Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 4: Das Nachschubwesen
der Marine
und die Ausrüstung von
Hilfskriegsschiffen (Forts.)
Vizeadmiral Bernhard Rösing
B. Ausrüstung von
Hilfskriegsschiffen. Forts.
[327] 3.
Truppentransportschiffe.
Für die Umwandlung der zu Truppentransporten über See
bestimmten Kauffahrteischiffe in Hilfskriegsschiffe waren während des
Krieges nur militärische Gründe maßgebend. Vom
seekriegsrechtlichen Standpunkte aus lagen keine Bedenken dagegen vor,
daß sie ihre Aufgabe unter der Handelsflagge und mit Zivilbesatzung
erfüllten, da sie nicht dazu bestimmt waren, an Seegefechten teilzunehmen.
Das Zusammenfahren mit der Flotte, die gegenseitige Verständigung, die
pünktliche Ausführung der Befehle und überhaupt die
Eingliederung in die straffe militärische Organisation wurden aber sehr
erleichtert, wenn die Schiffe unter militärischem Kommando standen.
Einen Anspruch auf die besondere Behandlung, die durch internationale
Abmachungen den Handelsschiffen eingeräumt ist, hätten sie unter
der Handelsflagge doch nicht gehabt, da sie nicht den friedlichen Warenaustausch
vermittelten, sondern Kriegsdienst taten. Deshalb wurden die für
gemeinsame Unternehmungen mit Kriegsschiffsverbänden bestimmten
Truppentransportschiffe auf deutscher Seite grundsätzlich militärisch
besetzt und mit den Merkmalen der Kriegsschiffe (Kriegsflagge und
Kommandowimpel) versehen.
Erst zu Beginn des dritten Kriegsjahres konnte an eine Truppenexpedition
über See mit Landung an feindlicher Küste in großem
Maßstabe gedacht werden, als die Ostsee durch Absperrung des Sundes und
der Belte gegen das Eindringen englischer
U-Boote gesichert und die russische Flotte durch Minensperren so sehr in ihrer
Bewegungsfreiheit beschränkt war, daß eine genügende
Beherrschung des Seewegs verbürgt werden konnte. Zwar mußte
angesichts der Fortschritte, die der Gegner im Lauf des Krieges in der
Handhabung der Unterwasserwaffen (Minen und Unterseeboote) gemacht hatte,
mit Verlusten gerechnet werden; doch glaubte die Marineleitung, diese mit den
ebenfalls besser ausgebildeten Gegenmitteln in so geringen Grenzen halten zu
können, daß sie die Verantwortung für die
Überführung eines Expeditionskorps übernehmen konnte, als
die Entwicklung der taktischen Lage an Land im Spätsommer 1917 dazu
drängte, die Inseln Ösel und Moon in deutschen Besitz zu
bringen.
Nachdem der Dünaübergang und die Einnahme von Riga
geglückt waren, war der an der Küste des Rigaischen Meerbusens
weiter vorrückende linke Flügel der Armee der Flankendrohung
durch russische Seestreitkräfte ausgesetzt, die vom Finnischen Meerbusen
her durch den zwischen Moon und dem Festlande liegenden Moonsund
vordrangen, während den deutschen Schiffen die Einfahrt in den
Rigaischen Meerbusen durch zahlreiche Minensperren und starke
Küstenbefestigungen sowie durch
U-Boote und Bombenflugzeuge, die auf der Insel Ösel ihre
Stützpunkte fanden, vermehrt wurde.
Es wurde daher am 19. September 1917 folgender Allerhöchster Befehl
erlassen:
[328]
"Zur Beherrschung des Rigaischen Meerbusens und zur Sicherung der Flanke des
Ostheeres sind durch gemeinsamen Angriff von
Land- und Seestreitkräften die Inseln Ösel und Moon zu nehmen und
der Große Sund für die Durchfahrt feindlicher Seestreitkräfte
zu sperren."
Art und Wesen der Truppentransportschiffe und die zur Erfüllung ihrer
Aufgabe erforderlichen Einrichtungen lassen sich am besten durch eine
Darstellung ihrer Tätigkeit bei diesem in mustergültiger Weise
durchgeführten Unternehmen erläutern.
Die Seetransportabteilung sah sich vor eine schwierige Aufgabe gestellt, als ihr
am 8. September 1917 die erste Nachricht zuging, daß voraussichtlich
innerhalb von 2 - 3 Wochen eine Transportflotte zur
Beförderung einer verstärkten Infanteriedivision von rund:
15 500 |
Offizieren und Mannschaften, |
4 500 |
Pferden, |
1 000 |
Fahrzeugen, |
40 |
Geschützen, |
225 |
Maschinengewehren, |
85 |
Minenwerfern |
mit entsprechender Munition, Pioniergerät, Verpflegung und anderen
Heeresbedürfnissen in der östlichen Ostsee gebraucht werden
würde (s. Anlage S. 337).
Die Auswandererschiffe der Hamburger und Bremer Schiffahrtgesellschaften, die
für diesen Zweck am besten geeignet waren, lagen seit Kriegsbeginn still.
Da es an Personal und Konservierungsmitteln fehlte, waren die Maschinen
auseinandergenommen und verpackt; vielfach waren Kupferteile
herausgenommen, da das Metall für Kriegszwecke gebraucht wurde; die
Schiffsböden waren so bewachsen, daß sie im Dock gereinigt werden
mußten. Das kriegsbrauchbare Personal stand unter der Waffe oder war in
der Erzfahrt beschäftigt. Nur fünf kleine englische Dampfer waren
bald nach Kriegsbeginn mit Einrichtungen zur Unterbringung von Truppen
versehen worden und wurden in Neufahrwasser mit einer Stammbesatzung bereit
gehalten, damit die Möglichkeit der Unterstützung der in
Ostpreußen und Kurland kämpfenden Armeeverbände durch
Landungen an der Küste bestände. Sonst ist von Vorbereitungen
für eine Landung an feindlicher Küste nur die Ausbildung einer
Landungskompagnie beim Pionierbataillon 9 in Harburg und die
Vermehrung des dort von Friedensübungen her befindlichen
Landungsgeräts zu erwähnen. Diese Kompagnie war aber mit ihren
Motorbooten und Transportprähmen im Herbst 1915 dem Generalfeldmarschall v. Mackensen für den Donauübergang
zur Verfügung gestellt und später in den Kämpfen gegen
Rumänien eingesetzt worden und befand sich noch auf der Donau.
[329]
Skizze 1: Rigascher Meerbusen.
|
[329=Karte] [330] Die
Herrichtung der zwölf für die Transportflotte bestimmten
großen Schiffe wurde in Hamburg den Werften Blohm & Voß,
Reiherstieg und Vulkan, in Bremerhaven der Werft von Tecklenborg und dem
Technischen Betrieb des Norddeutschen Lloyds übertragen, die in
angestrengter Tag- und Nachtarbeit alle Dampfer so rechtzeitig fahrbereit
machten, daß sie am 23. September in Libau, wo die Einschiffung
stattfinden sollte, eintrafen. Neben den notwendigen Arbeiten an
Schiffskörpern und Maschinen war das wichtigste die Einrichtung der
Decks für die Unterbringung der Truppen und der Einbau von
Pferdeständen mit den erforderlichen Zugängen. Die für die
Fahrzeuge bestimmten Laderäume mußten so vorbereitet werden,
daß diese in übersichtlicher Form sofort greifbar nebeneinander
seefest aufgestellt werden konnten. Dazu kamen die Aufstellung von
Scheinwerfern, der Einbau von Signalmitteln und die Übernahme von
Ausschiffungsmaterial, wozu außer Schraubenbooten in Ermangelung
geeigneter Fahrzeuge Hamburger Hafenschuten mitgenommen wurden. Vom
Ersatzpionierbataillon 9 schifften sich drei Kompagnien mit
Brückenmaterial zum Bau von Landungsbrücken ein.
Große Schwierigkeiten bereitete die Gestellung des Schiffspersonals der
Transportschiffe, insbesondere der Schiffsführer, Offiziere und
Maschinisten. Die Flotte, durch Abgaben für den
U-Bootskrieg und andere Zwecke schon stark geschwächt, konnte nur
wenige Offiziere hergeben. Es mußten daher Schiffskapitäne und
Maschinisten eingestellt und zu Hilfsoffizieren ernannt werden, die das
wehrpflichtige Alter schon weit überschritten hatten. Nur durch ihre ohne
Zögern bekundete Bereitwilligkeit wurde es möglich, die Schiffe in
Fahrt zu setzen. Aber es wurde ihnen schwer, sich so schnell an die
Anforderungen des militärischen Dienstes zu gewöhnen, besonders
da sie bei dem von den Marineteilen zusammengesuchten ungeübten
Unterpersonal nur eine geringe Stütze fanden. Kurz vor dem Beginn des
Unternehmens wurde daher noch jedem Transportdampfer ein aktiver Offizier der
Begleitflotte überwiesen, auf deren Schultern schließlich der ganze
militärische Betrieb ruhte. Ihrer Tatkraft und unermüdlichen Arbeit
war es zu danken, daß sich das Zusammenarbeiten der Transportflotte mit
den Armee- und Marinekommandos während der Einschiffung, des
Marsches, der Landung und bei dem späteren Nachschub ohne
Störung vollzog.
Zum Schutz des Transports und der Landung sowie zur Bekämpfung der
feindlichen Flotte wurde ein Flottenverband unter Führung des
Vizeadmirals Ehrhard Schmidt gebildet. Er umfaßte außer dem als
Flottenflaggschiff dienenden großen Kreuzer "Moltke" 10
Großkampfschiffe des III. und IV. Geschwaders, 9 kleine Kreuzer, 5
Torpedobootsflottillen, 1 Minensuchflottille, 4 Minenräumdivisionen, 6
U-Boote, 1 U-Bootssuchflottille und 1 Minenschiff. Dazu traten noch als
Hilfsschiffe 4 Sperrbrecher, 1 Flugzeugmutterschiff, 2 Blockschiffe, der
Netzsperrverband der Ostsee, 4 Lazarettschiffe und ein Troß [331] von
Kohlen- und Heizölfahrzeugen, Schleppern, Seeleichtern und
Bergungsdampfern.
Für die Zusammensetzung der Flotte war bestimmend:
- daß durch feindliche Unterseekriegsmittel erhebliche Verluste
eintreten konnten,
- daß starke Landbefestigungen anzugreifen waren,
- daß auf verschiedenen Seegebieten zur selben Zeit getrennt
vorgegangen werden sollte,
- daß die Möglichkeit bestand, mit dem Gros der russischen
Flotte zusammenzutreffen, zu dem außer einer Anzahl großer Kreuzer
und älterer Linienschiffe 4 neue Großkampfschiffe
gehörten.
Das Landungskorps bestand aus der 42. Infanteriedivision unter Generalleutnant
v. Estorff, die durch eine Reihe von Spezialtruppen verstärkt wurde.
Es mußte mit einer feindlichen Inselbesatzung von etwa 30 000
Mann aller Waffengattungen und mit starken Befestigungsanlagen auf
gegnerischer Seite gerechnet werden.
Die Transportflotte wurde ergänzt durch die 5 in Neufahrwasser
bereitgehaltenen kleinen englischen Dampfer und 5 kleine Ostseedampfer, um
für die ersten an Land zu werfenden Truppen Fahrzeuge zur Hand zu
haben, die vermöge ihres geringen Tiefgangs näher unter Land
ankern konnten.
Sehr glücklich wurde die Frage des Oberbefehls gelöst, dessen
unzulängliche Regelung in früheren Kriegen oft zu
Mißerfolgen bei gemeinsamen Unternehmungen von
See- und Landstreitkräften geführt hat. Wenn nach dem englischen
Brauch eine Trennung des Oberbefehls derart stattfindet, daß der Admiral
auf dem Wasser, der General auf dem Lande kommandiert, so kann es
bezüglich der Wahl des Landungsplatzes, des Zeitpunkts der Einschiffung
und des Vormarsches, der Vorbereitung und Durchführung der Landung,
der Regelung des Nachschubs und anderer Fragen, die beide Teile von
verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, zu Meinungsverschiedenheiten
kommen, die mindestens zu schädlichen Verzögerungen
führen. Eine gemeinsame Spitze ist notwendig, die die Verantwortung
für das Ganze trägt und in der Lage ist, die verschiedenen Ansichten
gegeneinander abzuwägen und danach eine feste klare Entscheidung zu
treffen. Die Oberleitung wurde daher dem
Armee-Oberkommando 8 (General der Infanterie v. Hutier)
übertragen. Ein Verbindungsoffizier der Marine sorgte dafür,
daß die Vorschläge des Flottenführers Beachtung fanden. Um
den Führer des Landungskorps von der Last des Verkehrs mit der
Flottenleitung und der Sorge um den Fortgang der Ausschiffung und des
Nachschubs ganz zu befreien, ging man noch weiter und schob zwischen ihn und
den Oberbefehlshaber das Generalkommando des XXIII. Reservekorps (General
der Infanterie v. Kathen) ein. Dieses wurde auf dem Flaggschiff "Moltke"
eingeschifft und damit instand gesetzt, alle Meinungsverschiedenheiten durch
münd- [332] lichen Verkehr mit dem
Flottenkommando in kürzester Zeit zu beseitigen. Diele Einrichtung hat
sich sehr gut bewährt, da noch nach der Landung, als der Führer des
Landungskorps ganz durch die Operationen am Lande in Anspruch genommen
war, wichtige Entschlüsse über die taktische Unterstützung des
Landungskorps durch Flottenteile, über die Verlegung des Landungsplatzes
und über Teillandungen an anderer Stelle zu fassen waren. Das auf beiden
Seiten herrschende Bestreben, jeden Wunsch der anderen Waffe zu erfüllen
und jede Anregung nutzbar zu machen, sowie die im engen Zusammenarbeiten
getroffenen sorgfältigen Vorbereitungen haben den Grund zu dem schnellen
Erfolg gelegt.
Der Schwerpunkt des Handelns lag im ersten Teil der Operationen bei der Marine
und verschob sich erst nach der Landung zur Armee. Nachdem die im Norden der
Insel Ösel gelegene Taggabucht als erster Landungsplatz bestimmt war,
mußte durch die im Lauf des Krieges in den Gewässern westlich
Ösel entstandenen ausgedehnten Minenfelder ein sicherer Weg hergestellt
werden. Zu gleicher Zeit sollte der nach geglückter Landung geplante
Vorstoß in den Rigaischen Meerbusen vorbereitet werden. Hier spielte sich
schon seit längerer Zeit ein hartnäckiges Ringen zwischen den
russischen Minenlegern und deutschen Minenräumern ab. Der russische
Minendienst stand auf bemerkenswerter Höhe, so daß es nur mit
äußerster Anstrengung möglich war, zuverlässige
Sperrlücken herzustellen, die jedoch meist nach kurzer Zeit wieder
geschlossen waren. Es mußte daher so disponiert werden, daß
unmittelbar nach Beendigung der Räumarbeiten die Durchfahrt der Schiffe
erfolgen konnte. Dazu waren zunächst die den Eingang zu dem Rigaischen
Meerbusen beherrschenden schweren Küstenbatterien
niederzukämpfen.
Die Witterung war im September für das Minenräumen so
ungünstig, daß der Beginn des Unternehmens um zwei Wochen
verschoben werden mußte. Für das bereitstehende Landungskorps
bedeutete das eine harte Geduldsprobe; aber die Flottenleitung konnte die
Verantwortung für den Vormarsch nicht übernehmen, solange nicht
die Sicherheit bestand, daß er ohne Aufenthalt durchgeführt werden
würde, da sonst die sehr wichtige Überraschung des Gegners
fortgefallen wäre.
Die Verzögerung hatte aber auch für die Armee den großen
Vorteil, daß eine aus 31 Kompagnien bestehende Infanterieradfahrbrigade,
die erst im Oktober in Libau eintraf, noch mitgenommen werden konnte, und
daß die von der Donau herangezogene Pionierlandungskompagnie mit
ihrem Ausschiffungsgerät noch rechtzeitig ankam. Außerdem
konnten die Verteilung der Truppen und des Materials auf die Schiffe den
taktischen Absichten bei der Landung besser angepaßt und die
Mannschaften durch Ein- und Ausschiffungsübungen an die
Bordverhältnisse gewöhnt werden.
Die Transportflotte, die einem früheren Dezernenten der
Seetransportabteilung, Fregattenkapitän v. Schlick, unterstellt war,
wurde in Gruppen von [333]
4 - 5 Dampfern unter Führung je eines Stabsoffiziers der
Marine eingeteilt. Jeder Gruppe wurde möglichst eine gemischte taktische
Abteilung (1 Infanterieregiment, 1 Eskadron, einige Feldbatterien und 1
Pionierdetachement) zugeteilt. Dies war sehr wichtig für den später
eingetretenen Fall, daß ein Teil der Truppen an einer besonderen Stelle
gelandet werden sollte. Die Verladung der Fahrzeuge und des Materials geschah
so, daß die am dringendsten gebrauchten Gegenstände am ersten
greifbar waren. Durch die Vergrößerung des Expeditionskorps wurde
der Dampferraum zu knapp, doch konnten bei der kurzen Überfahrt die
Übelstände der engeren Belegung in den Kauf genommen werden.
Die zuerst zu landenden Sturmtruppen - Infanterieregimenter 131
und 138 - wurden als Vortrupp auf den kleinen Dampfern sowie auf den an
der Spitze fahrenden Linienschiffen und Torpedobooten eingeschifft.
Bei dem am 11. Oktober von Libau aus beginnenden Vormarsch wurde jede
Gruppe der Transportflotte von einem kleinen Kreuzer geführt, der
für ihre militärische und navigatorische Sicherheit verantwortlich
war.
Sobald die die Einfahrt zur Taggabucht beherrschenden russischen
Küstenbatterien von den Linienschiffen niedergekämpft und von dem
während der Beschießung gelandeten Vortrupp besetzt worden
waren, liefen die Transportschiffe ein und ankerten auf den ihnen zugewiesenen
Plätzen. Einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, daß
dabei nur ein kleiner Dampfer des Vortrupps auf eine Mine lief, obgleich, wie sich
später herausstellte, die Einfahrt stark verseucht war. Die auf diesem
Dampfer eingeschifften Truppen konnten noch von Torpedobooten
übergenommen werden, bevor er auf Strand gesetzt werden
mußte.
Unter dem Beistand der Kreuzer wurde die Ausschiffung sofort mit
größter Beschleunigung in Angriff genommen. Sie wurde vom
Führer der Transportflotte geleitet und teils durch Marinemannschaften,
teils durch die Pionierlandungskompagnie ausgeführt.
Ausschiffungsoffiziere, die mit dem Vortrupp an Land gefahren waren, hatten die
Landungsplätze erkundet und mit Nummertafeln bezeichnet. Eine
Viertelstunde nach dem Ankern setzten die ersten aus Schiffsbooten gebildeten
Schleppzüge mit Infanterie ab, und nach weiteren 20 Minuten erfolgte ihre
Landung. Die Boote konnten bereits die vom Vortrupp gefangengenommenen
Russen mit an Bord nehmen. Die Ausschiffung der Pferde und Fahrzeuge wurde
mit Pferdebooten und Schuten bewerkstelligt. Die ersteren Fahrzeuge
gehörten zum Gerät der Pionierlandungskompagnie. Es waren
viereckige flache Prähme mit doppelten Böden und doppelten
Wänden, von denen die vordere und hintere umklappbar waren, so
daß sie beim Landen auf flachem Strande eine Art Rampe zum Ausbooten
der Pferde und Fahrzeuge bilden konnten. Das Modell zu diesen Fahrzeugen war
von der englischen Marine übernommen und nach den Erfahrungen
zahlreicher Friedensübungen verbessert worden. Sie wurden von
Schraubenbooten [334] bis in das flache
Wasser geschleppt und konnten sich dann entweder durch Staken selbst an Land
schieben oder durch ein nach dem Lande ausgefahrenes Trossensystem auf den
Strand gezogen werden. Ihre Abmessungen waren begrenzt durch die Forderung,
daß die Möglichkeit bestehen sollte, sie an Bord der
Transportdampfer einzusetzen und auf der Eisenbahn zu befördern. Sie
konnten daher nicht länger als 10,5 m und nicht breiter als
3,4 m sein. Ihr Tiefgang betrug in beladenem Zustande 0,6 m.
Dementsprechend war ihr Fassungsvermögen gering. Sie konnten entweder
6 - 8 Pferde oder 2 Feldgeschütze mit Protzen oder eine
15-cm-Haubitze mit Protze oder ein Lastauto aufnehmen. Wegen ihrer plumpen
Formen hatten sie eine geringe Schleppgeschwindigkeit und bei hoher See
genügte ihre Seefähigkeit nicht.
Die Schuten, die nur zu Materialtransporten benutzt wurden, hatten ein etwas
größeres Fassungsvermögen, konnten aber, da sie für
Hafenzwecke gebaut waren, nur bei ganz glattem Wasser benutzt werden.
Trotz dieser mangelhaften und auch der Zahl nach unzureichenden
Ausschiffungsmittel waren am Nachmittag des ersten Tages außer der
gesamten Infanterie mit Rädern und Maschinengewehren (11
Infanterie- und 3 Radfahrbataillone) schon 3 Feldbatterien, 530 Pferde und 100
Fahrzeuge an Land. Die Pioniere bauten eine Landungsbrücke, mit deren
Hilfe trotz eintretenden schlechten Wetters bis zum vierten Tage 8 Uhr morgens
gelandet waren:
20 |
Geschütze, |
4474 |
Pferde, |
1026 |
Fahrzeuge, |
14 700 |
Schuß für Feldgeschütze, |
13 000 |
Schuß für 15-cm-Geschütze, |
40 000 |
Handgranaten, |
162 |
t Gewehrmunition, |
19 200 |
l Benzin und Öl, |
390 |
t Massengut. |
Da das schnell vordringende Landungskorps schon am zweiten Tage die im
Süden der Insel gelegene Hauptstadt Arensburg besetzt hatte, wurde
beschlossen, den Rest des Schwerguts dort auszuladen, wo eine feste
Landungsbrücke auch das Anlegen größerer Leichterfahrzeuge
gestattete, und von wo aus ein besserer Weg zum Weitertransport zur
Verfügung stand.
Die in engem taktischem Zusammenwirken mit den gelandeten Truppen
durchgeführten Operationen der Seestreitkräfte sind in Band 4 dieses Werkes eingehend
gewürdigt. Die Transportflotte wurde nach Beendigung der Ausschiffung
zur Erledigung verschiedener Aufgaben gruppenweise auseinandergezogen. Eine
Gruppe setzte die zur Einnahme der Insel Dagö bestimmten Truppen
dorthin über, eine zweite brachte Gefangene nach Libau, und die beiden
übrigen beförderten die zweite Staffel des Landungskorps, das damit
auf rund 23 000 Köpfe, 5000 Pferde und 1400 Fahrzeuge anwuchs,
sowie das zurückgebliebene Schwergut nach Arensburg.
[335] In der Folgezeit waren
die Dampfer mit dem Abtransport von Gefangenen und Beute und mit dem
Austausch des Expeditionskorps gegen die Besatzungstruppen der Inseln
beschäftigt, bis am 13. November 1917 die Auflösung der
Transportflotte erfolgte.
Noch einmal trat sie in Stärke von 10 großen und 2 kleinen Dampfern
im März 1918 zusammen, um den zur Befreiung Finnlands vom
bolschewistischen Terror bestimmten Armeeverband in Stärke von etwa
12 000 Mann unter Führung des Generalmajors Graf
v. d. Goltz nach einem finnischen Hafen zu bringen. Auch
über diese von Konteradmiral Meurer geleitete Unternehmung berichtet Band 4, Abschnitt "Krieg in der
Ostsee".
Für die Transportflotte war die Aufgabe insofern einfacher, als mit
feindlicher Gegenwirkung auf See nicht gerechnet zu werden brauchte und die
Landung nicht an feindlicher Küste, sondern an den Kaimauern des
finnischen Hafens von Hangö stattfand. Dagegen erschwerten die in dieser
Jahreszeit häufigen Nebel und schwerer Eisgang die Überfahrt. Da
die Einrichtungen der Schiffe zum großen Teil noch vorhanden waren,
konnten sie in sieben Tagen bereitgestellt werden und sich darauf am 18.
März im Danziger Freihafen, wo die Einschiffung stattfand, unter dem
Befehl des Kapitäns zur See Irmer von der Seetransportabteilung sammeln.
Das Massengut, die Geschütze und Fahrzeuge wurden verladen,
während mit der Einschiffung der Truppen und Pferde so lange gewartet
wurde, bis am 29. März die Meldung eintraf, daß die bei den
ungünstigen Witterungsverhältnissen besonders schwierigen
Minenräumarbeiten beendet waren. Am 1. April setzte sich der Verband,
dessen militärischer Schutz aus 2 Linienschiffen, 3 kleinen Kreuzern und 2
Torpedobooten bestand, in Bewegung und stand am 3. April kurz vor Hellwerden
vor der Einfahrt von Hangö. Die drei Gruppen der Transportflotte wurden
wiederum von je einem kleinen Kreuzer geführt. Nachdem sich die
Befestigungen der dem Hafen vorgelagerten Insel Russarö einem
Parlamentär ergeben hatten, wurde zur Vorbereitung der Landung ein
Vortrupp, bestehend aus 100 Jägern mit zwei Maschinengewehren und
Pioniergruppen, sowie Signalpersonal für zwei Signalstellen ausgeschifft.
Hierzu wurden Torpedoboote benutzt, die sich hinter Eisbrechern durch das
Treibeis hindurcharbeiteten. Als bald darauf die rote Garde die Stadt verlassen
hatte, gingen die Transportdampfer nacheinander an den Kai, wo drei von ihnen
gleichzeitig löschen konnten. Am 5. April war die Landung bis auf die des
Massenguts beendet.
Als in der folgenden Woche die gelandete Division gegen Helsingfors vorging,
fand noch ein kleinerer Transport von Truppen über See unter
bemerkenswerten Umständen statt. Eine gemischte Brigade sollte von
Reval aus über den Finnischen Meerbusen nach dem Hafen von Kottka
übergesetzt werden, um den von Helsingfors nach Osten ausweichenden
roten Truppen den Weg zu verlegen. Da hierzu keine Transportmittel zur
Verfügung standen, wurden [336] nach einer
Verabredung mit dem Kommandeur der Marineanlagen in Estland von
entschlossenen Finnländern zwei in Helsingfors befindliche russische
Eisbrecher und ein kleiner Dampfer überwältigt und nach Reval
gebracht, wo sie zum Truppentransport eingerichtet wurden. Mit diesen
Fahrzeugen glückte die Überführung durch das schwere
Packeis, so daß die Brigade nach 36stündiger Fahrt am
Bestimmungsort gelandet werden konnte.
Diese verschiedenen Expeditionen über See waren für die Armee nur
kleine Episoden inmitten der gewaltigen Geschehnisse des großen Krieges.
Für die Marine bedeuteten sie mehr. Den Besatzungen der großen
Schiffe, die zum Teil schon im fünften oder sechsten Jahre an Bord waren,
boten sie eine willkommene Abwechselung in dem anstrengenden, aber
eintönigen Nachtdienst zum Schutze des Minensuchdienstes in der
Nordsee. Die durch das dauernde Einerlei gedrückte Stimmung hob sich bei
der Aussicht, an einer offensiven Unternehmung teilzunehmen und an den Feind
zu kommen. Ein jeder drängte sich dazu, auf einen besonderen Posten in
detachierten Booten oder bei Landungsabteilungen gestellt zu werden. Die
Gefechte mit den feindlichen Küstenbatterien und Schiffen, die erfolgreiche
Abwehr der Unterseebootsangriffe und der glatte Verlauf der Unternehmungen
flößten den Besatzungen neues Vertrauen zu ihren Waffen und ihrer
Führung ein.
Wenn es möglich gewesen wäre, die Flottenmannschaften durch eine
Reihe solcher Unternehmungen dauernd in Spannung zu halten, so hätte die
Stimmung, die zu den traurigen Ereignissen des Novembers 1918 führte,
nicht um sich greifen können.
[337] Anlage zu Seite
328.
[337]
Anlage 2: Kriegsgliederung des Landungskorps für
Ösel.
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