Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
Kapitel 19: Vom Isonzo zur Piave
(Forts.)
Feldmarschalleutnant Theodor Konopicky
und Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau
6. Das Wiedererstarken der italienischen
Abwehr.
Die furchtbare Katastrophe, von der das italienische Heer Ende Oktober
heimgesucht worden war, hatte die Politiker und Heerführer der
Westmächte begreiflicherweise mit schwerster Sorge erfüllt. Hatten
die Italiener auch bisher dem Bunde in positivem Sinne keine besonders
großen Dienste geleistet, so beschwor die neueste Wendung in Venezien
doch gleichzeitig schwere Gefahren für Frankreich und die Westfront
herauf. Die beiden Premiers Lloyd George und Painlevé trafen, begleitet
von General Foch und dem französischen Botschafter in Rom
Barrère, am 6. November in Rapallo mit Orlando, Sonnino, dem
Kriegsminister Alfieri und dem General Porro, dem Souschef des Generalstabes,
zusammen, um über die weiteren Maßnahmen zu beraten. Zwei Tage
später verkündete die Agenzia Stefani, es sei beschlossen worden,
einen interalliierten politischen Rat zu schaffen, dem für die gesamte
Westfront (die italienische inbegriffen) ein militärisches Zentralkomitee
beigesellt werde. In dem militärischen Komitee werde Frankreich durch
Foch, England durch General Wilson, Italien durch Cadorna vertreten sein.
Für den Letztgenannten kam diese Verfügung
naturgemäß einer Absetzung gleich. An seine Stelle in der
Heeresleitung trat, im Range noch sehr jung, Generalleutnant Diaz, dem man die
Generale Badoglio und Giardino als Souschefs beigab.
In Rapallo wurde auch eine Unterstützung Italiens durch Ententetruppen
verabredet. Foch gab der Meinung Ausdruck, daß erst an der Etschlinie die
Verteidigung wieder aufzurichten sei. Cadorna war aber diesem Entschluß
des französischen Generals zuvorgekommen, indem er die Piave als neue
Widerstandslinie gewählt hatte. Es ist bezeichnend für ihn, daß
er schon im Frühjahr 1917, in welchem er die militärische Lage
Italiens recht düster sah, die Piaveverteidigung planvoll vorbereitet hatte.
Damals wurden nicht nur Treviso und der Silefluß mit einem
Kostenaufwand von 50 Millionen Lire befestigt, sondern auch die
Befestigungsbauten auf dem Monte Grappa in Angriff genommen, [447] von deren kunstvoller
Vollendung sich Cadorna noch eine Woche vor Caporetto durch
persönlichen Augenschein überzeugt hatte. In der Tat sollte der
Monte Grappa der Eckpfeiler der Piaveverteidigung werden.
Schon am 29. Oktober hatte Cadorna die ersten, noch unverbindlichen Weisungen
für die Besetzung der Piavefront gegeben. Diese war vom Montello
abwärts der 3. Armee zugedacht. Nordwestlich davon sollte der aus den
Dolomiten zurückgenommene rechte Flügel der 4. Armee mit vier
schon in Aussicht gestellten französischen Divisionen den Schulterwinkel
Montello - Grappa zusammen besetzen. An der Piave wollte
Cadorna, wie er wenige Tage später an seine Regierung schrieb, "die letzte
Karte ausspielen".
Als sich dann am 31. Oktober bei Latisana das Schicksal der italienischen 3.
Armee erfüllte, sandte Cadorna sein aus Kavallerie, Radfahrern und
Automaschinengewehren zusammengesetztes "Spezialkorps" an die wichtigsten
Piaveübergänge. Am 3. November standen bereits vier Brigaden
dort, am 4. eine weitere auf dem Montello. Am 7. nahm General Graf Cadorna
von seinem Heere, in dessen Reihen der strenge, hochmütig scheinende
Mann seit jeher wenig Zuneigung besessen hatte, in bewegten Worten Abschied.
