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Bd. 10: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Zweiter Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 2: Das Nahen des Weltkrieges   (Forts.)

[731] 3. Die Balkankriege und das Anwachsen der europäischen Spannung 1912 - 1914.

Während die zwischen dem Deutschen Reich und den Westmächten entstandene Krisis auf ihren Höhepunkt gelangte, war die Welt plötzlich durch ein Ereignis überrascht worden, das zunächst nur von peripherischer Natur zu sein schien, aber alsbald eine nicht mehr aufzuhaltende Kette von Weiterwirkungen auslöste: ein Vorspiel nur, aber ein solches, das die ganze europäische Staatengesellschaft in Bewegung setzt und vor allem den Schwerpunkt des Geschehens von dem Westen in den Osten Europas zu verlagern beginnt. Am 25. September 1911 hatte Italien der Türkei um des längst vorbereiteten Zieles Tripolis willen den Krieg erklärt und schon am 5. November 1911 verkündete es, obgleich die militärischen Handlungen noch in den Anfängen steckten, die Annexion des türkischen Nordafrika. Damit begann eine umfassende Erschütterung des Orients, bis in die Tiefen hinabreichend und den gesamten Zusammenhang der Großmächte berührend - von diesem Kampf um den Orient führen die Perspektiven in den Weltkrieg hinüber.

Die italienische Aktion, deren letzter Ursprung in den Verträgen mit den Westmächten ruhte, war nicht durch Agadir - wie die Gegenseite behauptete -, sondern durch den Marsch auf Fez ausgelöst: sobald der Anfall Marokkos an Frankreich unvermeidlich wurde, ließen die Italiener sich nicht halten, ihren Teil der Beute an sich zu reißen. Das Objekt in Tripolis war für die Türken weder unentbehrlich, noch war es von ihnen über See gegen einen Angriff zu behaupten; aber es war eine Ehrensache für den Staat, der sich einem endlosen Zugreifen von allen Seiten und einer letzten Erschütterung aussetzen mußte, wenn er Tripolis kampflos preisgab.

Damit war die deutsche Politik - noch in der Schlußabwicklung der Marokko-Kongo-Episode begriffen - vor eine äußerst schwierige Aufgabe gestellt, und die Art, wie sie sich unter Leitung Kiderlens zurechtzufinden suchte, ist schon im Hinblick darauf, daß dasselbe Problem in vergrößertem Umfange wiederkehren konnte, von grundsätzlicher Bedeutung.

Die Italiener hatten in ihrer Weise nach allen Seiten vorgesorgt. Sie hatten die englische Politik schon sehr frühzeitig - bezeichnenderweise in den [732] Tagen der Hochspannung nach Lloyd Georges Rede - unterrichtet und die unbedenkliche Zusicherung moralischer Sympathien davongetragen. Im Moment des Losschlagens hatte man aber auch in Berlin wissen lassen, daß man über eine vorzeitige Erneuerung des Dreibundvertrages zu verhandeln wünsche. So stand die deutsche Politik zwischen Verbündetem und Freund. Bei den italienischen Klagen über die unfreundliche Haltung der deutschen Presse hörte man immer: das hieße Italien in die Arme Englands und Frankreichs treiben, und wenn es ernster wurde, sprachen auch italienische Staatsmänner davon, daß der Dreibund gefährdet sei.1 Auf der anderen Seite konnte man Gefahr laufen, die alte Einflußsphäre in der Türkei samt den deutschen Errungenschaften zu verlieren, und wenn die Gegenpartei in Konstantinopel Sturm lief, ließ Marschall laute Hilferufe erschallen, die den Kaiser schwer bedrückten. Es wurden Stimmen laut, die für den unzuverlässigen Bundesgenossen die zuverlässige Türkei eintauschen wollten. Jede Wendung des Krieges konnte ernstere Krisen auslösen. Schon in den ersten Wochen hatte ein italienischer Angriff auf türkische Schiffe in der Adria einen österreichischen Einspruch hervorgerufen, und als sich herausstellte, daß Italien den Türken in Tripolis mit kriegerischem Zwange gar nicht zu treffen vermochte und daher den Kriegsschauplatz auszudehnen suchte (Saloniki, Dardanellen, Ägäische Inseln), wuchs die Feuergefährlichkeit des Unternehmens ins Unberechenbare. Schon sah Wilhelm II. in dunklen Augenblicken die Entfachung des Weltbrandes mit allen seinen Schrecken.

Dagegen stellte sich der Staatssekretär von Kiderlen-Wächter, dem seine Vertrautheit mit allen Balkanproblemen zugute kam, auf den realpolitischen Standpunkt, daß die deutsche Politik der Türkenfreundschaft, richtig verstanden, vor allem wegen der wirtschaftlichen Interessen auf möglichste Erhaltung einer lebensfähigen Türkei gerichtet sei, es aber immer sorgfältig vermieden habe, sich politisch in der Türkei zu engagieren. Er war also entschlossen, die Dinge zu nehmen wie sie waren, wie auch der Kaiser schließlich meinte: "man muß die Lawine herabtosen lassen und sich mit dem Faktum als Elementarereignis abfinden."2 Bei dieser Sachlage würde Kiderlen am liebsten eine vermittelnde Form für die italienischen Wünsche gefunden haben; er mußte aber davon absehen, weil die Italiener sich auf Annexion festlegten und die Türken erst verzichten konnten, wenn die militärische Okkupation durchgeführt war. Sie waren überhaupt in der schwierigen Lage, rein muselmännisches Gebiet einem christlichen Herrscher abtreten zu müssen, und glaubten mit hartnäckigem Widerstand immer noch am wenigsten zu verlieren.

Da schien es plötzlich, als ob das peripherische Unternehmen, das so schwer einem Ausgang zugeführt werden konnte, durch einen Schuß in das Zentrum [733] abgelöst werden sollte. Der Russe hielt die Stunde für gekommen, in der Meerengenfrage einen Vorstoß zu machen: am 4. November, am Tage des deutsch-französischen Abkommens über Marokko - Kongo, stellten sie schon in Paris den Antrag auf Unterstützung. Um Mitte November kündigten sie bereits in Konstantinopel ihre Absicht einer Neuordnung an, wonach ihren Schiffen die freie Durchfahrt gestattet werden, den fremden aber die Einfahrt verwehrt bleiben solle. Es war das Ziel von Generationen, nach dem der Russe die Hand ausstreckte. - Demgegenüber scheute Kiderlen keinen Augenblick davor zurück, einen Entschluß zu fassen, der nach dem, was vorangegangen, nicht leicht war. Für ihn lag das Interesse der deutschen Politik in dieser Krisis - in der die ganze europäische Machtgruppierung von neuem in Fluß geraten konnte - darin, auf Kosten der Türkei vorzugehen, "unter Abstraktion von allen gemütlichen Regungen der Entwicklung eines Konfliktes zu einer allgemeinen Konflagration vorzubeugen".3 Er gab somit den Russen sofort die Antwort, daß eine russisch-türkische Verständigung auf keinen Widerspruch in Berlin stoßen würde, und er versicherte sich des Einverständnisses des Kaisers und Kanzlers, auf dieser Grundlage auch an Österreich herantreten zu dürfen: wenn Rußland sich mit der Türkei über die Meerengenfrage verständige, einer solchen Vereinbarung keinen Widerstand entgegenzusetzen (19. November). Nur weil man in Wien noch Näheres wissen wollte und sich unklugerweise mit Gegenansprüchen trug, willigte er darein, eine genauere Formulierung der russischen Wünsche abzuwarten. Aber der Reichskanzler ließ erneut den österreichischen Bundesgenossen wissen: wir seien bezüglich der Meerengen den Russen gegenüber nicht gebunden, wohl aber würde es unserer ganzen bisherigen Politik entsprechen, Rußland in dieser Sache keine Schwierigkeiten zu machen (24. November). Aus alledem gewinnt man den Eindruck, daß Kiderlen beabsichtigte, die Politik in den Geleisen Bismarckscher Tradition zu führen.

Gegen diese Entscheidung erhob der Botschafter von Marschall in einer Reihe von Berichten mit Wucht und Leidenschaft die ernsteste Einwendung, im Namen jener Politik, die der Kaiser auf der Orientreise im Jahre 1898 nach seinem Rate eingeleitet hatte.4 Wenn Rußland erreiche, was es anstrebe, so sei die orientalische Frage in dem traditionell russischen Sinne gelöst, d. h. die Türkei sei "zum Vasallenstaat des weißen Zaren degradiert". Es stand für ihn fest, daß der Haß Rußlands nicht nur gegen die Türkei, sondern auch gegen Deutschland gerichtet sei, und er verstieg sich zu der Behauptung, die Orientpolitik, die man seit 20 Jahren geführt habe, sei unvereinbar mit einer Konnivenz gegen Rußland in der Meerengenfrage. Man begreift, daß er selbst sich mit dieser Politik identifizierte; aber schneidend bemerkte Kiderlen mit weiterem Blick (indem er der Türkei ihre Stelle im Rahmen der deutschen Gesamtpolitik [734] zuwies): "er hat eben unsere Politik nie erfaßt". Der Botschafter gedachte unzweifelhaft - zuletzt mit der Drohung seines Rücktrittes -, Kiderlen und seine Leitung der Außenpolitik zu überrennen. Schon ließ Kaiser Wilhelm II., von der ungewöhnlichen Energie des Einspruchs hingerissen und selber in der Welt der ihm einst so teuren Sympathien schmerzlich berührt, wenigstens in seinen Randbemerkungen sich halb in das andere Lager hinüberziehen - er wollte die Eisenbahn "mit dem Schwerte verteidigen, in Gemeinschaft mit den Türken". Aber die realpolitische Einstellung Kiderlens trug den Sieg davon: "Wir müssen also nicht vor, sondern hinter dem Türken stehen, nach Maßgabe unserer Interessen." Er behielt auch darum recht, weil er wußte, daß England höchst widerstrebend und Frankreich (das die Antwort auf die russische Anfrage ungebührlich hinauszögerte) nur sehr lau geneigt war, die russische Aktion zu unterstützen, so daß er es schon der Haltung der Westmächte überlassen konnte, die Russen noch im Dezember zur Einstellung ihrer Bemühungen zu veranlassen.

Der weitere Verlauf des Italienisch-Türkischen Krieges bietet nur insofern Interesse, als Deutschland, als ehrlicher Makler, an der Herbeiführung des Friedens von Lausanne beteiligt war und es wenigstens als einen Erfolg ansprechen konnte, "daß wir uns auch während des Kampfes eines Freundes und Bundesgenossen die Sympathien beider zu erhalten gewußt haben".5

Aber längst war eine andere Balkangefahr an die Stelle dieser Vorspiele getreten.6 Die italienische Aktion hatte schon unmittelbar nach ihrem Beginn eine geheime Resonanz ausgelöst. Bereits in den ersten Tagen des Oktober 1911 hatte der bulgarische Minister Geschow dem russischen Botschafter in Wien die Frage vorgelegt: welche Unterstützung ein bulgarisch-serbisches Bündnis erfahren würde, das in Österreich, an der Pforte und in Rumänien als eine feindliche Haltung angesehen werden würde. Der Russe tat alles, zu ermutigen und zugleich festzuhalten. So gewann Geschow die Zustimmung zu einem Bündnis mit Serbien unter russischem Protektorat. In den Verhandlungen in Belgrad bezeichnete er die Türkei als Angriffsziel und als Programm: mit der Forderung der Autonomie Mazedoniens zur Eroberung und zur Teilung der für Reformen nicht zugänglichen Provinz zu schreiten. Der serbische Außenminister suchte das Programm noch zu erweitern. Er sah eine Vereinfachung der Lösung darin, "wenn gleichzeitig mit der Liquidation der europäischen Türkei der Zerfall Österreich-Ungarns eintreten könnte, da Serbien dann Bosnien und Herzegovina und Rumänien Siebenbürgen erhalten, und ein Eingreifen Rumäniens [735] in den Türkenkrieg nicht zu befürchten sein würde." - Schon in diesem Stadium war Frankreich tätig bemüht, eine Einigung der Interessen zu fördern. Einem diplomatischen Zwischenspiel König Ferdinands nach der anderen Seite wurde durch ein bulgarisches Blutbad in Mazedonien ein Ende bereitet. Am 13. März 1912 wurde das serbisch-bulgarische Bündnis abgeschlossen "zum Schutze der gemeinsamen Interessen für den Fall der Veränderungen auf dem Balkan". Das heißt: es war ein gemeinsamer Angriff auf die Türkei in Aussicht genommen, in dem Rußland als Schiedsrichter vorgesehen war. Das Bündnis war ausdrücklich auch gegen Österreich-Ungarn gerichtet, wenn es mit Serbien in Konflikt geraten sollte. Das Ganze sollte in tiefem Geheimnis bleiben unter alleiniger Einweihung Rußlands - das übrigens seine Ententefreunde alsbald unterrichtete.7

Rußland vollzog durch die Übernahme seiner Patenschaft bei dem Bündnis der Balkanstaaten eine Wendung in seiner Politik, deren Folgen nicht wieder auszulöschen waren. Während man sich zwischen London und Berlin noch vergeblich um Formeln bemühte, mit deren Hilfe ein kriegerischer Zusammenstoß vermieden werden sollte, wurde hier von der russischen Staatskunst eine Saat in den Boden gesenkt, aus der unter allen Umständen die geharnischten Männer aufsteigen mußten. Der russische Geschäftsträger in Sofia, Fürst Urussow, schrieb am 6. März an Sasonow, der Pakt sei aus einem Kriege entstanden und als Vorbereitung zu einem anderen Kriege zu bewerten. Und so erging denn am Tage des Bündnisabschlusses eine vom Zaren genehmigte Entschließung des Generalstabs: daß ein telegraphischer Befehl zur Anordnung der Mobilmachung in den europäischen Militärbezirken aus Anlaß politischer Komplikationen an den Westgrenzen gleichzeitig als Befehl zur Eröffnung der Feindseligkeiten gegen Österreich und Deutschland aufzufassen sei.8 Dieses Dokument hat eine geschichtliche Bedeutung vor allem für den Moment, in dem es vorsorglich entworfen wurde. Gewiß, der Russe mochte hoffen, die Balkanstaaten in der Hand zu behalten und erst dann gegen die Türkei und Österreich-Ungarn loszulassen, wenn seine eigene Vorbereitung die Stunde für gekommen hielt; er hatte auch im Jahre 1912 die volle Schlagfertigkeit noch nicht wiedergewonnen. In Wirklichkeit sollten die Kräfte, deren Kombination auf dem Balkan vollzogen war, sich stark genug fühlen, die Initiative, unbekümmert um alle Folgen, an sich zu reißen, sobald es sie gelüstete. Schon der Zutritt der [736] Griechen zu dem Bunde im Mai 1912 steigerte den unbedingten Offensivwillen und ließ die Möglichkeit eines vorzeitigen Losbrechens näher heranrücken.

Die politischen Maßregeln der Russen waren zunächst nicht dazu angetan, den Verdacht einer Verschwörung gegen den Frieden zu nähren. Sie verfolgten im Gegenteil das Ziel, möglichst lange den Vorhang des Geheimnisses vor dem Kommenden geschlossen zu halten. Auch die Zusammenkunft des Zaren Nikolaus II. mit dem Kaiser Wilhelm II. in Baltisch-Port (4. bis 6. Juli 1912) diente vor allem diesem Zwecke; wenn ein nichtssagendes Kommuniqué ankündigte, daß diese Zusammenkünfte zu einer regelmäßigen Einrichtung gemacht werden und eine dauernde Fühlung begründen sollten, so verfehlte diese Sprache jeden Eindruck. Der Reichskanzler hatte bei dem Vorgange mitgewirkt, aber man begreift den Zornesausbruch Kiderlens, weil die gemeinsame amtliche Verlautbarung dem Dreiverbande seine friedlichen Ziele und den Deutschen bescheinigte, daß nichts abgemacht sei.9 Man konnte aus der Zusammenkunft nur entnehmen, daß der Russe bis zum letzten Augenblicke die Politik der friedlichen Nachbarschaft zu Deutschland auszunutzen gedachte.

Das Entscheidende war, daß die Serben in die Vorbereitung ihres Kampfes um die Vollendung ihres Nationalstaates eingetreten waren. Sie hatten die Anfänge ihrer Freiheit von den Türken aus den Händen des Hauses Österreich empfangen, schon in jenen ruhmvollen Tagen, als Prinz Eugen Belgrad eroberte, als deutsche Reichskontingente unter Max Emanuel von Bayern und dem badischen Türkenlouis bis in die serbischen und bosnischen Täler drangen. Auf breiter Linie erschien damals die österreichische Macht als Befreier und Kulturträger, als die Verkörperung des christlichen Abendlandes. Sie nahm einen Teil der befreiten Kroaten und Serben in ihr staatliches Gefüge auf oder siedelte die Flüchtlinge im Grenzlande an. Sie gewann an ihnen eine kaisertreue und opferwillige Bevölkerung. Aber auch der selbständige kleine serbische Staat, der sich aus dem Osmanenreiche löste, fand durch Generationen hindurch seinen Rückhalt in Wien; noch im Jahre 1885 war es Österreich, das im Serbisch-Bulgarischen Kriege König Milan rettete und dem bulgarischen Sieger Halt gebot. Es war somit eine Wendung von weltgeschichtlicher Tragweite, als die nationalen Instinkte dieses kräftigen Volkes eine feindliche Richtung gegen die habsburgische Monarchie nahmen. Sie hing zusammen mit dem Dynastiewechsel im Jahre 1903, als die Obrenowitsch, die gewohnheitsgemäß einen Rückhalt an Österreich gesucht hatten, von der Partei der Karageorgiewitsch durch Mord beseitigt wurden. Die Sympathien mit dem serbischen Staate [737] standen damals sehr tief in der Welt, und es wäre vielleicht eine letzte Gelegenheit für Österreich gewesen, das Verhältnis zum Serbentum in dem alten Machtsinne zu ordnen; es heißt, daß auch Rußland (es war im Jahre vor dem Ausbruch des japanischen Krieges) damals bereit gewesen sei, den Österreichern in Serbien freie Hand zu lassen.10 Die weltgeschichtliche Möglichkeit, die sich vielleicht dem Staate Franz Josephs geboten hätte, ist damals ungenutzt vorübergegangen.

Und so begannen entgegengesetzte Möglichkeiten aufzusteigen. Die mordbefleckte Dynastie der Karageorgiewitsch konnte sich nur dadurch im Lande befestigen, daß sie sich mit dem radikalen Nationalismus unter Pašić verband, dem ein großserbischer Nationalstaat als Ziel seiner Träume vorschwebte. Die scharfe Ablehnung, mit der die Wiener und Budapester Politik fortan dem ungebärdigen Nachbarn entgegentrat, konnte den Gegensatz nur vertiefen. Man hat auch hier gestritten, auf welcher Seite in dieser leidenschaftlichen Verbitterung die größere Schuld gelegen habe, und es gibt eine scheinbar marxistische Auffassung, die den Schweineeinfuhrverboten der magyarischen Grundbesitzer einen verhängnisvollen Anteil an dem Lauf der Weltgeschichte zuschreiben möchte.

In Wahrheit hatten die Serben seit 1903 erkannt, daß die Weltlage sich in einer ihren Zielen günstigen Weise zu verschieben begann - daraufhin allein hatten sie im Winter 1908/09 die erste große Kraftprobe gewagt. Wie einst die italienische Einheitsbewegung ihre europäische Chance zur Lösung von Österreich in der Kombination von Napoleon III. und dem deutschen Nationalismus fand, so schuf jetzt der Zusammenschluß des Dreiverbandes, ohne daß der serbische Nationalstaat auf seinem Programm stand, durch sein bloßes Dasein eine unvergleichbare Konjunktur. Die Serben wußten fortan, daß sie kraft dieser auf die Mittelmächte gerichteten Angriffsfront in dem größeren Teile Europas auf aktive Sympathien rechnen konnten. Jenes Schlagwort der Vernichtung Österreichs, das in dem Denken des russischen Panslawismus seit Danilewski eine Rolle gespielt und sich gelegentlich auch der zärtlichen Vorliebe der Franzosen erfreute, wurde mit Inbrunst als nationaler Schlachtruf benutzt. Man wagte jetzt in Belgrad eine für einen Kleinstaat gegenüber einem großmächtlichen Nachbarn unerhörte Politik einzuschlagen. In Europa galt der bestehende Rechtszustand als unantastbar, die geringste Möglichkeit seiner Verschiebung war verfehmt, weil sie das ganze Gleichgewicht der Staatengesellschaft in Erschütterung bringen konnte. Hier tauchte aber in einem halbzivilisierten Kleinstaat ein politisches Programm auf, das die Zerstörung Österreich-Ungarns mit demselben Gleichmut wie die Zerstörung der europäischen Türkei auf seine Fahne geschrieben hatte, und - wenn man die Dinge ernsthaft zu Ende dachte - allein durch einen Weltkrieg seine Lösung [738] finden konnte. Wovor die meisten europäischen Staatsmänner sich noch im stillen bekreuzten, das wurde für die Serben ein heiliger Moment der Erfüllung, auf den alle ihre nationalen Träume warteten.

Es hat lange gedauert, bis die Staatsmänner Österreich-Ungarns sich erbarmungslos Rechenschaft über die Lage gaben, in die ihr Staat hineinglitt. Schon für Aehrenthal war der Entschluß zur Annexion von Bosnien und der Herzegowina zu einem Teile von dieser Sorge ausgelöst. Was soll man dazu sagen, daß Graf Berchtold, der seit dem Februar 1912 die Nachfolge Aehrenthals in der Leitung der Außenpolitik übernommen hatte, auf dem Höhepunkte der Balkankrisis dem deutschen Botschafter freimütig gestand, er habe, als er das Ministerium übernahm, keine Ahnung von der südslawischen Frage gehabt. Konnte es bei den deutschen Staatsmännern und Militärs viel anders liegen?

Die verhängnisvolle Bedeutung dieses Problems bestand darin, daß es die gesamten Spannungen des innerpolitischen Nationalitätenkampfes in der Habsburger Monarchie in einen gleichsam organischen Zusammenhang mit dem feindseligen außenpolitischen Druck des Dreiverbandes brachte: es forderte die gegen die Monarchie vereinigten Weltgegensätze auf, tief in das innerste Gefüge des Staates, bis in den böhmischen Landtag hinein, indirekt vorzustoßen. Der größere Teil der Schwierigkeiten, die für die Monarchie mit dem gesamtserbischen Problem verknüpft waren, ging von der ungarischen Reichshälfte aus; der unduldsame Nationalismus der Magyaren trug viel dazu bei, die Loyalität der Kroaten gegen das Haus Habsburg auszurotten und der Propaganda für den Gedanken des alten Illyrismus einen Zugang auch bei den katholischen Südslawen zu ermöglichen. Die von hier ausgelösten Spannungen griffen auf die zisleithanische Reichshälfte über; sie trugen dazu bei, auch diesen Staat, der seit 1907 einen Anlauf nahm, vermöge des allgemeinen Wahlrechts den Jammer des ewigen Nationalitätenhaders zu überwinden, wieder tiefer in die Kämpfe zwischen Deutschen und Slawen hineinzureißen, bis schließlich die neue parlamentarische Maschine von einem nur noch verschärften Nationalismus völlig lahmgelegt wurde. Und auch hier beobachtet man, daß die innerpolitischen Gegensätze anfangen, sich durch die außenpolitische Orientierung zu vertiefen. Der Gesamtstaat stand jetzt - wie seine Leiter offen zugaben - vor der Führung einer Serbenpolitik, deren Hauptzweck war, "sich die Möglichkeit zu schaffen, die 7 Millionen Südslawen der Monarchie in Ruhe und Frieden regieren zu können".

Die ganze Verzweigung dieses inner- und außerpolitischen Problems wurde damals nur an wenig Stellen mit unerbittlicher Schärfe übersehen - am schärfsten vom feindlichen Auslande. Macht man sich das Ganze des Zusammenhanges klar, so begreift man die Konsequenz derjenigen Militärs, die, wie der Freiherr v. Conrad, die einzige wirkliche Lösung in einem schleunigen Präventivkriege gegen Serbien unter völliger Zertretung des Brandherdes [739] erblickten; mit der Zerstörung der Existenz Serbiens würde man zur Vereinigung des Serbentums in der Monarchie haben schreiten können. Die Umorganisierung des Gesamtstaates auf der Basis des Trialismus würde dann - so nahm man an - auch das nationale Einheitsbedürfnis der Serben befriedigt haben. Die kriegerische Lösung, die etwas Ganzes gab, war aber zwei ernsten Einwänden ausgesetzt: nahm man zu den 7 Millionen österreichisch-ungarischer Südslawen noch gegen 3 Millionen Serben hinzu, so verstärkte man das ganz intransigente Element und erschwerte die innerpolitische Lösung nur noch weiter. Vor allem aber: bevor man zum Ziele kam, erhob sich das schwerwiegende Bedenken, ob gleichzeitig Krieg und fundamentaler Umbau des Staates in dieser nach außen hochgespannten Weltlage durchgeführt werden konnten. Die Militärs, die offen zugaben, daß nur im Orkan des Weltkrieges die Verwirklichung möglich sei, waren gar nicht so weit von den Serben entfernt, die auf demselben Wege zu ihrem Ziele zu gelangen dachten. So wird man ein Verständnis dafür haben, wenn der achtzigjährige Kaiser Franz Joseph nicht nur im Stillstand greisenhaft erstarrter Gewohnheit, sondern aus der Tiefe der Überzeugung, mit solchem Risikospiel allzu frevelhaft in die Speichen des Schicksals zu greifen, das Programm Conrads am 15. November 1911 ablehnte und ihn ungnädig anherrschte: "Meine Politik ist eine Politik des Friedens. Dieser meiner Politik müssen sich alle anbequemen. In diesem Sinne führen Meine Minister des Äußeren Meine Politik."11

Wenn man aber den Kriegsweg verwarf, so war damit noch nichts darüber ausgesagt, welchen Weg im Frieden zu beschreiten die Staatsräson erfordere. Wohl gab es auch ein Programm des Trialismus ohne die kriegerische Voraussetzung. Die Pläne des Erzherzogs Franz Ferdinand, der zeitweilig dem Freiherrn von Conrad stimmungsgemäß nachgab, in der Regel aber den kriegerischen Plänen widerstand, liefen in dieser Richtung: zwar den Krieg nach Möglichkeit zu vermeiden, aber den dringlichen Umbau des Staates schon im Frieden vorzunehmen, um die gefährliche Gewaltherrschaft der Magyaren zu brechen - aber hier ließ sich wiederum einwenden, daß ein Trialismus mit einem nationalistischen Serbien zur Seite das südslawische Reichsdrittel vollends ernsten Gefahren aussetzen mußte. Oder gab es andere Mittel, die Serben durch Güte oder Gewalt nachgiebiger zu machen? An vielen Stellen in Europa begriff man, daß Österreich irgendwelche "Garantien" beanspruchen dürfe, aber die Frage war, worin diese Garantien zu bestehen hätten. Eine Neutralisierung Serbiens war unerreichbar; der Sandschak als militärisches Druckmittel war preisgegeben worden; serbische Friedensgelöbnisse, wie die von 1909, schienen das Papier nicht wert zu sein, auf dem man sie niederschrieb. Auch der Abschluß wirtschaftlicher Handelsverträge, von denen man sich eine gewisse Beruhigung der streitenden Interessen hatte versprechen können, war nicht frei von politischen Schwierigkeiten. Und so war denn der allgemeine Eindruck, [740] den die deutsche Diplomatie empfing, daß Graf Berchtold selbst und alle leitenden Stellen präzise Gedanken über den Weg, auf dem das Ziel zu erreichen sein würde, noch nicht besaßen.

Berchtolds Absicht, mit der er zugleich die Friedensabsicht Franz Josephs gegen das kriegerische Andrängen Conrads zu verteidigen suchte, war der friedliche Weg, womöglich mit einem diplomatischen Erfolg, jedenfalls mit Ehren aus der jetzigen Lage herauszukommen. Welche Forderungen sich daraus nach dem Kriegsausbruch entwickeln, werden wir noch sehen.

Die wachsenden Sorgen, die sich für die österreichisch-ungarische Staatsleitung aus der Entwicklung des großserbischen Problems ergaben, wirkten auf die deutsche Politik immer erregender zurück. Das System der gegnerischen Ententen hatte, wie wir in steigendem Maße beobachten konnten, eine isolierende Wirkung auf den Kern des Dreibundes ausgeübt. Ob sie wollten oder nicht, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn waren durch gemeinsame Gegnerschaft aneinandergedrängt, die Feinde des einen wuchsen dem anderen zu, auch ohne daß ein besonderer Anlaß vorlag. So war den beiden Mächten auch kaum eine andere Wahl gelassen, als in enger Fühlung miteinander vorzugehen und die Bündnisverpflichtung so intim wie möglich zu nehmen. Aber es gab doch mehr als eine Nuance in der praktischen Anwendung der Bündnisgemeinschaft. Auch Kiderlen hatte eine Erinnerung daran bewahrt, daß Aehrenthals Politik während der Fez-Agadir-Krisis eine sehr reservierte Haltung beobachtet und die Beziehung zu Frankreich besonders sorgfältig gepflegt hatte, und als er jetzt die Balkankrise heraufziehen sah, war er sich von vornherein darüber klar, daß es auch für ihn Grenzen in der aktiven Beteiligung gebe.12 Er wurde darin bestärkt durch die selbstherrliche Diplomatie des Grafen Berchtold, der in dieser die Lebensfrage der Habsburger Monarchie so nahe berührenden Angelegenheit anfänglich eine sehr geschäftige Tätigkeit entfalten zu müssen glaubte, um "die führende Rolle in der Orientfrage zu übernehmen" (13. August).13 Wenn er aber gedachte, auch Deutschland allein auf dem Wege der Zirkulardepeschen über seine Absichten zu unterrichten und dann doch seiner grundsätzlichen Unterstützung sicher zu sein, so gab er sich einer Täuschung hin. Kiderlen beanspruchte von dem Bundesgenossen nicht nur das Recht zu wissen, wohin die Fahrt gehe, sondern er erhob bei dem Eintritt in die große europäische Krisis - die ihm schon frühzeitig nicht verborgen geblieben war - für das Deutsche Reich den Anspruch, über den Kurs seiner Politik nach Maßgabe seiner [741] eigenen Interessen zu entscheiden. Die deutsche Politik in Europa stand unter einem viel zu starken Drucke, als daß er - so wie einst Bismarck in den Jahren 1887/88 - einer Ausdehnung der Bündnisverpflichtungen nicht sehr bestimmte Grenzen gezogen hätte. Diese Gedankengänge entwickelte er dem Reichskanzler am 2. September, als dieser auf dem Wege war, dem Grafen Berchtold in Buchlau einen Besuch abzustatten. Man glaubt den Klang Bismarckscher Musik zu vernehmen:

      "Nach unseren Verträgen und Abmachungen mit Österreich-Ungarn sind wir nicht verpflichtet, Österreich-Ungarn in seinen Plänen, geschweige denn Abenteuern zu unterstützen. Sind wir in den letzten Jahren wiederholt über diese Verpflichtungen hinausgegangen, so haben wir dies getan im Interesse der Stärkung und Festigung unseres Bündnisses nach außen hin. Wir müssen uns aber unsere Stellungnahme zum österreichischen Vorgehen in Balkanfragen stets von Fall zu Fall vorbehalten. Wenn die österreichischen Überraschungen mit Schritten, die der österreichisch-ungarische Minister ohne vorherige Fühlung mit uns sofort bei sämtlichen Mächten unternimmt, sich häufen sollten, so würde leicht der Fall eintreten können, daß wir uns in einem Spezialfall von unserm Bundesgenossen trennen müssen. Den österreichischen Satelliten im Orient wollen wir nicht machen."14

Ob der Reichskanzler diese Auffassung so bestimmt, wie sie ihm nahegelegt wurde, dem Grafen Berchtold gegenüber am 7./8. September vertreten hat, ist aus dem Bericht des Österreichers nicht zu ersehen.

Immerhin nahm man in Wien, sobald gewisse selbständige Neigungen der deutschen Politik bemerkbar wurden, dies Verhalten mit zorniger Erbitterung auf. Je mehr man gewöhnt war, sich dem Bunde "der vier Parvenus" gegenüber als großen Herrn zu fühlen, um so eher glaubte man sich berechtigt, den Ton nach dieser Richtung allein zu bestimmen. Wenige Tage, bevor die Gewehre auf dem Balkan losgingen, stellte eine interne Denkschrift des Ballhausplatzes (vom Grafen Szápáry) die schwere Enttäuschung fest: "In dem Augenblick, wo der historische Moment gekommen schien, auf welchen sich die Monarchie seit Jahrzehnten vorbereitet hat, hat unser Bundesgenosse den Versuch gemacht, durch eine europäische Aktion unsere Bewegungsfreiheit einzuschränken und uns den Vorteil des uns zukommenden natürlichen Vorsprunges auf der Balkanhalbinsel zu nehmen." So hatte im Jahre 1876 der Russe von den Pflichten der deutschen Politik ihm gegenüber gesprochen. Man sah ein Versagen der Allianz "in bezug auf ihren Hauptzweck" und warf dem deutschen Vorgehen vor, daß es nahe "an das Mark des deutsch-österreichischen Verhältnisses heranreiche und an seinen Fundamenten rüttele".15 Jedenfalls kam es in den nächsten [742] Tagen zu einer Aussprache in Berlin. Herr von Bethmann Hollweg war "peinlich berührt" und erklärte in seiner Art, aber auch mit vollem Recht, er habe ein "reines Gewissen"; während Kiderlen kein Hehl daraus machte, daß eine Unsicherheit in den vertraulichen Beziehungen zwischen dem Berliner und Wiener Kabinett eingetreten sei, weil man in Berlin unter dem Druck der Befürchtung stehe, von Wien aus zu häufig vor faits accomplis gestellt zu werden.16 Es scheint beinahe, als wenn Kiderlen die Aussprache nicht unabsichtlich herbeigeführt habe, um bei dem Beginn der europäischen Krisis, die sich jederzeit zum Weltkriege erweitern konnte, die volle Parität in den diplomatischen Beziehungen grundsätzlich wiederherzustellen. Er wollte keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß er nicht der Mann sei, sich ein Leitseil von Wien aus um den Hals werfen zu lassen. In einer seiner Aufzeichnungen aus diesen Tagen heißt es: "Wir müssen alles tun, um zu verhindern, daß die Leitung der Politik von Berlin an Wien übergeht, wie es Aehrenthal gegenüber Bülow leider gelungen war. Das könnte uns eines Tages viel kosten."17 Unbeschadet der Bündnisverpflichtungen wollte er die Unabhängigkeit der deutschen Politik behaupten und womöglich die Krisis benutzen, um den europäischen Druck, der bisher auf dem Zentrum gelastet hatte, einigermaßen zu erleichtern. —

Die politische Haltung, in der England in die Balkankrisis eintrat, ist nichts weniger als eindeutig. Man könnte geradezu von einer doppelpoligen Politik sprechen. Denn sie setzt sich zusammen aus einer festeren Knüpfung der Bande, durch die es seit Jahren mit Frankreich verbunden war, und einem gleichzeitigen Bestreben, den steckengebliebenen Anlauf zur Entspannung mit Deutschland auf dem gefährlichen Hintergrunde einer orientalischen Krisis wieder aufzunehmen.

Die festere Knüpfung der Bande mit Frankreich war die unmittelbare Folge des Scheiterns der Flottenverständigung mit Deutschland.18 Die deutsche Flottennovelle führte in London zu dem Entschluß, ihr durch eine ungewöhnliche Maßregel zu begegnen, nämlich durch die Verlegung des bei Malta liegenden Panzergeschwaders (von 8 Linienschiffen) in die Nordsee.19 Am 29. Mai 1912 wurden durch Churchill, Asquith und Kitchener die schwerwiegenden Entschlüsse gefaßt. Denn für die britische Tradition bedeuteten sie einen Bruch mit vielem, was der Nation aus der Geschichte von der Anwendung der Seemacht geläufig war. Seit Menschenaltern hatte das Mittelmeergeschwader die Aufgabe erfüllt, nicht nur Türken und Griechen die jederzeit verfügbare Macht Englands in einem drohenden Symbol vor Augen zu führen. Auch die anliegenden Großmächte waren durch das Dasein dieser Flotte immer daran [743] erinnert, daß England seine Stellung unter den Mittelmeermächten beanspruche. Die ganze Verschiebung wurde nur dadurch möglich gemacht, daß Frankreich sich bereit finden ließ, sie grundsätzlich - im gemeinsamen europäischen Interesse - auszugleichen. So wurde verabredet, daß Frankreich demnächst sein atlantisches Geschwader aus dem Heimathafen Brest nach Toulon verlegen sollte, um fortan mit seinen drei Geschwadern auch einer Kombination der italienischen und der österreichisch-ungarischen Flotte im Mittelmeer gewachsen zu sein. In Erwartung dieser Verlegung wurde im englischen Kabinett die Entscheidung getroffen und am 22. Juli im Unterhause gutgeheißen.

Der englische Marineminister Winston Churchill hielt es nunmehr für angezeigt den Franzosen vorzuschlagen, die aus dieser Umgruppierung der Flotte sich ergebenden Verpflichtungen in einer Art von Marinekonvention festzulegen, für deren äußere Form er sich nach den geltenden englisch-französischen Militärkonventionen zu richten gedachte. Er schlug vor, daß die zu treffende Vereinbarung in keiner Weise die Politik binden, sondern erst an dem Tage ins Leben treten solle, wo die beiden Kabinette gemeinschaftlich den Entschluß fassen würden, sie in Kraft zu setzen (18. Juli).20 Noch bevor man darüber zu einer endgültigen Vereinbarung gelangt war, hatte die französische Regierung am 6. September den Beschluß gefaßt, das Geschwader aus Brest in das Mittelmeer zu verlegen. Der Beschluß gelangte schon bald in die Öffentlichkeit und die englische Presse begrüßte triumphierend diese erste sichtbare Kundgebung einer Marine-Entente zwischen Frankreich, England und Rußland. Aber es war nicht so leicht, "den Abschluß der Marinekonvention mit den parlamentarischen Bedürfnissen in Einklang zu setzen, mit denen das englische Kabinett zu rechnen hat". Dieses Mal forderte der Franzose mehr als die wohlbekannte Formel ("on pourvait se demander à quoit bon s'entendre") (21. September). Man erklärte, man könne die Nordseeküste nicht entblößen, ohne feste Zusicherungen Englands dafür einzutauschen, und setzte sich gegenüber Grey - der immer nur im Kopfe habe, wie er eine im Unterhause gestellte Frage beantworten solle - auf das hohe Pferd. Churchill bemühte sich zwar nachzuweisen, daß Engländer und Franzosen auch um ihrer selbst willen diese Maßregeln treffen müßten; er verhehlte nicht, welche starke moralische Bindung sonst an dieser Stelle übernommen werden würde;21 aber der Franzose war, wenn er eine Leistung übernahm, ein zäher Verhandlungsgegner. Indem Cambon nach Formeln suchte, griff er auf die von ihm mit Lord Lansdowne gepflogenen Besprechungen zurück, um die Liberalen auf den Boden der Vertragsverhandlung zurückzuführen, den sie schon im Januar 1906 nicht hatten be- [744] treten wollen.22 Doch erwies es sich keineswegs als leicht, mit ihrem parlamentarischen Kredo, das sie sowieso nur mühsam vor ihren eigenen Leuten aufrecht erhielten, zu einer Einigung zu gelangen. Asquith erklärte einen amtlichen Notenaustausch ohne Mitteilung an das Unterhaus für unmöglich, und nach den häufigen mündlichen Erklärungen der englischen Regierung ein schriftliches Abkommen für unnötig. Noch am 16. Oktober, an dem Tage, wo das französische Geschwader Brest verließ, bewegte sich die Aussprache nur im Kreise. Dann einigte man sich auf mittlerer Linie: kein Notenaustausch, aber Austausch von Privatbriefen, und zwar nach Gutheißung ihres Textes durch das englische Kabinett. Nachdem das Kabinett in einer Sitzung vom 30. Oktober - in der die meisten Mitglieder überhaupt zum ersten Male über die bestehenden englisch-französischen Militärkonventionen unterrichtet wurden! - dieses Vorgehen gebilligt hatte, sprach es am 1. November sein Einverständnis aus. Diese Dinge hatten sich bis in den Balkankrieg hingezogen.

So entstand der denkwürdige Briefwechsel Grey - Cambon vom 22. November 1912, der bisher nur in seiner Isolierung bekannt war und deswegen auch nicht in seinem völligen Umfange sicher beurteilt werden konnte.23 Es erhellt aus seiner Vorgeschichte, daß dieser Briefaustausch, der die wechselseitige Bindung zwischen England und Frankreich in eine neue Form brachte, mit dem Datum, das er trägt - auf dem Höhepunkt der Balkankrisis! - nichts Sonderliches zu tun hat. Er ist das Siegel und die Bedingung für die von Juli bis Oktober 1912 erfolgte Umgruppierung der englischen und französischen Flotte. Insofern ist der Briefwechsel, der von früh auf in der wissenschaftlichen Durchforschung der Vorgeschichte des Weltkrieges in hellster Beleuchtung stand, im weiteren geschichtlichen Zusammenhang eine Auswirkung der Flottennovelle vom Frühjahr 1912, ein letzter Nachklang der gescheiterten Mission Haldanes. Er beweist, ebenso wie die Verhandlung über die englisch-russische Marinekonvention im Frühjahr 1914, daß es keineswegs richtig ist, in diesen letzten Jahren von einer Entspannung in der deutsch-englischen Flottenrivalität zu sprechen. Die Tatsache, daß die Rivalität aus dem Vordergrunde der öffentlichen Meinung und der diplomatischen Verhandlungen mehr und mehr verschwunden war, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie dauernd den Weltgegensatz und seine Gruppierungen vertiefte.24

[745] In den Briefen Greys und Cambons wird ein historischer Rückblick auf die bisherigen Besprechungen und ihren für die Regierungen unverbindlichen Eventualcharakter, einschließlich der Flottenabmachung, gegeben. Dann aber wird für den Fall, daß eine unprovozierte Kriegsgefahr von einer dritten Macht droht, sofortige gemeinsame Prüfung der zu treffenden Maßnahmen vorgesehen und im Falle der Entscheidung für die Aktion das Inkrafttreten der vereinbarten Generalstabspläne. Der Charakter des englisch-französischen Verhältnisses ist durch diese Briefe nicht verändert worden, und Grey konnte formal, früher wie später, sich auf seine freie Hand berufen. In Wirklichkeit aber war doch eine Ehrenverpflichtung besonderer Art hinzugekommen und das Ganze der bestehenden und hinzukommenden Eventualverpflichtungen in eine Form gebracht, die nicht mehr durch das innere Kabinett allein, sondern durch das ganze Kabinett gedeckt wurde und daher es dem französischen Botschafter beim Ausbruch des Weltkrieges leicht machte, gerade diesen Wechsel zu präsentieren.25

Während Grey in der Marineverhandlung mit Frankreich stand, hatte man auch von der anderen Seite der Entente her einen Versuch gemacht, die englische Hand fester zu ergreifen. Man mußte auch in Petersburg mehr und mehr damit rechnen, früher als man gedacht hatte, in die große Verwicklung hineingezogen zu werden. Schon Ende August wußte der russische Botschafter in Konstantinopel sich nicht zu retten vor den beständigen Fragen seiner nervösen Balkankollegen: "Wann wird Rußland endlich zu handeln anfangen?"26 Aber noch im Laufe des September ließ die russische Regierung in Sofia und in Belgrad wissen, daß man auf keine Hilfe rechnen dürfe, da Rußland noch nicht genügend vorbereitet sei und nicht in den Fehler von 1878 zurückzufallen gedenke.27

Um so mehr hielt Sasonow es für angezeigt, sich auf einer Europareise noch einmal über die von den Mächten zu erwartende Haltung zu vergewissern. Er begab sich zunächst nach Paris und vereinbarte mit Poincaré ein Vorgehen, das wir aus dessen diplomatischen Schritten noch genauer kennenlernen werden. Es war damals, daß Großfürst Nikolaus an den lothringischen Manövern teilnahm und mit seiner Gemahlin Anastasia durch sichtbare symbolische Handlungen das französische Revanchegefühl aufzureizen suchte; das Attackenreiten gegen die deutsche Grenze und die Bonbonniere, die Anastasia damals mit lothringischer Erde füllte, waren der Sentimentalitäten des Generals Wilson [746] würdig. Von Paris aus begab Sasonow sich nach England (20. September bis 2. Oktober) auf einen Boden, der für seine Pläne immerhin noch etwas unsicherer war. Es geschah auf ausdrückliche Anregung Poincarés, daß er Grey mit der allgemeinen Frage, was Rußland von England im Falle eines Konfliktes mit Deutschland zu erwarten habe, auch die besondere Frage vorlegte, ob man nicht über den Abschluß einer russisch-englischen Marinekonvention (die Rußland in der Ostsee decken sollte) reden könne. Grey lehnte zwar aus schwerwiegenden Gründen die zweite Frage ab, im übrigen aber gab er die für seine Natur sehr eindeutige Antwort: England werde, wenn die vorausgesetzten Umstände eintreten würden, alle Anstrengungen machen, der deutschen Seemacht den empfindlichsten Schlag zu versetzen. Auch der König, der doch zu mehr Zurückhaltung Anlaß hatte, beruhigte den Russen darüber, daß im Kriegsfall jedes deutsche Handelsschiff versenkt werden würde. Grey legte später wohl besonderen Wert darauf, daß seine Antwort nur für den Fall gegeben worden sei, daß England - das zur Zeit noch über seine freie Hand verfüge - in den großen Krieg verwickelt werden sollte, während Sasonow doch aus dem Ton der Antwort heraushörte, daß bei dem automatischen Abrollen der Kriegsverpflichtungen "ohne Bedenken" auf England zu rechnen sein würde.28 Es ist der Vorbehalt, der Grey allmählich von allen seinen Mitspielern unterscheidet: der Vorbehalt der freien Hand, der seinem Gewissen die letzte Zuflucht bedeutet, den andern aber längst zur leeren Formel geworden ist. Jedenfalls konnte Sasonow aus dieser Aussprache eine starke Ermutigung mit hinwegnehmen.

Freilich, so einfach, wie es sich nach diesem aktenmäßigen Befund über die Aussprachen mit den beiden Ententegenossen ergibt, war die Politik Greys nun doch nicht. Je mehr er das Gefühl hatte, sich nach der einen Seite zu engagieren, um so mehr war er auch bemüht, einige Gegengewichte für sein Tun aufzuhängen. Schon gleich nach der Besprechung mit Sasonow hatte er dem deutschen Botschaftsrat von Kühlmann - der an Stelle des verstorbenen Herrn von Marschall die Geschäfte führte - als "Vertrauensbeweis" eine Mitteilung gemacht (in der übrigens alles Wesentliche übergangen wurde) und damit den Wunsch verbunden, bei der Orientkrisis mit der deutschen Politik in eine engere Fühlung zu treten. Eine Woche später, am 14. Oktober, unmittelbar vor dem Ausbruch des Balkankrieges, ließ er Kühlmann auf dem ungewöhnlichen Wege durch seinen Privatsekretär Mr. Tyrrell eine noch viel ungewöhnlichere Eröffnung machen: Er sei des langen Haders herzlich müde und wolle uns in voller Aufrichtigkeit die Hand zu einer dauernden Versöhnung reichen, er biete uns den Ölzweig des Friedens an. England erstrebe keinen politischen Gewinn, verfolge die Lokalisierung des Krieges und könne sein Ziel am besten erreichen, wenn es durch einen vertraulichen Meinungsaustausch eine Übereinstimmung [747] feststelle, in der die beiden Mächte offen Hand in Hand vor Europa erscheinen würden. Sei durch ein solches Zusammenwirken in schwieriger Zeit die Intimität der deutschen und englischen Diplomatie hergestellt, so werde man sich über alle politischen Wünsche und Interessen verständigen können. Er sei zum allergrößten Entgegenkommen bereit und halte ein Kolonialabkommen über China, Persien, Türkei und Afrika für aussichtsreich. Der Minister ließ den Wunsch aussprechen, auch die Deutschen möchten seinen Vorschlag für einen wichtigen und entscheidenden Schritt halten.29

Was wollte Grey? Was konnte er anders wollen, als die deutsche Regierung möglichst zwanglos darüber unterrichten, daß er in dieser Krisis, statt die ausgesprochene Parteihaltung von 1908/9 zu wiederholen, eine friedensfreundliche und uneigennützige Haltung einnehmen werde; damit dann auch die Deutschen zu einer entsprechenden Haltung auffordern und es verhindern, daß sie sich vorzeitig im österreichischen Sinne versteiften; vielleicht sie durch die verlockende Perspektive eines umfassenden Kolonialabkommens überhaupt für friedliche Methoden der Politik gewinnen? Das alles galt zunächst für die Dauer der Balkankrisis - es wäre die Vorbereitung jenes Verhältnisses, das sich tatsächlich im nächsten Jahre herausbildete.

