Unter der Schutzherrschaft der Könige von
Polen.
Von 1454 - 1793. (Teil 6)
9. Danzigs Architektur und deren Meister in
Blickrichtung auf den deutschen Westen
[249] Blick durch die Frauengasse
mit ihren charakteristischen
"Beischlägen" auf die Marienkirche
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In die Periode der sogenannten polnischen Zeit fällt auch die eigentliche
bauliche Entwicklung der Stadt Danzig, soweit wir sie heute vor uns
sehen, und zwar sowohl hinsichtlich der öffentlichen wie der bedeutendsten
Profanbauten. Danzig erlebte nun zunächst seine zweite wirtschaftliche
Blüteperiode, und diese brachte es ganz naturgemäß mit sich,
daß die Bürger dem Glanz und Reichtum ihrer Stadt wie ihrer
eigenen Wohlhabenheit auch äußerlich im Stadtbilde Ausdruck
verleihen wollten. Rat und Bürgerschaft, selbstbewußt, welterfahren
und im Besitz reicher Mittel, wetteiferten in dem Streben, dem Antlitz ihrer Stadt
ein zeit- und würdegemäßes Aussehen zu geben. Im Innern des
Stadtbildes und in seinem Aussehen vollzogen sich nun grundlegende
Änderungen. Die [247] alten engen Giebelhäuser der Gotik
behagten nicht mehr dem neuen prachtliebenden Danziger Geschlecht, und
ebenso wie in der Festungskunst in jener Zeit neue Wege beschritten wurden,
gewann auch in der Architektur eine neue Kunstrichtung Eingang: die
[247] Marienkirche
Nach einer Radierung von Berthold Hellingrath.
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Renaissancebaukunst hielt, verspätet zwar, aber dafür gleich
in umfassender Weise ihren Einzug in Danzig. An die Stelle der schlichten
gotischen Backsteinhäuser treten nun reichgeschmückte Bauten,
deren Sandsteinfassaden den Straßen und Plätzen der Stadt noch
heute das reizvolle architektonische Gepräge verleihen. Auch die
öffentlichen Bauten genügten dem neuen, nach modernen
künstlerischen Formen verlangenden Geschmack nicht mehr, er verlangte
kräftigeren Ausdruck des Selbstgefühls und des Wohlstandes. Eine
emsige Bautätigkeit setzte ein, und wieder waren Westdeutsche und
Niederländer in der Hauptsache, ausschließlich aber
Deutsche, die Baumeister. Die westdeutsche Architektur gibt nun auch der
Danziger das Gepräge, die Renaissance hält auch in Danzig ihren
Einzug, aber bezeichnenderweise nicht unmittelbar von Italien, auch nicht von
Polen aus, wo sie bereits im 15. Jahrhundert von Italien her unmittelbar
eingedrungen war, sondern im Gewande niederdeutscher Prägung.
Dieser Eindruck tritt uns an allen Danziger Bauten geradezu sinnfällig
entgegen. Dagegen übte [248] die architektonische Kunst des benachbarten
Polen nicht den allergeringsten Einfluß auf Danzig aus. Ja, man kann
geradezu sagen, daß die Danziger Bevölkerung stärker noch als
die politische Bevormundung durch die polnischen Könige jede
Einwirkung aus der ihr fremdartigen polnischen Kulturwelt ablehnte.
In erster Linie erfahren nun zunächst die öffentlichen
Gebäude zeitgemäßen
Aus-, Um- und Erweiterungsbau. Die Kirchenbauten kommen nicht in
Frage, denn sie waren mit Ausnahme der
Karmeliter-(St. Josephs)kirche und der Königlichen Kapelle zu
Beginn dieses Zeitraumes vollendet oder aber wurden, da begonnen, doch ganz in
[253] Das ehemalige Haus der Oosterlinge in Brügge.
Vorbild für das Danziger Rathaus.
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der in der Ordenszeit begonnenen Art vollendet. Von Sakralbauten kommt hier
vornehmlich die Vollendung des Turmes der Marienkirche in Frage. Er
erhielt seine charakteristische, mächtige, alles beherrschende Form, und
auch sie geht unverkennbar auf flandrische Vorbilder zurück. Ja, dieser
charakteristische Turm, der jedem sofort ins Auge fällt, der sich aus allen
Stadtansichten markant abhebt, der zum Wahrzeichen Danzigs geworden ist! Er
unterscheidet sich grundsätzlich von allen Türmen der
Ostseestädte, und auch sonst findet man in Preußen nicht
seinesgleichen. Er gehört einer anderen Familie von Türmen an als
alle andern alten in hiesigen Landen, die samt und sonders ihre Herkunft
vom westfälischen Westturm oder der doppeltürmigen Westfront der
Kirchen Niedersachsens nicht verleugnen können. Die Vorbilder für
ihre Bauten holten sich die Danziger Hanseaten auf ihren zahlreichen Seefahrten
nach dem Westen. Flandern mit seinem reichen, in Hochblüte
stehenden Städtewesen hat Danzig beeinflußt, und zwar weit
stärker, als die näher im Westen gelegenen Hansestädte, die
mehr unter dem Einfluß Westfalens und des Niederrheins standen. Danzig
macht heute noch mehr als jede andere Stadt an der südlichen
Ostseeküste den Eindruck einer niederdeutschen Stadt. Der
Rathausturm, von dem wir noch sprechen werden, ist ein flandrischer Belfrid, und
ein Blick auf die Kirchenbauten Flanderns und der Niederlande
zeigt uns eine ganze Reihe der Turmfamilie, der unser Marienturm
angehört. Seine Brüder und Vorbilder stehen in Lyssewege,
in Damme, in Gent und in Brügge. Seine
süddeutschen Vettern sind die Westtürme von Freiburg und
die späteren hohen Einzeltürme von Ulm, Nördlingen
und Landshut. Auch die Vereinfachung der Abstützung des
[252] Rechtstädtisches Rathaus
(Aus Curicke 1687.)
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Gewölbeschubes durch Weglassung des Strebesystems findet sich in den
Niederlanden häufig auch bei steingewölbten Kirchen in
Lyssewege, in Brügge (St. Sauveur), in Gent (St.
Bavo) und an der Kathedrale in Antwerpen. Demnach wäre
die [249=Foto] [250] basilikale Marienkirche eine an die
östlichste deutsche Küste verpflanzte flandrische Basilika mit
dickem Westturm mit Strebepfeilern und ohne Strebesystem.101a
Der Anschluß an den deutschen Westen aber kommt besonders stark zum
Ausdruck zunächst in den öffentlichen Profanbauten. Sie
tragen ausnahmslos den niederdeutschen und niederrheinischen Grundcharakter,
die Renaissance erscheint bei ihnen in niederdeutschem Gepräge.
Erklärlich, denn die Danziger entstammten ja zum größten Teil
jenen Gegenden, vor allem auch die führenden Familien, und Danzig war
mit dem deutschen Westen so nicht nur durch regste Handelsbeziehungen,
sondern auch durch engste Familienbande verknüpft. Dazu kam, daß
die Festungs- und Wallmeister, wie wir dargelegt haben, ausschließlich
West- und Niederdeutsche waren oder doch dort zumindest ihre Ausbildung
genossen hatten. Sie übten ihren Einfluß natürlich auch auf die
städtischen und die privaten Bauten aus, zumal da manche von ihnen gleich
Stadtbaumeister und Stadtmaurermeister waren, andere neben ihren
Festungsbauten Privatbauten aufführten, und da ferner neue Meister
für besondere Aufgaben aus dem Westen herangezogen wurden und hier
lohnende Beschäftigung und reiche Gelegenheit zur Entfaltung ihres
Könnens fanden.
Der älteste Bau, der bis vor wenigen Jahren erhalten war und die Formen
der Renaissance zeigte, war das 1549 nach dem Brande neu erstandene, 1916
abgebrochene Kinderheim am St. Elisabethhospital, das schon ganz den
niederrheinischen Einfluß verriet und als dessen Schöpfer der
niederrheinische Baumeister Gabriel von Aachen angesehen wird, der
besonders für Privatbauten wiederholt in Danzig tätig gewesen
ist.
Vor allem erfolgte in dieser Zeit aber zunächst der Aus- bzw. Umbau der
profanen Wahrzeichen Danzigs, des Rechtstädtischen Rathauses
und des Artushofes. Bei ersterem kann man im Zweifel sein, was
schöner und gewaltiger an ihm ist, seine Lage am Langen Markt und der
Langgasse als wundervoller Abschluß des Straßenbildes, der
[254] Haupteingang zum Rechtstädtischen Rathaus
(Erbaut 1768.)
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goldverzierte hohe Rathausturm, dessen ungewöhnliche Schlankheit das
spitzgieblige Dächergewirr beherrscht, die Diele mit der reichgeschnitzten
Wendeltreppe zum Hauptgeschoß, der kunstvolle Schmuck der
Prunkzimmer im Innern, aber über den hohen Wert dieses
großartigsten unserer profanen Baudenkmäler sind sich alle einig.102
Der Danziger Rathausturm, das schönste Denkmal Danziger
Renaissancekunst, entstammt in seiner jetzigen Gestalt [251] der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
und steht fast am Anfange der Zeit, da die Renaissancekunst in Danzig ihren
Einzug hielt. Sein Erbauer ist unter den Baukünstlern der Zeit nach der
erste und in seinem Können unzweifelhaft einer der bedeutendsten. Es ist
der Niederdeutsche Dirk Daniels, der ihn nach dem Brande von 1556
schuf. Suchen wir nach einem Vergleichsobjekt in den anderen Ostseegebieten, so
finden wir keins. Unser Rathausturm gehört grundsätzlich einem
anderen Typus an als die Rathaustürme von Lübeck,
Rostock, Stralsund und Wismar, ja wir finden in ganz Deutschland keinen
ähnlichen. Wir müssen schon weiter gehen, wieder nach
Flandern, dorthin, woher die alten Danziger ihre Vorbilder für ihre
Bauten holten, und wo sich bereits im 14. und 15. Jahrhundert die Blüte der
mittelalterlichen Baukunst entfaltet hatte. Wir haben schon darauf hingewiesen,
daß die Marienkirche mit ihrem massigen Turm, daß die
[256] Der Artushof
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sogenannten Wassertore an der Mottlau auf flandrische Einflüsse
zurückgehen. Auch die Vorbilder für unseren Rathausturm finden
wir dort in den Niederlanden. Die Fassade unseres Rathauses selbst stellt
ja eine Wiederholung des ehemaligen Hansehauses in Brügge dar.
Und als man 1379 den Grund legte zu unserem Rathause, da standen schon in
Ypem und Brügge die Tuchhallen mit ihren Türmen, die den
Danzigern wohl bekannt waren, und später entstanden auch eine ganze
Reihe von Rathäusern, die mit unserem Danziger große
Ähnlichkeit haben. Wir finden sie heute noch in manchen Städten
Nordfrankreichs und Belgiens, wenn sie der Krieg nicht zerstört hat, so in
Brüssel, Oudenaarde, Compiegne, Douai u. a. Die
flandrische Parallele zu unserem Turm ist der Turm der Tuchhalle in
Brügge.
Dirk Daniels schuf in dem reichgegliederten, zierlichen Helm des
Rathausturmes geradezu ein Wunderwerk der Baukunst, das wenige
seinesgleichen haben dürfte und ein vielbewundertes köstliches
Kleinod Danzigs bis in die Gegenwart ist. Als Krönung setzte man auf die
Spitze des Turmes bei seiner Vollendung 1561 eine etwa zwei Meter hohe, in
Kupfer getriebene vergoldete Gestalt eines geharnischten Ritters, die samt
der Fahnenstange, die sie in der Hand trägt, beweglich ist. Die Polen
sprechen diese Figur und mit ihr auch das ganze Rathaus stets als ein
Wahrzeichen polnischer Kultur in Danzig an, da sich immer noch die
Legende gehalten hat und von den Polen als geschichtliche Tatsache
verbreitet wird, diese Figur stelle den Polenkönig Sigismund
August dar - eigentlich ein zweifelhaftes Vergnügen für
einen König, als Wetterfahne benutzt und dargestellt zu werden. Es
ist völlig unerklärlich, wie diese Legende [252=Abbildung] [253] entstanden ist.
Löschin spricht sie u. W. erstmalig aus und selbst
Simson103 hat sie übernommen. Seitdem
findet sie sich in einer Menge von Schriften, vor allem in nahezu
sämtlichen Führern durch Danzig. Doch ist diese Legende
völlig unhaltbar und in nichts begründet. Gegen sie sprechen
nicht nur mancherlei sachliche Gründe, sondern auch der Umstand, daß die
zahlreichen amtlichen Schriftstücke, die diese Figur erwähnen oder
behandeln, sie lediglich als "vergoldeten Kerl" oder "Mann"
bezeichnen, nie ist in ihnen auch nur mit einem Sterbenswörtchen
davon die Rede, daß sie den Polenkönig darstellen soll.
Archivdirektor Dr. Kaufmann hat dieser Figur und den über sie
erhaltenen amtlichen Nachrichten eine eingehende Untersuchung gewidmet104 und dabei mit aller nur
wünschenswerten Klarheit dargetan, daß diese Legende jeder
tatsächlichen Grundlage entbehrt, und es steht zu hoffen, daß
sie aus dem Danziger Schrifttum nun auch endlich verschwindet.
[258] Eingangshalle zum Artushof
Charakeristische "Danziger Diele".
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[254=Foto] [255] Als Dirk Daniels den stolzen Bau
vollendet hatte, schmückte er den Turm mit einem Glockenspiel,
das noch heute in gleicher Weise halbstündlich erklingt wie einst. Die
Heimat der Glockenspiele sind die Niederlande, wo 1481 ein derartiges
Glockenspiel erstmalig in Betrieb genommen wurde, und auch unser aus 14
Spiel- und einer Schlagglocke bestehendes Glockenspiel auf dem Rathausturm ist
in Holland entstanden. Meister Johannes Moor aus
Herzogenbusch (Brabant) hat es gegossen, und am 13. August 1560 konnte die
Schlagglocke angebracht werden, während die Spielglocken erst im
nächsten Jahre folgten.
In diesem Zusammenhange sei gleich hingewiesen auf das zweite, und zwar
größere Danziger Glockenspiel, das sich auf dem Turm der St.
Katharinenkirche befindet und aus 36 Glocken besteht. Am 30. November
1738 erklang es zum ersten Male. Sein Hersteller ist gleichfalls ein
Niederländer. Meister Johann Nikolaus Derck hat es 1737
in den Niederlanden gegossen, ein holländischer Ingenieur hat seine
Aufstellung in Danzig geleitet. Leider besitzen wir dies alte Spiel heute nicht
mehr. Am 3. Juli 1905 wurde es durch Blitzschlag zerstört, aber nach der
alten Art wieder hergestellt, wo es am 24. August 1910 erstmalig neu erklang.
Die 1549 gegossene ältere Armsünderglocke auf dem
Nebentürmchen des Rathauses entstammt der Werkstätte des
Danziger Glocken- und Büchsengießers Gerd Berning, der
einer Lübecker Familie entstammt und in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts nach Danzig eingewandert ist, wo er 1544 das
Bürgerrecht erwarb. Die Bernings gehörten zu den bedeutendsten
Glocken- und Büchsengießern Danzigs.
[257] Blick in die Haupthalle des Artushofes.
(Nach einem Gemälde von Quaglio,
das sich im Besitze der
Danziger Städischen Kunstsammlungen befindet.)
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Dicht neben dem Rechtstädtischen Rathause erhebt sich das zweite profane
Wahrzeichen des alten Danzig, der Artushof, der erstmalig 1350
zufällig erwähnt wird, von dessen ältestem Bau aber nichts
mehr erhalten ist, da er in den Jahren 1476 und 77 vollständig
niederbrannte. Sofort wurde mit dem Neubau begonnen, der 1481 fertiggestellt
war. Der Name des Baumeisters ist nicht überliefert. Aber in diesem
ältesten Bau haben wir ohne Zweifel noch die Weiterwirkung der
Baugesinnung aus der Blütezeit des Deutschen Ritterordens zu erkennen. In
seinem Innern, das wie aus einem Guß wirkt, gibt er noch heute den ganzen
alten Raumeindruck wieder. Vier überaus schlanke
Säulen - vermutlich vom ehemaligen Ordensschloß in Danzig
herrührend - tragen die Rippen der neun Gewölbejoche. Man
spürt nicht nur, sondern sieht sogar ganz zweifellos die Nachwirkungen der
Deutschordenskunst, und sicher hat bei dieser Gestaltung [256=Foto] [257] der Remter des
Hochmeisterschlosses, der Marienburg, Pate gestanden.
Überhaupt weisen uns das Bestehen des Artushofes und seiner Banken
bzw. Brüderschaften nach dem deutschen Westen hin, sie sind ein
lebendiges Zeugnis der engen Verbundenheit des deutschen Ostens mit dem
deutschen Westen auch in dieser polnischen Zeit. Das Geburtsland der
Artushöfe ist England, von wo sie an die deutsche
Ostseeküste - und nur an sie - herüberkamen, doch
haben sie sich hier ganz anders entwickelt als dort und haben sich mit
ausgesprochen deutschen Einrichtungen aufs allerengste verbunden. Dies sind die
Brüderschaften. Der Hang zum genossenschaftlichen
Zusammenschluß liegt im deutschen Wesen begründet, er tritt uns
schon in der allerältesten Zeit entgegen und hat sich in vielleicht noch
größerer Stärke bis in unsere Tage erhalten, was sich in der
Unzahl von Vereinen kundgibt, denen wir allüberall in deutschen Landen
begegnen. Nirgends hat sich aber einst das Bedürfnis von Genossenschaften
stärker gezeigt als in den deutschen Städten des Mittelalters.
Überall erwuchsen die Gilden der Kaufleute, die
Zünfte der Handwerker und die Bruderschaften der
Handwerksgesellen. Aber auch über den Kreis der Erwerbstätigkeit
hinaus wollten diejenigen, die so verbunden waren, zueinander gehören,
und so schlössen sie sich eng gesellschaftlich immer fester [258] zusammen zu festlichem Mahle, zu Trunk, zu
frohem Spiel und Scherz. Der Süden und Westen Deutschlands,
vornehmlich die Städte an Rhein und Donau, in denen eine ältere
Kultur blühte, gingen hierin voran, der jugendfrische Norden und Osten
folgten. So wurden auch in Danzig Artushof und Brüderschaften
ein lebendiges Zeugnis nicht nur der engen Verbundenheit Danzigs mit dem
deutschen Westen, sondern auch für den durch und durch deutschen
Charakter der Stadt und seiner Bewohner an der Weichselmündung.
[262] Zeughaus
Schauseite nach der Gr. Wollwebergasse.
Das Langgasser Tor
[260]
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[259] Im Jahre 1610 erfolgte, dem
Renaissancegeschmack der Zeit folgend, der Umbau des Giebels des Artushofes
nach dem Langenmarkt, vermutlich durch den bereits erwähnten Jakob
von dem Block, der seit 1608 im Dienste der Stadt stand. Die Künstler
aus der Familie v. d. Block nehmen unter den Danziger Künstlern des 16.
und 17. Jahrhunderts überhaupt einen hervorragenden Platz ein105 und sind auf die bauliche und
architektonische Gestaltung Danzigs von großem Einfluß gewesen.
Sie waren hier als Architekten,
Stein- und Bildhauer tätig. So ist Wilhelm von dem Block der
Erbauer des prächtigen Hohen Tores, das wohl als das
schönste Tor der deutschen Renaissance bezeichnet werden darf und an die
Veroneser Festungstore Sanmichelis erinnert, die dem Künstler wohl durch
ein von jenem beeinflußtes Tor in Antwerpen nahegebracht sein mochten.
In Sandstein erbaut, wirkt es, derb in seinen Massen und zugleich reich an
vergoldeten reliefartigen und vollrunden Verzierungen nachhaltig, wenn auch
heute sein Eindruck nicht mehr so mächtig ist wie einst, wo es in den
mächtigen grünen Wall eingebettet war, von dem heute nichts mehr
vorhanden ist.
Abraham von dem Block hat beim Bau des Zeughauses am
Kohlenmarkt mitgewirkt, das 1612 in Sandstein nach venetianischen Vorbildern
erbaute Langgasser Tor geschaffen, und in seiner Werkstatt fertigte
Hans Voigt aus Rostock die kunstvollen Steinhauerarbeiten für die
Fassade des heute noch prächtigen, in den Jahren zwischen 1608 und 1617
am Langen Markt erbauten Speymannschen (Steffensschen) Hauses, des
bezeichnendsten Denkmals italienischen Geschmacks. Auf weitere Mitglieder der
Familie von dem Block werden wir später noch zu sprechen kommen. Sie
alle entstammten den Niederlanden. Mecheln war ihre Heimat, von wo
aus Egidius von dem Block wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts nach Danzig einwanderte, wo er 1573 das Bürgerrecht auf
einen Bildhauer erwarb. Wilhelm, sein Sohn, ist gleichfalls in Mecheln
geboren.
Den Georgenbrüdern, der vornehmsten Bruderschaft des Artushofes, gefiel
es bei den gemeinsamen Zusammenkünften auf dem Artushof bald nicht
mehr, auf dem sie ursprünglich wohl die Herren gewesen waren, und
deshalb faßten sie den Beschluß, für ihre
Zusammenkünfte ein eigenes Haus zu bauen. Mit Genehmigung des
Rats wurde daher am 29. November 1487 neben dem Langgasser Tor mit dem
Bau der St. Georgshalle unter Leitung des sachverständigen
Hans Glottau, der zugleich städtischer Münzmeister war,
begonnen. [260] Im Sommer 1494 war
der Bau fertig. Dies Klubhaus der Schildbürtigen wurde im betonten
Gegensatz zum Giebelhaus des Bürgers eine Art freistehendes
Schlößchen. Durch den erstrebten burgähnlichen Charakter
erhielt es einen Zug ins Feudale. Die Kennzeichen niederrheinischer Herrensitze
in Backsteinbauweise, Ecktürmen mit Schießscharten, offene
Wehrgänge mit Zinnenkränzen, in jeder Frontmitte ein ausgekargter
Erker, alles in verjüngtem Maßstabe, betonen nach westlichem
Muster seine Eigenart vornehmer Ausschließlichkeit. Auch hier wieder die
neue Kunst der Renaissance im westdeutschen Gewande.
[261] Altstädtisches Rathaus
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Weiter wurde in diesem Zeitabschnitt, beeinflußt durch den deutschen
Westen, eine Reihe anderer öffentlicher Bauten aufgeführt, die heute
noch zu den größten Zierden Danzigs gehören. Da ist der
schon unter der Herrschaft des Deutschen Ritterordens angelegte
Stockturm, in seinen
Anfängen ein Erzeugnis der
bodenständigen spätgotischen Kultur, der seiner Architektur nach in
die oberdeutschen Lande gehört. Ihm gab nun der niederdeutsche Meister
Michael Enkinger die Gestalt, nachdem der gleichfalls westdeutsche
Meister [261=Foto] [262]
Heinrich Hetzel in den Jahren
1505 - 1507 an seinem Ausbau gearbeitet hatte. Meister Enkinger gab ihm in den
Jahren 1507 - 09 den prächtigen oberen Aufbau und die Bedachung, die
heute leider nicht mehr in ihrer Vollständigkeit erhalten ist. In dieser Zeit
wurde auch die dem Stockturm vorgelagerte Peinkammer mit ihren
überaus zierlichen Giebeln geschaffen, bei der sich ganz der Einfluß
der Renaissance, und zwar ganz ausgesprochen niederländischer
Prägung, geltend macht, und die man als eine Schöpfung
Obbergens ansieht.
Antonius oder Anthony von Obbergen - auch
Obbergken - war gemeinsam mit Hieronymus von Obbergen vor 1574 aus
Mecheln hierher eingewandert,106 und wir haben ihn bereits als
Architekten beim Danziger Festungsbau kennen gelernt, wo er an dem weiteren
Ausbau der Stadtbefestigung, insbesondere an dem großen Bau der Bastione
an der Westseite der
Recht- und Vorstadt beteiligt war.107 Er war es auch, der den Bau des
Altstädtischen Rathauses, das heute noch mit seiner
sorgfältigen Durcharbeit aller Einzelheiten [263] ein prächtiges Stück Danziger
Baukunst ist, nach eigenen Entwürfen im Jahre 1587 begann und es bis
zum Jahre 1595 fertiggestellt hatte. Es ist eine bedeutsame baukünstlerische
Leistung.
Anthony von Obbergens baukünstlerische Hauptleistung aber ist das
große Zeughaus am heutigen Kohlenmarkt, dessen Hauptfront nach
der Gr. Wollwebergasse geht. Ein Ziegelbau, jedoch nur in der Hauptmasse. Die
Einfassungen der Giebel, Fenster, Türen sowie mehrere Statuen und die
Verzierungen überhaupt, sind von Sandstein. Der Entwurf entstand im
Jahre 1600, er ist Obbergens reifstes Werk und zeigt ihn auf der Höhe
seines künstlerischen Schaffens. Es ist dieser Bau zugleich der Gipfel der
Danziger Renaissance. Ein Bauwerk, das in seinem ganzen malerischen Aufbau
die Charakterzüge von Anthony von Obbergens Schaffen trägt, und
das in dem langen Erker und den Giebelformen gewisse Verwandtschaft mit der
Architektur des von Obbergen erbauten Schlosses Fredericksborg zeigt, ist das
neben dem Frauentor stehende Haus der Naturforschenden Gesellschaft,
in den Jahren 1598 - 1599 erbaut.108
[265] Grünes Tor
Ansicht von der Grünen Brücke.
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Nicht so glücklich in seinem Schaffen als Baumeister wie Obbergen war in
Danzig ein anderer Mann mit weithin bekanntem Namen, Johann Fredemann
de Vries, aus Leeuwerden in Holland, der Begründer der
Architekturmalerei, der allgemein berühmt war als Schöpfer
von als Vorlagen viel verbreiteten Architekturzeichnungen. Er wurde 1592 auf ein
Jahr von der Stadt Danzig als Stadtbaumeister verpflichtet, genügte aber
den Anforderungen nicht und mußte Obbergen Platz machen. Wir kommen
später noch kurz auf ihn zurück.
Der Rat plante seit langem bereits einen prächtigen Neubau an Stelle des
alten Tores und der neben ihm gelegenen Brücke, wo die Koggen oder
Handelsschiffe, welche an dem Bollwerk der Mottlau zu ankern und zu
löschen pflegten, des sogenannten Koggentores und der
Koggenbrücke. Beide wurden abgerissen und das alte
mittelalterliche Koggentor mußte einem Prachtbau, dem heute noch
stehenden Grünen Tor Platz machen. Die neue
Koggenbrücke, die mit hohen, hölzernen Säulen einen
eigenartigen Schmuck erhielt, baute der uns bereits bekannte Meister Dirk
Daniels. Dagegen wurde der Bau des neuen Tores dem in den Dienst der Stadt
getretenen Hans Kramer übertragen, dem bisherigen Baumeister
von Dresden, der seit 1554 als Hofsteinmetz am Dresdener Schlosse gearbeitet,
1556 die dortige Frauenkirche gebaut hatte, und der zu Anfang des Jahres 1565
aus den Diensten des Kurfürsten August von Sachsen nach Danzig [264=Foto] [265] gekommen war. Um Hans Kramer
als Haupt scharte sich hier ein ganzer Stab weiterer Künstler aus den
preußischen Landen, aus Mitteldeutschland und vornehmlich aus den
[264] Englisches Haus Brotbänkengasse Nr. 16.
(Erbaut 1570.)
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Niederlanden. Wir nennen hier nur Kamillus Vahlen, Hans von
Königsberg, Friedrich Vrom, Regnier von Amsterdam und Steffen
aus Dresden. Kramer hat neben den städtischen Bauten bis zu seinem
Tode im Jahre 1577 etwa 20 Bürgerhäuser in Danzig entworfen und
ausgeführt.109 Er ist u. a. der Schöpfer
des sogenannten Englischen Hauses (Brotbänkengasse 16) und des
1569 in der Langgasse (Nr. 35) erbauten "Löwenschlosses" sowie
einer ganzen Reihe anderer bedeutender Häuser.110
Seit 1566 hatte Hans Kramer auch die Oberaufsicht über alle Bauten der
Stadt inne. Bei der leitenden Stellung, die er einnahm und insbesondere beim Bau
des Grünen Tores - es führt seinen Namen nach dem
grünen Anstrich, den die Sandsteingliederungen und Bildwerke sowie die
Säulen der Brücke
bekamen, - [...] müssen wir annehmen, daß die
Gestaltung aller Einzelformen nach seinen Angaben in seinem [266] als Bildhauer ausgereiften Formensinn erfolgt
ist. Neben ihm haben die anderen
mittel- und westdeutschen Männer gearbeitet, und der älteste
Entwurf des Baues, der mancherlei Veränderungen erfahren hat,
dürfte wohl kaum von ihm stammen. Cuny meint:111 "Ob dieser (erste) zeichnerische
Entwurf das Werk Hans Kramers ist, läßt sich bei dem Fehlen
jeglicher Angaben nicht behaupten, eher möchte man an den bei der
Bauausführung des Torgebäudes wirkenden Stadtbaumeister
Regnier von Amsterdam denken". Regnier war in Amsterdam tätig
gewesen und schon 1563 auf zehn Jahre in den Dienst der Stadt Danzig getreten.
Ganz nach Holland und den dortigen Meistern weist auch dieser erste Entwurf
hin. Offenbar hat sich der Zeichner die Architekturmodelle Hans
Fredemanns genau angesehen, denn die Bauformen des Cornelis Floris und
die von Johann Fredemann 1560 herausgegebenen Scenographiae sind es, nach
denen er sie gebildet hat. Regnier waren die Bauausführungen unter
Kramers Oberleitung anvertraut, während die Maurerarbeiten von dem
Stadtmaurermeister Mattis Berg, gewöhnlich Meister Matz
genannt, ausgeführt wurden. Das ganze Gebäude selbst, das 1568
fertig wurde und als Zeughaus der Stadt Danzig und als Festhalle
bestimmt war, ist aus Amsterdamer Ziegeln kleinen Formats gebaut, die
Baumeister Regnier "weil er in Amsterdam gute Kundschaft" hatte, von dort im
Auftrage des Rats bezog und die in Schiffsladungen angeliefert wurden.
Von weiteren Architekten, die in Danzig in jener Zeit tätig waren, nennen
wir hier nur: Um die Mitte des 16. Jahrhunderts Meister Antonius Trappe,
vorher Stadtbaumeister in Angermünde; am 17. Februar 1570 bietet der
Baumeister Thomas Frischer aus Freiburg in Sachsen der Stadt seine
Dienste an; um 1574 - 82 ist Hans von Lübeck als
Bau- und Werkmeister in städtischen Diensten; 1574 finden wir hier den
Maurermeister Paul von dem Dorne tätig, der sich durch besondere
Geschicklichkeit ausgezeichnet haben soll. Er hat als Maurer und Steinmetz, wie
er sich bezeichnete, viele öffentliche Bauten ausgeführt, u. a.
den noch erhaltenen Ankerschmiedeturm. Paul von dem Dorne
entstammte einem westfälischen Geschlecht, das ursprünglich aus
dem Stifte Bremen stammen soll und das später in Lübeck,
Mecklenburg und Danzig ansässig war. Der Lübecker Zweig
gehörte zum dortigen Patriziat, sechs seiner Mitglieder saßen im
regierenden Rat. Spätestens um 1568 sind mehrere von Dornes nach Danzig
eingewandert.112 Unser Paul von Dorne hat in
Antwerpen die technische Ausbildung erlangt und 1571 in Danzig das
Bürgerrecht auf einen Maurer erworben.
[267] Kath. Pfarrkirche "Königliche Kapelle".
(Erbaut 1682.)
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[267] Um 1580 bemühte sich der Rat von
Danzig sehr für die Wasserbauten um den Wasserbauer Kaspar
Sengstake aus Hamburg. Ein vielseitiger Künstler war Frederik
Hendrikszon Vroom, oft auch Friedrich Vrom (From) genannt, der
von 1567 bis zu seinem Tode 1593 als Stadtbaumeister, Bildhauer und
Landmesser in Danzig weilte und den wir bereits beim Festungsbau kennen
gelernt haben. Er stammte aus Haarlem, wo sein Vater als Bildschnitzer lebte. In
Danzig hat er sich als Architekt und Festungsingenieur gut bewährt.
Zum Schluß sei noch der Ratsmaurermeister Bartel Ranisch
erwähnt, dessen Geschlecht niedersächsischen Ursprungs ist. In
Halberstadt finden wir einen Maler Sigmund Ranisch, der von
1595 - 1602 das neuerbaute Schloß zu Köthen ausschmückte.
Der eingewanderte Danziger Zweig zählt den um 1620 geborenen
bedeutenden Maler August Ranisch (gest. 1653) zu seinen Mitgliedern.
Bartel bezeichnet sich selbst als "Einzögling dieser Stadt". Er ist
der Schöpfer der sogenannten Königlichen Kapelle in
Danzig, einer der heutigen katholischen Pfarrkirchen der Stadt Danzig, die
für [268] die wenigen Danziger Katholiken mit Hilfe von
Geldern des polnischen Königs - insgesamt 20 000
Gulden - erbaut wurde (daher der übliche Name, sonst ist die Kirche
dem Hl. Geist geweiht), nachdem die Marienkirche endgültig in den Besitz
der Protestanten übergegangen war. Die Kgl. Kapelle ist das einzige
Beispiel eines Zentralbaues in.Danzig, und zwar in den Formen des italienischen
Barock, und zugleich auch das einzige materielle Geschenk von
bleibendem Wert, das die Krone Polens der Stadt Danzig dargebracht hat, von der
ihr so große Summen und Unterstützung zugeflossen sind. Der
Erbauer aber ist wieder, wie soeben gezeigt, ein Deutscher.
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