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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 1: Die Heeresverpflegung   (Forts.)
Ministerialrat Konrad Lau

5. Die Bereitstellung des Verpflegungsbedarfs.

Gestützt auf frühere Kriegserfahrungen, war im Frieden gelehrt worden, daß die Zuführung der Verpflegung an die Truppen im Kriege weitaus schwieriger sei als die Beschaffung. Auch in diesem Kriege war es scheinbar so. Fast jeder, der an seine Kriegserlebnisse zurückdenkt, wird sich an Augenblicke erinnern, wo gehungert ist, weil "die Verpflegung nicht herankam". Wer mit dem Verpflegungsnachschub zu tun gehabt hat, wird mit Schrecken an Wegeschwierigkeiten, Mangel an Kolonnen, Pferden und Fahrzeugen, Betriebsstörungen der Eisenbahn, Bahnverstopfungen, Fehlen von Bahnverbindungen und wie sonst die Schreckensgespenster hießen, die seinen Nachtschlaf gestört haben, zurückdenken. Nur wenigen, diesen aber gründlich, hat die Sorge um die Beschaffung der Verpflegung den Nachtschlaf geraubt. Vielleicht war es gut, daß nur wenige vollen Einblick in die ungeheuren Schwierigkeiten der Beschaffung und Bereitstellung hatten und übersahen, daß diese auf die Dauer nicht, wie jene Zuführungsschwierigkeiten, durch Umsicht und Tatkraft zu bezwingen waren und deshalb allmählich bestimmenden Einfluß auf die Kriegführung gewinnen mußten.


Ausnutzung der besetzten Gebiete.

Es hätte kaum des Hinweises auf weitgehende Ausnutzung des Kriegsschauplatzes für die Verpflegung in Vorschriften und Befehlen bedurft. Konnte auch von der einfachsten Art der Ausnutzung, der Quartierverpflegung, in diesem Kriege, wo auch im Bewegungskriege große Massen auf kleinem Raum zu verpflegen waren, nur in geringem Umfange Gebrauch gemacht werden, [37] so lernte die Truppe schnell, die an Ort und Stelle greifbaren Verpflegungsmittel zur Selbstzubereitung zu verwenden. Sie wurden gegen Anerkenntnisse beigetrieben, zum Teil, wo besondere Gründe, wie z. B. im Generalgouvernement Belgien,6 vorlagen, auch angekauft. In derselben Weise wurden auch die von der Truppe nicht erfaßten, für die Verpflegung der Bevölkerung entbehrlichen Mengen von den Feldverwaltungsbehörden zur Füllung der Magazine und zum Nachschub nutzbar gemacht.

Besondere organisatorische Maßnahmen waren dazu nicht nötig. Wiederholt ist in früheren Abschnitten darauf hingewiesen worden, daß es nur auf diese Weise, d. h. unter ausgiebiger Ausnutzung der Landesvorräte gelungen ist, im Bewegungskriege die Truppen ausreichend zu verpflegen und Stockungen in den Operationen zu vermeiden.

Mit Beginn des Stellungskrieges konnte dieses System, das zu einer schnellen Räumung aller vorhandenen und nicht wieder zu ergänzenden Vorräte geführt hätte, nicht mehr genügen. Jetzt mußte die Heeresverwaltung auf Mittel sinnen, die besetzten Gebietsteile dauernd für die Heeresverpflegung unter Beachtung der Bedürfnisse der Einwohner in ergiebigster Weise nutzbar zu machen. Dazu galt es, die Erzeugung zu regeln und zu fördern, den Verbrauch der Erzeugnisse durch die Bevölkerung zu begrenzen und zu überwachen und alle darüber hinaus erzeugten Mengen restlos für die ordnungsmäßige Versorgung des Heeres zu benutzen.

Den ersten Anlaß, allgemeine Weisungen für die landwirtschaftliche Ausnutzung des besetzten Gebietes zu geben, bot dem Generalintendanten die Notwendigkeit, den Rest der Ernte 1914 im Westen, soweit sie noch nicht von den Truppen beigetrieben war, zu bergen und für die Herbstbestellung zu sorgen. Das Erforderliche sollte von Wirtschaftsausschüssen bei den Etappeninspektionen (Chef des Stabes, Etappenintendant, Vorstand der Zivilverwaltung) unter Zuziehung landwirtschaftlicher Sachverständiger veranlaßt werden. An Stelle dieser Wirtschaftsausschüsse sind dann später "Landwirtschaftliche Abteilungen" nicht nur bei den Etappeninspektionen, sondern auch bei den Armee-Oberkommandos und den Militäreisenbahndirektionen getreten, denen die Leitung der Landwirtschaft oblag. Zum Stabe des Generalintendanten trat ein besonders erfahrener Landwirt zur Bearbeitung der auf die landwirtschaftliche Ausnutzung der besetzten Gebiete bezüglichen Angelegenheiten. Anfang 1917 ging die Bearbeitung auf den Generalquartiermeister über; der Generalintendant und die ihm unterstellten Feldverwaltungsbehörden verfügten von da ab erst über die verwendungsbereiten Erzeugnisse.

Die Bewirtschaftung der Ländereien erfolgte entweder in Eigenwirtschaft durch die Eigentümer selbst oder, wo die Eigentümer abwesend waren, [38] durch Landwirte, die der Truppe entnommen waren. Das ganze Gebiet wurde in landwirtschaftliche Bezirke in Anlehnung an die Einteilung in Kommandanturbezirke eingeteilt, die einem Landwirt (meist ein nicht kriegsverwendungsfähiger Offizier) zur Beaufsichtigung und Verwaltung unterstellt wurden, dem wiederum Landwirte (Unteroffiziere, Gefreite) an der Spitze von Unterbezirken untergeordnet waren. Das gesamte militärische Personal wurde mit dem in anderen Betrieben verwendeten zusammen zu Wirtschaftskompagnien zusammengefaßt. Soweit zur Arbeitsleistung die Bevölkerung nicht ausreichte, wurden Gefangene verwendet und zeitweilig in der Front entbehrliche Truppen. Die Gespanne wurden meistens von vorübergehend verfügbaren Kolonnen und Truppenteilen gestellt. In welchem Umfange Arbeiter und Gespanne verfügbar gemacht werden konnten, war ausschlaggebend für die Möglichkeit der Bestellung und Aberntung; denn auch die in Eigenwirtschaft betriebenen Wirtschaften - es gab im Westen (außer in Belgien) deren etwa 90 000 - waren auf solche Aushilfen angewiesen. Den Eigenwirtschaften wurden die Erzeugnisse zur Truppenverpflegung abgekauft; für die anderen Güter wurde an die Gemeinden Pacht zur späteren Verrechnung mit den abwesenden Eigentümern gezahlt. Der Betrieb ging auf Kosten des Reiches. Die Erzeugnisse waren an die Heeresmagazine unentgeltlich abzuliefern zur Verausgabung an die Truppen nach Maßgabe der vorgeschriebenen Portions- und Rationssätze an Stelle aus der Heimat nachzuschiebender Verpflegung.

Aufgabe der landwirtschaftlichen Abteilungen war es, für eine zweckmäßige Verteilung des Anbaus zu sorgen und die Produktion aller Wirtschaften zu steigern durch Beschaffung guten Saatgutes, der erforderlichen Maschinen, des Düngers usw. und durch dauernde Beaufsichtigung und Beratung. Welcher Erfolg in der Vermehrung des Anbaus erzielt wurde, zeigt der Vergleich folgender Zahlen aus dem Jahre 1915 (vor voller Durchführung der Organisation) und 1916 (nach vollendeter Organisation). Im Westen (ohne Generalgouvernement Belgien) waren von 1 009 000 ha landwirtschaftlich nutzbarer Fläche bestellt: 1915 rund 437 378 ha (43 v. H.), 1916 rund 828 687 ha. (82 v. H.).

Aufgabe der Kommandobehörden war, die Landwirtschaft durch Truppenkommandierung nach Möglichkeit zu unterstützen und die Ernteerzeugnisse vor unberechtigtem Zugriff durch die Truppen zu schützen. Das war hinsichtlich der im Truppenbereich lagernden Vorräte bei dem vielfachen plötzlichen Wechsel der Truppen sehr schwer, und wenn unrechtmäßig, d. h. über die vorgeschriebenen Sätze hinaus, von den Truppen eigenmächtig genommene Mengen auch der Truppenverpflegung zugute kamen, so fehlten sie doch zur allgemeinen Versorgung und oft dann, wenn sie dringend zur laufenden Verpflegung gebraucht wurden.

Die Kommandobehörden hatten aber auch Anordnungen zu treffen und mit polizeilichen Mitteln durchzuführen, die Ernteerzeugnisse der Eigenwirt- [39] schaften zu erfassen und damit zu verhindern, daß die Bevölkerung davon mehr als den ihnen zugebilligten Teil verbrauchte. Diese Anordnungen hatten sich nicht nur auf die Ernteerzeugnisse, sondern auch auf alle anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, wie Kleintiere und Eier (für Lazarette), Milch, Obst usw., zu erstrecken. Auch die Schlachtviehlieferungen waren zu regeln; bei einigen Armeen war ein vollständiges Viehkataster eingeführt, das eine genaue Überwachung der Viehbestände ermöglichte. Für die Bezahlung aller derartiger Lieferungen waren angemessene Preise festgesetzt.

Zur Verwertung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse waren überall Betriebe eingerichtet: Molkereien, Marmeladefabriken, Sauerkohlfabriken, Trocknungsanlagen (zum Trocknen von Obst, Gemüse, Zichorien usw.), Zucker- und Spiritusfabriken, Brauereien, Stroh- und Kraftfutterfabriken. In landwirtschaftlichen Instandsetzungswerkstätten wurden die aus Deutschland durch die landwirtschaftliche Betriebsstelle bezogenen Maschinen instand gesetzt, einfachere Geräte, auch Wagen, neu gefertigt. An geeigneten Stellen, wo Weidemöglichkeit vorhanden war, Abfälle in größerer Menge abfielen, bei Brauereien usw., wurden Schweineanstalten gehalten.

In ähnlicher Weise sind auch die anderen besetzten Gebiete ausgenutzt worden; allerdings mußte die Organisation außerhalb der eigentlichen Operationsgebiete der sonstigen Verwaltung des Landes angepaßt werden.

Im Generalgouvernement Belgien wurde die Bewirtschaftung der fast vollzählig vorhandenen Bevölkerung überlassen, und die über den Bedarf der Besatzungstruppen, die sich unmittelbar aus dem Lande versorgten, zur Abgabe an das Feldheer bestimmten Verpflegungsmittel wurden im Lande freihändig angekauft. Zwangsmaßnahmen zur Ablieferung bestimmter Mengen wurden aus politischen Gründen nicht eingeführt. Eine besondere Behandlung des Landes ergab sich auch aus Zusagen, die an die belgischen Provinzen bei der Auferlegung einer Gesamtkontribution zur Aufbringung der Kosten des Besatzungsheeres gemacht waren. Vom Frühjahr 1916 ab mußte auf die Entnahme von Verpflegungsmitteln für Besatzungstruppen und Feldheer ganz verzichtet werden, da nur unter dieser Bedingung England die Überseezufuhr von Lebensmitteln für die Bewohner Nordfrankreichs und des belgischen Etappengebiets gestatten wollte. Auf diesen Punkt wird noch in anderem Zusammenhange zurückgekommen werden.7

Im Generalgouvernement Warschau lag die Erfassung der Landeserzeugnisse zum Teil in den Händen der Zivilverwaltung, die in Verbindung mit der Armeeintendantur arbeitete. Für die Hauptgetreidearten waren Umlagen zur Zwangsaufbringung gemacht; für Kartoffeln waren Verkehrsbeschränkungen eingeführt, die den Kartoffelsammelstellen das Aufkaufen in den Überschuß- [40] kreisen erleichterten. Aus den so aufkommenden Mengen an Getreide und Kartoffeln wurden die entbehrlichen Mengen an das Heer oder an die Heimat gegen Bezahlung abgegeben. Im übrigen hatte sich der freie Handelsverkehr unter Ausnutzung erfahrener Händler als ergiebigste Aufbringungsalt erwiesen.

Im Verwaltungsgebiet des Oberbefehlshabers Ost, dem großen gemeinsamen Etappengebiet der ihm unterstellten Armeen, sorgte die militärische Landesverwaltung für die landwirtschaftliche Ausnutzung. Wie im Westen wurde ein Teil der Güter von der Verwaltung selbst auf Kosten des Reiches bewirtschaftet; im übrigen galt es, die Produktion in den von der Bevölkerung selbst betriebenen Wirtschaften zu steigern und die Ablieferung der erzeugten entbehrlichen Verpflegungsmittel zu erzwingen, was bei der ungeheuren Ausdehnung des Gebiets, dem geringen militärischen Personal, das zur Verfügung stand, außerordentlich schwierig war. Auch hier wurden alle entnommenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse bezahlt, da nur so ein Anreiz zur Erzeugung und Ablieferung gegeben werden konnte. Noch weit mehr als im Westen war hier die Mitwirkung der Truppe, insbesondere bei der Ernte und der Zufuhr der Ernteerzeugnisse an die Magazine und Verladestellen, erforderlich; und große Flächen sind wegen Mangels an Arbeitskräften und Gespannen ungenutzt geblieben. Allerdings war auch mit Rücksicht auf die geringe Ertragsfähigkeit weiter Strecken Beschränkung im Anbau geboten.

Besonderer Erwähnung bedarf noch Rumänien, wo bei der Militärverwaltung ein Wirtschaftsstab gebildet wurde, der die wirtschaftliche Ausnutzung des Landes, auch die landwirtschaftliche, außerhalb des Operations- und sehr engbegrenzten Etappengebiets, zu besorgen, dabei die Erzeugnisse nach bestimmten Abmachungen unter den Verbündeten auf diese zu verteilen hatte. Rumänien hatte schon vor Eintritt in den Krieg ganz erhebliche Beihilfen an Mais und Brotgetreide, wenn auch zu außerordentlichen Preisen, geliefert; deshalb waren auch nach seiner Besetzung große Hoffnungen auf die von dort zu erwartenden Aushilfen gesetzt. Der Erfüllung stellten sich erhebliche Schwierigkeiten in den Weg. Die Landwirtschaft hatte unter dem kurzen Kriege in auffallend hohem Maße gelitten. Es bedurfte der umsichtigen und energischen Arbeit der Wirtschaftsoffiziere, ihre Leistungsfähigkeit wieder zu heben. In der Verteilung der Erzeugnisse auf Deutschland und seine Verbündeten, insbesondere Österreich-Ungarn, mußten deren übertriebene Forderungen durch langwierige und unerquickliche Verhandlungen bekämpft werden. Schließlich bereiteten die äußerst ungünstigen Transportverhältnisse immer neue Hemmungen. Trotzdem konnten, abgesehen davon, daß die in Rumänien verwendeten Truppen fast ausschließlich und die Heeresgruppe Scholtz in Mazedonien zu einem guten Teil aus Rumänien verpflegt wurden, so viele Zuschüsse an die Heimat und an die Westfront geliefert werden, daß sie für das Durch- [41] halten der Brot- und Futterversorgung von ausschlaggebender Bedeutung wurden.

Für die Ausnutzung der Ukraine, die ja aus wirtschaftlichen Gründen von deutschen und österreichischen Truppen besetzt werden mußte, wurde zwischen Deutschland und Österreich eine Ausnutzung durch zivile Organisationen unter Leitung des deutschen Reichswirtschaftsamtes vereinbart. Nur für die Besatzungstruppen hatten die Heeresstellen aus dem Lande zu sorgen; die Nahrungsmitteleinfuhr nach Deutschland lag der Zentraleinkaufsgesellschaft als geschäftsführenden Stelle ob; Schlachtvieh für das Heer wurde von der Zentralstelle für Heeresbeschaffung eingekauft. Die wirtschaftlichen Bestrebungen sollten militärischerseits durch entsprechende Maßnahmen unterstützt werden; die Oberste Heeresleitung und die Heeresgruppe Eichhorn hatten deshalb Verbindungsoffiziere bei den einzelnen zivilen Stellen. Nur der Abtransport lag ausschließlich in militärischen Händen. Manche von den deutschen Ernährungsbehörden auf die Ukraine gesetzte Hoffnung mußte begraben werden. Die Ausnutzung kam nur sehr langsam in Gang; und um die damals vor dem Hungertode stehenden österreichischen Verbündeten zu retten, mußten diese in erster Linie bedacht werden. Doch haben auch für Deutschland die aus der Ukraine hereinkommenden Lebensmittelzufuhren eine damals recht beachtenswerte Hilfe gebracht.

