Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
Kapitel 15: Österreich-Ungarns Politik
in den Kriegsjahren 1914 bis 1917 (Forts.)
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau
4. Die auswärtige Politik des neuen
Kurses.
Auf dem Gebiete der auswärtigen Politik leitete Kaiser Karl seine
Regierung durch den aufsehenerregenden, ersten großen Friedensschritt ein,
den am 12. Dezember 1916 die Vierbundmächte durch Absendung einer
gleichlautenden Note unternahmen.
Die Vorgeschichte dieses bedeutsamen Ereignisses fällt noch in die letzten
Monate der Regierungszeit Franz Josefs. Wenn das Wiener Kabinett nicht
überhaupt der Anreger des Schrittes gewesen ist, so wirkte es doch
bereitwilligst mit. Nur hätte Burian gerne gesehen, daß in die von den
Regierungen an die Feindmächte abgesendete Note die konkreten
Friedensbedingungen aufgenommen worden wären. Aber er mußte
bei den Berliner Besprechungen vom 15. und 16. November von diesem
Vorschlag abkommen.7 Die deutschen [327] Staatsmänner
vertraten die Auffassung, daß allzu milde Bedingungen geeignet seien, als
Zeichen der Schwäche ausgelegt zu werden, überspannte
Forderungen jedoch sehr leicht abschrecken würden. Der
österreichisch-ungarische Außenminister schloß
sich - nicht ohne Widerstreben - dieser Auffassung zu guter Letzt an.
Die Bedingungen, die die Vierbundskabinette als Verhandlungsgrundlage gedacht
hatten, waren etwa folgende: Wiederherstellung des status quo ante
bellum, Rückgabe der deutschen Kolonien mit Ausnahme jener im
Stillen Ozean, Erwerbung von Teilen des Kongo durch Deutschland,
Räumung Nordfrankreichs mit Ausnahme des Kohlenbeckens von
Briey-Longwy, Wiederherstellung Belgiens, unmittelbare Verhandlungen
zwischen diesem und dem Deutschen Reiche in Fragen militärischer und
wirtschaftlicher Bürgschaften, gegebenenfalls Einverleibung von
Lüttich; strategische Grenzverbesserungen gegenüber Italien,
Anerkennung des Königreichs Polen, Einreihung von Kurland und Litauen
in den deutschen Interessenkreis, Aufteilung Montenegros zwischen
Österreich-Ungarn und einem unter dem Schutze Wiens stehenden
selbständigen Albanien, Wiederherstellung eines zugunsten Bulgariens und
Österreich-Ungarns verkleinerten Serbiens und eines ebenfalls
verminderten Rumäniens; - dazu weitere Bedingungen in der Frage
der Dardanellen, der Kapitulationen, Freiheit der Meere u. a. m.
Burian hatte gegen die Erreichbarkeit der deutschen Westforderungen schwere
Bedenken, sein reichsdeutscher Kollege wieder wegen der österreichischen
Balkanpolitik. Beide erklärten, über den Umfang ihrer Forderungen
mit sich reden lassen zu wollen. Burian im besonderen meinte, für ihn
gäbe es zwei Forderungen, auf deren Erfüllung er bestehen
müsse: die Wiederherstellung des status quo für die
Donaumonarchie und die den Besitz des Lovcen bedingende Behauptung ihrer
Adriastellung.
Die Antwort der Ententemächte gelangte bereits in die Hände des
neuen Außenministers Grafen Czernin, der am 22. Dezember auf dem
Ballplatze mit dem Ehrgeiz eingezogen war, den Völkern Österreichs
den ersehnten Frieden zu bringen. Was man zunächst aus London, Paris
und Petersburg zu hören bekam, war freilich nicht danach angetan,
besondere Hoffnungen zu erwecken. In der Antwort, die nach der Havasmeldung
vom 12. Januar 1917 die Ententemächte dem amerikanischen
Präsidenten auf seinen Friedensvorschlag erteilten, wurde als eines der
Kriegsziele der Alliierten nichts weniger als die Zertrümmerung des
Donaureiches verkündet!8
[328] Graf Czernin
erzählt, daß ihn bei seinem Antrittsbesuche im Großen
Hauptquartier der deutsche Kaiser mit den Worten begrüßt habe: "Ich
habe die Hand zum Frieden geboten, daraufhin hat mir die Entente ins Gesicht
geschlagen - jetzt gibt es nur Krieg bis zum Äußersten". In
Wien nahm man die Kundgebungen der Feinde jedenfalls nicht so ernst. Man war
im Gegenteil - dies trifft für den Kaiser ebenso zu wie für
seinen Außenminister - sehr geneigt, die Noten der Entente für
einen Bluff zu halten, mit dem die Mittelmächte eingeschüchtert
werden sollten, und ging frisch ans Werk, neue Möglichkeiten zum
Anspinnen von Friedensfäden zu ersinnen.
Mit dieser Auffassung der Dinge hing der heftige Widerstand eng zusammen, den
das Wiener Kabinett der von Deutschland erneut vorgeschlagenen Aufnahme des
verschärften Unterseekrieges entgegensetzte, dessen Führung in
Österreich auch sonst mehr Gegner als Befürworter fand. Die
Abneigung gegen dieses Kriegsmittel ging hier so weit, daß sogar durchaus
bündnistreue Männer dem Kaiser rieten, es auf einen Bruch mit
Deutschland ankommen zu lassen. Es sei undenkbar, sich jetzt auch noch die
Feindschaft Amerikas auf den Hals zu hetzen, dessen Hilfe man zum mindesten
nach dem Kriege dringend benötigen werde.
Der k. u. k. Botschafter in Berlin, Prinz Gottfried Hohenlohe, tat sein
Möglichstes, die deutschen Staatsmänner zu überreden. Herr
von Flotow, Sektionschef im Wiener Ministerium des
Äußeren, wurde zu dem gleichen Zwecke als außerordentlicher
Gesandter in die deutsche Hauptstadt entsandt.
Am 20. Januar 1917 erschienen der deutsche Staatssekretär Zimmermann
und der Admiral v. Holtzendorff in Wien, um dort die Entscheidung in
ihrem Sinne herbeizuführen. Holtzendorff versuchte, nachzuweisen,
daß England durch den Ubootskrieg in drei, längstens in sechs
Monaten zum Frieden gezwungen sein werde. Vormittags fand ein Kronrat unter
dem Vorsitz des Kaisers statt, nachmittags wurde die Sitzung ohne den
Monarchen fortgesetzt. Czernin strich
schließlich - etwas verklausuliert - die Segel vor der
deutscherseits gegebenen Erklärung, daß ohne den verschärften
Unterseebootkrieg die Westfront überhaupt nicht zu halten sein werde.
Der Kaiser, der im Herzen dem neuen Kampfmittel bedingungslos abgeneigt war,
gab sein Spiel noch nicht verloren. Er versuchte es knapp vor Torschluß mit
einem persönlichen Handschreiben an seinen hohen Verbündeten.
Doch war ein Zurück schon deshalb nicht mehr möglich, weil
Deutschland seine Unterseeboote bereits ausgesendet hatte. Der junge Kaiser
vermochte sich mit dem Unterseekrieg auch nach den ersten glänzenden
Nachrichten nicht auszusöhnen - er hielt ihn nach wie vor für
ein Unglück. Als man einige Monate später Holtzendorff neuerlich
nach Wien sandte, damit er das Kaiserpaar von der trefflichen Wirksamkeit der
Unterseeboote überzeuge, ließ Karl [329] nach Berlin sagen, man
möge sich in Hinkunft mit solchen Besuchen keine Mühe mehr
geben.
Ebenso resigniert wie in der Frage des Tauchbootkrieges dachten der Kaiser und
Czernin über die Möglichkeit, den Krieg mit einem Waffenerfolg der
Mittelmächte abschließen zu können. Ja, streng genommen,
hätte der Kaiser einem solchen sogar mit gemischten Gefühlen
entgegengesehen, weil ein voller Sieg Deutschlands das Donaureich allzusehr in
Abhängigkeit von dem mächtigeren Bundesgenossen bringen
mochte. Eine solche Abhängigkeit von den Hohenzollern widerstrebte aber
dem Habsburger, der übrigens diese Gefühle in seinem Reiche
keineswegs allein hegte. Slawen und Romanen, mehr als die Hälfte der
österreichischen und ungarischen Bevölkerung ausmachend, standen
von Anbeginn geschlossen in der Abwehr deutscher
"Vorherrschaftsgelüste" da. Ebensowenig waren die Magyaren geneigt, viel
von ihrer staatlichen Ellbogenfreiheit zugunsten eines von Hamburg bis Bagdad
reichenden Wirtschaftsimperiums abzugeben. Selbst von den
Deutschösterreichern splitterten in dieser Frage die Partikel der scharf
katholisch, konservativ oder übernational Gesinnten ab; ihre
überragende Mehrzahl freilich erblickte in einem möglichst engen
staatsrechtlichen Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich eine
späte Erfüllung der 48er Einheitsträume und ein Entgelt
für die großen Opfer, die das Ostmarkendeutschtum an der Donau
seit Jahrhunderten als Vorposten des deutschen Volkes der nationalen Sache
gebracht hatte.
Mit dem eben Gesagten ist auch manches über die Stellung
Österreichs zum Problem "Mitteleuropa" angedeutet, das neben der
politischen freilich eine eminent wirtschaftliche Seite hatte. Sprachen im zweiten
Kriegsjahre viele Anzeichen dafür, daß die Ideen Naumanns in einer
oder der anderen Weise zur Tat werden sollten - so stieß man gleich
nach dem Regierungsantritt des neuen Kaisers fast überall, wo man in Wien
mit solchen Vorschlägen anklopfte, auf taube Ohren. Ähnlich blieb
es das ganze Jahr 1917 bis in den Herbst hinein. Auch der Minister des
Äußern verhielt sich ablehnend; nicht so sehr aus einer von anderen
Kreisen gehegten, grundsätzlichen Abneigung gegen eine
preußisch-deutsche Führung, als vielmehr in der Besorgnis, daß
eine stärkere Betonung des von den Feindmächten als besonders
gefährlich betrachteten mitteleuropäischen Gedankens den
zahlreichen, sorgsam verfolgten Friedensversuchen des Wiener Kabinetts zu
schaden vermöchte...
Während Ende Januar in Pleß und Berlin die Würfel zugunsten
des verschärften Unterseebootkrieges fielen, bereiteten sich in der Schweiz
Dinge vor, die möglicherweise von größter politischer
Tragweite werden konnten und, in freilich unerwünschtem Sinne, das auch
wurden: Am 28. abends, traf zu Neuchâtel im Hause des Herrn Boy de la
Tour (7, rue du Pommier), zum erstenmal seit Kriegsbeginn, die Mutter
der Kaiserin Zita, die Herzogin Maria Antonia [330] von Parma, mit ihren
beiden in der belgischen Armee dienenden Söhnen Sixtus und Xavier
zusammen, um sie - nach der Erzählung des Prinzen
Sixtus - im Auftrage des kaiserlichen Schwiegersohnes zu bitten, sie
mögen in Paris von der Friedensgeneigtheit
Österreich-Ungarns Mitteilung machen.
Schon im Sommer 1916 hatte in den Blättern eine Nachricht die Runde
gemacht, daß zwei Schwäger des damaligen Thronfolgers im Lager
der Entente kämpften. Diese Mitteilung wurde damals in dem Sinne
berichtigt, daß Sixtus und Xavier lediglich im Dienste des Genfer Roten
Kreuzes stünden. In Wirklichkeit waren aber die beiden Prinzen bei
Kriegsausbruch sofort nach Frankreich geeilt, um sich zur Verfügung zu
stellen.9 Da es ihnen jedoch als Bourbonen
gesetzlich versagt war, ins französische Heer aufgenommen zu werden,
traten sie am 8. August 1915 als Verwundetenträger in die belgische Armee
ein, um schon 17 Tage später zu Leutnanten des belgischen 5.
Artillerieregiments ernannt zu werden. Nach kaum einem Jahre wurden sie
für ihr tapferes Verhalten mit dem Kriegskreuz von Frankreich
ausgezeichnet. Aber Sixtus, der bedeutendere und auch ehrgeizigere der beiden
Brüder, wollte sich mit dem schlichten Ruhme nicht begnügen, der in
den Gräben von Dickebusch zu erwerben war. Ihn dürstete nach
Höherem. Er wollte in der Geschichte Frankreichs eine Rolle spielen und
damit dem königlichen Hause Bourbon neuen Glanz verschaffen, wenn
nicht mehr. Er traute sich nichts Geringeres zu als die Fähigkeit, mit Hilfe
seiner Familienbeziehungen über kurz oder lang
Österreich-Ungarn von Deutschland abziehen, dieses isolieren und so
Frankreich den vollen Sieg über den verhaßten Erbfeind sichern zu
können.
Solange der Kaiser Franz Josef noch am Leben war, fand sich für den
Prinzen wenig Gelegenheit, vorzuarbeiten. Immerhin war es ihm gelungen, seine
Pläne einer ganzen Reihe von führenden französischen
Politikern auseinanderzusetzen, so daß ihn zwei Tage nach Franz Josefs
Tod Jules Cambon, erster Staatssekretär im Pariser auswärtigen
Amte, mit dem Ausrufe begrüßte: "Was sagen
Sie - welche Ereignisse! Niemand wird mehr auf Ihren Schwager einwirken
können als Sie - nicht jetzt, aber im Augenblick des Friedens!"
Sixtus hatte sich, was die Ausnutzung seiner Familienbeziehungen anbelangte,
nicht verrechnet. Die franzosenfreundliche Kaiserin Zita besaß mehr als
irgendein Mensch der Welt auch in politischen Dingen das Ohr des Kaisers und
war seine intimste Beraterin. Sie stand wieder sehr stark unter dem Einfluß
der Herzogin Maria Antonia, einer in ihrer Art gewiß bedeutenden, von
Tatendrang erfüllten, aber auch in den Mitteln nicht immer
wählerischen Frau. Diesen beiden Damen fiel es bei den
persönlichen Anlagen und Stimmungen [331] des Kaisers nicht
schwer, dessen Zustimmung zu einem Vermittlungsversuch des Prinzen Sixtus zu
gewinnen.10
Der Prinz dachte zunächst, auf dem Umweg über einen
Sonderwaffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und den
Ententestaaten zu seinem Ziele gelangen zu können. Um diesen zu
erreichen, sollte sich sein kaiserlicher Schwager zunächst auf vier Punkte
festlegen: Rückgabe der deutschen Reichslande in den Grenzen von 1814
an Frankreich, Wiederherstellung Belgiens samt dem Kongo und
Entschädigungen für die im Kriege erlittene Unbill,
Wiederherstellung Serbiens mit einem Ausgang zum Meere (über
Albanien) und Abgabe Konstantinopels an Rußland oder doch freie
Dardanellenfahrt für dieses. Die Erörterung dieser vier Punkte zieht
sich, mögen im einzelnen auch gewisse Abstufungen eintreten, durch die
ganze Friedenspolitik der nächsten Monate. Vor allem ist es die Frage der
Reichslande, die im Labyrinth der politischen Bestrebungen und Aktionen einen
Wegweiser abzugeben vermag.
Die Herzogin von Parma konnte für ihre Person ihren Söhnen
keinerlei Aufschluß geben; sie riet ihnen, nach Wien zu kommen und mit
dem Kaiser selbst zu sprechen. Das wollten wieder die Prinzen nicht, da sie in
Italien auf ihren Gütern angesagt waren und sich auch zuerst in Paris
nähere Instruktionen zu holen hatten. So wurde vereinbart, daß
nächstens ein Vertrauensmann des Kaisers in die Schweiz kommen werde.
Das geschah in der Tat schon 14 Tage später, nachdem Sixtus sich noch in
Paris mit Jules Cambon eingehend besprochen hatte. Der Sendbote des
österreichischen Herrschers war dessen
Jugend- [332] freund Graf
Erdödy, dem für gewöhnlich - als
Gendarmerierittmeister - die Obsorge für die persönliche
Sicherheit des Kaisers im Feldhoflager zufiel und der
sich - soviel man weiß - bisher nie diplomatisch betätigt
hatte.
Am 13. Februar fand, wieder im Hause Boy de la Tour's, die erste Begegnung mit
Erdödy statt. Der Kaiser lasse über drei der vier Punkte mit sich
reden, nicht aber über eine volle Wiederherstellung Serbiens; es sei geplant,
der Donaumonarchie in bundesstaatlicher Form ein alle Südslawen
umfassendes Reich unter einem Erzherzog einzuverleiben. Die Prinzen waren mit
solchen akademischen Erörterungen nicht zufrieden. Sixtus ging aufs
Ganze. Er brachte zwei Entwürfe mit, durch deren Annahme sich der
Kaiser - in dem einen geheim, in dem anderen
offen - von Deutschland lossagen sollte; selbstredend bei gleichzeitiger
Anerkennung der vier Punkte. Der kaiserliche Schwager hätte je nach
seiner Kraft gegenüber dem Bundesgenossen einen der beiden
Entwürfe zu wählen. Immer noch handelte es sich den Prinzen
darum, möglichst bald einen Sonderwaffenstillstand zuwege zu
bringen.
Ob der Minister des Äußern Graf Czernin von dieser Unterredung in
vorhinein wußte, läßt sich nicht erweisen. Jedenfalls erfuhr er
davon unmittelbar nach der Rückkehr Erdödys. Denn es liegt ein von
Czernin unwidersprochen gebliebener Brief an die Kaiserin vor, datiert vom 17.
Februar, in welchem der Minister schreibt:
"Allergnädigste Herrin! Se. k.
u. k. Apostolische Majestät haben befohlen, daß ich Eurer
Majestät täglich einen Bericht über die äußere
Lage vorlegen darf, einen Befehl, dem ich von morgen an nachkommen werde.
Bei genauer Überlegung der Argumente Euerer Majestät in meiner
heutigen Audienz würde ich den größten Wert darauf legen,
wenn der Prinz Sixtus selbst zu Eurer Majestät käme. Wenn Eure
Majestät selbst mit ihm sprechen könnten, würde unsere Sache
bedeutend weiter kommen. Ich erfahre aus sehr guter Quelle, daß das
Ministerium Caillaux am Horizont erscheint. Das wäre ein
Friedensministerium. Vielleicht hängen die beiden Aktionen
zusammen..."
Dem Wortlaut dieses Schreibens ist nicht zu entnehmen, inwieweit die Kaiserin
Czernin in die tatsächlichen Eröffnungen ihrer Brüder
eingeweiht hat. Auf der anderen Seite kann aber kein Zweifel bestehen, daß
der Minister - wenigstens damals noch - die später von ihm
beklagte "Nebenpolitik" der Parmas nicht bloß gewähren ließ,
sondern sogar förderte. Auch die nächste Entsendung Erdödys
geschah sicherlich im Einverständnis Czernins. Dieser diktierte ihm sogar
oder erörterte ihm doch in acht Punkten die Auffassungen, die für
Österreich in der schwebenden Frage maßgebend waren. Der erste
dieser Punkte enthielt die bestimmte Erklärung, daß der Vierbund nur
als Ganzes Frieden schließen werde. Weitere Punkte enthielten mancherlei
Entgegenkommen in der belgischen, serbischen und rumänischen Frage.
Der Wiederherstellung dieser drei Königreiche wurde grundsätzlich
zugestimmt. Ebenso- [333] wenig
habe - heißt es weiter einigermaßen
naiv - Österreich-Ungarn etwas dagegen, wenn Deutschland auf
Elsaß-Lothringen verzichten wolle. Österreich sei im übrigen
von Deutschland nicht so abhängig, wie man in Paris und London glaube;
eher gälte dies von Frankreich gegenüber England. Der Krieg
Österreichs sei lediglich ein Verteidigungskampf. Die Slawen wären
nicht geknechtet, sondern hätten im Reiche dieselben Rechte wie die
Deutschen.
Der Kaiser machte zu einzelnen dieser Punkte schriftliche Bemerkungen. Diese
enthielten u. a. Sympathiebezeugungen für Belgien und die
bestimmte Versicherung, daß Österreich Frankreichs
Ansprüche auf die deutschen Reichslande "unterstützen und mit
allen Mitteln einen Druck auf Deutschland ausüben" werde. Dagegen hatte
der Kaiser dem Punkte, der die Geschlossenheit des Vierbundes hervorhob, nichts
beizufügen, eine Tatsache, die bei der Gesamtabfassung des Dokumentes
gerechterweise als Zustimmung zur Auffassung Czernins ausgelegt werden
mußte.
Die Prinzen von Parma waren denn auch, als sie sich am 21. Februar abends in
Neuchâtel zum zweitenmal mit Erdödy trafen, über die von
diesem überreichten Notizen nicht sonderlich entzückt. Was von
Czernin stammte, war vollends ungeeignet, in Paris Stimmung zu machen. Eher
ließen sich immerhin noch die Randglossen des Kaisers verwerten. Das tat
Sixtus, als er am 5. März zum ersten und am 8. zum zweiten Male
klopfenden Herzens vor dem Präsidenten der französischen Republik stand. Dank der Beredsamkeit des Prinzen meinte Poincaré
schließlich, daß die Notiz des Kaisers zum Ausgang weiterer
Verhandlungen genommen werden könne. Das Ergebnis der Unterredungen
war, daß - noch immer mit dem Gedanken an einen
Sonderwaffenstillstand Österreichs - Kaiser Karl zunächst
bewogen werden sollte, die wiederholt berührten vier Punkte in aller Form
anzunehmen. Unterdessen könne auch daran gegangen werden, die
englische Regierung und den Zaren einzuweihen; Prinz Sixtus möge selbst
nach Petersburg fahren und ein Schreiben des Präsidenten
überbringen. Besonders schwierig war die Frage, wie man sich zu Italien zu
stellen hätte. Man kam überein, es vorerst aus dem Spiele zu
lassen.
Der Prinz, bei dem sehr oft der Wunsch der Vater des Gedankens war, entwarf am
16. März an seinen Schwager einen Brief voll bester Hoffnungen. Es habe
ihm Mühe gekostet, die Pariser Persönlichkeiten zu gewinnen, der
Kaiser möge die vier Punkte endlich förmlich
anerkennen - dies um so mehr, als man in Paris bereit sei, eine in der Luft
hängende fünfte Forderung, die nach der Abtretung Triests an Italien,
dahin zu ändern, daß Italien den Hafen nur bekommen solle, wenn es
ihn erobert. Der Kaiser möge zugreifen, sich nicht durch Gefühle
für Deutschland abhalten lassen - durch Gefühle eben
für jenes Deutschland, das, wie der Prinz wiederholt gewarnt habe,
schließlich doch seinen Frieden auf Kosten der Bundesgenossen machen
werde. Zuletzt bat Sixtus noch, Österreich möge vorläufig von
einer [334] Offensive gegen Italien
absehen, da eine solche französische und englische Truppen nach Venetien
locken und damit die Verhandlungen stören würde. Prompt, wie der
junge Herr arbeitete, brachte er gleich auch den Entwurf einer an die Entente
gerichteten Note zu Papier, die der Kaiser bloß zu unterschreiben gebraucht
hätte.
Der 1. Punkt dieses Entwurfes sei im Wortlaut gebracht:
"Österreich-Ungarn erkennt aus freien Stücken das Recht
Frankreichs auf Elsaß-Lothringen in den einstigen Grenzen an; es wird diese
französischen Forderungen in diesem Sinne mit allen Kräften
unterstützen." Der 2. Punkt behandelte die Wiederherstellung
Belgiens, der dritte jene Serbiens, der vierte ein Desinteressement
Österreichs an den Dardanellen. Am Schlusse heißt es: "Im Falle der
Annahme dieser Grundlagen erklärt sich
Österreich-Ungarn bereit, seine Truppen in den gegenwärtig
besetzten Linien Gewehr bei Fuß stehen zu lassen unter der Voraussetzung,
daß die gegenüberstehenden Ententekräfte das gleiche tun. Im
Falle, als - nach Annahme vorliegender Abmachungen durch Frankreich
und seine Verbündeten - das Deutsche Reich
Österreich-Ungarn zwingen wollte, seine Zusicherungen
zurückzunehmen, werden Frankreich und seine Bundesgenossen
Österreich-Ungarn in seinem Widerstand gegen eine solche
Vergewaltigung und gegen deutsche Feindseligkeiten sofort und mit allen Mitteln
unterstützen."
Mit diesen beiden Schriftstücken begaben sich Sixtus und Xavier abermals
in die Schweiz, wo sie - nunmehr in Genf - wieder mit Erdödy
zusammenkamen. Nun aber ließ dieser nicht mehr locker: Der Kaiser
wünsche, daß die Prinzen nach Wien kämen! Alles sei bereit,
die Reise könne in voller Heimlichkeit und ohne Gefahr vonstatten gehen.
Nach einigem Zögern und nachdem sie sich noch vergewissert hatten,
daß auch von Czernin nichts zu besorgen wäre, entschlossen sich die
Brüder, der Einladung des Schwagers zu folgen. Die Fahrt verlief glatt, am
22. März abends langten Sixtus und Xavier in der Wiener Wohnung
Erdödys an. Dieser eilte noch nach Laxenburg, um dem Kaiser
zunächst die beiden Schriftstücke, den Brief vom 16. d. M.
und den Entwurf zu einer Note zum Vorstudium, zu überreichen.
Inzwischen hatte sich auch sonst in der äußeren Politik des
Donaureiches manches begeben, was angemerkt zu werden verdient. Ganz kurz
abgetan kann ein Friedensfühler werden, den Ende Februar Rußland
ausstrecken ließ. Der Ballplatz antwortete der vermittelnden neutralen
Macht mit größtem Entgegenkommen - aber die Mitte
März ausbrechende Revolution im Zarenreich zerriß wieder alles.
Wesentlich folgenreicher für die weitere Entwicklung waren die
Ideengänge, die sich inzwischen in dem außerordentlich regsamen,
beweglichen Geist Czernins sonst in den grundlegenden Fragen der
einzuschlagenden Friedenspolitik herausgebildet hatten. Inwieweit das
Dazwischentreten der Prinzen [335] von Parma beteiligt
war, kann nicht festgestellt werden. Sicher spielten auch die Nachrichten, die
über die große Desorganisation und Kriegsmüdigkeit
Frankreichs zu berichten wußten, eine Rolle. Jedenfalls rang sich der
k. u. k. Außenminister in jenen Wochen zur Auffassung durch,
daß die Brücke zu einem allgemeinen Frieden über Frankreich
geschlagen werden müsse, daß dies aber nur möglich sei, wenn
Deutschland in der elsaß-lothringischen Frage Nachgiebigkeit zeigte. Um
dem Bundesgenossen ein solches Opfer zu erleichtern, kam Czernin auf den
Gedanken, ihm dafür Polen zu überlassen, das die deutsche
Reichsregierung unter dem Drucke der Heeresleitung ohnehin völlig in
seine Einflußsphäre ziehen wollte. Österreich wäre
dagegen, erwog Czernin, auf der Balkanhalbinsel, vor allem durch die
Einverleibung der ganzen Walachei und der karpathischen Moldau, zu
entschädigen gewesen. Auch Rußland und Bulgarien könnten
sich Teile Rumäniens nehmen, von dem nur ein schmales Stück
Land als selbständiges Fürstentum übrigzubleiben gehabt
hätte.
In diesen Gedankengängen bewegten sich die Eröffnungen, die
Czernin am 16. März zu Wien dem deutschen Reichskanzler von Bethmann
Hollweg zugleich mit der Mitteilung machte, daß Frankreich einen
Friedensfühler ausgestreckt habe. Der Minister schilderte die Lage der
Monarchie in düsteren Farben und meinte, daß jede Hand, die sich
entgegenstrecke, ergriffen werden müsse. Den Namen des Prinzen Sixtus
verschwieg Czernin; es war österreichischerseits nur von einer Entsendung
des Grafen Mensdorff die Rede - sicher aber die Sixtusaktion gemeint.11 Der Reichskanzler stimmte der
Aufnahme von unverbindlichen Verhandlungen grundsätzlich zu, mahnte
aber zu größter Vorsicht. Im übrigen machten die
Kriegszielvorschläge Czernins auf die deutschen Staatsmänner
keinen besonders günstigen Eindruck. Gegenüber dem Verlangen,
das Reich möge nach all den unerhörten Leistungen von Volk und
Heer Teile von Elsaß-Lothringen abtreten, erweckte in ihnen Czernins
Freigebigkeit mit Polen um so weniger wohlwollendes Verständnis, als der
österreichische Außenminister durch seine Forderung nach der
Walachei sofort mit der anderen Hand wieder reichlich zu nehmen geneigt war,
was er mit der einen gab, und als er auch wenig Neigung zu eigenen
Zugeständnissen an Italien zeigte. Das Ergebnis der Besprechungen war
denn auch ein dürftiges, es mag in jenem "Wiener Dokument" seinen
Niederschlag gefunden haben, das Czernin am 26./27. März in Berlin
seinem deutschen Kollegen übergab. Danach hatte man sich in den
Kriegszielen zunächst auf ein Minimalprogramm geeinigt, "wonach beide
Mächte in Aussicht nehmen, die Räumung der von ihren Armeen in
Rußland (einschließlich Polens), Montenegro, Serbien, Albanien
[336] und Rumänien
besetzten Gebiete in erster Linie von der Wiederherstellung des territorialen
status quo ante bellum im Osten und im Westen abhängig zu
machen". Sollte jedoch der Krieg einen günstigeren Abschluß finden,
so wären etwaige Gebietserweiterungen in dem Sinne in
Übereinstimmung zu bringen, daß für Deutschland
hauptsächlich der Osten, für
Österreich-Ungarn vor allem Rumänien in Betracht zu kommen
hätte.
Graf Czernin nahm von diesen Verhandlungen den Eindruck mit, daß er den
deutschen Bundesgenossen gegenüber seiner Friedenspolitik noch nicht die
entsprechenden psychologischen Grundlagen zu schaffen vermocht habe. Wohl
vertrat er auch noch in dem am 22. März zu Laxenburg abgehaltenen
Kronrate sein Kriegszielprogramm in jenen Grenzen, die er ihm vor den
deutschen Staatsmännern gegeben hatte. Er ging von der polnischen Frage
aus und ließ seine Erörterungen in der Feststellung gipfeln, daß
der Schlüssel der Situation trotz der inzwischen ausgebrochenen russischen
Revolution im Westen liege; daß der Friede da sein werde, wenn
Deutschland Nordfrankreich und Belgien herausgebe "und noch etwas dazu". Um
dies zu erreichen, müsse man Polen an Berlin "verkaufen".12 Der Minister sprach damals noch von
Polen allein. Inzwischen beschäftigte ihn aber schon der Gedanke,
daß die Monarchie größere Beweise von Opferwilligkeit werde
geben müssen, wenn man vom Bundesgenossen Nachgiebigkeit in der
Frage der Reichslande verlangte. Er schlug dem Kaiser vor, man möge den
Deutschen außer Polen noch Galizien versprechen. Der Kaiser stimmte bei.
Wahrscheinlich schon am 27. März konnte Czernin in Berlin dem Kanzler
die ersten Andeutungen über diesen Entschluß machen.
Der inzwischen eingetretene Umsturz in Rußland hatte, wie man sieht, in
die Friedenspolitik des Wiener Kabinetts noch keine Änderung gebracht.
Sicher war wohl, daß auf kurz oder lang eine Entlastung der Ostfront
eintreten mußte. Darüber hinaus aber gab man
sich - in der Richtung eines Sonderfriedens - besonderen
Hoffnungen nicht hin. Zudem machte der plötzliche und anscheinend so
leicht bewerkstelligte Sturz des russischen Zarentums in sozialer Hinsicht den
tiefsten Eindruck auf den Kaiser und die Hofkreise; die Notwendigkeit, den Krieg
ehestens zu beendigen, war für sie noch mehr gegeben als früher.
Schließlich wurde in Wien die amerikanische Gefahr von Haus aus
wesentlich größer und unheildrohender gesehen, als von Berlin aus.
[337] Auch das stärkte
die Friedensstimmung, in der nun - am 23. März
abends - die Prinzen Sixtus und Xavier den Kaiser im Laxenburger
Schlosse antrafen.
Über den Verlauf der Besprechungen, die am 24. abends ihre Fortsetzung
und ihren Abschluß fanden, liegen uns bloß die Notizen des Prinzen
Sixtus vor. Weder Czernin, noch Demblin äußern sich mit einem
einzigen Worte zur Sache, obgleich jener nicht bloß die Berufung der
beiden Parmas angeregt hatte, sondern auch bei ihrem Besuche in
Österreich zweimal mit ihnen zusammentraf, das eine Mal am 23.
März abends in Laxenburg, das zweite Mal des anderen Vormittags in
Erdödys Wohnung. Aus den Schilderungen, die der Prinz Sixtus vom
Auftreten Czernins gibt, wird man geschichtskritisch so viel ableiten
können, daß die ganze Mission der Parmas den Minister damals doch
schon mit einem gewissen Unbehagen und Mißtrauen erfüllte.
Czernin sei "lang, hager, frostig, im Schlußrock eingetreten; er sprach
kühl, so sehr der Kaiser bestrebt war, etwas Wärme in das
Gespräch zu bringen.... und drückte sich so zurückhaltend aus,
daß es schwer war, seinen Gedanken auf den Grund zu kommen....".
Czernin scheint das Gefühl gehabt zu haben, auf Glatteis zu wandeln,
brachte es aber doch nicht über sich, die Lage zu klären, wohl weil er
besorgte, daß die sich entspinnenden Friedensfäden dadurch ganz
reißen könnten. Er beschränkte sich den Prinzen
gegenüber auf allgemeine Versicherungen seiner unbedingten
Friedensgeneigtheit, überließ aber alles andere dem Kaiser oder tat
doch wenigstens nichts, die Führung dieser überaus schwierigen
Aktion straff in die eigene Hand zu bekommen.
Aus diesen Stimmungen heraus entstand der ominöse Kaiserbrief vom 24.
März 1917, dessen Inhalt Czernin sicher nicht bekannt war, an dem er aber
insofern mitschuldig ist, als er nichts tat, ihn zu verhindern. An sich ist die
Entstehung des Briefes nicht mehr so sehr im Dunkeln, seit man den Entwurf
kennt, den der Prinz Sixtus seinem Brief vom 16. März beigelegt hatte.
Mag auch der Verfasser des für den Kaiser schließlich
maßgebenden Konzeptes nicht bekannt geworden
sein - der Text des Briefes schloß sich, soweit die vier Punkte in
Frage kamen, ziemlich eng an jenen Entwurf an. Aus diesem stammt auch die
bekannte unglückselige Wendung: "....bitte ich Dich, geheim und inoffiziell
Herrn Poincaré, dem Präsidenten der französischen Republik,
mitzuteilen, daß ich mit allen Mitteln und mit Anwendung meines ganzen
persönlichen Einflusses bei meinen Verbündeten die gerechten
Rückforderungsansprüche Frankreichs auf
Elsaß-Lothringen unterstützen werde..." Als der Kaiser diesen Satz
niederschrieb, mag er sich mit dem Gedanken getröstet haben, daß
schließlich auch die amtliche Politik seines Ministers auf die gleichen Ziele
hinauslief. Trotzdem hätte er sich keinem Zweifel darüber hingeben
dürfen, daß sein Schritt gegenüber Poincaré weit
über das unter Bundesgenossen übliche Maß politischer
Handlungsfreiheit hinausging und dem Pariser Kabinett [338] ein Atout in die Hand
gab, das früher oder später zu einer gefährlichen Waffe werden
konnte.
Sixtus hat sich freilich - wie sein Entwurf zeigte - wesentlich mehr erhofft - nichts
Geringeres als ein auf den Sonderwaffenstillstand abzielendes Angebot
Österreichs. Dazu vermochte er den Kaiser nicht zu bringen. Er
mußte sich statt dessen mit einigen Sympathiekundgebungen
begnügen, die sein Schwager den Franzosen und ihrem tapferen Heere
ausdrücken ließ, Sympathiekundgebungen, die, als sie zu Ostern 1918
nach dem ersten deutschen Schlag an der Westfront bekannt wurden, beim
Bundesgenossen und auch bei den Deutschösterreichern nicht weniger
böses Blut machten als der Satz über
Elsaß-Lothringen. Inwieweit der Kaiser überdies dem Prinzen
Versicherungen wegen des Unterbleibens einer
österreichisch-deutschen Offensive gegen Italien mit auf den Weg gegeben
hat, läßt sich aktenmäßig nicht feststellen. In der Tat war
bis auf weiteres eine solche nicht geplant; was natürlich den einen der
verbündeten Feldherren noch keineswegs berechtigt hatte, einer
gegnerischen Macht darüber Mitteilung zu machen und sie so nach einer
wichtigen Operationsrichtung hin jeglicher Sorge zu überheben.
Nicht vollauf befriedigt, aber doch guten Mutes, kehrten die Prinzen nach
Frankreich zurück.
So sehr es Minister Graf Czernin vermieden hatte, den Parmas gegenüber
aus seiner vorsichtigen Zurückhaltung herauszutreten, so sehr scheint er
doch in seiner Auffassung, daß über Frankreich zu einem Frieden zu
kommen sei, eher bestärkt, als wankend geworden zu sein. Mit seinem
lebhaften Temperament gab er sich der Hoffnung hin, daß es doch noch
gelingen werde, die Deutschen zu einem Opfer in der Frage der Reichslande zu
gewinnen. Sie sollten sich durch das mit Galizien vereinigte Polen reichlich
entschädigen können. Waren sie trotzdem nicht zu überreden,
dann mochte sich Österreich zu einer gewissen Frist aller Bindungen an das
Reich ledig fühlen, nach dem Worte Bismarcks:
"Die Haltbarkeit aller
Verträge zwischen Großstaaten ist eine bedingte, sobald sie im
Kampfe ums Dasein auf die Probe gestellt werden. Keine große Nation wird
je zu bewegen sein, ihr Bestehen auf dem Altar der Vertragstreue zu opfern, wenn
sie gezwungen ist, zwischen beiden zu wählen..."
Auch der Kaiser dachte in allem wesentlichen so, mochte er immerhin um einen
Ton ernster als Czernin eine Trennung vom Reiche in den Kreis seiner
Erwägungen einbezogen haben. Selbst in den Erzählungen des
Prinzen Sixtus über die Laxenburger Zusammenkünfte kommt die
Absicht Karls, Deutschland nicht vor eine fertige Tatsache zu stellen, zum
Ausdruck, wenn auch - nach Sixtus - der Herrscher entschuldigend
beigefügt haben soll, daß angesichts der Halsstarrigkeit Deutschlands
das Ergebnis dem von seinen Schwägern gewünschten
gleichkommen werde. Der Gedanke, daß Österreich von Deutschland
wegen der "alldeutschen Politik" werde abschwenken müssen, [339] hatte übrigens,
wie sich allmählich zeigt, in Wien weit mehr einflußreiche
Träger, als man ursprünglich glaubte. Unter ihnen standen Polzer
und, wenn auch politisch ziemlich einflußlos, Marterer in erster Reihe.
Polzer trug Sorge, daß Männer wie Lammasch,
F. W. Förster u. a. zum Kaiser kamen und in dem
gleichen Sinne sprachen, ganz erfüllt von jenen pazifistischen Ideen, deren
sich schließlich Wilson als Leimrute für die Deutschen bediente.
Daß es auch zahlreiche Diplomaten dieses Stils gab, beweisen die
Erinnerungen des Barons Szilassy, der wohl erst im Januar 1918 zum erstenmal
Gelegenheit erhielt, auf den Monarchen persönlich einzuwirken.13 Schon im Sommer zuvor hatte aber
ein so aufrechter und braver alter Soldat wie der kroatische General
Sarkotić es für nötig befunden, seinem obersten Kriegsherrn
eingehendst zu erörtern, daß sein Reich nur durch einen
ungesäumten Friedensschluß - mit oder ohne die
Bundesgenossen - zu retten sei.14 Solche
Ratschläge mußten angesichts der Bedeutung der Ratgeber und bei
den persönlichen Stimmungen am kaiserlichen Hofe unbedingt auf
fruchtbaren Boden fallen.
Beim Kaiserbesuch zu Homburg, am 3. April 1917, hofften der
österreichische Herrscher und sein Minister in die deutsche
Sprödigkeit eine weite Bresche zu schlagen. Sie wollten in aller Form Polen
samt Galizien anbieten und dadurch die Bundesgenossen bewegen, ihrerseits den
Franzosen in der elsaß-lothringischen Sache Entgegenkommen zu erweisen.
Dem Grafen Czernin war dieser Entschluß um so leichter gefallen, als
gerade in den letzten Wochen in der Walachei einflußreiche Kreise den
Wunsch nach einem Zusammenschluß Rumäniens mit der
Donaumonarchie Ausdruck geliehen hatten, also in dieser Richtung ausreichende
Entschädigung zu winken schien.
Aber wieder beging der Minister den Fehler, mit der einen Hand
zurücknehmen zu wollen, was die andere gegeben hatte. Nicht genug damit,
daß es für das siegreich auf Feindesboden kämpfende deutsche
Reich ein starkes Ansinnen war, Teile des zu 90 von 100 deutschen Reichslandes
abzutreten, und daß Czernins rumänische Hoffnungen stark deutsche
Wirtschaftsinteressen streiften - wurde österreichischerseits noch
angeregt, dem Erzherzog Karl Stephan die polnische Königskrone
anzutragen; was für die deutschen Staatsmänner und Generale so viel
hieß, als daß Wien doch nicht gesonnen sei, seine polnischen
Bestrebungen ganz aufzugeben. Unter solchen Verhältnissen darf es nicht
wundern, wenn die österreichischen
Vorschläge - schon gar hier, in der Atmosphäre der
Heeresleitung - auf wenig Gegenliebe stießen. Die Generale winkten
ab, die Staatsmänner versprachen, sich die Sache zu überlegen,
Kaiser Karl zeigte sich auf der Rückreise dem deutschen General
v. Cramon [340] gegenüber aus
unerfindlichen Gründen optimistisch; aber zu österreichischen
Vertrauten sagte er gedrückt: "Berlin ist mit Blindheit geschlagen und wird
uns noch ins Verderben stürzen."
Auch Czernin empfand die Notwendigkeit, seiner Friedensoffensive namentlich
gegenüber der deutschen Heeresleitung Nachdruck zu geben. Dies sollte
durch die vielbesprochene Denkschrift vom 12. April 1916 geschehen, die der
Form nach an den österreichischen Kaiser gerichtet, in Wirklichkeit aber
für die maßgebenden deutschen Stellen bestimmt war.15 Wie sehr sie dabei geeignet war, auch
wirklich die Stimmung des Wiener Hofes zu beeinflussen, ergibt sich deutlich aus
einem Briefe Tiszas an Czernin, in dem gesagt wird: "...Jetzt heiß es vor
allem, gute Nerven behalten und die Partie mit kaltem Blute zu
Ende zu spielen. Nur jetzt keine Zeichen der Schwäche..... Ich bitte Dich,
nicht weiter im Sinne Deines Berichtes zu sprechen. Eine pessimistische
Auffassung des Leiters der äußeren Politik müßte jetzt
alles verderben. Ich weiß, daß Du vorsichtig bist, aber ich bitte Dich,
mache Deinen Einfluß geltend, damit auch Seine Majestät und dessen
Umgebung nach außen Zuversicht zur Schau tragen.... Man wird nicht mehr
mit uns sprechen wollen, wenn man nicht mehr an unsere Widerstandskraft glaubt
und nicht daran glaubt, daß unser Bündnis auf festen
Füßen steht."
Die Denkschrift ging von der Auffassung aus, daß sich die
Westmächte angesichts der gespannten Lage in Frankreich zum erstenmal
friedensgeneigt zeigten und daß der Augenblick ausgenutzt werden
müsse; sie erreichte im übrigen an Pessimismus und düstren
Prophezeiungen über die Lage Österreich-Ungarns und zum Teil
auch Deutschlands ein Höchstmaß und enthielt ihrem Ende zu die
bemerkenswerten Worte: "Eure Majestät haben die wiederholten Versuche
unserer Feinde, uns von unseren Bundesgenossen zu trennen, unter meiner
verantwortlichen Deckung abgelehnt, weil Eure Majestät keiner
unehrlichen Handlung fähig sind. Aber Eure Majestät haben mich
gleichzeitig beauftragt, den verbündeten Staatsmännern des
Deutschen Reiches zu sagen, daß wir am Ende unserer Kräfte sind
und daß Deutschland über den Spätsommer hinaus nicht mehr
mit uns wird rechnen können..."
Der kaiserliche Flügeladjutant Graf Ledochowski brachte die Kundgebung
Czernins nach Kreuznach. In einem besonderen Handschreiben beschwor Kaiser
Karl seinen Bundesgenossem "...Wir kämpfen gegen einen neuen Feind,
welcher gefährlicher ist als die Entente: gegen die internationale
Revolution..."16
Die Ausführungen Czernins waren sicherlich geeignet, bei den
führenden Männern Deutschlands Aufsehen zu erregen; auch trotz
der bezeichnenden Tat- [341] sache, daß fast
gleichzeitig mit der Denkschrift von Wien Telegramme einliefen, in denen die
Kandidatur des Erzherzogs für den polnischen Thron aufs neue betrieben
wurde. Kaiser Wilhelm antwortete ungesäumt mit zuversichtlichen
Hinweisen auf die politischen und wirtschaftlichen Nöte der durch die
Uboote bedrängten Westmächte und die unausbleiblichen
militärischen Folgen der russischen Revolution. Die Heeresleitung kam
über den ersten üblen Eindruck bald hinweg; sie erblickte in
Czernins Denkschrift das Ergebnis eines Nervenzusammenbruchs und nicht den
Niederschlag von Tatsachen. In alldeutschen Kreisen soll man sich, als
Gerüchte über Sonderfriedensabsichten Wiens laut wurden,
geäußert haben, daß man zufrieden sein könne, das
Bleigewicht des österreichischen Bundesgenossen endlich
loszubekommen.17 In anderen Kreisen Deutschlands
nahm man die Sache nicht so leicht. So wurde damals auch Erzberger nach
Österreich gesandt, um seine Beziehungen zum katholischen Hof zugunsten
des Bündnisses auszunutzen. Er hatte am 22. April eine Unterredung mit
Czernin, kam zum Kaiser und sprach dann auch im Parmaschen Hause vor.
Während dieses Wiener Aufenthaltes fiel dem geschäftigen
Zentrumsmanne - auf eine bisher nicht völlig geklärte, aber,
wie er betonte, "korrekteste Weise" - die Denkschrift Czernins vom 12.
April in die Hände, deren Inhalt übrigens Erzberger schon von Berlin
her genau gekannt haben will. Er las sie drei Monate später, um die Haltung
der Parlamentsfraktion zur Reichstagsresolution zu rechtfertigen, dem
Reichsausschuß des Zentrums vor. Kurz darauf erfuhr man, daß sie in
Paris und London bekannt geworden sei. Inwieweit hier die Indiskretion
Erzbergers mit die Schuld hatte, läßt sich nicht erweisen. Die
Bedeutung des ganzen Geschehnisses wurde wohl überschätzt. Nicht
mit Unrecht bemerkte später die Ententepresse, daß es keineswegs
der Denkschrift Czernins bedurft hätte, den westlichen Regierungen
Klarheit über die Lage der Donaumonarchie zu verschaffen.
Der Gegenbericht Bethmann Hollwegs, am 5. Mai dem deutschen Kaiser
überreicht, war voll Zuversicht. Der erste Anprall im Westen sei soeben
abgeschlagen worden, am Isonzo sei nichts zu fürchten, die Ostfront sei
entlastet. Der Ubootkrieg wirke über alles Erwarten. Wirtschaftlich werde
man bei einiger Sparsamkeit durchhalten können. Bei den Feinden
gäbe es die sichersten Zeichen beginnender Ermattung. So wie zu
Kriegsausbruch Deutschland sich in rückhaltloser Bundestreue an
Österreichs Seite gestellt habe, so würden die beiden
Kaisermächte auch vereint in einen verheißungsvollen Frieden
eintreten.
Kaiser Wilhelm unterstrich in einem Begleitschreiben die Ausführungen
des Kanzlers und meinte u. a., daß die Revolution bei den
Mittelmächten aus wirtschaftlichen Gründen eher nach einem
schlechten, als nach einem guten [342] Frieden eintreten
würde. Auch habe wohl der Zar den Krieg vom Zaune gebrochen, indessen
die Herrscher Deutschlands und Österreich-Ungarns ihre Völker
bloß zu einem ihnen aufgezwungenen Notwehrkampfe aufgerufen
hatten.
Noch ehe - gegen Mitte Mai - diese Dokumente in Wien einlangten, war hinter
den Kulissen der Weltbühne die Vermittlungstätigkeit der
Parmaschen Prinzen in einen, wie es schien, entscheidenden Abschnitt
eingetreten. Als Ende März die Prinzen nach Paris zurückgekehrt
waren, fanden sie dort statt des österreich- und friedensfreundlichen
Kabinetts Briand ein neues Ministerium unter dem greisen Ribot vor. Vom ersten
Augenblick an wehte ein anderer Wind. Poincaré war persönlich in
den Unterredungen vom 31. März und 6. April zu den Prinzen
liebenswürdig wie immer und zeigte sich auch über den Kaiserbrief
sehr befriedigt; er scheint sich überhaupt unter allen Staatsmännern
der Entente von der Sache für Frankreich am meisten erwartet zu haben.
Dagegen war Ribot auffallend zurückhaltend. Erst am 12. April hatte
Sixtus - wieder bei Poincaré - zum erstenmal Gelegenheit,
mit Ribot persönlich zu verhandeln. Dieser teilte ihm mit, daß eben
tagszuvor zu Folkestone mit Lloyd George verabredet worden sei, nun auch die
italienische Regierung ins Vertrauen zu ziehen. Sixtus hatte diese Wendung
befürchtet, er war entsetzt. Italien werde nicht bloß aus Angst, um
einen Teil der Beute zu kommen, das mühselig geknüpfte Netz
zerreißen, sondern sogar Berlin alarmieren. Geschähe dies, so sei
selbst das Leben Kaiser Karls nicht mehr sicher; denn diese barbarischen
Deutschen hätten durch den jüngst erfolgten "plötzlichen Tod"
des ententefreundlichen türkischen Thronfolgers bewiesen, wozu sie
fähig seien!
Um die Besorgnisse des Prinzen zu zerstreuen, verpflichteten sich nicht
bloß die französischen Staatsmänner,
sondern - auf seiner Durchreise durch Paris - auch Lloyd George auf
Ehrenwort, bei den Verhandlungen mit Italien die Persönlichkeit des
Kaisers völlig aus dem Spiele zu lassen. Im übrigen verlief die
Zusammenkunft zu Saint Jean de Maurienne in der Schweiz (19. April 1917) ganz
so, wie Sixtus befürchtet hatte. Baron Sonnino beharrte auf den
Zusicherungen, die zu Kriegsbeginn den Italienern in London gemacht wurden,
und erklärte, daß jede italienische Regierung, die anders handeln
würde, der Volkswut zum Opfer fallen müßte. Jules Cambon
teilte im Auftrage des französischen Kabinetts den beiden Parmas schonend
mit, daß angesichts der unüberbrückbaren Kluft zwischen
Österreich und Italien weitere Verhandlungen vorläufig
gegenstandslos geworden seien. Etwas zuversichtlicher urteilte Lloyd George
über die Lage, indem er auf seiner Rückreise aus der Schweiz Sixtus
gegenüber wähnte, daß Italien doch noch mit dem Trentino
und ein paar Dalmatinischen Inseln zufrieden zu stellen sein werde.
An diesen letzten Rettungsanker klammerte sich Sixtus, als er in einem am 25.
April Erdödy übergebenen Briefe den Kaiser Karl beschwor, alles zu
tun, daß der Faden nicht völlig reiße. Am 4. Mai kam
Erdödy wieder in die [343] Schweiz zurück,
um Sixtus mitzuteilen, daß sein Schwager den Verlauf der Dinge
zuversichtlich beurteile; Italien - nicht die Regierung, aber General
Cadorna, der Chef der Heeresleitung - habe vor einigen Wochen wissen
lassen, daß man geneigt sei, sich mit Welschtirol zu begnügen und
auf Grund dieses Zugeständnisses mit Wien in Verhandlungen einzutreten.
Die Kaiserin ließ durch Erdödy ihrem Bruder einen Zettel
übergeben, in dem es erläuternd hieß: "Italien versucht durch
Euch und direkt über uns Vorteile herauszuschlagen."
Auf Drängen Erdödys entschloß sich der Prinz - diesmal
allein - abermals nach Österreich zu reisen. Wieder brachte er den
Entwurf zu einer Erklärung mit, die der Kaiser nur zu unterschreiben
brauchte und in der sich dieser in aller Form bereit zu erklären gehabt
hätte, mit der Entente, Italien und dem ernsten Friedenswillen zeigenden
Rußland einen Sonderfrieden abzuschließen; man dürfe
Österreich-Ungarn nur nicht zwingen, gegen das deutsche Kaiserreich die
Waffen zu ergreifen, müsse es hingegen unterstützen, falls dieses
gegen den früheren Bundesgenossen vorgehe.
Die Schilderung, die Prinz Sixtus von den neuerlichen Laxenburger
Besprechungen gibt - inwieweit sie im einzelnen zuverlässig ist,
läßt sich angesichts der politischen Tendenzen, die der Prinz mit
seinen Veröffentlichungen verfolgt, wieder nicht
feststellen - bietet ein Bild der wesentlich zuversichtlicheren Stimmung, die
diesmal am Kaiserhofe herrschte. Auch Czernin zeigte sich nicht mehr so
zugeknöpft, wie das erstemal. Den Hauptgegenstand der Besprechungen
bildete die italienische Frage. Kaiser Karl erklärte sich bereit, das Trentino
abzutreten, verlangte aber im Hinblick auf die Volksstimmung Teile des
italienischen Kolonialbesitzes als Entschädigung; den in Frankreich
aufgenommenen Gedanken, Österreich auf Kosten
Deutschlands - etwa durch Rückgabe von
Preußisch-Schlesien - zu vergrößern, wies der Kaiser
zurück. Czernin machte das verständliche Bestreben geltend,
nunmehr die Parmas aus dem Gang der Verhandlungen auszuschalten, und schlug
vor, die Westmächte mögen Mitte Juli einen bevollmächtigten
Berufsdiplomaten in die Schweiz entsenden, Österreich werde gleichfalls
einen Funktionär des Außenamtes delegieren. Schließlich gab
Czernin dem Prinzen ein Aide-mémoire mit, das offenkundig eine
Zusammenfassung der zweiten Laxenburger Besprechungen darstellt. Die
Donaumonarchie könne nicht einseitig Gebiete abtreten, aber ein
entsprechender Tausch sei denkbar. Immerhin sei
"Österreich-Ungarn bereit, die Besprechungen fortzusetzen, und nach wie
vor geneigt, für einen ehrenvollen Frieden zu arbeiten, um damit auch den
allgemeinen Weltfrieden anzubahnen".
Eine gleichzeitige schriftliche Kundgebung des Kaisers, die wieder in die Form
eines persönlichen Briefes an den Prinzen Sixtus gefaßt war, bewegte
sich in ihrem wesentlichen Inhalt durchaus im Rahmen der Erklärungen
Czernins. Ebenso wie im ersten Kaiserbrief vom 24. März fehlte auch in
dem vom 9. Mai im Gegensatz zu den Entwürfen des Prinzen ein
bestimmter Hinweis auf einen [344] Sonderfrieden. Selbst
der heikelste zweite Absatz sagt nur: "Aus der Übereinstimmung, die
zwischen der Monarchie und Frankreich und England in einer großen Zahl
wesentlicher Punkte herrscht, schöpfen wir die Überzeugung,
daß es gelingen werde, auch die letzten Hindernisse zu überwinden,
die sich einem ehrenvollen Frieden in den Weg stellen." Leider enthält der
Brief außerhalb des Sachlichen wieder manches, was geeignet war, bei den
Ententestaatsmännern jeden anderen Eindruck hervorzurufen als den,
daß das Bündnis der Mittelmächte im Denken des Kaisers fest
verankert sei. Auch gab der Kaiser dem Ehrgeize seines Schwagers dadurch nach,
daß er am Schluß des Briefes im Gegensatz zu den Absichten
Czernins den Wunsch aussprach, Sixtus möge auch weiterhin die
angesponnenen Fäden in seiner Hand behalten.18
Wie skrupellos Sixtus bei der Verfolgung seiner Ziele war, zeigt sich aus der
Tatsache, daß er zum Gebrauche der französischen und englischen
Staatsmänner in das "Aide-mémoire" Czernins ohne
Zaudern die Geneigtheit Österreich-Ungarns zu einem Sonderfrieden
"hineinübersetzte".19 Aber auch
dieses Mittel half ihm nichts mehr, seit Italien dazwischengetreten war. Der
weitere Verlauf seiner Vermittlungstätigkeit kann in ein paar Worte
zusammengefaßt werden. Die Verantwortlichen in Paris und London
beschlossen, zur Klarstellung der italienischen Verhältnisse eine
Zusammenkunft der Staatsoberhäupter Englands, Frankreichs und Italiens
und ihrer Minister an der französischen Front zu veranstalten. Der schlaue
Baron Sonnino aber roch Lunte, daß man auf ihn in der Frage der
italienischen Aspirationen einen Druck ausüben wolle; er verstand es, die
Zusammenkunft der Staatsoberhäupter bis in die letzten Septembertage
hinauszuschieben, und kam auch selbst erst am 25. Juli nach Paris. Dort gab ihm
Ribot, entgegen allen Versprechungen, mit denen er sich dem Prinzen Sixtus
gegenüber zur Geheimhaltung verpflichtet hatte, die beiden Kaiserbriefe zu
lesen. Sonnino gewann nicht nur sehr rasch über seinen
französischen Kollegen die Oberhand, sondern zog eine Woche
später in London auch den leicht begeisterten Lloyd George wieder
vollständig in sein Lager hinüber. Was Ribot anbelangt, so spielte bei
dessen ablehnender Haltung gegenüber Österreich auch die
Erwägung eine Rolle, daß ein Sonderfriede mit der Donaumonarchie
ganz von selbst das Ausscheiden Italiens aus dem Vielverband zur Folge
hätte; denn dieses Italien wäre nie und nimmer zu bewegen gewesen,
seine Truppen nach Nordfrankreich zu entsenden. Dann aber
hätten - angesichts des Verfalles der russischen
Armee - erst wieder bis auf weiteres Frankreich und England allein dem im
Osten entlasteten deutschen Heere gegenübergestanden.
[345] Politische
Erwägungen solcher Art boten der Tätigkeit der bourbonischen
Prinzen keine Entwicklungsmöglichkeit mehr. Sixtus und Xavier von
Parma waren schon einen Monat vor dem Pariser Besuch Sonninos zu ihrem
Regiment an der belgischen Front zurückgekehrt. Ihre Rolle als
Friedensvermittler hatte ein jähes Ende gefunden.
Die Verantwortung für die Sixtusaffäre und ihre Folgen wird in der
zeitgenössischen Geschichtsschreibung vor allem dem Kaiser Karl
aufgelastet. Dieser Auffassung gegenüber ist erstens festzustellen,
daß der Kaiser, wenigstens schriftlich, einen Sonderfrieden im eigentlichen
Sinne des Wortes nicht angeboten hat, sondern daß er einem solchen
Beginnen trotz dem Drängen seines Schwagers geflissentlich aus dem
Wege gegangen ist; zweitens, daß die Friedenspolitik des Kaisers gleiche
Ziele verfolgte wie die seines verantwortlichen Außenministers: über
Frankreich eine Brücke zum allgemeinen Frieden zu finden, es zu einer
Trennung von Deutschland aber nur dann kommen zu lassen, wenn dieses nicht
mitgehen wollte. An diesem Gedankengang änderte auch die Tatsache
grundsätzlich nichts, daß sich der Kaiser ein Abschwenken vom
Bundesgenossen taktisch und technisch leichter durchführbar gedacht
haben mag als Graf Czernin - und änderte gleicherweise nichts die
politischen Bündnissen wohl seit jeher eigene, auch bei Karl zum Ausdruck
gekommene Erscheinung, daß man leichter geneigt ist, auf Kosten eines
Verbündeten Zugeständnisse zu machen als auf die eigenen.
Darüber hinaus hat Kaiser Karl in der Sixtusaffäre freilich schwere
Verantwortung auf seine jungen Schultern genommen, schwere Verantwortung
gegenüber seinem Haus, seinen Völkern und seinen
Bundesgenossen.20 Doch soll über dieser Last auch
der Anteil an Mitverantwortung nicht vergessen werden,
der - abgesehen von der Kaiserin und den hinter den Kulissen
Wirkenden - den beiden anderen Hauptpersonen dieser
Schicksalstragödie zugemessen werden muß, dem Grafen Czernin
und dem Prinzen Sixtus von Parma!
Schließlich verdient noch die Frage berührt zu werden, ob der
deutsche Reichskanzler v. Bethmann Hollweg in der Zeit, in der die
Vermittlungsversuche der Parmas liefen, von diesen etwas erfahren hat. Graf
Wedel, der [346] deutsche Botschafter
am Wiener Hofe, wähnte, daß zumindestens bei dem Besuche, den
der Kanzler am 13. Mai 1917 in Wien abstattete, Czernin Bethmann
gegenüber von der Sache gesprochen habe. Der Reichskanzler stellt
demgegenüber in seinen Betrachtungen zum Weltkriege
ausdrücklich fest, daß ihm Czernin von dem Auftreten des Prinzen
Sixtus nichts mitgeteilt habe. Wohl aber habe ihm Czernin bei der
Zusammenkunft vom 13. Mai 1917 eröffnet, daß England, Frankreich
und Italien an Österreich mit einem Sonderfriedensangebot herangetreten
seien; Österreich könne den Frieden bekommen, wenn es das
Trentino an Italien abträte. Auf die Frage Bethmanns, wer der
Überbringer dieses Friedensangebotes sei, erklärte Czernin,
ehrenwörtlich zu Stillschweigen verpflichtet zu sein.
Nach allem, was bisher bekannt wurde, hat ein so formuliertes Friedensangebot
dem Ballplatze nie vorgelegen. Wohl aber gibt die Anfrage Czernins an seinen
reichsdeutschen Kollegen einen Fingerzeig dafür, daß der
österreichische Außenminister aus den Mitteilungen des Prinzen
Sixtus und den Nachrichten aus Italien doch starke Hoffnungen geschöpft
hatte. Er bemühte sich denn auch, dem Reichskanzler einen Sonderfrieden
Österreich-Ungarns mit den Westmächten als für Deutschland
weit mehr nützlich, denn schädlich darzustellen.
Der deutsche Kaiser und die Oberste Heeresleitung erhielten erst ein Jahr
später, und da nur unvollständig, von der Vermittlungsaktion der
Parmaischen Prinzen Kenntnis.
Seit Anfang April hatte sich auch das Bild, das man sich vom Wesen des
russischen Umsturzes machen durfte, etwas geklärt. Die Kundgebung des
ersten revolutionären Kabinetts bestätigte, was längst zu ahnen
war: daß es stark unter englischem Einflusse stehe und weit eher die
Fortführung des Krieges an der Seite der Westmächte denn einen
Sonderfrieden im Sinne habe. Aber im Volke und im Heer brach sich die
Friedenssehnsucht so gewaltig Bahn, daß ein gewisses Entgegenkommen
unvermeidlich ward, wenn sich die bürgerliche Demokratie und der
gemäßigte Sozialismus behaupten wollten. Unter dem Druck der
Bauern-, Arbeiter- und Soldatenräte schrieben das Kabinett Miljukow und
noch demagogischer die ihm Mitte Mai folgende Regierung Lwow das
Schlagwort vom "Frieden ohne Annexionen und Kompensationen" auf ihre
Fahnen; Rußland schwöre dem imperialistischen Kriege ab und gehe
nicht auf Länderraub aus, jedes Volk möge sein Schicksal selbst
bestimmen. Einen Sonderfrieden, der den imperialistischen Kaisermächten
die Kraft gäbe, die westlichen Demokratien niederzuwerfen, lehne
Petersburg ab - was es anstrebe, sei ein Weltfrieden im neuen Geiste der
Versöhnung.
Das Wiener Außenamt griff das Schlagwort vom
erwerbungs- und entschädigungslosen Frieden um so williger auf, als es
Rußland gegenüber völlig wunschlos war. Auch die
österreichische Sozialdemokratie - wie übrigens ebenso
[347] die
deutsche - schloß sich dem von Petersburg aufgestellten Grundsatz
rückhaltlos an. Graf Czernin hoffte durch verschiedene Kundgebungen der
erwähnten Art wenigstens die Friedensströmung im russischen Volke
zu stützen. Zu dem gleichen Zwecke und auch aus innerpolitischen
Gründen erteilte er den Sozialistenführern, die den von
holländischen und skandinavischen Parteigenossen angeregten
Sozialistenkongreß zu Stockholm besuchen wollten, trotz der Bedenken
Tiszas die Erlaubnis zur Ausreise. Die ersten Vorbesprechungen in der
schwedischen Hauptstadt fanden Ende Mai statt. Es verdient, angemerkt zu
werden, daß sich die österreichischen und ungarischen
Sozialistenführer in den Debatten über das Selbstbestimmungsrecht
der Völker auf den Boden der Unversehrtheit des Donaureiches stellten.
Ähnlich hielten sie es dann auch bei den Sommersitzungen, die freilich
wegen des Fernbleibens der Ententesozialisten Rumpftagungen blieben und daher
zu keinem Ergebnis führten.
Ein weiterer Versuch, auf die russische Regierung einen Druck in der Richtung
des Friedens auszuüben, wurde durch die Kabinette der
Kaisermächte auf dem Wege über die Fronten unternommen. Der
Sturz des Zarentums hatte an der russischen Armeefront sofort seine zersetzende
Wirkung geäußert. Mit dem Niederbruch des zaristischen Regimes
erhielten auch Befehlsgewalt und Manneszucht einen argen Stoß. Die
ungesäumt gewählten Soldatenräte trieben ihr Unwesen; die
Kunde von der Aufteilung des Großgrundbesitzes lockte ungezählte
Soldaten nach Hause, zahlreiche Verbände verfielen in einen Zustand
vollster Auflösung. Als am 3. April die verbündeten Truppen den
kleinen Stochodbrückenkopf Tobol im Handstreich nahmen, boten 9500
Gefangene und eine Beute von 15 Geschützen und etwa 150
Maschinengewehren einen deutlichen Fingerzeig für die Verfassung, in der
sich der Gegner befand.
Diese Unternehmung war nun freilich den Wiener und Berliner
Staatsmännern nicht angenehm. Auf ihr Drängen ließen die
Heeresleitungen bis auf weiteres jegliche Feindseligkeit gegenüber den
Russen einstellen; nur wenn diese unter dem Drucke höherer Führer
oder der an der Front eingeteilten Ententeoffiziere die Verbündeten
herausforderten, war entsprechend zu antworten. Gleichzeitig
begann - nicht ohne daß vorher bei Ludendorff schwere Bedenken
wegen einer etwaigen Rückwirkung auf die eigenen Truppen
überwunden werden mußten - von den
Schützengräben aus eine planmäßige Werbearbeit bei
den gegenüberstehenden russischen Divisionen einzusetzen. Bei
Festsetzung des Programms, das dieser Werbetätigkeit zugrunde lag, gab es
zwischen den Regierungen und Heeresleitungen manche
Meinungsverschiedenheit auszugleichen, die vor allem der Kriegszielfrage
entsprangen.
Als in der zweiten Hälfte April die Wahrscheinlichkeit, einen unmittelbaren
Weg zur Regierung Miljukow zu finden, für die Kaisermächte immer
geringer wurde, erließen die beiden Oberbefehlshaber der Ostfront, Prinz
Leopold von [348] Bayern und Erzherzog
Josef, einen Funkspruch, in dem sie die gegenüberstehenden russischen
Kommanden zu Waffenstillstandsverhandlungen einluden. Vielleicht war es auf
diese Weise möglich, zu Friedensbesprechungen zu gelangen. Um den 10.
Mai glückte es einem Abgesandten des Prinzen Leopold, bis zu dem an der
russischen Nordfront befehligenden General Dragomirow vorzudringen; dieser
ließ jedoch keinen Zweifel bestehen, daß die höheren
Befehlsstellen der Armee für Sonderverhandlungen nicht zu haben seien.
Wenige Tage darauf (14. Mai) äußerte sich auch der in
Petersburg versammelte Arbeiter- und Soldatenrat im gleichen Sinne. Dagegen
gelang es auf dem Wege von Division zu Division fast auf der ganzen Front
Waffenruhe herzustellen, die bis in den Juni hinein anhielt. Den Regierungen in
Wien und Berlin wurde es aber von Tag zu Tag mehr klar, daß ein
wirklicher Friede von dem Rußland Kerenskis nicht zu erwarten war.
In die Grundzüge der Friedenspolitik, die Graf Czernin seit Jahresbeginn
verfolgte, vermochten sonach die Ereignisse an der Ostfront keine wesentliche
Änderung hineinzutragen. Das zeigte sich neuerlich bei den
Besprechungen, die am 17. und 18. Mai 1917 zwischen Czernin, Bethmann
Hollweg und Ludendorff in Kreuznach stattfanden. Czernin hätte die
Unterredung lieber in Berlin veranstaltet, weil ihm die Anwesenheit der
"Generale" nicht behagte. Bethmann Hollweg aber wünschte deren
Beisein.
In den Westfragen vertrat der Wiener Außenminister abermals die Meinung,
daß Deutschland den französischen Begehrlichkeiten
entgegenkommen müsse, wenn man zu einem Frieden gelangen wollte. Die
Oberste Heeresleitung stellte diesen Wünschen, wenn auch als
Höchstforderungen, andere entgegen: militärische Kontrolle Belgiens
bis zum Abschluß eines Schutz- und Trutzbündnisses mit
Deutschland, Erwerb oder langfristige Pachtung von Lüttich und der
flandrischen Küste.21 Bei
Erörterung der Ostfragen kam Czernin wieder auf den Gedanken
zurück, Deutschland möge Polen in seinen Kreis ziehen, indessen
Rumänien - bei entsprechender Rücksicht auf die deutschen
Wirtschaftsinteressen - als selbständiger Staat an die Monarchie
anzuschließen wäre; beides naturgemäß für den
Fall, als der Feldzugserfolg eine solche Lösung durchsetzbar erscheinen
ließe. Daß Czernin den Bundesgenossen dabei wiederum Galizien
antrug, ist sicher; offenkundig geschah es aber nur in vertraulichen
Gesprächen zwischen den beiden leitenden Staatsmännern. Auch
sonst spielte die polnische Frage wieder eine besondere Rolle in den
Unterredungen, und das große Interesse, das [349] Czernin den polnischen
Wünschen und vor allem der Berufung eines katholischen Prinzen auf den
Warschauer Königsthron entgegenbrachte, erweckte auf deutscher Seite
abermals den Eindruck, daß das Angebot
Österreich-Ungarns, sein Desinteressement an Polen zu erklären,
nicht allzu ernst zu nehmen sei. Auch ein förmlicher Vertrag, den wenige
Wochen später die beiden Kaiser wegen Polen unterzeichneten und der
u. a. die Bildung der polnischen Armee ganz in die deutschen Hände
legte, änderte daran nichts. Ganz Unrecht geschah mit diesem
Mißtrauen dem Bundesgenossen kaum; es soll aber nicht vergessen werden,
daß der Wiener Außenminister gleichzeitig unter dem Drucke des
österreichischen Ministerpräsidenten arbeitete, der bei seinen
Plänen der Unterstützung durch seine Polen nicht entraten konnte.
Auch waren die inneren Verhältnisse in den besetzten Teilen Polens sehr
heikel, und die wirtschaftliche Not lastete schwer auf den Massen. Und
schließlich erwuchs in Fragen der polnischen Sympathien den
Kaisermächten im neuen Rußland ein schwerer Rivale, wie sich aus
verschiedenen Maßnahmen der Petersburger Regierung, wie Aufstellung
einer besonderen russisch-polnischen Liquidierungskommission, der
Ausgestaltung der polnischen Schützenbrigade Bylewski zur Division
u. a. m. genugsam erwies.
Czernin kehrte kaum mit dem Gefühle der Befriedigung von Kreuznach
heim. Wenn immer er mit Bethmann Hollweg allein zu verhandeln hatte, ging
alles glatt. Trat aber Ludendorff dazwischen, ergaben sich sofort schwere
Hindernisse, und auch der Kanzler fühlte sich dann verpflichtet,
stärker auf die Heeresleitung hinzuhorchen. Czernin machte aus seinem
Ärger über die "Generale" niemand gegenüber ein Hehl, auch
vor dem Kaiser nicht, was diesen nur in der Überzeugung bestärkte,
daß die deutsche Heeresleitung das schwerste Friedenshindernis bilde. So
konnte denn bei dem Besuche, den Hindenburg
und Ludendorff sechs Wochen
später, am 1. und 2. Juli, in Laxenburg und Baden abstatteten, kein anderer
Ton als der konventioneller Höflichkeit aufkommen. Weder der Kaiser
noch sein Außenminister ließen die beiden Heerführer
über die Kriegsmüdigkeit, die das amtliche und nichtamtliche Wien
erfüllte, im Zweifel.
In dem Bestreben, dem Widerstand der deutschen Heeresleitung gegen die vom
Ballplatz verfolgte und von Bethmann Hollweg doch halb und halb gebilligte
Friedenspolitik erfolgreich entgegenzuwirken, war Graf Czernin schon damals mit
hervorragenden Mitgliedern jener reichsdeutschen Parteien in Fühlung
getreten, die am 14. Juli im Reichstag die große Friedensresolution
einbrachten. Czernin rühmt sich selbst seiner Mitwirkung an diesem Werke
und nennt als seine Hauptvertrauensmänner Erzberger und Südekum.
Freilich ging das Unternehmen für den österreichischen Minister
nicht ohne bittere Beigabe ab. Es fiel mit dem Rücktritt Bethmann
Hollwegs zusammen, den man auf dem Ballplatz mit ehrlichstem Bedauern
scheiden sah. Man mag [350] über Bethmanns
politische Fähigkeiten denken wie immer, sicher ist, daß er den
österreichischen Verhältnissen mehr Kenntnis und Verständnis
entgegenbrachte als mancher andere deutsche Staatsmann seiner Zeit.
Daß der neue Kanzler Michaelis der Gedankenrichtung des
österreichischen Außenministers wesentlich ferner stand, als der
frühere Leiter der deutschen Politik, dessen sollte Czernin schon bei seinen
ersten Besprechungen mit dem neuen Manne, die am 1. August in Wien und Mitte
August in Berlin stattfanden, und aus einem Briefe gewahr werden, den
Michaelis, seine Ideen zusammenfassend, am 17. August aus Berlin an den
österreichisch-ungarischen Außenminister schrieb.22 Graf Czernin war auch dem neuen
Kanzler gegenüber bei seiner Auffassung geblieben, daß der
für Österreich-Ungarn dringend nötige, aber auch für
Deutschland sehr wünschenswerte Friede nur über Frankreich
gefunden werden könne, daß Deutschland daher in der
elsaß-lothringischen Frage Entgegenkommen zeigen müsse,
wofür Österreich-Ungarn nicht bloß bereit sei, auf
Kongreßpolen zugunsten des Bundesgenossen zu verzichten, sondern sogar
Galizien zuschlagen wolle - freilich unter der Bedingung, daß es sich
dafür bei Rumänien entschädigen könne. Michaelis
lehnte diese Vorschläge glattweg ab. Er stellte für den Westen die
Mindestforderung auf, daß Belgien militärisch und wirtschaftlich in
den Interessenkreis Deutschlands gezogen werde und das Reich auch von den
Schätzen des Erzbeckens von Briey und Longwy bekommen müsse;
"nennenswerte Gebiete von Elsaß-Lothringen abzutreten", sei Deutschland
nicht in der Lage. Damit sei auch das Junktim mit Galizien gefallen. Was die
österreichisch-ungarischen Interessen an Rumänien anbelange, so
gälten die Kreuznacher Abmachungen weiter. In der polnischen Frage
müsse die Wiener Regierung alsbald daran gehen, ihre volle
Uninteressiertheit auszusprechen und Deutschland freie Hand lassen.
Könne Österreich dies nicht, so sei es - meinte Michaelis in
geringer Einschätzung der innerpolitischen Bedeutung, die das
Polenproblem für Wien hatte - besser, sich von Kongreßpolen
zu nehmen, was man brauche, den Rest des Landes aber seiner vollen
Selbstbestimmung zu überlassen.
Czernin war über diese Auffassungen des neuen Kanzlers wenig
entzückt und berief sich in seiner Verwahrung gegenüber Michaelis
sogar auf die Reichstagsresolution, der die Ziele der deutschen Regierung im
Westen schnurstracks entgegengerichtet seien.
Eine Woche zuvor hatte er an der Westfront Gelegenheit gefunden, mit dem
deutschen Kronprinzen über seine Friedenspläne zu sprechen. Er
glaubte, bei diesem Zustimmung gefunden zu haben, und ließ
nun - am 20. August 1917 - den Kaiser Karl an den Erben der
deutschen Krone einen Brief schreiben,23
[351] in welchem es nach
einem möglichst eindringlichen Hinweis auf die schwierige Lage des
Vierbundes hieß:
"Ich habe andererseits bestimmte
Anzeichen, daß wir Frankreich für uns gewinnen könnten,
wenn Deutschland sich zu gewissen territorialen Opfern in
Elsaß-Lothringen entschließen könnte. Haben wir Frankreich
gewonnen, so sind wir Sieger, und Deutschland kann sich anderweitig und
ausgiebig entschädigen. Aber ich will nicht, daß Deutschland das
Opfer allein tragen soll, ich will selbst den Löwenanteil dieses Opfers
tragen und habe Seiner Majestät, Deinem Vater, erklärt, daß
ich unter der vorerwähnten Bedingung bereit bin, nicht nur auf ganz Polen
zu verzichten, sondern auch Galizien an Polen abzutreten und dieses Reich an
Deutschland angliedern zu helfen. Deutschland würde im Osten ein Reich
gewinnen, während es im Westen einen Teil eines Landes hergeben
würde. Im Jahre 1915 haben wir, ohne irgendeine namhafte Kompensation
zu fordern, im Interesse unseres Bundes auf Bitte Deutschlands dem treulosen
Italiener den Trento angeboten, um den Krieg zu vermeiden. Heute ist
Deutschland in einer ähnlichen, jedoch weit aussichtsvolleren Lage und Du
als Erbe der deutschen Kaiserkrone bist berechtigt, Dein gewichtiges Wort mit in
die Wagschale zu werfen... Wenn Deutschland auf seinem ablehnenden
Standpunkte verharrt und einen möglichen Frieden zerstört, so ist die
Situation in Österreich-Ungarn äußerst
kritisch..."
"Die Antwort des Kronprinzen war," erzählt Czernin, "eine sehr
freundliche und entgegenkommende, bewegte sich jedoch in allgemeinen Phrasen,
und es war klar, daß es den deutschen Militärs gelungen war, seine
Bestrebungen im Keime zu ersticken. Als ich Ludendorff einige Zeit später
in Berlin traf, wurde meine Anschauung durch die Worte bestätigt, mit
welchen er mich apostrophierte: »Was haben Sie denn mit unserem
Kronprinzen gemacht, der ist ja ganz schlapp geworden! Aber wir haben ihn
wieder aufgepumpt.«"
Anfang September 1917, als bereits die ersten Unterhandlungen über das
Eingreifen deutscher Kräfte gegen Italien liefen, schrieb dann auch der
deutsche Kaiser an den österreichischen: "Ich hoffe, daß die
Möglichkeit gemeinsamer Offensive unserer verbündeten Heere auch
die Stimmung Deines Außenministers beleben wird. Zu einer anderen als zu
einer zuversichtlichen Stimmung haben wir meines Erachtens bei Betrachtung der
Gesamtlage keinen Grund."
Daß Czernin gerade im August
wieder mit besonderem Nachdruck seinen
Plan vertrat, Frankreich als Brücke zu einem allgemeinen Frieden zu
benutzen, hatte seinen Grund in den Friedensbesprechungen, die zu dieser Zeit in
der Schweiz zwischen dem österreichischen Diplomaten Revertera und
einem entfernten Verwandten desselben, dem französischen
Generalstabsmajor Grafen Armand, stattfanden. Die Anregung hierzu war schon
Mitte Juni von einer der zahlreichen neutralen Persönlichkeiten
ausgegangen, die sich in der Schweiz [352] mit
größerer oder geringerer Berufung als Friedensvermittler
betätigten. Graf Revertera erhielt, ohne zunächst sagen zu
können, wer sein französische Gegenpartner sei, von Czernin die
Erlaubnis, zu sondieren. Er begab sich nach Freiburg in der Schweiz, wo ihm am
7. August 1917 Graf Armand als inoffizieller Abgesandter der Westmächte
entgegentrat. Nach späteren Pariser Verlautbarungen war es diesmal der
französische Generalstab, der den Gedanken eines Sonderfriedens mit
Österreich-Ungarn aufgegriffen und den Kriegsminister Painlevé
und durch diesen Ribot von der Zweckmäßigkeit eines solchen
Versuches zu überzeugen gewußt hatte.24 Auch Lloyd Georges
Einverständnis war eingeholt worden.
Das Angebot an Österreich war möglichst verlockend gehalten.
Österreich sollte bloß das Trentino an Italien abtreten und der
Erklärung Triests zum Freihafen zustimmen, dafür aber
Preußisch-Schlesien und Grenzberichtigungen gegenüber
Montenegro bekommen; auch sollten Polen und sogar Bayern staatsrechtlich an
den Habsburgischen Bundesstaat angeschlossen werden, der so ein wirksames
Gegengewicht gegen das deutsche Imperium zu bilden gehabt hätte.
Revertera erklärte seinen Weisungen gemäß, daß er
über einen Sonderfrieden nicht sprechen könne, daß aber
Österreich bereit sei, geeignete Vorschläge Frankreichs nach Berlin
weiterzugeben. Armand reiste nach Paris zurück, um in dieser Richtung
weitere Anordnungen einzuholen; auch Revertera kehrte nach Österreich
heim.
Am 22. August trafen sich Armand und Revertera zum zweitenmal in Freiburg.
Jener überreichte zunächst die Forderungen Frankreichs für
den Fall eines gemeinsamen Friedens mit Deutschland und
Österreich-Ungarn: Wiederherstellung und Entschädigung Belgiens
und Nordfrankreichs, Abtretung der Reichslande in den Grenzen von 1814,
militärische Neutralisierung des linken Rheinufers; Freigabe Luxemburgs
von allen Abhängigkeiten, Abtretung nicht nur von Trient, sondern auch
Triest, Wiederherstellung Rumäniens, Serbiens, ferner Polens von 1772,
Öffnung der Meerengen, Abtretung Helgolands an eine Ententemacht,
Rückgabe der deutschen
Kolonien, eventuelle Kompensationen für
Elsaß-Lothringen aus dem Kolonialbesitz der Ententemächte.
Diesen im Hinblick auf die Kriegslage wahrlich herausfordernden Bedingungen
lag als Lockspeise für Österreich eine geheime, nur an Wien
gerichtete Spezialnote bei, in der dem Habsburgerreich die Angliederung Polens
und der Lovcen in Aussicht gestellt und auch mancherlei über eine
künftige Vorherrschaft der Habsburger in Mitteleuropa angedeutet wurde.
Revertera ließ Armand über das Wesen seiner Sendung, die nur einen
gemeinsamen [353] Frieden der
Vierbundmächte zum Gegenstand hatte, abermals nicht im unklaren. Die
Besprechungen wurden am 23. fortgesetzt. Am 26. abends war Revertera wieder
in Wien. Czernin, Botschafter Hohenlohe und er kamen überein, daß
man die französischen Bedingungen überhaupt nicht an Deutschland
weitergeben könne, so unmöglich seien sie. Mitte September erwog
dann der Außenminister, Revertera noch einmal in die Schweiz zu
entsenden, und zwar auf die Nachricht hin, daß man in Paris ob des
völligen Schweigens der Wiener Regierung betroffen sei. Aber es fand sich
keine geeignete Grundlage für eine Fortsetzung der Verhandlungen.
Damals lief auch die Friedensvermittlung des Papstes, der Österreich mit
Begeisterung beistimmte. Das war bei den innigen Beziehungen zwischen dem
Wiener Hofe und dem Vatikan nicht anders zu erwarten. Gleichzeitig hatte
Czernin in seine Friedenspolitik ein neues Element hineingetragen: den Gedanken
der Abrüstung. Bei einer Tischrede, die er am 2. Oktober in Budapest hielt,
bekannte er sich vor der staunenden Mitwelt als unbedingter Anhänger der
Weltabrüstung. Unter den Berufssoldaten der Armee rief diese Kundgebung
große Beunruhigung hervor. Czernin soll auch nachher in vertraulichen
Kreisen geäußert haben, es sei ihm mit der Sache gar nicht so ernst
gewesen, als es ausgesehen habe. Er habe nur den Engländern und dem
amerikanischen Präsidenten bei ihrer Besorgnis vor dem deutschen
Militarismus den Wind aus den Segeln nehmen wollen.
Wenige Tage später, am 9. Oktober, rief Herr v. Kühlmann,
Staatssekretär des Auswärtigen im Kabinett Michaelis, in den
deutschen Reichstag die berühmten Worte hinein: "...Auf die Frage: Kann
Deutschland in bezug auf Elsaß-Lothringen Frankreich irgendwelche
Zugeständnisse machen? haben wir nur eine Antwort: Nein, nein, niemals!"
Diese Erklärung setzte für Czernin den Schlußpunkt unter die
erste Phase seiner Friedenspolitik. Die Hoffnung, den Frieden durch die Opferung
Elsaß-Lothringens oder doch von Teilen desselben gewinnen zu
können, mußte angesichts des einhelligen Verhaltens aller
reichsdeutschen Parteien aufgegeben werden.
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