Er forderte es auf, alle Kräfte für die Verteidigung des Vaterlandes
auf dem Grappa-Berg, auf dem Montello und an der Piave aufzubieten. Am 8.
übergab er seinem Nachfolger den Oberbefehl. Am 9. um 12 Uhr
mittags wechselten die letzten größeren Abteilungen der Italiener im
Rückzuge die Piaveufer und bald darauf flogen die Mittelfelder der
Brücken südlich des Montello in die Luft.
Noch konnte damals - auch beim Feinde - die Bedeutung der Stunde niemand
ahnen. Heute erkennen wir sie: Nach drei Wochen furchtbarster Gefahren und
heillosester Verwirrung war Italien nun doch vor der Vernichtung gerettet! Eine
starke Regierung, gebildet aus den besten, geschicktesten, zielbewußtesten
Politikern der Welt, gestützt auf die Hilfe mächtiger
Bundesgenossen, vollbrachte in engster Zusammenarbeit mit der neuen
Heeresleitung in den nächsten Monaten das große Wunder, Volk und
Heer aus dem beispiellosen Niederbruch, den beide erlitten hatten, wieder
emporzuheben.
Die Verbündeten gaben die Hoffnung, den erneuten Widerstand des
Feindes zu brechen, nicht ohne weiteres auf. Für den 16. war die
Fortführung der Offensive in der Form geplant, daß die an der Piave
stehenden Armeen abermals den Übergang erzwingen sollten, indessen die
Gruppe Krauß den Feind im Grappa-Gebiet zu werfen hatte.
Die Übergangsversuche über die Piave scheiterten wie in den letzten
Tagen. Sie wurden namentlich beim deutsch-böhmischen
Infanterieregiment Nr. 92, das südwestlich von Oderzo das andere
Ufer gewinnen sollte, mit großen, leider nutzlosen Opfern bezahlt. Es
machte sich vor allem Mangel an Artillerie geltend, von der, da es an den
nötigen Transportmitteln gebrach, bisher nur ein geringer Teil an den
Fluß nachgezogen werden konnte.
[448] Erfolgreicher erwies
sich das Vorgehen der Verbündeten im Gebirge südlich von Feltre.
Am 18. November nahmen deutsche Sturmtruppen und Bosniaken der 55.
Infanteriedivision nach Tag und Nacht ausfüllenden Kämpfen das
Dorf Quero im Piavetal. Die Division Schwarzenberg wurde in den
nächsten Tagen durch das Alpenkorps abgelöst, das zusammen mit
den im gleichen Raum kämpfenden deutschen Jägern und Teilen der
preußischen 5. Infanteriedivision als selbständige Gruppe dem
bayrischen Generalleutnant v. Tutschek unterstellt wurde. Diesen Truppen
fiel die Aufgabe zu, den Italienern den Monte Tomba zu entreißen, was am
22. November die deutschen Jäger vollbrachten. Westlich von der Gruppe
Tutschek erstürmten am gleichen Tage am linken Flügel des Korps
Krauß Tiroler Kaiserschützen den Gipfel der Fontana Secca. Das
Württemberger Gebirgsbataillon drang bis knapp an den Monte Spinuccia
heran.13 Weiter westlich fiel dem Grazer
Schützenregiment Nr. 3 am 23. der Monte Pertica nach heftigem
Ringen als Siegespreis zu. Tags darauf entrissen frische Bataillone der 94.
Infanteriedivision den Italienern ihre Stützpunkte auf dem Orso und dem
Solarolo. Im Brentatal und an dessen Osthängen hatten inzwischen
Oberösterreicher von Hesseninfanterie Nr.14 und Tiroler
Kaiserjäger, indem sie dem Feind Schritt für Schritt Boden
abnahmen, neuerlich Beweise ungebrochener Kampfkraft gegeben. Aber der
Truppenverbrauch bei diesen zähen, atemraubenden Kämpfen war
doch außergewöhnlich groß. Der von ungezählten
Geschützkavernen unterhöhlte Monte Grappa tat im Sinne Cadornas
seine Schuldigkeit und auch der Wettergott stand unbarmherzig an der Seite der
Verteidiger.
Im Einklange mit der Gruppe Krauß hatte am 22. Feldmarschall v. Conrad
seine Angriffe bei Asiago wieder aufgenommen. Der Ostflügel der
Angriffsgruppe, die 18. Infanteriedivision Generalmajor v. Vidale, gewann
südlich des Monte Lisser etwas Raum. Dagegen war es im Gebiete des
Melettablockes, der genommen werden sollte, noch immer nicht gelungen, genug
Artillerie aufzuführen. Die Infanterie vergoß bei den Stürmen
vergebens ihr Blut. Kaiser Karl wohnte dem Kampfe bei und verfügte
persönlich seine Einstellung.14
[449] 7. Der Ausklang der Offensive.
Noch am 12. November hatte sich General Ludendorff in einer an das
Armee-Oberkommando Baden gerichteten Depesche für das
Fortführen der Offensive bis an die Etsch ausgesprochen. Er schlug sogar
vor, einen Stoß durch die Berner Klause oder im Gardaseegebiet, also in die
Flanke und den Rücken einer italienischen Etsch-Stellung, vorzubereiten;
bei Trient sollten zu diesem Zwecke zwei bis drei deutsche Infanteriedivisionen
und österreichische Gebirgstruppen zu einem Korps unter Generalleutnant
v. Conta, dem erfolgreichen Führer des "Karpathenkorps",
zusammengezogen werden. Wenige Tage später rollte die deutsche 195.
Infanteriedivision als erste Staffel in diesen Raum.
Inzwischen schraubten die Ereignisse bei Asiago und an der Piave, namentlich
aber jene bei der Gruppe Krauß, wo der Angriff trotz des Aufgebotes
auserlesenster Truppen und erheblicher Opfer nur außerordentlich schwer
vorwärts schritt, die Hoffnungen des Ersten Generalquartiermeisters,
daß es gelingen werde, die Offensive im Schwung zu erhalten,
beträchtlich herab. Immer mehr rang er sich zur Auffassung durch,
daß den verbündeten Armeen der Atem ausgegangen sei
und - wenn man überhaupt noch weiter kommen
wollte - eine neue Operation aufgebaut werden müsse. Gegen eine
solche Maßnahme sprach aber in den Augen General Ludendorffs
mancherlei: der stark anwachsende Widerstand des Feindes, der Winter im
Gebirge mit all seinen unüberwindbaren Hemmnissen und
Widerwärtigkeiten, das Nahen der Ententehilfe für die italienische
Heeresleitung, von dem man im Großen Hauptquartier
naturgemäß frühzeitig - schon um den
20. - Kenntnis erhielt. Die Vorbereitung eines neuen Angriffes, wenn man
angesichts des Gebirgswinters überhaupt einen solchen für
möglich hielt, forderte viel Zeit und frische Kräfte. Ludendorff
verfügte aber, seiner Beurteilung nach, weder über das eine noch das
andere. "Die Unterstützung, die die Oberste Heeresleitung der
k. u. k. Front gegen Italien gewährte, durfte nur
vorübergehend sein. Es war nicht möglich, deutsche Divisionen dort
dauernd zu belassen. Ihr Platz war an der Westfront; denn daß dort bald
wieder um die Entscheidung gerungen werden müsse, war sicher,
gleichviel, ob in Abwehr oder Angriff."15
Nachdem die Oberste Heeresleitung dem Armee-Oberkommando Baden am 26.
mitgeteilt hatte, daß in Oberitalien acht bis zehn französische und
drei bis vier englische Divisionen auftreten würden und der Abtransport
von sechs der ersteren sicher festgestellt sei, ließ Ludendorff drei Tage
später fragen, ob [450] es überhaupt
zweckmäßig wäre, die Offensive noch fortzusetzen; selbst
wenn man über die Piave hinüberkäme, stieße man
drüben statt auf abgehetzte Italiener auf frische, kampfkräftige
Westtruppen.
Auch die österreichisch-ungarische Heeresleitung hatte sich schon nach den
Erfahrungen von Mitte November die gleiche Frage gestellt. Am 21. gab
Generaloberst v. Arz gegenüber Hindenburg noch der Hoffnung
Ausdruck, daß es gelingen werde, die Piavefront vom
Grappa-Gebiet her aufzurollen. Die Flußbezwingung selbst war zuerst
für den 29. November, dann für den 2. oder 3. Dezember in Aussicht
genommen. Um sie zu erleichtern, sollte gleichzeitig nicht bloß Krauß
angreifen, sondern zwischen ihm und der Plave noch eine vier
Infanteriedivisionen starke Angriffsgruppe Scotti über den Monte Tomba
angesetzt werden.
Zwischen dem 24. und 27. zog Kaiser Karl persönlich eine Reihe der
bedeutendsten Führer des Heeres zu Rate: Erzherzog Eugen, Conrad, Boroević, Otto v. Below, Alfred Krauß u. a. Von ihnen
sprach sich Conrad unbedingt für die Fortführung der Offensive, und
zwar beiderseits der Brenta aus, Krauß für einen Stoß im
Raume Etsch - Gardasee, Boroević für einen solchen
über die Piave. Schließlich wurde das Kommando der
Südwestfront beauftragt, die Lage nochmals zu prüfen. Für
dieses war vor allem das Urteil des Generals Otto v. Below und seines
Stabschefs maßgebend, die beide weitere nennenswerte Erfolge vorerst
für wenig wahrscheinlich hielten. Auch mehrere
österreichisch-ungarische Führer und maßgebende
Generalstabsoffiziere äußerten sich in ähnlichem Sinne. So
wurde denn am 1. Dezember der Entschluß gefaßt, die Offensive
einzustellen. Der Feind sollte jedoch darüber möglichst spät
Klarheit bekommen, weshalb verschiedene Stellungsberichtigungen, die bei
Feldmarschall Conrad und bei General Krauß auf jeden Fall vorgenommen
werden mußten, das Fortführen der Offensive vorzutäuschen
hatten.16
Der Gebirgswinter hatte in den "Sieben Gemeinden" bereits völlig alle
Herrschaft an sich gerissen, als am 4. Dezember früh Feldmarschall Conrad
bei Asiago erneut zum Angriff ausholte. Für den Ostflügel, die
verstärkte 18. Infanteriedivision, galt es, den Felsabsturz der
Frenzellaschlucht bei Valstagna zu gewinnen. Die Division erstürmte am
ersten Angriffstag die Höhen Badelecche und Tondarecar und warf am
zweiten Tag den Feind in die Schlucht [451] hinab. Sie hatte damit
ihre Aufgabe erfüllt. Nicht weniger erfolgreich war die Mitte der
Kampfgruppe. Kaiserschützen vom dritten Regiment standen schon am 4.
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mittags auf dem Monte Miela. Am Abend brach vor dem umfassenden Ansturm
der k. u. k. Bataillone der italienische Widerstand auf der Meletta
zusammen. Zwei Tage darauf erstürmten Teile aller Regimenter der 21.
Schützendivision und Kaiserschützen den Monte Sisemol
östlich von Asiago, wobei Gefangene dreier Bersaglieriregimenter
eingebracht wurden. Am 7. wurde dann noch von Egerländer
Schützen der starke Stützpunkt Stenfle genommen. An den vier
Gefechtstagen gingen aus den Sieben Gemeinden 16 000 Italiener als
Gefangene zurück.
Zur Herstellung einer starken, abwehrkräftigen Front östlich von
Asiago war nun noch die Bezwingung des Col del Rosso und des Monte di Val
Bella geboten, die zwischen dem Sisemol und der Frenzellaschlucht aufragen.
Dieses schwierige Werk vollbrachte die aus Bataillonen unterschiedlichster
Bodenständigkeit zusammengewürfelte Gruppe Kletter am 23.
Dezember. Ein italienischer Oberst, vier Stabsoffiziere und 9000 Mann fielen als
Gefangene in die Hände der Angreifer. Vergeblich versuchten die Italiener
in der Weihnachtswoche, den österreichisch-ungarischen Truppen ihre
Höhenstellungen wieder zu entreißen. Diese blieben behauptet.
Auch zwischen der Brenta und der Piave flammten nach dem 10. Dezember die
Kämpfe neuerlich auf. Am 11. gewann die unmittelbar östlich der
Brenta anstatt der Edelweißdivision eingesetzte 4. Infanteriedivision
Feldmarschalleutnant Pfeffer den Monte Beretta. Drei Tage später
stürmten im selben Raume die k. u. k. Infanterieregimenter
Nr. 49 und 88 die italienischen Linien im Gebiet des Col Caprile. In der
Mitte der Kampffront hatte die deutsche 5. Infanteriedivision unter Generalmajor
v. Wedell am 11. den Monte Spinuccia genommen, während die 200.
Generalmajor v. Below im Bereich der Fontana Secca Fortschritte machte.
Am 18. krönte das ruhmreiche Kärntner Infanterieregiment
Nr. 7 die errungenen Erfolge durch die Einnahme des Monte Asolone.
Daß der Feind am nächsten Tage gegen diesen sieben und gegen den
Monte Pertica drei Gegenstöße anzusetzen vermochte, tat, wie auch
zahlreiche andere Versuche, Verlorenes zurückzugewinnen, die
staunenswert rasch gehobene Kampfkraft der Italiener dar. Man hätte es
kaum für möglich gehalten, daß sich ein Heer nach einer so
ungeheuren Katastrophe, wie die von Caporetto es gewesen ist, so schnell wieder
zu fassen vermöge.
Diese auffallende Erscheinung war wohl nicht zum geringsten dem Eintreffen
französischer und englischer Truppen zuzuschreiben. Schon in der zweiten
Hälfte November wurde allmählich ganz Oberitalien von alliierten
Kriegern überschwemmt. Das Oberkommando über sämtliche
für Italien bestimmten Westdivisionen - es waren deren etwa 12: 7
französische und 5 eng- [452]
lische17 - führte der
französische General Fayolle. Die Franzosen befehligte General
Duchène, die Briten General Plumer. Am 4. Dezember tauchten die ersten
Engländer im Montellogebiet auf, tags darauf die ersten Franzosen im
Bereiche des Monte Tomba. Daraus erhellte wieder die Bedeutung, die die
italienische Heeresleitung diesen Schulterpunkten ihrer Stellung zuschrieb.
Am Vorabend vor Silvester schritten die Franzosen auf dem Monte Tomba zu
ihrem ersten Angriff. Ein stundenlanges Trommelfeuer ging voraus. Um
drei Uhr nachmittags brach der Feind in die Gipfelstellung ein. Der
französische Einbruch konnte aber örtlich abgegrenzt werden. Eine
nennenswerte Verschlechterung unserer Lage hatte er nicht zur Folge...
Gegenüber den Gebirgskämpfen trat die Kampftätigkeit am
Piavefluß ganz wesentlich zurück. Es sind hier für den
Dezember nur zwei bemerkenswertere Gefechtshandlungen zu verzeichnen. Am
9. entrissen Honved-Sturmtruppen den Italienern den Brückenkopf
Bressanin nächst der Piavemündung. Am 26. räumten die
österreichisch-ungarischen Abteilungen, unbemerkt vom Feinde, den
Brückenkopf bei Zenson.
Mit dem Verzicht auf das Fortführen der Offensive hatte auch das Abrollen
der deutschen Divisionen begonnen. Denen unter ihnen, die in den
Kämpfen zwischen Brenta und Piave noch die Schrecknisse des
Gebirgswinters mitmachen mußten, mag der Abschied nicht sonderlich
schwer gefallen sein. Wem es aber gegönnt war, bloß am Siegeszug
teilzunehmen, der ging nicht ohne Wehmut. "Dieser Feldzug hier", schrieb ein
württembergischer Artillerist während des Vormarsches an die
Seinigen,18 "ist das gewaltigste Ereignis meines
Lebens. Alle die drückende Enge des
Trichter-Stellungskrieges ist weg und, tagelang im Sattel, ziehen wir
kämpfend und siegend durch ein unvergleichlich herrliches Land. Auch die
Siegerfreuden der alten Staufen werden mir klar, seit ich weiß, daß
hier der Eroberer bis zum Knöchel in köstlichsten Weinen watet und
jedem Kanonier ein allabendliches Huhn im Kessel sicher ist."
Das Beziehen der "Dauerstellung" führte zu einer Neugliederung der gegen
Italien verbleibenden österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Diese
zerfielen von nun an in zwei Heeresgruppen: Feldmarschall Freiherr
v. Conrad in Bozen und Generaloberst v. Boroević in Udine.
Jede setzte sich aus zwei Armeen zusammen. Die 10., Feldmarschall Freiherr
v. Krobatin, Trient, deckte Westtirol und den Raum beiderseits der Etsch.
Die 11., Generaloberst Graf Scheuchenstuel, Levico, stand in den Sieben
Gemeinden. Generaloberst Erzherzog Josef, bisher Oberbefehlshaber in
Siebenbürgen, übernahm den Abschnitt des
Armee-Oberkommandos 14 im Raume von Vittorio als [453] Kommandant einer 6.
Armee. An der unteren Piave wurden die beiden Isonzoarmeen zu einer Armee
unter dem Generalobersten Freiherrn v. Wurm, San Vito, vereinigt.
Die Streitkräfte zwischen Brenta und Piave wechselten ihre Einteilung
zwischen rechts und links. Sie bildeten in Ansehung des Nachschubes bis zum
Kriegsende das stete Sorgenkind der k. u. k. Heeresleitung.
Im Zusammenhang mit dieser Neugliederung wurde auch das "Kommando der
Südwestfront" aufgelöst. Mit dem Feldmarschall Erzherzog Eugen
trat zum allgemeinen Bedauern der angesehenste und namentlich in
deutsch-österreichischen Landen volkstümlichste Prinz des
kaiserlichen Hauses ins Privatleben zurück.
Mit den Dezemberkämpfen in den vicentinischen Alpen klang die
große Offensive der Verbündeten aus. Ihr Ergebnis entsprach nicht
bloß vollauf den Zielen, die man ihr gesetzt hatte, sondern sie war schon in
den ersten Stunden weit darüber hinausgewachsen. Die verbündeten
Mittelmächte mögen in den vier Jahren Krieg manchen Feldzug
gewonnen haben, der den italienischen an strategischer Bedeutung übertraf.
Aber kein zweiter Waffengang war von so eindrucksvoller, hinreißender
Wucht wie dieser.
Nach den amtlichen Berichten der Italiener hat die königliche Armee
zwischen dem 20. Oktober und dem 20. November nicht weniger als
400 000 Mann, 3152 Geschütze, 1732 Minenwerfer, 3000
Maschinengewehre und 300 000 Gewehre eingebüßt.
10 000 Mann waren tot, 30 000 verwundet, 293 943
gefangen! Wochenlang überschwemmte eine halbe Million Versprengter
ganz Oberitalien. Bei Tannenberg und in Masuren waren je 100 000 Mann,
zwischen Gorlice und Lemberg doppelt soviel Gefangene in der Hand der Sieger
geblieben.
Die Beute an Verpflegung ernährte mehrere Monate hindurch die im Lande
kämpfenden Heere. Die blassen, eingefallenen Wangen der Karstverteidiger
waren schon auf dem Wege zur Piave, allen Mühsalen zum Trotz, gestrafft
und rot geworden. Auch die Heimat hatte Anteil an den Segnungen des
venetianischen Paradieses. Ungezählte Mengen von Liebesgaben wanderten
durch die Feldpost an den häuslichen Herd. Wohl dem, der damals einen
Sohn, einen Bruder, einen Verwandten an der italienischen Front hatte! Dabei
war - angesichts der eng gesteckten Ziele - im voraus für die
planmäßige Sammlung der Beute soviel wie nichts vorgesorgt
worden. Es kam vor, daß unter den Rädern der Geschütze
buchstäblich köstlichste Kaffeefrucht oder sogar unersetzliches
Arzeneigerät knirschte. Mehl aus vollen Säcken und Wein aus vollen
Fässern rann dort und da in den Straßengraben. Güter in
Millionenwerten gingen verloren. Schon nach acht Tagen Marsch gab es bei den
Verbündeten keinen Mann, der nicht einen neuen italienischen Mantel,
wundervolle neue Schuhe oder ein italienisches Hemd oder auch alles zusammen
am Leibe gehabt hätte.
Mit der Besetzung Venetiens wurde ein gesegnetes Stück Erde dem bis ins
Letzte ausgebeuteten Boden der belagerten Mittelmächte angeschlossen.
[454] Das okkuppierte Gebiet
konnte von den
Entbehrungen, denen die Völker der beiden Kaiserreiche
dank der Hungerblockade ausgesetzt waren, naturgemäß nicht
verschont bleiben. Aber das Schicksal wollte es mit ihm noch um ein
beträchtliches milder als mit manchen Gegenden der deutschen und der
österreichischen Heimat. Die Verwaltung
wurde - nach dem Muster Rumäniens - einem gemeinsamen
Wirtschaftsstab übertragen...
Diese Ergebnisse der großen Isonzooffensive gehören heute allesamt
der Geschichte an. Eines aber sollte Dauer haben. Bei Karfreit und Tolmein, im
Rahmen der 14. Armee, standen - zum erstenmal seit den
Befreiungskriegen - Deutsche aller Stämme, aus dem Reiche und aus
der Ostmark, vom Rhein und von der Donau, von der Elbe und von der Etsch auf
enger Walstatt zusammen. Brandenburger und Schlesier kämpften und
bluteten neben Deutschböhmen und Männern aus Österreich
ob der Enns. Salzburger und Kärntner hauchten neben Hannoveranern ihr
Leben aus. Schwaben und Bayern siegten und starben in enger
Kampfgemeinschaft mit Tirolern und Steirern für die eine heilige Sache.
Und auch die Führerrolle über die kleinen Nationen des
Donaubeckens, die dem deutschen Volke als sein Schicksal in die Wiege gelegt
worden war, trat in der Flucht der Begebenheiten wundervoll hervor.
Fürwahr, jener deutsche Staatsmann hatte recht: In diesem sturmreichen
Herbst 1917 erwachte in den Gebirgen Friauls und in dem Lande, über das
einst die Patriarchen von Aquileja geboten, ein Stück herzerhebender
Staufenüberlieferung zu neuem Leben. Dies allein muß dem
großen Waffengang jenseits der Alpen in der Erinnerung des deutschen
Volkes einen besonderen Ehrenplatz sichern.
Karfreit - Tolmein war vielleicht der deutscheste aller Siege, die im Weltkrieg
errungen wurden.
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