Auf dem mazedonischen Kriegsschauplatz war zwar den deutschen Truppen unter dem frischen Eindruck des Siegeszuges von der Donau zur griechischen Grenze anfangs ein eigenes Etappengebiet eingeräumt. Am 1. Januar 1916 hatte aber die deutsche Oberste Heeresleitung mit Rücksicht auf die politischen Strömungen in Bulgarien, wo das neu besetzte Gebiet "Neu-Bulgarien" als künftiges bulgarisches Land angesehen wurde, darauf verzichtet, gegen die Zusage Bulgariens, die deutschen Truppen mitzuversorgen. Diese Verpflichtungen hat Bulgarien nur recht unvollkommen erfüllt. Die Gründe mögen hier unerörtert bleiben. Wenn es nicht in der Lage war, die nötigen Verpflegungsmittel aufzubringen, hätte es aber wenigstens die Ausnutzung des Kriegsschauplatzes gestatten sollen. Jedoch nur für die Heugewinnung wurden dem Heeresgruppenkommando Scholtz drei Kreise Moraviens zugewiesen, die aber infolge aller möglichen Einwirkungen der Bulgaren wenig ergiebig waren und z. B. vom Januar bis Juli 1917 nur 4800 t Heu brachten bei einem Monatsbedarf der deutschen Truppen von 5000 t. Vielfach mußten die Truppen zur Selbsthilfe greifen und trotz der Verbote ankaufen.

Auch die Ausnutzung österreichisch-ungarischen Gebiets durch die deutschen, dort zum Schutze des Landes eingesetzten Truppen mußte sich in sehr bescheidenen Grenzen halten. Im allgemeinen wurde ihnen jeder Ankauf verboten oder nur unter so erschwerenden Bedingungen gestattet, daß das einem Verbot gleichkam. Tatsächliche Lebensmittelnot und die Unfähigkeit, die in [42] den übererzeugenden Teilen der Monarchie vorhandenen Überschüsse zur allgemeinen Versorgung auszunutzen, mögen hier bestimmend gewesen sein. Bei der geringen Leistungsfähigkeit der österreichischen Eisenbahnen und dem recht langen Nachschubweg ergab sich oft, daß die Versorgung der deutschen Truppen ernstlich gefährdet war. Daß sie dann allen Verboten zum Trotz sich aus dem Lande versorgten, ist nicht zu verwundern, gab aber zu recht unerfreulichen Auseinandersetzungen Anlaß. Ebenso lagen die Verhältnisse in den unter österreichischer Verwaltung stehenden besetzten Gebieten, den österreichischen Interessengebieten; auch hier war den deutschen Truppen die unmittelbare Inanspruchnahme der Landeserzeugnisse verboten oder nur in ganz beschränktem Umfange gestattet. Meistens waren dann nur kleine Bezirke für Rauhfutterbeschaffungen freigegeben, außerdem das unmittelbar hinter der Front gelegene Gebiet in geringer Tiefe, das durch eine Gendarmerie-Frontkordonlinie gegen das dahinterliegende Etappengebiet abgegrenzt war.

Leider wird wegen Mangels an Unterlagen eine erschöpfende Statistik über die Ausnutzung des besetzten Gebietes für die Heeresverpflegung wohl nie aufgestellt werden können. Hier konnten nur flüchtige Andeutungen gemacht werden. Es muß aber ausdrücklich festgestellt werden, daß ohne die Erzeugnisse des besetzten Gebietes die Verpflegung des Feldheeres nicht hätte durchgeführt werden können. Nur der rastlosen Arbeit der deutschen Landwirte, die sich der Bewirtschaftung des fremden Landes mit der gleichen Liebe annahmen, als säßen sie auf der eigenen Scholle, ist zu verdanken, daß die besetzten Gebiete so viel liefern konnten.

In der Heimat hat das nicht die gebührende Anerkennung gefunden; hier war die Ansicht verbreitet, daß weit mehr zur Entlastung der heimischen Ernährungswirtschaft geschehen könnte. Der Hauptgrund dafür lag wohl in den Erzählungen der vielen unverantwortlichen, aus Einzelerscheinungen allgemeine Urteile ableitenden Kritiker. Es kam hinzu, daß die mit der Leitung der heimischen Ernährungswirtschaft betrauten Stellen dazu neigten, nur das, was an sie aus den besetzten Gebieten abgeliefert wurde, als deren Beitrag zur Entlastung der Heimat zu rechnen. Sie wollten nicht anerkennen, daß die Heimat am besten dadurch entlastet werden konnte, daß die in den besetzten Gebieten verwendeten Truppen aus den Landeserzeugnissen versorgt wurden und dementsprechend weniger Nachschub anforderten.

Sie strebten immer wieder an, unmittelbar aus den besetzten Gebieten Zuschüsse zu erhalten und fanden bei den Verwaltungen dieser Gebiete nicht selten Unterstützung, da es diesen Freude machte, in deutlich erkennbarer Weise der Heimat zu helfen. Das führte dazu, daß Verpflegungsmittel in die Heimat rollten, während gleichartige aus der Heimat an die Truppen nachgeschoben wurden. Solche unwirtschaftlichen Transporte mußten verhindert werden. Deshalb konnte auch dem unmittelbaren Einkauf durch die Zentraleinkaufsgesell- [43] schaft in den besetzten Gebieten nicht zugestimmt werden. Durch eine dem Generalquartiermeister, später dem Generalintendanten unterstellte "Zentral-Vermittlungsstelle für die Einkäufe im besetzten Gebiete" wurde versucht, die Einkäufe auf die für die Heeresverpflegung entbehrlichen Gegenstände zu beschränken.


Die Aufbringung des Nachschubs aus der Heimat.

Die Aufbringung der aus der Heimat nachzuschiebenden Verpflegungsmittel erfolgte zunächst durch die Proviantämter nach Art ihrer Friedenswirtschaft in freiem Ankauf.

Jedes Proviantamt war bestrebt, möglichst große Mengen zu beschaffen, um allen im Augenblick noch nicht zu übersehenden Anforderungen nachkommen zu können. Infolge des Wettbewerbs schnellten die Preise in unerträglichem Maße in die Höhe.

Abhilfe hätte vielleicht durch Ausschreibung von Landlieferungen auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes vom 13. Juni 1873 geschaffen werden können, wobei der Bundesrat jedem Lieferungsverband (Kreis usw.) einen Anteil an dem Gesamtbedarf des Heeres an Brotgetreide, Hafer, Futtergerste, Heu, Stroh und lebendem Vieh zur Lieferung zu Durchschnittsfriedenspreisen hätte aufgeben können. Davon wurde aber Abstand genommen hauptsächlich mit Rücksicht darauf, daß in den letzten 40 Jahren seit Erlaß des Gesetzes sich die wirtschaftlichen Verhältnisse von Grund auf verändert hatten und insbesondere die Kreise nicht mehr als die für die Zwangsverteilung geeigneten Verbände erschienen.

Nach kommissarischer Beratung aller beteiligten Ressorts unter Hinzuziehung von Vertretern der landwirtschaftlichen Körperschaften des Deutschen Reiches wurde statt dessen durch Verfügung des Reichskanzlers vom 22. August 1914 eine "Zentralstelle zur Beschaffung der Heeresverpflegung" als eine dem Reichsamt des Innern angegliederte Reichskommission mit behördlichem Charakter geschaffen, die beauftragt wurde, den gesamten Bedarf des Heeres an Roggen, Weizen, Roggenmehl, Hafer, Gerste und lebendem Vieh, sowie - allerdings nur vorübergehend - an Heu und Stroh auf Grund der Anmeldungen der Heeresverwaltung zu beschaffen. Dadurch wurde ein Wettbewerb verschiedener Beschaffungsstellen ausgeschlossen und die Möglichkeit gegeben, einen Ausgleich zwischen Zuschuß- und Überschußgebieten zu schaffen. Der Bundesrat, der die Maßnahme genehmigte, ordnete zur Erleichterung der Tätigkeit der Zentralstelle eine allgemeine Auskunftspflicht über vorhandene Bestände an in der Hoffnung, daß so der Heeresbedarf durch Vermittlung der Landwirtschaftskammern in freihändigem Ankauf gedeckt werden könnte. Trotz Steigerung der anzulegenden Preise gelang das aber nicht, und es bedurfte der Anordnung verschiedener Zwangsmaßnahmen und Druckmittel, um den dringenden Heeresbedarf sicherzustellen, wenn sich auch die allgemeine Anwendung der Zwangsmaßnahmen zunächst noch erübrigte.

[44] Brotgetreide und Mehl wurden aber schon im Januar 1915 allgemein beschlagnahmt, da anders auch der Bedarf der Bevölkerung zu angemessenen Preisen nicht mehr zu decken war. Aus den beschlagnahmten Vorräten wurden auf Anmeldung der Zentralstelle die für das Heer benötigten Mengen den Proviantämtern überwiesen.

Für Hafer wurde der Zentralstelle im Dezember 1914 eine Ermächtigung zu Zwangsmaßnahmen erteilt. Ähnlich wie bei dem System der Landlieferungen wurden nun doch den Kreisen bestimmte Lieferungen aufgegeben, und während nur 363 000 t von Anfang September 1914 bis Jahresende im freien Handel für das Heer aufgebracht waren, wurden allein im Januar nach dem neuen Verfahren 190 000 t eingeliefert. Im Juni 1915 wurde dann auch hinsichtlich der Haferversorgung die Zentralstelle in die allgemeine Bewirtschaftung durch die Reichsfuttermittelstelle (später Reichsgetreidestelle) einbezogen. Das gleiche war bei Gerste mit Beginn des Erntejahres 1915 der Fall.

Heu und Stroh wurden nur vorübergehend von der Zentralstelle beschafft. Die Proviantämter kauften Rauhfutter weiterhin selbständig an, ohne daß es allerdings je gelang, den Bedarf des Feldheeres voll zu decken. Als das Jahr 1917 eine Heuernte brachte, die nur auf etwa die Hälfte derjenigen von 1916 geschätzt wurde, entschloß man sich trotz mancherlei Bedenken auf Drängen der Heeresverwaltung doch dazu, für Heu und Stroh Landlieferungen auszuschreiben. Dieselbe Aufbringungsart wurde auch für die Ernte 1918 beibehalten.

Schlachtvieh wurde zwar anfangs durch Vermittlung der Landwirtschaftskammern, ihrer Verkaufsstellen und anderer landwirtschaftlicher Organisationen, später auch durch Händler freihändig aufgekauft. Aber im März 1916 wurde auch die Fleischversorgung der Heimat einheitlich geregelt und dabei die Aufbringung des Heeresbedarfs in den allgemeinen Aufbringungsplan einbezogen.

Auch in der Beschaffung der anderen Lebensmittel, wie Kartoffeln, Gemüse aller Art, Zucker, Fische, Fette usw. wurde die Heeresverwaltung nach und nach auf die Zuteilung durch die verschiedenen Reichsstellen aus der allgemeinen Bewirtschaftung verwiesen und dadurch auf ganz bestimmte Mengen beschränkt. Die Versorgung des Feldheeres wurde allmählich mit hineingezwängt in die Zwangsjacke, die dem deutschen Wirtschaftsleben infolge der Blockade durch eine Unsumme von Verordnungen angelegt werden mußte.

Der Heeresverwaltung war jeder Einfluß auf die Aufbringung genommen. Sie hatte ihren Bedarf anzumelden, konnte unermüdlich bei den unzähligen maßgebenden Stellen vorstellig werden und treiben, mußte aber am Ende doch abwarten, bis die Reihe an sie kam. Sie hatte keine Gewähr, daß der Verpflegungsnachschub, von dem die Schlagfertigkeit des Heeres in hohem Grade abhing, gesichert wäre; ja ihr fehlte bei der Unsicherheit der Ernteschätzungen, der Abhängigkeit von den Gesamtablieferungen der Landwirtschaft die Möglichkeit, einigermaßen zuverlässig vorauszusorgen.

