SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

  Kapitel 1: Die deutsche Verwaltung
des Generalgouvernements in Belgien 1914-1918
  (Forts.)

Generalleutnant Hans v. Winterfeld

4. Die Militärverwaltung.

Militärpolitische Einteilung.

Nach der Abberufung des ersten Generalgouverneurs, des Generalfeldmarschalls Freiherr v. d. Goltz, welcher schon am 27. November 1914 der Person des Kaisers der Ottomanen zugeteilt wurde, war Generaloberst Freiherr v. Bissing zum Generalgouverneur ernannt worden. Als er am 18. April 1917 aus seiner rastlosen dienstlichen Tätigkeit durch den Tod abgerufen wurde, folgte ihm in seiner Dienststellung der Generaloberst Freiherr v. Falkenhausen, welcher bis zur Auflösung des Generalgouvernements im Amte blieb.

Das Gebiet des Generalgouvernements in Belgien ist im Laufe der Zeit vielfachen Veränderungen unterworfen gewesen.

Nach der Eroberung von Antwerpen und Erreichung der Küste durch die deutschen Truppen ist es am größten gewesen. Es umfaßte damals die neun belgischen Provinzen, soweit nicht noch Kämpfe in Westflandern tobten, und den französischen Gebietsteil der Kommandantur Maubeuge, bald auch den tief in Belgien einschneidenden französischen Givetzipfel.

Als dann im Verlauf des Stellungskrieges an der Westfront die scharfe und genaue Abgrenzung des Operations- und Etappengebiets der einzelnen Armeen, ja die starke Vergrößerung des letzteren nötig wurde, mußten größere Teile des Gebiets vom Generalgouvernement wieder abgetrennt werden.

Dies geschah schon bald mit Ost- und Westflandern, im Lauf der Zeit folgten Maubeuge und der Kreis Tournai; im Zusammenhang mit der Verkürzung der deutschen Front durch den Rückzug in die Siegfriedstellung wurden große Teile der Provinzen Hennegau mit Mons und Luxemburg mit Arel abgezweigt. Als dann im Jahre 1918 es immer deutlicher wurde, daß die deutschen Linien vielleicht noch weiter nach Osten verlegt werden mußten, wurde die Etappengrenze bis zu einer Linie dicht westlich Brüssel zurückgezogen, und als schließlich die deutschen Heere den Rückzug antraten, kam die gänzliche Auflösung des Generalgouvernements in Frage. Zwar wollte der Reichskanzler die Aufrechterhaltung wenigstens des Begriffs des Generalgouvernements als solchen bis zum letzten Augenblick aus politischen Gründen gewahrt wissen, und es blieben daher auch noch, als die zurückgehenden deutschen Heere schon die Hauptstadt Brüssel erreicht hatten, Teile des Landes mit Brüssel als Enklave im Etappengebiet als Generalgouvernement bestehen. Erst am 9. November [9] 1918 wurden auch diese Teile zur Etappe, während die Behörde als solche auch dann noch weiter bestehen bleiben sollte.

Ein genaueres Eingehen auf die Einzelheiten der Verhandlungen über die anderweitige Abgrenzung der Etappengebiete würde zu weit führen. Es genüge zu erwähnen, daß die Armeen und ihre Etappeninspektionen sehr weitgehende Rechte in den ihnen neu zuzuteilenden Gebieten des Generalgouvernements erstrebten. Es lag ihnen daran, diese Gebiete wirtschaftlich für ihre Truppen und Heeresbetriebe, besonders auch die Arbeitskraft der Bevölkerung auszunutzen. Diese Wünsche waren an sich durchaus verständlich. Aus politischen Gründen aber mußten dem Generalgouverneur im Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung so bedeutende Befugnisse im Rahmen seiner Zivilverwaltung belassen werden, daß die Etappenbehörden in dieser Beziehung großenteils ausgeschaltet waren. Aus Gründen der Einheitlichkeit in der Behandlung der inneren und der Kirchenpolitik wurde dies als durchaus nötig erachtet.

So blieben bis zuletzt auch in den vom Generalgouvernement abgetrennten Teilen Belgiens die Präsidenten der Zivilverwaltung mit ihren Organen dem Chef dieser Verwaltung beim Generalgouverneur unmittelbar unterstellt.

Daß aus diesen Gründen zeitweise sehr schwierige Verhältnisse für die Verwaltung sowohl, wie für die Armee- und Etappenbehörden und nicht zum wenigsten für die Einwohner eintraten, ist nur natürlich. So war z. B. die Provinz Hennegau zeitweise unter fünf verschiedene Befehlsinstanzen aufgeteilt. Ihre Teile gehörten zu den Operationsgebieten der 4. und 6. Armee, zu den Etappengebieten derselben und zum Generalgouvernement. In jedem dieser Gebiete galt zum großen Teil verschiedenes Recht. Das war störend, aber nicht zu ändern.

Die erste systematische Einteilung des Gebiets des Generalgouvernements erfolgte am 1. November 1914. Bis dahin waren von den durchziehenden Armeen in den Festungen, Städten und sonstigen wichtigen Orten Gouverneure, Kommandanten und Etappenkommandanten je nach Bedarf bestellt worden. Auch der Generalgouverneur hatte für einige Gebietsteile Bezirksinspekteure eingesetzt.

Nunmehr wurde in jeder der bisherigen neun belgischen Provinzen Lüttich, Namur, Luxemburg, Brabant, Limburg, Hennegau, Antwerpen, Ost- und Westflandern je ein höherer General mit seinem Stabe als Militärgouverneur eingesetzt. Die Hauptstädte und gleichzeitig Amtssitze dieser Gouvernements waren Lüttich, Namur, Arel (Arlon), Brüssel, Hasselt, Mons, Antwerpen, Gent und Brügge. In den drei Festungen Antwerpen, Lüttich, Namur und in der Landeshauptstadt Brüssel gab es außerdem noch je ein (Festungs-)Gouvernement. Diese letzteren bestanden bis zum März 1915 und wurden dann mit den Militärgouvernements der betreffenden Provinz verschmolzen, weil die doppelte [10] Einrichtung sich als überflüssig erwies. Das Gouvernement von Brabant hieß von nun an: Gouvernement von Brüssel und Brabant. In der großen Festung Antwerpen fand die Vereinigung der beiden Gouvernements erst später statt.

Eine endgültige Regelung war für Ost- und Westflandern damit aber noch nicht gefunden. Der Zustand, daß im Etappen-, ja sogar im Operationsgebiet der 4. Armee militärische Behörden des Generalgouvernements wirken sollten, erwies sich bald als unhaltbar, und mit der endgültigen Zuteilung der beiden Provinzen an die 4. Armee gingen die beiden Gouvernements ein, und die ihnen unterstellten Behörden und Truppen traten zur 4. Armee.

Als selbständiger Verwaltungsbezirk trat die Kommandantur Maubeuge mit ihrem französischen Gebiet unter das Generalgouvernement. Die einspringende Lage dieses Teiles erforderte dies. Dasselbe geschah Ende 1914 mit dem französischen Gebiet von Givet und Fumay, wo dieselben Verhältnisse obwalteten.

Den Gouverneuren unterstellt waren die Präsidenten der Zivilverwaltung; ihre Aufgabe geht aus ihrem Namen hervor. Sie waren gleichzeitig Untergebene des Chefs der Zivilverwaltung.

Für ihre militärischen Aufgaben unterstanden den Gouverneuren die Kreischefs, in jeder Provinz zwei bis vier, im Durchschnitt drei, Militärbefehlshaber, unter deren Kommando die bisherigen belgischen Verwaltungsbezirke, die Arrondissements, zusammengefaßt waren. Auch ihnen waren Verwaltungsbeamte beigeordnet.

Das Nähere über die Tätigkeit dieser Zivilbehörden bleibt späteren Darlegungen vorbehalten.


Stärke und Aufgaben der Besatzungstruppen.

Jeder Provinz zugeteilt waren entsprechende Teile der Besatzungstruppen. Sie bestanden aus allen Waffengattungen. Je nach der Kriegslage und etwa neu auftretenden Aufgaben wechselte ihre Stärke und Zusammensetzung.

Bei Beginn der Besetzung, zu einer Zeit, wo die kriegerische Zukunft nicht zu übersehen war und wo man natürlich nicht ahnen konnte, wessen man sich von der immerhin aufgeregten Bevölkerung zu versehen hatte, war die Truppenzahl sehr erheblich.

Am 1. April 1915 betrug beispielsweise ihre Stärke 102 Bataillone Infanterie, 32 Eskadrons, einige Batterien Feld- und zahlreiche Bataillone und Batterien Fußartillerie. Dazu traten Maschinengewehrkompagnien und technische Formationen aller Art. Naturgemäß waren dies alles nicht Truppen erster Linie, sondern mit wenigen Ausnahmen Landsturm und Landwehr ältester Jahrgänge. Aber auch von diesen wurden im Lauf der Zeit viele geschlossene Truppenteile und noch mehr einzelne Mannschaften nach den ver- [11] schiedensten Kriegsschauplätzen abtransportiert, wo sie auch in vorderster Linie treu ihre Pflicht taten.

Stets ist seitens des Generalgouvernements den Anforderungen der Obersten Heeresleitung auf Abgabe von neuen Truppen bereitwilligst stattgegeben worden, obwohl ihm die Erfüllung seiner Aufgaben damit immer mehr erschwert und seinen Truppen eine fast nicht mehr zu leistende Diensttätigkeit aufgelegt wurde. Aber besser als die Kameraden im Schützengraben und Trichterfeld hatten sie es immer noch, und so leisteten sie ihren Dienst bis zuletzt treu und zuverlässig.

Für den bei den Truppen des Generalgouvernements herrschenden Geist sprechen die nachstehenden Tatsachen.

Die letzten Truppen des Generalgouvernements, welche der Verfasser dieser Zeilen unter seinem Befehl hatte, waren bis zum 15. November 1918 zwei rheinische und zwei bayerische Landsturmbataillone, welche an diesem Tage auf Befehl und fest in der Hand ihrer Führer aus der Gegend von Verviers in die Heimat abmarschierten. Der Stab des Generalgouvernements, 200 Offiziere und 1400 Mann, wurde vom 18. November 1918 ab in Bad Harzburg planmäßig demobil gemacht, nachdem er in zwei Transporten quer durch das von Arbeiter- und Soldatenräten beherrschte Deutschland ordnungsmäßig gefahren war. Und die Pferde des Stabes erreichten mit einem Fußmarsch von 660 km Länge von Brüssel aus denselben Demobilmachungsort, ohne einen Mann oder ein Pferd einzubüßen. Wahrlich Beweise von Treue und Pflichtgefühl. Der Abschied von allen diesen Leuten war schmerzlich, aber erhebend durch die Beweise wahrer Kameradschaft und militärischen Standesbewußtseins. Daß auch Ausnahmen vorkamen, ist selbstverständlich.

Außer den dauernd zum Besatzungsheere des Generalgouvernements gehörenden waren zeitweise andere große Truppenmengen in Belgien untergebracht.

Aus der Front gezogene Divisionen, welchen eine längere Ruhe in den guten belgischen Quartieren zugedacht war, und andere, welche außerdem gegen zeitweise von England durch Holland oder von Holland allein zu besorgende Gefahren an der holländischen Grenze bereitgestellt wurden, nahmen den Truppen des Generalgouvernements manchen Dienst ab.

Außer den überwiesenen entstanden im Generalgouvernement neue Truppen durch bereits frühzeitig betriebene Aufstellung von Neuformationen. Aus Freiwilligen wurden vor allem Maschinengewehrformationen in großer Zahl aufgestellt, aber auch Feldartilleriebatterien mit Beutematerial gebildet, und das Landwehrinfanterieregiment 56 entstand aus felddienstfähigen Landwehrleuten der Landsturmbataillone. Dieses letztere Regiment, auf dem belgischen Truppenübungsplatz Beverloo gebildet, war der Ursprung der Infanterieersatztruppe dieses Namens, welche der Feldarmee viele tausend Mann [12] Ersatz lieferte. Sie wurde am 2. August 1915 vom Kriegsministerium übernommen, unterstand nunmehr diesem, war aber in wirtschaftlicher Beziehung weiter von dem Generalgouvernement abhängig. In der ersten Zeit erhielt sie ihren Ersatz aus den Truppen in Belgien, bald aber wurden ihr in regelmäßigem Wechsel Rekruten von den heimischen Ersatzbehörden zugewiesen, damit die guten Unterbringungs- und Ausbildungsmöglichkeiten des belgischen Übungsplatzes ausgenutzt werden konnten. Es befanden sich hier dauernd über 10 000 Mann gleichzeitig in der Ausbildung.

Recht interessant waren übrigens manche Verhältnisse auf dem Übungsplatz. Als ihn die deutsche Verwaltung übernahm, waren seine neuesten Einrichtungen im Ausbau noch nicht vollendet. Immerhin war der Bauplan soweit einwandfrei zu übersehen, daß eine Unterbringung von mindestens 30 000 Mann gleichzeitig ohne weiteres möglich war. Die Garnisonbäckerei war auf eine Lieferung von 60 000 Brotportionen täglich zugeschnitten. Da niemals Truppen in dieser Kopfstärke gleichzeitig auf dem räumlich nicht sehr großen Platze üben konnten, die riesige Größe der Einrichtungen der Stärke des kleinen belgischen Friedensheeres auch nicht annähernd angepaßt war und außerdem die neuesten Bauten genau englischen Mustern entsprachen, so bestand wohl Grund zu eigentümlichen Vermutungen. Beweise dafür, daß dies alles für englische Zwecke und mit englischem Gelde hergestellt sei, haben sich natürlich nicht beibringen lassen.

Die Aufgaben militärischer Art, welche die Gouvernements nach den Bestimmungen des Generalgouvernements mit den unterstellten Truppen zu leisten hatten, waren von der allerverschiedensten Art.

Zunächst blieb ein Teil von ihnen, naturgemäß die kampfkräftigsten, in den verschiedenen Landesteilen verteilt, zur Verfügung des Generalgouverneurs für besondere Fälle. Sie nahmen zwar an dem allgemeinen Dienst teil, durften aber nur so verwendet werden, daß sie in kürzester Zeit zur Niederschlagung etwaiger Unruhen oder für andere Zwecke herausgezogen werden konnten. Es mußte angestrebt werden, daß sie durch eingehendere feldmäßige Ausbildung und bessere Ausrüstung mit Waffen, Pferden und Gerät den kampfkräftigsten Teil der Besatzungstruppen bildeten.

Die Sicherheitsbesatzung der drei großen Festungen beanspruchte weiter erhebliche Truppenmengen. Daher fand natürlich hier, aber auch in den anderen zahlreichen Ortschaften, ein umfangreicher Wachtdienst statt. Die zahllosen militärischen Einrichtungen mit ihren für die deutsche Kriegswirtschaft unersetzlichen Vorräten forderten viele Kräfte.

Fast am wichtigsten aber war der Bahnsicherungsdienst. Das belgische Bahnnetz hat in den vier Kriegsjahren wohl die größten Transportleistungen an der Westfront bewältigt. Die auf diesem Kriegsschauplatz jemals verwendeten Truppen sind sicherlich alle mehrmals auf diesen Transportstraßen [13] gefahren worden. Dabei waren die Eisenbahnverhältnisse noch besonders ungünstig, da das sonst weitverzweigte belgische Bahnnetz nur an wenigen, technisch auch besonders empfindlichen Stellen mit dem deutschen zusammenhing.

Eine schwere Beschädigung der zahlreichen Tunnels und Brücken bei Lüttich z. B. hätte sicher verhängnisvolle Folgen für die Transportbewegung haben müssen. So mußten denn alle Strecken, und besonders die zahlreichen Kunstbauten, eingehend bewacht werden. Viele Landsturmbataillone waren daher, in kleine Wachen zerlegt, an der Strecke verteilt und lebten so ihrem schweren und besonders eintönigen Dienst. Von der sonst im Wachtdienst vorgeschriebenen Zahl von wachtfreien Nächten konnte natürlich keine Rede sein; das hätte zu viel Mannschaften erfordert; so mußte denn schließlich der Mann eine um die andere Nacht, zeitweise sogar dauernd Posten stehen. Trotz dieser geisttötenden Anstrengung gelang es aber jede größere Bahnzerstörung zu verhindern, obwohl es an Versuchen aller Art dazu seitens fanatisierter Einwohner oder besonderer vom Feinde entsandter Sprengkommandos nicht fehlte. Was zur Erleichterung dieses Nachtdienstes getan werden konnte, geschah natürlich. Die Ablösungsmöglichkeit der Bataillone hatte aber ihre Grenze in ihrer verhältnismäßig nicht großen und immer abnehmenden Anzahl.

Nächst dem Bahnschutz bildete ein Haupttätigkeitsfeld der Besatzungstruppen der Grenzschutz. Das Gebiet des Generalgouvernements bildete in seinem ganzen Umfang einen selbständigen eigenen Wirtschaftsverband. Aus diesem Grunde und um der Spionage entgegenzuarbeiten, waren die Grenzen gegen Holland, Deutschland, Luxemburg sowohl wie auch gegen die Etappengebiete der einzelnen Armeen streng abgeschlossen. Die Abschließung gegen Holland begann bereits im November 1914. Zivilpersonen, auch deutsche, durften diese Grenzen nur mit Pässen überschreiten, und die Aus- und Einfuhr von Gütern, außer Heeresgütern, war aus Zoll- und anderen Gründen an bestimmte Regeln und Genehmigungen gebunden. Die Sicherung dieser Beschränkungen mußte durch Bewachung gewährleistet werden. Diese hätte ganz erhebliche Truppenmengen in Anspruch genommen, wenn sie überall mit der gleichen Strenge hätte zur Durchführung kommen sollen. Die Grenzen gegen die Etappengebiete waren im ganzen weniger wichtig, weil der Verkehr zwischen dem Generalgouvernement und ihnen an und für sich recht gering geworden war, wenn man den militärischen Verkehr nicht berücksichtigt. Die Bewachung an diesen Grenzen wurde daher auch schon im August 1916 eingestellt. Notwendig war aber eine genaue Überwachung der Grenze gegen Holland. Ohne eine solche wäre es nicht möglich gewesen, dem Übertritt von Belgien nach Holland und der Ausfuhr vieler für die deutsche Kriegswirtschaft nötiger Güter entgegenzutreten. An dieser wichtigsten Grenze wurde daher ein technisches Mittel angewendet: ein elektrisch geladener Drahtzaun von solcher Höhe, daß seine Überschreitung ohne besondere Vorrichtungen überhaupt nicht, und immer mit [14] Lebensgefahr verbunden war. Er lief nahe der Grenze, möglichst gradlinig von der deutsch-holländischen Grenze bis zum Meere, war durch Schaltposten bedient und Tag und Nacht von Landsturm bewacht. Einzelne Übergänge an Hauptstraßen und Eisenbahnen dienten dem erlaubten Verkehr. Diese sehr umfangreiche Arbeit war am 15. September 1916 fertig geworden und ersparte eine große Menge Bewachungstruppen. Wie notwendig diese Einrichtung war, zeigt der Umstand, daß sehr häufig, manchmal tagelang hintereinander, an diesem Zaun Personen verunglückten, welche die Grenze unerlaubterweise überschreiten wollten, Schmuggler, Spione, Deserteure usw. An immer neuen Versuchen der Technik, Einrichtungen zu ersinnen, welche die Wirkungen des Zaunes hindern sollten, fehlte es nicht. Gummihandschuhe zum Zerschneiden des Drahtes, Leitern und vielerlei andere Apparate zum Überklettern oder Durchkriechen des Zaunes waren am beliebtesten.


Die Überwachung der Bevölkerung.

Der Grenzzaun war eine der hauptsächlichsten Vorkehrungen zur Überwachung der Bevölkerung.

Es war klar, daß die deutschen Behörden auf das genaueste über die Sinnesart und die Stimmung der Bevölkerung, sowie über die unvermeidlichen Bewegungen, welche der Verkehr und andere Verhältnisse hervorrief, unterrichtet sein mußten, um etwaigen gegen die deutsche Besetzung gerichteten Bestrebungen rechtzeitig vorbeugen zu können.

Bei Beginn der Besetzung war ganz naturgemäß die Stimmung der Bevölkerung ausgesprochen deutschfeindlich, und ist es mit geringen Ausnahmen, die später zu erwähnen sein werden, geblieben. Diese Feindseligkeit äußerte sich zunächst, wie bekannt, in den Ausschreitungen des von den Regierungsorganen geförderten Franktireurkrieges. Als die deutschen Maßnahmen dem ein Ende bereitet hatte, glimmte der Deutschenhaß unter der Asche weiter und äußerte sich in passivem Widerstand, zeitweilig hervortretenden wörtlichen oder tätlichen Angriffen auf einzelne deutsche Heeresangehörige, dem Aufkommen einer giftigen geheimen Presse und einem ausgedehnten und sehr gefährlichen Spionagedienst. Der hinterlistige, aber im Grunde feige Volkscharakter der Belgier hat größere Volkserhebungen gänzlich verhindert. Zwar kamen im Laufe der Zeit mehrfach Warnungen an die deutschen Behörden, besagend, daß mit großen Arbeiteraufständen gerechnet werden müsse; niemals aber kam es zu derartigen Bewegungen. Zwar brachen Aufstände aus; diese erwiesen sich aber fast immer als Lohnkämpfe oder hatten bessere Verpflegung zum Ziel und konnten meist schnell beigelegt werden.

Ein weiteres Stimmungsmoment war die Angst vor der deutschen Besatzung. Die von der Feindespresse betriebene Schilderung der "deutschen Greuel" hatte viele Tausende von Einwohnern, besonders der wohlhabenden [15] Kreise zur Flucht nach Holland, England und Frankreich bewogen, wo sie, fern von der Heimat, meist in recht bedrängter Lage lebten. Ihre Besitztümer wären besser gewahrt gewesen, wenn die Leute in ihren Wohnungen geblieben wären und sich mit der deutschen Besatzung schiedlich-friedlich, wie dies meist geschah, auseinandergesetzt hätten. Besonders während der Belagerung von Antwerpen waren Hunderttausende von Einwohnern auf holländisches Gebiet übergetreten, sehr zum Leidwesen der dortigen Regierung.

Ein fernerer Grund zur Abwanderung war für die im wehrpflichtigen Alter stehenden Männer der weit verbreitete Glaube, daß sie zum Dienst im deutschen Heere gepreßt werden würden. Daß auch eine ganze Anzahl Männer über die Grenze gingen, um teils freiwillig, teils dem Aufgebot ihrer Regierung folgend im belgischen Heere zu dienen, soll nicht verschwiegen werden.

Besonders merkwürdig war die Leichtigkeit, mit welcher die belgische Bevölkerung den oft auftauchenden Gerüchten der unwahrscheinlichsten Art Glauben schenkte und wie sich ihr zugehende Nachrichten in ihrer Stimmung äußerten. Die offiziellen deutschen Berichte hat sie bis zum Schluß meist nicht geglaubt; dagegen äußerte sie Freude und Zuversicht, wenn von irgendeiner Seite die sichere Nachricht aufkam, daß z. B. in fünf Tagen der König der Belgier wieder in seiner Hauptstadt eintreffen würde und ähnliches. Jede auch nur vorübergehende Veränderung an der deutschen Front wirkte auf Grund der feindlichen Heeresberichte erhebend oder niederdrückend.

Um diese Stimmungen der Volksseele aufmerksam überwachen zu können, tat die deutsche Militärverwaltung alles, um die infolge der Kriegshandlungen eingetretenen Verschiebungen der Bevölkerung wieder auszugleichen und letztere wieder seßhaft zu machen. Im Benehmen mit der holländischen Regierung erging die Aufforderung zur Rückkehr an die nach Holland Geflohenen unter Zusicherung der Straflosigkeit und Betonung der ganz selbstverständlichen Mitteilung, daß niemand in das deutsche Heer eingestellt werden würde.

Um nun die Einwohner gut unter Aufsicht zu halten, wurde für jeden von ihnen ein Personalausweis vorgeschrieben und eine scharfe Beschränkung der Freizügigkeit eingeführt. Diese wurde indessen so gestaltet, daß der notwendige und auch für Deutschland wichtige Handel und Verkehr aufrechterhalten blieb. Bald wurden auch die Beschränkungen immer mehr abgebaut.

Dem gleichen Zweck diente die möglichst schleunige Rückführung der in den ersten Kriegsmonaten in großer Anzahl nach deutschen Gefangenenlagern überführten Zivilgefangenen, Geiseln usw. In allen Fällen, in denen nicht ein dringendes deutsches Interesse vorlag, wenn also den Betreffenden keine Schuld nachgewiesen werden konnte, wurden sie in ihre Heimat entlassen. Von solchen Vergünstigungen ausgeschlossen blieben natürlich auch später solche Persönlichkeiten, die durch richterlichen Spruch oder besondere Verwaltungsmaßregeln zur Internierung nach Deutschland bestimmt wurden. Diese Internierung war [16] sehr gefürchtet. Sie wurde verhältnismäßig nicht sehr oft angewendet. Die Verhängung dieser Strafe wurde dem Generalgouvernement durch die Einflüsse der Heimat nicht leicht gemacht. In vielen Einzelfällen versuchten deutsche Politiker und andere einflußreiche Personen, selbst Reichsbehörden, in diese Maßregelungen einzugreifen. Politische oder Verwandtschaftsgründe waren meist die Ursache von unberechtigten und daher unzulässigen, man kann ruhig sagen unpatriotischen Einmischungen.

Zur Überwachung der Bevölkerung waren beim Stabe des Generalgouvernements die Paßbehörden, die Leitung des Meldewesens und die Zentralpolizeistelle eingerichtet. Jede hatte in den Provinzen ihre Sonderorgane.

Die Ein- und Ausreise nach und von Belgien konnte nur mit einem von der Paßzentrale ausgestellten Paß geschehen. Deutsche mußten die Erlaubnis zur Einreise vorher nachsuchen. Die Erlaubnis wurde oft verweigert; das Generalgouvernement sicherte sich auf diese Weise gegen eine Überflutung durch unlautere Elemente, die oft genug versuchten, in Belgien unerlaubte wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Eine Ausnahme von dem Paßzwang bildete das sogenannte Grenzzonengebiet, welches in dem Augenblick in die Erscheinung trat, als der elektrische Grenzzaun fertiggestellt war. Um seine Linienführung und Bewachung möglichst einfach zu gestalten, folgte er nicht überall dem sehr gewundenen Laufe der holländisch-belgischen Grenze. Große ausspringende Zipfel belgischen Landes wurden so von dem übrigen Gebiet des Generalgouvernements abgetrennt. Da die Paßkontrolle nur am Grenzzaun selber stattfinden konnte, war der Verkehr zwischen Holland und dem außerhalb des Zaunes liegenden Belgien, eben dem Grenzzonengebiet, unbeschränkt. Die entstehenden Nachteile waren ganz unwesentlich.

Für die Überwachung der wehrfähigen Belgier bestanden die Meldeämter. In regelmäßigen, kurz bemessenen Zwischenräumen wurden die Leute nach den genau geführten Listen kontrolliert, und strenge Strafen ahndeten etwaige Versäumnisse. Eine besondere Kategorie von Leuten bildeten hierbei die Mitglieder der ehemaligen Garde civique. Ursprünglich als eine Art Bürgerwehr im politischen Sinne gedacht, hatte sie zum Teil, und zwar auf Anweisung ihrer Regierung, sich am Kampfe beteiligt. Trotzdem war und blieb es unklar, ob alle ihre Teile im völkerrechtlichen Sinne als Bestandteil der bewaffneten Macht zu betrachten seien. Nur wenige, die im Gefecht gefangen worden waren, blieben daher Kriegsgefangene; die übrigen wurden durch eine Loyalitätserklärung zu friedlichem Verhalten verpflichtet und nur, wenn sie diese verweigerten, nach Deutschland abgeschoben. Alle mußten sich aber durch die Meldeämter kontrollieren lassen.

Außer der Beaufsichtigung der wehrpflichtigen Belgier lag den Meldeämtern auch die Kontrolle von Franzosen, Engländern und sonstigen feindlichen Ausländern und der deutschen Wehrpflichtigen ob.

[17] Die feindlichen Ausländer mußten verschieden behandelt werden. Bei den Franzosen hinderte schon die große im Lande vorhandene Zahl die Internierung; auch hätte man sie nur in Deutschland internieren können und dort die Anzahl der überflüssigen Esser vermehrt. So wurden nur diejenigen Persönlichkeiten abgeschoben, deren Verbleiben in Belgien wirkliche Gefahren für die deutsche Besetzung gehabt hätte. Ein näheres Eingehen hierauf würde zu weit führen.

Die Zentralpolizeistelle, welche mit der Geheimen Feldpolizei des Feldheeres in enger Verbindung stand, hatte mit ihren Organen als Haupttätigkeit die Untersuchung in Spionagefällen, gegen unerlaubte Auswanderung, gegen die geheime in Belgien erscheinende Presse und gegen Falschmünzerei zu führen. Die Aburteilung nach abgeschlossener Untersuchung lag den deutschen Militärgerichten ob, welche sonst nur noch diejenigen Straffälle behandelten, in denen irgendein deutsches Interesse berührt wurde. Die gesamte rein belgische Gerichtsbarkeit blieb den belgischen Gerichten überlassen.

Spionage lag dem Belgier seiner ganzen Anlage nach besonders gut. Die Gelegenheit war auch zu günstig; in der dichten Bevölkerungsmasse konnte der einzelne leicht ungestört beobachten oder unbemerkt, wenn nötig, verschwinden. Die zahlreichen deutschen Soldaten waren leider meist leicht auszuforschen, und der ungeheure militärische Transportverkehr auf den Bahnen ließ sich in sinnreicher Weise gut auskundschaften. Die Grenze war nicht weit, die Bevölkerung half dem Spion in jeder Weise, und in Holland saßen die umfangreichen englischen und französischen Bureaus, die gute Nachrichten mit Gold aufwogen. So war die feindliche Nachrichtenorganisation immer glänzend über alles unterrichtet, was in Belgien vorging und welche Truppenverschiebungen die Oberste Heeresleitung vornahm.

Trotz dieser großen Schwierigkeiten gelang es der Zentralpolizeistelle, doch eine sehr große Zahl von umfangreichen Spionageorganisationen aufzudecken und viele der Schuldigen der Strafe zuzuführen. Man mußte sorgfältig zwischen solchen Schuldigen unterscheiden, welche oft mit großer Hingabe aus Vaterlandsliebe sich schuldig gemacht hatten, und solchen, die nur aus schnöder Geldgier handelten. Den Standpunkt der ersteren konnte man durchaus anerkennen, wenn sie auch weitaus die gefährlicheren waren und im deutschen Interesse keinerlei Schonung gewärtigen konnten. Die Handlungsweise der anderen war einfach verächtlich. Unter den ersteren befanden sich viele fanatische katholische Geistliche. Ihre notwendige Verurteilung führte häufig zu Zwischenfällen mit Vertretern des Päpstlichen Stuhles oder mit einflußreichen Mitgliedern der deutschen Zentrumspartei.

Ebenso häufig und nicht minder gefährlich waren diejenigen Organisationen, welche die Zuführung von wehrpflichtigen Belgiern oder noch im Lande befindlichen englischen und französischen Soldaten, meist entwichenen Kriegs- [18] gefangenen, an die feindlichen Heere zum Zweck hatten. Auch für sie waren die schwersten Strafen angedroht.

Wie gefährlich diese Organisationen waren, beweisen die zahlreichen Gefechte, welche von den Grenzschutztruppen mit Banden solcher Grenzläufer geführt werden mußten, wobei es auf beiden Seiten Tote und Verwundete gab.

Es kam sogar vor, daß solche Banden sich mit raffinierter Schlauheit in den Besitz deutscher Dampfer setzten und auf tollkühner Fahrt die Maas hinab, ein Wehr im hochangeschwollenen Flußbett überspringend oder eine provisorische Brücke durchbrechend, unter dem Feuer der Grenzbewachung das holländische Gebiet erreichten. In einem solchen Fall war allerdings der Schiffsführer ein deutscher Soldat elsässischer Abstammung gewesen und mit den Grenzbrechern verschwunden.

Die Zahl der für die vorgenannten Verbrechen geführten Kapitalprozesse war Legion. Viele Todesurteile wurden gefällt, eine nicht geringe Zahl auch vollstreckt. Dasjenige, welches am meisten Aufsehen erregte und der Propaganda wegen "der deutschen Greuel" willkommenen Stoff gab, war die Erschießung der Engländerin Miß Cavell in Brüssel. Ganz einwandfrei war erwiesen, auch hatte sie eingestanden, einer ganzen Anzahl ihrer Landsleute zur Überschreitung der Grenze verholfen zu haben. Sie war die Leiterin der Angelegenheit gewesen. Das Urteil konnte nach den Gesetzen nicht anders lauten als auf Todesstrafe. Es wurde gesetzmäßig gesprochen, bestätigt und vollstreckt. Alles andere ist eine Propagandafabel.

Daß England sich über das Urteil erregte, ist natürlich. Vom englischen Standpunkte aus war Miß Cavell eine Heldin, vom deutschen aus verdiente sie den Tod. Daß die englische Regierung die Rechtmäßigkeit des Urteils anerkannt hat, beweist der Umstand, daß die an dem Prozeß beteiligten deutschen Offiziere und Beamten nicht auf der Liste der sogenannten "Kriegsverbrecher" standen, was allgemein erwartet wurde.

Immerhin hatte der entstandene Lärm die unerwünschte Folge, daß Frauen, welche weiterhin zum Tode verurteilt werden mußten, auf Anweisung des deutschen Kaisers nicht hingerichtet, sondern begnadigt wurden. Das Ergebnis war, daß nunmehr in steigender Anzahl Frauen an den gefährdetsten Stellen in der Spionage auftraten. Sie wußten, daß ihnen nichts Schlimmes passieren würde.

Einen des Humors nicht entbehrenden Kampf führte die deutsche Polizei gegen die geheime belgische Presse, besonders gegen die von Zeit zu Zeit erscheinende La libre Belgique. Es war ein sehr geschickt, manchmal geistreich redigiertes Machwerk, welches in unflätiger Weise die deutsche Verwaltung, besonders auch die Persönlichkeiten der jeweiligen Generalgouverneure angriff. Gedruckt in irgendeiner unbekannten Druckerei, erschien sie plötzlich in Tausenden [19] von Abdrücken im ganzen Lande und erregte den Jubel der Belgier. Der oder die eigentlichen Verfasser sind nie entdeckt worden, die Druckereien wurden oft ausgehoben, aber immer wieder fanden sich neue.

Ebenso ging es mit den Falschmünzerbanden. Großes Unheil ist nicht entstanden. Eine Bande, welche mit dem größten Fleiß und kaum glaublicher Sorgfalt arbeitete, konnte gerade noch vor dem letzten Abschluß ihrer Vorbereitungen zum Druck deutschen Papiergeldes gefaßt werden. Die Ergebnisse ihrer Tätigkeit waren so vortrefflich, daß sicher schwerer Schaden entstanden wäre.

Unterstützung fanden die deutschen Beamten in ihren Untersuchungen bei vielen Belgiern, welche sich nicht scheuten, gegen klingenden Lohn oder aus persönlichen Gründen ihre Landsleute zu verraten. Es war nicht anders als wie im Deutschen Reich, wo nach Friedensschluß sich für die Ententekommissionen Deutsche als Denunzianten finden.

Ein polizeilicher Kleinkrieg wurde auch geführt gegen das Tragen nationalistischer Abzeichen, Fähnchen, Rosetten, Schleifen usw., welche verboten werden mußten, da sie zu Demonstrationszwecken, besonders an belgischen Gedenktagen, viel verwendet wurden.

Eine beliebte Herausforderung seitens der Belgier war auch das Spielen von vaterländischen Liedern, besonders der "Brabançonne" an solchen Tagen. Mancher Organist mußte seinen Patriotismus büßen, wenn er in der Kirche am Schluß des Gottesdienstes dieses Lied, vielfach geschickt unter musikalischen Variationen versteckt, von der Orgel ertönen ließ. Diese Maßregelung kann kleinlich erscheinen, war bei der Sinnesart der Belgier aber durchaus notwendig. Duldsamkeit hätte sofort größere Unverschämtheiten hervorgerufen.

Dagegen hat niemals im Gebiet des Generalgouvernements die kleinliche Schikane der Grußverpflichtung der Bevölkerung vor deutschen Fahnen oder Offizieren bestanden. Möglicherweise hat irgendwo ein übereifriger Befehlshaber Ähnliches angeordnet. Von seiten des Generalgouvernements ist aber immer, wenn derartiges zu seiner Kenntnis kam, dagegen eingeschritten worden. Die Maßregel war unnötig und ihre Befolgung nicht zu überwachen.

Alle durch die deutschen Gerichte bestraften oder sonstwie gemaßregelten Belgier konnten, wie schon erwähnt, nach Deutschland abgeschoben werden. Allmählich erreichte die Zahl der in Deutschland Festgehaltenen eine solche Höhe, daß zur Entlastung der Heimat neue Maßnahmen getroffen werden mußten.

So wurden denn unter Aufwand erheblicher Mittel die alte Zitadelle in Diest und eine riesige Kaserne in Vilvorde als Gefangenenlager und als Strafgefängnis eingerichtet und eine große Anzahl Belgier aus Deutschland dorthin zurückgeführt. Die Bewachung verursachte manche Schwierigkeiten.

Sehr bezeichnend ist der Umstand, daß die Kaserne in Vilvorde sich in einem so schlechten Bauzustande befand, und zwar schon vor Kriegsausbruch, daß man deutschen Truppen niemals dauernd eine solche Unterkunft zugemutet hätte.

[20] Trotz der bedeutenden für diese Einrichtungen aufgewendeten Mittel gaben sie den Belgiern Anlaß zu allerlei Unzufriedenheit. Von seiten der belgischen Regierung sowohl wie durch Vermittelung des spanischen Gesandten in Brüssel kamen bewegliche Klagen über angebliche Mißstände. Selbstverständlich erwiesen sie sich als unbegründet und wurden abgelehnt. Ebenso aber auch das Verlangen, dem Gesandten ein Aufsichtsrecht über die Anstalten einzuräumen, weil zwar die spanische Botschaft in Berlin die Schutzmacht für die belgischen Interessen, aber der spanische Gesandte in Brüssel in keiner Weise als Vertreter dieser Macht für diese gefangenen Belgier beglaubigt war.


Verteidigungseinrichtungen des Generalgouvernements.

Wie gegen den inneren Feind, so mußte aber auch Vorsorge getroffen werden, daß kriegerischen Handlungen des Feindes auf dem Boden des Generalgouvernements Widerstand geleistet werden konnte.

Die drei Festungen Antwerpen, Lüttich und Namur galten bis zum Kriegsbeginn als modern. Mit ihrem Gürtel aus panzerstarrenden Betonforts hielt man sie in Belgien für uneinnehmbar. Die deutsche Artillerie brach die Panzerfesten in wenigen Tagen, wobei einige von ihnen einfach in die Luft geflogen waren.

Ähnliches konnte natürlich erfolgen, wenn die Festen nunmehr in deutscher Hand einem feindlichen Angriff gegenüber hätten verteidigt werden müssen. Denn auch der Gegner verfügte bald über schwerste Artillerie von ähnlicher Wirkung. So mußte denn der Wiederausbau der Festungen unter anderen Gesichtspunkten erfolgen.

Da niemand auf die jahrelange Dauer des Krieges rechnen konnte, verbot sich, auch wegen der Kosten, die Ausführung noch stärkerer und besser gedeckter Panzerwerke von selbst. Von weit her sichtbare Panzertürme, wie es die meisten in den drei Festungen waren, erwiesen sich überhaupt als zwecklos, da sie in kürzester Zeit erledigt sein mußten. Auch war der Beton in den belgischen Forts, wie die Untersuchungen deutscher Sachverständiger ergaben, häufig von schlechter Beschaffenheit; die Werke hatten sich überhaupt als Menschenfallen erwiesen.

Deshalb wurde von ihrem Ausbau gänzlich abgesehen. Es wurden auf den zum Feinde gelegenen Fronten, bei Lüttich und Namur nach Westen, bei Antwerpen von Westen bis Nordosten (gegen Holland) Feldstellungen angelegt, welche etwa denen entsprachen, die an der Westfront an den gut ausgebauten Fronten bestanden. Die Forts mit der in ihnen enthaltenen Artillerie wurden als solche aufgegeben, die riesigen Eisenmassen der Türme sollten der deutschen Kriegswirtschaft als Schrott dienen.

Ob die Neuanlagen den manchmal von Monat zu Monat wechselnden Anforderungen der Feldbefestigung dauernd gewachsen geblieben wären, darf [21] füglich bezweifelt werden. Was heute Vorschrift war, mußte morgen anderen Angriffsmitteln gegenüber zwecklos werden. So blieb der Ausbau dauernd im Fluß; schließlich wurde Lüttich am 1. Juli 1916 als Festung aufgegeben; Namur wäre wohl auch bei längerer Dauer des Krieges gefolgt. Gebaut wurde auch hier seit 1915 nicht mehr. Bei Antwerpen lag die Sache insofern etwas anders, als es auf der wahrscheinlichen Angriffsfront im Westen und zum Teil im Norden durch künstliche Überschwemmung gut gesichert werden konnte.

Bei Antwerpen war die Sicherung gegen Norden besonders nötig, denn die holländische Grenze war sehr nahe. Zwar war Holland neutral und im ganzen, besonders in seiner Armee, meist deutschfreundlich. Aber die Landung englischer Truppen auch unter Nichtachtung des Völkerrechts oder sonstiger englischer Zwang konnte eines Tages die Neutralität des kleinen Staates in kriegerische Feindseligkeit verkehren. Mehrfach schien dieser Fall in greifbare Nähe zu treten. Dagegen mußte vorgesorgt werden.

Außer der Vorbereitung der Nordfront von Antwerpen diente dazu die Herrichtung von Hindernissen und kleinen Brückenköpfen an den Übergängen des Turnhouter Kanals. Von Antwerpen bis Turnhout, parallel der holländisch-belgischen Grenze laufend, war er nicht als eine starre Verteidigungslinie gedacht, sondern als ein Hindernis gegen feindliche Aufklärung und kleinere Abteilungen, in dessen Schutze eigene Truppen gedeckt versammelt werden konnten.

Auch sonst war der Kriegsfall mit Holland, den natürlich niemand auf deutscher Seite wünschte, wohl vorbereitet. Sollte es dazu kommen, so wollte die Oberste Heeresleitung sich nicht in der Verteidigung halten, sondern sofort selbst zum Angriff schreiten. Konzentrisch von zwei Seiten her, aus dem preußischen Ostfriesland und den belgischen Provinzen Antwerpen und Limburg, sollte er erfolgen. Stets waren die dafür nötigen Truppen bestimmt, die Etappeneinrichtungen bis auf die Einzelheiten vorbereitet. Selbst Truppen des Generalgouvernements sollten daran teilnehmen, welche für diesen Zweck auch auf dem Truppenübungsplatz Beverloo in größeren Verbänden geschult wurden.


Die Verkehrseinrichtungen.

Wenn auch der öffentliche Verkehr im militärischen Interesse sehr eingeschränkt werden mußte, so blieben doch eine große Anzahl Verkehrsangelegenheiten seitens der Behörden des Generalgouvernements zu bearbeiten, deren Regelung auch über das Kriegsende hinaus für Belgien und seine Bewohner von bleibendem Vorteil werden sollte.

Der Betrieb der hauptsächlichsten Verkehrsmittel, der Eisenbahn, der militärischen Schiffahrt, der Post und Telegraphie, lag zwar besonderen, dem Generalgouvernement gegenüber selbständigen militärischen oder Zivilbehörden ob, von denen später zu reden sein wird. Es gab aber außerdem noch genug [22] Dienstzweige, deren sachgemäße Bewirtschaftung dem Generalgouvernement und seinen Organisationen verblieben war. Unterhaltung und Neubau von Wasserstraßen nebst den dazugehörigen Brücken und sonstigen Anlagen, Landstraßenbau und -unterhaltung, die nicht rein im militärischen Interesse liegende Schiffahrt, die Regelung und Ausnutzung des Kraftwagenverkehrs und schließlich auch die Angelegenheiten der Landesaufnahme gehören hierher.

Für den Land- und Wasserstraßenbau, der natürlich in erster Linie militärische Bedeutung hatte und behielt, sorgte die dem Generalgouvernement unterstehende sehr umfangreiche Behörde der Baudirektion, ähnlich wie sie bei den Etappeninspektionen bestand.

Noch viele Jahre wird man in Belgien wissen, wenn auch vielleicht nicht öffentlich betonen, was sie für das Wohl des Landes geleistet hat.

Das Wasserstraßennetz in Belgien war in der Ausdehnung gut entwickelt. Die beiden Hauptflüsse des Landes, Maas und Schelde, und viele ihrer Zuflüsse waren schiffbar, wo nötig kanalisiert. Beide waren verbunden durch ein wohl ausgedachtes, gut unterhaltenes Kanalnetz, welches allerdings den Nachteil besaß, daß einige seiner Hauptstrecken nur Schiffen von verhältnismäßig geringem Fassungsraum die Durchfahrt gestattete, und daher im ganzen nicht sehr brauchbar war.

Infolge der sehr weitgehenden Selbstverwaltung der einzelnen Landesteile und sogar Gemeinden, kamen selten einheitlich gehaltene Pläne für Neu- oder Umbauten von Wasserstraßen zur Ausführung. Verzögerungen, die oft viele Jahre ausmachten, hinderten die nötigsten Verbesserungen, weil die verschiedenen Parteiinteressen der Beteiligten in den meist leidenschaftlich geführten Kämpfen nicht zu vereinigen waren und eine entscheidende Instanz zum Ausgleichen fehlte. So blieben z. B. wichtige Kanäle für größere Kähne unbenutzbar, weil nur Teile von ihnen auf die größere Breite und Tiefe umgebaut wurden. Es kam soweit, daß von Sachverständigen behauptet und bewiesen werden konnte, die belgischen Wasserstraßen brächten wirtschaftlich gegenüber den Eisenbahnen keinen Vorteil, man müsse daher letztere verbessern und die große Zahl von noch unerledigten Kanalplänen zurückstellen.

Mit den Nachbarländern Holland und Frankreich bestanden vielfache Verbindungen; besonders die Kanäle, welche die belgisch-französische Grenze erreichten, fanden fast immer auf der anderen Seite einen passenden Wasserweg. Nur mit Deutschland gab es keine unmittelbare Verbindung; immer mußte für diesen Schiffsverkehr der Umweg durch Holland zur Maas oder Schelde gewählt werden. Zwar waren schon früher Pläne für große Kanalbauten zwischen Deutschland und Belgien erörtert worden; aber ein wirkliches Studium der Frage entstand erst während des Krieges von deutscher Seite. Die Schwierigkeiten technischer Art wären wegen der starken Höhenunterschiede am rechten Maasufer sicher sehr groß geworden. Deutsche Tatkraft hätte sie ohne Zweifel [23] überwunden. Dazu kam es aber nicht, denn im ersten Teil des Krieges wurde merkwürdigerweise auf die Ausnutzung der Wasserstraßen für den Heeresnachschub wenig Wert gelegt, und so erschien ein Kanalneubau an dieser Stelle als nicht wichtig genug. Im späteren Verlauf, als die Verkehrsmittel der Eisenbahn sich verschlechterten, aber die Anforderungen an sie immer größer wurden, würde man gerne dieses Entlastungsmittel besessen haben; aber nun wäre es zu spät gewesen, auch wenn die Zeit zum Bau ausgereicht hätte.

Im Generalgouvernement war der Wert guter Wasserverbindungen sofort erkannt worden. Es mag wohl an der Notwendigkeit, sie an Stelle der für den Zivilverkehr wenig verwendbaren Eisenbahnen zu benutzen, gelegen haben.

Zunächst handelte es sich darum, die vorhandenen Wasserwege wiederherzustellen, wenn sie beschädigt waren. Unendlicher Schaden hätte entstehen können, wenn von den zahlreichen Schleusen oder Wehren eine größere Zahl zerstört gewesen wäre. Davon war zum Glück nichts geschehen. Nur von den vielen größeren und kleineren Brücken waren eine ganze Anzahl von Belgiern und Franzosen auf dem Rückzuge gesprengt worden. Die wichtigsten zum Glück nicht. So war z. B. von sechs großen Maasbrücken in Lüttich durch ein Mißverständnis nur eine einzige zerstört worden und damit ein für den deutschen Vormarsch unschätzbares Hilfsmittel erhalten geblieben.

Die in den Flußbetten liegenden Brückentrümmer waren ein schweres Schiffahrtshindernis; sie mußten zunächst fortgeräumt werden. Mit Hilfe mancher neuartiger Erfindungen und Einrichtungen gelang dies verhältnismäßig schnell. Was an Schiffahrtsgesellschaften in Belgien vorhanden war, wurde nun bald in Betrieb gesetzt. Aber hier zeigten sich große Schwierigkeiten. Im Frieden war der Verkehr zwischen Holland, Belgien und Frankreich mit den Schiffen dieser drei Länder unbeschränkt vor sich gegangen. Jetzt fanden sich nicht mehr viele belgische und französische vor. Manche waren zerstört worden, sehr viele waren ins besetzte Frankreich oder besonders nach Holland entflohen und hatten aus Angst vor den Deutschen keine Lust zurückzukehren. Sie fürchteten mit Recht die Beschlagnahme. Die holländischen Schiffe blieben vorerst aus Neutralitätsgründen aus. So war die Lage wegen der erschwerten Kohlen- und Lebensmittelversorgung recht brennend geworden.

Es wurde nun durch das Generalgouvernement alles getan, um die im Lande verbliebenen Mittel für die Schiffahrt nutzbar zu machen. Aber diese genügten nicht annähernd. Es galt sich im Auslande umzutun. Holland mit seinem gleichfalls gut ausgebildeten Wasserstraßennetz kam allein in Frage.

An die nach Holland geflohenen belgischen Schiffer wurde herangetreten. Viele gewann man durch Zusicherungen von Vorteilen und Erleichterungen aller Art, und bald waren viele auch überzeugt, welche guten Geschäfte sie machten, wenn sie sich der deutschen Kriegswirtschaft zur Verfügung stellten. Nur verlangten sie, wie auch sonst in Belgien Industrie und Handel, von der [24] besetzenden Macht einen gewissen Druck, eine Art Zwang, damit sie ihren Landsleuten und der fernen Regierung gegenüber sich mit der Nötigung durch den Feind entschuldigen konnten.

Aber auch diese Mittel genügten noch nicht; denn viele belgische Schiffer blieben freiwillig in Holland, anderen waren ihre Schiffe durch die Agenten der Entente zum Nachteile Deutschlands abgekauft worden.

So blieb denn nichts übrig, als Schiffe aus holländischem Besitze selber zu erwerben; auf direktem Wege war dies aus Gründen der Neutralität nicht möglich. Die holländische Regierung konnte den Verkauf holländischer Schiffe an deutsche Behörden nicht gestatten, ohne sich englischen Verboten oder Repressalien auszusetzen. Aber es gab auch deutsche Sympathien und Interessenten in Holland; und so bildete sich bald eine holländische Schiffahrtsgesellschaft, deren Schiffe in Belgien zu fahren bereit waren. Die eigentlichen Leiter dieser Gesellschaft waren Mitglieder des Stabes des Generalgouvernements, deren Zivilberuf sie für diesen Dienst besonders geeignet machte. Die Finanzierung geschah aus belgischen Mitteln der deutschen Verwaltung, da diese Verkehrsmaßnahmen ja auch Belgien zugute kamen.

Das Generalgouvernement hat sich dann im Laufe der Zeit einen Schiffspark von mehreren hunderttausend Tonnen beschafft, mit dem auch in umfangreichstem Maße Transporte für Kriegszwecke, Holz, Schotter, Kies usw. gefahren wurde.

Armierungsbrücke bei Burght bei Antwerpen
[24a]      Armierungsbrücke bei Burght bei Antwerpen.

Von diesen Schiffahrtsverhältnissen wurde nicht viel gesprochen, um nicht die Helfer der deutschen Verwaltung in Holland zu schädigen. Die näheren Zusammenhänge waren nur ganz wenigen Wissenden bekannt.

Wie die Inbetriebsetzung bereits vorhandener, so ließ sich die deutsche Verwaltung auch die Vollendung erst angefangener belgischer Wasserstraßen angelegen sein. Hier sind es besonders zwei Werke, welche den Belgiern die deutsche Verwaltung noch lange in die Erinnerung rufen werden.

Im Canal du Centre befindet sich in der Gegend von La-Louvière eine Strecke, deren Bau, obwohl bereits in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen, aus innerpolitischen Gründen nicht hatte fertiggestellt werden können. Die sehr großen Höhenunterschiede hatten hier die Anwendung eines technisch sehr wirksamen, damals überhaupt nur einmal, und zwar in Deutschland, bei Henrichenburg angewendeten Mittels, eines sogenannten Schiffshebewerks notwendig gemacht, weil gewöhnliche Schleusenanlagen die Schwierigkeiten nicht hätten überwinden können. Vier dieser gewaltigen Bauwerke fand die deutsche Bauverwaltung unvollendet vor, und trotz aller Schwierigkeiten in der Beschaffung von Personal und Material wurden sie alle nach und nach der Vollendung zugeführt.

Dasselbe war mit dem Seekanal von Brüssel zur Schelde der Fall. Auch seine schließliche Vollendung verdankt Belgien der deutschen Verwaltung.

[25] Diese Verbesserungen kamen natürlich auch den deutschen Bedürfnissen zugute. Aber als die voraussichtlich sehr lange Zeit in Anspruch nehmende Fortführung der Bauten vom Generalgouvernement beschlossen wurde, konnte niemand die Dauer des Krieges voraussehen, und so sind sie um der Sache selbst willen vollendet worden.

Außer der Wiederherstellung der Wasserwege waren aber auch besonders die Landverbindungen zu pflegen. Auch sie kamen natürlich den deutschen Interessen zugute. Zunächst handelte es sich um den Neubau der vielen zerstörten Brücken. Die meisten waren behelfsmäßig schnell wiederhergestellt. Dies genügte aber auf die Dauer keineswegs, und es entstanden daher nach und nach unter Leitung der deutschen Baudirektion jene vielen Brücken, deren technische Vollendung und gefällige Formen für die Leistungsfähigkeit der großen deutschen Firmen, die sie ausführten, ein Denkmal bilden, welches der praktische Sinn der Belgier voraussichtlich besser erhalten wird als manches andere.

Belgien ist berühmt durch sein weitverzweigtes, vorzüglich unterhaltenes Straßennetz. Seine Erhaltung und Verbesserung war die stete Sorge der Militärverwaltung. Wer auf belgischen Straßen marschierte oder im Kraftwagen dahinflog, kennt die Erfolge dieser Sorge.

Zur Ausführung dieser Werke war die Ausnutzung vieler Fabriken und besonders auch Steinbrüche im Lande unerläßlich und lag sowohl im deutschen wie im belgischen Interesse. Alles dieses belastete selbstverständlich den Geldbeutel des Reiches nicht. Aus belgischen Mitteln, auf Grund des aus belgischen Steuern und Abgaben gespeisten Haushaltsetats, wurden die Ausgaben geleistet. Bis zu guter Letzt konnten die deutschen Heere noch die Tätigkeit der deutschen Verwaltung genießen. Denn der deutsche Rückzug durch Belgien im Jahre 1918 hätte ohne die guten Brücken und Straßen in der geschehenen Weise überhaupt nicht geleistet werden können.

Die Tätigkeit anderer nicht dem Generalgouvernement unterstellter Behörden fällt in den Rahmen dieser Betrachtungen und kann nicht übergangen werden, wenn auch das Generalgouvernement für sie nicht zuständig war. In erster Linie kommen hier die Verwaltungen der belgischen Eisenbahnen, Post und Telegraphen in Betracht. Selbstverständlich stockten sie bei Annäherung der deutschen Truppen sofort sämtlich. Da diese Einrichtungen unter Kriegsverhältnissen zunächst nur im militärischen Interesse benutzt werden können, wurden sie, soweit möglich sofort, dann allmählich in immer weiterem Umfange dem Betrieb übergeben, bis schließlich das ganze belgische Eisenbahnnetz, mit Ausnahme weniger unwichtiger Strecken, im rein militärischen Betrieb stand, der mit der Zeit, soweit es die militärischen Interessen zuließen, auch den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung gerecht zu werden suchte. Die Beschränkungen blieben aber natürlich immer sehr einschneidend. Daher blieb denn die Eisenbahn dauernd nur ihren militärischen Vorgesetzten, dem Chef [26] des Feldeisenbahnwesens und weiter dem Chef des Generalstabs des Feldheeres allein unterstellt. Die Militärgeneraldirektion der Eisenbahnen in Brüssel blieb dem Generalgouvernement gegenüber auf ihrem Gebiet, wozu alle ihre Einrichtungen gehörten, also ganz souverän. Es ist klar, daß daraus viele Reibungen entstanden, da die für ganz andere Zwecke arbeitenden Eisenbahnbehörden durch viele notwendige Verordnungen des Generalgouvernements gestört werden mußten. So waren besonders die wirtschaftlichen Ein- und Ausfuhrverordnungen des Generalgouvernements ein Grund für dauernde Verhandlungen.

Der Betrieb wurde in den oberen Stellen durch rein deutsches Personal und mit sehr vielem deutschen rollenden Material aufrechterhalten, während die unteren Stellen auch durch Belgier besetzt waren, welche außerdem das zahlreiche Werkstätten- und sonstige Arbeiterpersonal stellten. Man hat mit ihnen im ganzen gute Erfahrungen gemacht. Streikbewegungen kamen vor, sie waren aber alle nur von kurzer Dauer. In solchen Fällen und auch bei Arbeiterbeschaffungen großen Stils nahm die sonst selbständige Militärgeneraldirektion gern die Hilfe der Organe des Generalgouvernements in Anspruch.

Da ein beschränkter Zivilverkehr schon wegen der Aufrechterhaltung von Handel und Gewerbe unbedingt notwendig war, so wurde er eingerichtet. Daß er nicht übermäßig ausgenutzt werden konnte, dafür sorgten die mit Absicht sehr hoch gehaltenen Fahrpreise.

Die Militärgeneraldirektion war bestrebt, ihre Anlagen möglichst leistungsfähig zu gestalten. Viele Um- und einige große Neubauten erwiesen sich als notwendig. Die wichtigsten dienten der Verbesserung der Verbindungen mit Deutschland. Wie schon erwähnt, waren das deutsche und belgische Eisenbahnnetz in Nordbelgien so ungünstig verbunden, daß mit geringen Ausnahmen alle Transporte den Engpaß von Lüttich durchfahren mußten. Die dortige Hauptlinie nach Brüssel stammte außerdem aus einer so frühen Zeit, daß sie technisch den Anforderungen der Neuzeit in keiner Weise gewachsen war. Die Steigung aus dem Maastal nach Zentralbelgien hinauf war eine der stärksten in Europa, so daß die langen Militärtransporte hier oft liegenblieben.

Die bald in Angriff genommene, im Jahre 1917 fertiggestellte zweigleisige Bahn von Aachen, nördlich von Lüttich die Maas überschreitend, nach Tongern, schuf die große Entlastung. Durch Tunnelbauten, riesige Dämme und großartige Brückenanlagen wurde fast jede Steigung vermieden, auch hier wieder ein Denkmal zielbewußter deutscher Technik. Auch an anderen Stellen fanden kleinere Bauten zur besseren Verbindung vorhandener Strecken statt.

Der Militärgeneraldirektion angegliedert war die Militärkanaldirektion, welche an Bedeutung sehr zunahm, als im späteren Verlauf des Krieges die ungeheuren Transporte an Heeresmaterial nicht mehr von der Eisenbahn bewältigt werden konnten. Mit Hilfe von beschlagnahmten belgischen und fran- [27] zösischen Schiffen, Neubauten und Schleppern, die aus Deutschland über Holland eingeführt werden konnten, entwickelte sie eine beträchtliche Tätigkeit, die an den Schiffahrtseinrichtungen des Generalgouvernements eine große, aber als nicht gern gesehene Konkurrenz aufgefaßte Hilfe behielt.

Als im Laufe der Zeit immer mehr Gebiet des Generalgouvernements an die Etappen abgegeben wurde, also in rein militärische Verwaltung kam, wurden schließlich auch die Schiffahrtsbetriebe des Generalgouvernements an die Kanaldirektion abgegeben.

Eine besondere Rolle spielte in Belgien das Kleinbahnwesen. Die chemins de fer vicinaux besaßen ein sehr ausgedehntes leistungsfähiges und vortrefflich verwaltetes Netz, welches in Friedenszeiten sich als wichtiger Zubringer für die Hauptbahnen erwiesen hatte. Da ihre Spurweite den Lauf von Militärtransporten nicht erlaubte, wurden sie nunmehr ein unentbehrliches Verkehrsmittel für Einwohner und Besatzungstruppen und machten dabei glänzende Geschäfte. Dabei spielte die Sinnesart der Belgier mit, welche lieber mit der Kleinbahn weite Umwege fuhren, statt auf der Hauptbahn der deutschen Verwaltung durch das Fahrgeld einen Verdienst zuzuwenden.

Aber schon im Jahre 1915 mußten auch die Vizinalbahnen für die deutsche Kriegführung nutzbar gemacht werden. Zahlreiche Strecken, Tausende von Kilometern Gleis und viel rollendes Material mußte abgebaut werden, um an der deutschen Ostfront die riesigen verbindungsarmen Länderstrecken überwinden zu helfen. Es war nicht leicht, hier die notwendigen Bedürfnisse der belgischen Einwohnerschaft mit den militärischen in Einklang zu bringen.

Ähnlich, aber nicht ganz so abgeschlossen von den deutschen Behörden des Generalgouvernements, waltete die deutsche Post und Telegraphie in Belgien. Dieses wichtige Verkehrsmittel diente zuerst nur militärischen Zwecken in Gestalt der Feldpost und Feldtelegraphie. Aber schon sehr schnell erwiesen sich diese als unzureichend, auch wurden sie bei den fechtenden Armeen weiter vorn notwendiger gebraucht. An ihre Stelle trat sofort die Reichspost. Es gelang ihr leicht, einen sehr großen Teil der belgischen Beamten in ihre Dienste zu bekommen, die unter Leitung der höheren deutschen ihren Dienst einwandfrei versahen. Die Beobachtung aber, daß der Belgier unter den gleichen Bedingungen weniger leistet als der Deutsche, wurde auch hier gemacht.

Sehr schnell stieg die Zahl der Post- und Telegraphenämter; auch für die Belgier wurde bald Verkehr zugelassen und dieser immer mehr, allerdings unter Beschränkungen, vergrößert, schließlich sogar mit Deutschland und neutralen Ländern eingeführt.

Hierbei aber waren sehr einschneidende Überwachungen nötig, und durch die Postüberwachungsstellen wurden alle Sendungen, soweit sie nicht durch den Briefstempel einer deutschen Behörde davon befreit waren, geöffnet und gelesen. Die große Spionagegefahr nötigte hierzu.

[28] Zu den Anordnungen der deutschen Verwaltung, welche dem Verkehr dienten, muß auch die Einrichtung der kartographischen Abteilung beim Generalgouvernement rechnen. Es war nötig, das belgische Kartenwesen für deutsche Zwecke nutzbar zu machen, und es entstand bald in den Räumen der belgischen Landesaufnahme unter Leitung deutscher sachverständiger Offiziere und Beamter ein großer und wichtiger Betrieb. Teilweise Neuvermessung und Erkundung des Landes und Herstellung von Kartenwerken wurden sofort in Angriff genommen. Eine Karte des ganzen Landes 1 : 100 000 nach dem Muster der deutschen Generalstabskarte wurde hergestellt und besaß alle bekannten Vorzüge ihres Vorbildes.

Eine Karte von Belgien 1 : 320 000 wurde noch im Jahre 1918 fertig.

Die in dieser Abteilung hergestellten Kartenblätter für die verschiedensten Zwecke der Frontarmeen gehen in die Millionen.


Die Ausnutzung des Landes in militärischem Interesse.

Wie die Ausnutzung der Verkehrseinrichtungen in Belgien selbstverständlich den deutschen Behörden oblag, so mußten auch natürlich die sächlichen und bis zu einem gewissen Grade auch die persönlichen Hilfsmittel des Landes der deutschen Kriegführung dienen. Deutschland hatte an sich kein Interesse daran, feindliche Länder auf das äußerste auszunutzen, ihnen wohl gar dadurch dauernden Schaden zuzufügen. Schon die Grundsätze des Völkerrechtes, an welche die deutsche Regierung sich zu halten gewillt war, standen dem entgegen. Wenn durch überseeische Zufuhr die der deutschen Wirtschaft fehlenden Rohstoffe hätten beschafft werden können, so erübrigte sich die Beschlagnahme in Feindesland vollkommen. Nichts wäre der Reichsleitung willkommener gewesen.

Auch einer der Grundgedanken der deutschen Kriegswirtschaft, Arbeiter zu sparen, um mehr Soldaten verfügbar zu machen, mußte auf diesen Weg hinweisen, da die Ausnutzung feindlichen Landes trotz der vielen einheimischen Arbeiter eine beträchtliche Kopfmenge an Aufsichtspersonen erforderte. Letzterer Umstand sprach besonders bei der Gewinnung des Holzes mit.

Da aber die See für die deutsche Zufuhr hermetisch gesperrt war, blieb nur die Wirtschaftsnotwehr übrig.

Es war klar, daß alle Güter, die in Belgien selber gewonnen werden konnten, der deutschen Kriegswirtschaft, also auch Volkswirtschaft zugute kamen und diese entlasteten, und es gab kaum irgendwelche Rohstoffe oder Fabrikate Belgiens, die man nicht an der deutschen Front oder im Inlande gut brauchen konnte.

Es kann nicht im Rahmen dieser Darstellung liegen, alle die zahllosen einzelnen Werte zu behandeln, die in Belgien zum deutschen Nutzen gewonnen wurden. Es müssen zunächst die wichtigsten derjenigen Dinge erwähnt werden, [29] deren Gewinnung im unmittelbarsten Interesse der Truppen an der Front lag und die daher auch am unmittelbarsten der Bewirtschaftung durch militärische Dienststellen unterlag. Hierzu muß man die Pferdeaushebung, die Holzgewinnung, die Schotter- und Kiesausbeutung und die Einrichtung von Fabriken und Werkstätten für militärische Kampfmittel rechnen. Ferner sind erwähnenswert die zahlreichen militärischen Einrichtungen aller Art, die zwar im Gebiete des Generalgouvernements entstanden, ihm aber gar nicht oder nur lose in wirtschaftlicher Beziehung angegliedert waren und nicht zu den schon besprochenen Verkehrseinrichtungen zählten.

Eine der ersten in die Augen springenden Notwendigkeiten war die Ausnutzung des belgischen Pferdebestandes.

Belgien besaß zwar nicht die in Deutschland in vielen Provinzen blühende militärisch so wertvolle Halbblutzucht; das belgische Militärpferd, soweit es nicht schweren Schlages war, stammte meist aus England. Im Lande waren zwar einige leistungsfähige und berühmte Vollblutgestüte, die aber schon zahlenmäßig für Heereszwecke nicht in Frage kamen. Sonst blühte nur die allerdings hervorragende Zucht des schweren belgischen Kaltblüters, jenes massigen, für schwere Lasten auf guten Wegen besonders geeigneten Pferdes, welches in großen Mengen im ganzen Lande vorhanden, die größten Gewichte in langsamster Gangart bewegte. In den Ardennen gab es außerdem eine beschränkte Aufzucht eines schweren Pferdes, welches bei großer Härte und Leistungsfähigkeit auch in schnelleren Gangarten sehr brauchbar war, das Ideal eines Artilleriezugpferdes.

Der Gesamtpferdebestand in Belgien war zahlenmäßig groß. Für militärische Zwecke unbrauchbar waren aber die zahlreichen Pferde, welche in den Kohlenbergwerken, zum Teil unter Tage verwendet wurden, so daß von der statistisch vorhandenen Zahl beträchtliche Abstriche gemacht werden mußten.

Beim ersten Durchzuge der deutschen Truppen waren selbstverständlich viele Pferde aus dem Lande mitgegangen, sei es als Ersatz für gefallene oder im Austausch für kranke und unbrauchbare der Truppen oder schließlich zur Aufstellung für neue notwendige Formationen. Als die erste Flut verrauscht war, blieben aber immer noch so viele Pferde im Lande, daß im umfangreichen Maße darauf zurückgegriffen werden konnte.

Das Generalgouvernement richtete dementsprechend zahlreiche Pferdedepots ein, welche die Aushebung der nötigen Pferde gegen Bescheinigung, später gegen Barzahlung besorgte. Die Pferde wurden gegen angemessene Taxpreise übernommen, die allerdings weitaus nicht denen entsprachen, welche die Belgier glaubten verlangen zu können.

Bei der Aushebung wurde trotz aller Gründlichkeit durchaus Rücksicht auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft genommen, die, wie noch gezeigt werden wird, für die deutsche Verwaltung von der größten Wichtigkeit war, sowie auf die [30] Treidelschiffahrt und den nötigen Fuhrpark des Comité National, von welchem später die Rede sein wird. Daß die belgische Pferdezucht durch die Aushebung geschädigt wurde, ist natürlich, aber nicht annähernd in dem Maße, wie es von feindlicher Seite behauptet wurde. So wurden z. B., als es sich als notwendig erwies, auch Hengste auszuheben, besonders gute Zuchthengste in großer Zahl zurückgestellt, gerade mit Rücksicht auf Belgiens Pferdezucht. Die Zahl der dem deutschen Heere zugeführten Pferde ging in die Hunderttausende. Auch für die deutsche Heimat wurden militärisch nicht brauchbare Pferde ausgehoben und der Landwirtschaft gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt.

Schon frühzeitig hatte sich die Wichtigkeit der Brieftaube zu Meldezwecken gezeigt. Der besonders blühende und leistungsfähige belgische Brieftaubensport konnte während des Krieges mit Rücksicht auf den feindlichen Nachrichtendienst natürlich nicht geduldet werden; er wurde aber nicht etwa vernichtet, sondern nur entsprechend beschränkt, dagegen die geeignete Nachzucht für eigene Zwecke beschlagnahmt und verwendet.

Als dann auch der Meldehund seinen Wert in der Kriegführung bewiesen hatte, konnten Tausende dieser Tiere in Belgien für deutsche Zwecke ausgehoben werden. Diese Maßregel ging dem Belgier, welcher dem Hunderennsport ganz besonders ergeben ist, sehr nahe.

Als eines der wichtigsten Hilfsmittel des Stellungskrieges war das Holz anzusehen. Beim Stellungs- und Barackenbau und für tausend andere Zwecke wurden ungeheure Holzmassen gebraucht.

Selbstverständlich nahm man dieses Holz, wo man es fand. Wenn nun auch in den Argonnen, den französischen Ardennen und an anderen Stellen Nordfrankreichs sich viel brauchbares Bauholz fand, so genügte es doch nicht annähernd den Anforderungen der Front. Transporte aus Deutschland mußten wegen der Entlastung der Eisenbahnen soweit wie möglich vermieden werden. Es mußte also auf die belgischen Wälder zurückgegriffen werden. In den nördlichen, hauptsächlich Ackerbau treibenden Landesteilen war nicht viel zu holen, aber die Karte zeigte in den südwestlich der Maas und Sambre liegenden Gegenden ungeheure Forsten. Nur entsprach die Menge des wirklich schlagbaren Holzes nicht der Größe der Wälder. Die belgische Forstwirtschaft war eine andere wie in Deutschland. Schälwaldungen in riesigem Umfange fanden sich in den Ardennen, und die großen Bestände, die man in Belgien als Grubenholz verwendete, ließ man nicht alt werden, weil aus technischen Gründen die belgischen Gruben nur Holz von schwächeren Maßen verwenden konnten.

So fanden sich denn nicht allzu viele wirklich nutzbare Waldungen, deren Ausbeutung schleunigst in Angriff genommen wurde. Die schönsten Stämme fand man in den zahlreichen Parks und an den großen Chausseen. Es war nicht möglich, ganz auf ihre Ausnutzung zu verzichten. Aber aus ästhetischen Gründen wurden die größten Rücksichten genommen, die sich mit der Kriegs- [31] notwendigkeit irgend verbinden ließen. Manche Deutsche fanden sogar, daß diese Schonung zu weit ginge. Dies ist aber unrichtig, denn was die Front brauchte, hat sie stets erhalten. Hätte der Krieg länger gedauert, dann hätten allerdings auch diese geschonten Bestände angegriffen werden müssen.

So manchem dieser Parks oder Wälder mit dem wunderbaren Baumwuchs ist diese deutsche Bewirtschaftung sogar gut bekommen, wenn die häufig engen Bestände durch Ausholzen Licht und Luft bekamen. Als ein Beispiel sei nur der Wald von Soignes, dicht bei Brüssel, angeführt, dem man die Herausnahme von vielen Tausenden von Eisenbahnschwellen aus seinem herrlichen Buchenbestande nicht anmerken konnte.

Die Entnahme des Holzes lag den für diesen Zweck eingesetzten militärischen deutschen Forstämtern ob; preußische, bayerische, sächsische, badische Oberförster waren die Leiter; aus Holzarbeitern, besonders bayerischen Holzknechten, gebildete Forstwirtschaftskompagnien lieferten die Vorarbeiter, und Belgier besorgten, blutenden Herzens zwar, aber eifrig die Arbeit, weil sie ja im Akkord arbeiteten. Die Einrichtung von zahlreichen Waldbahnen, großen Sägewerken und sonstigen Holzverwertungsanstalten war selbstverständlich.

In demselben Umfange wie Holz wurden auch die anderen für den Stellungsbau nötigen Baustoffe gewonnen. Es entstanden Zementfabriken, militärische Eisenwerke, die Stacheldraht, Hindernispfähle und alles nur erdenkliche Eisengerät herstellten und die heimatlichen Werke außerordentlich entlasteten.

In ganz besonders großem Umfange wurden aber die Steinbrüche und die Kieslager ausgenutzt, um den Straßenbau und die Betonbauten an den Fronten versorgen zu können. Die zunächst nur für den eigenen Bedarf arbeitende Baudirektion entwickelte sich bald zu einem Lieferanten größten Stils, welcher mit deutschen Maschinen und vielen Kriegsgefangenen Hunderttausende von Tons monatlich an die Front abfahren konnte. Die günstige Lage der meisten dieser Werke an Flüssen und Kanälen diente zu einer außerordentlichen Entlastung der Eisenbahnen. Die Ausdehnung dieser Betriebe führte bald zu einem innigen Zusammenarbeiten mit ähnlichen Unternehmungen, welche die Bergbehörden der Zivilverwaltung zu ursprünglich anderen Zwecken schon im Gange hatten.

Soweit wie möglich wurde auch die Anfertigung von Waffen und Munition ins Auge gefaßt. Solange noch Rohstoffe vorhanden waren, arbeiteten die staatlichen Pulverfabriken, und auch die zahlreichen bei Lüttich gelegenen großen Fabriken für Handfeuerwaffen wurden ausgenutzt, soweit es ging. Eine Schwierigkeit lag hierbei darin, daß der Belgier für diese offensichtlichen Kriegszwecke nur ungern arbeiten wollte, was man ihm natürlich nicht verdenken konnte. Es mußte hier mehr auf den deutschen Waffenarbeiter zurückgegriffen werden, der sich unter den Besatzungstruppen befand. Was mit diesen Kräften z. B. auf dem Gebiet der Wiederherstellung und Anpassung von erbeutetem Maschinengewehrgerät geleistet werden konnte, ist staunenswert.

[32] Belgien besaß eine blühende Automobilindustrie, wie es ja der Reichtum des Landes und die überaus günstigen Straßenverhältnisse mit sich brachten. Die Ausnutzung dieses neuartigen Kriegsmittels ließ sich das Generalgouvernement besonders angelegen sein. Der zivile Kraftwagenverkehr wurde auf einige wenige, ganz bestimmte Ausnahmefälle beschränkt, die geeignetsten Fabriken von der militärischen Kraftfahrstelle selber in Betrieb genommen und mit den vorgefundenen Roh- und Betriebsstoffen eine rege Tätigkeit entfaltet. So entstanden unter anderem die umfangreichen Reparaturwerkstätten für den größten Teil der Armeen der Westfront in Brüssel und Charleroi.

Es wurde hier möglich, zahlreiche Lastkraftwagenkolonnen neu aufzustellen, z. B. für die in Kleinasien und Palästina verwendeten deutschen Truppen. Auch die Verrichtung von Lastkraftwagen zum Transport von Feldgeschützen zu einer Zeit, als der Pferdemangel an der Front bedrohlich wurde, konnte im Kraftwagenpark in Brüssel vorgenommen werden. Mehrere Regimenter der Heeresartillerie wurden auf diese Weise neu ausgerüstet.

Auch die Wiederherstellung der ersten erbeuteten, aber meist beschädigten englischen Tanks fand in einer besonders dafür eingerichteten Werkstatt in Charleroi statt. Für Neufertigung hätten die Rohstoffe, nicht aber die Fähigkeiten und sonstigen Möglichkeiten gefehlt.

Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Leistungsfähigkeit der Einrichtungen des Generalgouvernements es diesem gestatteten, die Ausnutzung derjenigen Stoffe, welche die deutsche Kriegswirtschaft brauchte, besonders der sogenannten Massengüter, selber zu übernehmen, war ein besonderer Kommissar des preußischen Kriegsministeriums eingesetzt. Bald erwies sich dessen Tätigkeit als überflüssig, so daß diese Dienststelle eingezogen werden konnte.

Aber die Mitwirkung einer anderen, dem Generalgouvernement nicht unterstehenden Dienststelle wurde bald nötig. Die Ausnutzung der besetzten Gebiete in den Etappen, also besonders Nordfrankreichs, war Sache des Generalquartiermeisters im Großen Hauptquartier. Bei der räumlichen Ausdehnung der deutschen Kriegsschauplätze war eine Unterteilung dieser Dienststelle nötig. Und so wurde denn der Beauftragte des Generalquartiermeisters für die Westfront mit dem Sitze in Charleville geschaffen. Ihm lag die Aufnahme der Fühlung und die Verbindung mit den Wirtschaftsbehörden des Generalgouvernements ob. Auf diese Weise konnte der Austausch von Rohstoffen und Fabrikaten zwischen den verschiedenen Gebieten und die zweckmäßige Verteilung geregelt werden. So war z. B. die Einfuhr von großen Mengen von Eisen aus den lothringischen Werken zur Versorgung der deutschen Metallindustrie in Belgien nötig, weil dieser Rohstoff hier fehlte. Andererseits waren die belgischen Kohlen in Nordfrankreich dringend erforderlich. Diese Beziehungen führten auch dazu, daß dem "Beauftragten" einige Werke, die er für seine Zwecke selber brauchte, im Gebiet des Generalgouvernements [33] überlassen wurden. Mit dieser Behörde stand das Generalgouvernement stets in den besten Beziehungen.

Die vielfach günstigen, von Außenstehenden aber häufig noch viel mehr überschätzten Verhältnisse in Belgien führten oft dazu, daß auch andere Behörden versuchten, sich mit oder ohne Genehmigung im Lande anzusiedeln. Es kam dazu, daß im Laufe der Zeit eine sehr große Anzahl wichtiger und umfangreicher militärischer Einrichtungen mit Zustimmung des Generalgouvernements auf belgischem Boden untergebracht wurden.

Die Kriegsnotwendigkeit zwang dazu, viele Truppenteile hinter der Front teils neu aufzustellen, teils mit den neuen Kampfverfahren bekannt zu machen, oder ihre Ausbildung zu vervollkommnen. Dies konnte einerseits nicht im Bereich des weitreichenden feindlichen Artilleriefeuers geschehen, mußte aber andererseits zur Verminderung und Beschleunigung der nötigen Transporte in möglichster Nähe der Kampfzonen stattfinden.

Die guten Unterbringungs- und Ausbildungsmöglichkeiten in Belgien boten sehr große Vorteile für die Einrichtung von Übungsplätzen. Um nur einige der wichtigsten zu nennen, seien die Feldartillerieschießschule in Ciney, der Maschinengewehrausbildungsplatz in Tongern, die Fliegerbeobachterschule in Diest, die Fliegerschießschule in Genck, der Fußartillerieschießplatz in Namur, die Nachrichtenmittelschule ebendaselbst erwähnt, lauter Übungsplätze, die viele Quadratmeilen oft des besten Landes beanspruchten. Mehrfach kam es auch vor, daß ganz plötzlich größere oder kleinere Organisationen aufgedeckt wurden, welche von benachbarten Armeen in aller Heimlichkeit eingerichtet worden waren.

Als die Bildung des Kriegsamtes in Berlin erfolgte, war auch die Einsetzung einer Kriegsamtsstelle in Brüssel zwar nicht gesetzlich, aber aus Zweckmäßigkeitsgründen in Aussicht genommen. Sie war gedacht als eine Stelle, welche der Vermittlung zwischen dem Kriegsamt und dem Generalgouvernement dienen, die gegenseitigen Wünsche und Bedürfnisse mitteilen und für den Ausgleich sorgen sollte. Als diese Stelle aber bald anfing an Überorganisation zu leiden, sich zu einem Kontrollorgan zu entwickeln, unberechtigte Eingriffe vornehmen wollte, sich als Schädling erwies, wurde sie auf Verlangen des Generalgouvernements schleunigst zu einem sehr geringen noch zulässigen Umfang abgebaut.

So wie in diesem Falle mußte überhaupt streng darauf gehalten werden, daß außenstehende deutsche Behörden sich im Generalgouvernement keine eigenen Befehlsbefugnisse aneignen konnten. So wurden z. B. auch die Anforderungen, welche seitens des "Wumba"1 an die Lieferung von belgischen Maschinen zur Waffen- und Munitionsherstellung gestellt wurden, nur im Einvernehmen mit dem Generalgouvernement und durch dessen Behörden erfüllt.

[34] Die zum Generalgouvernement gehörende Dienststelle des Generals der Fußartillerie besorgte die Beschlagnahme von Waffen, Maschinen, Metallen usw. in ähnlicher Weise, wie dies in Deutschland geschah. Die Einsammlung der sogenannten Sparmetalle, Kupfer, Messing, Nickel usw., die aus sogenannten Hausgeräten stammten, fand nach denselben Gesichtspunkten statt, wie in der Heimat. Dieselben Proteste, Klagen, Verheimlichungen wie dort zeigten sich hier in verstärktem Maße, konnten aber natürlich noch weniger Berücksichtigung finden.

Alle diese Betriebe und Organisationen waren im höchsten Maße auf die Mitwirkung der belgischen Arbeiter eingestellt. Die Hunderttausende, die man brauchte, fanden und bewährten sich. Durch die Einwirkungen des Krieges, die mangelnde Rohstoffzufuhr, waren viele Industrien zum Erliegen gekommen, die Arbeitslosigkeit war erschreckend; Hunderttausende feierten. Viele von ihnen begnügten sich mit der kargen Unterstützung, welche die belgischen Organisationen ihnen reichten; aber viele andere begehrten Arbeit.

Mit dem Personenwechsel in der deutschen Obersten Heeresleitung im Herbst 1916 war auch eine Wandlung in den Anschauungen über die Notwendigkeiten der Kriegführung eingetreten. Das Hindenburgprogramm erforderte ungeheure Leistungen und zahllose Arbeitskräfte. In Deutschland waren sie nicht mehr vorhanden, wenn man seine Heere nicht zu sehr schwächen sollte. Da fiel manchen Mannes Auge auf die Scharen der Arbeitslosen im besetzten Belgien. So kam es zu jener schon damals viel umstrittenen Abschiebung der belgischen Arbeitslosen, welche sich bald als ein gänzlich verfehltes Unternehmen herausstellen und der deutschen Kriegführung moralisch und politisch großen Schaden bringen sollte.

In wessen Kopf der Gedanke, belgische Arbeiter in großen Massen zur Arbeit zwangsweise nach Deutschland zu überführen, zuerst entstanden ist, wird sich schwer einwandfrei feststellen lassen. Soviel bleibt aber sicher, daß der Generalgouverneur Generaloberst Freiherr v. Bissing von Anfang an mit der äußersten Energie sich gegen die Maßregel wehrte und fast prophetisch auf die üblen Folgen hinwies.

Es ist allerdings richtig, daß in einer seiner Denkschriften, die auch in die Hände der obersten deutschen Reichsbehörden gelangte, der Gedanke ausgesprochen worden war, der großen Arbeitslosigkeit in Belgien durch Arbeitszwang zu steuern, wozu die Regierung auch nach belgischem Gesetz berechtigt war. Es bestand nämlich eine gesetzliche Bestimmung im Lande, nach welcher Arbeitslose, die sich weigerten, eine ihnen angebotene angemessene Arbeit auszuführen, dazu gezwungen werden konnten. Gemeint war aber sinngemäß nur Arbeit in Belgien und nicht zum Nutzen des Feindes.

Auf dieser Bestimmung fußend, wurde das Ersuchen an den Generalgouverneur gerichtet, 200 000 Arbeiter zwangsweise nach Deutschland schaffen [35] zu lassen, denn er hatte die Arbeitslosenziffer schätzungsweise auf mehrere hunderttausend abgegeben. In den Etappengebieten, wo die Befehlsgewalt des Generalgouvernements aufhörte, genügte die Anordnung des Generalquartiermeisters zur Aufstellung von militärisch organisierten Arbeiterbataillonen. Diese sollten nun allerdings nicht in Deutschland, sondern in den Etappengebieten selber verwendet werden, hier aber zu ganz offensichtlicher Kriegsarbeit, nämlich zum Stellungs-, Eisenbahn- und Straßenbau.

Die Stellungnahme des Generalgouverneurs gegen die Abschiebung wurde erst erschüttert, als ihm von den sachverständigsten Persönlichkeiten der Industrie die Notwendigkeit der Arbeitergestellung dargelegt und von den verschiedensten Seiten ohne sie ein ungünstiger Ausgang des Krieges mit Sicherheit in Aussicht gestellt wurde.

Daraufhin erließ der Generalgouverneur die nötigen Befehle. Es sollten natürlich nur Arbeitslose, die für die betreffende Arbeit geeignet seien, ausgehoben werden, nachdem sie vorher auf ihren Gesundheitszustand untersucht worden waren.

Da die deutsche Militärverwaltung keine genaue Statistik über die Leute haben konnte, mußte die Mitwirkung der belgischen Gemeindeverwaltungen beansprucht werden. Sie hatten Listen, in denen die Leute verzeichnet waren, die wegen Arbeitslosigkeit Unterstützungen erhielten.

Aber die Aufforderung, diese Listen herauszugeben, wurde nur in ganz seltenen Fällen befolgt; die meisten Gemeindebehörden weigerten sich mit der Behauptung, diese Listen gehörten der später zu erwähnenden großen Organisation des Comité National, welches unter dem diplomatischen Schutze der neutralen Gesandten stand. Auch mit Gewalt war unter diesen Umständen nichts zu machen.

Es blieb den deutschen Kreischefs nichts anderes übrig, als nach eigenem Ermessen, den Angaben der Meldeämter usw., die Auswahl der Arbeitslosen vorzunehmen. Natürlich kamen nun viele Mißgriffe vor, denn die Bevölkerung leistete passiven Widerstand; viele Gemeindebehörden betätigten sich sogar in der Weise, daß sie die politischen Widersacher in ihren Gemeinden als arbeitslos bezeichneten, um sie loszuwerden.

Von seiten der Obersten Heeresleitung wurde dauernd auf die baldige Gestellung der Leute gedrängt, und so wurden denn in kurzer Frist etwa 60 000 Männer nach Deutschland in große Verteilungsstellen abgesendet, aus denen die deutschen Werke sich die nötigen Arbeiter heraussuchen sollten.

Ein Widerstand seitens der Bevölkerung erfolgte nur durch Proteste und unzählige Klagen. Wo der Abtransport gut organisiert war, die Eisenbahnzüge in der gerade herrschenden kalten Jahreszeit geheizt und für Verpflegung, wie vorgeschrieben, gesorgt war, ergaben sich keine Schwierigkeiten. Diese begannen erst in Deutschland.

[36] Die meisten der Leute weigerten sich dauernd, Arbeit anzunehmen, obwohl ihnen der sehr hohe Lohn der deutschen Arbeiter und allerlei sonstige Erleichterungen gewährt wurde und sie ganz zweifellos in jeder Beziehung sehr viel günstiger gestellt waren als in ihrer Heimat. Sehr viele waren für die Arbeit ganz ungeeignet; auch waren seitens der deutschen Behörden in der Heimat manche unpraktische Anordnungen getroffen worden, um die Leute zur Arbeitsaufnahme zu veranlassen, und so war denn das Ergebnis ein recht mäßiges. Im ganzen arbeiteten etwa 30 000 Mann in Deutschland. Die übrigen wurden entweder bald auf die Reklamationen bei den deutschen Behörden in Belgien zurückgeschafft, nachdem in jedem einzelnen Fall bewiesen war, daß der betreffende Mann fälschlich als arbeitslos bezeichnet oder überhaupt gar nicht als Arbeiter zu bezeichnen war. Die dann immer noch beträchtliche Anzahl, die nicht arbeitend in Deutschland blieb, wurde nach etwa einem halben Jahr auf ausdrücklichen Befehl des deutschen Kaisers in die Heimat entlassen, als die schädlichen Folgen des ganzen Verfahrens offensichtlich wurden.

Denn die Maßregel hatte ein ungeheures Aufsehen gemacht. Selbstverständlich hatte die feindliche Propaganda sich der Angelegenheit bemächtigt und sie über Gebühr unter willkürlicher Ausschmückung mit erfundenen oder übertriebenen Einzelheiten aufgebauscht. Die Folge waren geharnischte Proteste, Vorstellungen, politische Noten seitens der bis dahin neutralen Mächte und des Papstes an die deutsche Regierung, welche dieser die größten Schwierigkeiten bereiteten. Das gute Verhältnis mit Holland und Spanien wurde auf längere Zeit getrübt. Auch in Deutschland fanden die Belgier in weiten Kreisen Sympathie, die oft über diejenige hinausging, die den eigenen Volksgenossen dargebracht wurde.

Die ganze Angelegenheit war ein Schlag ins Wasser. Der Schaden überwog den Nachteil bei weitem. Die wenigen tausend Leute, welche freiwillig in Deutschland blieben, hatten sich nicht zu beklagen; ihre Arbeitskraft war geschätzt, wenn sie auch nicht an die des deutschen Arbeiters heranreichte.

Dagegen bewährte sich eine andere Organisation recht gut. Schon bald nach der Besetzung wandte sich die westdeutsche Großindustrie an den Generalgouverneur mit der Bitte, die Anwerbung freiwilliger Arbeiter für deutsche Fabriken zu gestatten. Dagegen war nichts einzuwenden. So entstand denn in Brüssel das Deutsche Industriebureau mit Filialen in vielen anderen Orten, welches eine private Einrichtung war, aber sich der Förderung und Begünstigung der deutschen Behörden im höchsten Grade erfreute.

Der nicht gezwungene belgische Arbeiter erkannte auch die ihm in Deutschland gebotenen Vorteile, hohen Lohn, gute Verpflegung, Urlaub, Unterstützung seiner in Belgien bleibenden Familie bald an, und so hinderte ihn sein Patriotismus keineswegs, die Arbeit, auch sogenannte Kriegsarbeit, in Deutschland gern zu suchen.

[37] Das Industriebureau hat im Laufe der Zeit über 100 000 männliche und weibliche Arbeitskräfte nach Deutschland vermittelt, ohne der deutschen Verwaltung besondere Kosten zu verursachen oder sonstige Klagen hervorzurufen.


Militärische Sanitätseinrichtungen.

Die großen Hilfsmittel eines so reichen Landes wie Belgien kamen auch der Gesundheitspflege für die deutschen Heere zugute. Das Nächstliegende war die Einrichtung von Lazaretten für die Verwundeten und Kranken der deutschen Riesenheere. Schon die Augustschlachten 1914 brachten starke Belegung aller vorhandenen Krankenanstalten, und im weiteren Verlauf des Krieges lagen große Teile der Fronten auf belgischem Boden oder so nahe, daß weite Eisenbahntransporte erspart werden konnten. So wurden denn in allen größeren Städten umfangreiche Einrichtungen nötig, die zur Entlastung der Heimat dienten und schnelle Zuführung der Wiederhergestellten zur Truppe möglich machten.

Auch sehr große Genesenenheime fanden in Belgien Platz. Das bedeutendste war dasjenige, welches in Spa für den größten Teil der Typhus- und Ruhrrekonvaleszenten der ganzen Westfront eingerichtet wurde. Dieser luxuriöse, internationale Badeort war infolge des Krieges gänzlich verödet und bot mit seinen vielen Hotels und sonstigen bequemen Unterkunftsmöglichkeiten die denkbar günstigsten Verhältnisse für viele Tausende von Genesenen zu einer stärkenden Nachkur.

Als dann das Große Hauptquartier im letzten Kriegsjahr nach Spa gelegt werden mußte, wurde die Auflösung dieses großen Genesungsheims in andere Heilanstalten nötig. Eine ähnliche Einrichtung, aber kleineren Maßstabes, entstand im Lager Beverloo.

Eine große, infolge der Kriegsunruhen leer gewordene Erziehungsanstalt in Malonne bei Namur nahm eine Heilstätte für Verletzte auf, welche durch die Schrecknisse des Krieges geistig geschädigt worden waren.

Schon sehr bald nach der Einrichtung der deutschen Militärbehörden wurde die Ausrüstung von Verwundeten- und Krankenzügen in Angriff genommen. Eine sehr große Anzahl konnte in einigen Monaten gebildet und dem Chef des Feldsanitätswesens zur Verfügung gestellt werden. Bis zum Januar 1915 waren es bereits 20 an der Zahl.

Nach der Eroberung von Antwerpen konnten die dort vorgefundenen ungeheuren Vorräte der Festungslazarette und Hafenspeicher ausgenutzt werden, um ein Hauptsanitätsdepot großen Umfanges einzurichten, welches bis zum Kriegsende einen sehr großen Teil des Bedarfes der Westfront an Verband- und Heilmitteln lieferte.

Wie soeben erwähnt wurde, kam im letzten Kriegsjahre auch das deutsche Große Hauptquartier mit seinen zahlreichen Dienstzweigen im Bereich des Generalgouvernements unter, so daß auch die wichtigen und einschneidenden [38] Ereignisse beim Ausbruch der deutschen Revolution 1918 auf belgischem Boden stattfanden. Der Schwerpunkt des Krieges an der Westfront hatte sich bei Kriegsende offensichtlich immer mehr nach dem nördlichen Flügel verlegt, so daß es zweckmäßig erschien, auch die Oberste Heeresleitung mehr diesem Flügel zu nähern. Es kam hinzu, daß der bisherige Unterbringungsraum des Großen Hauptquartiers Bingen - Kreuznach - Münster am Stein von der dauernden Belegung entlastet werden mußte, schließlich nicht zum wenigsten die Bedrohung der Orte durch Fliegerangriffe, welche bei der nicht großen Entfernung der feindlichen Front häufig stattfanden. Alle diese Nachteile mußten in Spa fortfallen; tatsächlich hat hier auch nie ein Fliegerangriff stattgefunden, wohl weil er wegen der sehr zerstreuten Bauart des Badeortes und des örtlichen Schutzes nur wenig Aussicht auf Erfolg hatte.

Spa mit seiner weiteren Umgebung und ein Teil von Verviers wurden zu einem besonderen Verwaltungs- und Bewachungsbezirk gemacht, da wegen der besonderen Verhältnisse ein mehrfaches Abweichen von den sonstigen wirtschaftlichen und Überwachungsbestimmungen des Generalgouvernements nötig wurde.

Alle Dienststellen des Großen Hauptquartiers konnten sehr bequem untergebracht werden, und die schöne landschaftliche Umgebung erleichterte seinen Mitgliedern die Erholung in der karg zugemessenen Ruhezeit. Daß für die Behörden des Generalgouvernements infolge der geringen räumlichen Entfernung leichte Gelegenheit zur persönlichen Erledigung wichtiger dienstlicher Fragen bestand, war eine große Annehmlichkeit.


1 [1/33]Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte