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Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

[147] Kapitel 3: Die Fürsorge für die Kriegsgefangenen

1. Die völkerrechtlichen Grundlagen des Kriegsgefangenenwesens im Jahre 1914.
Von Dr. Clemens Plassmann

Es mag ungewöhnlich erscheinen, wenn in diesem Werke, das von gewaltigstem Geschehen erfüllte Wirklichkeit darstellt, ein Kapitel die obenstehende theoretisch-kühle Überschrift trägt. Gleichwohl durfte dieses Kapitel nicht fehlen, ist es doch Vorbedingung zum Verständnis wichtiger Fragen, die das Kriegsgeschehen aufgerollt hat.

Das Kriegsgefangenenwesen war ein Feld, auf dem im Weltkriege erbitterte geistige Kämpfe ausgefochten wurden. Hin und her wurden die schwersten Vorwürfe geschleudert, und mit allen Mitteln seiner riesigen Propaganda hat der Bund der Feinde versucht, auch die Behandlung der Kriegsgefangenen zur geistigen Isolierung und Niederkämpfung Deutschlands zu benutzen. Mangelnder Kenntnis der völkerrechtlichen Bindungen, die die Staaten in der Frage der Kriegsgefangenenbehandlung sich auferlegt hatten, hat die feindliche Propaganda einen großen Teil ihrer leider bedeutenden Erfolge zu danken. Es gilt daher, den Pulverdampf und die giftigen Gase zu zerstreuen, die noch auf dem geistigen Schlachtfelde lagern, will man sich in klarer Luft ein objektives Bild machen und die gegenseitigen Anschuldigungen auf ihren Wert hin prüfen. Hierzu ist eine Darstellung der Entwicklung und der Grundlagen des bei Beginn des Weltkrieges herrschenden Kriegsgefangenenrechtes unumgänglich notwendig.

Das internationale Kriegsgefangenenrecht ist ein Kind der Neuzeit; seine Grundgedanken sind im 18. Jahrhundert entstanden. Als sich Rousseaus Grundsatz durchsetzte, daß der Krieg "une relation d'Etat à Etat" sei, konnten dementsprechend als Feinde nicht mehr Privatpersonen gelten, sondern nur die Staaten selbst und ihr Organ, die bewaffnete Macht; damit mußte auch die alte Anschauung fallen, die den Gefangenen der persönlichen Willkür des Gefangennehmenden überantwortete und das Gefangennehmen zu einem lohnenden Geschäft machte für den, dem das Waffenglück feindliche Soldaten in die Hände gab. Jetzt waren die Kriegsgefangenen nicht mehr Privatgefangene, sondern [148] Gefangene des feindlichen Staates. Dem einzelnen Gegner durfte nicht mehr Übles zugefügt werden, als der Kriegszweck unbedingt erforderlich machte.

Der große Preußenkönig Friedrich II. hat als erster diesen Anschauungen in einem völkerrechtlichen Vertrage Geltung verschafft und damit Pate gestanden an der Wiege des modernen Kriegsgefangenenrechtes. Am 10. September 1785 schloß Friedrich der Große mit den Vereinigten Staaten von Amerika einen Freundschafts- und Handelsvertrag, dessen Artikel 24 den Kriegsgefangenen gewidmet ist. Im Keime enthält dieser Vertrag die wichtigsten Bestimmungen, die heute noch maßgebend sind. Kriegsgefangenschaft ist nach ihm eine vom Nehmestaat verhängte Sicherheitshaft, die lediglich den Zweck verfolgt, den Betroffenen an weiterer Kriegsteilnahme zu hindern. Dem Nehmestaat wird die Verpflichtung auferlegt, für Unterbringung und Verpflegung der in seine Hand geratenen Gefangenen in gleicher Weise wie bei seinen eigenen Soldaten zu sorgen. Die Durchführung dieser bis in die Einzelheiten festgelegten Bestimmungen soll gewährleistet werden durch die Kontrolle besonderer Kommissare, die freien Zugang haben zu den Gefangenen und denen auch die charitative Betreuung der Gefangenen obliegt - übrigens eine Bestimmung, die nicht in das moderne Kriegsgefangenenrecht übergegangen ist.

Alles in allem ist nach diesem Vertrage die Kriegsgefangenschaft nicht mehr eine Gnade des Siegers, sondern ein Rechtsverhältnis, aus dem für den Gefangenen wie für den Nehmestaat Rechte und Pflichten erwachsen. Deutsche muß es mit besonderer Genugtuung erfüllen, daß es der größte deutsche Herrscher des 18. Jahrhunderts war, der die Anfänge des modernen Kriegsgefangenenrechtes mitgeschaffen hat; es sei auch darauf hingewiesen, daß auf der Gegenseite Benjamin Franklin diesen Vertrag mitunterzeichnete, der die Blitze der Willkür von den Kriegsgefangenen ableitete.

Von nicht zu unterschätzendem Einfluß darauf, daß die durch den Vertrag von 1785 vorgezeichneten Bahnen weitergegangen wurden, war in der Folgezeit die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in den meisten Kulturstaaten, standen sich jetzt doch nicht mehr beutelüsterne Söldlinge im Kampfe gegenüber, sondern die Bürger verschiedener Staaten.

Das 19. Jahrhundert hat die Entwicklung des Kriegsgefangenenrechtes zunächst durch Sondernormen der einzelnen Staaten fortgesetzt - es sei auf die französischen Kriegsgefangenenreglements und die Kriegsartikel der Vereinigten Staaten von Amerika hingewiesen - und hat ihm dann die endgültige völkerrechtlich bindende Form auf allgemeinen zwischenstaatlichen Konferenzen gegeben.

Die Brüsseler Konferenz, die 1874 auf Veranlassung der russischen Regierung zusammentrat, ist wohl die wichtigste Etappe auf dem Wege des modernen Kriegsgefangenenrechtes gewesen. Ihr Ziel, die Schaffung eines für alle Mächte geltenden Landkriegsrechtes, hat sie zwar nicht erreicht. Es kam lediglich zu der [149] "Brüsseler Deklaration", die niemals ratifiziert worden ist. Doch da diese Deklaration eine ausgezeichnete Zusammenfassung der im Laufe der Zeit entstandenen Rechtssätze war, den Zusammenhang mit der Wirklichkeit nie verlor und sich frei hielt von ideologischen Träumen, so hat sie tatsächlich wie ein Gesetz gewirkt.

Ihre Bestimmungen sind die Grundlagen gewesen, auf denen sich die Verhandlungen der beiden Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 aufbauten. In dem "Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges" vom 29. Juli 1899 hat die 1. Haager Konferenz die in Brüssel erstrebte Kodifikation des Landkriegsrechtes geschaffen. Die 2. Haager Konferenz hat am 18. Oktober 1907 ein gleich benanntes Abkommen mit nur in Einzelheiten geänderter Fassung angenommen. Die wichtigsten Kulturstaaten haben dieses Abkommen ratifiziert und sich verpflichtet, ihren Landheeren Verhaltungsmaßregeln zu geben, die dem Abkommen entsprechen.

Die "Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges", die dem Abkommen als Anlage beigefügt ist und im allgemeinen kurz als Haager Landkriegsordnung (L. K. O.) bezeichnet wird, hatte somit das Verhalten der Staaten zu bestimmen, die 1914 in den Wirbel des Weltkrieges hineingerissen wurden.

In ihren ersten Artikeln umschreibt die L. K. O. den Begriff der kriegführenden Parteien und legt damit auch den Personenkreis fest, der der Kriegsgefangenschaft unterworfen werden kann. Ganz allgemein ist das die Kriegsmacht; zu dieser rechnen nach ausdrücklicher Bestimmung der L. K. O. auch Milizen und Freischärler, vorausgesetzt, daß an ihrer Spitze ein verantwortlicher Führer steht, daß sie ein bestimmtes, aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen, die Waffen offen führen und bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachten. Auch die Bevölkerung eines nichtbesetzten Gebietes, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antrieb mit den Waffen in der Hand den Invasionstruppen entgegentritt, ohne daß sie Zeit hatte, sich in der für die Freischärler geforderten Weise zu organisieren, soll nach Artikel 2 der L. K. O. als Kriegspartei betrachtet werden, wofern sie nur die Waffen offen führt und Kriegsgesetze und Kriegsgebräuche befolgt. Diese Anerkennung der "levée en masse" ist ein Zugeständnis gegenüber den Kleinstaaten ohne ausreichende Militärmacht gewesen.

Die zweifelhafte Umgrenzung dessen, was als "nichtbesetztes Gebiet" anzusehen ist, gibt allerdings zu Unklarheiten Anlaß, die in der Wirklichkeit verhängnisvoll werden können. Auch muß die nur allzuhäufige Unkenntnis der Bevölkerung von den Normen der L. K. O. dazu führen, daß der Gegner mit den ihm entgegentretenden Landeseinwohnern nicht nach dem Recht der L. K. O. verfahren kann, sich vielmehr mit den schärfsten Mitteln der nicht dem Völkerrecht gemäßen Verteidigung erwehren muß.

[150] Außer der Kriegsmacht haben noch die das Heeresgefolge bildenden Personen - die L. K. O. zählt Kriegskorrespondenten, Zeitungsberichterstatter, Marketender, Lieferanten auf - Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene, vorausgesetzt, daß sie einen Ausweis der Militärbehörde des von ihnen begleiteten Heeres besitzen (Artikel 13).

Im Seekrieg können nach dem 11. Abkommen der 2. Haager Konferenz auch die Kapitäne, Offiziere und Mannschaften der feindlichen Handelsschiffe zu Kriegsgefangenen gemacht werden, soweit sie Angehörige des Feindstaates sind. Artikel 6 dieses Abkommens gibt ihnen allerdings die Möglichkeit, sich der Kriegsgefangenschaft zu entziehen durch ein förmliches schriftliches Versprechen, während der Dauer der Feindseligkeiten keinen Dienst zu nehmen, der mit den Kriegsunternehmungen in Zusammenhang steht - eine Möglichkeit, die in einem heutigen Kriege wohl kaum praktische Bedeutung hat. Die Mannschaft eines feindlichen Handelsschiffes, soweit sie einem neutralen Staat angehört, kann nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden; neutralen Staaten angehörende Kapitäne und Offiziere eines feindlichen Handelsschiffes dagegen müssen, um nicht der Kriegsgefangenschaft zu verfallen, sich förmlich schriftlich verpflichten, während der Dauer des Krieges auf keinem feindlichen Schiffe Dienste zu nehmen. Feindliche, in die Streitmacht ihres Landes eingereihte Staatsangehörige, die auf einem neutralen Handelsschiffe angetroffen werden, unterliegen nach Artikel 47 der Londoner Seerechtserklärung von 1909 der Kriegsgefangenschaft.

Die stellenweise vertretene Ansicht, daß der Kreis der zur Kriegsgefangenschaft Legitimierten noch weiter ausgedehnt werden könne, muß vom Standpunkt des geltenden Rechtes aus abgelehnt werden. Die Rechtsstellung von Personen, die, ohne dem oben umrissenen Personenkreis anzugehören, von dem gegnerischen Staate festgehalten werden, ist nicht durch die Normen des Kriegsgefangenenrechtes der L. K. O. geregelt.

Dem Kriegsgefangenen steht vom Augenblick der Gefangennahme an das Völkerrecht schützend zur Seite. Es untersagt die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat, ebenso wie es die Erklärung verbietet, daß kein Pardon gegeben werde (Artikel 23). Bei der Behandlung der Kriegsgefangenen soll Menschlichkeit oberster Grundsatz sein; Kriegsgefangenschaft ist nur eine Sicherungshaft. Die Schonung des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums der Gefangenen hat die feindliche Regierung zu gewährleisten. Ihrer Gewalt - nicht der der gefangennehmenden Truppenteile oder Soldaten - unterstellt die L. K. O. ja ausdrücklich die Kriegsgefangenen (Artikel 4). Jegliche durch die ratio belli nicht gerechtfertigte Härte ist diesen gegenüber zu vermeiden; vor Mißhandlungen und Belästigungen sind sie zu schützen. Auch ihr persönliches Eigentum ist ihnen zu belassen mit Ausnahme von Waffen, Pferden und Schrift- [151] stücken militärischen Inhalts, deren Aneignung dem Nehmestaate - nicht dem einzelnen feindlichen Soldaten - aus militärischen Gründen gestattet sein muß.

Eine Umwälzung der gesamten Gefangenenbehandlung kann allerdings eintreten, wenn der Nehmestaat sich genötigt sieht, Repressalien an ihnen durchzuführen, Böses mit Bösem vergilt, um den gegnerischen Staat zur Aufhebung von Rechtswidrigkeiten zu veranlassen, die dieser sich hat zuschulden kommen lassen. Die L. K. O. schweigt sich zwar über die Repressalien aus, doch sind sie dem Völkergewohnheitsrecht als zulässige Zwangsmittel bekannt. Sie sind auch kaum zu entbehren. Voraussetzung muß allerdings sein, daß sie nur als "ultima ratio" in Betracht kommen. Die beachtenswerten russischen Vorschläge zur Brüsseler Konferenz von 1874 verlangten, daß Repressalien nur im äußersten Notfall und unter Innehaltung der Gebote der Menschlichkeit angewandt werden, nicht außer Verhältnis zu der gerügten Rechtsverletzung stehen und nur vom Höchstkommandierenden verhängt werden dürften.

Die Unterbringung der Kriegsgefangenen regelt Artikel 5 der L. K. O., indem er bestimmt: "Die Kriegsgefangenen können in Städten, Festungen, Lagern oder an anderen Orten untergebracht werden mit der Verpflichtung, sich nicht über eine bestimmte Grenze hinaus zu entfernen; dagegen ist ihre Einschließung nur statthaft als unerläßliche Sicherungsmaßregel und nur während der Dauer der diese Maßregel notwendig machenden Umstände." In einem heutigen Krieg mit den der Größe der Heere entsprechenden Gefangenenzahlen wird im allgemeinen die Unterbringung nicht in Städten oder Festungen, sondern in besonderen Lagern stattfinden. Die Bewegungsfreiheit, die den Gefangenen gewährt wird, kann natürlich verschieden bemessen sein: Tausende von Kilometern fern der Front in einem wegearmen Gebiet wird sie wesentlich größer sein als in einem Lande, dessen Grenzen rasch zu erreichen sind und das von vielen Verkehrsstraßen durchschnitten wird. Auch die Nichteinhaltung der Verpflichtung, eine bestimmte Grenze nicht zu überschreiten, wird den Nehmestaat zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Gefangenen veranlassen. Auf alle Fälle muß bei der Unterbringung aber der schon betonte Charakter der Sicherungshaft gewahrt bleiben; auch wenn aus wichtigen militärischen Gründen eine strenge Einschließung notwendig werden sollte, so darf sie doch niemals das Wesen einer Strafhaft annehmen, etwa in Zuchthäusern oder Gefängnissen stattfinden. Daß die Kriegsgefangenen nicht in Gegenden untergebracht werden dürfen, wo ihr Leben und ihre Gesundheit gefährdet sind, folgt aus dem Grundsatz der Menschlichkeit. Interessant ist in dieser Hinsicht die Bestimmung des bereits erwähnten preußisch-amerikanischen Vertrages von 1785, nach der die Unterbringung von Kriegsgefangenen in Kolonialländern ausgeschlossen sein soll.

Allgemein sollen nach der L. K. O. (Artikel 7) die Kriegsgefangenen bezüglich der Unterkunft auf demselben Fuße behandelt werden wie die Truppen der Regierung, die sie gefangengenommen hat. Diese Bestimmung kann für [152] die Kriegsgefangenen zum Vorteil, aber auch sehr zum Nachteil ausschlagen, je nachdem ob sie in die Hände eines Staates von hoher Kulturstufe fallen, dessen Truppenbehandlung auf entsprechender Höhe steht, oder ob sie Gefangene eines wenig zivilisierten Landes werden.

Auch bezüglich der Nahrung und Kleidung sollen die Kriegsgefangenen wie die nehmestaatlichen Soldaten behandelt werden. Bei der sehr großen Verschiedenheit, die in Lebensweise und Nahrung zwischen den einzelnen Völkern besteht, muß dieses gleichfalls oft zu Härten führen. Die Folgen dieser allgemeinen, schematischen Bestimmung sucht die L. K. O. dadurch abzuwenden, daß sie nur mangels besonderer Verständigung zwischen den Kriegführenden über diese Fragen gelten soll. Solche besonderen Verständigungen sind in der Tat notwendig, um eine Lösung zu finden im Sinne der Menschlichkeit, die der L. K. O. als Grundsatz der Gefangenenbehandlung vorschwebt.

Die L. K. O. spricht nur von der Unterhaltspflicht des Nehmestaates; doch steht dieser Pflicht nach Völkergewohnheitsrecht ein Regreßanspruch des Nehmestaates gegen den Heimatstaat der Kriegsgefangenen gegenüber. Der Portsmouther Friede zwischen Japan und Rußland nennt die Rückerstattung der von Japan für den Unterhalt der russischen Kriegsgefangenen ausgelegten Summen ausdrücklich "die Erfüllung einer völkerrechtlichen Regreßpflicht". Dieselbe Idee liegt übrigens dem Artikel 17 der L. K. O. zugrunde; er spricht den gefangenen Offizieren Besoldung in der Höhe zu wie sie den nehmestaatlichen Offizieren gleichen Dienstgrades zusteht und erklärt die Heimatregierung für erstattungspflichtig. Dies führt zu eigenartigen Verhältnissen, wenn der Nehmestaat höhere Besoldungssätze für Offiziere hat als der Heimatstaat der kriegsgefangenen Offiziere, die auf solche Weise höher besoldet werden als ihre Kameraden gleichen Dienstgrades im Felde. Es bedarf besonderer Vereinbarung zwischen den Kriegführenden, um diese sicherlich ungewollte Folge zu beseitigen.

Die bei der Frage der Unterkunft und des Unterhalts schon hervorgehobene Gleichstellung der Kriegsgefangenen mit den Truppen des Nehmestaates kehrt wieder bei der Errichtung von Testamenten. Nach Artikel 19 der L. K. O. werden Testamente der Kriegsgefangenen unter denselben Bedingungen entgegengenommen oder errichtet wie die der Militärpersonen des eigenen Heeres. Auch für Sterbeurkunden und für die Beerdigung von Kriegsgefangenen ist der Grundsatz der Gleichstellung durchgeführt.

In der Ausübung der Religion und der Teilnahme am Gottesdienst ist den Kriegsgefangenen volle Freiheit zu lassen; Voraussetzung ist dabei, daß die Ordnungs- und Polizeivorschriften der nehmestaatlichen Militärbehörde beobachtet werden (Artikel 18 L. K. O.). Es ist also mit dieser Bestimmung wohl eine Pflicht zur Duldung der Kulthandlungen der Kriegsgefangenen, nicht aber eine Pflicht zur Einrichtung und Abhaltung von Gottesdienst für den Nehmestaat begründet.

[153] Ungehinderter Postverkehr ist den Kriegsgefangenen grundsätzlich gestattet; es entspricht den humanen Bestrebungen der L. K. O., wenn sie bestimmt, daß Briefe, Postanweisungen, Geldsendungen und Postpakete, die für Kriegsgefangene bestimmt sind oder von ihnen abgesandt werden, von allen Postgebühren befreit sind (Artikel 16). Daß dem Nehmestaat aus militärischen Gründen die Befugnis zur Zensur des Postverkehrs der Kriegsgefangenen zustehen muß, braucht wohl kaum besonders hervorgehoben zu werden, unterliegt doch auch der Postverkehr der Zivilbevölkerung zur Kriegszeit aus denselben Gründen scharfer Kontrolle. Auch eine gewisse zahlenmäßige Beschränkung der Briefsendungen der Kriegsgefangenen wird man dem Nehmestaat zusprechen müssen, wenn auch die L. K. O. keinerlei Bestimmungen hierüber enthält; am besten wird diese Frage durch besonderes Übereinkommen mit der anderen Kriegspartei geregelt.

Bisher war hauptsächlich die Rede von den Rechten, die die Kriegsgefangenen dem Nehmestaat gegenüber haben. Diesen ihren Rechten entspricht aber auch eine Reihe von Pflichten. Durch den Artikel 8 Abs. 1 der L. K. O. werden die Kriegsgefangenen den Gesetzen, Vorschriften und Befehlen unterstellt, die in dem Heere des Staates gelten, in dessen Gewalt sie sich befinden. Jede Unbotmäßigkeit ist der Nehmestaat berechtigt, mit der erforderlichen Strenge zu ahnden. Das Vorgesetztenverhältnis, das bisher unter den verschiedenen Klassen der gefangengenommenen Truppen herrschte, ist mit dem Augenblick der Gefangennahme aufgehoben; der Nehmestaat stellt nunmehr die Vorgesetzten. Für den inneren Betrieb in den Gefangenenlagern werden allerdings im allgemeinen die bestehenden Vorgesetztenverhältnisse unter den Kriegsgefangenen aus praktischen Gründen aufrechterhalten.

Die Unterstellung unter neue rechtliche Normen - Militärstrafgesetzbuch und Disziplinarordnung des Nehmestaates - kann für die Kriegsgefangenen naturgemäß zu manchen Härten führen. Selbstverständlich gibt es auch Delikte in den nehmestaatlichen Gesetzesvorschriften, deren Tatbestand ein Kriegsgefangener gar nicht erfüllen kann, wie z. B. die Fahnenflucht.

Flucht und Fluchtversuch des Kriegsgefangenen, die einen ganz anderen Tatbestand aufweisen, sind dagegen meist nicht in den Rechtsnormen der Nehmestaaten behandelt. Für sie hat das Völkerrecht im Artikel 8 Abs. 2 und 3 der L. K. O. eigene Bestimmungen aufgestellt. Es heißt hier: "Entwichene Kriegsgefangene, die wieder ergriffen werden, bevor es ihnen gelungen ist, ihr Heer zu erreichen, oder bevor sie das Gebiet verlassen haben, das von den Truppen, welche sie gefangengenommen hatten, besetzt ist, unterliegen disziplinarischer Bestrafung. -Kriegsgefangene, die nach gelungener Flucht von neuem gefangengenommen werden, können für die Flucht nicht bestraft werden."

Die vollendete Tat, infolge derer der Kriegsgefangene nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich aufhört, Gefangener zu sein, ist also straffrei, während [154] der Fluchtversuch, der zu keiner rechtlichen Beendigung der Kriegsgefangenschaft führt, geahndet wird, daher als selbständiges Delikt zu betrachten ist. Es ist sehr zu begrüßen, daß für ihn die L. K. O. lediglich disziplinarische Bestrafung vorsieht, wurzelt die Tat doch in dem jedem Menschen eingeborenen Freiheitstrieb und in achtenswerten vaterländischen Motiven. Den Fluchtversuch gänzlich straflos zu lassen, konnte man andererseits dem Nehmestaat im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung unter seinen Kriegsgefangenen nicht zumuten. Werden in Verbindung mit der Flucht oder dem Fluchtversuch Delikte verübt, wie die Tötung von Wachmannschaften oder Diebstahl, so unterliegen diese natürlich den für sie geltenden besonderen strafrechtlichen Normen.

Als wichtigste völkerrechtlich festgelegte Verpflichtung der Kriegsgefangenen gegenüber dem Nehmestaat ist die Arbeitspflicht anzusehen, die der Artikel 6 der L. K. O. regelt. Als Grundlage dieser Verpflichtung kommen neben dem Entschädigungsanspruch, den der Nehmestaat für den den Kriegsgefangenen gewährten Unterhalt hat, gesundheitliche und moralische Gründe in Betracht, die die Beschäftigung der Kriegsgefangenen als sehr erwünscht erscheinen lassen. Schließlich kann man dem Nehmestaat auch nicht zumuten, wertvolle Arbeitskräfte brachliegen zu lassen, während es in seiner Wirtschaft infolge des Krieges allenthalben an Armen fehlt.

Zur Arbeit herangezogen werden können nach der L. K. O. mit Ausnahme der Offiziere sämtliche Kriegsgefangene, und zwar sind sie entsprechend ihren Fähigkeiten und nach ihrem Dienstgrad zu verwenden. Die ausdrückliche Ausnahme der Offiziere von jeglicher Arbeit ist eine Neuerung der 2. Haager Konferenz gewesen, sie bedeutet die Erledigung der Erörterungen darüber, ob die Offiziere etwa zum Aufsichtsdienst, zu Bureauarbeiten und ähnlichem verwandt werden dürften.

Die Bestimmung, daß die Arbeitsverwendung nach dem Dienstgrad erfolgen soll, will die Heranziehung der verschiedenen Unteroffizierklassen zu solchen Arbeiten verhindern, die für ihren Dienstgrad nicht angemessen sind; daß ferner die Verwendung zur Arbeit entsprechend den Fähigkeiten zu erfolgen hat, soll einen Schutz für die Kriegsgefangenen aus geistig schaffenden Berufen bedeuten, die den Anstrengungen dauernder körperlicher Arbeit vielfach nicht gewachsen sind. Beide Bestimmungen sind allerdings ziemlich allgemein gehalten; bei der großen Verschiedenheit der Lebensbedingungen der einzelnen Völker sind jeweilige besondere Vereinbarungen zwischen den Kriegführenden zur genauen Umreißung der Bestimmungen sehr wünschenswert.

Aus dem Grundsatz humaner Behandlung ergibt sich schon, daß die Arbeiten, zu denen die Kriegsgefangenen herangezogen werden, nicht übermäßig sein dürfen; die L. K. O. untersagt übermäßige Arbeiten zudem noch ausdrücklich. Ein solches Übermaß von Arbeit wird man z. B. annehmen müssen, wenn die Arbeitszeit der Kriegsgefangenen die der Zivilarbeiter des Nehmestaates über- [155] steigt oder wenn die geforderte Arbeitsleistung den Kriegsgefangenen aus anderen Gründen billigerweise nicht zugemutet werden kann, etwa bei besonders ungünstigen Arbeitsbedingungen, wie sie die Tropen für einen europäischen Kriegsgefangenen bedeuten.

Des weiteren erklärt die L. K. O., daß die Arbeiten der Kriegsgefangenen in keinerlei Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen dürfen. Mit dieser Bestimmung sollte dem Gedanken Rechnung getragen werden, daß von Angehörigen der heutigen Volksheere nicht verlangt werden kann, nach ihrer Gefangennahme den Nehmestaat im Kampfe gegen das eigene Vaterland zu unterstützen. Die Fassung, die die L. K. O. dieser Bestimmung gegeben hat, ist allerdings nicht glücklich; denn es gibt in einem modernen Kriege wohl kaum ein Arbeitsgebiet, das nicht in irgendeiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stünde. Die Brüsseler Deklaration hatte mit größerem Wirklichkeitssinn nur die Arbeiten untersagt, die in unmittelbarer Beziehung zu den Unternehmungen auf dem Kriegsschauplätze stehen. In dem Streben nach möglichst menschlicher Gefangenenbehandlung hat die L. K. O. hier einen Schritt zu weit getan. Wer mit den Wirklichkeiten des Lebens vertraut ist, muß sich sagen, daß die genaue Innehaltung des von ihr gegebenen Verbots praktisch unmöglich ist. In dem lebhaften Streit, der über den Umfang des Verbotes herrscht, ist man immer mehr auf die Begriffsbestimmung der Brüsseler Deklaration zurückgekommen, die eher eine Verständigung über den Umfang der verbotenen Arbeiten zuläßt, wenn eine solche überhaupt möglich ist.

Die Arbeiten, zu denen die Kriegsgefangenen Verwendung finden können, werden nach der Art ihrer Bezahlung von der L. K. O. in solche für den Staat und in solche für andere öffentliche Verwaltungen und Private eingeteilt. Die erstgenannten sollen entlohnt werden nach den Sätzen, die für Militärpersonen des eigenen Heeres bei Ausführung der gleichen Arbeiten gelten oder, falls solche Sätze nicht bestehen, nach einem den geleisteten Arbeiten entsprechenden Satz. Richtiger Ansicht nach ist diese Bestimmung der L. K. O. dahin auszulegen, daß bei ihr der Staat lediglich in seiner Eigenschaft als öffentlich-rechtliches Organ (nicht als Privatunternehmer) gemeint ist und nur solche Arbeiten in Betracht kommen, die von Heeresangehörigen ausgeführt zu werden pflegen, grundsätzlich also nur Arbeiten der Kriegsgefangenen für die Heeresverwaltung auf diese Weise zu entlohnen sind. Andere Arbeiten für den Staat sind zu behandeln wie die für die übrigen öffentlichen Verwaltungen und Private. Bei ihnen stellt die L. K. O. die Festsetzung der Bedingungen besonderen Vereinbarungen mit der Militärbehörde anheim, der die Verfügung über die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen zusteht. Schließt die Militärbehörde mit Dritten Verträge wegen Überlassung der Kriegsgefangenen, so erlöschen damit natürlich keineswegs die völkerrechtlich festgelegten Rechte und Pflichten. Nach wie vor bleibt der Kriegsgefangene der militärischen Gewalt des Nehmestaates unterworfen, und [156] bleibt der Nehmestaat verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Behandlung der Kriegsgefangenen, ihre Verwendung usw. in allem dem geltenden Recht entspricht.

Es mag bei der heutigen engen Verknüpfung von Wirtschaft und Krieg auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, daß die L. K. O. ausdrücklich eine Bestimmung aufgenommen hat (Artikel 6 Abs. II), nach der den Kriegsgefangenen auch freiwillige Arbeit gestattet werden kann. Das erklärt sich teils daraus, daß früher eine volle Ausnutzung der Arbeitskraft der Kriegsgefangenen nicht stattgefunden hat, teils daraus, daß bei einer Verwendung entsprechend dem Dienstgrad manche kriegsgefangene Unteroffiziere nicht zur Arbeit herangezogen werden, während ihnen vielleicht daran liegt, sich die mit der Arbeit verbundenen Vorteile zu verschaffen. Neben der Befreiung von dem stumpfen, müßigen Lagerleben ist das vor allem der Verdienst, der für die Kriegsgefangenen eine um so größere Rolle spielt, als ein Sold für sie völkerrechtlich nicht vorgesehen ist, abgesehen von der schon erwähnten für die Offiziere getroffenen Ausnahme.

Wie der Verdienst der Kriegsgefangenen verwendet werden soll, bestimmt die L. K. O. im letzten Absatz des Artikels 6. Nach ihm sind von dem Verdienst der Kriegsgefangenen zunächst die Unterhaltskosten zu decken, die dem Nehmestaat erwachsen; der Überschuß ist zur Verbesserung des Loses der Gefangenen zu verwenden. Dies geschieht durchweg durch Auszahlung an die Gefangenen, die mit dem so erhaltenen Gelde ihre kleineren täglichen Bedürfnisse decken, die von den Soldaten im Felde vom Solde befriedigt werden. Bleibt noch ein Rest von dem Verdienste der Kriegsgefangenen übrig, so ist er ihnen bei der Freilassung auszuhändigen.

Aus der Zeit, da der Krieg noch nicht das Aufeinanderprallen so gewaltiger Massen und Kräfte bedeutete wie in der Jetztzeit, und da der einzelne Kämpfer noch nicht völlig unterging in der Menge, hat die L. K. O. die Entlassung auf Ehrenwort übernommen. In ihren Artikeln 10 - 12 hat sie für den alten, früher viel geübten Brauch folgende Normen aufgestellt.

Eine Entlassung in die Heimat auf Ehrenwort kann nur stattfinden, wenn die Gesetze des eigenen Staates den Kriegsgefangenen dazu ermächtigen. Der Kriegsgefangene ist alsdann bei seiner persönlichen Ehre verbunden, die übernommenen Verpflichtungen dem Nehmestaat wie seinem Heimatstaat gegenüber gewissenhaft zu erfüllen. Der Heimatstaat darf in einem solchen Falle von dem auf Ehrenwort Entlassenen keinerlei Dienste annehmen oder verlangen, die dem gegebenen Wort zuwiderlaufen. Die Entlassung auf Ehrenwort setzt stets einen regelrechten Vertrag zwischen dem Gefangenen und dem Nehmestaat voraus; weder braucht der Gefangene die angebotene Entlassung auf Ehrenwort anzunehmen, noch braucht der Nehmestaat die nachgesuchte Entlassung zu gewähren. Verletzt der Entlassene die ehrenwörtlich übernommenen Verpflichtungen gegen [157] den Nehmestaat oder dessen Verbündete und wird von neuem ergriffen, so versagt ihm das Völkerrecht den Schutz, den es den Kriegsgefangenen gewährt: er kann von den Gerichten des Nehmestaates abgeurteilt werden und sieht schärfster Bestrafung entgegen.

Neben der Entlassung in die Heimat auf Ehrenwort kennt das Völkergewohnheitsrecht auch die Einräumung größerer Bewegungsfreiheit gegen die ehrenwörtliche Verpflichtung des Kriegsgefangenen, während der Dauer der gewährten Bewegungsfreiheit keinen Fluchtversuch zu unternehmen oder vorzubereiten. Die L. K. O. behandelt diesen Fall nicht, doch wird er bereits in dem mehrfach erwähnten preußisch-amerikanischen Vertrag von 1785 vorgesehen und findet auch in den amerikanischen Kriegsartikeln Berücksichtigung (Artikel 25). Bei den heutigen Verhältnissen ist dieser ehrenwörtlichen Verpflichtung von Kriegsgefangenen wohl eine größere Bedeutung zuzuschreiben als der Entlassung in die Heimat auf Ehrenwort, bei welcher sich der Nehmestaat doch sagen muß, daß der Heimgekehrte, auch wenn er nicht selbst mehr an den kriegerischen Unternehmungen teilnimmt, in seinem Vaterlande Kräfte frei machen kann, die sich im Kampfe betätigen.

Außer der Regelung der Rechte und Pflichten der Kriegsgefangenen wendet die L. K. O. ihr Interesse auch humanitären Einrichtungen zu, an erster Stelle den Auskunftsstellen über Kriegsgefangene. Amtliche Auskunftsstellen sind beim Ausbruch der Feindseligkeiten in jedem der kriegführenden Staaten und gegebenenfalls auch in neutralen Ländern einzurichten, die Angehörige einer der Kriegsmächte bei sich aufgenommen haben. Ihre Aufgabe ist, alle Nachrichten zu sammeln, die die Kriegsgefangenen betreffen, und die bei ihnen einlaufenden Anfragen dementsprechend zu beantworten. Eine wesentliche Erleichterung ihrer Aufgabe bedeutet es, wenn die Kriegsgefangenen ausdrücklich verpflichtet sind, auf Befragen ihren wahren Namen und Dienstgrad anzugeben und bei falschen Angaben der ihrer Klasse zustehenden Vergünstigungen verlustig gehen können (Artikel 9). Außerdem sammeln die Auskunftsstellen alle auf den Schlachtfeldern zurückgebliebenen oder von entwichenen, entlassenen, verstorbenen Kriegsgefangenen hinterlassenen Gegenstände, um sie alsdann den Berechtigten zuzustellen (Artikel 14).

Des weiteren sucht die L. K. O. den Hilfsgesellschaften für Kriegsgefangene, die ordnungsmäßig nach den Gesetzen ihres Landes gebildet sind, die Erreichung ihrer mildtätigen Ziele auf jede Weise zu erleichtern, indem sie ihren Vertretern weitgehende Freiheiten einräumt. Auch sollen Liebesgabensendungen an die Kriegsgefangenen von allen Einfuhrzöllen, sowie von Gebühren und Frachtkosten auf den Staatsbahnen frei sein.

Eine besondere Stellung unter den Kriegsgefangenen nehmen die Verwundeten und Kranken ein. Sie unterstellt die L. K. O. dem Genfer Abkommen vom 6. Juli 1906. Nach diesem sollen sie "geachtet und versorgt" werden. Un- [158] beschadet dieser Fürsorge finden aber die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln über Kriegsgefangene auf sie Anwendung. Indessen können die Kriegsparteien für zweckmäßig erachtete Ausnahme- und Vorzugsbestimmungen vereinbaren, insbesondere die gegenseitige Rückgabe der auf dem Schlachtfeld gebliebenen Verwundeten, die Heimsendung der transportfähigen Verwundeten und Kranken, die Übergabe von Verwundeten und Kranken an einen neutralen Staat, wenn dieser sich zu ihrer Internierung bis zum Ende der Feindseligkeiten verpflichtet.

Das ausschließlich zur Bergung, Beförderung und Behandlung von Verwundeten und Kranken sowie zur Verwaltung von Sanitätsformationen und -anstalten bestimmte Personal und die den Heeren beigegebenen Feldprediger sollen unter allen Umständen geachtet und geschützt werden; sie unterliegen, wenn sie in die Hände des Gegners geraten, nicht der Kriegsgefangenschaft. Solange ihre Tätigkeit bei den ihnen anvertrauten Verwundeten unentbehrlich ist, können sie zurückgehalten werden, dann aber sind sie in die Heimat zurückzusenden. Auf diese Weise brauchen die Arme, die keine Wunden schlagen, sondern Wunden heilen sollen, nicht untätig zu sein in Kriegsgefangenschaft, während sie anderwärts dringend verlangt werden. Zudem wird das Gefühl, nicht Kriegsgefangener zu werden, dem Sanitätspersonal helfen, auf seinem Posten auszuharren, wenn der Feind sich seiner Schützlinge bemächtigt und die Versuchung naht, die eigene Freiheit unter Preisgabe der hilflosen Verwundeten zu retten.

Die Beendigung der Kriegsgefangenschaft durch gelungene Flucht, durch Entlassung auf Ehrenwort oder gemäß dem Genfer Abkommen ist bereits erwähnt worden; der gewöhnlichste Grund ist aber die Beendigung des Krieges. "Nach dem Friedensschlusse sollen die Kriegsgefangenen binnen kürzester Frist in ihre Heimat entlassen werden" (Artikel 20 der L. K. O.). Endet der Krieg durch formlose Einstellung der Feindseligkeiten oder durch Unterjochung des Gegners, so gilt sinngemäß dasselbe. Keinen Anspruch auf sofortige Entlassung haben die Kriegsgefangenen in Untersuchungs- oder Strafhaft. Sie müssen warten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihr Los oder bis zum Ablauf ihrer Strafe.

Die Innehaltung der L. K. O. hat die 2. Haager Konferenz dadurch sicherzustellen gesucht, daß sie eine Schadenersatzpflicht begründete für die Kriegsparteien, die ihre Bestimmungen verletzten und die Verantwortlichkeit der Kriegführenden für alle Handlungen festlegte, die von Angehörigen ihrer bewaffneten Macht begangen würden. Diese Schadenersatzpflicht, deren Modalitäten übrigens noch einer genauen Festsetzung bedürfen, wird allerdings zur Durchsetzung der Bestimmungen der L. K. O. nicht ausreichen. Wesentliche Voraussetzung bleibt, daß die kriegführenden Mächte vom Geiste echter Humanität erfüllt sind. Die Bestimmungen der L. K. O. sind tote Form; Leben vermag ihnen erst dieser Geist einzuhauchen.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte