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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

[540] Kapitel 7: Die Militärapotheker
Stabsapotheker Dr. Rudolf Hanslian

1. Einleitung.

Mit dem Begriff "Militärapotheker" ist häufig die Vorstellung verknüpft, daß es sich um Organe des Militärsanitätswesens handelt, deren Tätigkeit im wesentlichen eine reine pharmazeutische ist, die also ihren Schwerpunkt in die Apotheke ober in das Laboratorium verlegt und hier lediglich in der Zubereitung von Arzneimitteln besteht. Eine derartige Anschauung ist für den Militärapotheker jedoch nur zum kleinsten Teile zutreffend. Abgesehen davon, daß seine Tätigkeit sehr viel umfassender ist und sich keineswegs nur im Rahmen des Sanitätsdienstes abspielt,1 ist auch seine Betätigung auf pharmazeutischem Gebiet doch von der des praktischen Apothekers recht wesentlich verschieden. Es wird dies auch ohne weiteres verständlich, wenn man bedenkt, daß es galt, diesen Beruf der Eigenart eines Heerwesens anzupassen, ihn für die Friedensversorgung von 25 Armeekorps in zweckentsprechender Weise dienstbar zu machen, ihn vorzubereiten für die Versorgung eines Millionenheeres im Kriegsfall.

Für diese Aufgaben standen der Heeresleitung in Friedenszeiten etwa 60 aktive Militärapotheker (Oberstabs-, Korpsstabs- und Stabsapotheker) zur Verfügung. Hierzu traten als Hilfsarbeiter jährlich 400 - 500 einjährig-freiwillige Militärapotheker und Unterapotheker, von denen die ersteren eine sechsmonatige Dienstzeit, die letzteren eine sechswöchige Übung abzuleisten hatten. Für den Mobilmachungsfall war schließlich eine Reserve von zunächst etwa 2000 Stabs- und Oberapothekern des Beurlaubtenstandes vorhanden.

Im Felde waren bei Kriegsausbruch an Stellen für Militärapotheker vorgesehen:

        1 Korpsstabsapotheker bei jedem Generalkommando und jeder Etappeninspektion,
        1 Stabsapotheker und 5 Oberapotheker bei jedem Etappensanitätsdepot,
        1 Stabsapotheker und 1 - 3 Oberapotheker bei jedem Sammelsanitätsdepot,
[541]   1 Oberapotheker bei jeder Sanitätskompagnie und jeder Reservesanitätskompagnie,
        1 Oberapotheker bei jedem Feldlazarett und Reservefeldlazarett,
        3 Oberapotheker bei jeder Kriegslazarettabteilung.

Im Heimatgebiet waren Militärapotheker während des Krieges tätig: im Kriegsministerium (Sanitätsdepartement und Abteilung für Volksernährungsfragen), bei den stellvertretenden Generalkommandos (Sanitätsämtern), beim medizinischen Untersuchungsamt der Kaiser-Wilhelm-Akademie, bei der Materialienprüfungsstelle des Bekleidungsbeschaffungsamts und der Bekleidungsprüfungskommission, bei den Hauptsanitätsdepots Berlin und München, bei den Sanitätsdepots und chemischen Untersuchungsstellen der verschiedenen Korpsbereiche, bei der Zentralbeschaffungsstelle für Webwaren Berlin, beim Hauptgasschutzlager, Gasmaskenprüfungsstelle und Sauerstoffabfüllstationen, beim zahnärztlichen Institut der Universität Berlin, beim Hauptveterinärdepot, bei allen größeren Reservelazaretten, sowie nach Bedarf bei Festungsgouvernementsstäben und Festungslazaretten. Im ganzen sind während des Krieges etwa 1900 Militärapotheker im Felde und etwa 1600 im Heimatgebiet tätig gewesen. Die Stellenbesetzung sowie die Sicherstellung des Bedarfs regelte das Sanitätsdepartement des Kriegsministeriums.


2. Tätigkeit im Sanitätsdienst.

Zur Erhaltung der Schlagfertigkeit des Feldheeres ist ein dauernder Nachschub von Sanitätsmitteln erforderlich. Täglich, ja stündlich wurde in diesem Kriege nahezu an jedem Abschnitt der Front sowie in jeder Sanitätsdienststelle des Operations- und Etappenraumes ein gewisser Teil der Sanitätsausrüstung verbraucht, der umgehend ersetzt werden mußte. Sollte dieser Nachschub schnell und reibungslos vor sich gehen, so durfte an keiner der beteiligten Dienststellen auch nur vorübergehend ein Stocken eintreten.

Es war zunächst Aufgabe der Militärapotheker beim Sanitätsdepartement des Kriegsministeriums, für die Sicherstellung des Bedarfs der gesamten Sanitätsausrüstung während der Kriegsjahre Sorge zu tragen. Hierzu wurde es bald notwendig, in eine Bewirtschaftung der Arzneimittel, Drogen und Chemikalien einzutreten, ihre Aus- und Einfuhr zu regeln und teilweise eine Beschlagnahme und Kontingentierung mit anschließender Verteilung nach Bedarf vorzunehmen. Auch Sparmetalle und Schwarzblech für Sanitäts- und Gasschutzgerät mußte dieser Bewirtschaftung unterzogen werden. Eine weitere, überaus wichtige Tätigkeit der Militärapotheker im Sanitätsdepartement lag darin, die planmäßigen Sanitätsmittel sowohl der veränderten Rohstofflage, wie auch den verschiedenen Kriegsschauplätzen und schließlich auch den neugewonnenen Kriegserfahrungen ständig anzupassen.

[542] Im übrigen war es die Aufgabe der Sanitätsdepots im Heimatgebiet, die sich während des Krieges zu umfangreichen und vielseitigen Arbeitsstätten ausbauten, nach den Anordnungen des Sanitätsdepartements durch Ankauf sowie durch Herstellung im eigenen Betriebe den erforderlichen Sanitätsmittelersatz zu beschaffen. Nur der unmittelbare Ankauf von Verbandstoffen, der in der ersten Zeit des Krieges bei Verbandstoffabriken und Großhändlern erfolgt war, mußte infolge der bedrohlichen Rohstofflage und der damit verbundenen Preissteigerungen bald untersagt werden. Die Beschaffung wurde von der Kriegsrohstoffgesellschaft der Zentralbeschaffungsstelle für Webwaren, einer selbständigen, unter militärpharmazeutischer Leitung stehenden Abteilung des Hauptsanitätsdepots Berlin übertragen, die immer größeren Umfang annahm. Auch die Sanitätsdepots wuchsen sich immer weiter zu großen Betriebsstätten aus; sie vereinigten schließlich in sich Großdrogenlager, pharmazeutisch-chemische Fabriken, Verbandstoffabriken, Lager ärztlicher und zahnärztlicher Geräte und Ledergroßlager für orthopädische Zwecke. Durch kaufmännisches Geschick beim Wareneinkauf, durch zweckmäßigen Ausbau und Ausgestaltung des Depots selbst, durch Selbstanfertigung zahlreicher Zubereitungen ersparten sie einerseits der Heeresverwaltung große Summen und bewirkten andererseits einen schnellen und einwandfreien Ersatz des Verbrauchten.

Über das Sammelsanitätsdepot, das als Anfang der Etappe die für sie aus dem Heimatlande eintreffende ärztliche und wirtschaftliche Sanitätsausrüstung aufnahm, sie sichtete und durch Etappenzüge weiterleitete, gelangte der Sanitätsmittelersatz zum Etappensanitätsdepot. Hier wurden die Sanitätsmittel übersichtlich und zweckmäßig gelagert und für den Bedarf des Operationsheeres und der Etappe bereitgestellt. Die Sanitätsdepots im Heimatgebiet, die Sammelsanitätsdepots und Etappensanitätsdepots waren während der ganzen Kriegsjahre die Stätten rastloser Arbeit und Pflichterfüllung. Die Anforderungen, die an die darin beschäftigten Militärapotheker gestellt wurden, überstiegen häufig die Grenzen des Erträglichen.

Die Militärapotheker bei den höheren Kommandostäben (General- bzw. Gruppenkommandos, Etappeninspektionen) hatten die Aufgabe, die Verteilung und den Nachschub der Sanitätsmittel bis zu den Orten des Verbrauchs zu regeln. Während der Korpsstabsapotheker bei der Etappeninspektion die Versorgung innerhalb der Etappe überwachte und gleichzeitig den gewünschten Ersatz bis zu den kämpfenden Korps vorschob, bewirkte anschließend der Korpsstabsapotheker beim Generalkommando die weitere Verteilung und Zuführung im Operationsgebiet. So glatt sich diese Aufgabe im Stellungskriege vollzog, so außerordentlich schwierig gestaltete sie sich im Bewegungsfeldzuge. Bereits beim Vormarsch 1914, wie auch bei den großen Bewegungen im unwegsamen Osten und im gebirgigen Serbien traten ganz außerordentliche Schwierigkeiten im Sanitätsmittelnachschub zutage, die nur durch Hingabe aller Beteiligten [543] behoben werden konnten. Auch die großen Angriffe an der Westfront aus dem dreijährigen Stellungskriege verlangten einen geradezu riesigen Sanitätsmittelnachschub, der nur unter größten Schwierigkeiten bewirkt werden konnte. In gleichem Maße schwierig war auch die Nachschubfrage auf den fremden Kriegsschauplätzen. In Sofia und Konstantinopel, in Aleppo und Mosul, in Bagdad und Jerusalem, an der Bagdadbahn und in der Sinaiwüste, überall standen deutsche Militärapotheker bereit und wußten die besonderen Schwierigkeiten dieser Kriegsschauplätze, die sich der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben entgegenstellten, zu überwinden. In besonders hohem Maße wuchsen sich die Schwierigkeiten der Ersatzbeschaffungen für die Schutztruppe in den Kolonien aus.2

Die Oberapotheker bei den Sanitätskompagnien und Feldlazaretten waren im wesentlichen auf pharmazeutischem Gebiete tätig. An Großkampftagen, an denen Hauptverbandplätze und Lazarette von Verwundeten überschwemmt wurden, traten auch an ihre Umsicht und Leistungsfähigkeit außergewöhnlich große Anforderungen heran. An ruhigeren Fronten fanden sie Zeit, sich nebenamtlich als Gasschutz- oder Verpflegungsoffiziere im Interesse des Ganzen zu betätigen. Als später im Operationsgebiet eigene Korps- und Divisionssanitätsspeicher entstanden, wurden ihre Aufgaben erheblich vermehrt.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich die wesentliche Betätigung der Militärapotheker im Rahmen des Sanitätsdienstes während des Krieges. Sie lag in der Versorgung des Heeres mit Sanitätsmitteln aller Art. Von den Stätten der Erzeugung oder Beschaffung bis zu den Stellen des Verbrauchs lag der gesamte Sanitätsmittelnachschub lückenlos in den Händen der Militärapotheker. Sämtliche Sanitätsdepots in der Heimat, in der Etappe und im Operationsgebiet wurden von Militärapothekern geleitet und geführt. Die einzigen Ausnahmen waren das Hauptsanitätsdepot Berlin, sowie das neuerrichtete Hauptsanitätsdepot in Antwerpen, an deren Spitze bis Kriegsende Chefärzte standen. Aber auch bei diesen Depots waren die eigentlichen Träger des Dienstes die Militärapotheker.


3. Chemische Tätigkeit.

In weitausschauender Weise hatte die Heeresverwaltung bereits im Frieden dafür Sorge getragen, daß die aktiven Militärapotheker neben ihrer pharmazeutischen und verwaltungstechnischen Ausbildung gleichzeitig eine vollwertige chemische Durchbildung aufweisen konnten. Bei der ständig wachsenden Bedeutung der Chemie in allen Zweigen der Heeresverwaltung mußte auch für eine Vertretung dieser Wissenschaft bei den höheren Kommandobehörden [544] (Generalkommandos, Etappeninspektion) und Verwaltungsstellen (Sanitätsamt) im Felde und in der Heimat Sorge getragen werden. Aus diesem Grund war nicht nur für die aktiven Militärapotheker, sondern auch für diejenigen Militärapotheker des Beurlaubtenstandes, die für eine Verwendung in höheren Verwaltungsstellen vorgesehen waren und aus diesem Grunde in den letzten Friedensjahren als Oberapotheker d. R. zu Übungen herangezogen wurden, der Nachweis der Approbation als Nahrungsmittelchemiker vorgeschrieben. Demzufolge waren sämtliche Militärapotheker des aktiven und Beurlaubtenstandes, vom Stabsapotheker an aufwärts, geprüfte Nahrungsmittelchemiker. Ihre Betätigung auf chemischem Gebiete in der Heimat und im Felde gestaltete sich außerordentlich vielseitig.

Im Heimatgebiet befand sich bereits vor dem Kriege in jedem Korpsbereich eine chemische Untersuchungsstelle beim Sanitätsamt. Vorstand war der Korpsstabsapotheker, der die laufenden Arbeiten mit den ihm zugeteilten Militärapothekern ausführte. Diese Einrichtungen blieben auch während des Krieges in vollem Umfange bestehen. Da die aktiven Korpsstabsapotheker sämtlich für Feldstellungen vorgesehen waren und bei Eintritt der Mobilmachung sofort in das Feld rückten, mußten ihre Stellen mit Militärapothekern des Beurlaubtenstandes besetzt werden. Es war nicht immer leicht, geeignete Apotheker mit dem Ausweis als Nahrungsmittelchemiker für diese Posten zu finden. So befanden sich schließlich als Korpsstabsapotheker im Heimatgebiet Apothekenbesitzer, Vorstände von staatlichen und städtischen Untersuchungsämtern, Universitätsprofessoren, Vertreter der Technik, des Großdrogenhandels usw. Sie waren befähigt, sich in die neuartigen Aufgaben schnell einzuarbeiten. Die Anforderungen, die an sie gestellt wurden, waren nicht gering.

Die Untersuchungsstellen in der Heimat hatten die Aufgabe, alle erforderlich werdenden chemischen Untersuchungen auszuführen. Diese erstreckten sich fortlaufend auf die Überwachung und Prüfung der Lieferungen von Nahrungs- und Genußmitteln sowie von Gebrauchsgegenständen. Weiter waren gerichtliche Untersuchungen sowie die im Gesundheitsdienst notwendigen physiologischen und hygienischen Untersuchungen ihre Aufgabe. Schließlich mußten auch viele technische Untersuchungen ausgeführt werden, die von den Bekleidungsämtern, den Intendanturen und den Garnisonverwaltungen verlangt wurden. Neben den Untersuchungsstellen beim Sanitätsamt war ferner die chemische Abteilung des medizinischen Untersuchungsamts der Kaiser-Wilhelm-Akademie vorhanden. Auch bei ihr wurde die wissenschaftliche Tätigkeit ausschließlich von Militärapothekern unter Leitung eines Korpsstabsapothekers ausgeübt. Ihre Betätigung war im wesentlichen eine wissenschaftlich forschende, die zu bearbeitenden Aufgaben wurden ihr vom Kriegsministerium (Medizinalabteilung) gestellt. Auch diese Dienststelle blieb, mit Militärapothekern des Beurlaubten- [545] standes besetzt, während des Krieges voll im Betrieb. Ihre Arbeiten erstreckten sich in dieser Zeit vornehmlich auf nahrungsmittelchemische Gebiete. Über Fleisch- und Gemüsekonserven, Marmeladen und Dörrgemüse, die bei den eintretenden Ernährungsschwierigkeiten an Bedeutung gewannen, wurden zahlreiche Arbeiten ausgeführt und wiederholt veröffentlicht.

Gleichzeitig entwickelte sich aus der chemischen Abteilung der Kaiser-Wilhelm-Akademie ein besonders wichtiger, selbständiger Zweig des Untersuchungswesens: die Materialienprüfungsstelle des Bekleidungsbeschaffungsamts und der Bekleidungsprüfungskommission. Diese Prüfungsstelle, die bereits im März 1915 ihre Tätigkeit begann, hatte neben den laufenden Prüfungen der Lieferungsgegenstände (im wesentlichen Militärtuche, Baumwolle, Leinen, Leder) die Aufgabe, durch wissenschaftliche Untersuchungen auf chemischem, physikalischem und technischem Gebiete an der Vervollkommnung der Bekleidung und Ausrüstung des Heeres mitzuwirken. Mit der einsetzenden Verschlechterung der Rohstofflage erwuchs diesem Arbeitsgebiet eine weitere Bedeutung. Es galt, alle für den Ersatz in Betracht kommenden Stoffe auf ihre Verwendbarkeit zu prüfen und dementsprechende Ersatzvorschläge zu machen. Durch ständige Fühlungnahme mit dem Armeeverwaltungsdepartement des Kriegsministeriums, dem die Prüfungskommission unmittelbar unterstellt war, sowie mit den Herstellern und Lieferanten gelang es in zielbewußter Arbeit überall dort, wo Mangel an planmäßigen Materialien war, geeignete Ersatzstoffe bereitzustellen, die die Fortführung des Krieges, wenn auch unter erschwerenden Umständen, so doch ohne wesentliche Schädigung der Schlagkraft des Heeres ermöglichten. Das Personal der Materialprüfungsstelle bestand aus einem Korpsstabsapotheker als Vorstand und zwei Stabsapothekern als wissenschaftliche Mitarbeiter. Schließlich möge noch eine Untersuchungsstelle im Heimatgebiet, deren Einrichtung auch erst im Kriege erforderlich wurde, Erwähnung finden: das chemische Laboratorium der technischen Abteilung des zahnärztlichen Instituts der Universität Berlin. Seine Entstehung war mit der Rohstofflage eng verknüpft; es galt geeignete Ersatzstoffe für technische Materialien des Zahnarztes, die nicht mehr oder nur in geringer Güte zu beschaffen waren, zu finden.

Die chemischen Untersuchungsstellen im Heimatgebiet waren während des Krieges stark beschäftigt. Mit dem gewaltigen Anwachsen der Heereslieferungen und mit den immer häufigeren Probeentnahmen, bedingt durch das massenhafte Auftauchen von Ersatz- und Schwindelerzeugnissen, schnellte auch ihre Untersuchungsziffer empor. Die Gesamtzahl der in den Kriegsjahren im Heimatgebiet ausgeführten chemischen Untersuchungen betrug 212 406 mit 16 324 Beanstandungen.

Beim Feldheere waren zunächst chemische Untersuchungsstellen nicht vorgesehen. Als eine schnelle Aufklärung von Vergiftungserscheinungen bei der [546] Truppe, hervorgerufen durch vergiftete Speisen und Getränke, sehr bald auch durch Kampf- und Sprenggase, immer wünschenswerter erschien, als ferner die Verwertung der im besetzten Gebiete vorgefundenen Rohstoffe und Chemikalien sowie die Ausarbeitung von Verfahren zur Herstellung chemisch-technischer Erzeugnisse und fachmännische Überwachung chemischer Betriebe erforderlich wurden, erfolgte die allgemeine Einrichtung der chemischen Untersuchungsstellen bei den Etappeninspektionen. Ihre Einrichtung entsprach einem dringenden Bedürfnis. Nicht nur die wucherische Ausbeutung des Soldaten bei privaten Käufen, sowie die Gefährdung der Gesundheit der Truppen wurde durch sie in vielen Fällen verhütet, sondern auch manche unberechtigten und übertriebenen Forderungen, die von militärischen Stellen an die Beschaffenheit der Lebensmittel gestellt wurden und zu Zurückweisungen geführt hatten, konnten auf das richtige Maß zurückgeführt werden. Auch Untersuchungen chemisch-technischer Produkte, wie Maschinengewehröle und Fettungsmittel, Kochbad- und Bremsflüssigkeiten, in deren Verwendung wiederholt unliebsame Verwechselungen bei der Truppe vorgekommen waren, wurden nunmehr den Untersuchungsstellen im Felde übertragen. Über die Bedeutung der chemischen Untersuchungsstellen beim Gaskampf siehe Abschnitt 4.

Auch in einzelnen Operationsgebieten, beispielsweise in der Ukraine, Kleinasien, Palästina, wie auch im Gebiet der Bundesgenossen, sowie in den besetzten Gebieten Belgien, Polen, Rumänien wurden chemische Untersuchungsstellen errichtet. Ihre Tätigkeit war neben der Kontrolle auf Feststellung der Brauchbarkeit und Unschädlichkeit der Nahrungsmittel gleichzeitig eine handels- und wirtschaftstechnische, also beratende. Im Interesse einer möglichst zweckmäßigen Kriegswirtschaft wurden Vorschläge für Verbesserungen in der Lebensmittelversorgung und in der Verwendung von Rohstoffen gegeben.

Nach den beim Kriegsministerium eingegangenen Untersuchungsberichten, die jedoch keinen Anspruch auf Vollzähligkeit machen können, wurden während der Kriegsjahre im Felde 102 441 Untersuchungen mit 22 098 Beanstandungen ausgeführt. Aus der hohen Beanstandungsziffer 21,6% gegenüber 12,6% in der Heimat ergibt sich die außerordentliche Bedeutung der Untersuchungsstellen im Felde.


4. Tätigkeit im Gasdienst.

Eine recht wesentliche Rolle fiel den Militärapothekern bei der Entwicklung des Gaskampfes im Felde und in der Heimat zu.

Als am 22. April 1915 bei Ypern der erste Blasangriff von deutscher Seite erfolgte und die eigene Truppe immer dringender nach einem Gasschutz verlangte, lag der gesamte Gasabwehrdienst in den Händen der Sanitätsdienststellen. Während bei der Truppe, den Divisionsstäben und Oberkommandos [547] die Sanitätsoffiziere den Gasschutz bearbeiteten, übernahmen diese Aufgabe bei den Generalkommandos und Etappeninspektionen die Korpsstabsapotheker. Die Korpsführer drängten nach einem Gasschutz für die eigenen Truppen bereits zu einem Zeitpunkte, wo die Herstellung von Gasschutzmasken in der Heimat noch in den Kinderschuhen steckte. Da griffen die Etappensanitätsdepots ein. In kürzester Zeit waren die Kampftruppen wenigstens mit den sog. "Atemschützern", Mullkompressen mit Salzlösungen, ausgerüstet. Gleichzeitig setzten Versuche von Militärapothekern ein, um bessere Schutzvorrichtungen zu schaffen. Die so entstandenen behelfsmäßigen Masken verschwanden mit der Einführung der von der chemischen Abteilung des Kriegsministeriums entworfenen planmäßigen Gasschutzmaske. Die Haupttätigkeit der Korpsgasschutzstellen erstreckte sich nunmehr auf schnelles Ausrüsten der Truppe mit einwandfrei verpaßter Maske, Regelung des Ersatzes, Rückführen des Verbrauchten zum Etappensanitätsdepot und einwandfreie Lagerung des vorhandenen Gasschutzgeräts. Im Korpsbereich schufen die Korpsstabsapotheker zu diesem Zwecke Korps- oder Gruppengasschutzlager, im Etappengebiet wurde jedem Etappensanitätsdepot eine besondere Gasschutzabteilung mit Instandsetzungswerkstätte angeschlossen. Diese Abteilungen bewirkten den gesamten Ersatz der Masken und Einsätze, die im Felde ausführbaren Reparaturen, den Ersatz des Sauerstoffgeräts, die gesamte Desinfektion usw. Als Beispiel ihrer Leistungsfähigkeit mögen nachstehende Zahlen dienen: Die Gasschutzmittelabteilung beim Etappensanitätsdepot 5 bearbeitete während des Verdunangriffs (Februar bis Juni 1916) allein den gesamten Nachschub und verausgabte in dieser Zeit 453 000 Gasmasken, 813 000 Einsätze, 95 000 Bereitschaftsbüchsen, 4300 Selbstretter und 2 Millionen Liter Sauerstoff.

Bei der sehr schnell fortschreitenden Entwicklung des Gasdienstes waren es wiederum die Korpsstabsapotheker im Operationsgebiete, die mit der Handhabung dieser neuen Kriegswissenschaft betraut wurden. Infolge ihrer anerkannt sachgemäßen und erfolgreichen Arbeit erwarben sie sich das Vertrauen ihrer militärischen Vorgesetzten und allmählich die Stellung eines selbständigen Gasreferenten beim Stabe des Generalkommandos. In gleichem Maße verdient machten sich die Oberapotheker bei den Sanitätskompagnien. Die dort von ihnen eingerichteten Sauerstoffabfüllstationen für Selbstretter und ärztliche Sauerstoffeinatmungsgeräte wuchsen sich allmählich zu Gasschutzlagern der Divisionen und Instandsetzungswerkstätten für Gasabwehrwaffen aus. Die Ausbildung der Korpsstabsapotheker im Gasdienst erfolgte in den Gasschutzkursen in Leverkusen und Berlin, die der Oberapotheker zunächst durch die Korpsstabsapotheker im Felde, später an besonderen Lehrgängen in Berlin und Lübeck.

Recht wichtig für die ersten Untersuchungen beim Auftauchen feindlicher Gaskampfmittel waren die chemischen Untersuchungsstellen im Felde. Nament- [548] lich die Untersuchungsstellen in St. Quentin und Lille waren in der ersten Zeit des Gaskampfes nach dieser Richtung hin erfolgreich tätig. Untersuchungen über die "Blausäuregasvergiftungen", die als Kohlenoxydgasvergiftungen erkannt wurden, ferner über französische Brand- und Gasgranaten, sowie über feindliche Gasschutzmittel wurden dort in großer Anzahl ausgeführt. Später fanden die Untersuchungen auf gastechnischem Gebiet ausschließlich im Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische und Elektrochemie in Dahlem statt.

Im Jahre 1916 erfolgte durch Einführung von Gasschutzoffizieren eine allmähliche Ausschaltung der Sanitätsdienststellen von der Gasdienstbearbeitung, durch die fast sämtliche Sanitätsoffiziere, wie vereinzelt auch Militärapotheker von dieser Arbeit entbunden wurden. Bei den meisten Generalkommandos wurde die Stellung des Korpsstabsapothekers als Gasschutzoffizier zunächst nicht berührt; ebenso blieb in der Etappe der Gasschutzmittelersatz in Händen der Militärapotheker. Die näheren Anordnungen erteilte nunmehr an Stelle des Armeearztes der Stabsoffizier vom Gasdienst beim Armee-Oberkommando.

Erst im Jahre 1917, also nahezu drei Jahre nach Beginn des Gaskampfes, wurde eine endgültige Trennung des Gasdienstes vom Sanitätsdienst angeordnet. Damit wurde einer jahrelangen erfolgreichen Tätigkeit der meisten Militärapotheker im Gasdienst Halt geboten, ohne daß man einen geeigneten Ersatz an Korpsgasoffizieren für sie bereit hatte. Letzteres war auch der Grund, daß verschiedene Korpskommandeure sich mit der Entsetzung ihres Korpsstabsapothekers nicht einverstanden erklärten und den bewährten und erfahrenen Gasreferenten bis zur Beendigung des Krieges beibehielten.3 Dieses war der Fall bei der größeren Anzahl der bayerischen Korps, bei beiden sächsischen Korps, wie auch bei einzelnen preußischen Korps, z. B. beim XXII. Reservekorps.

Auch an der Herstellung des Gasschutzgeräts in der Heimat haben die Militärapotheker tätigen Anteil genommen. Der wissenschaftliche Ausbau des Gasschutzes war dem Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische und Elektrochemie übertragen worden. Im Verein mit der dafür in Betracht kommenden Industrie wurde dort die erste planmäßige Gasschutzmaske ausgearbeitet. Als Beschaffungsstelle für sämtliche Masken wie auch für das gesamte übrige Gasschutzgerät war zunächst das Hauptsanitätsdepot Berlin, später das Hauptgasschutzlager in Berlin bestimmt. An beiden Stellen sind vom ersten Tage des Bestehens an bis zum Kriegsende und darüber hinaus Militärapotheker aller Dienstgrade tätig gewesen. Alle verantwortlichen technischen Betriebsstellen, wie Prüfstellen für Masken und Sauerstoffgeräte, Maßmaskenabteilung, Versandstelle, wurden von ihnen geleitet. Das Hauptgasschutzlager, dessen Vorstand sich aus [549] einem Stabsoffizier und einem Korpsstabsapotheker zusammensetzte, verfügte zur Zeit der stärksten Anforderungen in den Jahren 1917/18 über 2 Stabapotheker, 14 Oberapotheker, 45 weitere Beamte, 250 Unteroffiziere, 150 Schreibkräfte, 4500 Arbeiter und Arbeiterinnen. Der Ein- und Ausgang an Neu- und Altmaterial betrug täglich etwa je 30 Eisenbahnwagen; zum An- und Abrollen der Güter waren ständig bis zu 40 zweispännige Fahrzeuge unterwegs. 3500 t Eisenblech, d. h. 350 Eisenbahnwagen wurden monatlich allein für das Herstellen von Gasschutzgeräten verbraucht.

Aus dem kurzen Überblick über die Tätigkeit der Militärapotheker im Kriege geht hervor, daß sie bemüht waren, sowohl im Rahmen des Sanitätsdienstes wie auch außerhalb desselben Ersprießliches zu leisten. Es ist keine Frage, daß ihnen das im weitesten Maße gelungen ist und daß ihre Bedeutung für das Heerwesen allseitig erkannt und gewürdigt wurde.


1 [1/540]Vgl. G. Devin, Die deutschen Militärapotheker im Weltkriege. Verlag von Julius Springer 1920. ...zurück...

2 [1/543]Vgl. Abschnitt: "Feldsanitätswesen", S. 434 ff. ...zurück...

3 [1/548]Vgl. G. Devin, Die deutschen Militärapotheker im Weltkriege, S. 267. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte