Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 4: Das Nachschubwesen
der Marine
und die Ausrüstung von
Hilfskriegsschiffen (Forts.)
Vizeadmiral Bernhard Rösing
A. Nachschubwesen der Marine.
Forts.
3. Nachschubdienst in der Ostsee.
Am 8. Mai 1915 wurde Libau in gemeinsamem Angriff von Armee und Marine
genommen. Die Armeegruppe Lauenstein drängte den Gegner über
die Windau und die Dubissa, geriet hier aber zeitweise in eine schwierige Lage, da
die Russen Verstärkungen herbeiführten, während
deutscherseits vorläufig keine weiteren Truppen für diesen
Kriegsschauplatz verfügbar waren. Die Leistungsfähigkeit der Bahn
zwischen Memel und Libau war sehr beschränkt; ein russischer Durchbruch
bei Schaulen konnte außerdem die rückwärtige
Landverbindung ganz unterbinden. Es war daher notwendig, den
Nach- und Abschub auf die See zu stützen; der Feldeisenbahnchef des
Oberbefehlshabers Ost trat deshalb an die Seetransportabteilung im
Reichsmarineamt mit dem Ersuchen heran, eine Seeverbindung zwischen Libau
und den deutschen Ostseehäfen einzurichten. Schon vorher hatten
verschiedene Linien- oder Hafenkommandanturen, Proviantämter und
Depots, um besonders dringend verlangte Güter oder auch Truppen [288] und Pferde schnell zu
befördern, aus eigenem Antrieb Dampfer beladen. Aber infolge des Fehlens
einer gemeinsamen Leitung waren Unzuträglichkeiten entstanden. Die
Dampfer wurden nicht voll ausgenutzt, da die von einer Behörde
angesammelte Fracht meist nicht ausreichte, um die Laderäume zu
füllen; die Schiffe erhielten keine Rückfracht; Mannschaften und
Pferde wurden auf für diesen Zweck ungeeigneten Fahrzeugen
befördert; viel Zeit ging durch unzweckmäßigen Betrieb bei
den Lade- und Löscharbeiten, die von Kriegsgefangenen ohne Leitung
durch sachverständiges Personal vorgenommen wurden, verloren. Auch in
bezug auf die Abgeltung der Schiffsbesitzer herrschten verschiedene
Grundsätze, so daß eine durchgreifende Regelung dieser
Seetransporte dringend notwendig wurde.
Die Seetransportabteilung mietete zunächst 13 Dampfer, 3 Schlepper und 4
Seeleichter und übernahm dazu 2 Dampfer und 3 Schlepper, die bisher
für die Linienkommandantur Königsberg gefahren waren. Sie gab die
Anweisungen für die Fahrpläne heraus, sorgte für Einrichtung
leistungsfähiger Stauereibetriebe und bearbeitete die Verträge mit
den Reedereien auf einheitlicher Grundlage. Zwei kleinere Dampfer wurden
für einen täglichen Pendelverkehr zwischen Libau und Memel
eingestellt. Hier war ein dauernder Nachschub von Mannschaften, Pferden,
Fahrzeugen, Geschützen, Lazaretteinrichtungen und anderem Heeresbedarf
zu bewältigen. Die anderen Fahrzeuge brachten, um die Eisenbahnen
möglichst zu entlasten, aus den westlichen Häfen, insbesondere
Danzig, Stettin, Lübeck, Proviant und Munition, Bekleidungsstücke,
Kohlen und lebendes Vieh nach Libau und fuhren mit Beutegut zurück.
Als im Sommer 1915 die Bahnen in Kurland auf deutsche Spurweite gebracht
wurden, stellte der Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte zeitweise den
zum Streuminenschiff umgewandelten Eisenbahnfährdampfer
"Deutschland" zur Verfügung, der Lokomotiven und Waggons von Stettin
nach Libau beförderte.
Mit dem weiteren Vordringen der Niemen-Armee unter General Otto von Below
und der Besetzung größerer feindlicher Gebiete wuchsen die
Anforderungen an den Nachschub immer mehr. Der Frachtraumbedarf stieg
besonders durch die für den Winterfeldzug nach dem östlichen
Kriegsschauplatz zu befördernden Kohlenmengen, deren
Bewältigung auf dem Schienenweg, auf dem schon sehr störende
Verstopfungen vorgekommen waren, unmöglich gewesen wäre.