[45] Die Oberste Heeresleitung versuchte durch den Generalintendanten unmittelbaren Einfluß auf die heimische Aufbringung zu gewinnen. 1917 erreichte sie, daß er außerordentliches Mitglied des Kriegsernährungsamtes wurde und so dabei mitwirken konnte, die Bedürfnisse von Heer und Heimat miteinander in Einklang zu bringen. Er fand in allen Beratungen heimischer Ernährungsmaßnahmen, die für das Feldheer von irgendwelcher Bedeutung waren, williges Gehör für seine Darlegungen über die Verpflegungslage beim Feldheer und die Notwendigkeit, es hinreichend zu versorgen. Sein unermüdliches Streben, dem Feldheere zu helfen, stieß aber auf jene schier unüberwindlichen Widerstände, die den für die Aufbringung des Heeresbedarfs verantwortlichen Kriegsministerien sattsam bekannt waren, und konnte an der Unsicherheit im Verpflegungsnachschub nichts ändern. Ein an einer Stelle erzielter Erfolg wurde an einer anderen zur Mitwirkung berufenen Stelle wieder zuschanden gemacht, und oft, wenn der Generalintendant oder seine Beauftragten nach langwierigen Verhandlungen im Glauben, etwas erreicht zu haben, wieder im Großen Hauptquartier eintrafen, fanden sie bereits Telegramme vor, die die Durchführung des soeben Zugesagten wieder in Frage stellten.

Doch es kann hier nicht untersucht werden, ob das in der Heimat geschaffene Wirtschaftssystem zweckmäßig war oder nicht. Da einmal in der weitgehenden Zwangsbewirtschaftung der wichtigsten - ja schließlich fast aller - Lebensmittel und Rohstoffe der Weg erblickt wurde, auf dem allein das deutsche Volk durchhalten konnte, und dazu dieses System für richtig gehalten wurde, mußte auch das Feldheer entsprechend versorgt werden und sich dem anpassen; denn sein Bedarf machte nach Angaben des Kriegsernährungsamts im Jahre 1917 etwa 70% des Gesamtbedarfs aus.

Für die Organisation des Verpflegungsdienstes ergab sich als unvermeidliche Folgeerscheinung eine übermäßige und den Feldverhältnissen durchaus nicht entsprechende Zentralisierung der Leitung beim Generalintendanten, um die Durchführung der Planwirtschaft zu ermöglichen. Vor Beginn des Wirtschaftsjahres wurden genaue Bedarfsberechnungen verlangt, in denen die voraussichtlichen Erträge der besetzten Gebiete berücksichtigt werden mußten. Ernteerträge im voraus zu schätzen, ist eine heikle Sache, sind doch die Launen des Wettergottes unberechenbar; die Erträge der besetzten Gebiete waren aber auch noch außerdem von den Launen des Kriegsgottes abhängig. Die in der Heimat zunächst aufgestellten Wirtschaftspläne hatten auch nur vorläufige Bedeutung und mußten nach den tatsächlichen Ernteergebnissen und Ablieferungen dauernd nachgeprüft werden. Dementsprechend mußten auch beim Generalintendanten fortlaufende Bedarfsberechnungen geführt werden.

Da danach nur streng begrenzte Mengen dem Feldheer zur Verfügung gestellt werden konnten, so mußte auch der Verbrauch einheitlich überwacht und durch Portions- und Rationsbemessung oder Zuteilung bestimmter Mengen [46] an die Armeen geregelt werden. Allmonatliche Verbrauchsanzeigen und Kontrollmeldungen über die nachgeschobenen Mengen konnten nicht entbehrt werden.

Durch die vielen Verfügungen und Meldungen, die neben den Bestandsmeldungen durch eine so überspannt straffe Leitung des Verpflegungsdienstes nötig wurden, schwoll das Schreibwesen bei den nachgeordneten Stellen in einem Umfange an, der von diesen mit Recht als unkriegsmäßig und bureaukratisch empfunden wurde.


6 [1/37]Die von Belgien fortdauernd zu zahlende Kontribution war entsprechend erhöht worden. Siehe auch S. 39. ...zurück...

7 [1/39]Vgl. hierzu auch Band [8], Belgien. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte