Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 4: Das Nachschubwesen
der Marine
und die Ausrüstung von
Hilfskriegsschiffen (Forts.)
Vizeadmiral Bernhard Rösing
A. Nachschubwesen der Marine.
Forts.
[280] 2. Der
Troß der Hochseeflotte.
Als die Mobilmachung befohlen wurde, konnte noch nicht übersehen
werden, welche Aufgaben der Krieg der Hochseeflotte stellen würde. Falls
England sich zunächst neutral verhielt, konnte ein offensives Vorgehen
gegen die französische Flotte in Frage kommen. Aber auch wenn man mit
dem sofortigen Eingreifen Englands rechnete, blieb es von dem Verhalten des
Gegners abhängig, ob der Schwerpunkt des Seekriegs zuerst in der Ostsee
oder in der Nordsee oder im englischen Kanal liegen würde. Der
Admiralstab mußte sich daher für alle Möglichkeiten
rüsten und ordnete die Einrichtung eines schwimmenden Depots an, das der
Flotte zu folgen geeignet war.
Kohlen- usw. Schiffe.
In erster Linie kam es auf die Nachfuhr von Kohlen an. Jede Gelegenheit sollte
ausgenutzt werden, um die Bunker aufzufüllen. Im Kriege muß stets
ein möglichst vollständiger Bestand der Brennstoffvorräte an
Bord angestrebt werden, damit die Flotte aktionsfähig bleibt. Auch ist es
für ein Kriegsschiff wichtig, mit möglichst großem
Kohlenbestand in die Schlacht zu kommen, da die Kohle ein vorzügliches
Mittel zur Verminderung der Wirkung von Granatexplosionen bildet. Der
Kohlenverbrauch ist sehr viel stärker als im Frieden, da schon die
U-Bootsgefahr zur Einhaltung großer Geschwindigkeiten zwingt, und selbst
ein Schiff, das stilleliegt, seine Kessel in solcher Bereitschaft halten muß,
daß sie binnen kürzester Zeit zur Höchstleistung gebracht
werden können.
Es war berechnet worden, daß für eine einmalige gleichzeitige
Auffüllung aller Schiffe der Hochseeflotte 20 Kohlendampfer mit einer
Durchschnittsladefähigkeit von 2000 t genügen würden.
Größere Dampfer waren nicht erwünscht, da ihre Handhabung
längsseit der Kriegsschiffe Schwierigkeiten machte und auch eine
Verteilung der Kohlen auf möglichst viele Übernahmestellen von
Vorteil war. Wenn auch solche Dampfer vorgezogen wurden, die über
große Luken und gutes Löschgerät verfügten, so eignete
sich doch jeder Frachtdampfer von entsprechender Größe. Nur die
Forderung einer der Marschfahrt der Flotte gleichkommenden Geschwindigkeit
konnte nicht erfüllt werden, da diese kleinen Frachtdampfer im allgemeinen
nicht mehr als 9 - 10 sm laufen können. Neben den
Kohlen führte jeder Dampfer eine angemessene Menge von
Maschinenöl, Brennholz und Kesselspeisewasser zur Abgabe mit sich.
Für das Bekohlen von Torpedobooten wurden vier größere
Schiffe eingerichtet, deren Länge das gleichzeitige Längsseitliegen
von zwei großen Booten auf jeder Seite gestattete. In den letzten Jahren vor
dem Kriege hatte die Reederei Hugo Stinnes einige Dampfer gebaut, auf denen
die Wünsche der Marineverwaltung für Torpedobootskohlendampfer
besondere Berücksichtigung gefunden hatten. Um den großen Bedarf
der Boote an Öl und Kesselspeisewasser befriedigen zu können,
waren im Raum und an Deck Tanks mit Sauge- [281] rohrleitungen
eingebaut, die durch die Schiffspumpen entleert werden konnten. Die
Druckrohrleitungen waren so angeordnet, daß an vier Stellen gleichzeitig
Öl und Kesselspeisewasser abgegeben werden konnte.
Heizöl wurde auch auf besonderen Tankdampfern verfrachtet, von denen
die Handelsmarine zehn stellen konnte. Sie mußten später, als
verschiedene Verluste durch Minen eingetreten waren und der Heizölbedarf
der Untersee- und Torpedoboote stieg, durch Neubauten der Kriegsmarine
ergänzt werden.
Zur Versorgung kleiner Fahrzeuge, Vorposten- und Minensuchboote, wurden
Depotdampfer ausgerüstet und auf die Küste verteilt. Außer
Kohlen-und Kesselspeisewasser hielten sie Artilleriegerät, Reserveinventar,
Materialien, ärztliche Ausrüstungen und Lebensmittel zur Abgabe
bereit. Sie ersparten den kleinen Fahrzeugen das häufige Einlaufen in die
Häfen, womit immer eine längere Unterbrechung ihrer
Tätigkeit verbunden war.
Nächst dem Brennstoff bildete die Munition den wichtigsten Teil des
Nachschubs. Die II. Chargierung der Hochseeflotte wurde auf sechs
größeren Frachtdampfern derart verladen, daß die für
jedes Kriegsschiff bestimmte Munition sofort greifbar war. Auf die
Möglichkeit einer gleichzeitigen Munitionsabgabe an alle Schiffe, wie es
bei den Kohlen vorgesehen war, konnte verzichtet werden, da anzunehmen war,
daß nach einer Seeschlacht, nach der die Munitionsbestände der
ganzen Flotte der Auffüllung bedurften, doch durch
Instandsetzungsarbeiten an den Schiffen und Maschinen eine größere
Pause in den Operationen entstehen würde.
Eine Flotte muß ferner über Werkstattschiffe verfügen, wenn
die Schiffe ihre laufenden Reparaturen auf einem provisorisch eingerichteten
Stützpunkt ausführen sollen, anstatt jedesmal nach dem Heimathafen
zurückzulaufen. Verschiedene Marinen besaßen schon im Frieden
solche schwimmenden Reparaturwerkstätten, die die Flotte auf
größeren Reisen begleiteten. Der englischen Schlachtflotte
ermöglichte das Vorhandensein der beiden im Frieden erprobten
Werkstattschiffe "Cyclops" und "Assistance" im Kriege die Loslösung von
den großen Kriegshäfen im Kanal und den Aufenthalt in den
strategisch günstiger liegenden, aber noch nicht fertig ausgebauten
Stützpunkten im Norden. Auch in Deutschland war der Bau eines
ständigen Werkstattschiffs erwogen, aber wegen dringenderer Forderungen
vorerst zurückgestellt worden. So mußte man sich damit abfinden,
daß der Umbau eines Handelsschiffs mehrere Wochen erforderte.
Die Wahl fiel auf den großen Frachtdampfer der
Hamburg-Amerika-Linie "Bosnia", ein Schiff von 9683 Bruttoregistertonnen
Größe und 12 sm Geschwindigkeit. Der Umbau wurde von der
Hamburger Werft Blohm & Voß nach bereits im Frieden
fertiggestellten Plänen in fünf Wochen ausgeführt. Es wurden
Werkstatträume mit den verschiedensten Arten von Arbeitsmaschinen
für Schiff- und Maschinenbau sowie eine Gießerei, Tischlerei,
Schmiede, Werk- [282] zeugmacherei und
Preßluftanlage eingebaut. Die Umbauarbeiten umfaßten ferner die
Verstärkung der Decks und den Einbau von Fundamenten und neuen Decks
für die Aufstellung der Maschinen, die Einrichtung von Magazinen und
Lagerräumen, die Aufstellung von schwerem Ladegeschirr und
Arbeitsbooten, die Herstellung einer künstlichen Ventilationsanlage und
eines Hilfsmaschinenraums mit den dazu gehörigen
Kühlwasser- und Dampfleitungen, die Anlage von
Füll- und Abgabeleitungen für
Trink-, Wasch- und Feuerlöschwasser, den Einbau einer elektrischen
Kraftanlage nebst Schalttafeln und schiffbauliche Einrichtungen für die
Unterbringung der Beamten und Arbeiter.
Das Schiff hat sich während des Krieges gut bewährt. Lange Zeit
diente es den Geschwadern, denen die Unterelbe als Stützpunkt zugewiesen
war, als Reparaturwerkstätte und ersparte ihnen den zeitraubenden Weg
nach den Hamburger Werften. Nach der Skagerrakschlacht trug die "Bosnia"
wesentlich zur schnellen Wiederherstellung der Flotte bei, und im April 1918 war
es nur mit ihrer Hilfe möglich, das in den Schärengewässern
der Aalandsee auf ein Felsenriff gelaufene Linienschiff "Rheinland" nach
Entfernung des Panzers und der schweren Geschütztürme wieder
flottzumachen.
Lazarettschiffe.
Eine besondere Stellung unter den Hilfsschiffen, sowohl in seekriegsrechtlicher
Hinsicht als auch in bezug auf ihre Verwendung, nehmen die Lazarettschiffe
ein.
Während in früheren Zeiten der Transport von Verwundeten und
Kranken im Seekriege beliebigen Schiffen anvertraut werden mußte, denen
kein Schutz gegen feindliche Angriffe zur Seite stand, sind seit der Genfer
Konvention des Jahres 1864 Bestrebungen im Gange, zwischen den
Kulturnationen Vereinbarungen zu treffen, die eine seekriegsrechtliche
Ausnahmestellung der mit bestimmten Kennzeichen versehenen
Lazarett- oder Hospitalschiffe zum Gegenstand haben. Im Jahre 1868 wurden die
in der Genfer Konvention vereinbarten Regeln für den Sanitätsdienst
im Landkrieg durch Zusätze ergänzt, die die ersten Bestimmungen
für die Marine enthielten. Nachdem diese in der I. Haager
Friedenskonferenz 1899 und den folgenden Jahren überprüft waren,
entstand in der II. Haager Konferenz im Jahre 1907 das den modernen
Verhältnissen angepaßte X. Abkommen "betreffend die
Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg". Es
ist bezeichnend, daß die größte Seemacht,
Großbritannien, dieses lediglich menschenfreundlichen Zwecken
gewidmete Abkommen nur mit einigen Vorbehalten unterzeichnet hat, ohne es
jedoch zu ratifizieren, getreu dem Grundsatz, sich in solchen Dingen, die sie in
der willkürlichen Ausübung ihrer Seegewalt beschränken
können, möglichst nicht endgültig zu binden. Durch diese
Unterlassung der Ratifikation wäre auch das Deutsche Reich, obgleich es
ratifiziert hatte, rechtlich von allen Verpflichtungen [283] des Abkommens
entbunden gewesen, da nach Artikel 18 die Bestimmungen des
Abkommens nur dann Anwendung finden sollen, wenn alle Kriegführenden
Vertragsparteien sind. Trotzdem hat die deutsche Regierung bei Kriegsbeginn
nicht gezögert, das Abkommen als bindend für sich
anzuerkennen.
Die Vorrechte, die das Abkommen den Lazarettschiffen zuspricht, haben zur
Voraussetzung, daß sie einzig und allein zu dem Zweck eingerichtet und
verwendet werden, Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen Hilfe zu
leisten, daß ihre Namen vor irgendwelcher Verwendung zu solchen
Zwecken den kriegführenden Mächten mitgeteilt werden, und
daß sie durch bestimmte Abzeichen kenntlich gemacht sind. Letztere
bestehen in einer neben der Nationalflagge zu führenden weißen
Flagge mit rotem Kreuz (Genfer Flagge) und einem weißen Schiffsanstrich
nebst einem anderthalb Meter breiten grünen Streifen für die vom
Staate eingerichteten oder einem ebensolchen roten Streifen für die von
Privatpersonen oder amtlich anerkannten Hilfsgesellschaften ausgerüsteten
Schiffe. Des Nachts muß für ausreichende Beleuchtung dieser
Abzeichen gesorgt werden. Die so verwendeten und gekennzeichneten Schiffe
sind von den Kriegführenden zu achten und dürfen nicht
weggenommen werden.
Die einer Flotte beigegebenen Lazarettschiffe müssen eine
genügende Geschwindigkeit besitzen, um in ihrer Nähe bleiben zu
können. Denn sie sollen jederzeit bereit sein, den Kriegsschiffen Kranke
und Verwundete abzunehmen. Auch ist es erwünscht, daß sie die
Rettung Schiffbrüchiger nach Seegefechten übernehmen,
wofür sie reichlich mit Rettungsmitteln versehen werden müssen. Da
sich unter Umständen erst nach langer Zeit eine
Ausschiffsmöglichkeit bietet, müssen sie ferner mit allen Mitteln
für eine gründliche ärztliche Behandlung und Pflege
ausgerüstet sein. Es sind hierzu große geräumige Schiffe
erwünscht mit hohen luftigen Decks, die genügend Raum für
eine hygienische Unterbringung der Kranken und für die Einrichtung der im
ärztlichen Betrieb unentbehrlichen Nebenräume bieten. Reine
Kajütschiffe, auf denen jeder Platz für Passagiereinrichtungen
ausgenutzt ist, enthalten solche Räumlichkeiten nicht in ausreichendem
Maße. Die Ladungsräume von Frachtdampfern eignen sich noch
schlechter für Lazarettzwecke. Am geeignetsten sind daher die für
Auswandererverkehr eingerichteten Schiffe, die sowohl große
Wohnräume als auch eine genügende Zahl von Einzelkabinen
enthalten.
Neben diesen Hochseelazarettschiffen richtete die deutsche Marine kleine, aber
seetüchtige Fahrzeuge ein, deren Hauptaufgabe darin bestand, den
Transport Kranker und Verwundeter von den auf Vorposten befindlichen
Kriegsschiffen nach den Landlazaretten zu vermitteln. Außerdem sollten sie
nach Seegefechten das Kampfgebiet nach Schiffbrüchigen absuchen. Die
großen Schiffe waren für diese Zwecke zu unhandlich und besonders
bei bewegter See kaum verwendbar. Diese kleinen Lazarettschiffe konnten mit
einer ärztlichen Ausrüstung auskommen, die für die erste
Hilfeleistung und vorübergehende Be- [284] handlung
einschließlich Notoperationen genügte. Zur Unterscheidung von den
Hochseelazarettschiffen wurden sie als Hilfslazarettschiffe bezeichnet, ohne
daß ihnen damit in seekriegsrechtlicher Hinsicht eine andere Stellung
zugewiesen werden sollte.
Die Engländer haben die meisten ihrer zahlreichen großen
Hospitalschiffe dazu benutzt, um die im Landkriege in überseeischen
Gebieten verwundeten oder erkrankten Militärpersonen nach der Heimat zu
befördern. Da hierfür eine große
Unterbringungsmöglichkeit die Hauptsache war und ärztliche
Einrichtungen dagegen zurücktreten konnten, bevorzugten sie große
Passagierschnelldampfer, wie "Aquitania", "Mauretania" und "Britannic". Streng
genommen bezieht sich das X. Haager Abkommen nicht auf solche Schiffe,
die lediglich der Entlastung des Landkriegs dienen. Artikel 22 sagt
ausdrücklich: "Finden Kriegsunternehmungen zwischen
Land- und Seestreitkräften der Kriegführenden statt, so sollen die
Bestimmungen dieses Abkommens nur für die eingeschifften
Streitkräfte Anwendung finden." Auch geht aus der Entstehung und
Fassung des Lazarettschiffabkommens hervor, daß sein Zweck lediglich
darin besteht, die Hilfeleistung für die im Seekriege verwundeten,
erkrankten oder schiffbrüchig gewordenen Menschen zu regeln. Die
deutsche Regierung wäre also schon auf Grund des Artikels 22
berechtigt gewesen, den Krankentransportschiffen der Engländer die
Anerkennung zu versagen, auch bevor sie Beweise dafür in Händen
hatte, daß diese auch zur Beförderung von Urlaubern und
geschlossenen Truppenkörpern, ja sogar von Munition ausgenutzt wurden.
Trotzdem hat sie ihnen bestimmte Wege freigegeben, auf denen sie ihren
Transportdienst unbehelligt von deutschen
U-Booten durchführen konnten. Es ist bekannt, wie die englische
Propaganda es dessenungeachtet verstanden hat, in der Welt den Eindruck zu
erwecken, als hätte sich die deutsche
U-Bootskriegführung in rücksichtsloser Weise über die
menschenfreundliche Absicht des Lazarettschiffabkommens hinweggesetzt.
Wie die Engländer selbst über die Handhabung dieses Abkommens
dachten, wenn es ihren Interessen im Wege zu stehen schien, hat sich schon im
Anfang des Krieges, lange vor Beginn der
U-Bootsoffensive, bei der Behandlung des deutschen Lazarettschiffs "Ophelia"
gezeigt. Dieses Hilfslazarettschiff war am 17. Oktober 1914 vom Flottenchef auf
die Nachricht hin, daß in der südlichen Nordsee vier Torpedoboote
mit einer Besatzung von insgesamt etwa 300 Mann von englischen Kreuzern
versenkt worden waren, mit dem Befehl, nach Überlebenden zu suchen, an
die Unfallstelle geschickt worden. Bei Ausführung dieses Auftrages wurde
das Schiff, noch ehe es das Rettungswerk beginnen konnte, von dem britischen
Kreuzer "Meteor" angehalten und zur prisengerichtlichen Aburteilung nach dem
englischen Hafen Gravesend gebracht.
Für Fälle des Zweifels über die rechtmäßige
Eigenschaft eines Lazarettschiffs sieht der Artikel 4 des X. Haager
Abkommens ausdrücklich vor, daß das [285] Rettungswerk vor der
Beschlagnahme zunächst unter Aufsicht eines Kommissars vollendet
werden soll. Wie notwendig dies in jenem Falle gewesen wäre, geht daraus
hervor, daß nach Aussage von Geretteten eine Menge ihrer Kameraden nach
dem Untergang der Torpedoboote mit Schwimmwesten versehen noch
geschwommen haben, und daß noch am 18. Oktober zwei
Überlebende von einem Fischerfahrzeug aufgenommen wurden. Der
englische Kommandant ließ sich aber durch keine Gegenvorstellungen dazu
bewegen, etwas zur Rettung der deutschen Schiffbrüchigen zu tun, und das
englische Prisengericht begründete den Urteilsspruch, durch den die
"Ophelia" als gute Prise erklärt wurde, obgleich eine
völkerrechtswidrige Tat nicht nachgewiesen werden konnte, lediglich mit
der "Annahme", daß das Schiff als
Signal- und Spähschiff benutzt worden wäre.2 In der britischen Admiralität
herrschte damals eine gewisse Nervosität, weil man einen deutschen
Flottenvorstoß in den Kanal zur Verhinderung von englischen
Truppenlandungen während der entscheidenden Kämpfe um die
flandrische Küste erwartete, und in solchen kritischen Lagen treten bei dem
Engländer alle anderen Rücksichten, auch solche humanitärer
Art, zurück.
Im weiteren Verlauf des Krieges hat man noch an verschiedenen Beispielen
erkennen können, wie die britischen Prisengerichte ihre Aufgabe darin
sahen, unrechtmäßige Kriegshandlungen durch ihren Spruch zu
decken.
Ein Vorgehen, wie es die Engländer im Falle "Ophelia" für richtig
hielten, mußte dazu führen, daß das ganze
Lazarettschiffabkommen gegenstandslos wurde. Denn danach konnten die
Lazarettschiffe nur noch dort verwandt werden, wo sie gegen feindlichen Zugriff
gesichert waren, was dem Sinne des Abkommens widersprach.
Der deutsche Admiralstab bestimmte im Anfang des Krieges für jedes
Geschwader ein Hochsee- und ein Hilfslazarettschiff, so daß im ganzen von
jeder Art sechs in Dienst zu stellen waren. Die ersteren wurden vom
Norddeutschen Lloyd aus den mit Zwischendeckseinrichtungen versehenen
großen Passagierdampfern gestellt und von dem technischen Betrieb dieser
Reederei in mustergültiger Weise umgebaut und eingerichtet.
Neben praktischen Erfahrungen, die die Marine während der
China-Expedition 1900/01 mit einem vom Norddeutschen Lloyd
ausgerüsteten Lazarettschiff gemacht hatte, lagen der Einrichtung
sorgfältige, durch Friedensübungen erprobte Vorbereitungen
zugrunde. Innerhalb von acht Tagen wurden die Schiffe in schwimmende
Krankenhäuser mit allen dazu gehörigen Einrichtungen
umgewandelt. Außer bequemen luftigen Lagern, geräumigen
Eß- und Erholungssälen und Badeeinrichtungen mit
Heilbädern aller Art wurden Operations- und Verbandräume mit
vollständiger Ausstattung von klinischen Instrumenten und Apparaten,
Apotheken und Laboratorien für bakteriologische, [286] chemische und
Nahrungsmitteluntersuchungen vorgesehen. Isolierabteilungen und
Desinfektionsräume sowie Einzelkabinen für unruhige Kranke
wurden eingerichtet. Die Bettenzahl schwankte zwischen 300 und 450 auf jedem
Schiff.
Von der Marine wurde das Sanitätspersonal, vom Norddeutschen Lloyd das
Schiffspersonal gestellt und die Verpflegung geliefert. Leider durften keine
Krankenschwestern eingeschifft werden, da die Tätigkeit von Personal der
freiwilligen Krankenpflege bestimmungsgemäß auf das
Heimat- und Etappengebiet beschränkt werden mußte,
während die Lazarettschiffe den im Operationsgebiet befindlichen
Feldlazaretten gleichzuachten waren, eine Rücksicht, um die sich
übrigens die Engländer auf ihren Lazarettschiffen nicht
gekümmert haben.
Obgleich das Haager Abkommen die Einschiffung aktiver Militärpersonen
nicht verbietet, wurde die Kommandierung von Seeoffizieren vermieden, weil
diese beim Zusammentreffen mit dem Feinde gefangengenommen werden
dürfen. Das militärische Detachement wurde auf das zum
Brücken-, Boots- und Sicherheitsdienst notwendigste Personal
beschränkt und dem Chefarzt unterstellt. Diesem wurde auch die Leitung
des Dienstes übertragen, während die Verantwortung für die
seemännische Führung des Schiffes dem Lloydkapitän
verblieb.
Als Hilfslazarettschiffe wurden kleine Passagierdampfer oder Personentender, die
im Frieden den Verkehr der großen Passagierdampfer mit dem Lande
vermitteln, verwendet. Neben der beschränkten ärztlichen
Einrichtung erhielten sie gute Transportmittel für Schwerverletzte und
reichliche Rettungseinrichtungen für Schiffbrüchige. Ihre Bettenzahl
war auf 50 - 90 beschränkt. Eins von diesen kleinen Schiffen
wurde vom Roten Kreuz eingerichtet.
Die vorstehend beschriebenen Zufuhr- und Lazarettschiffe wurden zu einem
Troß zusammengefaßt, an dessen Spitze ein Konteradmiral als
Troßchef stand. Ein schneller Passagierdampfer diente als Flaggschiff des
Trosses. Der Troßchef sollte nach Anordnungen des Flottenchefs den
Nachschub für die Hochseeflotte regeln. Zum Troß gehörten
noch eine Anzahl kleiner Hilfsfahrzeuge, wie Wasserschiffe, Proviantschiffe,
Bergungs- und Pumpendampfer, Schlepper,
Beurlaubten- und Postdampfer.
Auflösung des Trosses.
Nachdem sich in den ersten Kriegsmonaten gezeigt hatte, daß die
Hochseeflotte infolge der Zurückhaltung der britischen Flotte an die
deutsche Bucht der Nordsee gebunden bleiben würde und sich nicht weit
von ihren Häfen entfernen konnte, erfolgte aus Ersparnisgründen die
Auflösung des Trosses. Alle Munitionsschiffe wurden außer Dienst
gestellt und die Munition teils in den inzwischen erweiterten Munitionskammern
der Kriegsschiffe, teils in den Depots der Nordseehäfen untergebracht. Von
den Kohlenschiffen blieben nur die vier für Torpedoboote bestimmten im
Betrieb. Sie lagen meist auf der Außenreede der Jade, [287] damit die
Torpedoboote nicht zu jeder Kohlenübernahme in den Hafen einzulaufen
brauchten. Die großen Schiffe kohlten aus Werftprähmen. In der
Folge kamen nur noch in der Ostsee Kohlendampfer für Schiffe zur
Verwendung und wurden je nach Bedarf in Dienst gestellt. Um stets für
größere Expeditionen passende Schiffe kostenlos zur Hand zu haben,
wurden feindliche Frachtdampfer, die bei Beginn des Krieges in den deutschen
Häfen beschlagnahmt worden waren, oder Prisen im Kieler Hafen so bereit
gehalten, daß sie sofort mit Kohlen beladen und in Fahrt gesetzt werden
konnten. Eine dauernde Lagerung der Kohlen in den Laderäumen der
Dampfer war nicht angängig, da sie dort wegen mangelnder Lüftung
zur Selbstentzündung neigten.
Von den großen Lazarettschiffen blieben nur zwei im Dienst, das eine
für die Nordsee, das andere für die Ostsee. Letzteres wurde im
Februar 1916 entbehrlich, während ersteres, die "Sierra Ventana", bis zum
Schluß des Krieges zur Verfügung des Chefs der Hochseeflotte blieb.
Nach der Skagerrakschlacht nahm es 271 Verwundete auf und hat im ganzen
während des Krieges 2971 Kranke mit 79 722 Behandlungstagen an
Bord gehabt. Die Hilfslazarettschiffe erwiesen sich bis zum Kriegsschluß
als unentbehrlich.
Der Stab des Troßchefs wurde aufgelöst und sein Flaggschiff
außer Dienst gestellt. Die noch verbleibenden Troßschiffe wurden auf
die Flottenverbände verteilt und in Verwaltungsangelegenheiten dem
Kommandanten des Werkstattschiffes "Bosnia" unterstellt. Die Lazarettschiffe
wurden zu einem besonderen Verbande zusammengefaßt, dessen
Führer dem Stabe des Flottenchefs angehörte.
Für die größeren Flottenunternehmungen in der Ostsee gegen
die baltischen Inseln und nach Finnland wurde später jedesmal ein
Troß zusammengestellt, für den ein besonderer Führer
kommandiert wurde.
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