Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Luftkrieg (Forts.)
Major Hans Arndt
9. Waffenstillstand und Auflösung der
Luftstreitkräfte.
Das Diktat besiegelte im Walde von Compiègne des Heeres und des
Reiches Schicksal.
Der Masse ließ der Feind die Waffen. Aber als er neben anderen harten
Bedingungen die Auslieferung von 2000 Jagd- und Bombenflugzeugen verlangte,
nahm er den deutschen Armeen die Möglichkeit eines letzten
Verzweiflungskampfes. Diese Forderung bedeutete die völlige Einstellung
des Luftkrieges. Zwei seiner Hauptträger, Jagdstaffeln und
Bombengeschwader, wurden damit waffenlos, darüber hinaus sogar ein
Teil der Schlachtstaffeln und Fliegerverbände, denn die 80 vorhandenen
Jagd- und 30 Bombenstaffeln verfügten selbst bei vollem Etat von 14 und 6
Einheiten nur über 1300 Flugzeuge.
Ein doppelter Sinn liegt in dieser Bedingung: Blitzartig wird die
ausschlaggebende Bedeutung des Luftkrieges beleuchtet. Millionen von
Kämpfern auf der Erde maß der Feind weniger Wert bei als einigen
tausend Streitern in der Luft. Die daraus zu ziehende Folgerung, deren Anfang in
den überwältigenden feindlichen Luftrüstungen zu erkennen
war, fand ihren klar durchdachten Abschluß, als mit der Unterbindung des
deutschen Luftkrieges die Wiederaufnahme des Erdkampfes unmöglich
gemacht wurde.
Gleichzeitig drückt sich in der Forderung die größte
Anerkennung für die deutschen Luftstreitkräfte durch den Gegner
aus, als er die deutschen Fliegerkräfte rein zahlenmäßig so
überschätzte. Welche Massen von
Jagd- und Bombenkräften glaubte der Feind wohl sich gegenüber
gehabt zu haben? Selbst als nach langwierigen Verhandlungen die Zahl 2000 auf
1700 herabgesetzt wurde, reichten die an der Front und in den Parks befindlichen
und selbst die in der Heimat versandbereiten Flugzeuge der geforderten Art nicht
aus, die Forderung zu decken. An Stelle der fehlenden
Jagd- und Nachtbombenflugzeuge - in erster Linie waren
Fokker D VII und Großflugzeuge
verlangt - wurden dann die leichten Kampfflugzeuge der Schlachtstaffeln
gefordert, die zum zweiten Hauptträger des Luftkrieges geworden
waren.
Die Auslieferung sollte auf zentral gelegenen Flughäfen innerhalb der
Heeresgruppen durch besondere Übergabekommandos erfolgen. Nur
Bruchteile der geforderten 1700 Flugzeuge kamen zunächst zusammen.
Durch Eigenmächtigkeiten einzelner Staffelführer und Besatzungen
verzögerte sich die Restlieferung sogar bis Weihnachten. Mit dem
Ausbruch der Revolution nahm die bereits begonnene Zersetzung der
Verbände erschreckende Formen an. Gewiß haben sich auch bei den
Luftstreitkräften einige Soldatenräte Mühe gegeben, in
Zusammenarbeit mit ihren Offizieren der Meuterei, dem Raub und der
Verschleuderung des bei der Fliegertruppe besonders wertvollen Heeresgutes
Einhalt zu tun. Es waren aber nur Ausnahmen.
Eine Erklärung für diese teilweise Zersetzung einer Truppe, die sich
bisher [649] einwandfrei geschlagen
hatte, ist notwendig. Nur die Flugzeugbesatzungen und die an der Front
eingesetzten Funker und Luftschutzposten können bei den
Fliegerverbänden als "Kampftruppe" bezeichnet werden. Der Rest lag
außerhalb des Feuerbereichs im schweren Arbeitsdienst. Wenn Kampf und
gemeinsame Not Führer und Mann nicht zusammenschweißen,
lockert sich die an und für sich schon nicht straffe Disziplin solcher nur mit
rein technischem Arbeitsdienst beschäftigten Verbände. Vielfach
waren zudem, namentlich bei den neuaufgestellten Jagdstaffeln, jugendliche
Führer ihrer Dienststellung nicht gewachsen. Wohl führten sie unter
vollem Einsatz ihrer Person ihre Staffel in der Luft geschlossen zum Kampf und
Sieg - aber der innere Dienst litt. Das sei ihnen kein Vorwurf. Er trifft die
Organisation. Am schlimmsten sah es bei den Parks aus, die stark im Leben der
Etappe aufgegangen waren und zumeist den zersetzenden Einflüssen der
Revolution schnell erlagen. Auch in der Personalfrage sind gewisse
Mißgriffe wohl unvermeidlich gewesen.
Diese Aufdeckung einzelner Mängel - und selbst das Versagen ganzer
Verbände nach Ausbruch der Revolution - kann das Gesamturteil
über die Kriegsleistungen der Fliegertruppe nicht mindern.
Günstiger lagen die Verhältnisse bei den
Luftschiffer- und Flugabwehrformationen der Front. Hier hatte die stete
Kampfbereitschaft die Disziplin fester aufrechterhalten. Nur in der Etappe und im
Heimatluftschutz rissen ähnliche Erscheinungen alle Ordnung um. Bei den
vielen kleinen, weit zerstreuten Verbänden ging naturgemäß
die Zersetzung besonders schnell vor sich. Vielfach verließ das Personal
ohne Erlaubnis seinen Posten.
Für die Rückführung der
Luftschiffer-Verbände waren im allgemeinen ausreichende
Maßnahmen getroffen. Sie marschierten, nach Abschub ihres
überflüssigen Geräts an die Heimatstellen innerhalb ihrer
Divisionen, nach bestimmten Versammlungsräumen östlich des
Rheines, von wo aus Abtransport mit Bahn oder Fußmarsch zum
Entlassungsort einsetzte. Ihre Demobilmachung vollzog sich
verhältnismäßig glatt. Bei den Ersatzabteilungen erledigten
Demobilmachungskommandos nach festgelegten Weisungen die Entlassung,
soweit sie nicht schon während des Rückmarsches erfolgt war.
Schwieriger lagen die Verhältnisse bei der Fliegertruppe. Einige Horste
lagen im besetzten oder abzutretenden Gebiet. Sie fielen für die
Demobilmachung aus; die notwendige Änderung in der Verteilung der
Demobilmachungsorte wurde nicht mehr rechtzeitig bekannt. Eine
Überlastung einzelner Horste war die Folge und gefährdete bei dem
allgemeinen Zustand der Zersetzung die ordnungsgemäße
Demobilisierung. Da eine Verladung der Restbestände nicht möglich
war, mußten die Flugzeuge nach bestimmten Sammelhäfen der
Heimat geflogen werden. Infolgedessen war der überwiegende Teil des
fliegenden Personals den Verbänden auf ihrem Rückmarsch
entzogen. So lockerte sich bei dem Fehlen von Offizieren die Disziplin
erschreckend schnell. Vorzeitige Entlassungen der [650] Mannschaften durch
Soldatenräte ließen die Abteilungen schnell zusammenschmelzen.
Der Drang nach Hause tat ein übriges, Desertionen waren vielfach die
traurige Folge. Ungeheure Werte an Gerät gingen verloren. Nur vereinzelt
gelang geschlossenen Verbänden eine sorgsame Demobilmachung.
Am meisten hatten die Flugabwehrformationen zu leiden, da für sie eine
planmäßige Auflösung nicht vorbereitet worden war. Die
vorhandenen drei Ersatzabteilungen waren nicht in der Lage, die Masse des
Geräts von Flak- und Scheinwerferformationen und Flugwachen
aufzunehmen. Andere Sammelbecken fehlten, da bei dem Streit über die
Zugehörigkeit der Flakformationen zur Artillerie oder den
Luftstreitkräften bis zum Kriegsende beim K. M. keine Entscheidung
über ihre Friedensorganisation erzielt wurde. Die Überweisung an
andere Ersatztruppenteile konnte frühere Versäumnisse nicht mehr
ausgleichen. Überdies trafen diese Anordnungen nur vereinzelt bei den
Behörden und Formationen ein. Doch glückte auch hier
tatkräftigen Kommandeuren und Batterieführern die
ordnungsmäßige Rückführung und
Demobilmachung.
In Berlin hatte die Regierung den unter Vorsitz des Inspekteurs (der damit einem
völligen Chaos Einhalt gebot) bei der Inspektion sich bildenden Soldatenrat
mit der "Umgestaltung der bisher in den Dienst des Krieges gestellten
Organisation des Flugwesens" in eine Friedensgliederung unter dem Namen:
"Deutsches Luftamt" beauftragt. Der bisherige Kommandierende General der
Luftstreitkräfte war beim Eintreffen in die Heimat also ausgeschaltet. Seine
Dienststelle wurde überdies schon Mitte Januar aufgelöst. Die Horste
der Provinzen, deren Mehrzahl unter Ausschaltung der Offiziere von meist
gewissenlosen Soldatenräten geleitet wurden, kümmerten sich wenig
um das, was an Anordnungen aus Berlin kam. Von einer
ordnungsmäßigen Abwicklung der Geschäfte kann daher kaum
noch gesprochen werden. Das Revolutionsgewinnler- und Schiebertum fand in
den Riesenbeständen von unermeßlichem Wert bald willkommene
Beute.
Die Artikel 198 und 202 des Versailler
Vertrages schrieben vor: "Die bewaffnete
Macht Deutschlands darf keine Land- oder Marineluftstreitkräfte
unterhalten." - Und
"Alsbald nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages ist das ganze
militärische und maritime Luftfahrzeugmaterial den Regierungen der
alliierten und assoziierten Mächte auszuliefern."
Wohl behielt Deutschland eine kleine Reichswehr. Aber seine gesamten
Luftstreitkräfte vernichtete man restlos. - Denn das wußte der
Feind, daß der Zukunftskrieg in der Luft entschieden wird. Eins hatte der
Weltkrieg schon erwiesen. Der Unterschied zwischen Kriegszone und Heimat ist
im Zeitalter des Luftkrieges geschwunden.
Was an den Grenzen und günstigenfalls im Feindesland sich abspielt, wird
[651] später
Nebenhandlung. Der Krieg von morgen trifft das Herz der Länder. Das
gesamte Volk - das Innere des Landes mit seinen Kraftquellen, nicht mehr
Heere und Grenzen - sind sein Ziel. Gegen diese Kraftzentren richten sich
in Zukunft die Luftangriffe. Sie werden zerstört mit oder gar vor dem Tage
einer Kriegserklärung. Und der Krieg ist
entschieden - ehe Heer oder Flotte um den Sieg zu ringen beginnen.
Der einst so stolze Bau der deutschen Luftstreitkräfte ist
zertrümmert. Zerbrochen liegt die deutsche Luftwaffe am Boden. Die
Erinnerung bleibt. - Sie zeugt ein Gefühl tiefer Ehrfurcht.
Erschüttert beugt sich vor den Verlusten, die ihre Siege forderten, das
Haupt. Übermenschliches ist geleistet
worden - draußen und drinnen.
Die Kraft hierzu gab ein erhabener Geist, der in den Gestalten eines Boelcke,
Eschwege und Richthofen
Verewigung fand. Hoffnungsvoll beseelte sie alle der
Glaube an den Kampf um eine heilige Sache. Und noch als alles gegen Ende
wankte, standen sie bis zum letzten Kampfestag pflichttreu gegen eine
ständig steigende Übermacht des Feindes, indes ihre eigene Kraft
schwand.
Entschied ein Schicksal im Endkampf auch gegen sie - ihr Heldentum bleibt
unvergänglich!
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