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Bd. 2: Teil 2: Die politischen
Folgen des Versailler Vertrages
III. Wirtschaftliche Aufgaben des
Völkerbundes (Teil 1)
A) Die Internationale Arbeitsorganisation
Hermann Müller-Lichtenberg
Mitglied des Reichstages
Der Teil
XIII des Versailler
Vertrags behandelt die "Arbeit". Er umfaßt die
Artikel 387 bis
427, die sämtlich davon handeln, wie eine Organisation
aufzubauen sei, die der internationalen Sozialgesetzgebung dienstbar gemacht
werden soll und wie die dort zustandegekommenen Beschlüsse
durchgeführt werden können.
Mit der Feststellung, daß die Internationale Arbeitsorganisation nicht nur von
einem gesunden Gedanken getragen wird, sondern daß sie auch segensreich
gewirkt hat, ist nicht zu viel gesagt, wenn andererseits auch richtig ist, daß
die daran geknüpften Hoffnungen der Arbeiter weder in ihrem Aufbau noch
in ihren Befugnissen voll erfüllt worden sind.
Was die Mächte, die den Versailler Vertrag festsetzten, mit der
Arbeitsorganisation bezweckt haben, ist von ihnen zum Ausdruck gebracht in
folgenden Worten, die den erwähnten Artikeln vorausgeh[en,] und einigen der
Artikel selbst:
Da der Völkerbund die Begründung des
Weltfriedens zum Ziele hat und ein solcher Friede nur auf dem Boden der sozialen
Gerechtigkeit aufgebaut werden kann,
da ferner Arbeitsbedingungen bestehen, die für eine
große Anzahl von Menschen mit soviel Ungerechtigkeit, Elend und
Entbehrungen verbunden sind, daß eine den Weltfrieden und die
Welteintracht gefährende Unzufriedenheit entsteht, und da eine
Verbesserung dieser Bedingungen dringend erforderlich ist, zum Beispiel
hinsichtlich der Regelung der Arbeitszeit, der Festsetzung einer Höchstdauer
des Arbeitstags und der Arbeitswoche, der Regelung des Arbeitsmarkts, der
Verhütung der Arbeitslosigkeit, der Gewährleistung von
Löhnen, welche angemessene Lebensbedingungen ermöglichen, des
Schutzes der Arbeiter gegen allgemeine und Berufskrankheiten sowie gegen
Arbeitsunfälle, des Schutzes der Kinder, Jugendlichen und Frauen, der
Alters- und Invalidenunterstützung, des Schutzes der Interessen der im
Ausland beschäftigten Arbeiter, der Anerkennung des Grundsatzes der
Freiheit gewerkschaftlichen Zusammenschlusses, der Gestaltung des beruflichen
und technischen Unterrichts und ähnlicher Maßnahmen,
da endlich die Nichtannahme einer wirklich menschlichen
Arbeitsordnung durch irgendeine Regierung die Bemühungen der anderen,
auf die Verbesserung des Loses der Arbeiter in ihrem eigenen Lande bedachten
Nationen hemmt,
[202] haben die Hohen
Vertragschließenden Teile, geleitet sowohl von den Gefühlen der
Gerechtigkeit und Menschlichkeit, als auch von dem Wunsche, einen dauernden
Weltfrieden zu sichern, vereinbart, eine ständige Organisation zu schaffen,
die an der Verwirklichung des dargelegten Planes zu arbeiten berufen ist.
Es wird eine ständige Organisation geschaffen, die
an der Verwirklichung des in der Vorrede dargelegten Planes zu arbeiten berufen
ist.
Die ursprünglichen Mitglieder des
Völkerbundes sind zugleich die ursprünglichen Mitglieder dieser
Organisation; später bringt die Mitgliedschaft im Völkerbund die
Mitgliedschaft in der genannten Organisation mit sich.
Die ständige Organisation umfaßt:
1. eine Allgemeine Konferenz von Vertretern der
Mitglieder,
2. ein Internationales Arbeitsamt unter der Aufsicht des im
Artikel 393
vorgesehenen Verwaltungsrates.
Das Internationale Arbeitsamt wird am Sitz des
Völkerbundes errichtet und bildet einen Bestandteil der
Bundeseinrichtungen.
Die Tätigkeit des Internationalen Arbeitsamtes
besteht in der Sammlung und Weiterleitung aller Unterlagen, die sich auf die
internationale Regelung der Lage der Arbeiter und der Arbeitsverhältnisse
beziehen, sowie besonders in der Bearbeitung der Fragen, die den Beratungen der
Hauptversammlung zum Zweck des Abschlusses internationaler
Übereinkommen vorgelegt werden sollen, sowie endlich
Durchführung aller besonderen von der Konferenz angeordneten
Untersuchungen.
Das Internationale Arbeitsamt hat die Tagesordnung
für die Konferenzen vorzubereiten.
Es erfüllt ferner gemäß den
Bestimmungen dieses Teiles des gegenwärtigen Vertrages die ihm bei allen
internationalen Streitigkeiten zufallenden Obliegenheiten.
Es umfaßt und veröffentlicht in
französischer, englischer und jeder anderen Sprache, die der Verwaltungsrat
für angebracht hält, eine Zeitschrift für Probleme der
Wirtschaft und Arbeit, die von internationalem Interesse sind.
Im allgemeinen hat es neben den in diesem Artikel
bezeichneten Aufgaben alle anderen Obliegenheiten zu erfüllen, die ihm von
der Konferenz übertragen werden.
Die nachstehenden Wege und Grundsätze für
die Regelung der Arbeitsverhältnisse "erscheinen den Hohen
Vertragschließenden Teilen von besonderer und dringender
Wichtigkeit":
1. der leitende Grundsatz ist, daß die Arbeit nicht
lediglich als Ware oder Handelsgegenstand betrachtet werden darf;
2. das Recht des Zusammenschlusses zu allen den
Gesetzen nicht zuwiderlaufenden Zwecken sowohl für Arbeitnehmer als
auch für Arbeitgeber;
3. die Bezahlung der Arbeiter mit einem Lohn, der ihnen
eine nach der Auffassung ihrer Zeit und ihres Landes angemessene
Lebensführung ermöglicht;
[203] 4. die Annahme des Achtstundentages
oder der
48-Stunden-Woche als zu erstrebendes Ziel überall da, wo es noch nicht
erreicht ist;
5. die Annahme einer wöchentlichen Arbeitsruhe
von mindestens 24 Stunden, die nach Möglichkeit den Sonntag
einschließen soll;
6. die Beseitigung der Kinderarbeit und die Verpflichtung,
die Arbeit Jugendlicher beiderlei Geschlechts so einzuschränken, wie es
notwendig ist, um ihnen die Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermöglichen
und ihre körperliche Entwicklung sicherzustellen;
7. der Grundsatz gleichen Lohnes ohne Unterschied des
Geschlechts für eine Arbeit von gleichem Wert;
8. die in jedem Land über die Arbeitsweise
erlassenen Vorschriften haben allen im Land sich erlaubterweise aufhaltenden
Arbeitern eine gerechte wirtschaftliche Behandlung zu sichern;
9. jeder Staat hat einen Aufsichtsdienst einzurichten, an
dem auch Frauen teilnehmen, um die Durchführung der Gesetze und
Vorschriften für den Arbeiterschutz sicherzustellen.
Vorrede und
Artikel 427,
beide programmatischen Inhalts, lassen erkennen, wie
sehr die "hohen vertragschließenden Teile", deren Arbeiterorganisationen
schon während des Krieges auf eine derartige Verhandlung hingewirkt
hatten, den Arbeitern Rechnung trugen, deren Gewerkschaften sofort nach
Einstellung der Kämpfe stark angewachsen waren. Es war aber sicher nicht
reines Entgegenkommen aus sozialen Gründen heraus. Es hat, ohne Zweifel,
auch die Furcht vor dem Bolschewismus dabei eine große Rolle gespielt.
In den Schoß gefallen ist der Teil XIII des
Versailler Vertrages den Arbeitern
nicht. Die Internationale Arbeitsorganisation ist direkt und indirekt ein Ergebnis
der Arbeiterbewegung.
Es ist hier nicht der Platz, wo die Bemühungen, zu einer internationalen
Sozialgesetzgebung zu kommen, ausführlich geschildert werden
können. Hier kommt es darauf an, ein Bild von dem zu geben, was der
Friedensvertrag auf diesem Gebiet gebracht hat und wie seine Bestimmungen sich
praktisch auswirkten, aber ganz läßt sich doch an der Geschichte der
internationalen Sozialgesetzgebung nicht vorbeigehen. Das Wesentliche muß
gesagt werden.
Die Gründe, aus denen man für internationale Sozialpolitik sein kann,
brauchen sich mit denen nicht zu decken, aus denen man für nationale
Sozialpolitik ist. Wer in dem Arbeiter vor allem den Menschen sieht, der wird ihm
in allen seinen Nöten helfen wollen und sich dabei an die nationale
Gesetzgebung halten und sie vorwärts drängen, unbekümmert
darum, ob das Ausland mitgeht. Er wird dabei allerdings auf allerlei
Widerstände stoßen, von denen nicht der letzte der ist, daß
nationale Sozialpolitik sich nicht treiben lasse, wenn nicht die Länder
folgen, mit denen das vorausgehende Land auf dem Wirtschaftsmarkt im
Wettbewerbe steht. Das hat Owen erfahren, als er in England begann, für
den Kinderschutz einzutreten, was ihn veranlaßte, sofort für seinen
Plan auch international zu wir- [204] ken, und in Frankreich ist 1849 sogar ein
Gesetz, das 1848 den Zehnstundentag gebracht hatte, in ein
Zwölfstundentag-Gesetz umgewandelt worden, weil das Ausland dem
französischen Beispiel nicht gefolgt war. Das Geschäft ging vor. Der
Mensch folgte erst in letzter Linie. Hinzu kam der Grundsatz, daß der Staat
sich in die Produktion so wenig wie möglich einzumischen habe. Trotzdem
marschierte die nationale Sozialpolitik, weil die Arbeiterbewegung marschierte.
Um ihr entgegenzuwirken, das heißt, um die Arbeiter mit der herrschenden
Produktionsweise auszusöhnen, sind die verschiedenen Länder dazu
übergegangen, soziale Gesetze zu schaffen und auszubauen und wer aus
inneren, nicht aus solchen Gründen zur Sozialpolitik sich bekannte, der kam,
um die nationale Sozialgesetzgebung zu fördern, auf den Gedanken,
für sie international zu wirken. Zu ihnen gesellten sich die Herren mit dem
Rechenstift in der Hand, die einsahen, daß sich die Entwicklung im eigenen
Lande nicht aufhalten lasse und die, so feindlich sie dieser Entwicklung auch
gegenüberstanden und stehen, den Ausgleich in der internationalen
Entwicklung sehen, wobei sie zu leicht geneigt sind, den
produktionsfördernden Charakter der sozialen Gesetzgebung außer
Betracht zu lassen.
So ist die nationale Gesetzgebung der internationalen vorausgegangen und sie ist
heute noch der Bahnbrecher. Das erste sozialpolitische Gesetz, ein
Kinderschutzgesetz, kam 1802 in England zustande und auf diesem Gebiete
versuchte Owen seit 1818 international zu wirken. Er hatte keinen Erfolg. Das hat
ihn nicht abgehalten, weiter dafür zu wirken und er hat auch Nachfolger
gefunden. Blanqui gehört dazu, später der Elsässer
Legrand, noch später auf deutscher Seite A. Wagner,
Brentano und andere. Aber über die Propaganda kam man nicht
hinaus.
Auch der Arbeiterbewegung ging es zunächst nicht besser. Es war nicht
einmal ganz leicht, bei den Arbeitern den Gedanken eines weitgehenden
Arbeiterschutzes beliebt zu machen. Das wurde erst anders, als die sozialistischen
Ideen um sich griffen. Karl Marx hat in seinem Kapital ausführlich die
segensreichen Wirkungen der englischen Arbeitszeitgesetzgebung geschildert und
in der Inauguraladresse, der Programmschrift der Internationalen
Arbeiterassoziation, die 1864 gegründet wurde, hat er diese Wirkungen in
begeisternden Worten als den Sieg eines Prinzips gefeiert. Nun traten die Arbeiter
nach und nach auf diesen Boden. Schon der Umstand, daß in Ländern
mit besseren Verhältnissen der Zustrom von Arbeitern aus
zurückgebliebenen Ländern immer größer und
größer wurde, öffnete ihnen die Augen. Die Arbeiter waren es
deshalb auch, die, zuerst im Jahre 1866, internationale Kongresse beriefen, auf
denen auch die Sozialgesetzgebung eine Rolle spielte. Es wurde schon darauf
hingewiesen, daß schließlich das Wachsen der [205] Arbeiterbewegung entscheidend den Ausschlag
gab beim Ausbau der nationalen Sozialgesetzgebung. Es sei daran erinnert, wie in
Deutschland Sozialistengesetz und soziale Reform der Arbeiterbewegung
entgegenwirken sollten. Aber auch in Deutschland bestand damals wenig Neigung,
internationale Einrichtungen zu schaffen.
Wieder gingen die Arbeiter voran. Die bürgerlichen Sozialpolitiker folgten,
später, sehr zögernd, schließlich auch die Regierungen.
Die Arbeiter haben in den 80er Jahren wiederholt internationale Kongresse
abgehalten, bei denen sozialpolitische Programme erörtert wurden. Der
wirksamste war der vom Jahre 1889, der den 1. Mai als
Arbeiter-Feiertag einsetzte, an dem eingetreten werden sollte außer für
den Weltfrieden, für den gesetzlichen Achtstundentag und den Ausbau der
Sozialgesetze. Darüber ist früher viel gespöttelt worden. Aber
der 1. Mai hat Jahr für Jahr viele Gewissen wach gerüttelt und viele
fruchtbare Saat ist an diesem Tage ausgestreut worden.
Im Jahre 1889 lud die Schweiz, die auch im Jahre 1881 schon, allerdings
vergeblich, bei den europäischen Regierungen angeregt hatte, internationale
Arbeiterschutzverträge abzuschließen, zu einer internationalen
Arbeiterkonferenz nach Bern ein. Im Jahre vorher hatte sie ein Programm
bekanntgegeben, dessen Durchführung sie international für besonders
dringlich hielt. Es erfaßte: Mindestalter für die Beschäftigung
von Kindern in Fabriken und Bergwerken, Verbot der Nachtarbeit für
Frauen und Kinder, Fernhaltung der Frauen von bestimmten
gesundheitsschädlichen Arbeiten, Sonntagsruhe, Beschränkung der
Arbeitszeit jugendlicher Arbeiter, Errichtung eines internationalen
Nachrichtenamts.
Zu der Berner Konferenz kam es nicht, weil die Schweiz Deutschland den Vortritt
ließ, das zu einer Arbeitsschutzkonferenz nach Berlin einlud, die vom 25. bis
29. März 1889 tagte. Ergebnisse brachte sie nicht. Es zeigte sich nur immer
noch wie früher, daß die Auffassungen über Arbeiterschutz in
den verschiedenen Ländern nicht weit auseinander gingen.
Erst acht Jahre später, im Jahre 1897, folgte eine weitere Konferenz, in
Brüssel, die von Sozialpolitikern einberufen war. Dort kam man einen
Schritt vorwärts, indem man eine Kommission einsetzte, die die Vorarbeiten
für die Gründung einer internationalen Vereinigung für
gesetzlichen Arbeiterschutz in die Hand nahm. Es ist damals auch das belgische
Jahrbuch für die Arbeiterschutzgesetzgebung geschaffen worden. Im Jahre
1900 wurde dann in Paris auf einer wieder von Sozialpolitikern einberufenen
Konferenz die internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz
gegründet, in der Regierungsvertreter, Sozialpolitiker und Gewerkschaften
Hand in Hand [206] arbeiteten, auf der gleichen Tagung wurde auch
ein Internationales Arbeitsamt mit dem Sitz in Basel ins Leben gerufen.
Jetzt hatte der internationale Arbeiterschutz eine festere Basis. 1905 und 1906
tagten in Bern Konferenzen, wo internationale Verträge über Verbote
der Nachtarbeit von Frauen in industriellen Unternehmungen und über die
Verwendung von weißem Phosphor vorbereitet wurden: Die sogenannten
Berner Konventionen, die den Regierungen zur Ratifizierung vorgelegt wurden
und diese dann 12 Jahre banden. Gemessen an der Zahl der erfolgten
Ratifikationen war der Erfolg nicht gerade überwältigend, aber der
Anfang war gemacht.
Die internationale Vereinigung arbeitete weiter und 1913 waren die Vorarbeiten
für zwei weitere Konventionen, durch die das Verbot der Nachtarbeit
für jugendliche Personen ausgesprochen und eine Höchstarbeitsdauer
für Frauen und Jugendliche festgesetzt werden sollte, soweit gediehen,
daß eine
Sachverständigen-Konferenz in Bern sich verständigen konnte. Im
nächsten Jahre sollte eine Konferenz von Regierungsvertretern
endgültige Beschlüsse fassen. Dazu kam es nicht, weil der Krieg
ausbrach. In der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz
waren damals 14 Länder mit 15 Sektionen vertreten.
Der Krieg brachte zunächst die Aufhebung vieler
Arbeiterschutzbestimmungen mit sich, namentlich soweit sie die Frauenarbeit und
die Arbeit Jugendlicher betrafen. Er zeigte aber auch, wie sehr fast alle
kriegführenden Staaten von dem guten Willen ihrer Arbeiter abhingen und
so widerwillig das auch anerkannt worden sein mag, es führte doch zu der
Neigung, dem Arbeiter auf sozialpolitischem Gebiet entgegenzukommen. Es hat
nicht an Versprechungen dieser Art gefehlt und als nach dem Krieg sich ergab,
daß überall die Arbeiter den Gewerkschaften zuströmten, da
mußten sich die Staaten auch dazu bequemen, das Versprochene zu halten
und das hat sich auch im Versailler Vertrag ausgewirkt.
Die Gewerkschaftsführer waren auch während des Krieges nicht
untätig gewesen. Dieser hatte zwar manchen Faden zerrissen, der zwischen
den Arbeitern von Land zu Land geknüpft gewesen war; die internationale
Zusammenarbeit war gestört, aber nicht beseitigt. Und auch die
Störungen hinderten nichts an dem Willen der Arbeiter aller Länder,
beim Friedensschluß mitzureden. Auch an den Vorarbeiten dazu ließen
sie es nicht fehlen. Die Gewerkschaftsführer der alliierten Länder
waren schon 1916 in Leeds zusammen und 1917 trafen sich die Führer der
Mittelmächte mit anderen aus neutralen Staaten in Bern. Auf beiden
Konferenzen wurden sozialpolitische Programme aufgestellt, die gar nicht weit
voneinander entfernt waren. Und bald nach Einstellung der Kämpfe, am 5.
Fe- [207] bruar 1919, waren die
Gewerkschaftsführer aller Länder in Bern, um ihre Forderungen zu
formulieren.
Schon am 31. Januar 1919 hatte die Friedenskonferenz die Einsetzung einer
Kommission zum Studium der Arbeiterfragen beschlossen, die aus Beamten,
Sozialpolitikern und Gewerkschaftsführern zusammengesetzt sein sollte und
diese Kommission hat in Versailles vom 1. Februar bis 21. März 1919
gearbeitet. Der Artikel XIII
des Versailler Vertrages ist ihr Werk.
So kam es zur internationalen Arbeitsorganisation, die laut Friedensvertrag besteht
aus den Internationalen Arbeitskonferenzen, dem Internationalen Arbeitsamt und
seinem Verwaltungsrat. Die höchste Instanz sind die Konferenzen, der
Schwerpunkt liegt naturgemäß beim Arbeitsamt, obgleich auch dieses
nicht ganz selbständig ist. Es ist, abgesehen davon, daß es die
Beschlüsse der Konferenzen auszuführen hat und insofern gebunden
ist, auch vom Völkerbund abhängig, denn es stellt eine seiner
Unterabteilungen dar, was sich allerdings nur insofern auswirkt, als sein Haushalt
vom Völkerbund nachgeprüft
und - je nachdem - auch geändert, d. h. gekürzt
wird. Aber abgesehen davon hat der Leiter des Amts, der Direktor Albert Thomas,
verstanden, das Amt zu einer unabhängigen Einrichtung auszubauen,
innerhalb dessen von der Abhängigkeit vom Völkerbund sehr wenig
zu merken ist und so ist das Internationale Arbeitsamt rascher zu einer
großen Einrichtung herangewachsen, als das Sekretariat des
Völkerbundes selbst und es hat auf seinem Spezialgebiet, auf dem der
internationalen Sozialgesetzgebung, eine ganz andere Bedeutung bekommen, als
der Völkerbund sonst. Direktor Albert Thomas hat es fertiggebracht, das
Internationale Arbeitsamt sehr rasch zum Mittelpunkt der internationalen
Arbeitsgesetzgebung zu machen. Obgleich es offiziell nur mit seinen Mitgliedern,
d. h. den Regierungen der Länder verkehren kann, die seine
Mitglieder sind, ist es doch kein bürokratischer Apparat geworden, sondern
ein lebendiger Körper, der Beziehungen unterhält zu den
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen aller Länder und dem so das
Blut zufließt, das er braucht. Namentlich hat Direktor Thomas niemals
vergessen, daß das Internationale Arbeitsamt nichts ist, wenn es sich nicht
auf die Arbeiterbewegung stützen kann. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht,
daß er die Gewerkschaften für die eigentlichen Träger des
Arbeitsamtes hält. Um die absolut notwendige Fühlung mit dem
wirtschaftlichen Leben der angeschlossenen Länder zu haben, hat das Amt
in den größten Industriestaaten Zweigämter errichtet, so in
Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und den Vereinigten
Staaten. In einer Reihe anderer Länder hat es ständige
Korrespondenten.
Mitglieder des Internationalen Arbeitsamtes sind alle die Staaten, [208] die Mitglieder des Völkerbundes sind,
d. h. fast alle Staaten der Erde. Von den
Nicht-Mitgliedern sind die beachtlichsten die Vereinigten Staaten von Amerika
und Rußland.
Wenn gesagt wurde, daß das Amt offiziell nur mit den Regierungen der
angeschlossenen Länder verhandeln könne, so ist damit nicht gesagt,
daß bei den Arbeiten und Beschlüssen der internationalen
Arbeitsorganisation nur die Regierungen eine Rolle spielen. Der Versailler Vertrag
hat vorgesehen, daß auf den Konferenzen und im Verwaltungsrat auch die
Arbeiter und Unternehmer vertreten sind. Die Konferenz setzt sich aus je vier
Vertretern eines jeden Mitgliedes zusammen. "Von diesen sind zwei
Regierungsvertreter, von den anderen zwei vertritt je einer die Unternehmer und je
einer die Arbeiter eines jeden Mitglieds" (Artikel
389). Darin ist eingeschlossen
die unbedingte Selbständigkeit der Vertreter. Weder die Unternehmer noch
die Arbeiter sind an irgendwelche Beschlüsse gebunden, die ihnen ihre
Regierung etwa mit auf den Weg geben wollte. "Jeder Vertreter hat das Recht der
unabhängigen Stimmenabgabe über alle der Konferenz unterbreiteten
Fragen" (Artikel
390). Es sind auch die Regierungen nicht etwa frei in der Auswahl
der Vertreter der Unternehmer und der Arbeiter.
"Die Mitglieder verpflichten sich, diejenigen
Vertreter und technischen Ratgeber, die nicht Regierungsvertreter sind, im
Einverständnis mit den maßgebenden Berufsverbänden der
Unternehmer oder Arbeiter des betreffenden Landes zu bezeichnen, vorausgesetzt,
daß solche Verbände bestehen" (Artikel
389).
Es ist hier auch von "technischen Ratgebern" die Rede, die auch an den
Konferenzen teilnehmen können. Das ist deshalb nicht nur
zweckmäßig, sondern eigentlich selbstverständlich, weil die
stimmführenden Mitglieder der Vertretungen nicht auf allen Gebieten, die
auf den Konferenzen verhandelt werden, Fachleute sein können. Sie
müssen unmittelbare Berater haben und diese werden wieder aus ihren
Reihen entnommen, es werden also dem Arbeitervertreter Sachverständige,
die technischen Ratgeber, beigeordnet, die von den maßgebenden
Gewerkschaften vorgeschlagen werden, und zwar für jeden
Tagesordnungspunkt der Konferenz je zwei. Genau so ist es bei den
Unternehmern.
"Die technischen Ratgeber dürfen nur auf
Antrag des Vertreters, dem sie beigeordnet und mit besonderer Genehmigung des
Vorsitzenden der Konferenz das Wort ergreifen, an den Abstimmungen nehmen sie
nicht teil" (Artikel
389).
Da aber, wie bei allen parlamentarischen Körperschaften, die Hauptarbeit in
den Ausschüssen gemacht werden und das stimmführende Mitglied
nicht in allen Ausschüssen zugleich sein kann, muß er
zweckmäßigerweise seinen technischen Ratgebern Vollmacht erteilen
[209] zu selbständiger Arbeit in den
Ausschüssen und gegebenenfalls auch auf der Konferenz selbst; es gilt der
technische Ratgeber dann als Ersatzmann. "Der Stellvertreter kann in dieser
Eigenschaft an den Beratungen und Abstimmungen teilnehmen" (Artikel
389).
Eine nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags regelrecht zusammengesetzte
Konferenz würde demnach zur Hälfte aus Vertretern der Regierungen,
zu einem Viertel aus den Vertretern der Unternehmer und zu einem Viertel aus
Vertretern der Arbeiter bestehen. Das ist aber nicht der Fall. Es sind seit Jahren
mehr Regierungsvertreter anwesend, als, streng genommen, zulässig ist. Das
kommt daher, daß es Mitglieder gibt, die behaupten, in ihrem Lande
gäbe es keine maßgebenden
Unternehmer- oder Arbeiterorganisationen. Sie schicken deshalb nur
Regierungsvertreter. So schickten im Jahre 1925 29 Staaten vollständige
Vertretungen, während 17 Staaten unvollständig vertreten waren;
1928 war es bedeutend besser, da standen 46 vollständige 11
unvollständigen Vertretungen gegenüber. Es waren 11
außereuropäische Staaten, die unvollständig vertreten
waren.
Das sind unliebsame Erscheinungen. Von vornherein war strittig gewesen, ob und
wieviel Regierungsvertreter auf den Konferenzen anwesend sein sollten und es hat
viele Arbeiter gegeben, die lieber gesehen hätten, wenn gar keine
hinzugezogen worden wären. Aber im ganzen läßt sich nach
den gemachten Erfahrungen doch sagen, daß beim heutigen Stand der Dinge
sich die Hinzuziehung der Regierungsvertreter bewährt hat. Artikel
405 des
Versailler Vertrages bestimmt, daß Vorschläge und
Übereinkommensentwürfe nur mit ⅔ Mehrheit beschlossen werden
können und es ist verständlich, daß bei so wichtigen
Beschlüssen nicht mit Zufallsmehrheiten gerechnet werden kann. Eine ⅔ Mehrheit käme aber kaum zustande, wenn die Regierungsvertreter nicht
anwesend wären. Die Arbeiten der Konferenzen würden sich wohl
stets auf totem Gleise bewegen. Da die Regierungen zumeist Vertreter ihrer
Sozialministerien schicken, ist bis zu einem gewissen Grade auch zu erwarten,
daß diese soziales Verständnis mitbringen, wobei es natürlich
darauf ankommt, welche Einflüsse in den Ländern selbst sich
durchzusetzen vermögen.
Die Möglichkeit, daß die Mitgliedsstaaten durch einseitige
Beschickung die Konferenz durch
Unternehmer- oder Arbeitervertreter beeinflussen können, schaltet Artikel
390 aus. Er sieht vor, daß z. B. ein Unternehmervertreter, der als
Gegenspieler keinen Arbeiter hat, zwar an den Beratungen der Konferenz
teilnehmen kann, daß er aber kein Stimmrecht hat. So geht es auch dem
Arbeitervertreter, wenn kein Unternehmer geschickt worden ist.
Auch der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes ist durch den Versailler
Vertrag so zusammengesetzt, daß die Hälfte der
Mit- [210] glieder aus Regierungsvertretern besteht. Es sind
12 Regierungsvertreter und je 6
Unternehmer- und Arbeitervertreter darin.
"Von den 12 die Regierungen vertretenden Personen
werden 8 durch die Mitglieder ernannt, denen die größte
wirtschaftliche Bedeutung zukommt und 4 durch die Mitglieder, die zu diesem
Zweck von den Regierungsvertretern auf der Konferenz unter Ausschluß der
Vertreter der erwähnten 8 Mitglieder bezeichnet worden sind. Streitigkeiten
über die Fragen, welchen Mitgliedern die größte wirtschaftliche
Bedeutung zukommt, werden durch den Rat des Völkerbundes entschieden"
(Artikel
393).
Die Vertreter der Unternehmer und der Arbeiter im Verwaltungsrat werden auf der
Konferenz gewählt, und zwar wählt jede der Gruppen für sich.
Die Amtsdauer beträgt bei allen Mitgliedern drei Jahre. Die jeweiligen
Vertreter der Unternehmer und Arbeiter gelten nicht als die Vertreter ihres Landes,
sondern als die Vertreter ihrer Gruppe. Der Verwaltungsrat führt die
Aufsicht über das Internationale Arbeitsamt. Die Tätigkeit des
Internationalen Arbeitsamtes ist in Artikel 396
bestimmt. (Siehe S. 202.)
Diese Bestimmungen des Versailler Vertrages haben seinem Direktor
Thomas die Möglichkeiten gegeben, das Internationale Arbeitsamt
zum Mittelpunkt der Sozialgesetzgebung zu machen. Es gibt sonst keine Stelle, wo
sozialpolitisches Material in solchem Maße zusammenfließt und
verarbeitet wird. Die zahlreichen Untersuchungen und Veröffentlichungen
beweisen das ausreichend.
Im Mittelpunkt der Tätigkeit des Amtes stehen natürlich die
Konferenzen. Um deren Arbeit kristallisiert sich alles. Es wurde schon
beiläufig erwähnt, daß die Konferenzen Entwürfe
internationaler Übereinkommen und Vorschläge annehmen
können. Das sind in bezug auf ihre Wirkungen ganz verschiedene
Beschlüsse. Ein Vorschlag ist den "Mitgliedern zur Prüfung
vorzulegen zu dem Zweck, ihn auf dem Wege der Landesgesetzgebung oder in
anderer Weise zur Ausführung gelangen zu lassen", während der
Entwurf eines internationalen Übereinkommens den Mitgliedern zur
Ratifikation vorzulegen ist. Die Weitergabe der Vorschläge oder der
Übereinkommensentwürfe an die Mitglieder erfolgt durch den
Sekretär des Völkerbundes.
"Jedes Mitglied verpflichtet sich, spätestens
ein Jahr nach Schluß der Tagung der Konferenz (oder wenn dies infolge
außergewöhnlicher Umstände innerhalb eines Jahres
unmöglich sein sollte, sobald es angängig ist, unter keinen
Umständen später als 18 Monate nach Schluß der Tagung der
Konferenz) den Vorschlag oder den Entwurf eines Übereinkommens der
zuständigen Stelle zum Zwecke der Verwirklichung durch ein Gesetz oder
durch anderweitige Maßnahmen [zu] unterbreiten. Handelt es sich um einen
Vorschlag, so haben die Mitglieder den Generalsekretär von den getroffenen
Maßnahmen in Kenntnis zu setzen. Handelt es sich um den Entwurf eines
Übereinkommens, so hat das Mitglied, wenn der Entwurf die Zustimmung
der zuständigen Stelle oder Stellen erhält, die förmliche
Ratifikation des Übereinkommens dem [211] Generalsekretär mitzuteilen und die zu
seiner Durchführung nötigen Maßnahmen zu treffen. Hat ein
Vorschlag keine gesetzgeberische oder andere Maßnahme zur Folge, die ihm
Wirkung verschafft oder findet ein Entwurf eines Übereinkommens nicht die
Zustimmung der dafür zuständigen Stellen, so hat das Mitglied keine
weiteren Verpflichtungen" (Artikel
405).
Ein Mitglied, das einen Übereinkommensentwurf ratifiziert hat, ist
gebunden, seine Gesetzgebungen mit dem Übereinkommen in Einklang zu
bringen. Es hat dem Internationalen Arbeitsamt jährlich einen Bericht
darüber vorzulegen. Jeder Berufsverband der Arbeiter oder Unternehmer
kann sich beim Arbeitsamt beschweren, wenn ein ratifiziertes
Übereinkommen von den Ländern nicht oder unzureichend
durchgeführt wird. Ebenso kann ein anderes Mitglied solche Beschwerden
vorbringen. Der Verwaltungsrat hat solche Beschwerden zu prüfen, er kann
auch die Bildung eines Untersuchungsausschusses herbeiführen.
Endgültig entscheidet gegebenenfalls der ständige internationale
Gerichtshof des Völkerbundes.
Es kann nach allem kein Mitglied gezwungen werden, einen
Übereinkommensentwurf zu ratifizieren, hat es aber ratifiziert, so ist es
daran auch gebunden. Es kann durch wirtschaftliche Strafmaßnahmen, die
der höchste Gerichtshof bezeichnen kann, gezwungen werden, seine
Verpflichtungen zu erfüllen. Jedes andere Mitglied darf nach Ablauf einer
bestimmten Frist der schuldigen Regierung gegenüber die für
zulässig erklärten Strafmaßnahmen ergreifen.
Alles das läßt die Bedeutung der von den Arbeitskonferenzen
gefaßten Beschlüsse erkennen. Sie haben nicht direkt bindende Kraft,
wie die Beschlüsse einer gesetzgebenden Körperschaft, es kommt
aber auch kein Land um ihre Behandlung herum. Es braucht sich zwar nicht auf
den Boden dieser Beschlüsse zu stellen, steht aber doch unter starkem
moralischen Druck. Dieser wird stärker oder schwächer sein, je
nachdem, ob die Arbeiterbewegung eines Landes stärker oder
schwächer ist und es wird auch insofern die Tätigkeit des
Internationalen Arbeitsamtes von der Arbeiterbewegung getragen. Anfangs war
auch bei Unternehmern die Neigung mitzuarbeiten, stärker als bisher. Es
mußte angenommen werden, daß die Unternehmer der Länder
mit fortgeschrittener Gesetzgebung in ihrer Gruppe einen lebhaften Sauerteig
bilden würden. In fast allen Ländern wird lebhaft geklagt über
die Lasten der Sozialgesetzgebung und es wird dabei hingewiesen auf die
Erschwerungen der Wirtschaft eines jeden einzelnen Landes. Nichts läge
näher, als diese Erschwerungen durch internationalen Ausbau der
Sozialgesetzgebung zu beseitigen, denn je mehr Länder solche "Lasten" zu
tragen haben, desto weniger nimmt ein Land so oder so eine Sonderstellung ein.
Aber auch die Unternehmer der vorgeschrittenen Länder legen dem [212] internationalen Ausbau Steine in den Weg.
Vielleicht liegt das daran, daß auch in Genf die Vertretung der Unternehmer
nicht von den Unternehmern selbst ausgeübt wird. Es ist z. B. von
allen Unternehmervertretern im Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes
nur einer ein wirklicher Unternehmer: der Deutsche.
Die Arbeitskonferenzen sollen mindestens jährlich einmal stattfinden. Die
erste war im Jahre 1919, und zwar in Washington. Auf den verschiedenen
Konferenzen wurden folgende Übereinkommensentwürfe
beschlossen:
Erste Tagung (Washington, 1919).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend
Festsetzung der Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben auf acht Stunden
täglich und achtundvierzig Stunden wöchentlich;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Arbeitslosigkeit;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Nachtarbeit der Frauen;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend das
Mindestalter für die Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen.
Zweite Tagung (Genua, 1920).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend das
Mindestalter für die Zulassung der Kinder zur Arbeit auf See;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Gewährung einer Entschädigung für Arbeitslosigkeit infolge
von Schiffbruch;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Stellenvermittlung für Seeleute.
Dritte Tagung (Genf, 1921).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend das Alter
für die Zulassung von Kindern zur Arbeit in der Landwirtschaft;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend das
Vereins- und Koalitionsrecht der landwirtschaftlichen Arbeiter;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Entschädigung der Landarbeiter bei Arbeitsunfällen;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Verwendung von Bleiweiß zum Anstrich;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend den
wöchentlichen Ruhetag in gewerblichen Betrieben;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend das
Mindestalter für die Zulassung von Jugendlichen zur Beschäftigung
als Trimmer oder Heizer;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
obligatorische ärztliche Untersuchung der in der Seeschiffahrt
beschäftigten Kinder und Jugendlichen.
Siebente Tagung (Genf, 1925).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Entschädigung von Betriebsunfällen;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Entschädigung von Berufskrankheiten;
[213] Entwurf eines Übereinkommens
betreffend die Gleichbehandlung
in- und ausländischer Arbeiter in der Entschädigung von
Betriebsunfällen;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Nachtarbeit in Bäckereien.
Achte Tagung (Genf, 1926).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend
Vereinfachung der Aufsicht über die Auswanderer an Bord von
Schiffen.
Neunte Tagung (Genf, 1926).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend den
Heuervertrag der Seeleute;
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Rückbeförderung der Seeleute.
Zehnte Tagung (Genf, 1927).
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Krankenversicherung der Arbeitnehmer in Gewerbe und Handel und der
Hausgehilfen.
Entwurf eines Übereinkommens betreffend die
Krankenversicherung der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft.
Elfte Tagung (Genf, 1928).
Entwurf eines Übereinkommens über die
Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen.
Die von den verschiedenen Tagungen der Konferenz beschlossenen
Vorschläge für die Staatsgesetzgebung beziehen sich auf folgende
Gegenstände: Arbeitslosigkeit; Gleichbehandlung ausländischer
Arbeiter; Milzbrand; Schutz der Frauen und Kinder gegen Bleivergiftung;
Schaffung öffentlicher Gesundheitsbehörden; Phosphorverbot in der
Zündholzfabrikation; Arbeitszeit in der Binnenschiffahrt und in der
Fischerei; Erlaß von Seemannsordnungen; Arbeitslosenversicherung der
Seeleute; Arbeitslosenversicherung der Landarbeiter; Mutterschutz der
landwirtschaftlichen Arbeiterinnen; Nachtarbeit der Frauen, Jugendlichen und
Kinder in der Landwirtschaft; Förderung der landwirtschaftlichen
Berufsbildung; Unterbringung der landwirtschaftlichen Arbeiter;
Sozialversicherung in der Landwirtschaft; wöchentlicher Ruhetag in
Handelsbetrieben; Statistische und sonstige Angaben über Wanderungen;
allgemeine Grundsätze der Gewerbeaufsicht; Nutzung der Freizeit der
Arbeiter; Gleichbehandlung
in- und ausländischer Arbeiter in der Entschädigung von
Betriebsunfällen; Mindestsätze in der Entschädigung von
Betriebsunfällen; Streitigkeiten in Unfallentschädigungsfragen;
Entschädigung von Berufskrankheiten; Schutz auswandernder Frauen und
Mädchen an Bord von Schiffen; Rückbeförderung von
Schiffskapitänen und Schiffsjungen; Allgemeine Grundsätze der
Arbeitsaufsicht zur See; Allgemeine Grundsätze der
Krankenversicherung.
Die geleistete Arbeit ist also umfangreich und vielseitig. Die Zahl der
Ratifikationen entspricht nicht ganz den Erwartungen, aber sie [214] wächst in steigenden Maße. Die
letzte Veröffentlichung des Amts spricht von 349 Ratifikationen.
Es hat mehrere Jahre gedauert, ehe Deutschland innere Fühlung mit der
internationalen Arbeitsorganisation bekam. Äußerlich war es
allerdings anders. Schon auf der ersten Konferenz wurde Deutschland als Mitglied
zugelassen, obgleich es nicht Mitglied des Völkerbundes war. Es wurde
auch sofort als einer der Staaten anerkannt, deren wirtschaftliche Bedeutung ihm
einen Sitz im Verwaltungsrat sicherte. Wozu zu sagen ist, daß es allerdings
auch sonderbar ausgesehen haben würde, wenn gerade das Land mit der
ausgedehntesten Sozialgesetzgebung von der Mitgliedschaft ausgeschlossen
geblieben wäre. Man kam Deutschland in Anerkennung seiner
bedrängten Lage auch entgegen, indem es nur einen Beitrag zu zahlen hatte
in der Höhe wie Kanada, also einen Beitrag, der nicht seiner wirtschaftlichen
Bedeutung entsprach, aber damit glaubte man auch, daß genug geschehen
sei. Als die Amtssprache festgesetzt wurde, fiel die deutsche Sprache aus.
Amtssprachen wurden französisch und englisch. Das war nicht nur
bedauerlich des Ansehens des Deutschen Reiches wegen, es war auch bedauerlich
der Arbeiter wegen, denen durch diese Einschränkung die aktive Teilnahme
bei den Konferenzen erheblich erschwert wurde. Dabei handelt es sich nicht nur
um die aus Deutschland kommenden Vertreter und Sachverständigen,
sondern um die fast ganz
Mittel-Europas, da die Arbeiter in diesen Ländern entweder deutsch
sprechen oder doch die deutsche Sprache genügend verstehen. Das geht bis
in die Balkanstaaten hinein. Allen diesen Arbeitern würde mit der
Einführung der deutschen Sprache gedient gewesen sein. Der Wille der
Sieger war aber stärker als die Vernunft. Hinzu kam für Deutschland,
daß die Kriegspsychose mit dem Krieg nicht verschwunden war.
Deutschlands Vertreter hatten in Genf sehr stark unter Vorurteilen zu leiden. Es hat
zwar die Arbeitergruppe sofort auch einen deutschen Arbeiter in den
Verwaltungsrat gewählt und die deutschen Unternehmer bekamen auch
sofort einen Stellvertreter im Verwaltungsrat zugebilligt, aber auch hier zeigte sich
doch, daß Widerstände aller Art zu überwinden waren.
Natürlich hat sich auch im Internationalen Arbeitsamt selbst sofort
ausgewirkt, daß die deutsche Sprache nicht zu den Amtssprachen
gehört. Der ganze Apparat, der sich sehr rasch ausdehnte, kann zwar auf
keine Sprache verzichten, die in den Mitgliederstaaten gesprochen wird, aber im
ganzen mußte er so aufgezogen werden, daß die Amtssprachen
herrschten. Darum kamen von Anfang an Deutsche nur auf untergeordnete Posten,
während die Leitung in den Händen Angehöriger anderer
Nationen ruhte.
Deutschland hat ganz selbstverständlich das nicht ruhig hingenommen, es
hat immer auf eine seiner Bedeutung entsprechende
Be- [215] rücksichtigung hingedrängt. Aber
da kam noch die Geldentwertung dazwischen, die schließlich einen Grad
erreichte, daß Deutschland nicht einmal seine Beiträge zahlen konnte.
Das erschwerte die Stellung der deutschen Regierung dem Amt gegenüber
ganz erheblich. Weitere Berücksichtigungen der deutschen Interessen zu
verlangen, ohne zugleich die auf den Beiträgen beruhende Gegenleistung zu
gewähren, das sind Dinge, die sich nicht gut vertragen. So ist Deutschland
lange Zeit das Stiefkind der internationalen Arbeitsorganisation gewesen und das
hat die Anbahnung eines innerlichen Verhältnisses verhindert, wobei
verkehrt wäre, zu verschweigen, daß der Direktor Albert
Thomas immer versucht hat, Deutschland entgegenzukommen. Aber die
Verhältnisse waren auch stärker als er. Es ist bald ein Bericht
über die Verhandlungen in deutscher Sprache herausgekommen, es sind
auch Veröffentlichungen des Amts in deutscher Sprache erschienen und
vom Jahre 1923 ab auch eine Monatsschrift: Die internationale Rundschau der
Arbeit.
Aber im ganzen waren die Hemmungen stärker als die Fortschritte. Manches
ist in den letzten Jahren besser geworden und diese Besserung wurde
gefördert durch den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund.
Es ist zwar noch immer nicht gelungen, die deutsche Sprache zur Amtssprache zu
machen. Eifersüchteleien haben diesen Schritt, der tatsächlich auch
im Interesse der internationalen Arbeitsorganisation selbst liegen würde,
verhindert. Jeder Versuch, hier etwas zu erreichen, hat sofort entsprechende
Anträge bei den Spaniern, den Italienern und schließlich auch bei den
Portugiesen ausgelöst. Auch bei dem letzten Antrag ist das so gewesen, der
der Konferenz vom Jahre 1928 auf Beschluß des Internationalen
Gewerkschaftsbundes vorgelegt wurde. Die Verhandlungen darüber
schweben noch, fest steht aber schon heute, daß er nicht zur
Einführung der deutschen Sprache führen wird. Trotzdem sind auch
hier Fortschritte zu verzeichnen. Nach der Geschäftsordnung der Konferenz
kann dort jeder Teilnehmer in seiner Muttersprache reden, aber es war
zunächst so, daß ein solcher Redner für die Übersetzung
in eine der Amtssprachen selbst zu sorgen hatte. Ohne daß er einen
besonderen Beschluß herbeiführte, hat der Direktor dafür
gesorgt, daß die deutschen Reden von Dolmetschern des Amtes
übersetzt wurden. Das wurde dann von den spanisch redenden Nationen
hintertrieben und nun kam es zu einer Änderung der
Geschäftsordnung, wonach der Direktor alle Reden von amtswegen
übersetzen lassen kann, sofern er die Kräfte dazu zur
Verfügung hat. Ein weiterer Fortschritt ist, daß jetzt von amtswegen
auch die Beschlüsse der Konferenzen in deutscher Sprache herausgegeben
werden und daß diese den Veröffentlichungen in den Amtssprachen
gleichstehen. Möglicherweise würde noch in diesem Jahre [216] in die Geschäftsordnung der Konferenz
auch hineinkommen, daß bei den Ausschußberatungen auf den
Konferenzen die deutsche Sprache wie die Amtssprachen benutzt werden kann,
wenn ein entsprechender Teil der Ausschußmitglieder dies beantragt.
Das ist bei weitem noch nicht das, was Deutschland verlangen kann. Es wird
darauf drängen, daß seine Sprache der von Frankreich und England
gleich gewertet wird, aber es zeigt doch, daß es nach dieser Richtung hin
vorwärts geht. So ist es auch mit der Besetzung der Stellen im Arbeitsamt.
Die Deutschen, die von Anfang an in Genf waren, hatten nicht nur untergeordnete
Posten, sie hatten auch gegen alle geschilderten Widerwärtigkeiten in erster
Linie allein anzukämpfen. Es ist eine sehr erfreuliche Tatsache, daß
sie sich durchgesetzt haben. Das wirkt sich auch aus in den Posten, die sie
ausfüllen. Zugleich ist eine erhebliche Vermehrung des deutschen Personals
im ganzen einhergegangen.
Daß Deutschland nicht in das richtige Verhältnis zum Amt kommen
konnte, fand seinen Ausdruck auch darin, daß es lange gezögert hat,
Übereinkommensentwürfe zu ratifizieren. Obgleich seine
Sozialgesetzgebung so ist, daß ihm die Ratifizierung leicht gefallen
wäre, ist erst im Jahre 1925 die erste Ratifikation erfolgt, seitdem hat sich
diese Zahl auf 13 erhöht.
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