Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
13. Die englische Offensive in Mesopotamien und
der Verlust von Bagdad.
Nach dem Falle von Kut-el-Amara war die bisherige englische
Entsatzarmee - ihre Stärke an Infanterie wurde von den Türken auf
etwa 20 000 Gewehre veranschlagt - bei Fellahieh verblieben und
hatte ihre Stellungen erweitert und ausgebaut.
Am unteren Euphrat bei Nassirie standen sich schwächere türkische
und englische Truppen gegenüber. Die Türken unter Halil Pascha
hatten nach dem Falle von Kut auf einen sofortigen Angriff gegen die
Entsatztruppen verzichtet, welcher die Engländer wohl bis Gurna
zurückdrücken konnte, wenn sie ihn überhaupt angenommen
hätten.
Der nach dem Tode des Generalfeldmarschalls
Freiherrn v. der Goltz zu Halil
Pascha übergetretene deutsche Generalstabschef Oberst v. Gleich
hatte den Angriff - beginnend mit der Bedrohung der englischen linken
Flanke - angeregt. Dazu sollten die türkische 45. Division, welche
durch den Fall von Kut freigeworden war, und erforderlichenfalls die im
Anmarsch befindliche 6. Division mitwirken.
Das Vorgehen hatte aber noch nicht begonnen, als am 4. Mai vom
Armee-Oberkommando Persien - Befehlshaber Oberst Bopp, Chef des
Stabes Hauptmann v. Loeben - die Nachricht einging, daß die
Russen, von Kermanschah kommend, die
persisch-türkischen Truppen zur Aufgabe des Paitakpasses und zum
Zurückgehen gezwungen hatten.
Soweit Nachrichten aus russischen Quellen zur Verfügung stehen, handelte
es sich um die russische Kavallerie-Division Prinz Bjeloselski mit einigen
Bataillonen. [461] Man konnte sie wohl
nur als den äußersten Flügel der Flankensicherungen der
russischen Kaukasusarmee ansprechen, zumal sich die Gefechtsstärke der
russischen Truppen in Nordpersien von Nord nach Süd offenkundig
abschwächte. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, daß
von russischer Seite nichts geschehen war, um den Engländern beim
Entsatz des General Townshend zu helfen.
Die türkische Oberste Heeresleitung entschloß sich nun, zur Abwehr
dieser Gefahr starke Kräfte nach Osten zu schicken. Sie beraubte sich
hierdurch allerdings der Mittel zum Vormarsch gegen die Engländer. Es
wäre wohl richtiger gewesen nach Beseitigung der russischen Gefahr,
mochte man sie nun einschätzen, wie man wollte, alle irgend
verfügbaren Kräfte gegen die Truppen des Sir Gorringe einzusetzen.
Es geschah aber nichts Ernstliches gegen diese; dagegen wuchs sich die Abwehr
der vermeintlichen russischen Flankenbedrohung zu dem persischen Feldzuge aus,
welcher das verstärkte türkische XIII. Armeekorps nach Persien
hinein bis über Hamadan führte und bis zum Februar 1917 dort
fesselte.
Zur abschließenden Beurteilung des politischen Nutzens des
türkischen Einmarsches nach Persien sei schon hier erwähnt,
daß die persische Regierung im Sommer 1917 an die Regierung in
Konstantinopel die Forderung stellte, daß Persien als neutrales Land ganz
von türkischen Truppen geräumt werde, ebenso wie sie dies
gleichzeitig von England und Rußland verlangte.
Im Dezember 1916 wurde es an der Tigrisfront
Kut-el-Amara - Fellahieh lebhafter, wo drei türkische
Divisionen den inzwischen wesentlich verstärkten Engländern
gegenüber lagen. Die Tigrisbahn - zum Teil
Feldbahn - war in den dazwischen liegenden Monaten von den
Engländern von Basra bis dicht an die Front vorgeführt worden.
Auf türkischer Seite waren nur einige wenige Truppenteile, so das
Depotregiment 17 unter Major v. Nathusius, zur Unterstützung in
Kut eingetroffen. Die Entsendung des XIII. Armeekorps nach Persien sollte sich
bald als nachteilig fühlbar machen. Zwar meldeten zu dieser Zeit und
ebenso im Januar und Februar 1917 die türkischen Heeresberichte noch von
kleinen Gefechten der Kavallerie des XIII. Armeekorps oder gemischten
Detachements in Umgegend von Hamadan, mehrfach auch in Richtung von
Sultanabad, also von Erfolgen in Persien. Zu dieser Zeit war die Not vor Bagdad
bereits drängend geworden.
Zu Beginn des Januar wurden die Kämpfe südlich von
Kut-el-Amara, besonders auch beiderseits des bei Kut in den Tigris
mündenden Gharraff, heftiger. Nächtliche Angriffe wechselten mit
scharfen Artilleriekämpfen. Wenn auch die Türken manche
Abwehrerfolge zu verzeichnen hatten, so machte sich doch die große
englische Überlegenheit allmählich geltend. Mehrere indische
Divisionen, sowie die 13. und 14. englische Division und starke Kavallerie
wurden als Angreifer beobachtet. Die Türken wurden von Stellung zu
Stellung zurückgedrückt.
Mitte Februar mußte das westliche Tigrisufer gänzlich von den
Türken geräumt werden. Dort lag aber nicht die entscheidende
Gefährdung, da hier große [462] Sumpfstrecken das
Vorgehen in breiter Front für die Engländer unmöglich
machten.
Den Kämpfen bei Kut folgten heftige Angriffe weiter östlich gegen
die türkische Fellahiehstellung; auch hier hatten die Engländer
Erfolge.
Während deren Vorgehen in den ersten Wochen der Operationen sehr
systematisch und mit großer Vorsicht erfolgt war, wurde das Tempo
wesentlich lebhafter, nachdem es ihnen am 23. Februar gelungen war, am
Schumran-Flußknie, etwa 20 Kilometer nordwestlich von Kut,
Truppen vom westlichen auf das östliche Tigrisufer zu führen und
dort eine Brücke zu schlagen. Die Bedrohung der türkischen rechten
Flanke war dadurch so schwer geworden, daß die Türken in der
Nacht zum 24. Februar auch die letzte
Fellahieh-Stellung räumten.
Am 25. Februar waren sämtliche türkische Truppen bei
Tawil - 65 Kilometer stromaufwärts von
Kut - vereinigt worden; am 26. mußten sie bis Azizie, am 28. nach
Selman Pak zurückgehen, wo vor mehr wie einem Jahre Bagdad durch die
Schlacht von Ktesiphon gerettet worden war.
Am 25. Februar war endlich der Anfang des türkischen XIII. Armeekorps
aus der Gegend von Hamadan abmarschiert, um bei Bagdad zu helfen. Am 1.
März konnten seine Nachtruppen folgen. Der Marsch wurde mehrfach von
russischer Kavallerie aufgehalten und
belästigt. - Die südlich Bagdad stehenden Divisionen hatten
nach neuen Kämpfen von Selman Pak in die Dialahstellung
zurückgenommen werden müssen. Der Dialah, einer der
größten Nebenflüsse des Tigris, mündete etwa
15 Kilometer südlich von Bagdad in den Tigris.
In der Nacht zum 9. März erzwangen die Engländer den
Übergang auf das nördliche Dialahufer. Nach heftigen
Kämpfen mußten die Türken in der Nacht vom 10./11.
März auch hier zurückgehen, und somit Bagdad dem Feinde
preisgeben! Sie gingen auf beiden Tigrisufern nach Norden
zurück.
Der Anfang des XIII. Armeekorps erreichte erst vier Tage nach dem Fall von
Bagdad Hanikin und war dort noch über 140 Kilometer Luftlinie von
Bagdad entfernt. Ihm wurde nunmehr die Richtung auf Kysylrobat am oberen
Dialah gegeben, so daß fortab zwei größere getrennte
Kampfgruppen der zurückweichenden türkischen Armee bestanden,
die auch im weiteren Verlauf der Ereignisse aufrechterhalten wurden.
Die Engländer folgten vorläufig meist mit Kavallerie, ohne zu
drängen, in Richtung flußaufwärts; dann detachierten sie auch
den Dialah aufwärts. Da russische Kavallerie in Fühlung mit dem
XIII. Armeekorps geblieben war, wurde hier vorübergehend eine
Gefechtsfühlung zwischen englischer und russischer Kavallerie
hergestellt.
Das Oberkommando der 6. türkischen Armee befand sich Mitte März
in Kifri hinter der östlichen Gruppe.
Das türkische Euphrat-Detachement, welches sich gleichfalls hatte
zurückziehen müssen, marschierte auf Hit am Euphrat. Das XVIII.
türkische Korps am Tigris [463] ging unter
Kämpfen bei Monschahede und Sindie auf Istabulat, südlich von
Samarra, zurück. Samarra, 120 km nördlich Bagdad, war der
Endpunkt der von Bagdad nach Norden in der Trasse der Bagdadbahn gebauten
und in Betrieb befindlichen Feldbahnstrecke. Sechs Wochen nach dem Falle von
Bagdad, am 22. April, mußte das XVIII. Armeekorps auch Samarra
aufgeben.
Zur gleichen Zeit fanden lebhafte Kämpfe des XIII. Armeekorps mit
wechselndem Erfolge bei Deli Abbas am oberen Dialah statt. Schließlich
ging dieses türkische Korps in die Gegend nördlich Deli Abbas
zurück.
Die Engländer gewannen ganz allmählich immer weiter nach Norden
Boden. Ihre Maßnahmen galten zunächst aber nur der Sicherung des
Besitzes von Bagdad. Die Absichten der Türken gingen anderseits darauf
hinaus, sich die operativen Möglichkeiten offen zu halten, um Bagdad
wieder zu gewinnen.
Im Herbst 1917 erlitt das verstärkte Euphrat-Detachement, das seit Ende
März bei Ramadi, etwa 100 Kilometer westlich von Bagdad, stand,
eine empfindliche Niederlage. Es wurde angegriffen und zum
größeren Teile gefangen genommen. Dieser Erfolg bot den
Engländern die Möglichkeit, sich durch Versumpfung der Senke
zwischen Ramadi und Kerbela gegen eine von Westen kommende Bedrohung von
Bagdad zu sichern.
Am 3. November 1917 - also fast gleichzeitig mit der 3.
Gaza-Schlacht - wurde das XIII. Armeekorps von den Engländern durch
Frontalangriff und Umgehung zum Rückzug aus der Dialahstellung bei
Kysylrobat gezwungen.
Am 6. November wurde Tekrit am oberen Tigris - 50 Kilometer nördlich
von Samarra gelegen - von den Engländern besetzt und damit auch
das türkische XVIII. Armeekorps unter Dschafer Tajer zum weiteren
Zurückweichen genötigt.
Die Engländer hatten als Ergebnis ihrer Offensive in Mesopotamien im
Jahre 1917 eine Raumstrecke von über 320 Kilometer Tiefe am
Tigris gewonnen.
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