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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

  Kapitel 19: Vom Isonzo zur Piave   (Forts.)
Feldmarschalleutnant Theodor Konopicky
und Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

6. Das Wiedererstarken der italienischen Abwehr.

Die furchtbare Katastrophe, von der das italienische Heer Ende Oktober heimgesucht worden war, hatte die Politiker und Heerführer der Westmächte begreiflicherweise mit schwerster Sorge erfüllt. Hatten die Italiener auch bisher dem Bunde in positivem Sinne keine besonders großen Dienste geleistet, so beschwor die neueste Wendung in Venezien doch gleichzeitig schwere Gefahren für Frankreich und die Westfront herauf. Die beiden Premiers Lloyd George und Painlevé trafen, begleitet von General Foch und dem französischen Botschafter in Rom Barrère, am 6. November in Rapallo mit Orlando, Sonnino, dem Kriegsminister Alfieri und dem General Porro, dem Souschef des Generalstabes, zusammen, um über die weiteren Maßnahmen zu beraten. Zwei Tage später verkündete die Agenzia Stefani, es sei beschlossen worden, einen interalliierten politischen Rat zu schaffen, dem für die gesamte Westfront (die italienische inbegriffen) ein militärisches Zentralkomitee beigesellt werde. In dem militärischen Komitee werde Frankreich durch Foch, England durch General Wilson, Italien durch Cadorna vertreten sein.

Für den Letztgenannten kam diese Verfügung naturgemäß einer Absetzung gleich. An seine Stelle in der Heeresleitung trat, im Range noch sehr jung, Generalleutnant Diaz, dem man die Generale Badoglio und Giardino als Souschefs beigab.

In Rapallo wurde auch eine Unterstützung Italiens durch Ententetruppen verabredet. Foch gab der Meinung Ausdruck, daß erst an der Etschlinie die Verteidigung wieder aufzurichten sei. Cadorna war aber diesem Entschluß des französischen Generals zuvorgekommen, indem er die Piave als neue Widerstandslinie gewählt hatte. Es ist bezeichnend für ihn, daß er schon im Frühjahr 1917, in welchem er die militärische Lage Italiens recht düster sah, die Piaveverteidigung planvoll vorbereitet hatte. Damals wurden nicht nur Treviso und der Silefluß mit einem Kostenaufwand von 50 Millionen Lire befestigt, sondern auch die Befestigungsbauten auf dem Monte Grappa in Angriff genommen, [447] von deren kunstvoller Vollendung sich Cadorna noch eine Woche vor Caporetto durch persönlichen Augenschein überzeugt hatte. In der Tat sollte der Monte Grappa der Eckpfeiler der Piaveverteidigung werden.

Schon am 29. Oktober hatte Cadorna die ersten, noch unverbindlichen Weisungen für die Besetzung der Piavefront gegeben. Diese war vom Montello abwärts der 3. Armee zugedacht. Nordwestlich davon sollte der aus den Dolomiten zurückgenommene rechte Flügel der 4. Armee mit vier schon in Aussicht gestellten französischen Divisionen den Schulterwinkel Montello - Grappa zusammen besetzen. An der Piave wollte Cadorna, wie er wenige Tage später an seine Regierung schrieb, "die letzte Karte ausspielen".

Als sich dann am 31. Oktober bei Latisana das Schicksal der italienischen 3. Armee erfüllte, sandte Cadorna sein aus Kavallerie, Radfahrern und Automaschinengewehren zusammengesetztes "Spezialkorps" an die wichtigsten Piaveübergänge. Am 3. November standen bereits vier Brigaden dort, am 4. eine weitere auf dem Montello. Am 7. nahm General Graf Cadorna von seinem Heere, in dessen Reihen der strenge, hochmütig scheinende Mann seit jeher wenig Zuneigung besessen hatte, in bewegten Worten Abschied. Er forderte es auf, alle Kräfte für die Verteidigung des Vaterlandes auf dem Grappa-Berg, auf dem Montello und an der Piave aufzubieten. Am 8. übergab er seinem Nachfolger den Oberbefehl. Am 9. um 12 Uhr mittags wechselten die letzten größeren Abteilungen der Italiener im Rückzuge die Piaveufer und bald darauf flogen die Mittelfelder der Brücken südlich des Montello in die Luft.

Noch konnte damals - auch beim Feinde - die Bedeutung der Stunde niemand ahnen. Heute erkennen wir sie: Nach drei Wochen furchtbarster Gefahren und heillosester Verwirrung war Italien nun doch vor der Vernichtung gerettet! Eine starke Regierung, gebildet aus den besten, geschicktesten, zielbewußtesten Politikern der Welt, gestützt auf die Hilfe mächtiger Bundesgenossen, vollbrachte in engster Zusammenarbeit mit der neuen Heeresleitung in den nächsten Monaten das große Wunder, Volk und Heer aus dem beispiellosen Niederbruch, den beide erlitten hatten, wieder emporzuheben.

Die Verbündeten gaben die Hoffnung, den erneuten Widerstand des Feindes zu brechen, nicht ohne weiteres auf. Für den 16. war die Fortführung der Offensive in der Form geplant, daß die an der Piave stehenden Armeen abermals den Übergang erzwingen sollten, indessen die Gruppe Krauß den Feind im Grappa-Gebiet zu werfen hatte.

Die Übergangsversuche über die Piave scheiterten wie in den letzten Tagen. Sie wurden namentlich beim deutsch-böhmischen Infanterieregiment Nr. 92, das südwestlich von Oderzo das andere Ufer gewinnen sollte, mit großen, leider nutzlosen Opfern bezahlt. Es machte sich vor allem Mangel an Artillerie geltend, von der, da es an den nötigen Transportmitteln gebrach, bisher nur ein geringer Teil an den Fluß nachgezogen werden konnte.

[448] Erfolgreicher erwies sich das Vorgehen der Verbündeten im Gebirge südlich von Feltre. Am 18. November nahmen deutsche Sturmtruppen und Bosniaken der 55. Infanteriedivision nach Tag und Nacht ausfüllenden Kämpfen das Dorf Quero im Piavetal. Die Division Schwarzenberg wurde in den nächsten Tagen durch das Alpenkorps abgelöst, das zusammen mit den im gleichen Raum kämpfenden deutschen Jägern und Teilen der preußischen 5. Infanteriedivision als selbständige Gruppe dem bayrischen Generalleutnant v. Tutschek unterstellt wurde. Diesen Truppen fiel die Aufgabe zu, den Italienern den Monte Tomba zu entreißen, was am 22. November die deutschen Jäger vollbrachten. Westlich von der Gruppe Tutschek erstürmten am gleichen Tage am linken Flügel des Korps Krauß Tiroler Kaiserschützen den Gipfel der Fontana Secca. Das Württemberger Gebirgsbataillon drang bis knapp an den Monte Spinuccia heran.13 Weiter westlich fiel dem Grazer Schützenregiment Nr. 3 am 23. der Monte Pertica nach heftigem Ringen als Siegespreis zu. Tags darauf entrissen frische Bataillone der 94. Infanteriedivision den Italienern ihre Stützpunkte auf dem Orso und dem Solarolo. Im Brentatal und an dessen Osthängen hatten inzwischen Oberösterreicher von Hesseninfanterie Nr.14 und Tiroler Kaiserjäger, indem sie dem Feind Schritt für Schritt Boden abnahmen, neuerlich Beweise ungebrochener Kampfkraft gegeben. Aber der Truppenverbrauch bei diesen zähen, atemraubenden Kämpfen war doch außergewöhnlich groß. Der von ungezählten Geschützkavernen unterhöhlte Monte Grappa tat im Sinne Cadornas seine Schuldigkeit und auch der Wettergott stand unbarmherzig an der Seite der Verteidiger.

Im Einklange mit der Gruppe Krauß hatte am 22. Feldmarschall v. Conrad seine Angriffe bei Asiago wieder aufgenommen. Der Ostflügel der Angriffsgruppe, die 18. Infanteriedivision Generalmajor v. Vidale, gewann südlich des Monte Lisser etwas Raum. Dagegen war es im Gebiete des Melettablockes, der genommen werden sollte, noch immer nicht gelungen, genug Artillerie aufzuführen. Die Infanterie vergoß bei den Stürmen vergebens ihr Blut. Kaiser Karl wohnte dem Kampfe bei und verfügte persönlich seine Einstellung.14


[449] 7. Der Ausklang der Offensive.

Noch am 12. November hatte sich General Ludendorff in einer an das Armee-Oberkommando Baden gerichteten Depesche für das Fortführen der Offensive bis an die Etsch ausgesprochen. Er schlug sogar vor, einen Stoß durch die Berner Klause oder im Gardaseegebiet, also in die Flanke und den Rücken einer italienischen Etsch-Stellung, vorzubereiten; bei Trient sollten zu diesem Zwecke zwei bis drei deutsche Infanteriedivisionen und österreichische Gebirgstruppen zu einem Korps unter Generalleutnant v. Conta, dem erfolgreichen Führer des "Karpathenkorps", zusammengezogen werden. Wenige Tage später rollte die deutsche 195. Infanteriedivision als erste Staffel in diesen Raum.

Inzwischen schraubten die Ereignisse bei Asiago und an der Piave, namentlich aber jene bei der Gruppe Krauß, wo der Angriff trotz des Aufgebotes auserlesenster Truppen und erheblicher Opfer nur außerordentlich schwer vorwärts schritt, die Hoffnungen des Ersten Generalquartiermeisters, daß es gelingen werde, die Offensive im Schwung zu erhalten, beträchtlich herab. Immer mehr rang er sich zur Auffassung durch, daß den verbündeten Armeen der Atem ausgegangen sei und - wenn man überhaupt noch weiter kommen wollte - eine neue Operation aufgebaut werden müsse. Gegen eine solche Maßnahme sprach aber in den Augen General Ludendorffs mancherlei: der stark anwachsende Widerstand des Feindes, der Winter im Gebirge mit all seinen unüberwindbaren Hemmnissen und Widerwärtigkeiten, das Nahen der Ententehilfe für die italienische Heeresleitung, von dem man im Großen Hauptquartier naturgemäß frühzeitig - schon um den 20. - Kenntnis erhielt. Die Vorbereitung eines neuen Angriffes, wenn man angesichts des Gebirgswinters überhaupt einen solchen für möglich hielt, forderte viel Zeit und frische Kräfte. Ludendorff verfügte aber, seiner Beurteilung nach, weder über das eine noch das andere. "Die Unterstützung, die die Oberste Heeresleitung der k. u. k. Front gegen Italien gewährte, durfte nur vorübergehend sein. Es war nicht möglich, deutsche Divisionen dort dauernd zu belassen. Ihr Platz war an der Westfront; denn daß dort bald wieder um die Entscheidung gerungen werden müsse, war sicher, gleichviel, ob in Abwehr oder Angriff."15

Nachdem die Oberste Heeresleitung dem Armee-Oberkommando Baden am 26. mitgeteilt hatte, daß in Oberitalien acht bis zehn französische und drei bis vier englische Divisionen auftreten würden und der Abtransport von sechs der ersteren sicher festgestellt sei, ließ Ludendorff drei Tage später fragen, ob [450] es überhaupt zweckmäßig wäre, die Offensive noch fortzusetzen; selbst wenn man über die Piave hinüberkäme, stieße man drüben statt auf abgehetzte Italiener auf frische, kampfkräftige Westtruppen.

Auch die österreichisch-ungarische Heeresleitung hatte sich schon nach den Erfahrungen von Mitte November die gleiche Frage gestellt. Am 21. gab Generaloberst v. Arz gegenüber Hindenburg noch der Hoffnung Ausdruck, daß es gelingen werde, die Piavefront vom Grappa-Gebiet her aufzurollen. Die Flußbezwingung selbst war zuerst für den 29. November, dann für den 2. oder 3. Dezember in Aussicht genommen. Um sie zu erleichtern, sollte gleichzeitig nicht bloß Krauß angreifen, sondern zwischen ihm und der Plave noch eine vier Infanteriedivisionen starke Angriffsgruppe Scotti über den Monte Tomba angesetzt werden.

Zwischen dem 24. und 27. zog Kaiser Karl persönlich eine Reihe der bedeutendsten Führer des Heeres zu Rate: Erzherzog Eugen, Conrad, Boroević, Otto v. Below, Alfred Krauß u. a. Von ihnen sprach sich Conrad unbedingt für die Fortführung der Offensive, und zwar beiderseits der Brenta aus, Krauß für einen Stoß im Raume Etsch - Gardasee, Boroević für einen solchen über die Piave. Schließlich wurde das Kommando der

Südwestfront beauftragt, die Lage nochmals zu prüfen. Für dieses war vor allem das Urteil des Generals Otto v. Below und seines Stabschefs maßgebend, die beide weitere nennenswerte Erfolge vorerst für wenig wahrscheinlich hielten. Auch mehrere österreichisch-ungarische Führer und maßgebende Generalstabsoffiziere äußerten sich in ähnlichem Sinne. So wurde denn am 1. Dezember der Entschluß gefaßt, die Offensive einzustellen. Der Feind sollte jedoch darüber möglichst spät Klarheit bekommen, weshalb verschiedene Stellungsberichtigungen, die bei Feldmarschall Conrad und bei General Krauß auf jeden Fall vorgenommen werden mußten, das Fortführen der Offensive vorzutäuschen hatten.16

Der Gebirgswinter hatte in den "Sieben Gemeinden" bereits völlig alle Herrschaft an sich gerissen, als am 4. Dezember früh Feldmarschall Conrad bei Asiago erneut zum Angriff ausholte. Für den Ostflügel, die verstärkte 18. Infanteriedivision, galt es, den Felsabsturz der Frenzellaschlucht bei Valstagna zu gewinnen. Die Division erstürmte am ersten Angriffstag die Höhen Badelecche und Tondarecar und warf am zweiten Tag den Feind in die Schlucht [451] hinab. Sie hatte damit ihre Aufgabe erfüllt. Nicht weniger erfolgreich war die Mitte der Kampfgruppe. Kaiserschützen vom dritten Regiment standen schon am 4.

Aus den Kämpfen bei Asiago eingebrachte italienische Gefangene.
Aus den Kämpfen bei Asiago eingebrachte
italienische Gefangene.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 508.
mittags auf dem Monte Miela. Am Abend brach vor dem umfassenden Ansturm der k. u. k. Bataillone der italienische Widerstand auf der Meletta zusammen. Zwei Tage darauf erstürmten Teile aller Regimenter der 21. Schützendivision und Kaiserschützen den Monte Sisemol östlich von Asiago, wobei Gefangene dreier Bersaglieriregimenter eingebracht wurden. Am 7. wurde dann noch von Egerländer Schützen der starke Stützpunkt Stenfle genommen. An den vier Gefechtstagen gingen aus den Sieben Gemeinden 16 000 Italiener als Gefangene zurück.

Zur Herstellung einer starken, abwehrkräftigen Front östlich von Asiago war nun noch die Bezwingung des Col del Rosso und des Monte di Val Bella geboten, die zwischen dem Sisemol und der Frenzellaschlucht aufragen. Dieses schwierige Werk vollbrachte die aus Bataillonen unterschiedlichster Bodenständigkeit zusammengewürfelte Gruppe Kletter am 23. Dezember. Ein italienischer Oberst, vier Stabsoffiziere und 9000 Mann fielen als Gefangene in die Hände der Angreifer. Vergeblich versuchten die Italiener in der Weihnachtswoche, den österreichisch-ungarischen Truppen ihre Höhenstellungen wieder zu entreißen. Diese blieben behauptet.

Auch zwischen der Brenta und der Piave flammten nach dem 10. Dezember die Kämpfe neuerlich auf. Am 11. gewann die unmittelbar östlich der Brenta anstatt der Edelweißdivision eingesetzte 4. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Pfeffer den Monte Beretta. Drei Tage später stürmten im selben Raume die k. u. k. Infanterieregimenter Nr. 49 und 88 die italienischen Linien im Gebiet des Col Caprile. In der Mitte der Kampffront hatte die deutsche 5. Infanteriedivision unter Generalmajor v. Wedell am 11. den Monte Spinuccia genommen, während die 200. Generalmajor v. Below im Bereich der Fontana Secca Fortschritte machte. Am 18. krönte das ruhmreiche Kärntner Infanterieregiment Nr. 7 die errungenen Erfolge durch die Einnahme des Monte Asolone. Daß der Feind am nächsten Tage gegen diesen sieben und gegen den Monte Pertica drei Gegenstöße anzusetzen vermochte, tat, wie auch zahlreiche andere Versuche, Verlorenes zurückzugewinnen, die staunenswert rasch gehobene Kampfkraft der Italiener dar. Man hätte es kaum für möglich gehalten, daß sich ein Heer nach einer so ungeheuren Katastrophe, wie die von Caporetto es gewesen ist, so schnell wieder zu fassen vermöge.

Diese auffallende Erscheinung war wohl nicht zum geringsten dem Eintreffen französischer und englischer Truppen zuzuschreiben. Schon in der zweiten Hälfte November wurde allmählich ganz Oberitalien von alliierten Kriegern überschwemmt. Das Oberkommando über sämtliche für Italien bestimmten Westdivisionen - es waren deren etwa 12: 7 französische und 5 eng- [452] lische17 - führte der französische General Fayolle. Die Franzosen befehligte General Duchène, die Briten General Plumer. Am 4. Dezember tauchten die ersten Engländer im Montellogebiet auf, tags darauf die ersten Franzosen im Bereiche des Monte Tomba. Daraus erhellte wieder die Bedeutung, die die italienische Heeresleitung diesen Schulterpunkten ihrer Stellung zuschrieb.

Am Vorabend vor Silvester schritten die Franzosen auf dem Monte Tomba zu ihrem ersten Angriff. Ein stundenlanges Trommelfeuer ging voraus. Um drei Uhr nachmittags brach der Feind in die Gipfelstellung ein. Der französische Einbruch konnte aber örtlich abgegrenzt werden. Eine nennenswerte Verschlechterung unserer Lage hatte er nicht zur Folge...

Gegenüber den Gebirgskämpfen trat die Kampftätigkeit am Piavefluß ganz wesentlich zurück. Es sind hier für den Dezember nur zwei bemerkenswertere Gefechtshandlungen zu verzeichnen. Am 9. entrissen Honved-Sturmtruppen den Italienern den Brückenkopf Bressanin nächst der Piavemündung. Am 26. räumten die österreichisch-ungarischen Abteilungen, unbemerkt vom Feinde, den Brückenkopf bei Zenson.

Mit dem Verzicht auf das Fortführen der Offensive hatte auch das Abrollen der deutschen Divisionen begonnen. Denen unter ihnen, die in den Kämpfen zwischen Brenta und Piave noch die Schrecknisse des Gebirgswinters mitmachen mußten, mag der Abschied nicht sonderlich schwer gefallen sein. Wem es aber gegönnt war, bloß am Siegeszug teilzunehmen, der ging nicht ohne Wehmut. "Dieser Feldzug hier", schrieb ein württembergischer Artillerist während des Vormarsches an die Seinigen,18 "ist das gewaltigste Ereignis meines Lebens. Alle die drückende Enge des Trichter-Stellungskrieges ist weg und, tagelang im Sattel, ziehen wir kämpfend und siegend durch ein unvergleichlich herrliches Land. Auch die Siegerfreuden der alten Staufen werden mir klar, seit ich weiß, daß hier der Eroberer bis zum Knöchel in köstlichsten Weinen watet und jedem Kanonier ein allabendliches Huhn im Kessel sicher ist."

Das Beziehen der "Dauerstellung" führte zu einer Neugliederung der gegen Italien verbleibenden österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Diese zerfielen von nun an in zwei Heeresgruppen: Feldmarschall Freiherr v. Conrad in Bozen und Generaloberst v. Boroević in Udine. Jede setzte sich aus zwei Armeen zusammen. Die 10., Feldmarschall Freiherr v. Krobatin, Trient, deckte Westtirol und den Raum beiderseits der Etsch. Die 11., Generaloberst Graf Scheuchenstuel, Levico, stand in den Sieben Gemeinden. Generaloberst Erzherzog Josef, bisher Oberbefehlshaber in Siebenbürgen, übernahm den Abschnitt des Armee-Oberkommandos 14 im Raume von Vittorio als [453] Kommandant einer 6. Armee. An der unteren Piave wurden die beiden Isonzoarmeen zu einer Armee unter dem Generalobersten Freiherrn v. Wurm, San Vito, vereinigt. Die Streitkräfte zwischen Brenta und Piave wechselten ihre Einteilung zwischen rechts und links. Sie bildeten in Ansehung des Nachschubes bis zum Kriegsende das stete Sorgenkind der k. u. k. Heeresleitung.

Im Zusammenhang mit dieser Neugliederung wurde auch das "Kommando der Südwestfront" aufgelöst. Mit dem Feldmarschall Erzherzog Eugen trat zum allgemeinen Bedauern der angesehenste und namentlich in deutsch-österreichischen Landen volkstümlichste Prinz des kaiserlichen Hauses ins Privatleben zurück.

Mit den Dezemberkämpfen in den vicentinischen Alpen klang die große Offensive der Verbündeten aus. Ihr Ergebnis entsprach nicht bloß vollauf den Zielen, die man ihr gesetzt hatte, sondern sie war schon in den ersten Stunden weit darüber hinausgewachsen. Die verbündeten Mittelmächte mögen in den vier Jahren Krieg manchen Feldzug gewonnen haben, der den italienischen an strategischer Bedeutung übertraf. Aber kein zweiter Waffengang war von so eindrucksvoller, hinreißender Wucht wie dieser.

Nach den amtlichen Berichten der Italiener hat die königliche Armee zwischen dem 20. Oktober und dem 20. November nicht weniger als 400 000 Mann, 3152 Geschütze, 1732 Minenwerfer, 3000 Maschinengewehre und 300 000 Gewehre eingebüßt. 10 000 Mann waren tot, 30 000 verwundet, 293 943 gefangen! Wochenlang überschwemmte eine halbe Million Versprengter ganz Oberitalien. Bei Tannenberg und in Masuren waren je 100 000 Mann, zwischen Gorlice und Lemberg doppelt soviel Gefangene in der Hand der Sieger geblieben.

Die Beute an Verpflegung ernährte mehrere Monate hindurch die im Lande kämpfenden Heere. Die blassen, eingefallenen Wangen der Karstverteidiger waren schon auf dem Wege zur Piave, allen Mühsalen zum Trotz, gestrafft und rot geworden. Auch die Heimat hatte Anteil an den Segnungen des venetianischen Paradieses. Ungezählte Mengen von Liebesgaben wanderten durch die Feldpost an den häuslichen Herd. Wohl dem, der damals einen Sohn, einen Bruder, einen Verwandten an der italienischen Front hatte! Dabei war - angesichts der eng gesteckten Ziele - im voraus für die planmäßige Sammlung der Beute soviel wie nichts vorgesorgt worden. Es kam vor, daß unter den Rädern der Geschütze buchstäblich köstlichste Kaffeefrucht oder sogar unersetzliches Arzeneigerät knirschte. Mehl aus vollen Säcken und Wein aus vollen Fässern rann dort und da in den Straßengraben. Güter in Millionenwerten gingen verloren. Schon nach acht Tagen Marsch gab es bei den Verbündeten keinen Mann, der nicht einen neuen italienischen Mantel, wundervolle neue Schuhe oder ein italienisches Hemd oder auch alles zusammen am Leibe gehabt hätte.

Mit der Besetzung Venetiens wurde ein gesegnetes Stück Erde dem bis ins Letzte ausgebeuteten Boden der belagerten Mittelmächte angeschlossen. [454] Das okkuppierte Gebiet konnte von den Entbehrungen, denen die Völker der beiden Kaiserreiche dank der Hungerblockade ausgesetzt waren, naturgemäß nicht verschont bleiben. Aber das Schicksal wollte es mit ihm noch um ein beträchtliches milder als mit manchen Gegenden der deutschen und der österreichischen Heimat. Die Verwaltung wurde - nach dem Muster Rumäniens - einem gemeinsamen Wirtschaftsstab übertragen...

Diese Ergebnisse der großen Isonzooffensive gehören heute allesamt der Geschichte an. Eines aber sollte Dauer haben. Bei Karfreit und Tolmein, im Rahmen der 14. Armee, standen - zum erstenmal seit den Befreiungskriegen - Deutsche aller Stämme, aus dem Reiche und aus der Ostmark, vom Rhein und von der Donau, von der Elbe und von der Etsch auf enger Walstatt zusammen. Brandenburger und Schlesier kämpften und bluteten neben Deutschböhmen und Männern aus Österreich ob der Enns. Salzburger und Kärntner hauchten neben Hannoveranern ihr Leben aus. Schwaben und Bayern siegten und starben in enger Kampfgemeinschaft mit Tirolern und Steirern für die eine heilige Sache. Und auch die Führerrolle über die kleinen Nationen des Donaubeckens, die dem deutschen Volke als sein Schicksal in die Wiege gelegt worden war, trat in der Flucht der Begebenheiten wundervoll hervor. Fürwahr, jener deutsche Staatsmann hatte recht: In diesem sturmreichen Herbst 1917 erwachte in den Gebirgen Friauls und in dem Lande, über das einst die Patriarchen von Aquileja geboten, ein Stück herzerhebender Staufenüberlieferung zu neuem Leben. Dies allein muß dem großen Waffengang jenseits der Alpen in der Erinnerung des deutschen Volkes einen besonderen Ehrenplatz sichern.

Karfreit - Tolmein war vielleicht der deutscheste aller Siege, die im Weltkrieg errungen wurden.


13 [1/448]Es wurde damals gemeldet, daß der Monte Spinuccia selbst genommen worden sei. Dies stellte sich nachträglich als Irrtum heraus. Er wurde erst am 11. Dezember von Teilen der preußischen 5. Infanteriedivision erobert. ...zurück...

14 [2/448]Der Kaiser hatte sich eine Woche vor der Offensive nach Bozen begeben und weilte dann bis Ende November fast ununterbrochen auf dem Kriegsschauplatz. Einige Zeit hindurch war er von der Kaiserin begleitet, die die Lazarette besuchte. Am 9. November kam der Zar der Bulgaren zu einem Frontbesuch nach Triest. Vom 11. an weilte der deutsche Kaiser für eine kurze Frist bei seinen siegreichen Truppen. Er nahm auch die alten Verteidigungsstellungen am Isonzo in Augenschein und stand - gleichwie sein Gefolge - in Ergriffenheit vor dem Monte Gabriele und den Bergen und Karstfeldern bei Görz, diesen stummen, gräberbedeckten Zeugen zweijähriger, blutiger Kämpfe. In den Tagen der Monarchenbesuche begab es sich, daß Kaiser Karl bei einer Frontfahrt in den Torrente Torre stürzte und von den hochgehenden Fluten eine Strecke flußabwärts getrieben wurde. Wie bei zahlreichen anderen Gelegenheiten zeigte der junge Herrscher auch hier eine gute Dosis persönlicher Unerschrockenheit. Er wurde glücklich geborgen. Weniger glücklich war die Behandlung, die das Geschehnis in der offiziellen und offiziösen Publizistik fand. ...zurück...

15 [1/449]Ludendorff, Kriegführung und Politik, Berlin 1922, S. 200. ...zurück...

16 [1/450]Es hieß später auch des öfteren, daß der Papst bei Kaiser Karl wegen der revolutionären Gefahr in Italien, die natürlich auch den Heiligen Stuhl bedrohte, im Sinne einer Einstellung der Offensive interveniert habe. Näheres ist darüber nicht bekannt geworden. Immerhin sei erinnert, daß auch Radetzky nach der Schlacht bei Novara (1849) nur deshalb nicht nach Turin marschiert ist, weil er die Dynastie Savoyen vor dem Sturze bewahren wollte. Das Haus Savoyen hat dem Hause Habsburg-Lothringen am Schlusse des Weltkrieges nicht die gleiche Rücksicht zurückgegeben. ...zurück...

17 [1/452]The fifth Division in The Great War von Brigadegeneral A. H. Hussey und Major D. S. Imman, London 1921, S. 192 ff. ...zurück...

18 [2/452]Die württembergische Gebirgsartillerie im Weltkrieg 1914-1918, bearbeitet von Hauptmann Seeger, Stuttgart 1920, S. 140. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte