Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
11. 1916 in Kleinasien und die Abgabe
türkischer Truppen auf europäische
Kriegsschauplätze.
Nach dem Rückzuge der Entente-Armee von der Halbinsel Gallipoli
beließ die 5. türkische Armee nur einige Divisionen an den
Dardanellen zum Schutze des Landes beiderseits der Meerenge. Der Hauptteil der
Armee wurde nach Thrazien verlegt. Im Februar 1916 wurde der 5. Armee auch
der Schutz der gesamten Westküste von Kleinasien gegen feindliche
Landungen oder Unternehmungen übertragen, so daß sie etwa
2000 km Küstenfront von der bulgarischen Grenze bis nach
Alaja - 130 km östlich Adalia
gelegen - am Mittelländischen Meere zu sichern hatte.
[453] Das Meer vor dieser
Küste, im Norden das Ägäische, im Süden das
Mittelländische Meer, gehörte uneingeschränkt der Entente,
ebenso wie die ungezählten der Küste vorgelagerten Inseln. Von
ihnen waren Imbros, Lemnos, Tenedos, Mytilene, Chios, Samos, Kos, Rhodos
und Meis die wichtigsten. Engländer, Franzosen, Italiener und
venizelistische Griechen hatten sich in ihre Besetzung geteilt. Alle dortigen
Häfen waren bewacht, fast ausnahmslos durch Schutznetze oder
Minensperren gegen das Eindringen von Unterseebooten geschützt, und auf
den wichtigsten und geeignetsten Inseln waren Fliegerabteilungen auf gut
eingerichteten Flugplätzen untergebracht. Die besten Häfen dieser
Inseln bildeten die Stützpunkte für die verbündete Flotte,
welche die Blockade der türkischen Küste aufrechterhielt.
Die Bevölkerung an der Küste des türkischen Festlandes war
durchgehends stark mit Griechen untermischt, deren Sympathien offenkundig zur
Entente neigten. Die Spionage war in unzähligen Fäden von den
Inseln zur Küste gesponnen. Die Entfernung eines Teils der großen
Inseln von der türkischen Küste ist so gering, daß der
östliche Rand mehrfach mit bloßem Auge vom Festland eingesehen
werden kann und im Wirkungsbereich weittragender Geschütze liegt. An
einer Stelle nähert sich die Küste von Samos dem Festlande sogar
auf 3 km.
Im nördlichen Teil des Schutzbezirks der 5. Armee lagen die soeben
erfolgreich verteidigten Dardanellen, im südlichsten das von Italien als
Interessengebiet beanspruchte Adalia am gleichnamigen Mittelmeerbusen und
ungefähr in der Mitte des Bezirks, im fruchtbarsten und kultiviertesten
Teile der reichen Küste, Smyrna, die erste Seehandelsstadt der Levante.
Schon bald nach Beginn des Krieges war Smyrna von Schiffen der Entente
bedroht gewesen. Der innere Hafen war daher durch Minen geschlossen worden,
was in Anbetracht der für Schiffe mit großem Tiefgang zu schmalen
Fahrrinne keine besonderen Schwierigkeiten geboten hatte. Von der
äußeren Bucht aus beschossen im März 1915 feindliche
Schiffe mehrfach das alte, am Südrand der Smyrnabucht gelegene
Schutzfort Jenikale, das Smyrna den stolzen Namen einer Festung eingetragen
hatte. Während der heißen Kämpfe auf Gallipoli, welche auch
bei der Entente alle verfügbaren Kräfte beanspruchten, geschah
nichts von Bedeutung gegen die kleinasiatische Küste.
Im Frühjahr 1916 wurde aber die Tätigkeit des Feindes im
Außengolf von Smyrna wesentlich lebhafter. Die Engländer hatten
sich auf der Insel Koesten, welche bei einer Längenausdehnung von etwa
13 km den Außengolf völlig sperrt, einen für die
Türken sehr unbequemen Stützpunkt geschaffen. Sie hatten auf der
Westseite der Insel, nördlich des Hafens von Tholos, einen Ankerplatz
für die dauernd dort stationierten Monitore, Zerstörer und
Patrouillenboote eingerichtet, die Insel selbst aber mit einigen Truppen, auch
Artillerie, besetzt und dort einen Flugplatz geschaffen. Von ihren
Beobachtungsposten auf Koesten konnten sie die weltberühmte
Luxusstraße am Kai von Smyrna bequem übersehen, ihre Schiffe
[454] schossen ohne
Gegenwirkung, wann sie wollten, und ihre Flieger kreisten nach Belieben
über Smyrna. Es war ein unwürdiger Zustand für die dort
stehenden türkischen Truppen und politisch nicht unbedenklich, weil vier
Fünftel der Bevölkerung aus Griechen bestand.
Das türkische Hauptquartier übermittelte im März dem
Oberbefehlshaber Marschall Liman v. Sanders Nachrichten aus dem
neutralen Auslande, nach welchen von der Entente geplant sein sollte, sich
Smyrnas zu bemächtigen. Die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten
war aber fraglich.
Der Oberbefehlshaber vertrat die Auffassung, daß derartigen Absichten am
besten durch die Eroberung der Insel Koesten begegnet werden könne.
Natürlich war dies nicht so einfach, da die 5. Armee außer den
kleinen Passagierbooten und einigen alten Schleppern im Hafen von Smyrna
über keine Schiffe verfügte. Trotzdem wurde der Angriff vorbereitet.
Zuerst wurden unter Truppenschutz Batterien auf beiden Ufern des Golfes in
nächtlicher Arbeit vorgeschoben und in Stellung gebracht. Die Stellungen
wurden, dauernd wechselnd, immer weiter nach den Küsten des
Außengolfs verlegt. Bereits im April konnten sie manche Erfolge gegen die
feindlichen Monitore und Zerstörer verzeichnen, wenn diese nach
früherer Gewohnheit die Ortschaften oder Straßen am
Außengolf unter Feuer nahmen. Weder den englischen Kriegschiffen noch
Fliegern gelang es in zahlreichen Angriffen, diese Artillerie ernstlich zu
schädigen oder gar zu vertreiben.
Nun galt es, auf der Halbinsel Kara Burun - der westlich von Koesten in einer
Entfernung von etwa 7 km von der Insel weit in das Meer
hinausspringenden Landzunge - Artillerie zum Feuerüberfall auf die
in den Häfen liegenden Kriegschiffe unbemerkt in Stellung zu bringen. Auf
dem Landwege war dies ausgeschlossen; denn auf der kahlen, von schroffen
Felspartien gebildeten Halbinsel gab es nur einige Fußpfade, welche nur
Fußgänger und allenfalls im Klettern geübte Tragtiere im
Einzelmarsch überwinden konnten. So bestand nur die Möglichkeit,
trotz der Nähe der englischen Kriegschiffe, den Wasserweg zu
wählen und die Geschütze auf nur 7 km Entfernung von den
Engländern in der Nacht auszuladen und in Stellung zu bringen. Wenn der
Feind aufpaßte, waren Schlepper, Prahme und die gesamte Bemannung
rettungslos verloren - darüber war sich jeder klar.
In den dunklen Nächten vom 3. zum 4. und vom 4. zum 5. Mai wurde die
kühne Fahrt in Etappen unter Führung des Majors Lierau
durchgeführt. Zwei ganz langsame Schlepper brachten unter
verschiedensten Zwischenfällen einen Zug österreichischer
15-cm-Haubitzen, einen Zug 12-cm-Kanonen und einen Zug Feldartillerie, die mit
ihrer Munition auf zwei Prahmen verladen waren, am 5. Mai, 3 Uhr
Morgens, an die von Oberleutnant Diesinger vorbereitete Landungsstelle am
Strande von Kara-Burun. Dort wurden sie im Schutz der Dunkelheit ausgeladen
und mit Zeltbahnen und Zweigen bedeckt, so daß sie der feindlichen
Beobachtung am 5. Mai vollkommen entgingen, und in der folgenden Nacht
[455] in Stellung gebracht.
Am 6. Mai, 445 Uhr Morgens,
erfolgte die Feuereröffnung auf die in tiefster Ruhe dicht westlich Koesten
ankernden beiden Monitore und ein Torpedoboot. Der österreichische
Haubitzzug erzielte bald einen Treffer am vorderen Turm des einen Monitors, aus
dem Flammen und dicker Rauch aufstiegen. Nach 10 Minuten erst erwiderte der
gänzlich überraschte Feind das Feuer ohne jeden Erfolg. Die
englischen Schiffe, von denen eins schwer beschädigt war, verließen
den Hafen. Das Ergebnis der Unternehmung nach wiederholtem Artilleriekampf
war schließlich, daß Koesten von den Engländern
gänzlich geräumt wurde, daß die Türken die Insel
besetzten und die Außenbucht von Smyrna in den gesicherten Besitz der 5.
Armee gelangte, in dem sie bis zum Ende des Feldzuges verblieb. Das
vollständig ausgebrannte Wrack des englischen Monitors "M 30" lag
bis zum Schluß des Krieges dicht am Strande von Koesten als Wahrzeichen
einer tapferen deutsch-türkischen Tat! Sogar die gewiß nicht
deutschfreundliche Bevölkerung von Smyrna war voll von Bewunderung
für das kühne Unternehmen, von dem der türkische
Kommandierende General vorher gesagt hatte, daß es unausführbar
sei.
Gleich aktiv, wie die Verteidigung des Küstengebiets bei der Eroberung
van Koesten durch die 5. Armee geführt wurde, geschah es auf deren
ganzer Küstenfront.
Der deutsch-türkische Überfall auf die Insel Gimnonisi bei Aivalik
am 18. September 1916, der von Oberleutnant Hesselberger am 3. November mit
180 Freiwilligen auf 12 Ruderbooten durchgeführte Angriff auf die Insel
Kekowa im Mittelländischen Meere, wobei der Feind etwa 70 Tote und 8
Gefangene verlor, Feuerüberfälle auf Tenedos und später auf
Chios, kühne Patrouillenfahrten mit Motorbooten in den vom Feinde
beherrschten Gewässern und Versenkung zahlreicher kleiner
Handelsfahrzeuge durch Rittmeister Schüler van Krieken und Oberleutnant
Hesselberger, ein Feuerüberfall gegen den Hafen der Insel Meis im
Mittelländischen Meer, bei dem ein großes Flugzeugmutterschiff
versenkt wurde, - wieder eine Tat, die von den beiden letztgenannten
Offizieren vorbereitet und durch die von Major
Schmidt-Kolbow befehligte Artillerie durchgeführt
wurde, - die Versenkung eines französischen Hilfskreuzers bei Ava,
südlich von Adalia, mit Gefangennahme von
52 Mann, - diese und viele kleinere Unternehmungen geben Zeugnis, daß
auch eine Landarmee an einer Küstenfront nicht nur abzuwarten braucht,
sondern auch handeln kann.
Die Truppen und die weittragenden Geschütze in dem weiten Abschnitt der
5. Armee wurden grundsätzlich derart viel verschoben, daß dem
Gegner auch nicht die weitestgehende Spionage sichere Nachrichten über
ihren Verbleib und ihre Stärke - oft wäre richtiger
Schwäche zu sagen - bringen konnte.
Die deutschen Flieger-Abteilungen haben zu dieser aktiven Verteidigung, welche
bald den Feind zu einer bemerkenswerten Zurückhaltung zwang,
hervorragend beigetragen. —
[456] Im Sommer 1916
wurde infolge der Kriegslage an der Ostfront die Abgabe türkischer
Divisionen auf europäische Kriegsschauplätze nötig. Sie
wurden zumeist von der 5. Armee gestellt. Zuerst wurde das XV. türkische
Armeekorps unter Jakub Schefki Pascha, aus der 19. und 20. Division bestehend,
nach Galizien entsandt und in die österreichische Front eingeschoben. Das
Armeekorps, dem deutsche und österreichische Artillerie beim
Einrücken in die Front zugewiesen wurde, hat die türkische
Waffenehre hochgehalten und manchen russischen Angriff unter schwierigsten
Verhältnissen zurückgeschlagen. Später wurde Jakub Schefki
Pascha durch Djevad Pascha abgelöst.
Es würde aber einen Irrtum bedeuten, wenn man die Qualität
türkischer Truppen nach diesem Armeekorps einschätzen wollte. Die
19. und 20. Division wurde mit ganz ausgesuchten Offizieren und Mannschaften
Ende Juli 1916 nach Galizien abgegeben. Alles, was nicht völlig
einwandfrei war, wurde vorher gegen beste Mannschaften aus den anderen
Verbänden der 5. Armee ausgetauscht. Viele Tausende von Mannschaften
beider Divisionen waren beim Abtransport aus Usunköpri völlig neu
in ihren Verbänden. Es wurden unter ihnen sogar Leute mitgenommen,
welche erst kurze Zeit zum Dienst eingestellt waren, wenn sie nur den
höchsten körperlichen Anforderungen entsprachen.
Dieselben Vorgänge des Austausches wiederholten sich im Herbst des
Jahres, als das VI. Armeekorps mit der 15., 25. und 26. Division unter Hilmi
Pascha zum rumänischen Feldzuge nach der Dobrudscha und Walachei
entsandt wurde. Auch diese Divisionen waren der 5. Armee entnommen. Der
Wert der Truppe war in der ersten Zeit der Verwendung auch in diesem Falle
dadurch etwas beeinträchtigt, daß ein erheblicher Teil der
Mannschaften, die allen körperlichen Anforderungen entsprechen
mußten, bereits nach 20tägiger Ausbildung zur Mitgabe hatte
ausgewählt werden müssen. Die Ergänzung dieser Divisionen
war überdies durch die zahlreichen vorher geschehenen Abgaben schon
schwieriger geworden. Aber auch diese Truppen haben sich nach Mitteilung des Generalfeldmarschalls v. Mackensen gut geschlagen.
Im Winter folgte schließlich das XX. Armeekorps, aus der 46. und 50.
Division bestehend, unter Abdul Kerim Pascha nach Mazedonien zur 2.
bulgarischen Armee, welche unter Befehl des Generals Todoroff stand.
Nachdem im Jahre 1917 Bagdad gefallen war und die große englische
Offensive gegen Palästina eingesetzt hatte, wurde es notwendig, den
größten Teil der genannten Divisionen der Türkei nach und
nach zurückzugeben.
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