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Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

  Kapitel 2: Das Militärstrafrechtswesen im Kriege   (Forts.)
Kriegsgerichtsrat Dr. jur. h. c. Heinrich Dietz

E. Strafvollstreckung und Begnadigungswesen.

1. Strafvollstreckung.

Gesetzliche Grundlage. Die allgemeinen Bestimmungen über Vollstreckung der militärgerichtlich erkannten Strafen im Kriege waren in der Militärstrafgerichtsordnung (§ 450 - 464) und im Militärstrafgesetzbuch (§ 14, 15, 23 - 28, 44, 45) enthalten. Sie wurden durch die Vorschriften der Militär- [140] strafvollstreckungsvorschrift, erster Teil, vom 21. November 1908, auch einzelne Bestimmungen der Friedens-, Kriegs- und Besoldungsvorschrift ergänzt. Für die Marine galt die Marinestrafvollstreckungsordnung vom 21. November 1908, ergänzt durch Bestimmungen für den Dienst an Bord vom 28. Juni 1909. Über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen im Kriegsgebiet, besonders im besetzten Gebiet, sind zahlreiche besondere Erlasse ergangen.

Strafensystem. Das Strafensystem des gemeinen Strafrechts - Hauptstrafen: Todesstrafe, Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft, Haft, Geldstrafe, Verweis - galt auch nach Militärstrafrecht bei gemeinen Straftaten. Das militärische Strafensystem galt für militärische und gemeine Straftaten. Hauptstrafen: Todesstrafe, Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft und Arrest, dieser den Rangverhältnissen angepaßt, geschieden in Stubenarrest (Marine: Kammerarrest), der gerichtlich auch als verschärfter Stubenarrest zulässig war, gelinder, mittlerer und strenger Arrest.

Die Nebenstrafen des Reichsstrafgesetzbuchs waren auch bei militärischen Verbrechen und Vergehen anwendbar. Die besonderen Ehrenstrafen des Militärstrafgesetzbuchs, zulässig wegen militärischer und gemeiner Straftaten, waren Entfernung aus dem Heere oder der Marine gegen alle Personen des Soldatenstandes, Dienstentlassung gegen Offiziere, Degradation gegen Unteroffiziere, Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes gegen Unteroffiziere und Gemeine. Einzige Nebenstrafe gegen Militärbeamte war der Amtsverlust.

Vollstreckungsweise.

a) Die Todesstrafe (im Militärstrafgesetzbuch nur bei im Felde begangenen Verbrechen angedroht) wurde durch Erschießen vollstreckt; durch Enthauptung nur dann, wenn, wie in der Heimat, die Vollstreckung auf die bürgerlichen Behörden überging.

b) Bei der Besatzungsarmee (Heimat) wurden die Freiheitsstrafen regelmäßig nach den Friedensbestimmungen vollstreckt; wenn diese nicht anwendbar waren, nach den Bestimmungen für das Feld (c).

c) Gefängnis, Haft und Arrest konnten im Felde in den nächsten, von den bürgerlichen Behörden zu stellenden oder sonst zu beschaffenden Räumen vollstreckt werden. Die für die einzelne Strafart geltenden Bestimmungen waren dabei zu beachten.

d) Während des Krieges konnte der Arrest gegen Unteroffiziere und Gemeine, wenn geeignete Arresträume fehlten, in der Weise vollstreckt werden, daß dem Bestraften für die Dauer der Strafe oder der dienstfreien Zeit eine Wache als Aufenthaltsraum zugewiesen wurde (gelinder Arrest). Bei mittlerem und strengem Arrest wurde der Bestrafte noch zu beschwerlichen Dienstverrichtungen außer der Reihe herangezogen. Durch Armeebefehl vom 18. Mai 1917 wurde [141] das bei der aushilfsweisen Vollstreckungsweise des strengen Arrests vorgesehene zweistündige Anbinden beseitigt. Weitere Nahrungsmittel als Wasser und Brot waren bei der regelmäßigen Vollstreckungsweise des mittleren und strengen Arrestes im Felde gestattet.


2. Das Begnadigungswesen.

Das militärische Begnadigungsrecht galt als Ausfluß der Kontingentsherrlichkeit. Es stand in Strafsachen der Marine dem Kaiser, im übrigen den Königen von Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg zu. Die Mitwirkung der Bundesfürsten kraft ihrer Untertanenhoheit war durch besondere Vereinbarungen, insbesondere durch die Militärkonventionen, verschieden geregelt. Schon in Friedenszeiten war die teilweise Ausübung des Begnadigungsrechts bestimmten Stellen übertragen worden. Preußen hielt darin am meisten zurück.

Auch während des Krieges galt das schon in Friedenszeiten auf Grund der Ausführungsbestimmungen zu § 418 der Militärstrafgerichtsordnung bestehende Recht der Gerichtsherren, in gewissem Umfange militärgerichtliche Urteile bei der Bestätigung zu mildern oder Strafen zu erlassen. Dieses Gnadenrecht bezog sich auf die Herabsetzung von Freiheitsstrafen bis zum Mindestbetrag der gesetzlichen Strafdrohung, ausnahmsweise auf die Änderung der Strafart, auf Erlaß der Degradation oder der zweiten Klasse des Soldatenstandes in bestimmten Fällen, und auf Milderung der Strafen wegen Feigheit wegen nachträglicher hervorragender Beweise von Mut. Ergänzende Bestimmungen brachte für das Feldverfahren die erste kaiserliche Verordnung vom 28. Dezember 1899 (§ 12); sie ließ unter anderem zum Ausgleich von Härten, die sich aus den gesetzlichen Vorschriften über die Feldbestätigung für Verhaftete ergeben konnten, die Milderung des Urteils um die Dauer des von seiner Verkündung bis zu seiner Bestätigung laufenden Zeitraums zu.

Umfassendere Begnadigungsrechte während des Krieges waren hohen und höchsten Befehlshabern im Feldverfahren gewährt. Die Befugnisse der kommandierenden Generale und der ihnen gleichgestellten Befehlshaber gingen darin weniger weit als die Befugnisse der Oberbefehlshaber, des Generalquartiermeisters, der Gouverneure und Kommandanten eines vom Feinde bedrohten Platzes und der Generalgouverneure besetzter feindlicher Landesteile. Diese konnten, wenn triftige Gründe vorlagen, Freiheits- und Ehrenstrafen ganz oder teilweise erlassen; jene hatten dieses Recht nur in Fällen der Feigheit, wenn der Täter hervorragende Beweise von Mut vor der Verurteilung oder vor der Vollstreckung abgelegt hatte und in Aufruhrfällen, wenn die Beteiligten, bevor ein erheblicher Nachteil entstanden war, wieder zur Ordnung zurückkehrten. Sie konnten ferner Mannschaften der zweiten Klasse des Soldatenstandes in die erste Klasse zurückversetzen und ihnen gleichzeitig bürgerliche Ehrenstrafen [142] erlassen. Das Begnadigungswesen gegenüber feldgerichtlich verurteilten Ausländern wurde durch zahlreiche Verordnungen, die im Anschluß an die zweite kaiserliche Verordnung vom 28. Dezember 1899 ergingen, geregelt; die höchsten Militärbefehlshaber hatten die gleichen Begnadigungsrechte wie gegenüber den Truppenangehörigen.

Soweit nicht Militärbefehlshaber für Gnadenakte zuständig waren oder sie ausübten, wurden die Gnadengesuche an den Präsidenten des Reichsmilitärgerichts (bei bayerischen, sächsischen und württembergischen Heeresangehörigen an das entsprechende Kriegsministerium) geleitet; sie wurden bei der Militäranwaltschaft bearbeitet. Der Präsident des Reichsmilitärgerichts war ermächtigt, die Gesuche abschlägig zu bescheiden, die er als ungeeignet ansah, befürwortet zu werden.

Die Bestimmungen über den Einfluß von Gnadenanträgen auf die Strafvollstreckung waren in der Militärstrafvollstreckungsvorschrift, erster Teil, enthalten. Die Vollstreckung von Freiheitsstrafen war in der Regel auszusetzen, wenn angenommen werden konnte, daß der Gnadenantrag nicht erfolglos sein werde.

Der Krieg brachte auch die dem Heere und der Marine im Frieden fehlende Einrichtung der bedingten Begnadigung mit sich. Der Gerichtsherr, der die Strafvollstreckung zu veranlassen hatte, konnte aus dienstlichen Gründen den Strafantritt aussetzen oder die Vollstreckung einer schon angedrohten Strafe widerruflich unterbrechen; in dringenden Fällen stand letzteres Recht auch den Gouverneuren zu. Die Ansicht des Regiments- usw. Kommandeurs war regelmäßig vor solchen Maßnahmen einzuholen. Wiederholte Strafunterbrechung war unstatthaft.

Die zahlreichen allgemeinen Gnadenerlasse während des Krieges lassen sich in folgende Gruppen teilen:

a) Erlasse zugunsten solcher Personen, die sich der Fahnenflucht und der Verletzung der Wehrpflicht schuldig gemacht hatten; sie wurden wirksam bei rechtzeitiger Rückkehr der Abwesenden. Diese Erlasse ergingen besonders zu Anfang des Krieges.

b) Erlasse, nach denen Geldstrafen, Freiheitsstrafen (in der Regel bis zu sechs Monaten) und Disziplinarstrafen nicht zu vollstrecken waren.

c) Erlasse über Niederschlagung von Strafverfahren gegen Kriegsteilnehmer und die Begnadigung von Kriegsteilnehmern; sie betrafen meist die vor der Dienstleistung bei der Truppe begangenen Straftaten.

d) Erlasse über die Löschung von Strafeinträgen in Strafregistern, militärischen und polizeilichen Listen.

Das Begnadigungs- und das Strafvollstreckungswesen ist im einleitenden Abschnitt A näher beurteilt. Das Ergebnis sei hier kurz zusammengefaßt: Die [143] bedingte Strafaussetzung in Einzelfällen nach Ermessen der Befehlshaber war an sich eine gute und notwendige Einrichtung. Ihr Wert sank, wo der richtunggebende Gesichtspunkt des Anreizes zur Wiedergutmachung durch den Täter verlassen wurde. Die vielen allgemeinen Gnadenerlasse (Amnestien) wirkten nicht heilend und ausgleichend, sondern zersetzend und vergiftend. Sie beeinträchtigten empfindlich die sachgemäße Handhabung der bedingten Strafaussetzung, vermehrten die Neigung zu Straftaten und lähmten die praktische Ausübung und Wirksamkeit der Justiz.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte