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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

10. Der zweite und letzte türkische Vorstoß gegen den Suezkanal.

Von englischer Seite wurde bereits zu Anfang des Jahres 1916 ein neuer türkischer Angriff gegen Ägypten erwartet. Lord Kitchener führte am 18. Februar im Oberhause aus:

[448]   "Die Türken drohen mit einem ernsteren Versuch, Ägypten anzugreifen. Wir haben entsprechende Vorbereitungen getroffen, um den Suezkanal zu verteidigen. Der deutsch-türkische Einfluß auf die Führer der Senussen hat bewirkt, daß die Araber in der Cyrenaika und in Tripolis eine feindliche Haltung gegen Ägypten einnahmen. Der erste Versuch dieser Art scheiterte vollkommen, und obwohl die Bewegungen im westlichen Teil der Wüste noch eine gewisse Unruhe hervorrufen, bildet die bewundernswerte Ergebenheit des ägyptischen Volkes eine wirksame Schranke gegen jedes Eindringen jener Stämme in kultivierte Gebiete."

Die englischen Vorbereitungen bestanden in einer sehr erheblichen Verstärkung der Befestigungen am Kanal, insbesondere auch dem Bau von vorgeschobenen Stützpunkten, ferner aber in der Anlage von Stauvorrichtungen, um weite Strecken des Ostufers überschwemmen zu können.

Auch waren die britischen Truppen in Ägypten erheblich vermehrt wurden, da zahlreiche Verbände nach dem Rückzuge von Gallipoli nach Alexandrien befördert wurden. Ebenso war die artilleristische Verteidigungsfähigkeit gesteigert, und hierzu mehr Landbatterien, schwimmende Batterien und Kanonenboote herangezogen worden.

Man tat den türkischen Vorbereitungen im Februar 1916 zu viel Ehre an, wenn man einen ernsthaften Angriff fürchtete; trotz aller dringenden und unausgesetzten Bemühungen des Oberst Freiherrn v. Kreß hatten sie nicht abgeschlossen werden können, da noch verschiedene Truppen, ausreichende Transportmittel, Ausrüstung, Verpflegung, Geld und vieles andere für eine Expedition größeren Stils fehlten. Auf türkischer Seite hatte nach dem ersten Vorstoß gegen den Kanal im Februar 1915 eine gewisse Ruhe eintreten müssen. Alle in Anatolien verfügbaren Truppen wurden an den Dardanellen benötigt, Verstärkungen waren für die Sinaihalbinsel von dort nicht möglich. Es erübrigte nur, durch vereinzelte kleinere Unternehmungen, welche die Wüste durchquerten, dem Verkehr auf dem Kanal Hemmnisse zu bereiten. Solche kleinere Expeditionen wurden im Frühjahr 1915 durch Oberstleutnant Lauffer, die Majore Hunger und Fischer, die Hauptleute Maschmeyer und Gerlach und schließlich durch Oberst Freiherrn v. Kreß selbst geführt. Sie erforderten viel Tatkraft und Umsicht von den Führern sowie außergewöhnliche Anstrengungen und Entbehrungen von allen Beteiligten, um überhaupt bis an die Ufer des Kanals zu gelangen. Es handelte sich jedesmal nur um eine geringe Anzahl ausgewählter Leute. Die stärkste der vorgeführten Abteilungen war diejenige des Oberstleutnant Lauffer und zählte 175 Mann.

Das Ergebnis war eine gewisse fortdauernde Beunruhigung beim Feinde, der ersah, daß die Wüste El Tih allein keinen genügenden Schutz für den Kanal mehr bot. Schließlich setzte aber die heiße Jahreszeit, welche die Gesundheit der Europäer vielfach ungünstig beeinflußte, diesen Unternehmungen ein Ziel. Ehe etwas Ernsteres geschehen konnte, waren deutsche Hilfstruppen notwendig; diese konnten aber vorerst um so weniger gestellt werden, als Italien sich der Entente [449] angeschlossen hatte, und auch der Weg aus Deutschland nach der Türkei bis in den November 1915 gesperrt blieb.

Nachdem die Verbindung durch den serbischen Feldzug geöffnet worden war, wurden die in erster Linie für eine neue Expedition benötigten deutschen Formationen - Pascha I genannt - bewilligt, aber ihr Weg bis zur Wüste El Tih war sehr weit. Die unseligen Verhältnisse auf der endlosen Etappenlinie verzögerten ihr Eintreffen so erheblich, daß der ursprünglich für Februar 1916 geplante Vormarsch immer weiter hinausgeschoben werden mußte. Insbesondere gaben die Zustände auf der Straße Bosanti - Aleppo zu immer wiederholten Klagen Veranlassung. Dort, vor allem in der Adana-Ebene und bei Islahie am Amanus, mußten die deutschen Formationen zumeist wochenlang liegen bleiben, ehe sie weiterbefördert werden konnten. Hier herrschten aber so ungünstige klimatische und sanitäre Verhältnisse, daß der Krankenstand oft 25 v. H. und mehr der Kopfstärke umfaßte und die Reihen lichtete.

Erst ganz allmählich trafen einige deutsche Maschinengewehr-Kompagnien, zwei deutsche Batterien und vor allem eine vortreffliche deutsche Fliegerabteilung sowie zwei Flakzüge im Frontgebiet ein. Die Flieger waren seit langem ersehnt gewesen und dringend notwendig, da die Engländer stets über zahlreiche Flieger auf guten Maschinen verfügt hatten, während diese Waffe dem Expeditionskorps bis dahin ganz fehlte. Das hierdurch gegebene englische Übergewicht in der Aufklärung über weite Wüstenstrecken hatte nicht nur den Führer des türkischen Expeditionskorps dauernd vor schwierige Entschlüsse gestellt, sondern auch den inneren Halt der Truppen ungünstig beeinflußt, da sie auf dem Marsch wie im Lager der Einsicht und den Bombenwürfen der feindlichen Flugzeuge schutzlos preisgegeben waren.

Auch um April 1916 bestand noch keine Möglichkeit, mit der größeren Expedition zu beginnen. Es sollte aber irgend etwas bald geschehen, da nach den Nachrichten der deutschen Obersten Heeresleitung Truppen von Ägypten nach dem europäischen Kriegsschauplatz abtransportiert wurden. Es hatte den Anschein, als ob die Engländer nach Eintreffen der warmen Jahreszeit nicht mehr an die Durchführung des bei Beginn des Jahres erwarteten Angriffs glaubten.

Um daher eine Gefährdung des Kanals vorzutäuschen, ging Oberst Freiherr v. Kreß im April mit einem etwas über 2000 Mann starken Detachement aller Waffen in Richtung Kantara vor. Bei Katia, etwa 100 km westlich von El Arisch, stieß er, zwei Tagemärsche östlich des Kanals, auf ein englisches Kavallerieregiment, das dorthin vorgeschoben war, sich aber nicht ausreichend gesichert hatte. Das Regiment wurde überrumpelt und größtenteils gefangengenommen. Nach diesem Erfolg ging das Detachement wieder zurück. Ein weiteres Vorgehen hätte keinen Zweck gehabt, da entkommene Reiter die Besatzung am Kanal alarmiert hatten.

Der Beginn der geplanten großen Unternehmung zog sich bis Mitte Juli hinaus. Den Hauptteil des Expeditionskorps bildete die 3. türkische Division. [450] Arabische Truppen waren diesmal nicht beteiligt. An deutschen Formationen waren - außer den schon vorher genannten Truppen - Kraftfahrkolonnen, Feldlazarette sowie eine Nachrichtenabteilung (bestehend aus einem Fernsprechzug, zwei preußischen und zwei bayrischen Funkenstationen) herangezogen worden, sowie zwei Batterien österreichischer Feldhaubitzen. Das Eintreffen von zwei deutschen 21-cm-Mörser-Batterien, zwei Minenwerfer-Abteilungen und zwei Brückentrains konnte nicht mehr erwartet werden, um den Zeitpunkt des Vormarsches nicht noch weiter hinauszuschieben.

Die Ausrüstung der türkischen Truppen zeigte noch viele Mängel; die Munitionsausstattung war nicht für lange Kämpfe ausreichend. Oberst Freiherr v. Kreß wußte aber, daß derjenige, der in der Türkei etwas Vollkommenes abwarten will, niemals zu einer Tat kommt, und begann den Vormarsch. Über die geringen Aussichten für einen Erfolg war er sich vollkommen klar. Günstigstenfalls erhoffte man, daß es zu Stellungskämpfen in der Nähe des Kanals kommen werde. Die Vormarschrichtung führte auf dem alten Karawanenwege El Arisch - Bir el Mesar - Bir el Abd - Katia in allgemeiner Richtung auf Kantara, während im Februar 1915 die Strecke Ibn - Bir Hassana - Ismailia als Operationslinie gewählt worden war. Der Wüstenmarsch im Hochsommer stellte die höchsten Anforderungen an Mann und Tier. Da nur nachts marschiert werden konnte, waren die Unebenheiten des welligen Dünengeländes, die mit Flugsand bedeckt waren, besonders empfindlich und ermüdend. Die Tagesstunden, in denen geruht wurde, konnten wegen der brütenden Hitze nicht die notwendige Erholung bringen. Die Expedition war reich an stillem Heldentum, aber leider arm an Erfolg und mußte dies sein, da ja alle Bedingungen für einen solchen fehlten.

Das große Zeltlager der englischen Armee an der Palästinafront bei Romani.
Das große Zeltlager der englischen Armee an
der Palästinafront bei Romani.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 529.
Die Engländer waren viel stärker als das Expeditionskorps, waren glänzend ausgerüstet, hatten sich die günstigsten Verbindungen auf der Ostseite des Kanals geschaffen, um sich schnell von allen Richtungen her zu verstärken, und erwarteten hinter Verschanzungen ohne jede Anstrengung den mühsam herankommenden Feind. Nach siebentägigem Wüstenmarsch trafen die Anfänge der Marschkolonnen vor dem stark ausgebauten und mit allen Mitteln befestigten englischen Lager von Romani ein, das wenige Kilometer westlich von Katia gelegen ist. Der am 4. August erfolgte Angriff mußte trotz der ausgezeichneten Tapferkeit der deutschen und österreichischen Truppen und trotz mancher braven Tat scheitern. Starke von Kantara herbeieilende englische Kavallerie und heranbeförderte Infanterie griffen schon sehr bald in den Kampf ein. Der linke Flügel des Expeditionskorps wurde umfaßt. Ein türkisches Infanterie-Regiment, das gegen Flanke und Rücken der Engländer angesetzt war, ließ sich gegen Abend vollständig überraschen und ergab sich dem Feinde, ohne ernstlichen Widerstand zu leisten. Andere türkische Abteilungen, denen der Schutz der deutschen Maschinengewehr-Kompagnien aufgegeben war, verschwanden in der Dunkelheit.

Dem Führer erübrigte nur, den Befehl zum Rückzug zu geben. Trotz aller [451] Schwierigkeiten gelang es, die Truppen unter Verlusten vom Feinde loszulösen. Der Rückmarsch erfolgte auf El Arisch. Die deutschen Maschinengewehr-Kompagnien büßten infolge des Versagens der Türken allein 339 Mann ein, von denen der bei weitem größte Teil in englische Gefangenschaft geriet.

Auf türkischer Seite wurde die Nachricht verbreitet, daß durch den Kampf bei Romani der Abtransport feindlicher Truppen nach der Somme verhindert oder verzögert worden sei. Gerüchte besagten sogar, daß bereits auf hoher See befindliche Transporte zurückgeholt worden seien. Ob und inwieweit dies der Wahrheit entspricht, ist nur beim Gegner festzustellen. Wenn auch nur eine Verzögerung einiger Truppentransporte erfolgt ist, so ist dies als ein, wenn auch beschränkter, Erfolg zu buchen.

Mit dem genannten Unternehmen fanden die deutsch-türkischen Offensivoperationen gegen den Suezkanal ihren Abschluß. Alle späteren Kriegshandlungen auf der Sinaihalbinsel und in Palästina vollzogen sich auf türkischer Seite als Defensiv-Operationen, während die Engländer zu einem ganz systematisch aufgebauten Angriffsfeldzug übergingen.

Sie begannen ihn durch den Bau einer Bahn durch die Wüste El Tih, die von Kantara entlang der alten Karawanenstraße über Katia in Richtung El Arisch geführt wurde und sich bereits um die Wende des Jahres 1916/17 El Arisch näherte.

Im britischen Generalstab hatte die Richtung die Oberhand gewonnen, welche eine absolute Sicherung des Suezkanals nur in der Eroberung Palästinas und sogar Syriens ersah und nicht, wie auch vorgeschlagen war, nur in dem Vorschieben der Sicherungen bis etwa in die Mitte der Wüste El Tih. Auch hatte man in London erwogen, die Eroberung Palästinas durch Expeditionen von Cypern aus, welche die türkischen Nachschublinien durch Zerstörung der Bahnlinien Damaskus - Medina und Aleppo - Hama unterbrechen sollten, zu unterstützen. Eine Landung in Ladikije und an anderen Punkten der syrischen Küste wäre hierzu notwendig gewesen. Zu derartigen größeren Landungsoperationen konnte man sich aber nach dem schweren Scheitern des Gallipoli-Feldzuges nicht entschließen. So wurde die Linie El Arisch - Akaba die Basis des sich langsam aufbauenden englischen Palästina-Feldzuges.

Der Emir von Mekka war im Sommer 1916 auf die englische Seite getreten. Hiermit war für die arabische, den Türken feindliche Bewegung ein Mittelpunkt geschaffen. Vom Emir ausgehend, konnte der arabische, von den Engländern weitgehend unterstützte Druck parallel mit dem Fortschreiten der Operationen der englischen Hauptarmee entlang der Küste des Mittelmeeres an der Hedjasbahn nach Norden vorschreiten.

Die Gegenmaßnahme der türkischen Heeresleitung, den Hedjas durch ein Expeditionskorps wieder unter türkische Botmäßigkeit zu zwingen und vor allem die vom islamitischen Standpunkte aus überaus wichtige Stellung des Sultans [452] als Kalifen an den heiligen Stätten wiederherzustellen, scheiterte an der Unmöglichkeit, mit türkischen Mitteln die Grundlagen für einen Angriffsfeldzug zu schaffen.

Auf das Expeditionskorps des Oberst Freiherrn v. Kreß waren diese türkischen Vorbereitungen insofern von einem gewissen Einfluß, weil es den größten Teil seiner Kamele für das Hedjas-Expeditionskorps nach Maan abgeben mußte und hierdurch in seiner Beweglichkeit noch weiter eingeschränkt wurde.

Gegen Ende des Jahres 1916 waren die Engländer Herren der Sinai-Halbinsel. El Arisch mit der davor gelegenen Stellung von Masaid und Magara in Mitte der Halbinsel wurden von den Türken am 20. Dezember kampflos geräumt. Die vorgeschobenen türkischen Truppen wurden von dort in südöstlicher Richtung nach Magdaba und Bir-Hassana zurückgenommen. Am 29. Dezember wurde Magdaba nach Kampf von den Engländern besetzt. Gleichzeitig fielen auch Bir Hassana und Nachl - letzteres an der Pilgerstraße Suez - Akaba gelegen - in englische Hand.

Der schließliche Ausgang des Feldzuges konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, wenn nicht die Lage auf dem europäischen Kriegsschauplatz die Engländer gebieterisch daran hinderte, ihre Truppen zum Palästinafeldzug zu verstärken.

Die Ungleichheit der verfügbaren Mittel auf englischer und türkischer Seite darf nicht außer acht gelassen werden. Der englische Bahnbau im Irak bis in die Nähe der Fellalieh-Stellung - und damit die Grundlage zum erneuten Vorgehen gegen Bagdad - konnte fast gleichzeitig mit dem Bahnbau durch die Sinai-Halbinsel fertiggestellt werden. Auf türkischer Seite erforderte die Vollendung des Taurus-Tunnels noch eine fast zweijährige Arbeit, und die große, etwa 500 km lange Lücke der Bagdadbahn zwischen Ras el Ain bzw. Nsebin und Samarra hatte noch nicht geschlossen werden können. Es war auch auf Jahre hinaus nicht hierauf zu rechnen. Überlegenheit der technischen Mittel und des Wassertransports (See und Fluß) machten sich zum Vorteil der Engländer entscheidend fühlbar.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte