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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 4: Das Nachschubwesen der Marine
und die Ausrüstung von Hilfskriegsschiffen
  (Forts.)

Vizeadmiral Bernhard Rösing

A. Nachschubwesen der Marine.   Forts.

[280] 2. Der Troß der Hochseeflotte.

Als die Mobilmachung befohlen wurde, konnte noch nicht übersehen werden, welche Aufgaben der Krieg der Hochseeflotte stellen würde. Falls England sich zunächst neutral verhielt, konnte ein offensives Vorgehen gegen die französische Flotte in Frage kommen. Aber auch wenn man mit dem sofortigen Eingreifen Englands rechnete, blieb es von dem Verhalten des Gegners abhängig, ob der Schwerpunkt des Seekriegs zuerst in der Ostsee oder in der Nordsee oder im englischen Kanal liegen würde. Der Admiralstab mußte sich daher für alle Möglichkeiten rüsten und ordnete die Einrichtung eines schwimmenden Depots an, das der Flotte zu folgen geeignet war.


Kohlen- usw. Schiffe.

In erster Linie kam es auf die Nachfuhr von Kohlen an. Jede Gelegenheit sollte ausgenutzt werden, um die Bunker aufzufüllen. Im Kriege muß stets ein möglichst vollständiger Bestand der Brennstoffvorräte an Bord angestrebt werden, damit die Flotte aktionsfähig bleibt. Auch ist es für ein Kriegsschiff wichtig, mit möglichst großem Kohlenbestand in die Schlacht zu kommen, da die Kohle ein vorzügliches Mittel zur Verminderung der Wirkung von Granatexplosionen bildet. Der Kohlenverbrauch ist sehr viel stärker als im Frieden, da schon die U-Bootsgefahr zur Einhaltung großer Geschwindigkeiten zwingt, und selbst ein Schiff, das stilleliegt, seine Kessel in solcher Bereitschaft halten muß, daß sie binnen kürzester Zeit zur Höchstleistung gebracht werden können.

Es war berechnet worden, daß für eine einmalige gleichzeitige Auffüllung aller Schiffe der Hochseeflotte 20 Kohlendampfer mit einer Durchschnittsladefähigkeit von 2000 t genügen würden. Größere Dampfer waren nicht erwünscht, da ihre Handhabung längsseit der Kriegsschiffe Schwierigkeiten machte und auch eine Verteilung der Kohlen auf möglichst viele Übernahmestellen von Vorteil war. Wenn auch solche Dampfer vorgezogen wurden, die über große Luken und gutes Löschgerät verfügten, so eignete sich doch jeder Frachtdampfer von entsprechender Größe. Nur die Forderung einer der Marschfahrt der Flotte gleichkommenden Geschwindigkeit konnte nicht erfüllt werden, da diese kleinen Frachtdampfer im allgemeinen nicht mehr als 9 - 10 sm laufen können. Neben den Kohlen führte jeder Dampfer eine angemessene Menge von Maschinenöl, Brennholz und Kesselspeisewasser zur Abgabe mit sich.

Für das Bekohlen von Torpedobooten wurden vier größere Schiffe eingerichtet, deren Länge das gleichzeitige Längsseitliegen von zwei großen Booten auf jeder Seite gestattete. In den letzten Jahren vor dem Kriege hatte die Reederei Hugo Stinnes einige Dampfer gebaut, auf denen die Wünsche der Marineverwaltung für Torpedobootskohlendampfer besondere Berücksichtigung gefunden hatten. Um den großen Bedarf der Boote an Öl und Kesselspeisewasser befriedigen zu können, waren im Raum und an Deck Tanks mit Sauge- [281] rohrleitungen eingebaut, die durch die Schiffspumpen entleert werden konnten. Die Druckrohrleitungen waren so angeordnet, daß an vier Stellen gleichzeitig Öl und Kesselspeisewasser abgegeben werden konnte.

Heizöl wurde auch auf besonderen Tankdampfern verfrachtet, von denen die Handelsmarine zehn stellen konnte. Sie mußten später, als verschiedene Verluste durch Minen eingetreten waren und der Heizölbedarf der Untersee- und Torpedoboote stieg, durch Neubauten der Kriegsmarine ergänzt werden.

Zur Versorgung kleiner Fahrzeuge, Vorposten- und Minensuchboote, wurden Depotdampfer ausgerüstet und auf die Küste verteilt. Außer Kohlen-und Kesselspeisewasser hielten sie Artilleriegerät, Reserveinventar, Materialien, ärztliche Ausrüstungen und Lebensmittel zur Abgabe bereit. Sie ersparten den kleinen Fahrzeugen das häufige Einlaufen in die Häfen, womit immer eine längere Unterbrechung ihrer Tätigkeit verbunden war.

Nächst dem Brennstoff bildete die Munition den wichtigsten Teil des Nachschubs. Die II. Chargierung der Hochseeflotte wurde auf sechs größeren Frachtdampfern derart verladen, daß die für jedes Kriegsschiff bestimmte Munition sofort greifbar war. Auf die Möglichkeit einer gleichzeitigen Munitionsabgabe an alle Schiffe, wie es bei den Kohlen vorgesehen war, konnte verzichtet werden, da anzunehmen war, daß nach einer Seeschlacht, nach der die Munitionsbestände der ganzen Flotte der Auffüllung bedurften, doch durch Instandsetzungsarbeiten an den Schiffen und Maschinen eine größere Pause in den Operationen entstehen würde.

Eine Flotte muß ferner über Werkstattschiffe verfügen, wenn die Schiffe ihre laufenden Reparaturen auf einem provisorisch eingerichteten Stützpunkt ausführen sollen, anstatt jedesmal nach dem Heimathafen zurückzulaufen. Verschiedene Marinen besaßen schon im Frieden solche schwimmenden Reparaturwerkstätten, die die Flotte auf größeren Reisen begleiteten. Der englischen Schlachtflotte ermöglichte das Vorhandensein der beiden im Frieden erprobten Werkstattschiffe "Cyclops" und "Assistance" im Kriege die Loslösung von den großen Kriegshäfen im Kanal und den Aufenthalt in den strategisch günstiger liegenden, aber noch nicht fertig ausgebauten Stützpunkten im Norden. Auch in Deutschland war der Bau eines ständigen Werkstattschiffs erwogen, aber wegen dringenderer Forderungen vorerst zurückgestellt worden. So mußte man sich damit abfinden, daß der Umbau eines Handelsschiffs mehrere Wochen erforderte.

Die Wahl fiel auf den großen Frachtdampfer der Hamburg-Amerika-Linie "Bosnia", ein Schiff von 9683 Bruttoregistertonnen Größe und 12 sm Geschwindigkeit. Der Umbau wurde von der Hamburger Werft Blohm & Voß nach bereits im Frieden fertiggestellten Plänen in fünf Wochen ausgeführt. Es wurden Werkstatträume mit den verschiedensten Arten von Arbeitsmaschinen für Schiff- und Maschinenbau sowie eine Gießerei, Tischlerei, Schmiede, Werk- [282] zeugmacherei und Preßluftanlage eingebaut. Die Umbauarbeiten umfaßten ferner die Verstärkung der Decks und den Einbau von Fundamenten und neuen Decks für die Aufstellung der Maschinen, die Einrichtung von Magazinen und Lagerräumen, die Aufstellung von schwerem Ladegeschirr und Arbeitsbooten, die Herstellung einer künstlichen Ventilationsanlage und eines Hilfsmaschinenraums mit den dazu gehörigen Kühlwasser- und Dampfleitungen, die Anlage von Füll- und Abgabeleitungen für Trink-, Wasch- und Feuerlöschwasser, den Einbau einer elektrischen Kraftanlage nebst Schalttafeln und schiffbauliche Einrichtungen für die Unterbringung der Beamten und Arbeiter.

Das Schiff hat sich während des Krieges gut bewährt. Lange Zeit diente es den Geschwadern, denen die Unterelbe als Stützpunkt zugewiesen war, als Reparaturwerkstätte und ersparte ihnen den zeitraubenden Weg nach den Hamburger Werften. Nach der Skagerrakschlacht trug die "Bosnia" wesentlich zur schnellen Wiederherstellung der Flotte bei, und im April 1918 war es nur mit ihrer Hilfe möglich, das in den Schärengewässern der Aalandsee auf ein Felsenriff gelaufene Linienschiff "Rheinland" nach Entfernung des Panzers und der schweren Geschütztürme wieder flottzumachen.


Ein Schleppzug von sechs Lazarettschiffen auf der Oberspree.
Ein Schleppzug von sechs Lazarettschiffen
auf der Oberspree.      [Vergrößern]

Aus: Um Vaterland und Freiheit, Bd. 1, S. 46.
Lazarettschiffe.

Eine besondere Stellung unter den Hilfsschiffen, sowohl in seekriegsrechtlicher Hinsicht als auch in bezug auf ihre Verwendung, nehmen die Lazarettschiffe ein.

Während in früheren Zeiten der Transport von Verwundeten und Kranken im Seekriege beliebigen Schiffen anvertraut werden mußte, denen kein Schutz gegen feindliche Angriffe zur Seite stand, sind seit der Genfer Konvention des Jahres 1864 Bestrebungen im Gange, zwischen den Kulturnationen Vereinbarungen zu treffen, die eine seekriegsrechtliche Ausnahmestellung der mit bestimmten Kennzeichen versehenen Lazarett- oder Hospitalschiffe zum Gegenstand haben. Im Jahre 1868 wurden die in der Genfer Konvention vereinbarten Regeln für den Sanitätsdienst im Landkrieg durch Zusätze ergänzt, die die ersten Bestimmungen für die Marine enthielten. Nachdem diese in der I. Haager Friedenskonferenz 1899 und den folgenden Jahren überprüft waren, entstand in der II. Haager Konferenz im Jahre 1907 das den modernen Verhältnissen angepaßte X. Abkommen "betreffend die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg". Es ist bezeichnend, daß die größte Seemacht, Großbritannien, dieses lediglich menschenfreundlichen Zwecken gewidmete Abkommen nur mit einigen Vorbehalten unterzeichnet hat, ohne es jedoch zu ratifizieren, getreu dem Grundsatz, sich in solchen Dingen, die sie in der willkürlichen Ausübung ihrer Seegewalt beschränken können, möglichst nicht endgültig zu binden. Durch diese Unterlassung der Ratifikation wäre auch das Deutsche Reich, obgleich es ratifiziert hatte, rechtlich von allen Verpflichtungen [283] des Abkommens entbunden gewesen, da nach Artikel 18 die Bestimmungen des Abkommens nur dann Anwendung finden sollen, wenn alle Kriegführenden Vertragsparteien sind. Trotzdem hat die deutsche Regierung bei Kriegsbeginn nicht gezögert, das Abkommen als bindend für sich anzuerkennen.

Die Vorrechte, die das Abkommen den Lazarettschiffen zuspricht, haben zur Voraussetzung, daß sie einzig und allein zu dem Zweck eingerichtet und verwendet werden, Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen Hilfe zu leisten, daß ihre Namen vor irgendwelcher Verwendung zu solchen Zwecken den kriegführenden Mächten mitgeteilt werden, und daß sie durch bestimmte Abzeichen kenntlich gemacht sind. Letztere bestehen in einer neben der Nationalflagge zu führenden weißen Flagge mit rotem Kreuz (Genfer Flagge) und einem weißen Schiffsanstrich nebst einem anderthalb Meter breiten grünen Streifen für die vom Staate eingerichteten oder einem ebensolchen roten Streifen für die von Privatpersonen oder amtlich anerkannten Hilfsgesellschaften ausgerüsteten Schiffe. Des Nachts muß für ausreichende Beleuchtung dieser Abzeichen gesorgt werden. Die so verwendeten und gekennzeichneten Schiffe sind von den Kriegführenden zu achten und dürfen nicht weggenommen werden.

Die einer Flotte beigegebenen Lazarettschiffe müssen eine genügende Geschwindigkeit besitzen, um in ihrer Nähe bleiben zu können. Denn sie sollen jederzeit bereit sein, den Kriegsschiffen Kranke und Verwundete abzunehmen. Auch ist es erwünscht, daß sie die Rettung Schiffbrüchiger nach Seegefechten übernehmen, wofür sie reichlich mit Rettungsmitteln versehen werden müssen. Da sich unter Umständen erst nach langer Zeit eine Ausschiffsmöglichkeit bietet, müssen sie ferner mit allen Mitteln für eine gründliche ärztliche Behandlung und Pflege ausgerüstet sein. Es sind hierzu große geräumige Schiffe erwünscht mit hohen luftigen Decks, die genügend Raum für eine hygienische Unterbringung der Kranken und für die Einrichtung der im ärztlichen Betrieb unentbehrlichen Nebenräume bieten. Reine Kajütschiffe, auf denen jeder Platz für Passagiereinrichtungen ausgenutzt ist, enthalten solche Räumlichkeiten nicht in ausreichendem Maße. Die Ladungsräume von Frachtdampfern eignen sich noch schlechter für Lazarettzwecke. Am geeignetsten sind daher die für Auswandererverkehr eingerichteten Schiffe, die sowohl große Wohnräume als auch eine genügende Zahl von Einzelkabinen enthalten.

Neben diesen Hochseelazarettschiffen richtete die deutsche Marine kleine, aber seetüchtige Fahrzeuge ein, deren Hauptaufgabe darin bestand, den Transport Kranker und Verwundeter von den auf Vorposten befindlichen Kriegsschiffen nach den Landlazaretten zu vermitteln. Außerdem sollten sie nach Seegefechten das Kampfgebiet nach Schiffbrüchigen absuchen. Die großen Schiffe waren für diese Zwecke zu unhandlich und besonders bei bewegter See kaum verwendbar. Diese kleinen Lazarettschiffe konnten mit einer ärztlichen Ausrüstung auskommen, die für die erste Hilfeleistung und vorübergehende Be- [284] handlung einschließlich Notoperationen genügte. Zur Unterscheidung von den Hochseelazarettschiffen wurden sie als Hilfslazarettschiffe bezeichnet, ohne daß ihnen damit in seekriegsrechtlicher Hinsicht eine andere Stellung zugewiesen werden sollte.

Die Engländer haben die meisten ihrer zahlreichen großen Hospitalschiffe dazu benutzt, um die im Landkriege in überseeischen Gebieten verwundeten oder erkrankten Militärpersonen nach der Heimat zu befördern. Da hierfür eine große Unterbringungsmöglichkeit die Hauptsache war und ärztliche Einrichtungen dagegen zurücktreten konnten, bevorzugten sie große Passagierschnelldampfer, wie "Aquitania", "Mauretania" und "Britannic". Streng genommen bezieht sich das X. Haager Abkommen nicht auf solche Schiffe, die lediglich der Entlastung des Landkriegs dienen. Artikel 22 sagt ausdrücklich: "Finden Kriegsunternehmungen zwischen Land- und Seestreitkräften der Kriegführenden statt, so sollen die Bestimmungen dieses Abkommens nur für die eingeschifften Streitkräfte Anwendung finden." Auch geht aus der Entstehung und Fassung des Lazarettschiffabkommens hervor, daß sein Zweck lediglich darin besteht, die Hilfeleistung für die im Seekriege verwundeten, erkrankten oder schiffbrüchig gewordenen Menschen zu regeln. Die deutsche Regierung wäre also schon auf Grund des Artikels 22 berechtigt gewesen, den Krankentransportschiffen der Engländer die Anerkennung zu versagen, auch bevor sie Beweise dafür in Händen hatte, daß diese auch zur Beförderung von Urlaubern und geschlossenen Truppenkörpern, ja sogar von Munition ausgenutzt wurden. Trotzdem hat sie ihnen bestimmte Wege freigegeben, auf denen sie ihren Transportdienst unbehelligt von deutschen U-Booten durchführen konnten. Es ist bekannt, wie die englische Propaganda es dessenungeachtet verstanden hat, in der Welt den Eindruck zu erwecken, als hätte sich die deutsche U-Bootskriegführung in rücksichtsloser Weise über die menschenfreundliche Absicht des Lazarettschiffabkommens hinweggesetzt.

Wie die Engländer selbst über die Handhabung dieses Abkommens dachten, wenn es ihren Interessen im Wege zu stehen schien, hat sich schon im Anfang des Krieges, lange vor Beginn der U-Bootsoffensive, bei der Behandlung des deutschen Lazarettschiffs "Ophelia" gezeigt. Dieses Hilfslazarettschiff war am 17. Oktober 1914 vom Flottenchef auf die Nachricht hin, daß in der südlichen Nordsee vier Torpedoboote mit einer Besatzung von insgesamt etwa 300 Mann von englischen Kreuzern versenkt worden waren, mit dem Befehl, nach Überlebenden zu suchen, an die Unfallstelle geschickt worden. Bei Ausführung dieses Auftrages wurde das Schiff, noch ehe es das Rettungswerk beginnen konnte, von dem britischen Kreuzer "Meteor" angehalten und zur prisengerichtlichen Aburteilung nach dem englischen Hafen Gravesend gebracht.

Für Fälle des Zweifels über die rechtmäßige Eigenschaft eines Lazarettschiffs sieht der Artikel 4 des X. Haager Abkommens ausdrücklich vor, daß das [285] Rettungswerk vor der Beschlagnahme zunächst unter Aufsicht eines Kommissars vollendet werden soll. Wie notwendig dies in jenem Falle gewesen wäre, geht daraus hervor, daß nach Aussage von Geretteten eine Menge ihrer Kameraden nach dem Untergang der Torpedoboote mit Schwimmwesten versehen noch geschwommen haben, und daß noch am 18. Oktober zwei Überlebende von einem Fischerfahrzeug aufgenommen wurden. Der englische Kommandant ließ sich aber durch keine Gegenvorstellungen dazu bewegen, etwas zur Rettung der deutschen Schiffbrüchigen zu tun, und das englische Prisengericht begründete den Urteilsspruch, durch den die "Ophelia" als gute Prise erklärt wurde, obgleich eine völkerrechtswidrige Tat nicht nachgewiesen werden konnte, lediglich mit der "Annahme", daß das Schiff als Signal- und Spähschiff benutzt worden wäre.2 In der britischen Admiralität herrschte damals eine gewisse Nervosität, weil man einen deutschen Flottenvorstoß in den Kanal zur Verhinderung von englischen Truppenlandungen während der entscheidenden Kämpfe um die flandrische Küste erwartete, und in solchen kritischen Lagen treten bei dem Engländer alle anderen Rücksichten, auch solche humanitärer Art, zurück.

Im weiteren Verlauf des Krieges hat man noch an verschiedenen Beispielen erkennen können, wie die britischen Prisengerichte ihre Aufgabe darin sahen, unrechtmäßige Kriegshandlungen durch ihren Spruch zu decken.

Ein Vorgehen, wie es die Engländer im Falle "Ophelia" für richtig hielten, mußte dazu führen, daß das ganze Lazarettschiffabkommen gegenstandslos wurde. Denn danach konnten die Lazarettschiffe nur noch dort verwandt werden, wo sie gegen feindlichen Zugriff gesichert waren, was dem Sinne des Abkommens widersprach.

Der deutsche Admiralstab bestimmte im Anfang des Krieges für jedes Geschwader ein Hochsee- und ein Hilfslazarettschiff, so daß im ganzen von jeder Art sechs in Dienst zu stellen waren. Die ersteren wurden vom Norddeutschen Lloyd aus den mit Zwischendeckseinrichtungen versehenen großen Passagierdampfern gestellt und von dem technischen Betrieb dieser Reederei in mustergültiger Weise umgebaut und eingerichtet.

Neben praktischen Erfahrungen, die die Marine während der China-Expedition 1900/01 mit einem vom Norddeutschen Lloyd ausgerüsteten Lazarettschiff gemacht hatte, lagen der Einrichtung sorgfältige, durch Friedensübungen erprobte Vorbereitungen zugrunde. Innerhalb von acht Tagen wurden die Schiffe in schwimmende Krankenhäuser mit allen dazu gehörigen Einrichtungen umgewandelt. Außer bequemen luftigen Lagern, geräumigen Eß- und Erholungssälen und Badeeinrichtungen mit Heilbädern aller Art wurden Operations- und Verbandräume mit vollständiger Ausstattung von klinischen Instrumenten und Apparaten, Apotheken und Laboratorien für bakteriologische, [286] chemische und Nahrungsmitteluntersuchungen vorgesehen. Isolierabteilungen und Desinfektionsräume sowie Einzelkabinen für unruhige Kranke wurden eingerichtet. Die Bettenzahl schwankte zwischen 300 und 450 auf jedem Schiff.

Von der Marine wurde das Sanitätspersonal, vom Norddeutschen Lloyd das Schiffspersonal gestellt und die Verpflegung geliefert. Leider durften keine Krankenschwestern eingeschifft werden, da die Tätigkeit von Personal der freiwilligen Krankenpflege bestimmungsgemäß auf das Heimat- und Etappengebiet beschränkt werden mußte, während die Lazarettschiffe den im Operationsgebiet befindlichen Feldlazaretten gleichzuachten waren, eine Rücksicht, um die sich übrigens die Engländer auf ihren Lazarettschiffen nicht gekümmert haben.

Obgleich das Haager Abkommen die Einschiffung aktiver Militärpersonen nicht verbietet, wurde die Kommandierung von Seeoffizieren vermieden, weil diese beim Zusammentreffen mit dem Feinde gefangengenommen werden dürfen. Das militärische Detachement wurde auf das zum Brücken-, Boots- und Sicherheitsdienst notwendigste Personal beschränkt und dem Chefarzt unterstellt. Diesem wurde auch die Leitung des Dienstes übertragen, während die Verantwortung für die seemännische Führung des Schiffes dem Lloydkapitän verblieb.

Als Hilfslazarettschiffe wurden kleine Passagierdampfer oder Personentender, die im Frieden den Verkehr der großen Passagierdampfer mit dem Lande vermitteln, verwendet. Neben der beschränkten ärztlichen Einrichtung erhielten sie gute Transportmittel für Schwerverletzte und reichliche Rettungseinrichtungen für Schiffbrüchige. Ihre Bettenzahl war auf 50 - 90 beschränkt. Eins von diesen kleinen Schiffen wurde vom Roten Kreuz eingerichtet.

Die vorstehend beschriebenen Zufuhr- und Lazarettschiffe wurden zu einem Troß zusammengefaßt, an dessen Spitze ein Konteradmiral als Troßchef stand. Ein schneller Passagierdampfer diente als Flaggschiff des Trosses. Der Troßchef sollte nach Anordnungen des Flottenchefs den Nachschub für die Hochseeflotte regeln. Zum Troß gehörten noch eine Anzahl kleiner Hilfsfahrzeuge, wie Wasserschiffe, Proviantschiffe, Bergungs- und Pumpendampfer, Schlepper, Beurlaubten- und Postdampfer.


Auflösung des Trosses.

Nachdem sich in den ersten Kriegsmonaten gezeigt hatte, daß die Hochseeflotte infolge der Zurückhaltung der britischen Flotte an die deutsche Bucht der Nordsee gebunden bleiben würde und sich nicht weit von ihren Häfen entfernen konnte, erfolgte aus Ersparnisgründen die Auflösung des Trosses. Alle Munitionsschiffe wurden außer Dienst gestellt und die Munition teils in den inzwischen erweiterten Munitionskammern der Kriegsschiffe, teils in den Depots der Nordseehäfen untergebracht. Von den Kohlenschiffen blieben nur die vier für Torpedoboote bestimmten im Betrieb. Sie lagen meist auf der Außenreede der Jade, [287] damit die Torpedoboote nicht zu jeder Kohlenübernahme in den Hafen einzulaufen brauchten. Die großen Schiffe kohlten aus Werftprähmen. In der Folge kamen nur noch in der Ostsee Kohlendampfer für Schiffe zur Verwendung und wurden je nach Bedarf in Dienst gestellt. Um stets für größere Expeditionen passende Schiffe kostenlos zur Hand zu haben, wurden feindliche Frachtdampfer, die bei Beginn des Krieges in den deutschen Häfen beschlagnahmt worden waren, oder Prisen im Kieler Hafen so bereit gehalten, daß sie sofort mit Kohlen beladen und in Fahrt gesetzt werden konnten. Eine dauernde Lagerung der Kohlen in den Laderäumen der Dampfer war nicht angängig, da sie dort wegen mangelnder Lüftung zur Selbstentzündung neigten.

Von den großen Lazarettschiffen blieben nur zwei im Dienst, das eine für die Nordsee, das andere für die Ostsee. Letzteres wurde im Februar 1916 entbehrlich, während ersteres, die "Sierra Ventana", bis zum Schluß des Krieges zur Verfügung des Chefs der Hochseeflotte blieb. Nach der Skagerrakschlacht nahm es 271 Verwundete auf und hat im ganzen während des Krieges 2971 Kranke mit 79 722 Behandlungstagen an Bord gehabt. Die Hilfslazarettschiffe erwiesen sich bis zum Kriegsschluß als unentbehrlich.

Der Stab des Troßchefs wurde aufgelöst und sein Flaggschiff außer Dienst gestellt. Die noch verbleibenden Troßschiffe wurden auf die Flottenverbände verteilt und in Verwaltungsangelegenheiten dem Kommandanten des Werkstattschiffes "Bosnia" unterstellt. Die Lazarettschiffe wurden zu einem besonderen Verbande zusammengefaßt, dessen Führer dem Stabe des Flottenchefs angehörte.

Für die größeren Flottenunternehmungen in der Ostsee gegen die baltischen Inseln und nach Finnland wurde später jedesmal ein Troß zusammengestellt, für den ein besonderer Führer kommandiert wurde.


2 [1/285]Vgl. Englands Lazarettschiffsmißbrauch von Friedrich Lützow, Verlag für volkstümliche Literatur und Kunst, Ulrich Meyer, Berlin-Dahlem. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte