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Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

  Kapitel 2: Das Militärstrafrechtswesen im Kriege   (Forts.)
Kriegsgerichtsrat Dr. jur. h. c. Heinrich Dietz

D. Das kriegsgerichtliche Verfahren gegen Ausländer.

1. Die Rechtsgrundlagen der Strafgewalt über Ausländer.

Durch die Reichsverfassung war dem Kaiser die Kommandogewalt, das Imperium, gewährt. Gegenüber dem besetzten Staat war sie unbeschränkt. Der besetzende Staat übernahm die gesamte einheimische Staatsgewalt des besetzten Staates, er gestaltete sie so, wie es seinen eigenen Belangen entsprach. Der Kriegszweck: Wahrung der Machtstellung des eigenen Staates und Niederzwingung des Feindes, war Richtlinie und Schranke. Aus dem Imperium floß nicht nur die vollziehende, sondern auch die gesetzgebende Gewalt. Dem unterworfenen Feinde wurde das Recht gesetzt, teilweise unmittelbar durch kaiserliche Verordnung, teilweise durch die dazu ermächtigten Kommandostellen. Der Bildung besonderer Rechtssatzungen auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts und des Verfahrens stand nichts entgegen.

Die wichtigsten grundlegenden Bestimmungen sind in der zweiten kaiserlichen Verordnung vom 28. Dezember 1899 über das außerordentliche kriegs- [136] rechtliche Verfahren gegen Ausländer usw. enthalten (Marine: vom 21. August 1900). Ihre gesetzliche Grundlage war § 3 Einführungsgesetz zur Militärstrafgerichtsordnung. Der Verordnung folgten während des Krieges zahlreiche erläuternde und ergänzende Verordnungen.

Die Verordnung vom 28. Dezember 1899 enthielt neben den Bestimmungen über das kriegsrechtliche Verfahren auch einige wichtige materiellstrafrechtliche Normen, die über die gesetzlich gegebenen - vergleiche die §§ 160, 161 des Militärstrafgesetzbuchs (siehe unten) - hinausreichten. Denn sie rechnete nicht nur mit den Strafen, die nach den Gesetzen, sondern auch mit solchen, die nach Kriegsgebrauch und wegen der Zuwiderhandlungen gegen besondere Verordnungen der dazu ermächtigten Befehlshaber verwirkt waren; sie sah eine allgemeine, durch Proklamation beim Einmarsch bekanntzugebende Verordnung des Militärbefehlshabers vor des Inhaltes, daß alle nicht zu den Truppen des Feindes gehörigen Personen die Todesstrafe verwirkt hatten, wenn sie es unternahmen, der feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder den verbündeten Truppen Nachteile zuzufügen - eine Bestimmung, die über das geltende gesetzliche Strafrecht hinausging. Die Verordnung bestimmte für diese Zuwiderhandlungen und für solche, die gegen Verordnungen oder Befehle mit Strafbestimmungen der dazu ermächtigten Befehlshaber begangen wurden, das "außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren". Sie erwähnte auch den Kriegsgebrauch als reine Kriegshandlung - Tötung des Feindes -; in diesem Sinne war der Kriegsgebrauch gegen solche Ausländer anzuwenden, die bei verräterischen Handlungen gegen deutsche oder verbündete Truppen auf frischer Tat ergriffen wurden.

Die Strafgewalt gegen Ausländer im besetzten Gebiete gründete sich sonach einmal auf geltende Strafgesetze (Lex), sodann auf den Kriegsgebrauch (besser: Kriegsbrauch), endlich auf die besonderen Verordnungen der Militärbefehlshaber (Imperium). Der Kriegsbrauch kann als besondere Rechtsquelle aus dem Grunde ausgeschieden werden, weil er kraft Allerhöchster Anordnung anzuwenden war.

Gesetze. Nach §160 und 161 des Militärstrafgesetzbuchs werden Ausländer wegen Kriegsverrats, wegen Beraubung Toter und Verwundeter auf dem Kriegsschauplatz, ferner im besetzten ausländischen Gebiete wegen solcher nach den Gesetzen des Deutschen Reiches strafbaren Handlungen bestraft, die sie gegen deutsche Truppen und Truppenangehörige und gegen kaiserliche Behörden begehen.

Der Kriegsbrauch stand selbstverständlich neben den strafrechtlichen Normen, ja er ging vor, wenn es die Kriegszwecke erforderten. Er war kein feststehender völkerrechtlicher Begriff, er stand in Wechselwirkungen mit dem Kriegsbrauch des Feindes, er erschien aber doch im Grunde als eine Rechts- [137] satzung des eigenen Heeres. Er bedeutete Beschränkungen in der Kriegführung und wies andererseits auf die Befugnisse hin, die die Militärgewalt kraft ungeschriebenen Kriegsvölkerrechts bei der Kriegführung zu beanspruchen hatte. Seine Anwendung war im großen und ganzen auf kriegsverräterische Handlungen, wie Kriegsverrat, Spionage, Franktireurwesen, beschränkt; genau genommen aber konnte jedes Zuwiderhandeln gegen die Grundpflichten, die der Bevölkerung gegenüber der besetzenden Macht oblagen, nach Kriegsbrauch geahndet werden, sonach jeder Ungehorsam gegenüber Anordnungen der Militärbefehlshaber und besetzenden Behörden, jede Achtungsverletzung gegenüber deutschen Behörden, Truppen und Truppenangehörigen; es hätte zahlreicher verordnungsmäßiger Strafsatzungen der Militärbefehlshaber gar nicht bedurft.

Das Verordnungsrecht der Befehlshaber erstreckte sich auf alle Gebiete, die zu regeln der Kriegszweck gebot. Die Verordnungen waren rechterzeugend, mit Gesetzeskraft ausgestattet; die Gerichte waren an sie gebunden. Durch allerhöchste Anordnungen waren aber dem Verordnungsrecht gewisse Schranken gesetzt. Die Verordnungen durften nicht im Widerspruch mit Gesetzen und Verordnungen, mit völkerrechtlichen Grundsätzen und Verträgen stehen, soweit solche noch in Geltung waren. Alle Ausländer, nicht nur feindliche, waren dem Verordnungsrecht unterworfen, ganz ausnahmsweise nach der Rechtsbildung im Kriege auch deutsche bürgerliche Personen und Kriegsgefangene, deutsche Militärpersonen aber niemals. Die Entwicklung führte, besonders auf Grund der kaiserlichen Verordnung vom 22. November 1916, zur Unterscheidung von

a) Verordnungen und Verfügungen für die Verwaltung des feindlichen Gebietes, getrennt in Rechtsverordnungen (Gesetze) und polizeiliche Verordnungen und Verfügungen im Interesse der besetzten Gemeinden und ihrer Bewohner. Die Befehlshaber, die zu solchen Verordnungen berechtigt waren, die Art der Strafen und ihre Höhe wurden besonders bestimmt. Wenn nicht Militärgerichte oder Militärbefehlshaber als zur Verhängung von Strafen zuständig bezeichnet wurden, hatten die Landesgerichte oder die Landesverwaltungsbehörden die Strafen festzusetzen;

b) Verordnungen und Befehle mit Strafandrohungen, ferner polizeiliche Maßnahmen zur Sicherung des Kriegszwecks und der Truppen. Verordnungen und Befehle wurden besonders getrennt, die ermächtigten Befehlshaber genau bezeichnet; Art und Höhe der Strafen stand im Ermessen der Befehlshaber, jedoch waren nur Strafen der deutschen Strafgesetze, daneben Arrest zulässig. Die Strafen wurden durch Militärbefehlshaber und Militärgerichte verhängt. Als besonders beachtenswert seien die Richtlinien über die gerichtlichen und polizeilichen Befugnisse gegenüber Ausländern genannt, die für die Generalgouvernements Warschau und Belgien ergingen.


[138] 2. Gerichtsverfassung und Verfahren.

Die Anordnung des außerordentlichen kriegsrechtlichen Verfahrens gegen Ausländer (es rechneten dazu die Zivilbeamten der feindlichen Regierung und die zu den Truppen des Feindes gehörigen Ausländer, die bei Begehung der Tat die Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur feindlichen Wehrmacht abgelegt oder verdeckt hatten) stand nur Militärbefehlshabern zu, regelmäßig den Gerichtsherren der höheren Gerichtsbarkeit. Zuständig war der Befehlshaber, dessen Untergebene den Beschuldigten ergriffen hatten oder dem der Beschuldigte zunächst vorgeführt wurde. Einreichung des schriftlichen Tatberichts durch einen Offizier auf dem kürzesten Wege, gleichzeitig Vorführung des Beschuldigten, Gestellung der Zeugen. In schwierigen Fällen konnte ein besonderes Ermittlungsverfahren angeordnet werden, das der Untersuchungsführer mit einem Protokollführer durchführte. Die Untersuchung wurde vor dem Feldgericht selbst geführt; ausnahmsweise konnte dieses feststellen, daß noch ein Ermittlungsverfahren notwendig sei. Ein Ermittlungsverfahren durfte eingestellt werden.

Das Feldgericht bestand aus fünf erkennenden Offizierrichtern. Untersuchungsrichter war regelmäßig ein richterlicher Justizbeamter oder ein beeidigter Offizier, Protokollführer war ein Militärgerichtsschreiber oder eine verpflichtete Militärperson. Verteidigung war bei todeswürdigen Verbrechen notwendig, im übrigen allgemein durch jede Person zulässig, wenn dadurch keine Gefährdung der Sicherheit des Reichs zu besorgen war. Vereidigter Dolmetscher war notwendig, wenn der Beschuldigte oder ein Mitglied des Feldgerichts der fremden Sprache nicht mächtig war. Gang der Verhandlung: Vorführung des Beschuldigten, Beeidigung der Richter, Vernehmung des Beschuldigten und Erhebung des Beweises durch den Untersuchungsführer. Keine Förmlichkeiten des ordentlichen Verfahrens. Verlesung der Akten war zulässig, wenn ein Ermittlungsverfahren vorausgegangen war. Zusammenfassung der Ergebnisse der Beweisaufnahme durch den Untersuchungsführer in mündlichem Vortrage, Stellung der Anträge (schuldig, Höhe der Strafe - nicht schuldig). Anhörung des Beschuldigten, der das letzte Wort hatte. Geheime Beratung des Gerichts, Abstimmung im Beisein des Untersuchungs- und Protokollführers mit einfacher Mehrheit. Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung an die Richter durch den Untersuchungsführer. Aufnahme des Protokolls unter Leitung des Untersuchungsführers. Das Urteil mußte den Gegenstand der Beschuldigung unter Anführung der Strafgesetze oder der verletzten Verordnung oder unter Begründung des Kriegsbrauchs erkennen lassen. Unverzügliche Vorlage des Protokolls an den Befehlshaber zur Bestätigung des Urteils; keine Begutachtung. Die Bestätigungsorder wurde unter das Protokoll gesetzt. Das bestätigte Urteil wurde dem Beschuldigten bekannt- [139] gegeben und regelmäßig unverzüglich vollstreckt. Kein Milderungsrecht der Befehlshaber, wohl aber das Recht der Aufhebung des Urteils. In diesem Falle Überleitung in das Feld- oder Bordverfahren. Wegen der Begnadigung ergingen während des Krieges besondere Bestimmungen; Todesstrafen gegen Frauen durften seit der kaiserlichen Verordnung vom 15. Januar 1916 nicht ohne weiteres vollstreckt werden (unmittelbarer Bericht an Seine Majestät).

Bei Aburteilung von Spionen war dieses Verfahren noch durch besondere Bestimmungen vereinfacht.

Der materiellrechtliche und prozessuale Inhalt der Ausländerverordnung im Verhältnis zu den geltenden Gesetzen, die Rechtfertigung des Verordnungsrechts der Befehlshaber, seine Abgrenzung und Wirksamkeit in räumlicher und persönlicher Beziehung lösten, besonders in der ersten Hälfte des Krieges, zahlreiche Zweifel und Streitfragen aus. Allgemein gelöst wurden sie nicht. Als besonders fesselnd sei die Streitfrage erwähnt, ob durch die Verordnung wirkliches peinliches Strafrecht und echte Gerichte geschaffen worden sind. Davon ausgehend, daß der besetzte Staat ein Militärstaat sei, hat man vielfach in den strafbaren Handlungen der Ausländer nur Militärpolizeiwidrigkeiten, in den Normen des Kriegsgebrauchs keine eigentlichen Strafrechtsnormen und in den Feldgerichten nur Organe der Militärpolizei gesehen, nicht der Justiz. Es läßt sich darüber streiten. Die Grenzlinien zwischen Strafen und militärpolizeilichen Maßnahmen waren jedenfalls oft flüssig. Jedenfalls paßte sich die auch amtlich vertretene Auffassung, daß die Militärbefehlshaber im Ausländerverfahren öffentlichrechtliche Organe der Militärstrafrechtspflege mit selbständiger Verantwortlichkeit gewesen seien, der geschichtlichen Entwicklung des Militärstrafverfahrens an, das ja von der Verwaltung nie ganz losgelöst war. Danach erschien auch im Ausländerverfahren der Militärbefehlshaber als der eigentliche und alleinige Richter; er ließ seine Organe tätig werden, nahm von seinem Gericht den Spruch entgegen und entschied selbständig, ob er ihn bestätigen oder ablehnen wollte. Es stand der Militärbefehlshaber im Ausländerverfahren sogar insoweit noch freier da, als er persönlich in leichteren Fällen durch Strafverfügung den Richterspruch fällen konnte, auch nicht gezwungen war, bei hinreichendem Verdacht strafbarer Handlungen gegen Ausländer einzuschreiten.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte