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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

12. Der Beginn der englischen Offensive gegen Palästina.

Bei der englischen Offensive gegen Palästina sind vier Abschnitte zu unterscheiden, deren Erläuterung erst eine Übersicht über die Durchführung dieser von [457] den Engländern unter Einsatz ungeheurer Mittel in etwa zwei Jahren zum Abschluß gebrachten Operationen ermöglicht.

Der erste Abschnitt umfaßt die Überwindung der Wüste El Tih und die Kämpfe an der Grenze von Palästina und der Sinai-Halbinsel. In seinem Mittelpunkt liegen die beiden für die Türken erfolgreichen Gaza-Schlachten im Frühjahr 1917, denen ein ungefähr halbjähriger Stillstand des Vorgehens folgt.

Der zweite Abschnitt umfaßt die mit der dritten Gaza-Schlacht im Spätherbst 1917 beginnende Eroberung von Südpalästina, der die Einnahme Jerusalems, Jaffas und das im Februar 1918 beginnende Vordringen über Jericho hinaus folgte.

Der dritte Abschnitt zeigt die über sechs Monate dauernden Stellungskämpfe an der Grenze von Süd- und Nordpalästina, die dem englischen Vormarsch einen mehr wie halbjährigen Halt, von März bis Mitte September 1918, geboten.

Der vierte und letzte Abschnitt beginnt mit dem Durchbrechen der türkischen Küstenfront am 19. September 1918, dem der Rückzug der türkischen Armee aus Nordpalästina und der Verlust des größten Teiles von Syrien folgt. Er schließt mit den Kämpfen bei Aleppo im letzten Drittel des Oktober 1918, die mit wechselndem Erfolge geführt wurden, bis der am 31. Oktober abgeschlossene Waffenstillstand der Türkei mit der Entente die Feindseligkeiten beendete.

Die große Entfernung dieses Kriegsschauplatzes von Deutschland, dessen Aufmerksamkeit durch die dringenden, näherliegenden Ereignisse beansprucht wurde, hat es möglich gemacht, daß über diesen an tapferen Taten reichen Feldzug sehr viele unzutreffende Nachrichten in Deutschland verbreitet werden konnten. Nicht ohne Einfluß war wohl auch, daß ungefähr die zehnfache Anzahl Deutscher auf den türkischen Etappen gegenüber der in der Front stehenden Zahl verwendet wurde, und erstere nur wenig Genaues über die an der Front stattfindenden Kämpfe nach der Heimat berichten konnten.

Nach Beginn des Jahres 1917 waren die türkischen Truppen, von denen ein Detachement noch am 6. Januar einen sehr verderblichen Mißerfolg bei Tell Rifah - Chan Junis erlitten hatte, zuerst an die Grenze und später in die allgemeine Linie von Gaza - Birseba zurückgenommen worden.

Gaza, zusammen mit der durch Trümmer bezeichneten Hafenvorstadt Maimas - der Schiffsverkehr vollzieht sich auf offener Reede -, ist eine der größten Städte Palästinas mit ungefähr 40 000 Einwohnern. Die Stadt besteht aus der oberen Stadt, der ehemaligen Festung auf dem Hügel, und der unteren Stadt, deren Vorbauten sich nach Süden und Osten in die Ebene ausdehnen. Die Gärten werden vielfach durch meterhohe dicke Kakteenhecken abgeschlossen, welche für die Verteidigung eine wertvolle Unterstützung boten.

Von Gaza führt nach Norden in ungefährer Richtung der Meeresküste die etwa 70 km lange Straße nach Jaffa, während ein nach Südosten führender Weg Gaza mit dem etwa 40 km entfernten Birseba verbindet. Halbwegs zwischen beiden Orten ist Tell Scheria gelegen. Birseba war zugleich die Ausfallspforte für [458] einen etwa aus der Verteidigungsstellung beabsichtigten türkischen Angriff. Von Birseba führt in ungefähr nördlicher Richtung die Straße über Hebron nach Jerusalem.

Ausladen türkischer Truppen auf den Endstationen zur Palästinafront.
Ausladen türkischer Truppen auf den Endstationen
zur Palästinafront.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 520.

Türkische Kavallerie auf dem Marsch zur Front.
Palästina. Türkische Kavallerie auf dem
Marsch zur Front.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 523.
Eine englische Offensive gegen Südpalästina mußte mit der Fortnahme von Gaza und Birseba beginnen. Im März und April 1917 richteten sich die englischen Angriffe gegen Gaza. Im März standen die türkischen Truppen unter Befehl des Oberst Freiherrn v. Kreß in der Linie Gaza - Birseba in mehreren Gruppen.

Die Stellungen waren unter Leitung des Majors Effnert verstärkt worden, soweit es die unzulänglichen türkischen Mittel erlaubten. Die türkischen Streitkräfte bestanden (außer den zugeteilten deutschen und österreichischen Formationen) aus der 3., 16., 53. Division und der 3. Kavallerie-Division. Letztere zählte zuerst nur zwei schwache Kavallerie-Regimenter, die Eskadron im Durchschnitt 50 Lanzen; später trat das durch Rittmeister v. Leyser formierte Maultier-Regiment hinzu.

Die englischen Truppen, von denen starke Teile mit Kolonnen schon vorher bei El Arisch versammelt waren, verstärkten sich bis in den März hinein und schoben sich allmählich immer näher an Gaza heran. Vom 8. März ab massierten sie sich auf Chan Junis. General Sir Murray führte auf englischer Seite den Oberbefehl.

Es muß erwähnt werden, daß im gesamten Palästina-Feldzug die türkische Aufklärung durch die Überlegenheit der englischen Luftstreitkräfte überaus erschwert wurde. Alle Tapferkeit der wenigen deutschen Flieger konnte die weitaus größere Zahl der englischen, mit ihren an Schnelligkeit überlegenen Maschinen nicht ausgleichen.

Zudem war der Ersatz der deutschen Flugzeuge, welche aus Deutschland fast 4000 km auf dem Landwege zurücklegen mußten, ehe sie der Fliegertruppe an der Palästina-Front in Benutzung gegeben werden konnten, ein überaus schwieriger und zeitraubender.

Am 26. und 27. März erfolgte der englische Angriff auf Gaza. Nach türkischen Nachrichten waren die englische 53. Division, starke Teile der 54. Division, eine australische berittene Division, wohl Teile der Imperial Mounted Division, und das Kamelreiterkorps beteiligt.

Nachdem am ersten Kampftage Gaza mit seiner Besatzung von den Engländern völlig eingeschlossen war, kamen am Morgen des 27. die sofort von Oberst Freiherrn v. Kreß zur Unterstützung befohlenen Nachbargruppen nach mancherlei Hemmnissen endlich heran. Nach hartnäckigen Kämpfen wurden die Engländer zum vollständigen Rückzuge gezwungen. Die Besatzung von Gaza unter Major Tiller hatte sich in tapferer Gegenwehr bis zuletzt im Südteil von Gaza gehalten. Oberst v. Kreß hatte einen vollen Erfolg zu verzeichnen, der von größtem Wert für die taktische Lage wie für die Stimmung der Truppen war.

[459] Die Verluste der Türken an Toten und Vermißten betrugen 33 Offiziere, 1694 Mann, die der Österreicher 7 Offiziere, darunter der bei seiner Artillerie gefallene tapfere Hauptmann v. Truszkowski, und die der Deutschen 1 Offizier, 6 Mann. Die Verluste der angreifenden Engländer waren sehr hohe gewesen.

Oberst Freiherr v. Kreß plante einen Angriff auf die Engländer, welche sich auf das Westufer des Wadi Gaza zurückgezogen und gegenüber den türkischen Stellungen eingegraben hatten. Die Gruppe Gaza sollte den Gegner von Norden, die Gruppe Tell Scheria von Osten, die Gruppe Birseba von Südosten und Süden angreifen.

Inzwischen war auch der Bau der türkischen Stellungen auf der Front Gaza - Tell Scheria fortlaufend weitergeführt worden, um erforderlichenfalls dem erwarteten Angriff des weiter verstärkten Feindes erfolgreich begegnen zu können. Er setzte ein, bevor Oberst Freiherr v. Kreß den Angriff hatte beginnen können.

Am 19. April, 5 Uhr früh, begann der zweite große englische Angriff mit heftigem Artilleriefeuer, das sich schon am 17. und 18. erheblich gesteigert hatte. Feindliche Schiffe beschossen zugleich Gaza mit zum Teil schweren Kalibern.

In der zweiten Gazaschlacht führten die Engländer immer wiederholte, heftige, von Panzerwagen unterstützte Infanterieangriffe gegen die 3. Division bei Gaza und besonders gegen die 53. Division zwischen Gaza und Tell Scheria. Sie versuchten beide Flanken der 53. Division nacheinander einzudrücken und verwendeten gegen deren linken Flügel auch starke Kavallerie.

Trotz rücksichtslosen Einsatzes der Truppen und großer Opfer scheiterten alle Versuche, die türkische Front zu durchbrechen. Der Feind mußte am Abend seine gelichteten Divisionen in ihre alte Stellungen zurücknehmen. Es waren auf englischer Seite die 52., 53., 54. Division und die australische Kavallerie-Division mit Sicherheit festgestellt worden.

Die Verluste des siegreichen Kampftages betrugen für die Türken 391 Tote, darunter 9 Offiziere, 1336 Verwundete, davon 34 Offiziere, und 242 Vermißte.

Ein für den 20. April durch Oberst Freiherrn v. Kreß beabsichtigter Gegenangriff gegen die englische rechte Flanke wurde unmöglich, als Mittags ein Telegramm des Oberbefehlshabers Djemal Pascha eintraf, das ausdrücklich jede Angriffsbewegung verbot. —

Nach Eintreffen der 7. und 54. türkischen Division war die Gruppierung der türkischen Truppen Anfang Mai:

  • In Gaza 3. und 53. Division;
  • zwischen Gaza und Scheria 54. Division;
  • in Tell Scheria 16. Division;
  • in Birseba 3. Kavallerie-Division und ein Infanterie-Regiment der 7. Division;
  • der Rest der 7. Division war bei Dschemame im Aufmarsch begriffen.

[460] Die Stärke der türkischen Divisionen betrug damals noch 50 bis 60 v. H. des Sollbestandes. Die Ernährungsfrage blieb andauernd schwierig für Menschen und Tiere. Das mangelnde Futter und oft auch die mühsame und unzureichende Wasserversorgung für alle Tiere lichteten deren Reihen und beeinträchtigten vor allem die Beweglichkeit der Truppen aufs höchste. Die Schwierigkeit beruht auf den klimatischen Verhältnissen; vom Frühsommer ab bis zum Spätherbst fällt dort kein Regen, viele Quellen versiegen und alle Weiden sind sehr schnell verdorrt.

Bei den Engländern war indessen ein großes Wasserwerk bei El Arisch ausgeführt worden; auch sonst versuchten sie durch den Einsatz ihrer uneingeschränkten Mittel alle Bedingungen für Unterhaltung und rückwärtige Verbindungen dauernd und ganz planmäßig zu verbessern.

Im August machte sich eine sehr wesentliche Verstärkung der englischen Truppen vor der Palästinafront bemerkbar. - Der bisherige Oberbefehlshaber General Sir Murray war durch den bereits von der Westfront her bekannten General Sir Allenby abgelöst worden.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte