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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 4: Das Nachschubwesen der Marine
und die Ausrüstung von Hilfskriegsschiffen
  (Forts.)

Vizeadmiral Bernhard Rösing

A. Nachschubwesen der Marine.   Forts.

5. Nachschub der Marine nach der Türkei.

Die einzigen deutschen Auslandsschiffe, die während des Krieges - wenn auch zeitweise unter großen Schwierigkeiten - Zufuhren von der Heimat erhalten konnten, waren die beiden Kreuzer der Mittelmeerdivision "Goeben" und "Breslau". Als diese unter Führung des Admirals Souchon am 10. August 1914 nach aufregender Fahrt in den Dardanellen Aufnahme gefunden hatten, während dem verfolgenden britischen Geschwader die Einfahrt versagt wurde, hatte die Türkei den ersten Schritt zum Anschluß an die Mittelmächte getan. Aber noch wagte die Regierung nicht, offen auf diesem Wege fortzuschreiten, da das Land zu wenig auf einen Entscheidungskampf vorbereitet war. Die jungtürkischen Führer waren sich wohl dessen bewußt, daß die Türkei zu schwach war, um im Streit der Großmächte auf die Dauer ihre Neutralität zu wahren, und daß die Selbständigkeit des Reiches nur durch Anlehnung an Deutschland erhalten werden konnte. Denn für Rußland war die Beherrschung der Meerengen ein offen eingestandenes Kriegsziel, und Großbritanniens Streben richtete sich auf die Befestigung seines Kolonialbesitzes durch Einverleibung Ägyptens und Bildung einer unter seiner Aufsicht stehenden Landverbindung nach Indien. Aber noch litt das durch die vorhergegangenen Kriege erschöpfte Land zu sehr unter der 32jährigen Mißwirtschaft des Sultans Abdul Hamid; noch waren im Innern des Reiches starke Widerstände zu überwinden, auch lähmte die Unklarheit der politischen und militärischen Lage die Entschlußkraft.

Die türkische Regierung versuchte Zeit zu gewinnen und bewahrte vorläufig formell ihre Neutralität. Um die Aufnahme der beiden deutschen Kreuzer begründen zu können, bewirkte sie ihren Übergang mit voller Besatzung in türkische Dienste und die Ernennung des Admirals Souchon zum türkischen Flottenchef. Zur Förderung des Anschlußgedankens war es notwendig, der Türkei Deutschlands Bereitwilligkeit zu weiterer militärischer Unterstützung zu beweisen, und der Staatssekretär des Reichsmarineamts v. Tirpitz setzte es daher [303] durch, daß ein vom Admiral Souchon beantragtes Marinedetachement unter Führung von Seeoffizieren und Marineingenieuren nach Konstantinopel geschickt wurde, um dort die Küstenverteidigung und die türkischen Kriegsschiffe und Torpedoboote in kriegsbrauchbaren Zustand zu versetzen. Das Detachement, das sich aus 23 Offizieren, 12 Deckoffizieren und 425 Unteroffizieren und Mannschaften zusammensetzte, bestand durchweg aus Instruktionspersonal und Spezialisten der verschiedenen Dienstzweige der Marine. Es gehörten zu ihm Steuerleute, Maschinisten, Feuerwerksmaate, Geschützführer, Entfernungsmesser, Signal- und Funkenpersonal, Artilleriemechaniker, Torpedospezialisten und Matrosenartilleristen. Es verließ Berlin unter Führung des Admirals v. Usedom am 21. August und nahm in Budapest noch einen schon vorher entsandten Mannschaftszuschlag für "Goeben" und "Breslau" in Stärke von etwa 300 Mann auf. Das deutsche Marinepersonal begann seine Arbeit unter den Augen der feindlichen Botschafter und der englischen Marinemission, die neben einer deutschen Militärmission zur Reorganisation der türkischen Wehrmacht berufen war und erst am 15. September mit der Begründung entlassen wurde, daß die englische Regierung zwei in England für die türkische Marine gebaute und aus freiwilligen Beiträgen des Volkes bezahlte Schlachtschiffe bei Beginn des Krieges beschlagnahmt, und dieser rechtswidrigen Maßnahme noch die Beleidigung hinzugefügt hätte, ein bisheriges Mitglied der Marinemission in der Türkei zum Kommandanten eines dieser Schiffe zu ernennen. Die Ententebotschafter sahen, in der Hoffnung, noch einen Druck auf den schwankenden Großvezier ausüben zu können, auch in diesem Schritt der Türkei noch keinen Anlaß, ihre Pässe zu verlangen, sondern blieben in Konstantinopel, bis am 29. Oktober die Feindseligkeiten im Schwarzen Meer eröffnet waren.

Bald nach dem Eintreffen des deutschen Marinekommandos zeigte sich, daß die türkischen Kriegsschiffe und Küstenverteidigungsanlagen - nicht zum wenigsten durch das Verschulden der englischen Mission - völlig vernachlässigt waren. Überall fehlte es an dem Notwendigsten, und es trafen beim Reichsmarineamt eine Unmenge Bestellungen auf Kriegsmaterial aller Art ein. Zunächst bestand die dringendste Aufgabe darin, die beiden Kreuzer "Goeben" und "Breslau", deren kurz vor dem Kriege fällige Jahresreparatur wegen der unsicheren Verhältnisse verschoben worden war, wieder zu voller Leistungsfähigkeit zu bringen. Die Wasserrohrkessel dieser Schiffe, die auf der Fahrt von Messina nach Konstantinopel so stark geleckt hatten, daß die Geschwindigkeit erheblich herabgesetzt werden mußte, waren neu zu berohren, wozu Kesselrohre und gelernte Arbeiter aus Deutschland geschickt werden mußten. Für die Küstenverteidigung wurden Minen, Scheinwerfer und Entfernungsmeßanlagen verlangt. Als Verkehrsweg für diese Nachsendungen stand nur die eingleisige Eisenbahn von Budapest über Kronstadt und Predeal nach Bukarest und von da nach dem Donauhafen Giurgiu zur Verfügung, wo die Frachtgüter in Kähne verladen und nach dem [304] bulgarischen Ufer überführt werden mußten. Von dem dort gelegenen Städtchen Rustschuk aus nahm der Bahntransport meist noch den Umweg über Sofia, weil die direkte Bahnlinie oft durch Bergrutsche versperrt war. Der Seeweg durch das Mittelländische Meer war versperrt, die Orientbahn und die Donau wurden von den Serben beherrscht, und das Schwarze Meer, das im Frieden von Konstanza aus benutzt wurde, stand unter der Kontrolle der russischen Kriegsschiffe. Da sich auf die dem Massenverkehr in keiner Weise gewachsenen Bahnen durch Rumänien und Bulgarien der gesamte Verkehr der Mittelmächte nach dem Orient zusammendrängte, entstanden technische Schwierigkeiten, die zu starken Verzögerungen und Unzuträglichkeiten führten. Noch gelang es, das dringendste Kriegsmaterial einschließlich der Reservemunition für die beiden Kreuzer "Goeben" und "Breslau" zu befördern. Bald aber setzten in Rumänien unter dem Druck der Entente starke politische Hemmungen ein, die schon vor Eröffnung der Feindseligkeiten zwischen Rußland und der Türkei zu einem fast vollständigen Stillstand der militärischen Transporte an der rumänischen Grenze führten. Nachdem der Krieg im Orient begonnen hatte, verweigerte die rumänische Regierung jegliche Durchfuhr von Kriegsmaterial, so daß dem neuen Bundesgenossen nur noch mit sachverständigem Personal ausgeholfen werden konnte. Die Marine schickte Baubeamte und Spezialarbeiter, um den Betrieb der türkischen Werften neu einzurichten, Vertreter der Firmen, die die türkischen Minen und Torpedos geliefert hatten, um diese mit Hilfe der Marinespezialisten wieder instand zu setzen, Artillerieingenieure, um die Küstengeschütze zum indirekten Schießen und Messen größerer Entfernungen einzurichten und die Scheinwerfer und Befehlsübermittelungsanlagen zu montieren, sowie Funkentelegraphisten zur Errichtung drahtloser Stationen.

Das beste Mittel, um den Weg nach der Türkei freizubekommen, wäre die gewaltsame Zurückdrängung der Serben von der Donau gewesen. Nachdem aber der im August 1914 unter Führung des Feldzeugmeisters Potiorek mit ungenügenden Kräften eingeleitete und mit wechselndem Erfolge geführte österreichisch-ungarische Angriff gegen Serbien am 15. Dezember durch die kopflose Räumung der erst seit zwei Wochen besetzten serbischen Hauptstadt endgültig gescheitert war, konnte der österreichische Generalstabschef angesichts des bedrohlichen Vordringens der Russen und des unsicheren Verhaltens Italiens keine Streitkräfte mehr für diesen Zweck frei machen. Auch für die deutsche Heeresleitung lagen dringendere Aufgaben vor. Als auch die türkische Armee dringend Unterstützung durch Geschütze und Munition verlangte, mußte sich der Chef des Generalstabs darauf beschränken, einen Generalstabsoffizier nach Ungarn zu senden, der zweimal vergeblich versuchte, durch nächtliche Forcierung der gefährdeten Donaustrecke eine Verbindung herzustellen. Die mit Munition und Minen beladenen Dampfer wurden gesichtet und durch serbisches Geschützfeuer versenkt.

[305] Inzwischen hatten die Angriffe auf die Dardanellenbefestigungen durch englische und französische Geschwader begonnen. Die beiden veralteten Außenforts Kum Kale und Sid ul Bachr wurden, nachdem sie bereits am 3. Dezember kurz beschossen worden waren, im Lauf des Februars 1915 niedergekämpft und von gelandeten Matrosen zerstört. Da dem Feinde der verwahrloste Zustand der türkischen Küstenverteidigung zu Beginn des Krieges bekannt war, glaubte er, auch die rückwärtige Hauptstellung Tschanak Kale - Kilid Bachr - Hamidje durch das Feuer der Schiffsgeschütze bezwingen zu können. Aber hier sollten sich die Früchte der sorgfältigen und angestrengten Arbeit des deutschen Lehrpersonals in glänzendem Lichte zeigen. Der nach verschiedenen tastenden Vorstößen der ersten Märzwoche mit 16 Schlachtschiffen der vereinigten englisch-französischen Flotte am 18. März angesetzte Hauptangriff brach unter dem Feuer der von Korvettenkapitän Wossidlo befehligten 35,5-cm- und 24-cm-Küstengeschütze und der von Oberstleutnant Wehrle in dem zerklüfteten Gelände der Halbinseln verteilten 15-cm-Steilfeuerbatterien mit dem Verlust von 3 Linienschiffen und schwerer Havarie zweier weiterer Linienschiffe und eines Schlachtkreuzers zusammen.

Aber in dieser Schlacht waren die Munitionsvorräte der türkischen schweren Artillerie so zusammengeschmolzen, daß sie kaum noch für die Abwehr eines zweiten derartigen Angriffs ausreichten. Da auf Nachsendung von Munition aus Deutschland nicht zu rechnen war, wurde die einzig mögliche Abhilfe darin erblickt, die Munitionsfabrikation in der Türkei selbst auf leistungsfähige Höhe zu bringen. Kapitän z. S. Pieper, früher Abteilungschef im Waffendepartement des Reichsmarineamts, der erst kurz vorher dem Admiral v. Usedom zur Verfügung gestellt worden war, widmete sich dieser Aufgabe mit großer Energie. Eile war um so mehr geboten, als bekannt wurde, daß der Gegner zu einem großen Angriff mit See- und Landstreitkräften rüstete.

Es befanden sich in der Nähe von Konstantinopel eine entwicklungsfähige Pulverfabrik und eine zur Geschoßfabrikation geeignete kleine Anlage. Aber unter der türkischen Leitung hatte sich die Fabrikation auf Gewehrmunition beschränkt. Um sie weiter zu entwickeln, konnte wegen der schwierigen Transportverhältnisse nur mit technischem Lehrpersonal ausgeholfen werden. Das Reichsmarineamt fand bereitwillige Unterstützung bei den königlich preußischen Munitionsfabriken, sowie bei Krupp und Ehrhard, die Ingenieure, Chemiker, Meister und gelernte Arbeiter zur Verfügung stellten. In kleinen Gruppen traten sie, um möglichst wenig aufzufallen, die Fahrt nach dem Osten an. Ihre Zahl wuchs allmählich auf über 1000 Köpfe. Zunächst bestand noch die Hoffnung, daß die Rumänen wenigstens Rohmaterial und Arbeitsgerät durchlassen würden; aber die Absperrung dieses Landes war so vollständig, daß selbst Kleidungsstücke und Lebensmittel angehalten wurden. So mußte alles im Lande selbst zusammengesucht oder unter der Hand nachgesandt werden. Den [306] Geschoßstahl gewann man aus alten Beständen der Werften und des Arsenals oder aus unbrauchbaren Kanonenrohren und Eisenbahnschienen. Die für die Pulverfabrikation unentbehrlichen Chemikalien wurden, ebenso wie Zünderteile und Zündhütchen, in Postpaketen, Koffern von Reisenden und mit ähnlichen Gelegenheiten aus Deutschland bezogen. Nach Überwindung unsäglicher Schwierigkeiten brachte man es so weit, daß Geschosse bis zu 15 cm Kaliber hergestellt werden konnten. Außerdem wurden Minenwerfer und Wurfminen, Handgranaten, Fliegerbomben und Sprengladungen angefertigt, Geschütze und Maschinengewehre ausgebessert, Entfernungsmesser adjustiert und Instandsetzungsarbeiten aller Art an dem Artilleriematerial ausgeführt.

Trotz aller Anstrengungen gelang es jedoch kaum, den normalen Tagesbedarf an Munition zu decken, und bei der Abwehr jeder größeren Unternehmung des Feindes schmolzen die Reservevorräte in besorgniserregender Weise zusammen. Im Gegensatz zu der Munitionsvergeudung des Gegners mußte mit jedem Geschoß gegeizt werden; feindliche Batterien konnten nicht zum Schweigen gebracht werden, feindliche Flieger konnten unbeschossen, dicht über den türkischen Stellungen kreisend, Bomben abwerfen oder das verheerende Feuer der schweren Schiffsgeschütze leiten. Das Schlimmste war, daß gegen die Panzerschiffe des Feindes, die sich ungestört in der Dardanelleneinfahrt bewegten oder dicht unter Land vor Anker lagen, nichts unternommen werden konnte, weil auf keinen Ersatz für die wenige schwere Munition, die für die letzte Entscheidung aufgespart werden mußte, zu rechnen war. Unter ihrem Feuer hätte die Widerstandskraft der tapferen Verteidiger erlahmen müssen, wenn nicht durch einen schneidigen Torpedobootsangriff unter Kapitänleutnant Firle am 13. Mai 1915 das britische Linienschiff "Goliath" und kurz darauf durch das von Kapitänleutnant Hersing in kühner Fahrt von Deutschland überführte U-Boot 21 zwei weitere Linienschiffe versenkt worden wären.

Schon vorher waren Vorbereitungen getroffen worden, um geringe Mengen von Kriegsmaterial durch kleine U-Boote nach Konstantinopel zu befördern; vier dieser Boote, die in Deutschland gebaut und in Teilen auf der Bahn nach Pola transportiert worden waren, um dort zusammengesetzt zu werden, haben in verschiedenen Fahrten Maschinengewehre, Scherenfernrohre, kleine Munitionsmengen und andere Gegenstände befördert. Andere U-Boote brachten Handwaffen und Munition nach der nordafrikanischen Küste für die dort mit den Italienern im Kampf liegenden Senussen.

Bei der allgemeinen Materialknappheit leisteten auch die Ladungen der in Konstantinopel festliegenden deutschen Dampfer gute Dienste. Das Massengut bestand bei den auf der Ausreise befindlichen meist aus Eisen, bei den rückkehrenden aus Getreide. Aber auch Maschinen und Industrieerzeugnisse fanden sich an Bord. Besonders reichhaltig war die Ladung des Dampfers der deutschen Ostafrikalinie "General", der mit "Goeben" und "Breslau" von Messina nach [307] Konstantinopel gekommen war. Er befand sich auf der Ausreise nach Deutsch-Ostafrika und hatte neben den Bedürfnissen der Kolonie Ausstellungsgegenstände für eine große, in Daressalam geplante Ausstellung an Bord. Fast die ganze deutsche Industrie war vertreten, und für alles fand sich passende Verwendung. Die Dampfer selbst wurden in den Etappendienst eingestellt und brachten Truppen und Kriegsmaterial nach den Dardanellen oder holten Kohlen aus den Kohlengruben bei Zonguldak am Schwarzen Meer. Viele von ihnen erlitten Havarien durch Angriffe feindlicher Untersee- und Torpedoboote oder Flugzeuge, sowie durch Minentreffer. Auch verschiedene Totalverluste kamen vor. Die Leistungen der Kapitäne und Maschinisten dieser Dampfer sind um so anerkennenswerter, als sie die einzigen an Bord gebliebenen Deutschen waren, da die übrigen Angehörigen der Besatzung zur Erfüllung ihrer Dienstpflicht nach der Heimat zurückgekehrt und durch nicht seegewohntes türkisches Personal, das in kritischen Lagen die Nerven verlor, ersetzt worden waren.

Im ganzen blieb trotz aller Anstrengungen der Nachschub nach der Türkei so gering, daß der Fall der Dardanellen schließlich nur noch eine Frage der Zeit war. Zu dem Munitionsmangel gesellte sich die Lebensmittelknappheit in bedrohlichem Umfange. Der anatolische Soldat hat bei mangelhafter Ausrüstung und Verpflegung in der Verteidigung des Zugangs zur Hauptstadt seines Reiches gegen die monatelangen hartnäckigen Anstürme eines mit allen Mitteln der modernen Kriegstechnik reichlich versehenen tapferen Gegners eine bewundernswerte Ausdauer bewiesen; aber schließlich wäre er doch der Erschöpfung erlegen, wenn nicht gerade zur rechten Zeit der Strom der in Ungarn angestauten Nachschubgüter durch die Eroberung Serbiens im Oktober 1915 freien Lauf erhalten hätte. Durch den Zusammenbruch der türkischen Front in Gallipoli wäre die Verbindung zwischen Rußland und seinen Verbündeten frei geworden. Das fehlende Kriegsmaterial zur Ausrüstung der großen russischen Menschenmassen hätte in beliebiger Menge eingeführt werden können, und der Druck auf die Balkanmächte wäre so groß geworden, daß sie sich der Entente hätten anschließen müssen. Diese Wendung wäre für die Mittelmächte vernichtend gewesen. Es war daher ein Ereignis von entscheidender Tragweite, als ein von der Seetransportabteilung bereitgestellter Schleppzug des bayerischen Lloyds mit Geschützen und Munition am 29. Oktober 1915 sofort nach Herstellung einer Fahrstraße durch die Minensperren das Eiserne Tor Donau abwärts unter deutscher Flagge passierte und im bulgarischen Hafen von Lom-Palanka anlegte. König Ferdinand erschien mit seinen Ministern, um den Führer, Kapitänleutnant der Reserve Reichenbächer, zu begrüßen. Die baldige Aussicht auf wirkungsvolle Unterstützung verlieh den Verteidigern den Mut zu weiterem Ausharren. Lord Kitchener selbst traf in Gallipoli ein und gab nach Prüfung der Lage den Befehl zum Abbrechen des verlustreichen Unternehmens. Die Einschiffung des Expeditionskorps war am 10. Januar fast ohne Verluste beendet. Sie war durch [308] nebeliges Wetter sehr begünstigt worden; aber die Kräfte der Verteidiger waren auch so erschöpft, daß sie zu einem energischen Nachstoß nicht mehr fähig waren.

Nunmehr konnte durch den deutschen Feldeisenbahnchef in Verbindung mit der österreichisch-ungarischen Zentraltransportabteilung eine leistungsfähige Etappenverbindung nach der Türkei eingerichtet werden, auf der sich später die verschiedenen deutsch-türkischen Unternehmungen in Kleinasien aufbauten. Leider war der Bau der Bagdadbahn noch nicht beendet. Sie hatte noch zwei große Lücken bei den Gebirgszügen des Taurus und Amanus, die mit Lastautos oder Büffelwagen befahren werden mußten, da die Tunnelarbeiten bei Beginn des Krieges unterbrochen worden waren, und reichte mit ihrer Gleisspitze bis eben über den Euphrat, über den die Eisenbahnbrücke bei Djerablus gerade fertig geworden war. Von Bagdad aus war der Eisenbahnbau nur bis zu dem etwa 120 km nördlich am Tigris gelegenen Orte Samarra gediehen. Zwischen beiden Endpunkten lag eine mehr als 600 km lange Wüstenstrecke, auf der der Lastverkehr nur mit landesüblichen langsamen Beförderungsmitteln - Kamelen und Büffelwagen - vor sich gehen konnte. Der auf diese Weise bewirkte Nachschub war völlig unzureichend für die am unteren Tigris kämpfende Armee, und die einzige Möglichkeit, ihn zu steigern, bestand in der Ausnutzung der Flußschiffahrt des Euphrat. Der Chef des Admiralstabs der Marine wurde daher im Januar 1916 vom türkischen Großen Hauptquartier ersucht, eine Flußetappe auf dem Euphrat einzurichten.

Erkundungen des Flusses ergaben, daß die Wassertiefe an vielen Stellen in der wasserarmen Jahreszeit von Juli bis Januar in der Hauptfahrrinne nicht mehr als einen halben Meter beträgt und daß das Flußbett mit vielem Geröll durchsetzt ist. Es blieb nichts anderes übrig, als auf ein in tausendjähriger Erfahrung bewährtes Lastfahrzeug zurückzugreifen, das ohne Eigenbewegung vom Strome getrieben wird. Es ist dies ein flacher Prahm, von den Eingeborenen Schachtur genannt, etwa 6 m lang und 2 m breit, dessen Boden aus nebeneinandergelegten, der Länge nach zersägten Silberpappelstämmen mit darübergenagelten dünnen Brettern gebildet wird, während die Wände aus stärkeren Brettern bestehen. Zu zweien zusammengekoppelt treiben diese Fahrzeuge den Strom hinunter, von drei Mann bedient, von denen der eine steuert, während die beiden anderen Wasser schöpfen oder an gefährlichen Stellen rudern müssen, um das Festkommen auf flachen Stellen zu vermeiden. Bei einer steinernen Brücke in der Nähe des alten Handelsplatzes Der es Sor mußten die beiden Schachturs auseinandergekoppelt werden, um eine uralte Steinbrücke, dessen mittlerer Bogen nur wenig über 2 m breit war - aus welchem Grunde die Breite der einzelnen Fahrzeuge nicht über dieses Maß hinausgehen durfte - zu passieren. Die Fahrt endete in der Höhe von Bagdad bei Riwanije, von wo aus die Lasten auf einer Feldbahn, deren Kippwagen von türkischen [309] Soldaten geschoben werden mußten, nach dem Tigris weiterbefördert wurden. Ein Doppelschachtur trug etwa 100 Zentner Last und legte am Tage durchschnittlich 40 km zurück, so daß für die Zurücklegung der etwa 1400 km betragenden Flußstrecke unter Hinzurechnung des notwendigen Aufenthalts auf den Etappenstationen zum Wechsel der Bootsbedienung und zur Verproviantierung 6 - 7 Wochen erforderlich waren, eine für heutige Begriffe recht umständliche und langwierige Beförderungsart. Oft aber verlängerte sich die Fahrtdauer noch erheblich dadurch, daß die Schachturs festkamen oder in Seitenarme des Flusses getrieben wurden, die sich als unbefahrbar erwiesen. Die ganze Strecke wurde in sechs Etappen eingeteilt, an deren Endpunkten die Bootsleute abgelöst wurden, um zu Fuß wieder nach dem Anfangspunkt ihrer Etappenstrecke zurückzuwandern. An den Etappenorten wurden sie zu Kompagnien, die bis zu 1000 Mann stark waren, zusammengefaßt. Für die deutschen Führer der Verbände, junge Seeoffiziere oder Unteroffiziere der Marine, war es eine schwere Aufgabe, diese Leute zusammenzufassen, bei denen Desertionen an der Tagesordnung waren. Ohne fahrwasserkundiges Personal war aber der Etappendienst nicht aufrechtzuerhalten. Die Leitung der ganzen Etappe lag in der Hand eines Kapitänleutnants, der in Djerablus sein Standquartier hatte, wo in den Baracken des früheren Brückenbaukommandos der Bahnverwaltung ein Depot für die mit der Bahn herankommenden Nachschubgüter gebildet wurde.

Der Bau der Schachturs erfolgte in einer Werkstätte etwas oberhalb Djerablus am Fuße des Gebirges und wurde von einer Tagesleistung von drei Doppelschachturs, später, als eine größere Expedition zur Befreiung Bagdads vorbereitet wurde, auf eine solche von 20 - 25 gefördert. Das Holz dazu wurde weit aus dem Gebirge von Holzfällkommandos unter Aufsicht eines Reserveoffiziers der Marine geholt, die die gefällten und zersägten Stämme unter großen Schwierigkeiten mit Kamelen oder Maultieren zu Tal befördern mußten. Wie groß der Holzbedarf war, ergibt sich daraus, daß zum Bau von 25 Doppelschachturs etwa 2000 Pappelstämme gebraucht wurden. Es war üblich, die am Endpunkt der Flußstrecke angekommenen Fahrzeuge zu zerlegen und das Holz nach Bagdad zu bringen, wo es dringend gebraucht wurde. Bei der Vergrößerung des Etappendienstes sollte der Versuch gemacht werden, die Schachturs durch flachgehende Motorboote wieder flußaufwärts schleppen zu lassen. Es wurden daher in Deutschland zerlegbare Doppelschraubenboote gebaut, die in einzelnen Teilen verfrachtet und auf einer in Djerablus unter Leitung eines Marinebaumeisters eingerichteten kleinen Werft zusammengesetzt wurden. Der Schleppgedanke mußte wieder aufgegeben werden, da die Schleppkraft in dem flachen Wasser zu gering war. Doch konnten die Motorboote, von denen mit der Zeit ein Dutzend hinausgesandt wurden, im Polizei- und Patrouillendienst und zur schnellen Beförderung von Personen und wertvollen Gegenständen sehr gute Dienste leisten.

[310] Als die Engländer im Frühjahr 1918 von Bagdad her gegen den Euphrat vorrückten, beteiligte sich eine Kampfgruppe der Euphratflottille an den Abwehrkämpfen. Sie bestand aus zwei auf der Euphratwerft gebauten Geschützleichtern mit je einer 10,5-cm-Schnellfeuerkanone und drei Geschützschachturen mit je einer 6-cm-Bootskanone. Jedem dieser Fahrzeuge war ein Munitionsschachtur beigegeben. Um die Geschütze unter Umständen auch an Land verwenden zu können, führten sie zerlegbare Bettungen mit sich. Zur Fortbewegung dienten Motorboote, die ebenfalls 6-cm-Bootskanonen trugen. Außerdem waren alle Fahrzeuge mit Maschinengewehren bewaffnet und führten Minen, Minensuchmaterial und Sprengausrüstung mit sich. Das Personal bestand aus etwa 50 deutschen Matrosen, die die Hauptnummern der Geschützbedienungen stellten, während die Hilfsnummern und die Bootsbesatzungen aus türkischen Marinemannschaften gebildet wurden.

Wie überall auf den vielen seemännischen Außenposten, die die Marine während des Krieges zu besetzen hatte, haben sich die deutschen Seeleute auch in der Euphratetappe bei dem heißen, ungesunden Klima trotz vieler Entbehrungen mit großer Findigkeit und unermüdlichem Diensteifer den fremden Verhältnissen angepaßt und in dem oft nicht leichten Zusammenarbeiten mit den türkischen Kameraden ihre meist selbständigen Posten in vorbildlicher Weise ausgefüllt. Viele von ihnen ruhen in fremder Erde, wo sie in treuer Pflichterfüllung ausgeharrt und einsam, ohne fürsorgende Hilfe und Zuspruch fern von der Heimat ihrem Ende entgegensehen mußten.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte