Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
Kapitel 15: Österreich-Ungarns Politik
in den Kriegsjahren 1914 bis 1917 (Forts.)
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau
3. Kaiser Karls
Thronbesteigung.
In der Zeit vor dem Kriege konnte man in der politischen Welt oft die
Prophezeiung vernehmen, daß nach dem Tode Kaiser Franz Josefs auch
dessen Reich zerfallen oder doch schweren Erschütterungen ausgesetzt sein
werde. Nichts von dem trat ein. Mit einer selbst für jene Zeit erstaunlichen
Raschheit verschwand die unmittelbare Erinnerung an den Verstorbenen hinter
den großen, einander drängenden Ereignissen des Tages.
In einem fast ungewöhnlichen Maße durfte sich der neue Kaiser auf
das stützen, was man in monarchischen Zeiten Volkstümlichkeit
eines Fürsten nannte. Vor allem war es der frische, unverbrauchte Zauber
seiner Jugend, der überall die Herzen gewann. Nach dem
Unpersönlichen und Greisenhaften, das in den letzten Jahren dem Regime
Franz Josefs anhaftete, zog nunmehr mit dem jungen Herrscher, seiner
schwarzäugigen Gemahlin, seinen blondlockigen, reizenden Kindern,
neues, blühendes Leben in das graue Gemäuer der Hofburg ein.
Dieses Kaiserpaar, an dessen vorbildlich schönes
Ehe- und Familienleben auch der böseste Klatsch nicht heran konnte, hatte
so viel mehr Menschliches an sich, [321] als der frühere
Herrscher in seiner unnahbaren Einsamkeit. Wo immer es sich zeigte, ward es von
Jubel umbraust. Es konnte - so glaubte man - den Schatz von
Volksgunst, der sich vor ihm auftat, nicht erschöpfen.
Über den politischen Kurs, den Kaiser Karl einzuschlagen gedachte, war
bisher nur wenig in die Öffentlichkeit gedrungen. Auch Leute, die ihm, als
er noch Thronfolger war, nahegestanden hatten, wußten nichts Bestimmtes
mitzuteilen. Die kleinen Züge, die man kannte, gaben keinerlei
ausreichendes Bild. Man sagte ihm in nationaler Hinsicht tschechische Neigungen
nach, da er seine ganze Offiziersdienstzeit bei einem böhmischen
Dragonerregiment verbracht hatte. Diese goldenen Jugenderinnerungen, die ihm
überaus teuer waren, hätten auf ihn, hieß es, auch politisch
abgefärbt; wozu noch ein übrigens nicht allzu intensiver Umgang mit
dem tschechischen Feudaladel kam. Auf der anderen Seite war es freilich eine
allbekannte Tatsache, daß er mit einer beinahe schwärmerischen
Zuneigung an den kerndeutschen Truppen hing, die er bei der Südtiroler
Offensive 1916 als Korpsführer befehligt hatte. Freilich konnte man
gleichzeitig aus seinem Munde manch scharfes Urteil über den
verdeutschenden Kurs hören, den das Armeeoberkommando Teschen und
das Heeresgruppenkommando des Erzherzogs Eugen in Südtirol hatten
eingeschlagen; wobei überhaupt ein starker innerer Gegensatz des
Thronfolgers gegen die oberste militärische Leitung zutage getreten war.
Dieser Gegensatz wurde durch die Berufung des Prinzen in die
außerordentlich gespannten und wenig erquicklichen Verhältnisse in
Ostgalizien ebensowenig gemindert, wie dadurch, daß man ihm einen
deutschen General als obersten Berater an die Seite gab. Wohl waren die
Beziehungen zwischen dem Befehlshaber und seinem Stabschef
äußerlich korrekt. Aber unter der Hand erfuhr man, daß der
Erzherzog die Art, wie ihn der preußische General behandelte und wie man
in Deutschland überhaupt Prinzen in solcher Lage zu behandeln gewohnt
war, als fast unerträgliche Bevormundung empfand. Gerade in jenen Tagen
war die Zusammenarbeit der beiden Heere auf manche schwere moralische Probe
gestellt, deren Härten niemand bitterer fühlte als der mit einer
starken Dosis Familienstolz ausgestattete zukünftige Kaiser. Als zwischen
den Verbündeten über die Schaffung eines gemeinsamen
Oberbefehls verhandelt wurde, ließ der Thronfolger nach Teschen seine
schärfste Gegnerschaft gegen diesen Plan mitteilen. Solche und viele
andere Züge ergaben ein buntes Bild, dem aber einheitliche Linien nicht
abzugewinnen waren. Der junge Kaiser war, als er die Regierung antrat, so
ziemlich für jedermann im Reich ein unbeschriebenes Blatt.
Daß er verhältnismäßig rasch die näheren
Mitarbeiter seines Vorgängers verabschiedete, fand in der
Öffentlichkeit Verständnis. Der engere Kreis um Franz Josef bestand
aus ausgezeichneten Männern. Aber die Regierungsmaschine bedurfte doch
auch hier neuer Kräfte und frischen Öls, sollte sie nicht
allmählich leerlaufen, wie dies in den letzten Jahren des verstorbenen
Kaisers [322] zum Teil schon der Fall
war. Zu Generaladjutanten wurden an Stelle des Grafen Paar und des Freiherrn
v. Bolfras die Generale Prinz Lobkowitz und v. Marterer ernannt.
Jener, ein tschechischer Feudalherr, blieb völlig einflußlos. Dieser,
ein schwerkranker Mann, sah seine Aufgabe darin begrenzt, daß er als
gehorsamer Soldat Befehle seines Obersten Kriegsherrn weitergab; er hat
hierdurch weder seinem Kaiser, noch der monarchischen Idee einen Dienst
geleistet. An die Stelle des Freiherrn v. Schießl trat als kaiserlicher
Kabinettsdirektor - so hieß der "Chef des
Zivilkabinetts" - der 47jährig Hofrat v. Polzer, der dem
Kaiser, als dieser noch ein Jüngling war, zeitweilig als Mentor zur Seite
gestanden hatte. Der ebenso gebildete, wie regsame und ehrgeizige Mann
führte sein Amt in der Überzeugung, daß sein Vaterland nur zu
retten sei, wenn es - selbst um den Preis eines Bruches mit
Deutschland - sofort Frieden schließe und zugleich im Inneren eine
scharf bundesstaatliche Umgestaltung vornehme. Er war ein ebenso heftiger
Gegner der magyarischen Politik, wie der deutschen Obersten Heeresleitung und
nützte jede Gelegenheit aus, auch des Kaisers Denken und Fühlen in
diese Richtung zu lenken. Wenn Polzer immer wieder durchleuchten ließ,
daß im deutschen Großen Hauptquartier die eigentlichen
Friedensfeinde zu suchen seien, so durfte er sich hierbei auf starke
Bundesgenossenschaft in allen Hof- und Diplomatenkreisen Wiens stützen.
Weniger Einfluß gewann er in der ungarischen Frage, in der ihm in dem
Grafen Hunyady, einem persönlichen Freunde des Kaisers, ein heftiger und
überaus maßgebender Gegner erwuchs; übrigens war auch die
Kaiserin lange Zeit hindurch der Anschauung, daß man an Ungarn, als dem
festergefügten Staate der Monarchie, nicht rühren solle.
Besonders große Bedeutung wurde in der Öffentlichkeit der Berufung
des Prinzen Konrad Hohenlohe zum Obersthofmeister zugeschrieben. Hohenlohe
hatte als ehemaliger Statthalter, Minister und Ministerpräsident eine
zeitweilig wohl stark kritisierte, aber doch bedeutsame Vergangenheit hinter sich.
Daß dieser Mann, wegen einer gewissen sozialen Ader der "rote Prinz"
genannt, nun oberster Chef aller Hofämter wurde, erklärte man sich
damit, daß ihn der Kaiser gleichzeitig zu seinem ersten politischen Berater
und Mentor ausersehen habe. Aber nichts davon trat ein. Erst unter dem
Nachfolger des Prinzen, dem schon erwähnten Grafen Hunyady, der im
Frühjahr 1918 an die Spitze der Hofhaltung trat, gelangte das
Obersthofmeisteramt wieder zu politischer Bedeutung. Hunyady war ein ehrlicher,
aufrechter Mann, der wohl die Gesamtheit der Probleme nicht in ihrem ganzen
Umfange übersah, aber sich durch Sachlichkeit und Offenheit nicht zu
unterschätzende Verdienste erwarb.
Schon acht Tage nach dem Regierungsantritt übernahm der Kaiser
persönlich den Oberbefehl über die
österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Der bisherige
Armeeoberkommandant Feldmarschall Erzherzog Friedrich wurde zunächst
als Stellvertreter des Monarchen bei der Feldarmee belassen, dann [323] aber, im Februar 1917,
zur Disposition gestellt; mit ihm schied ein Mann, der die Schranken, die ihm
gesetzt waren, nie überschritten, aber in den Grenzen seiner Stellung
überaus verdienstvoll gewirkt hat.
Der erste Besuch des neuen Kaisers im Teschner Hauptquartier fiel auf den 3.
Dezember 1916. Kaiser Karl benutzte den Anlaß, seinen kaiserlichen
Bundesgenossen im nahen Pleß aufzusuchen. Auch dort war der Eindruck,
den man vom jungen Herrscher des Habsburgerreiches empfing, der beste.
Die Übernahme des Armeeoberkommandos durch Kaiser Karl machte eine
Abänderung des Vertrages über die oberste Kriegsleitung
nötig. Es entsprach nicht dem Gedanken der
Fürstensouveränität, daß ein Kaiser dem anderen
militärisch unterstellt gewesen wäre. Wie in den ersten zwei
Kriegsjahren hatten nun auch jetzt wieder die beiden Generalstabschefs die
für die Kriegführung nötigen Vereinbarungen zu treffen.
Kamen sie zu keinem Ergebnis, so fielen die weiteren Verhandlungen den Kaisern
zu, von denen äußerstenfalls der deutsche als der ältere die
Entscheidung zu fällen berufen war.
Daß sich der Kaiser an die Spitze seines Heeres stellte, entsprach nicht
bloß den monarchischen Traditionen, sondern wurde auch dahin ausgelegt,
daß der Herrscher die unter Franz Josef doch schon allzuscharf voneinander
geschiedenen Zweige der staatlichen Verwaltung zum Vorteile der
Kriegführung mehr zusammenzufassen gedachte. Diesem Bestreben schien
auch die Verlegung des Hauptquartiers von Teschen nach Baden bei Wien zu
dienen, die trotz der Verwahrung des inzwischen zum Feldmarschall ernannten Freiherrn von Conrad
vorgenommen wurde. Die ob dieser Frage ausgebrochene
Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kaiser und seinem obersten
militärischen Berater bildete den Anfang einer Reihe von Verstimmungen,
die schließlich - genährt durch grundsätzliche
Differenzen in der Auffassung über die Herrscherpflichten und in der
Weltanschauung, sowie durch äußere
Einflüsse - Ende Februar 1917 zum Sturze Conrads führten.
Nicht ohne Mühe gelang es, den General zur Übernahme des
Oberbefehls in Tirol zu bewegen. Sein Nachfolger als Chef des Generalstabes
wurde General der Infanterie Arthur Arz v. Straußenburg, einer der
bewährtesten und auch von den Bundesgenossen meistgeschätzten
Truppenführer. Zugleich mit dem Wechsel in der obersten Leitung traten
auf Befehl des Kaisers in der Zusammensetzung des Armeeoberkommandos
Baden zahlreiche Änderungen ein, mit denen bis zu den niedersten
Dienstgraden durchgegriffen wurde. An Stelle des Feldmarschalleutnants Metzger
berief General Arz - gleichfalls auf kaiserlichen
Wunsch - den Obersten Alfred Freiherrn v. Waldstätten, den
besonderen militärischen Vertrauten des Herrschers, als Chef der
Operationsabteilung an seine Seite.
Unter den durch den Regierungswechsel sich ergebenden Fragen war die der
Krönung in Ungarn besonders wichtig. Diesem Akt kam bei der Eigenart
des magyarischen Gefühlslebens eine weit größere Bedeutung
als die eines [324] gewöhnlichen
Schaugepränges zu. Durch den Krönungseid verpflichtete sich der
König, die Unversehrtheit und die verfassungsmäßigen
Einrichtungen der Länder der Stephanskrone strengstens zu wahren und
gegen jedermann zu verteidigen. Damit war ihm, wenn er keinen Eidbruch
begehen wollte, jegliche Möglichkeit zu staatlichen Reformen benommen,
wie sie etwa eine trialistische Lösung des südslawischen Problems
oder eine Festigung der den beiden Staaten gemeinsamen Einrichtungen
notwendig bedingt hätte. Aus diesem Grunde bestand in den Jahren vor
dem Kriege im Kreise des damaligen Thronfolgers Franz Ferdinand der Plan, die
Krönung in Budapest so lange hinauszuschieben, bis ungarischerseits
gewisse, durch die Großmachtstellung der Monarchie bedingte Forderungen
erfüllt worden waren. Auch Kaiser Karl hatte bei seiner Thronbesteigung in
diesen schriftlich niedergelegten Plan Einsicht genommen und ein oder der andere
seiner Ratgeber legte ihm nahe, die Krönung mit der Stefanskrone doch
wenigstens aufzuschieben, bis der Widerspruch in den Auffassungen, die diesseits
und jenseits der Leitha über die Ausgleichgesetze von 1867 herrschten und
die Zusammenarbeit der beiden Staaten so unendlich erschwerten, behoben war.
Aber schon hatte sich die allgewaltige Gestalt Tiszas diesen Personen und
Ratschlägen entscheidend in den Weg gestellt. Wie er den König
für die ungesäumte Krönung zu gewinnen wußte, so
erkämpfte er für sich persönlich zur Stärkung seiner
Position als Ministerpräsident die Ehre, dem jungen Monarchen die
Stephanskrone aufs Haupt setzen zu dürfen. Vergeblich hatten sich seine
politischen Gegner in Ungarn bemüht, dem mächtigen Manne
wenigstens dadurch eine kleine Schlappe zuzufügen, daß sie den
Erzherzog Josef, den Nachkommen des letzten Palatins und
volkstümlichsten Habsburger, für dieses Ehrenamt vorschlugen.
Trotz des Krieges wurde am 30. Dezember 1916 in der Ofener Burg die
Krönung mit größtem Pomp so vollzogen, wie dies Tisza
vorgezeichnet hatte. Stephan Tisza, der Calviner und Abkömmling kleiner
Edelleute, setzte dem neuen König, der in Ungarn seines Namens der Vierte
wurde, in Gegenwart der Großen des Reiches und im Schatten der zehn
königlichen Fahnen Ungarns die Stephanskrone auf. Dabei geschah es
freilich, wie so oft in der Geschichte: In der politischen Laufbahn Tiszas war der
höchste Triumph zugleich der Beginn des Abstieges. Denn auch dem
strengkatholischen und legitimistisch denkenden König wäre es
lieber gewesen, wenn ihn statt des Protestanten ein Prinz seines Hauses
gekrönt hätte.....
Die Gesetze in Österreich sahen keine Krönung vor, sondern
bloß eine Vereidigung des neuen Herrschers auf die Verfassung. Wohl gab
es vaterländisch gesinnte Kreise, die auch in
Wien - schon als Gegengewicht gegenüber
Ungarn - diesen staatsrechtlichen Akt mit einer Krönungsfeier
verbinden wollten. Der Kaiser wäre zu verschiedenen Zeitpunkten sogar
geneigt gewesen, noch ein übriges zu tun und sich außerdem in Prag
krönen zu lassen. Vorläufig [325] freilich beherrschte ihn
der Gedanke, daß die Verwirklichung solcher Pläne erst den
Schlußstein eines ihm unvermeidlich scheinenden Werkes bilden durften,
einer Verfassungsänderung, die vor allem das böhmische Problem
lösen und ein halbwegs reibungsloses, parlamentarisches Leben
gewährleisten sollte. Unter dem Einflusse von Ratgebern aus der Schule
Franz Ferdinands war - wenigstens damals
noch - der junge Monarch durchaus geneigt, die eben erwähnten
Vorbedingungen, die sich im Wesen mit den Wünschen der deutschen und
polnisch-galizischen Politiker deckten, auf dem Wege eines Oktroys zu
erzwingen. Es handelte sich nun darum, den geeigneten Staatsmann hierfür
zu finden. Körber war es nicht. Er hatte den Kaiser im Gegenteil
zwölf Stunden nach der Thronbesteigung zur Unterzeichnung eines
Handschreibens bewogen, das von der Pflicht des Gelöbnisses auf die
Verfassung sprach.6 War schon dadurch das Verbleiben
Körbers in Frage gestellt, so gab - neben verschiedenen
persönlichen Gründen - der eben in Verhandlung stehende
"Ausgleich" zwischen Österreich und Ungarn den letzten Anstoß, den
Ministerpräsidenten zum Abschied zu veranlassen. Nach den
"Ausgleichsgesetzen" von 1867 waren zwischen den beiden Staaten der
Monarchie gewisse wirtschaftliche, handelspolitische und finanzielle
Abmachungen alle zehn Jahre neu zu regeln. Nunmehr sollte im neuen
"Ausgleich" diese Frist auf 20 Jahre ausgedehnt werden, und zwar ebenso
auf Wunsch der österreichischen Industrie, wie namentlich im Hinblick auf
geplante wirtschaftliche Verträge mit Deutschland, denen gleichfalls eine
Dauer von 20 Jahren zugedacht war. Es war von Anbeginn klar, daß
sich Ungarn dieses Entgegenkommen nicht billig werde abkaufen lassen. Die
Forderungen, die Budapest stellte, waren in der Tat gewaltig und wurden von
Tisza und seinem Handelsminister Teleszky nachdrücklich vertreten.
Österreichischerseits hatte die Hauptlast der Verhandlungen auf den
Schultern des Ministerpräsidenten Stürgkh und des Handelsministers
Alexander v. Spitzmüller gelegen. Es war ihnen in mitunter recht
dramatisch verlaufenden Besprechungen wohl gelungen, eine Reihe von
hochgeschraubten ungarischen Forderungen stark herabzudrücken; doch
blieb in dem Vertragsentwurfe, der beim Tode Stürgkhs vorgelegen hatte,
noch manche, für Österreich nicht allzu leicht wiegende Klausel
übrig.
Körber war - als "gemeinsamer" Finanzminister - über jede einzelne
Phase der Verhandlungen genau unterrichtet worden und hatte in allen
wesentlichen Fragen der Haltung der österreichischen Staatsmänner
beigestimmt. Als er nun selbst österreichischer Regierungschef wurde,
schienen ihm aber Bedenken gegen das bisher geschaffene Ausgleichswerk
gekommen zu sein, die er denn auch durch die ihm ergebene Presse
verkünden ließ. Wer in dem Wider- [326] streit
Tisza - Körber angesichts der damals noch unangreifbaren
Stellung des ungarischen Premiers auf der Strecke bleiben werde, war von
Anbeginn klar. Am 13. Dezember demissionierte das Ministerium Körber
nach kaum sechswöchentlichem Bestande und Handelsminister
Dr. Alexander v. Spitzmüller wurde beauftragt, ein
provisorisches Kabinett zu bilden, das vor allem den Ausgleich mit Ungarn unter
Dach und Fach zu bringen gehabt hätte. Die Kabinettsbildung ging ziemlich
glatt vonstatten, als Graf Ottokar Czernin aus der Versenkung auftauchte, um
mitzuteilen, daß er mit der Bildung des Kabinetts betraut sei. Aber schon
nach 24 Stunden änderte sich das Bild aufs neue. Czernin wurde nicht
österreichischer Ministerpräsident, sondern trat am 22. Dezember
1916 an die Spitze des Auswärtigen Amtes. In Österreich aber
übernahm, da Spitzmüller angesichts des Wechselspiels der letzten
Tage eine Fortsetzung seiner Regierungsbildung ablehnte, Graf
Clam-Martinic das Kabinett, der - ebenso wie besonders Czernin und
übrigens auch Spitzmüller - zu den Vertrauten des Erzherzogs
Franz Ferdinand gehört hatte. Das Kabinett Clam, in das
Dr. v. Spitzmüller als Finanzminister eintrat, sollte den
Ausgleich zum Abschluß bringen
und - zunächst durch ein Oktroy - die für die
Einberufung des Parlaments nötigen Voraussetzungen schaffen. Der neue
Premier, ein Mann von hoher Bildung und größter Lauterkeit, war
seiner Abkunft nach ein Tscheche, hatte aber im Kriege, in welchem er
längere Zeit als Kompagnieführer
deutsch-österreichische Mannschaften befehligte, dem Ideenkreis des
tschechischen Feudaladels den Rücken gekehrt und bekannte sich nunmehr
zu einem Großösterreichertum deutscher Färbung. Leider war
es ihm nicht vergönnt, die außerordentlich schwierige Lage, die er
vorfand, irgendwie zu meistern.
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