Der so gesteigerte Verkehr konnte auf die Dauer nicht mehr von Berlin aus im
einzelnen übersehen werden. Es mußte eine Transportleitung
eingeschaltet werden, die in Fühlung mit den Hafenbehörden, den
militärischen Dienststellen und den Schiffsführern stand. Der
geeignetste Sitz dafür war Libau, weil diesen Hafen alle Dampfer anliefen
und hier die Forderungen der Frontstellen gesammelt werden konnten. Die
Seetransportabteilung gliederte daher [289] nach
Rücksprache mit den zuständigen Organen des Kriegsministeriums
und des Oberbefehlshabers Ost dem Gouvernement Libau eine Abteilung
für Wassertransporte unter Leitung eines Seeoffiziers an. In Memel,
Königsberg, Neufahrwasser und Stettin wurden Zweigstellen errichtet, die
zunächst geeigneten Lokalbehörden,
Linien- oder Hafenkommandanturen zugeteilt, später selbständig
gemacht wurden. Für die sachgemäße Abfertigung der Schiffe
wurden diesen Stellen schiffahrtskundige Personen und zur Erledigung von
Havarien und Instandsetzungsarbeiten technische Sachverständige
beigegeben. Der Stauereibetrieb wurde erweitert. In Libau wurden die Meldungen
über die absendebereiten Güter aus den verschiedenen Häfen
zusammengestellt und nach den Anforderungen der Verbrauchsstellen in einer
Dringlichkeitsliste geordnet. Danach wurden die Fahrpläne der Dampfer
aufgestellt und ihre Frachten bestimmt.
Eine besondere Frachtenabteilung sorgte in Verbindung mit der
Kriegsbeuteabteilung des Gouvernements für die Rückfrachten.
Eine Zeitlang mußten die Transporte eingeschränkt werden, da
verschiedene Dampfer mit wertvoller Ladung durch feindliche Unterseeboote oder
Minen verlorengegangen waren. Der Nachschub über See wurde solange
auf Munition und Kohlen beschränkt. Nachdem durch Ausdehnung des
Minensuch- und Bewachungsdienstes größere Sicherheit geschaffen
worden war, wurden auch wieder Truppen mit Bagagen und Pferden,
Ausrüstungsgegenstände, Kleidungsstücke, Feldpost,
Lebensmittel und Vieh befördert. Die Rückfracht bestand aus
artilleristischem Leermaterial und Rohstoffen, die der deutschen Wirtschaft
zugute kommen sollten, hauptsächlich Holz für die
Papierfabrikation, Gerste, Leinsaat, Kleesaat, Hanfkuchen und Buchweizen. Mit
der Zeit entwickelte sich auch ein lebhafter Urlauberverkehr über See.
Im Laufe des Winters 1915/16 steigerte sich die Transportleistung auf
40 000 - 50 000 t monatlich, was einem
Ladegewicht von 4000 - 5000 Eisenbahnwaggons entspricht. Dazu
kamen die Personaltransporte. Es wurden 30 Schiffe und Fahrzeuge dauernd in
Fahrt gehalten, und zwar wurden, um den deutschen Reedereien einen Verdienst
zu gewähren, nur deutsche Schiffe in Anspruch genommen, die wegen des
Krieges aufgelegt waren.
Als sich jedoch die deutsche Schiffahrt im Verkehr mit den skandinavischen
Ländern wieder belebte und besonders in der Erzfahrt von Schweden
lohnende Beschäftigung fand, wurde dazu übergegangen, den noch
immer steigenden Bedarf für die militärischen Seetransporte aus den
zu Beginn des Krieges in deutschen Häfen festgehaltenen feindlichen
Dampfern, den "Embargoschiffen", und aus Prisendampfern zu decken.
Deutschlands Gegner hatten schon früher alle in ihrer Gewalt befindlichen
deutschen Handelsschiffe ihrer Kriegführung nutzbar gemacht.
Die Schiffsbesichtigungskommission in Hamburg suchte die Schiffe aus und
ließ sie instand setzen. Infolge der langen Liegezeit ohne Pflege waren sie
[290] teilweise recht
verkommen. Umfangreiche Arbeiten waren auszuführen, um sie wieder
fahrbereit zu machen. Schwierig war die Regelung aller Fragen, die mit der
Bemannung, deren Verpflegung und sozialer Fürsorge, mit der Beschaffung
von Inventar und Betriebsmaterial, der Infahrtsetzung und Verwaltung der Schiffe
zusammenhingen. Eine militärische Besetzung und Organisation
hätte sich bei dem reinen Arbeitsbetrieb der Schiffe nicht empfohlen. Nur
einige Dampfer, die für gemeinsame Unternehmungen mit Flottenteilen
bereitgehalten werden mußten, wurden militärisch besetzt.
Für die Führung eines eigenen Reedereibetriebes reichten die
Kräfte und Erfahrungen der Seetransportabteilung nicht aus. Auch
hätte sich ein solcher schlecht in die militärische Organisation und
Verwaltung eingliedern lassen. Es erschien daher als das
Zweckmäßigste, eine leistungsfähige Reederei zu verpflichten,
ihren Betrieb und ihre Erfahrungen in den Dienst der Sache zu stellen. Die Wahl
fiel auf die Vereinigte Bugsir- und Frachtschiffahrtsgesellschaft in Hamburg, die
über reiche Erfahrungen und gute Verbindungen in der Ostseeschiffahrt
verfügte.
Die Gesellschaft übernahm im April 1916 vertragsmäßig
für die ihr übertragenen Schiffe die Pflichten eines ordentlichen
Reeders in bezug auf die Bereitstellung, Infahrtsetzung, Betriebsleitung und
Verwaltung, während die Aufstellung der Fahrpläne, die Befrachtung
und die Bearbeitung der Havarien und Instandsetzungen bei der Abteilung
für Wassertransporte verblieben. Bei der Herrichtung der Dampfer waren
die Unfallverhütungsvorschriften der Seeberufsgenossenschaft zu beachten,
um die Besatzungen an der deutschen Seeunfallversicherung teilnehmen lassen zu
können. Auch trat die Seetransportabteilung zu diesem Zweck
gemäß § 1119 der Reichsversicherungsordnung für
die Embargo- und Prisenschiffe ihres Betriebes der Seeberufsgenossenschaft als
Mitglied bei. Die deutschen Vorschriften über die Unterbringung des
Personals erwiesen sich als erheblich weiter gehend und fürsorgender als
die der fremden Staaten. Dazu kam, daß die Wohnräume vielfach
erweitert werden mußten, da das deutsche Gesetz mehr Personal vorschrieb,
als bisher auf diesen Schiffen bedienstet gewesen war. Gegen die Kriegsgefahr
wurden die Schiffsleute nach Maßgabe der vom Reichsamt des Innern
festgesetzten Sätze auf Reichskosten versichert. Für die bei
Unfällen oder Schiffsverlusten verlorengegangenen Kleidungsstücke
und Effekten erhielten sie Entschädigungen nach Einheitssätzen, die
vom Zentralverband deutscher Reeder für die ganze deutsche Seeschiffahrt
bestimmt wurden.
Bevor die Schiffe in Fahrt gesetzt werden konnten, war die Flaggenfrage zu
regeln. Die Embargoschiffe waren zur Führung der deutschen
Handelsflagge nicht berechtigt, weil sie nicht im ausschließlichen Eigentum
deutscher Reichsangehöriger standen, wie das Gesetz betreffend das
Flaggenrecht vom 22. Juni 1899 es vorschreibt, sondern rechtlich im Besitz ihrer
früheren Reedereien ge- [291] blieben waren und nur
vorübergehend in Anspruch genommen wurden. Es wurde daher auf einen
Allerhöchsten Erlaß vom 29. Oktober 1904 zurückgegriffen,
der bestimmte, daß von der Marine ermietete oder ihr zur Verfügung
gestellte Schiffe zur Führung der Reichsdienstflagge berechtigt
wären, wenn dies vom Staatssekretär des Reichsmarineamts
angeordnet würde. Von letzterem wurden den Schiffen Flaggenatteste
ausgestellt, auf denen das vom Reichsamt des Innern zugewiesene internationale
Unterscheidungszeichen vermerkt wurde. Für den Verkehr mit der
Kaiserlichen Marine erhielten sie außerdem noch ein
Marinebezeichnungssignal.
Die Vereinigte Bugsir- und Frachtschiffahrtsgesellschaft hat sich ihrer Aufgabe
mit Umsicht gewidmet und sie mit Hilfe ihres eingearbeiteten Personals gut
erfüllt. Der von ihr für die Seetransportabteilung verwaltete
Schiffspark vermehrte sich mit der Zeit auf 52 Frachtdampfer mit
100 730 t Tragfähigkeit.
Um die mit den Ostseetransporten erzielte erhebliche Entlastung der Eisenbahnen
durch militärische Organisation der Binnenschiffahrt noch zu steigern,
wurde in der Eisenbahnabteilung des stellvertretenden Großen
Generalstabes im Mai 1916 eine Schiffahrtsabteilung gebildet. Ihre Aufgabe
bestand zunächst darin, die für den Nachschub nach dem Osten in
Betracht kommenden Binnenwasserstraßen in den Transportdienst
einzubeziehen. Später wurde der Wirkungsbereich der Schiffahrtsabteilung
unter Leitung des Feldeisenbahnchefs erheblich erweitert und ihr die Bearbeitung
der Transporte auf allen Wasserstraßen der Heimat und der besetzten
Gebiete einschließlich der Donau übertragen. Sie wurde in drei
Schiffahrtsgruppen (Ost, West und Donau) mit den Hauptsitzen in Berlin,
Duisburg und Wien und fünf Nebenstellen in Windau, Libau, Kowno,
Semendria und Warschau geteilt. Die volle Ausnutzung der
Binnenwasserstraßen war auch für das Seetransportwesen von
großer Bedeutung, da auf diese Weise die regelmäßige
Zubringung des militärischen Massenguts nach den Seehäfen
sichergestellt und von der wechselnden Leistungsfähigkeit der Eisenbahn
unabhängig gemacht wurde.
Neben den militärischen Seetransporten liefen seit Sommer 1915 in der
Ostsee die Erzverschiffungen aus Schweden, ohne deren
regelmäßigen Verlauf die deutsche Rüstungsindustrie ihre
Tätigkeit schon früh hätte einstellen müssen. Sie gingen
auf private Rechnung, wurden aber vom Staate durch Versicherungsgarantien und
Festsetzung angemessener Tarifsätze unterstützt.
Seitens der Marine wurde zur Sicherung dieser kriegswichtigen Transporte, die
die Engländer und Russen durch
Untersee- und Torpedobootsangriffe zu unterbinden suchten, eine
Handelsschutzflottille gebildet. Sie bestand zum größten Teil aus
Hilfskriegsschiffen, die einen regelmäßigen Geleitdienst der
Erzdampfer durchführten. Letztere sammelten sich dazu auf der Ausfahrt
vor Swinemünde und wurden von mehreren Geleitfahrzeugen bis zur
schwedischen Insel Landsort gebracht, von wo sie bis zum Erzhafen Lulea in
schwedischen [292]
Küstengewässern fahren konnten. Auf der Rückfahrt wurden
sie bei Landsort wieder in Empfang genommen. Wiederholte
U-Bootsangriffe auf diese Geleitzüge wurden von den Schutzschiffen mit
Geschützfeuer und Wasserbomben abgeschlagen. Nach achtmonatiger
Tätigkeit konnte der Flottillenchef berichten, daß es gelungen
wäre, fast 3000 Schiffe mit etwa 3 Millionen Tonnen Erz
unbeschädigt über See zu bringen, nachdem vor dem im
Frühjahr 1916 eingeführten Schutz 22 deutsche Dampfer von
feindlichen U-Booten versenkt und ebenso viele durch Minen oder Strandung
verlorengegangen waren.
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