 sogar gezwungen sah, dagegen
einzuschreiten und gewisse Bestimmungen zu erlassen über den Umfang
wie über ihren Druck.87a Wir sehen hier in Danzig in allem
sich die Vorgänge in anderen deutschen Städten widerspiegeln, und
die dichterisch schöpferischen Kräfte in Danzig standen in regem
Gedankenaustausch mit ihren Freunden in Deutschland. Es bleibt das Verdienst
dieser Danziger Dichter - wie verschie- [228] den auch der dichterische Wert ihrer
Erzeugnisse gewertet werden
mag - hier in Danzig, wo man unter der Oberherrschaft der polnischen
Könige und unter ständiger polnischer Bedrohung lebte, das
Deutschtum würdig vertreten zu haben. Durch die Herausgabe ihrer
zahlreichen Liedersammlungen, namentlich auch durch die geistlichen
Kirchenlieder und die praktische Anleitung zur Dichtkunst nimmt Danzig auch in
dieser sogenannten polnischen Zeit einen nicht unbedeutenden Platz im Rahmen
des gesamten deutschen Geisteslebens ein. Charakteristisch ist, daß auch in
dieser Zeit von irgendwelchem polnischem Einfluß oder von polnischen
Versuchen nichts zu spüren ist.
Auch im 18. Jahrhundert pflanzte sich die im Deutschen Reich entstehende
deutsche Literaturwelle nach unserem Osten fort, aus dem dann u. a. Kant und Herder
und Gottsched hervorgingen. Danzig hat
auch in dieser Zeit sein Teil. Der Danziger Chodowiecki
(1726 - 1801), ein völlig Eingedeutschter von polnischer
Abstammung, von Goethe lebhaft bewundert, wurde der Illustrator der
friederizianischen Epoche und der deutschen Klassiker. 1745 entstand hier in
Danzig das bekannte Studentenlied "Krambambuli", ein Loblied auf den Danziger
"Lachs", der u. a. auch in den Dichtungen Lessings und Kleists auftaucht.
In dieser Zeit begegnen wir hier in Danzig auch dem ersten bedeutenden
dichterischen Talent, und zwar einer Frau, der Gottschedin
(1713 - 1762), der langjährigen gelehrten Gehilfin des
großen Schulmannes Gottsched, die erste dramatisch produktive Frau im
Deutschland dieser Zeit.
Danziger Poeten begegnen uns in diesem Jahrhundert auch in
größerer Zahl im Herzen Deutschlands. So in Halle, wo er einen
frühen Tod fand, der junge Danziger Rudrück, ein Freund
von Uz und Gleim. Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19.
Jahrhunderts hatte sich auch in Weimar eine Art Danziger literarische
Enklave gebildet, deren Mitglieder auch zum Goetheschen
Freundeskreise gehörten. So der Satyriker und Philantrop Johann Daniel
Falk (1768 - 1826), der Dichter des Weihnachtsliedes "O du
fröhliche..."; der Schriftsteller Heinrich Döring
(1789 - 1862), der erste Biograph der Klassiker in Jena, der ebenso
wie der Jurist Gottlieb Hufeland
(1760 - 1817) daselbst, auch ein geborener Danziger, und die
berühmten westpreußischen Naturforscher und Weltreisenden
Forster, Vater und Sohn, zu Goethe in Beziehungen standen.
Außerhalb seiner Vaterstadt Danzig war ein gern gelesener Novellist
August Samuel Gerber (1765 bis 1821). Auch die geistliche deutsche
Dichtung hatte in dieser Zeit in Danzig ihre guten Vertreter. Wir nennen nur
[229] Samuel Friedrich Unselt († 1790), einen
Vorfahren Robert Reinicks. Von weiteren bedeutenden Männern seien
erwähnt die Historiker Johann Jakob Mascov
(1689 - 1761) aus Langfuhr bei Danzig, der besondere Verehrer Friedrichs des Großen und Archenholz, der lebendige und
volkstümliche Schilderer des Siebenjährigen Krieges.
Zu gleicher Zeit nahm auch die Musik eine hervorragende Stelle in
Danzig ein und wurde in den Danziger Patrizierkreisen viel gepflegt, nicht minder
in den Kirchen. Und wieder war es nach dieser letzten Richtung hin ein Mann
aus dem Herzen Deutschlands, dessen Tätigkeit hier nachhaltig wirkte,
wenn er auch nur durch seine Schüler in Danzig vertreten war. Es war der
deutsche Lutheraner Heinrich Schulz, der größte deutsche
Schüler des Italieners Joh. Gabrieli, dem das Verdienst zukommt, das neue
musikalische Kunstleben im
deutsch-protestantischen Geiste zur Geltung gebracht zu haben. Bedeutend als
Komponist ist hier u. a. auch Kruto Bythner, 1616 in dem kleinen
thüringischen Städtchen Sonnenberg geboren, der in Koburg
ausgebildet war. Die Wirren des 30jährigen Krieges verschlugen auch ihn
nach Norddeutschland, 1653 fand er in Danzig als Organist an der Salvatorkirche
ein Unterkommen, rückte bald zum Kantor und Musikdirektor bei der
Katharinenkirche
und -schule auf, wo er einen seinem bedeutenden Talent entsprechenden
Wirkungskreis fand. Er verschaffte sich durch seine Kompositionen hohes
Ansehen, hat auch eine größere Anzahl Lieder für seine
Kompositionen selbst gedichtet, die nicht schlecht sind. So interessiert war
Danzig in musikalischer Hinsicht damals, daß uns hier im Jahre 1702
bereits eine Musikzeitschrift begegnet.
Im Anfange und um die Mitte des 17. Jahrhunderts finden wir in Danzigs Mauern
ein nicht minder eifriges literarisches Streben, das sich ganz wieder nach
deutschem Muster kundgab in der Bildung sogenannter literarischer
Gesellschaften, von denen wir in dieser Zeit in Danzig drei zu verzeichnen
haben. Sie beschränkten sich allerdings nicht, wie die Mitglieder des
Kreises um Opitz und die Fruchtbringende Gesellschaft, auf die deutsche Sprache
und Literatur allein, sondern zogen alle Zweige der wissenschaftlichen
Betätigung in den Bereich ihres Interesses.88
Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts, am 23. Oktober 1720, wurde die erste
dieser Gesellschaften gegründet, deren Mitglieder sich aus Meistern der
Wissenschaft zusammensetzten. Es sind fünf Männer, die hier
zusammentraten, vier Juristen und ein Kaufmann, die sich zum Wahlspruch ihrer
[230] Vereinigung wählten: "Virtutis et
scientiarum incrementa", und bei denen der Zweck der Zusammenkünfte
war, "nicht nur", wie es in der Satzung heißt, "vermittelst einer ordentlichen
und angenehmen Unterredung das Gemühte erbauet und vergnüget,
sondern auch bei dieser Gelegenheit eine und andere nützliche, zuweilen
auch curieuse Materie aus der Historie, Jurisprudenz, Morale, Physik,
Mathematik, Literatur und anderen Wissenschaften (wobei dennoch keine
theologische Streitigkeiten zu berühren vor gutt befunden worden)
erörtert und ausgearbeitet werde". Die Gründer hatten ihre
Vorbildung auf deutschen Hochschulen erhalten, es waren der Sekretär
Friedrich Gottlieb Engelke, der Geschichtsschreiber Johann Heinrich
Morgener, der Sekretär Carl Gottlieb Ehler, der bekannte und
berühmte Danziger Stadtsyndikus Dr. Gottfried Lengnich und der
ehemalige Danziger Stadtsekretär, jetzige Kaufmann Gottfried
Panski, der aus Osterode in Ostpreußen stammte. Ein langes Leben
war dieser Gesellschaft, deren Kreis nicht groß war, nicht beschieden, sie
löste sich bereits 1727 auf.
Im Herbst 1752 faßten drei Freunde, Karl Friedrich von Schmeling,
Johann Michael Wulf und Joachim Wilhelm Weickhmann, die im
Alter von 15-17 Jahren standen, Söhne dreier bedeutender Danziger Patrizierfamilien
und Schüler des akademischen Gymnasiums, den Plan, nach dem Muster
der Leipziger Deutschen Gesellschaft, die in jenen Jahren zur Reinigung der
deutschen Sprache so Bedeutendes leistete, auch in einer Danziger Gesellschaft
diesen Zweck zu verfolgen, daneben aber auch in ihr den Wissenschaften selbst zu
dienen. Schon aus diesem Wollen der jungen Leute sehen wir, wie sehr Danzig
von den Strömungen und Bestrebungen des deutschen Geisteslebens
beeinflußt wurde. Eine Reihe anderer junger Danziger schloß sich
diesen dreien an. So jung sie auch alle waren, so erkennt man doch den Ernst ihres
Strebens. Man sieht sie sich nicht nur durch Talent und sittliche Haltung, sondern
auch durch eine für ihr Alter bedeutende Bildung auszeichnen. Stets
behielten sie ihr Vorbild, die Deutsche Gesellschaft in Leipzig, deren Haupt seit
1727 Gottsched war, neben dem Rubener und Gellert
hervorragten, im Auge. Sie waren den jungen Danzigern Muster, an ihnen bildete
sich ihr ästhetischer Geschmack, ihnen eiferten sie nach in der formalen
Behandlung der deutschen Sprache. Neben diesen deutschen Vorbildern pflegten
sie eifrig französische Literatur der altklassischen Poesie. Auch dieser
Kreis, dem sich eine ganze Reihe anderer Gleichgerichteter angeschlossen hatte,
löste sich bereits 1758 auf.
[231] Zu gleicher Zeit, im Jahre 1755, bildete sich
eine dritte Gesellschaft, die bis 1760 bestand. Drei Danziger Studenten, die
Theologen Philipp Ernst Rauffseysen und Benjamin Benedikt
Heinrichsdorf und der Jurist Johann Adam Tritt, beklagten auf
einem Spaziergange durch die herrlichen Danziger Wälder den
kläglichen Zustand der schönen Wissenschaften in ihrer Vaterstadt
und schlossen sich enger zusammen, um ihnen zu dienen. Sie hatten sich
bereits teilweise losgesagt vom Geiste Gottscheds und wollten nun durch die von
ihnen gegründete ästhetische Gesellschaft einer besseren Richtung
die Wege ebnen. Eine Reihe weiterer junger Mitglieder wurde aufgenommen, so
der Theologe Christian Gottlieb Duisburg, als Ehrenmitglied der Theologe
Wilhelm Ehrenfried Neugebauer und als besonders einflußreicher
Mann unter dem Titel eines Obervorstehers der Rektor des Danziger Gymnasiums
Ernst August Bertling. In diesen jungen Leuten finden wir die
Sturm- und Drangperiode wieder, die damals ganz Deutschland erfüllte.
Ihre Arbeiten haben einzig und allein die literarische Kritik zum
Gegenstande, namentlich den damals auf diesem Gebiete geführten Kampf
zweier Richtungen, deren eine in Gottscheds kritischer Dichtkunst und des Baron
von Schönaichs Hermannias, und die andere in des Hallenser Meiers
Ästhetik und Klopstocks
Messias ihre hauptsächlichsten Vertreter
haben. Die Mitglieder versuchten sich auch in eigenen poetischen
Erzeugnissen, die meist Nachahmungen der großen deutschen
Zeitgenossen sind. Hagedorns anakreontische Formen, Kleists
Hexameter, Lessings Epigramme,
Gessners Idylle, vor allem
Klopstocks Hexameter und besonders die Versmaße seiner Oden
finden wir hier mehr oder weniger glücklich nachgeahmt wieder. Dies gilt
sowohl für die dichterische Form wie für den Inhalt.
Wenn diese Gesellschaften auch nur von kurzer Lebensdauer waren, welches
Schicksal sie mit den deutschen geteilt haben, und wenn wir aus ihren Versuchen
und Bestrebungen auch erkennen, daß der herrschende literarische
Geschmack in Danzig damals kein sehr gutes Bild
zeigt, - was übrigens auch wieder für die meisten deutschen
Gaue zutrifft -, so erkennen wir doch, daß auch hier ein Ringen und
Streben nach Reinigung und Besserung einsetzte, was um so anerkennenswerter
ist, als Danzig damals gerade infolge der schweren Kriegsnöte und der
polnischen Mißwirtschaft in seinem Hinterlande wirtschaftlich von seiner
Höhe ganz gewaltig herabgesunken war, als es seine zweite wirtschaftliche
Blüteperiode längst hinter sich hatte. Wir erkennen aus ihnen weiter
aber auch die Gleichrichtung der Geistesströmungen mit
Deutschland, die innige geistige Verbundenheit mit diesem, die
Be- [232] einflussung Danzigs vollkommen durch
Deutschland, obwohl es doch von diesem getrennt, dagegen von der slawischen
Flut umbrandet war, mitten in das Polenreich sozusagen eingebettet lag. Trotzdem
diese Gleichrichtung, während von irgend einer Beeinflussung durch Polen
nach dieser Richtung auch nicht die geringste Spur, ja nicht einmal der
geringste Versuch festzustellen ist.
Eine Gesellschaft aber, die in dieser Zeit in Danzig entstand, hat sich durch alle
Stürme der Zeit gerettet und blüht noch in unseren Tagen: Die
Naturforschende Gesellschaft.89 1645 war in London eine Verbindung
von Gelehrten entstanden, aus der 1663 die Royal Society hervorging. In Italien
war 1657 die Academia di Cimento entstanden. Diese Beispiele regten einen
gelehrten Danziger Arzt, Israel Conradt an, 1670 etwas Ähnliches
in Danzig zu schaffen. Seine Bemühungen scheiterten jedoch. Erst
nach seinem Tode fanden sich 1720 einige gelehrte Männer Danzigs zu
einer Gesellschaft, der Societas literaria zusammen, die sich jedoch schon
nach sieben Jahren auflöste, wie wir soeben gesehen haben, da ihre
Mitglieder anderweitig zu sehr in Anspruch genommen waren. Doch der Gedanke
selbst war lebendig geblieben, und er wurde von Daniel Gralath
aufgegriffen, dem Sohne eines Danziger Kaufmanns, der zunächst ein Jahr
lang in Halle Rechtswissenschaft studiert, sich dann aber drei Jahre nach
Marburg begeben hatte, wo damals Christian von Wolff lehrte, der
sich als Philosoph, Physiker und Mathematiker einen großen Ruf erworben
hatte und der über diese Fächer eine Reihe von Werken verfaßt
hatte, die damals in Deutschland tonangebend waren. Hier in Marburg
genoß Gralath die "vorzügliche Freundschaft und Gewogenheit
dieses beliebten Lehrers". Nachdem Gralath dann noch einige Zeit die
Universität Frankfurt a. d. O. besucht hatte, kehrte er
in seine Vaterstadt zurück, wo er zunächst als Privatmann den
Wissenschaften lebte, dann aber in städtische Ämter berufen wurde,
in denen er immer höher stieg, bis er schließlich das höchste
Amt, das des Bürgermeisters, bekleidete, als welcher er auch im
Jahre 1767 gestorben ist.
Gralath nun war es, der am 7. November 1742 den Anstoß zur
Naturforschenden Gesellschaft gegeben hat. Sie sollte sich vorzugsweise
mit Experimentalphysik beschäftigen, und zwar sollten zunächst die
von anderen angestellten Versuche nachgemacht und auf ihre Richtigkeit hin
geprüft werden. Ausdrücklich wurde bestimmt: "Mit Herrn Wolffs
Versuchen ist der Anfang zu machen". Hiermit ist der oben erwähnte
Lehrer Gralaths, Christian von Wolff gemeint, der [233] ein dreibändiges Werk über die
Experimentalphysik90 herausgegeben hatte, das das gesamte
physikalische Wissen der damaligen Zeit
zusammenfaßte. - Man sieht also auch hier wieder die enge
wissenschaftliche Verbundenheit mit Deutschland, die geistige Beeinflussung von
dorther. Die Gesellschaft hat eine große Reihe hervorragender Mitglieder
gezählt, die ihre Ausbildung samt und sonders gleichfalls auf deutschen
Hochschulen genossen haben.91
Die Freunde und Förderer der literarischen Bewegung des 18. Jahrhunderts
suchten ihre Ideen und Bestrebungen einem weiteren Kreise der Danziger
Bevölkerung zugänglich zu machen, zu welchem Zweck sogenannte
"moralische Wochenschriften" entstanden, die allerdings meist auch nur
von kurzer Lebensdauer waren, genau wie ihre Kolleginnen im Reiche.92 Es waren dies wöchentlich
erscheinende Zeitschriften, in denen Fragen der Erziehung, der Sittenlehre, der
natürlichen Religion, der poetischen Theorie behandelt und "Vorurteile"
auf allen Gebieten des
Lebens - Politik ausgenommen - im Sinne einer
vernunftgemäßen, auf Tugend hinzielenden Lebensauffassung durch
ernsthafte "Vernünftelei" oder satirische Schilderung der Tatsachen und
Laster bekämpft wurden.
Auch hier zeigt sich wieder Danzigs enge geistige Verbundenheit mit
Deutschland. Die Idee dieser Wochenschriften war von England ausgegangen,
hatte dann aber sehr schnell in Deutschland Nachahmung gefunden, wo
bereits 1713 in Hamburg "Der Vernünftler" erschien, und erreichte im
dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts dort ihren Höhepunkt durch die
damals an den bedeutendsten Mittelpunkten des literarischen Lebens
erscheinenden Wochenschriften: "Die Diskurse der Mahler", in Zürich
(1721 - 1723), "Der Hamburger Partriot" in Hamburg (1724), "Die
vernünftigen Tadlerinnen" in Leipzig (1725) u. a. m., so daß
diese Wochenschriften nun bald in ganz Deutschland erschienen.
Die Wellen dieser Bewegung schlugen auch nach Danzig herüber,
wo nicht weniger als fünf solcher Wochenschriften in einem
Zeitraume von 12 Jahren erschienen. Ein Vergleich mit anderen deutschen
Städten ergibt immerhin eine gewisse Rührigkeit des
schriftstellerischen Betriebes in Danzig. Zwar ist Leipzig mit 33 und Hamburg mit
24 Wochenschriften allen anderen Städten voraus, aber wenn Berlin es nur
auf 12 bringt, davon nur eine vor der Regierungszeit Friedrichs des Großen,
so sehen wir doch, daß Danzig nicht weit zurücksteht.
Göttingen brachte es auf 11, Halle und Königsberg auf je 7, dann
folgt Danzig mit 5. Hinter ihm bleiben die 46 [234] Städte, in denen solche Wochenschriften
noch erschienen, zurück. Hinsichtlich der Zeit des ersten Erscheinens gehen
Danzig nur zehn Städte voraus: Hamburg, Zürich, Nürnberg,
Bern, Leipzig, Frankfurt am Main, Dresden, Berlin, Hirschberg und
Göttingen. Danzig tritt 1735 in die Reihe, Königsberg folgt ihm erst
1740. Ich nenne diese fünf Wochenschriften kurz und charakterisiere sie,
indem ich Dr. Löbner93 folge:
1. "Die mühsame Bemerkerin derer Menschlichen Handlungen",
die 60 Nummern umfaßt, von denen die erste am 7. Januar 1736 erschien
und auf die der Einfluß von Gottscheds "Vernünftigen Tadlerinnen"
ganz unverkennbar ist, bei religiösen und naturwissenschaftlichen Themen
der Einfluß Christian von Wolffs.
In den jede Nummer krönenden
Dichtersprüchen wird am meisten Opitz herangezogen, daneben
Hoffmannswaldau, Besser, Neukirch, Günther, Canitz u. a.
2. Die in Versen abgefaßte, erstmals am 18. Februar 1736 erschienene
Wochenschrift "Der deutsche Diogenes", dessen Zweck der vorgenannten
gleich ist. Das Blatt hat es auf 52 Nummern gebracht.
3. "Der fromme Naturkundige", der gleichfalls in Versen abgefaßt
ist, es auf 40 Nummern brachte und im Jahre 1740 erstmals erschien. Der
Herausgeber ist der Danziger Arzt und Naturforscher Christian Sendel, der
mit dieser Wochenschrift ein Kompendium der Naturgeschichte in Versen plante.
Ein gewisser Einfluß Lessings scheint unverkennbar.
4. "Der Freydenker", ist die literarisch bedeutsamste Wochenschrift. Sie
erreichte insgesamt 102 Nummern und erschien mit 52 Stück vom 29.
September 1741 bis zum 19. September 1742, mit ebensoviel in der gleichen Zeit
von 1742 - 1743. Der Herausgeber ist Johann Anton von
Waasberghe, der Sohn eines Danziger Buchhändlers. Für die
Leitsprüche ist der deutsche Dichter Haller am meisten benutzt.
Neben zahlreichen anderen deutschen Dichtern erscheinen auch
ausländische.
5. In der Form von Briefen abgefaßt ist die Wochenschrift
"Sendschreiben einiger Personen an einander über allerley
Materien", die 1748 erschien und gleichfalls von Joh. Anton von
Waasberghe herausgegeben ist. Sie ist ausgesprochen literarisch und
steht auf der Grenzscheide zwischen moralischer und belletristischer
Schriftstellerei. Auch in ihr hat der Geist Gottscheds die
Oberherrschaft.
Wir können diesen Abschnitt über das wissenschaftliche und
literarische Leben Danzigs nicht schließen, ohne wenigstens mit einigen
kurzen Worten auch der dramatischen Kunst [235] in Danzig gedacht zu haben. Auch hier haben
wir eine ausschließliche Beeinflussung von Westen, von Deutschland
her, festzustellen, denn deutsche Schauspielergruppen waren es
ausschließlich, die hier spielten, soweit Berufsschauspieler in Frage kamen.
Wir sehen ab von den wandernden Puppentheatern im letzten Viertel des 16.
Jahrhunderts, die von Deutschen geleitet wurden. Bedeutsamer waren die
englischen Komödianten, die von 1590 bis 1650 gerade in der
Blütezeit des englischen Dramas auf häufigen Kunstreisen an
deutschen Fürstenhöfen und in den größeren deutschen
Städten spielten, bei welcher Gelegenheit sie auch nach Danzig kamen. Sie
führten die Dichtungen Shakespeares und anderer Zeitgenossen auf,
anfangs in englischer Sprache, sehr bald aber in deutscher Bearbeitung. Jedoch
alsbald erschienen auch die deutschen Schauspieler auf dem Plan, in
Danzig erstmals 1601, die die englischen vollständig verdrängten
und das Feld allein behaupteten.94 Was in Deutschland über die
Bretter ging, wurde von diesen wandernden Schauspielern auch in Danzig
aufgeführt. Auch Lessings Dramen finden wir sehr schnell nach
ihrem Erscheinen auf der Danziger Bühne, so z. B. Miß
Sarah Sampson im ersten Jahre des Erscheinens, und ebenso war es mit den
anderen dramatisch bedeutsamen Werken der deutschen Dichter. Ich
erwähne nur, daß schon 1755 Sarah Sampson, 1769 Minna von
Barnhelm, 1772 Emilia Galotti, 1783 Clavigo, 1785 Die Räuber, die 1783
hier als "ein unmoralisches, sittenbeleidigendes Stück" verboten worden
waren, hier erstmalig aufgeführt wurden. Es folgten: 1788 Kabale und
Liebe, 1799 Fiesko, 1804 Die Jungfrau von Orleans, Tell, Maria Stuart,
Wallenstein.
Charakteristisch ist das Verhalten Danzigs der polnischen dramatischen
Kunst gegenüber, die hier nicht nur abgelehnt, sondern sogar
verboten wurde, selbst für Laienspieler.95 Im Jahre 1638 nämlich wurde
anläßlich des großen Danziger Jahrmarktes, des Dominiks, mit
Genehmigung des altstädtischen Rates eine polnische
Komödie aufgeführt, und zwar nicht durch fremde
Komödianten, sondern durch ortsansässige Dilletanten. Der
rechtstädtische Rat jedoch focht, nachdem einige Vorstellungen
stattgefunden hatten, die erteilte Bewilligung an und verfügte sogar die
Verhaftung des Dichters und des Druckers sowie die Einziehung der vorhandenen
Exemplare. Im Schlußbuch des rechtstädtischen Rates
heißt es darüber: "Weil E. E. Raht vor diesem sehr bedencklich
gehalten und demnach keines weges darin hatt consentieren wollen, daß die
Polnische Comedie solle agiret werden, so kan E. E. Raht, obgleich dessen ein
anfangk gemacht ist, dennoch nicht bewilligen, daß solches agiren weiter
continuiret werde, [236] sondern befindet, daß der author
comediae mit der hafft zu straffen, auch der buchdrucker hart darumb zu
bestoßen sey, daß er ohne consens des h. Presidenten dieselbe zu
drucken sich unterstanden hatt, warumb dan auch alle Exemplaria, welche
gedruckt sein, ihm abzunehmen sein werden. Act. in Senatu 26. Aug. Ao. 1638".
Fassen wir rückschauend das gesamte geistige Leben Danzigs in dieser Zeit
der sogenannten polnischen Herrschaft zusammen, so können wir
feststellen, daß es ausgesprochen und ganz ausschließlich
deutsches Gepräge trägt, daß es nach jeder Richtung
ausschließlich von Deutschland her beeinflußt worden ist, ja
daß es die gleichen Bewegungen und Schwingungen mitgemacht hat, die
wir .auf den verschiedenen Gebieten des geistigen Lebens auch in Deutschland
verfolgen können. Deutscher Einfluß und deutscher Geist herrschen
völlig souverän, von irgendwelchem polnischen Einfluß ist
trotz der Verbundenheit mit der polnischen Krone nicht das geringste zu merken,
diese sogenannte polnische Zeit ist an Danzigs Geistesleben völlig spurlos
vorübergegangen. In Danzig wurden die Neuerscheinungen der deutschen
Literatur genau so gut gelesen und besprochen wie etwa in Stettin, Frankfurt a. d.
Oder, Breslau oder Königsberg. Daß sich in dem letzten Jahrhundert
der Oberherrschaft der polnischen Könige nicht, wie es früher
gewesen war, ein größerer Kreis von Dichtern zusammenfand, lag
vielleicht weniger an dem Mangel an geeigneten Kräften, als an der
Ungunst der politischen und wirtschaftlichen Lage. Aber genau so wie in anderen
deutschen Landen blühten in Danzig literarische Wochenschriften,
literarische und naturwissenschaftliche Vereine, gelangten in Danzig die
Meisterwerke der aufblühenden deutschen Dramatik zur
Aufführung.
8. Danzigs Wall- und Befestigungsbauten
Schöpfungen deutscher Meister
Nicht anders wie mit den Wissenschaften stand es mit der Architektur, mit der
Baukunst, ja mit der Kunst überhaupt. Nur insofern bestand hier ein kleiner
Unterschied, als das Zentrum dieser Bestrebungen und Verbindungen etwas
anders gelagert war. Kamen die Gelehrten aus allen deutschen Gauen, und hatten
sie zumeist längere Zeit im Herzen Deutschlands, in Wittenberg, Halle oder
Leipzig studiert oder teilweise auch dort schon gewirkt, so kommt der Strom der
Architekten und Baukünstler mehr vom Niederrhein, und [237] dorthin auch begaben sich Danzigs
Kunstjünger zum Studium. Das gilt von allen Zweigen der Kunst und
Technik. Das ist um so bedeutungsvoller, als Danzig in seiner wirtschaftlichen
Blütezeit zwischen 1550 und 1650 auf dem Gebiete des architektonischen
und künstlerischen Schaffens überaus rege und empfänglich
war und als in dieser Periode sozusagen alles geschaffen worden ist, was uns
Danzig heute so teuer und lieb macht, was ihm erst auch heute noch sein
Gepräge verleiht. Es ist die Zeit der Renaissance, in der auch Danzig seine
bauliche und künstlerische Wiedergeburt erlebte. Es ist sehr bezeichnend,
daß die von Italien ausgehende Renaissance in Danzig
beeinflußt wurde durch Holland und den Niederrhein, in
keinem einzigen Falle aber durch Polen, das seinerseits wieder unmittelbar von
Italien aus beeinflußt worden ist. Auch darin kommen die weit
stärkeren Beziehungen Danzigs zum stammesgleichen Westen als zum
stammesfremden Polen sehr deutlich zum Ausdruck.
Wir haben früher bereits kurz dargelegt, wie Danzig stets auf der Hut sein
mußte, um seine Selbständigkeit Polen gegenüber zu wahren,
daß es wiederholt in kriegerische Verwicklungen mit Polen geraten ist, und
andererseits hat Polen fast beständig Kriege geführt, die für
Danzig die Gefahr mit sich brachten, in Mitleidenschaft gezogen zu werden, was
ja auch wiederholt der Fall gewesen ist, so daß der Feind vor seinen Mauern
lag.
Wollte Danzig diese Fährnisse glücklich überstehen, so
mußte es gewappnet und wohl gerüstet sein. Dazu aber
gehörten in jenen Jahrhunderten starke und mächtige
Wälle, Festungswerke, die stets dem Fortschritt der Kriegstechnik
angepaßt, daher ständig ausgebaut und verstärkt werden
mußten. Und seiner Umwallung hat Danzig in all den Jahrzehnten und
Jahrhunderten unseres Zeitabschnittes die allergrößte
Aufmerksamkeit geschenkt, denn nur sie bot ihm neben der Begeisterung und
Tapferkeit seiner Bürger die Gewähr, den Anstürmen sowohl
der Polen wie anderer Feinde siegreich Trotz bieten zu können. Danzigs
Festungswerke waren gewaltig und mächtig, wofür die noch heute
gewissermaßen als Museumsstücke erhaltenen kleinen Reste beredtes
Zeugnis ablegen. Viele Millionen hat die Stadt für ihre Sicherheit
ausgegeben. Nur einige Zahlen aus wenigen Jahren möchte ich nach
Hoberg96 hier zur Illustration anführen.
Nach Ausweis der Ordnungsrezesse sind, und zwar ausschließlich zur
Befestigung der Stadt, ausgegeben worden im Jahre 1620: 60 000, 1623:
80 000, 1624: 200 000, 1625: 100 000, 1626: 500 000,
1627: 400 000, 1631: 5 000, 1632: 35 000, 1633: [238] 20 000, 1634: 105 000, 1635:
100 000, 1636: 5 000, 1637: 300 000, 1638: 30 000
Gulden. Insgesamt also in diesen Jahren allein für die Befestigung Danzigs
1 670 000 Gulden, d. h. nach deutscher Friedensmark
2 742 400 000 Mark. Eine für jene Zeit immerhin sehr
erkleckliche Summe, mit der sich die gesamten Ausgaben für die
Verteidigung auch in diesen Jahren bei weitem noch nicht
erschöpfen.
Für den Ausbau der Befestigung aber war Danzigs Lehrmeister
Holland, von dem es entweder seine tüchtigsten Kräfte, die
zum Teil gleichzeitig die Befehlshaber seiner von Polen nach jeder Richtung hin
völlig unabhängigen und selbständigen
Kriegsmacht waren, herholte, oder aber wohin es seine eigenen Söhne
schickte, damit sie dort die Kunst des Festungsbaues lernten. Es waren ferner
deutsche Ingenieure, die ihre Kunst in Holland erlernt hatten, die nun in Danziger
Dienste traten. Fast ununterbrochen sind holländische oder deutsche
Festungsbauer in Danzig längere oder kürzere Zeit tätig
gewesen, nicht selten sogar mehrere zu gleicher Zeit. Nirgends hören wir in
Danzigs umfangreicher Kriegsgeschichte, daß es sich dieserhalb irgendwie
auch nur ein einziges Mal nach Polen gewandt hätte, was doch am
nächsten hätte liegen müssen, wenn die Behauptungen der
polnischen Propagandisten über die Zugehörigkeit Danzigs zu Polen
und die Liebe der Danziger für Polen zuträfen. Nur einige wenige
Tatsachen möchte ich zur Erhärtung meiner Behauptungen aus vielen
hier anführen.
In den Jahren um 1537 war als Wallmeister Meister Wilhelm, ein
Norddeutscher tätig, der von Lüneburg hierhergeholt worden war.
Ein wichtiger Nutzbau, der für Zeiten der Belagerung von
außerordentlicher Bedeutung werden konnte, war die 1536/37 von einem
Meister aus Freiburg begonnene, aber vermutlich von ihm nicht
fertiggestellte sogenannte Wasserkunst, die den Zweck hatte, das durch
unterirdische Röhren von der Tempelhofer Mühle her geführte
Wasser des Schidlitzbaches, verstärkt durch Quellwasser von Nenkau,
durch Rohrleitungen in die Brunnen und Häuser der Rechtstadt zu
führen. Sie war am Radaunekanal angelegt, dessen Wasser zur Gewinnung
der Triebkraft für das Pumpwerk verwendet wurde. Fertiggestellt wurde
diese Wasserkunst wahrscheinlich durch den Lüneburger Wilhelm
Helmsen, der seit 1536 leitender Baumeister in Danzig war und mit dem der
Rat am 17. Juli einen Vertrag abschloß,97 wonach Helmsen sich verpflichtete,
die Stadt mit Wällen, Rondellen, Brustwehren, Mauern und anderen
Befestigungen zu versehen und auch eine Wasserkunst anzulegen. Seine
umfassenden [239] Kenntnisse ließen ihn den
Festungs- und Wasserbau wie den Hoch- und Schiffsbau beherrschen, und wir
erkennen in ihm einen zu beruflicher Vielseitigkeit ausgebildeten Künstler,
von dem auch der heute noch erhaltene sogenannte weiße Turm
stammt.
Helmsen verließ jedoch bald für einige Zeit Danzig, das sich nun um
einen Sachverständigen an den Herzog Albrecht von
Preußen - nicht etwa an Polen - wandte, der seine
Hauptleute Ernst v. Rechenberg und Christoph
v. Kreytzen sowie den Baumeister Christoph Hoffmann, der
aus Basel gebürtig war, schickte. Gleichzeitig wandte sich der Rat nach
Breslau, das 1535 sein Ersuchen um Entsendung eines Baumeisters
abgelehnt hatte, mit der Bitte, Helmsen zu gestatten, sich die neuen Befestigungen
der Stadt anzusehen und ihn durch Sachverständige über sie
näher unterrichten zu lassen. Das geschah, und Helmsen kehrte nach
Danzig zurück, wo er mindestens bis 1542 tätig gewesen ist.
Als die Stadt im Jahre 1535 den bedeutsamen Beschluß faßte, die
alten Stadtmauern und Türme durch großzügig
angelegte Umwallung und durch einen Kranz von Bastionen rings um die
Stadt zu ersetzen, hielt der Rat auch noch weitere Umschau in deutschen Landen
nach mustergültigen Vorbildern. Und da war es vor allem ein Bauwerk, das
die ganze Aufmerksamkeit aller interessierten Kreise Deutschlands auf sich zog
und dessen Vollendung mit Spannung erwartet wurde: die Bastei von
Nürnberg, zwischen dem
Vestner- und Tiergärtnertor, welche in diesen Jahren durch den
italienischen Baumeister Antonio Vasoni erbaut wurde. Im Mai 1539 wendet sich
der Danziger Rat in einem Schreiben an den Rat von Nürnberg mit der
Bitte um Zusendung eines Planes der neuen Bastei. Die Antwort geht dahin, das
Werk sei noch nicht vollendet, täglich geschehen noch Änderungen,
man könne daher noch keinen Plan geben. Aber es wird Danzig
anheimgestellt, jemand "Verständiges" nach Nürnberg zu entsenden,
der sich den Bau ansehen möge und den man gut unterrichten werde.98 Damit jedoch war der Stadt nicht
gedient, und sie bemühte sich daher, in der Festungsbaukunst andere
erfahrene Männer heranzuziehen.
Im Jahre 1547 ging die Stadt auch an die Befestigung der Altstadt, wobei die
Leitung des Baues dem in Diensten des Herzogs von Preußen stehenden
Christoph Römer übertragen wurde, der zur
Ausführung der Bauten bis 1549 in Danzig weilte.
Um 1571 bauten Johann Kramer und Stephan Müller. Den
Bau des Hohen
Tores und der Wälle leitete Meister [240] Anthony von Obbergen, 1543 in
Mecheln geboren, der überhaupt unter dem Namen eines Stadtbaumeisters
damals den öffentlichen Bauten Danzigs vorstand. Er war in jungen Jahren
am Bau der Zitadelle in Antwerpen tätig gewesen, hatte dann in Diensten
des Königs von Dänemark gearbeitet und war 1586 nach Danzig
gekommen, wo ihm sogleich vom Rat die Vollendung der Fortifikation in
Weichselmünde übertragen worden war.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts standen im Dienste der Stadt die Ingenieure
Hans Strakowski und Cornelius von dem Bosch. Ersterer leitete
seit 1594 als Stadtmaurermeister lange Jahre hindurch einen großen Teil der
Bauausführungen [241] an städtischen Gebäuden und
wurde auch später als Stadtbaumeister angestellt. Außer Teilen der
Befestigung hat er wichtige, wenn auch einfache Gebäude geschaffen. Er
erbaute u. a. 1626 das Leegetor und 1628 das Langgartertor.
Als Baukünstler war ihm, wie er selbst bezeigt, Holland Quelle
aller Erkenntnis. Mit von dem Bosch war sein niederländischer
Landsmann Daniel von Büren auf Verlangen des Danziger Rats
1619 hierher gekommen, zunächst zur Abgabe eines Gutachtens über
den Zustand und den Ausbau der Wälle. Von dem Bosch nahm die Stadt
alsdann auf drei Jahre in Dienst, in welcher Zeit er u. a. die Befestigungen
auf dem rechten Mottlauufer anlegte. Daniel von Büren wurde nach Hamburg und
Lübeck gesandt, um die dortigen Neubauten zu studieren und
darüber zu berichten.
Am 18. April 1624 wurde aus den Niederlanden der Oberst Liesemann
Oberbefehlshaber der Danziger Truppen, dem am 21. Mai 1635 der Oberst
Christoph von Hauwald folgte, ein geborener Sachse, der vor seiner
Berufung nach Danzig zwölf Jahre in schwedischen Diensten gestanden
hatte. Er verließ 1648 Danzig und trat in die Dienste der
Brandenburger.
[242] Adam Wybes Seil-Schwebebahn
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Seit 1622 war auch eine Reihe von Jahren als Festungsbaumeister der Ingenieur
Peter Jansen de Weert, ein Niederdeutscher, tätig. Als
Wall- und Wassermeister betätigte sich ferner in dieser Zeit Adam
Wybe99 aus Haarlingen. Bereits 1616 war er
hier tätig, u. a. wurde ihm auch die Untersuchung der Häuser
aufgetragen, die mit der Wasserkunst in Verbindung standen. Im Jahre 1634
erhielt er sowohl wie Jansen de Weert den Auftrag, auf Mittel zu sinnen, die
Mottlau zu reinigen und zu vertiefen. Er blieb im Dienste Danzigs bis zu seinem
Tode im Jahre 1653. Vornehmlich war er im
Festungs- und Wasserbau tätig, und er war ein weit über seine Zeit
hinausragender Mann. Am meisten bekannt geworden ist er weit über die
Grenzen Danzigs hinaus durch seine Erfindung einer
Schwebe-Seilbahn mit Eimern, wie sie uns heute für
Kies- und Kalkgruben allgemein bekannt ist. Wybes Schwebeseilbahn
transportierte die Erdmengen beim Festungsbau durch die Luft auf dem
kürzesten Wege mit mechanischem Antriebe unter weitgehender Ersparnis
der Menschen- und Pferdekraft vom Bischofsberg zur Mottlau hin zum
Aufschütten des Walles. Diese Einrichtung erregte zu damaliger Zeit
allgemeines Aufsehen und erschien mit Recht als neue großzügige
Idee, so daß auch der berühmte holländische Maler und
Kupferstecher Wilhelm Hondius, der zwischen 1641 und 1652 teils in
Danzig, teils am polnischen Hofe weilte, von Wybes Anlage eine sehr
anschauliche Zeichnung ent- [242] warf, die von seinem Landsmann Stephan
de Praet - damals ebenfalls in Danzig - in Kupfer gestochen
wurde. Die hohe Bedeutung dieser Anlage ist in der Geschichte der Technik schon
im 18. Jahrhundert erkannt worden, und damals hat man ihre Nachahmung
empfohlen.
Die politischen Verhältnisse beim Tode des Polenkönigs
Wladislaw IV. (1648) ließen kriegerische Verwickelungen
Danzigs mit Polen befürchten, und die Stadt Danzig wandte sich deshalb
abermals nach den Niederlanden und bat um einen erfahrenen
Kriegsbaumeister, der ihm 1648 in der Person des holländischen Generals
Peter von Percewal gesandt wurde. Nach beinahe viermonatigem
Aufenthalt in Danzig wurde er von seiner Regierung zurückberufen, kam
aber im Juli 1656 [243] mit einem Stabe niederländischer
Artillerie- und Ingenieuroffiziere wieder nach Danzig zurück.
Während seiner Abwesenheit war Ingenieur Baltasar Hedding
tätig. Percewal starb bereits am 19. Februar 1657 und wurde in der
Marienkirche beigesetzt, wo heute noch eine Gedenktafel an ihn erinnert.
[240] General Graf von Pappenheim
erklärt sich am 8. Januar 1628 bereit, in Danzig persönlich
wegen Vervollkommnung der Befestigung der Stadt Rat zu erteilen oder,
falls dies nicht möglich sei, einem "kriegskundigen Mann" aus
Danzig Aufklärung zu geben.
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 18.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum," Nr. 29.)
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Dort, wo die Mottlau in die Stadt Danzig eintritt, beabsichtigte der Rat zur
Sicherung der Stadt im Kriegsfalle eine mächtige Schleuse zu bauen, durch
die er in die Lage versetzt wäre, das ganze umliegende Gebiet in
kürzester Zeit unter Wasser zu setzen. Wegen des Baues dieser Schleuse,
der heutigen Steinschleuse,100 den man schon früher als
durchaus notwendig erkannt hatte, hatte sich der Rat schon 1594 mit dem in
Königsberg tätigen, aus Amsterdam stammenden
Wasserbaumeister Walter Clemens in Verbindung
gesetzt,101 ohne
daß es zum Abschluß eines Vertrages gekommen wäre. Im
Jahre 1600 suchte der Rat in den Niederlanden nach einem
tüchtigen Wall- und Wasserbauer und nach kundigen Werkleuten, doch er
konnte keine gewinnen. Um 1616 bemühte sich der Rat daselbst abermals
und wandte sich an den Kapitän Johann von Valckhenburgh in den
Niederlanden, um durch dessen Vermittlung erfahrene Baumeister zu erhalten.
Die beiden Schleusenbauer Wilhelm
Jansen-Benning (alias Ketel) und Adrian Olbrants, Bürger aus
Alkmaer, erboten sich, die Arbeit zu übernehmen und kamen
deshalb nach Danzig, wo mit ihnen ein Vertrag im Jahre 1619 abgeschlossen
wurde, die Schleuse zu bauen. Der Bau war wegen des vielen Grundwassers sehr
schwierig. Es wurden bis zum Sommer 1621 täglich 80 Arbeiter
beschäftigt, wozu noch die holländischen Zimmerleute kamen, um
die Fundamente, die schwierigste Arbeit, herzustellen. Im Jahre 1622 konnte mit
dem eigentlichen Mauerwerk begonnen werden. Das ganze Werk, das noch heute
steht, war im August 1624 fertig und hat insgesamt 65 200 polnische Gulden
gekostet. Die Materialien für den Bau wurden zum
größten Teil aus Holland bezogen.
Oberbefehlshaber der Danziger Truppen wurde nach Percewal der 1608 zu
Friedland in Preußen geborene Valentin von Winter, der sich mehrfach in
schwedischen Diensten ausgezeichnet hatte. Als er, ein erfahrener
Festungsingenieur, 1671 starb, wurde der Bau einstweilen eingestellt, bis zum
Nachfolger von Winters im Jahre 1681 der Oberstleutnant Daniel Christian
Neubauer eingestellt wurde, dessen Nachfolger als Oberkommandant und
Festungsbaumeister Oberst Christian von Schweinitz im Jahre 1683 auf
fünf Jahre aus Dresden berufen wurde. Er starb jedoch bereits im
Jahre 1685, [244] und nun wurde sein Nachfolger Generalmajor
von Sydow, der früher in dänischen Diensten gestanden
hatte.
Nach Sydows Tode wurde 1687 Generalmajor Karl Heinrich von der
Osten berufen, der aus Mecklenburg stammte, von Jugend auf gedient
hatte, seit 1672 in dänischen Diensten stand und Kommandant der
Hauptfestung Kronenburg war. Er hatte das Fortifikationswesen in
Holland gelernt und sich mit ihm von Jugend auf beschäftigt. Ihm
folgte 1696 der im 50. Lebensjahr stehende Generalquartiermeister Jakob von
Kemphen, ein Niedersachse von Geburt, der bei den Holländern und
der Stadt Hamburg gedient hatte und sich nun als Oberst und
Generalquartiermeister in Diensten des Königs von Schweden befand. Er
war in Danzig bis zu seinem Tode im Jahre 1704 tätig. Auf seine
Empfehlung wurde auch der in Elbing sich aufhaltende Hauptmann
Conradi in den Dienst der Stadt genommen, desgleichen der
Oberstleutnant Sinclair, ein Franzose.
Der Nachfolger Kemphens wurde am 19. Juni 1704 Generalmajor von der
Goltz, und als dieser 1707 in russische Dienste trat, folgte ihm 1708
Generalmajor Otto von Zieten, der gerade in preußischen Diensten
stand, vorher aber 30 Jahre lang in Holland tätig gewesen war. Er starb am
6. März 1716 am Schlaganfall und wurde in der Marienkirche beigesetzt,
wo ihm die dankbare Stadt eine Denktafel errichtet hat. Nun übernahm der
bereits erwähnte Johann von Sinclair, der 1716 vom Könige
von England das Patent als Generalmajor erhalten hatte, den Dienst als
Oberkommandant, den er bis zu seinem 1731 erfolgten Tode inne hatte. Sein
Nachfolger wurde Johann Wilhelm Vittinghoff.
[245] Danziger Zweidecker um 1650
Schiffsmodell aus dem Artushof zu Danzig.
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Der Sohn des bereits früher genannten Hans Strakowski, Georg von
Strackwitz, wie er sich nannte, zeigte von Jugend auf besondere Liebe
für die Befestigungskunst und wurde darum von der Stadt Danzig, wie sie
es auch mit anderen Danzigern getan, zunächst für drei Jahre auf
Kosten der Stadt nach den Niederlanden geschickt, damit er sich dort
theoretisch und praktisch im Kriegswesen ausbilde, um später vornehmlich
als Festungsingenieur im Dienste der Stadt tätig zu sein. Seine guten
Fortschritte bestimmten den Rat, das Stipendium zunächst um drei, dann
noch um weitere fünf Jahre zu verlängern. 1635 war er in Danzig
beim Festungsbau tätig, doch schickte ihn der Rat dann nochmals mehrere
Jahre nach dem Westen. Ab 1641 versah er in Danzig die Dienste eines Ingenieurs
und zeichnete sich durch viele Entwürfe aus, welche er zur Verbesserung
der Festungswerke der Stadt machte. Er starb 1675 und ruht gleichfalls in der
Marienkirche, wo eine ehrende Gedenktafel an ihn erinnert.
[245=Foto] [246] So könnte man den Bau der
Danziger Festungswerke noch weiter bis ins einzelne verfolgen, und man wird,
wie wir dies an allen führenden Männern gezeigt haben, feststellen,
daß sie der deutsche Westen Danzig lieferte, daß Danzig sie
sich von dort her holte, nicht etwa von Polen. Deutlicher kann die enge
Verbundenheit mit dem Westen nicht zum Ausdruck kommen, denn diesen
Männern übertrug die Stadt ja die Sorge für ihre
Sicherheit und ihren Schutz. Was von den Festungserbauern
gesagt ist, gilt auch von den
Geschütz- bzw. Stückgießern. Auch sie waren
aus Westdeutschland eingewandert, und oft auch kam es vor, daß
Danzig seine Waffen aus Deutschland selbst bezog.
Erwähnt sei noch, daß Danzig auch den Schiffsbau von
Holland übernahm, daß Danziger ihn dort erlernten, da die
Holländer im 16. Jahrhundert im Schiffbau ohne Zweifel allen
Völkern voraus waren. Diese Tatsache bezeugen noch die großartigen
Schiffsmodelle im Danziger Artushof. Unter ihnen weise ich hin auf den
prächtigen Zweidecker aus der Zeit um 1650, ein Danziger Kriegsschiff mit
52 Stücken, gleich hervorragend durch Sorgfalt in der Ausführung,
die Feinheit der Arbeit, das schöne Ebenmaß der Linien wie auch die
Richtigkeit vom schiffsbautechnischen Standpunkte aus. Der holländische
Einfluß ist hier ganz unverkennbar, namentlich die angebrachte Heckzier
findet sich in ihren Elementen vielfach bei den niederländischen
Fahrzeugen jener Zeit. Auch der Typus des Vorderschiffes, wie ihn unser Modell
in vollendeter Weise zeigt, hat in Holland seine Ausgestaltung
erfahren.
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