Kiderlen war sofort entschlossen, "den Zeitpunkt für eine entsprechende Fühlungnahme mit London nicht zu verpassen", wenn auch mit einiger Zurückhaltung, "um die Anfänge der erwünschten Entwicklung nicht im Keime zu gefährden". Seine realistische Natur sagte sich, "daß ein praktisches Zusammengehen mit England in einer wichtigen Frage der allgemeinen Politik heilsamer als alle Verbrüderungsfeste und papierne Verträge auf unsere Beziehungen zu England einwirken würde".30 So antwortete er Grey am 20. Oktober (die Feindseligkeiten waren inzwischen auf dem Balkan eröffnet), daß er mit Greys Balkanprogramm vollständig einverstanden sei, und ging die verschiedenen Möglichkeiten, je nach dem Verlauf des Feldzuges, durch. Indem er sich bereit erklärte, in einen Gedankenaustausch mit England einzutreten, stellte er nur zwei Bedingungen: absolute Vertraulichkeit, dann aber, wenn eine Verständigung erzielt sei, die Bereitschaft, sie auch den andern Mächten gegenüber zu vertreten. Je weiter dann auf andern Gebieten England sich zu einem Entgegenkommen entschließe, desto weiter könne man in der Beseitigung der Orientkrisis gehen. Man könne aber auf eine offene deutsch-englische Aktion nur ein- [748] gehen, wenn man die Gewißheit habe, von England nicht lediglich für Erreichung besonderer momentaner englischer Zwecke ausgenützt und dann wieder andern Beziehungen geopfert zu werden.31 Grey erklärte sich damit einverstanden.

Wenn Grey ernstlich entschlossen war, den Deutschen den Olivenzweig zu überreichen, so war man in Berlin vorbehaltlos bereit, ihn in demselben Sinne anzunehmen. Nichts ist denkwürdiger, als der Augenblick, in dem die Führer des umfassendsten Weltgegensatzes zu dieser Aussprache über ihren Verständigungswillen gelangten, denn der Balkan stand jetzt in hellen Flammen. In diesen selben Tagen ging der russische Botschafter Iswolski in Paris die Möglichkeiten durch, die dem Verlauf des Krieges offenstanden. Die eine war, daß der Türke siegreich blieb. Die andre - damals für am wenigsten wahrscheinlich gehalten - war ein entscheidender Sieg der Balkanstaaten, der für den allgemeinen Frieden am bedrohlichsten sein würde: er würde zur Folge haben, daß der Kampf des Slawentums nicht nur mit dem Islam, sondern auch mit dem Germanentum, sofort in seiner vollen historischen Größe in den Vordergrund rückte. "In diesem Falle kann man kaum noch Hoffnung auf irgendwelche Palliativmittel setzen und man muß sich auf einen großen und entscheidenden allgemeinen europäischen Krieg vorbereiten".32 Diese Möglichkeit, an die Iswolski und sein Vertrauter Poincaré so unheilvolle Perspektiven knüpften, zog dann in den nächsten Tagen schon unaufhaltsam herauf. Am 23./24. Oktober hatten die Bulgaren bei Kirkkilisse, an demselben Tage die Serben bei Kumanowa die Türken vernichtend geschlagen und am 8. November zogen die Griechen in Saloniki ein. Das Ende der europäischen Türkei - ein Ereignis, das seit Jahrhunderten mehr als einmal den Horizont verdunkelt hatte, dann doch von den Mächten immer wieder verhindert worden war - schien nicht mehr aufzuhalten zu sein. Selbst die Mächte, die soeben noch für die Erhaltung des status quo auf dem Balkan sich eingesetzt hatten, wußten kaum einen andern Ausweg, als den Balkanstaaten die Aufteilung der Halbinsel zu überlassen.

Aber eine solche Lösung konnte an mehr als einer Stelle in die Lebensinteressen der einen oder andern Großmacht empfindlich einschneiden, ihren Widerspruch auslösen und die Uneinigkeit aufdecken. In demselben Augenblick schon, da die überraschenden Schlachtenmeldungen über Europa flogen, mußte man sich in allen Kabinetten darüber klar werden, daß man unmittelbar vor einer schweren Krisis, wenn nicht gar - wie es Iswolski bereits formulierte - an der Pforte des Weltkrieges stand.

[749] Den tiefsten Eindruck von den serbisch-bulgarischen Siegen und die heftigste Steigerung eigenen Tatendranges hatte ohne Zweifel Poincaré davongetragen. Schon am 28. Oktober konnte Iswolski feststellen, daß in Paris ein ernsthafter Umschwung zugunsten der Balkanstaaten und des russischen Standpunktes eingetreten sei. Poincaré glaubte, im Unterschied von den übrigen minder interessierten Mächten und zur Überraschung seiner Ententefreunde,33 sogar die Führung übernehmen zu sollen.

Er begann schon Ende Oktober (auf Sasonows Anregung) mit einem Vorschlag, die Großmächte sollten im gegebenen Augenblick ihre Vermittlung bei den Kriegführenden nach dem Prinzip des absoluten Desinteressements an allen Kompensationen - durch welches Prinzip einseitig Österreich-Ungarn getroffen werden sollte - ausüben. Der Vorschlag, von dem Dreiverband unterstützt, stieß auf die Ablehnung des Dreibundes, der von einer Vermittlung erst dann gesprochen wissen wollte, wenn einer der Kriegführenden darum nachgesucht haben würde (4. November). Und da Graf Berchtold in den ersten Tagen die Kabinette des Dreiverbandes verständigte, daß Österreich-Ungarn keinerlei Gebietskompensationen für sich beanspruche, so war zunächst der Vorstoß Poincarés erledigt.

Um so wichtiger ist es festzustellen, aus welchen Motiven er ihn unternahm und was er sich davon versprach.

Es ging in diesen Wochen eine kriegerische Welle durch Paris. In Frankreich hatte die Niederlage der Türken den verführerischen Glauben gezeitigt, daß die deutschen Kanonen und die deutsche Strategie nichts wert seien; der Sieg von Creuzot über Krupp wurde wie ein französischer Sieg gefeiert, und die Zeitungen erörterten ununterbrochen das "Sommes-nous prêts?", um es begeistert zu bejahen. Man rechnete schon, daß die Armeen der vier Balkanvölker stark genug seien, um die Kräfte Österreich-Ungarns lahmzulegen - also werde im Ernstfalle Deutschland es allein mit Frankreich und Rußland zu tun haben.34 Es läßt sich denken, welchen Eindruck der bloße Glaube, daß sich eine solche Verschiebung schon vollzogen habe, auch auf den militärischen Laien in Paris machte.35

[750] So führte Poincaré am 4. November eine Gelegenheit herbei, in der er Iswolski klarzumachen suchte, weshalb er schon frühzeitig die Festlegung allgemeiner Grundlinien gewünscht hatte, und weshalb er so gern wissen möchte, ob die russische Regierung gleichfalls jeder Annexion türkischen Gebiets durch eine Großmacht feindlich gegenüberstehe und geneigt sei, mit Frankreich sowohl als mit England die nötigen Mittel zur Abwendung dieser Gefahr zu besprechen.36 Der dunkle Sinn dieser Rede wurde von Iswolski ohne Mühe erfaßt. "Er enthält", so meldete er nach Petersburg, "einen ganz neuen Gesichtspunkt Frankreichs in der Frage territorialer Vergrößerung Österreichs auf Kosten der Balkanhalbinsel. Bisher hat Frankreich uns nur erklärt, daß die lokalen, gewissermaßen rein balkanischen Ereignisse von seiner Seite nur diplomatische Schritte und keinerlei aktive Intervention veranlassen könnten; jetzt scheint es aber einzusehen, daß Gebietserweiterungen Österreichs das allgemeine Gleichgewicht Europas und dadurch die eignen Interessen Frankreichs in Frage ziehen würden. Ich habe nicht verfehlt, Herrn Poincaré darauf aufmerksam zu machen, daß er durch seinen Vorschlag, gemeinsam mit uns und England die Mittel zur Verhütung derartiger Gebietserweiterungen zu prüfen, auch bereits die Frage der praktischen Folgen des von ihm vorgeschlagenen Unternehmens aufgeworfen habe. Aus seiner Antwort konnte ich schließen, daß er sich vollkommen klar darüber ist, Frankreich könne hierbei in militärische Operationen hineingezogen werden."

Es versteht sich, daß die russische Regierung, obgleich sie bei dem Grade ihrer eignen Bereitschaft keinen Grund hatte, die Sache zu forcieren, die französische Bereitschaft sehr befriedigt aufnahm. Aber Poincaré wurde nicht müde, dem Russen als dem zumeist interessierten Teile das Ergreifen der Initiative zuzuschieben. Wenn Iswolski sich dahinter zurückzog, Frankreich und England hätten offen erklärt, daß sie keineswegs gesonnen seien, sich durch den Konflikt mit dem Dreibund entzweien zu lassen, so suchte Poincaré ihm jede Sorge zu nehmen: "Im großen und ganzen lief alles auf die Erklärung hinaus, wenn Rußland in den Krieg geht, wird Frankreich dasselbe tun, weil wir wissen, daß in dieser Sache Deutschland hinter Österreich stehen würde." Auf Iswolskis Frage nach dem Standpunkt Englands mußte Poincaré zugeben, daß es sich für den Augenblick auf volle diplomatische Unterstützung beschränke, "was aber nötigenfalls eine nachdrücklichere Hilfe nicht ausschließen würde". "Frei von jeder Furcht vor Verantwortlichkeit", das war soeben Sasonows persönlicher Eindruck gewesen - diesen Eindruck von sich suchte Poincaré bei den Russen mit allen Mitteln zu vertiefen.

Diese Tatsache gehört in der Vorgeschichte des Weltkrieges zu denjenigen, denen eine ernste Tragweite innewohnt. Von diesem Tage an konnte man in Petersburg sicher sein, daß man für ein Ringen um die Vorherrschaft auf dem [751] Balkan unbedingt auf das Eingreifen des französischen Heeres zählen könnte.37 Noch im August 1912 hatte Poincaré in Petersburg vorsichtig formuliert, die öffentliche Meinung in Frankreich würde der Regierung nicht gestatten, sich aus Gründen, die nur den Balkan angingen, für ein kriegerisches Vorgehen zu entscheiden, es sei denn, daß Deutschland daran teilnehme oder die Anwendung des Bündnisfalles herausfordere. Sobald aber die Ziele des siegreichen Balkanbundes vor allem die offene Front gegen Österreich-Ungarn enthüllten, dehnte sich der Bündniswille Frankreichs auf die ganze russische Balkanpolitik aus, weil er hoffte, daß gerade diese scharfe antiösterreichische Front Deutschland unter allen Umständen zum Eingreifen nötigen würde. Fortan war die Revanche entschlossen, jede Klammer zum Balkan hinüberzuschlagen, damit ihr keine Gelegenheit für den Krieg entgehe. Diese Haltung Frankreichs wird sich bei andern Gelegenheiten erneuern, sie wird grundsätzlich, bis zum Weltkriege, nicht wieder aufgegeben werden.38 An einer Stelle war jetzt ein Kriegswille sichtbar geworden, der zwar seit langem als ein unveränderlicher, aber ruhender, latenter Posten in der Rechnung aller europäischen Großmächte geführt worden war, der jetzt aber, tatbereit und aufreizend, sich zur Übernahme neuer Verbindlichkeiten anmeldet.

Um so bedeutsamer ist es, im Vergleich damit die Haltung der Mittelmächte zu prüfen. Die österreichische Regierung hatte am 30. Oktober, nach langem Drängen Kiderlens, endlich bekanntgegeben, unter welchen Bedingungen sie in die durchgreifenden Umgestaltungen auf der Balkanhalbinsel willigen würde. Sie hatte keine Einwendungen gegen eine territoriale Vergrößerung von Serbien und Montenegro und wünschte nur Garantien, die hauptsächlich wohl auf wirtschaftlichem Gebiet lagen. Sie wollte für sich - wie sie auch den Dreibundsmächten in den nächsten Tagen erklärte - keine territoriale Bereicherung. Aber sie richtete zwei Schranken auf: sie erklärte, einen Versuch Serbiens, an die Adria zu gelangen, unter allen Umständen abweisen zu müssen, und sprach den Wunsch nach einer freien staatlichen Entwicklung Albaniens aus.39 In diesen beiden Forderungen stimmte sie grundsätzlich mit der dritten Dreibundmacht Italien überein.

Der Fortgang der Dinge war sehr bemerkenswert. Am 6. November richteten der französische und der englische Botschafter an Herrn von Kiderlen die Frage, ob Aussicht vorhanden sei, daß das serbische Verlangen nach einem Hafen an der Adria auf keinerlei Widerstand stoßen werde. Die Antwort des Staatssekretärs ließ keinen Zweifel darüber, daß Österreich sich einem solchen [752] Verlangen entschieden widersetzen, und weiter, daß es die volle Unterstützung Deutschlands und wohl auch Italiens finden würde.40 Darauf erschien am 7. November der serbische Gesandte im Auswärtigen Amt,41 um Kiderlen die amtliche Mitteilung zu machen, daß Serbien sich nicht abhalten lassen werde, bis an die Adria vorzustoßen; nicht nur Bulgarien, sondern auch Rußland - fügte der Serbe hinzu, der in diesem Punkte von Sasonow nachdrücklich desavouiert werden sollte42 - wäre bereit, hinter ihren Teilungsplan zu treten. Als er dann die für den Vertreter einer kleinen Macht wenig angemessene Frage anschloß: ob Deutschland Österreich gegen Rußland beistehen würde, auch wenn sich Frankreich neutral verhielte? - verlor Kiderlen die Geduld und erklärte auf dieses impertinente Ausholen kurz und bündig: falls nicht nur Serbien, sondern auch Rußland den Krieg haben wollten, so könnten sie ihn haben, es würde dann nicht nur Deutschland, sondern auch Italien mit voller Kraft an der Seite Österreich-Ungarns stehen - im übrigen könne man die Leichtfertigkeit nicht genug verdammen, eine der Großmächte, die der Gegenstand nichts angehe - wenn auch nur in Worten - in einen Krieg verwickeln zu wollen. Wenn der Serbe, ohne Autorisation von russischer Seite, sich so weit vorwagte, so mußte wohl ein Stärkerer und Geschickterer die Hand dabei im Spiele haben - daß es Jules Cambon gewesen sei, ist freilich nur eine Vermutung, für die einstweilen kein Beweis vorliegt.

Indem Kiderlen hier, der Geschlossenheit des Dreibundes sicher, eine ganz feste Haltung einnahm, erfuhr er den Widerspruch des Kaisers. Wilhelm II. hielt den österreichischen Widerstand gegen serbische Adriawünsche für "Einbildung" Wiener Bedürfnisse, denen er - vom österreichischen Sonderstandpunkt - eine gewisse Berechtigung nicht absprach, "deren Geltendmachung aber mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen (Krieg usw.) lediglich Sache Österreichs und nicht seiner Verbündeten ist". Er wollte wegen der Serben in Durazzo oder Albanien den casus foederis nicht eintreten lassen, da eine so weitgehende Verpflichtung nicht dem Geist des Dreibundes entspreche, der a limine den Bestand des wirklichen Besitzes zu gewährleisten bestimmt war. Gewiß sei manche Veränderung auf dem Balkan für Wien recht unbequem und auch unerwünscht, aber keine so einschneidend, daß wir uns ihretwegen der Gefahr einer kriegerischen Verwicklung aussetzen dürfen, "das würde ich [753] weder vor meinem Volk noch vor meinem Gewissen verantworten können".43 Noch als in den nächsten Tagen der Reichskanzler sich zu dem Kaiser nach Letzlingen begab, hielt dieser daran fest, "daß er wegen Albanien und Durazzo unter keinen Umständen gegen Paris und Moskau marschieren werde". Er sah schon Eintreten des casus foederis, Mobilmachung und Zweifrontenkrieg kommen: "es muß also Deutschland in einen Existenzkampf mit drei Großmächten eintreten, bei dem alles aufs Spiel gesetzt werden muß und es untergehen kann." Erst allmählich fand Wilhelm II. sich im Laufe der nächsten Tage damit ab, daß die Bündnisverpflichtung in dem Fall, daß die Russen durch etwaige Ablehnung von Vermittlungsvorschlägen sich ins Unrecht setzen würden, doch in Kraft treten müsse. Auch diese Episode bestätigt den in ernsten Krisen immer wieder zu beobachtenden Friedenswillen des Kaisers. Man kann ihm vorwerfen, daß er in solcher Stimmung Bündnisverpflichtung und Großmachtinteressen eher zu leicht nahm, und in diesem diplomatischen Kleinkampf nicht die festen Nerven einer Kämpfernatur besaß; man muß ihm aber unbedingt zubilligen, daß er mit einem richtigen menschlichen Empfinden dagegen reagierte, gestern wegen Agadir, heute wegen Durazzo und Albanien das deutsche Volk, dem diese Dinge als Kampfanlaß schlechterdings fernlagen, in einen Krieg führen zu sollen, der die Existenz des Reiches in Frage stellen konnte.

Aber das alles war nur ein Vorspiel. Die Dinge gewannen ein ernsteres Gesicht, als der Serbe, trotz des ablehnenden Verhaltens des Dreibundes, an seinen Forderungen festhielt und wenigstens für gewisse Kompromißvorschläge (Handelshafen an der Adria mit territorialem Korridor oder gesichertem Schienenweg) den diplomatischen Rückhalt der russischen Macht gewann. Rußland suchte seinem diplomatischen Vorgehen einen gewichtigeren Nachdruck dadurch zu verleihen, daß es auch zu militärischen Maßregeln schritt. Schon am 5. November hatte es die fällige Entlassung des ausgedienten Jahrganges wider allen Brauch bis zum 31. Dezember verschoben und damit eine wesentliche Erhöhung seiner Kriegsbereitschaft erzielt; gleich darauf begann es, in den Militärbezirken Warschau, Kiew und Odessa zahlreiche Vorbereitungen für den glatten Verlauf einer Mobilmachung zu treffen. Gegen Mitte November fing man auch in Österreich-Ungarn an - nach dem russischen Vorgang - sich vorzubereiten und in Galizien entsprechende Gegenvorsichtsmaßregeln zu treffen. Diese parallel sich steigernden Rüstungen der beiden Großmächte auf der einen Seite und der serbische Vormarsch in Albanien auf der andern Seite drohten alsbald, an irgendeiner Stelle zur Explosion zu führen: herausfordernde Äußerungen serbischer Politiker und russischer Diplomaten taten das ihre, um Öl in das Feuer zu gießen; und schon stellte sich heraus, daß die Stimmen derer, die auf einen großen Krieg hinauswollten, an mehr als einer Stelle in Europa [754] eine Resonanz fanden. Daß im Osten der Pulvergeruch in dichten Schwaden über die Grenze zog, ließ sich durch die unmittelbare Nähe der Kriegsschauplätze erklären. Fast noch mehr gab zu denken - was damals freilich nach außen hin so gut wie unerkennbar blieb - daß auch die westlichen Generalstäbe gleichzeitig in eine gesteigerte Tätigkeit eintraten.

Die Zusammenarbeit des französischen und des englischen Generalstabs für unmittelbare Kriegsaufgaben wurde wieder lebhafter. In London, wo General Wilson gerade mit Plänen beschäftigt war, die auf Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zielten, stand man plötzlich vor der Aufgabe, obgleich man noch nicht fertig war, die Entsendung des Expeditionsheeres für den Ernstfall vorzubereiten. Eine Sitzung des Army-Council am 12. November setzte die Kommandostellen fest und eröffnete die Verhandlung mit der Admiralität.44 Wilson selbst begab sich nach Paris, wo schon an hundert kleinen Anzeichen eine dienstliche Unruhe erkennbar wurde; am 26./27. November wurde in den Garnisonen der Grenzkorps eine Probemobilmachung vorgenommen, die sich nicht nur auf die Truppen, sondern auch auf die Zivilbehörden erstreckte.45 Am 27. November fand unter der Leitung des Generals Castelnau eine der üblichen Besprechungen des französischen und englischen Generalstabs statt, an der zum erstenmal nicht nur Militärs, sondern auch andere Vertreter der französischen Regierung teilnahmen. Befriedigt wußte auch der russische Botschafter davon zu berichten, daß die englisch-französische Militärkonvention nunmehr ebenso in allen Einzelheiten durchgearbeitet und erschöpfend sei, wie die französisch-russische.46 So tauchte denn auch von neuem die dringliche Angelegenheit Belgien auf. General Castelnau stellte die Frage zur Erörterung: welche Maßnahmen für den Fall zu treffen seien, daß Belgien als feindlich in einem Kontinentalkriege angenommen werden müsse? Die Pläne, von denen die Öffentlichkeit soeben in peinlicher Weise dadurch unterrichtet wurde, daß der französische General Picquard während einer Reise in Namur schwer erkrankte, beschäftigten damals alle Eingeweihten. Die Vorschläge Castelnaus, die auf einen französisch-englischen Einmarsch in Belgien hinausliefen (um "in dieser Gegend" einen deutschen Angriff abzuschlagen), fanden zwar die persönliche Zustimmung Wilsons, aber sie bedurften auch der Genehmigung der englischen Regierung. Wilson mußte auftragsgemäß den Franzosen eröffnen, daß es nicht im englischen Interesse liege, wenn die französische Armee als erste die belgische Neutralität verletzen würde. Die französischen Einwendungen waren [755] es wohl, die das Foreign Office veranlaßten, noch einmal in Brüssel anzuklopfen, ob Belgien einen solchen Einmarsch der Engländer und Franzosen als Freunde oder Feinde aufnehmen würde. Die Antwort lautete jetzt, daß Belgien im Falle eines europäischen Konfliktes sich nicht länger auf seine Garantien verlassen könne, sondern für seine eigene Sicherheit sorgen müsse. Aber es war doch in dem Berichte des Gesandten tröstlich die Rede davon, daß nicht das Gefühl im Volk oder in der Armee, sondern nur die Regierung, die Engländer als Feinde ansehen müsse, "wahrscheinlich nicht bis zu dem Grade, einen aktiven Widerstand zu leisten, aber sie würden uns keine Hilfe leisten und in keiner Weise unsere Operationen erleichtern".47 Wollte man sich also in Brüssel statt eines grundsätzlichen Bruches der Neutralität mit einem leisen Abweichen vom Pfade der Tugend begnügen? - So rollte denn die Lawine der militärischen Vorbereitungen schon in diesen ersten Wochen von Osten bis auf den - von jedem Interesse an Albanien unberührten - Boden Belgiens.

Im Westen ging es um eine technische Kriegsmöglichkeit, die sich aus irgendeinem gleichgültigen Grunde ergeben konnte und, automatisch abrollend, die geheimen Systeme der Verständigungen in Kraft setzen und Millionen um fremder Ziele wegen in Marsch bringen würde. In Österreich dagegen überwog das fast erdrückende Gefühl, daß es um das Leben selber gehe. Man sah nicht nur eine mächtig ansteigende slawische Welle an der Grenze der Monarchie sich immer mächtiger erheben, sondern man empfand, daß der hier angesammelte Sprengstoff in den Nationalitätenhader der Monarchie zerstörend übergreifen werde.

Nachdem die katholisch-kroatische Rechtspartei sich mit dem orthodox-slowenischen Nationalverbande feierlich verbrüdert hatte, sah man die staatsfeindlichen Bestrebungen der Völker der Monarchie auf der ganzen Linie näher heranrücken. Überall regte sich in dem staatstreuen Element das düstere Gefühl: am letzten Ende geht es um den Bestand des Staates. Als Kaiser Franz Joseph am 21. November in die Erhöhung der galizischen Truppenbestände willigte, war er sich der Tragweite dieser Maßregel durchaus bewußt. Der Kriegsminister General von Auffenberg bemerkte zu ihm: es sei vielleicht der ernsteste Augenblick seit 1866; darauf antwortete der Kaiser: "Er ist schwerer als 1866." Der Kriegsminister gestand dem deutschen Botschafter: "Wir brauchen mindestens auf ein halbes Jahrhundert hinaus Ruhe in der Monarchie, um die Südslawen in Ordnung zu bringen, und diese Ruhe können wir nur erhalten, wenn die Hoffnung der Südslawen auf russische Unterstützung definitiv beseitigt wird. Sonst geht die Monarchie in Stücke."48 In dieser Lage war auch [756] Kaiser Wilhelm von jeder Neigung zurückgekommen, dem Konflikt auszuweichen. Er formulierte seine Bereitschaft am 21. November: sollten russische Gegenmaßregeln den Kaiser Franz Joseph zwingen, den Krieg zu eröffnen, "so hat er das Recht auf seiner Seite und ich bin bereit, den casus foederis in vollstem Maße mit allen Konsequenzen durchzuführen". Diese Zusicherung gab der Kaiser auch dem Erzherzog Franz Ferdinand zu dessen tiefer Befriedigung, er bat nur, den österreichischen Standpunkt jeweils genau zu präzisieren - warnte vor Übereilungen und zum Abschiede, bei der Zusammenkunft in Springe, mahnte er noch: nur keine Dummheiten.49

Die deutsche Politik hatte eine doppelte schwere Verpflichtung gegenüber dem Bundesgenossen und dem Weltfrieden durchzuführen. Kiderlen vertrat fest den Standpunkt, kein "Arbiter über österreichische Lebensinteressen" zu sein, aber es nachdrücklich diplomatisch zu unterstützen; bei weiteren Ereignissen, sofern Österreich seine Lebensinteressen für berührt erachte, auch die Bündnispflicht zu erfüllen; nur müsse bei solchen ernsten Ereignissen Österreich offenkundig im Rechte sein und nicht als der Provozierende, sondern als der Provozierte erscheinen.50 Er verlangte von dem Bundesgenossen wirkliche Pläne und ausreichende Information und klagte sehr, daß man sie nicht liefere und dennoch Hilfe verlange. Um zu zeigen, daß es hier bestimmte Grenzen gebe, hielt er es gelegentlich sogar für nötig, einen kalten Wasserstrahl nach Wien zu entsenden.51

Das Gesamtprogramm, so wie es Kiderlen am 28. November im Bundesrat vortrug,52 kennzeichnet nicht nur seine politische Denkweise, sondern zugleich die Position, die Deutschland und Österreich-Ungarn nunmehr in der tieferschütterten europäischen Welt einnahmen. Zunächst der Orient: die europäische Türkei gehört der Vergangenheit an, die asiatische Türkei (mit Konstantinopel) ist politisch und wirtschaftlich lebensfähig zu erhalten. Den Bundesgenossen Österreich-Ungarn und in zweiter Linie Italien wird in ihren hier betroffenen Lebensinteressen auch fernerhin diplomatische Unterstützung zuteil werden, die Geltendmachung ihrer Ansprüche aber wird ihnen selber überlassen. Sollte Österreich-Ungarn bei der Geltendmachung von Lebensinteressen, auf die es ohne Minderung seiner Großmachtstellung slawischer Anmaßung gegenüber nicht verzichten kann, von Rußland angegriffen werden, so liegt es in unserem allereigensten Interesse, unsere ganze Macht zur Erfüllung unsrer [757] Bündnispflicht einzusetzen. Der Zweck ist für uns nicht Durazzo, sondern die Aufrechterhaltung der Großmachtstellung Österreich-Ungarns, damit wir nicht - der Staatssekretär durfte hier mit vollem Recht den Schatten Bismarcks beschwören - mit Rußland in der Front und Frankreich im Rücken allein zurückbleiben. Muß also Österreich-Ungarn um seine Großmachtstellung kämpfen, so müssen wir an seine Seite treten, um nicht nachher neben einem geschwächten Österreich allein fechten zu müssen. Im übrigen aber: Milderung der Gegensätze, keine Demütigungen, kein Krieg, solange es in Ehren möglich; wenn es aber unmöglich, ihn zu vermeiden, ihm fertig und fest ins Auge sehen.

Auf dieser Grundlage war Kiderlen bereit, zwar nicht die Entscheidung einer formellen Konferenz der Mächte zu überlassen - in der sofort die Gruppenbildung alles beherrscht haben würde -, wohl aber, wie Grey es in diesen Tagen anregte, einer zwanglosen Konferenz der Botschafter in London die schiedlich-friedliche Förderung anheimzugeben. Kiderlen hatte, bei aller Beherrschtheit, in dem geschlossenen Kreise des Bundesrats eine sehr bestimmte Haltung eingenommen. In der öffentlichen Rede, die dann der Reichskanzler am 2. Dezember im Reichstage hielt, schien diese Festigkeit - anscheinend gegen den Wunsch Kiderlens53 - um eine Nuance gesteigert; vielleicht überschritt sie sogar schon die Grenze der den Umständen entsprechenden Formulierung. Zu diesen Umständen gehörte die in den Tagen bei Rußland bemerkbare Neigung, auf der Londoner Konferenz den Rückzug anzutreten, und der Entschluß Greys, ihm diesen Rückzug zu erleichtern. Diese Situation muß man sich klarmachen, um den tieferen Sinn eines kleinen deutsch-englischen Zwischenspiels zu verstehen. Der englische Minister war schon am 28. Oktober von dem russischen Botschafter darauf aufmerksam gemacht worden, wie gefährlich die Annahme für Deutschland sein würde, daß man auf alle Fälle auf Englands Neutralität rechnen dürfe, und Grey hatte es unternommen, diese Gefahr auf seine Weise zu beschwichtigen. Er machte dem deutschen Botschafter, Fürsten Felix Lichnowsky, der im Oktober die Nachfolge Marschalls angetreten hatte, eine der Mitteilungen, wie er sie liebte: eine allgemeine Betrachtung in freundschaftlichem Ton, deren Motive und Folgerungen sich in weniger erwünschten Eventualitäten verloren. Er ging davon aus, daß England und Deutschland diejenigen Staaten seien, welche in Balkanfragen am wenigsten und daher an der Erhaltung des Friedens am meisten interessiert seien. Denn wenn der Krieg ausbreche, liege der wahre Grund so viel tiefer als die sekundären Ursachen, die den Krieg hervorrufen würden, daß er keine ernstliche Garantie dagegen erblicke, daß schließlich nicht auch England und Deutschland in ihn hineingezogen [758] werden würden.54 Dieses delphische Orakel ließ er auch nach Petersburg mitteilen. Er verschwieg auch dem russischen Botschafter nicht, daß die versöhnliche Form der Mitteilung an ihrer Wichtigkeit, d. h. ihrem Ernst, nichts ändere, und dieser begriff sofort, daß die Deutschen nicht zu sicher gemacht werden sollten, auf die Neutralität Englands zu bauen.55 Die Mitteilung besagte grundsätzlich und für alle Zukunft: wir können so freundlich stehen wie wir wollen, das ändert nichts daran, daß auf dem Grunde unsrer Beziehungen ein primärer Gegensatz obwaltet, der im Ernstfalle absolut durch alle anderweitigen Gegensätze durchschlagen wird.

Daß dies der Sinn seines Vorgehens war, wird dadurch bestätigt, daß Grey nach vier Tagen die Methode noch einmal anwandte. Die Rede des Reichskanzlers vom 2. Dezember machte ihn wegen gewisser kriegerischer Wendungen56 mißtrauisch; er hielt sie für unnütz und warnte Lichnowsky: jeder Versuch, die schimmernde Wehr wieder hervorzuholen, werde in Rußland keinen Erfolg haben. Vor allem ließ er dem deutschen Botschafter eine Vorlesung halten, diesmal durch Haldane, in dessen Mund sie noch eindeutiger klang.57 Bei einem allgemeinen europäischen Wirrwarr, der sich aus dem Einmarsch Österreichs in Serbien ergeben könnte, sei es kaum wahrscheinlich, daß Großbritannien stiller Zuschauer bleiben könne: das sei die mögliche Folge eines Krieges zwischen den beiden Gruppen. Die Wurzeln der englischen Politik lägen in der allgemeinen Empfindung, daß das Gleichgewicht der Gruppen einigermaßen aufrechtzuerhalten sei. England würde daher unter keinen Umständen eine Niederwerfung der Franzosen dulden können, es könne und wolle sich nachher nicht einer einheitlichen kontinentalen Gruppe unter Führung einer einzigen Macht gegenübersehen. Sollte also Deutschland durch Österreich hineingezogen werden und dadurch in Krieg mit Frankreich geraten, so würden in England Strömungen entstehen, denen keine Regierung widerstreben könnte. Die Theorie von dem Gleichgewicht der Gruppen bilde eben für Englands Außenpolitik ein Axiom und habe auch zur Anlehnung an Frankreich und Rußland geführt.

[759] Diese Einwirkung Greys ist um so bezeichnender, als sie von seinem eignen Standpunkt aus gar nicht erforderlich war: es lag gar keine kriegerische Haltung Deutschlands gegen Rußland vor, geschweige denn eine Gefahr für Frankreich - eben in diesen beiden Staaten, zumal in Frankreich, wurde in ganz andrer Weise mit dem Gedanken des Krieges gespielt. Aber wenn Grey die kleine Balkankrisis mit friedlichen Mitteln und mit deutscher Freundschaft zu lösen bereit war, so vergaß er nicht, daß es jenseits dieser Episode noch ganz große Machtentscheidungen gab, die mit andren Mitteln zu lösen waren. Trotzdem erschien im Foreign Office, wie die eifersüchtige Ehefrau bei dem Ehegatten, der einer Extratour verdächtig ist, der Botschafter Cambon voll Sorge über Pressegerüchte, die von einer gewissen Annäherung zwischen England und Deutschland sprächen, woraus sich eine Lockerung der Ententen und Interpellationen in der Kammer ergeben könnten. Und nun hatte Grey wieder den Aufgeregten zu beruhigen, daß zwischen den beiden Regierungen nur koloniale und ganz nebensächliche Fragen in versöhnlicher und liebenswürdiger Weise erörtert würden.58


1 [1/732]So 28. September 1911. 4. April 1912 (Gr. Pol. 30, S. 63, 371). ...zurück...

2 [2/732]7. August 1911 (Gr. Pol. 30, S. 99). ...zurück...

3 [1/733]Jäckh, a. a. O. 2, S. 219. ...zurück...

4 [2/733]Gr. Pol. 30, S. 212 ff. ...zurück...

5 [1/734]Jäckh, a. a. O. 2, S. 193. ...zurück...

6 [2/734]Zu dem folgenden: Russische Quellen: Krasnyi Archiv, Bd. 8, 9. Bulgarische Quellen: Geschow, L'Alliance balcanique (1915). Serbische Quellen: Bogitschewitsch, Die auswärtige Politik Serbiens 1903/14, Bd. 1, Geheimakten aus serbischen Archiven (1928); G. Roloff, Die Entstehung des Balkanbundes (1928). ...zurück...

7 [1/735]Poincaré, Les origines de la guerre, S. 117, behauptet nachträglich, von der Existenz des Balkanbundes bis zu seiner Petersburger Reise (August 1912) nichts gewußt zu haben. Es ist bedauerlich, daß sein Gedächtnis in einer so wichtigen Sache völlig versagt. In Wahrheit hat Sasonow am 30. März 1912 die Botschafter in Paris und London angewiesen, vertrauliche Mitteilung über das Bündnis zu gelegener Zeit zu machen, und aus einer eigenen Äußerung Poincarés in einem Erlaß vom 1. April 1912 geht hervor, daß er damals sofort unterrichtet worden ist. Doc. Dipl. Franç. 3. série II tom. Nr. 284. ...zurück...

8 [2/735]R. Hoeniger, a. a. O., S. 5. ...zurück...

9 [1/736]Jäckh, a. a. O. 2, S. 152. ...zurück...

10 [1/737]Joseph Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich (1928), S. 403. ...zurück...

11 [1/739]Frhr. von Conrad a. a. O. 2, S. 282. ...zurück...

12 [1/740]Es erscheint mir sehr bezeichnend, daß Kiderlen am 15. April 1912 dem König von Rumänien eine Mitteilung über das Balkanbündnis (vgl. Jäckh, 2, S. 185 ff.: "Ich nehme an, daß auch diese Abmachungen von Rußland nur als Mittel gedacht sind, die Balkanstaaten in der Hand zu behalten und deren eigenmächtiges Vorgehen zu verhindern") machte, die wohl aus der bekannten Quelle stammte, während er zu Berchtold zuerst am 24. Mai 1912 davon sprach. ...zurück...

13 [2/740]Österr.-Ung. Außenpolitik 4, S. 339 f. ...zurück...

14 [1/741Kiderlen an Bethmann Hollweg: 2. September 1912 (Gr. Pol. 33, S. 93). ...zurück...

15 [2/741]Denkschrift Szápárys vom 7. Oktober 1912. Berchtold an Kiderlen-Wächter: 8. Oktober. Szögyény an Berchtold: 10. Oktober, 11. Oktober (Österr.-Ung. Außenpolitik 4, S. 569 ff., 575, 593, 604). ...zurück...

16 [1/742]Gr. Pol. 33, S. 93. ...zurück...

17 [2/742]Jäckh, a. a. O., 2, S. 189. ...zurück...

18 [3/742]Vgl. S. 729 f. Winston Churchill, a. a. O. S. 92 ff. A. v. Tirpitz, S. 339 ff. ...zurück...

19 [4/742]Über die erste Wirkung dieser Absicht auf den Kaiser vgl. oben S. 726. ...zurück...

20 [1/743]Diese englisch-französischen Verhandlungen sind erst neuerdings bekanntgeworden (Doc. Diplom. Français 3. Serie, T. 3, S. 225, 270 ff., 384, 523 ff., 544 ff.; T. 4, S. 11 f., 318 ff., 415 ff., 535 f., 543 ff., 560). Sie werden demnächst aus den englischen Akten eine Ergänzung finden. ...zurück...

21 [2/743]Churchill an Asquith und Grey: 23. August 1912. ...zurück...

22 [1/744]Wenn man erwartet, aus den historischen Rückblicken Cambons auf die Verhandlung mit Lord Lansdowne, auch über weitergehende Angebote an Delcassé etwas zu erfahren, so täuscht man sich. ...zurück...

23 [2/744]Er würde erfolgt sein, auch wenn es gar nicht zur Balkankrisis und zum Balkankrieg gekommen wäre. ...zurück...

24 [3/744]Churchill hat recht, wenn er ironisch den deutschen Marineminister über eine Politik frohlocken läßt, die den Erfolg hatte, zur gemeinsamen Verteidigung gegen Deutschland zwei mächtige Flotten, die bis dahin Rivalen gewesen waren, zu vereinigen. Der Hinweis in der deutschen Ausgabe von Churchill 1, S. 95. ...zurück...

25 [1/745]Vgl. Poincaré an Millerand: 23. November 1912: "L'importance de ces documents ne vous échappera pas, les études stratégiques, auxquelles procèdent secrètement les États-major des deux pays, ont désormais l'approbation explicite du Gouvernement britannique." Doc. Dipl. Franç. 3, tom. 4, No. 563. ...zurück...

26 [2/745]Siebert 2, S. 441. ...zurück...

27 [3/745]Bericht des serbischen Gesandten Popović: 22. September 1912 (Ausw. Pol. Serbiens 1, Nr. 187). ...zurück...

28 [1/746]Bericht Sasonows an den Zaren: Le livre noir S. 2, 345 ff. Diplomatischer Schriftwechsel Iswolskis 2, S. 289 ff. (vgl. Grey, Twenty-five years 1, S. 288). ...zurück...

29 [1/747]Kühlmann an Bethmann Hollweg: 15. Oktober 1912: Gr. Pol. 33, S. 228 ff. (vgl. H. Nicolson, Lord Carnock, S. 384 ff. - Daß Grey am andern Tage seine Ansichten durch Tyrrell als vorläufig rein persönliche bezeichnen und um Diskretion gegenüber Nicolson und Goschen bitten ließ, war eine Vorsichtsmaßregel, die an dem Sinn seines Vorgehens nichts ändert. Daß Kühlmann an seinen Bericht eigene Betrachtungen knüpfte, die augenscheinlich viel zu optimistisch gefärbt waren, vermag den tatsächlichen Inhalt seiner Berichterstattung nicht zu entwerten. ...zurück...

30 [2/747]Kiderlen an Jenisch: Mitte Oktober 1912 (Jäckh 2, S. 189 ff.); er ist damals augenscheinlich schon im Besitz des Berichtes von Kühlmann. ...zurück...

31 [1/748]Kiderlen an Kühlmann: 20. Oktober 1912. Kühlmann an Bethmann Hollweg: 25. Oktober 1912 (Gr. Pol. 33, S. 233 - 237, 244 - 247). Die Überstürzung des Balkankrieges unterbrach dann den Fortgang des Meinungsaustausches. ...zurück...

32 [2/748]Iswolski an Sasonow: 23. Oktober 1912. Übrigens war am 13. Oktober die Entschließung des russischen Generalstabs vom 13. März (s. o. S. 735) an den Warschauer Militärbezirk herausgegeben worden. ...zurück...

33 [1/749]Bericht Mensdorffs: 8. November 1912: "Sowohl Benckendorff wie Nicolson machen mir den Eindruck, die unermüdliche Tätigkeit Poincarés in letzter Zeit nicht zu billigen. Auch die englische Presse hat die französische Anregung über Desinteressement recht ungünstig beurteilt" (Österr.-Ung. Außenpol. 4, S. 804 f.). - Zu der Aktion Poincarés gehört auch der unter dem 25. Oktober eingeleitete Versuch, mit Italien, unter Erweiterung des Vertrages von 1902, zu einem Garantievertrage über die beiderseitigen nordafrikanischen Besitzungen und den status quo im Mittelmeer zu gelangen. Doc. Dipl. Fr. 3, Tom. 4, No. 244, vgl. No. 308. ...zurück...

34 [2/749]Bericht Szécsen: 9. November 1912 (Österr.-Ung. Außenpolitik 4, S. 814 f.). Bericht von Winterfeldt: 11. November 1912 (Gr. Pol. 31, S. 414). ...zurück...

35 [3/749]Es ist immerhin als Stimmungssymptom zu bewerten, wenn in diesen Tagen in der deutschen Botschaft in Paris eine Nachricht einlief, daß Poincaré im Ministerrate davon gesprochen habe, im Ernstfalle mit überraschender Wucht über die Grenze vorzustoßen, ohne das Parlament über die Kriegserklärung zu befragen, dementsprechend seien in aller Stille die Maßregeln getroffen worden. (Schoen an Bethmann Hollweg: 11. November 1912, Gr. Pol. 33, S. 315.) ...zurück...

36 [1/750]Poincaré an Iswolski, 4. November 1911 (Stieve, a. a. O., S. 104). ...zurück...

37 [1/751]So Stieve, a. a. O., S. 107. ...zurück...

38 [2/751]Poincaré sagt in seinen Memoiren, in denen er sich hütet, mit der fundamentalen Auslegung Iswolskis sich auseinanderzusetzen, über das Novum nichts. Er betont vielmehr: "Keine Erweiterung, keine Abweichung, keine neue Auslegung des Bündnisses." ...zurück...

39 [3/751]Erlaß Berchtolds: 30. Oktober 1912 (Österr.-Ung. Außenpolitik 4, S. 727 f.). ...zurück...

40 [1/752]Bericht Szögyénys: 6. November 1912 (Österr.-Ung. Außenpolitik 4, S. 783). ...zurück...

41 [2/752]Kiderlen an Tschirschky: 7. November 1912 (Gr. Pol. 33, S. 292 ff.). Bericht Szögyénys: 7. November 1912 (Österr.-Ung. Außenpolitik 4, S. 792). J. Cambon (nach der Mitteilung Kiderlens): Doc. Dipl. Français 3. Série T. 4. No. 380. "Je lui répondis, continua Mr. de Kiderlen, que dans ce cas, le casus belli jouerait; il est impossible, de trop condamner le légèreté avec laquelle on parle de nous jeter dans une guerre dont l'objet ne nous concerne pas et on oublie que l'Europe se montre complaisante en abandonnant la Turquie d'Europe à ses vainqueurs." ...zurück...

42 [3/752]Gr. Pol. 33, S. 333. ...zurück...

43 [1/753]Kaiser Wilhelm II. an Kiderlen: 7. November 1912, an Ausw. Amt: 9. November 1912. Aufzeichnung Kaiser Wilhelms II.: 11. November 1912 (Gr. Pol. 33, S. 295, 302 f.). ...zurück...

44 [1/754]Callwell, Wilson 1, S. 119. ...zurück...

45 [2/754]Bericht Winterfeldts an Moltke: 24. November 1912 (Gr. Pol. 33, S. 404 ff.). Moltke an das Auswärtige Amt: 29. November 1912 (Gr. Pol. 33, S. 435 f.). ...zurück...

46 [3/754]Iswolski an Sasonow: 5. Dezember 1912. Diplomatischer Schriftwechsel Iswolksis herausgegeben von Fr. Stieve 2, S. 377 f.: "Der einzige Unterschied besteht darin, daß die erstere nur die Unterschriften der Chefs der beiden Generalstäbe trägt." Die Abmachungen wurden jetzt genauer präzisiert (vgl. Les Armées Françaises dans la Grande Guerre 1, S. 50). ...zurück...

47 [1/755]Nicolson an Villiers: 30. Dezember 1912. Villiers an Nicolson: 11. Januar 1913. Harold Nicolson, Lord Carnock S. 398 ff. A. v. Wegerer, Kriegsschuldfrage, Mai 1930. Doc. Dipl. Français Série 3, T. 2, 308 ff. ...zurück...

48 [2/755]Tschirschky an Ausw. Amt: 21. November 1912. Gr. Pol. 33, S. 372 f. ...zurück...

49 [1/756]L. v. Chlumecky, Erzherzog Franz Ferdinand (1929), S. 91. Szögyény: 22. November. Franz Ferdinand: 22. November. Szögyény: 23. November 1912 (Österr.-Ung. Außenpol. 4, S. 971, 979, 994). ...zurück...

50 [2/756]Vgl. Jäckh, a. a. O. 2, S. 192. Helfferich, Vorgeschichte des Weltkrieges, S. 104 f. ...zurück...

51 [3/756]Das Kommuniqué der Nordd. Allg. Ztg. vom 25. November. Über die vergeblichen Versuche Wiens, die Sache abzuschwächen (Österr.-Ung. Außenpol. 4, S. 1034, 1038, 1047, 1066). ...zurück...

52 [4/756]Vgl. Jäckh, a. a. O. 2, S. 193 - 198. ...zurück...

53 [1/757]Zu Bethmanns Rede: Mensdorffs Bericht (Österr.-Ung. Außenpol. 5, S. 22, 39, 46 ff.). Die spätere Bemerkung Bethmanns, Betrachtungen zum Weltkrieg 1, S. 82 f., täuscht sich doch etwas über die Wirkung. ...zurück...

54 [1/758]Lichnowsky an Ausw. Amt 27. November 1912. Gr. Pol. 33, S. 417 ff. ...zurück...

55 [2/758]B. v. Siebert: 2, S. 507 f. ...zurück...

56 [3/758]Nach Chlumecky (S. 146) hatte Kiderlen ins Konzept für die Rede des Reichskanzlers im Reichstage notiert, daß Deutschland sich an die Seite der Alliierten stellen werde, während Bethmann den Ausdruck fechten gebrauchte. Auch der Kaiser schrieb, wie der Brief an Ballin verrät, der "forschen" Rede Bethmanns einen Sinn zu, der auf die Unvermeidlichkeit des Rassenkampfes zwischen Germanentum und Slaventum deute. ...zurück...

57 [4/758]Lichnowsky an Bethmann Hollweg: 3. Dezember 1912. Gr. Pol. 39, S. 119 ff. Bülow, Denkwürdigkeiten 3, S. 128 ff. - Wie konnte Lichnowsky sagen, er hätte eine so entschlossene Rede nicht erwartet! Wie die Meldung über das Gespräch Lichnowsky - Haldane auf die Wilhelmstraße gewirkt hat, ist aus dem Schreiben des Kaisers an A. Ballin vom 15. Dezember 1912 (Huldermann, a. a. O., S. 272 ff.) zu erkennen. Trotzdem nehme ich nicht an, daß die Linie Kiderlens ohne Greys Einwirkung wesentlich weitergegangen wäre. ...zurück...

58 [1/759]B. v. Siebert, a. a. O. 2, 522 f. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte