Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
9. Die Ereignisse im Irak bis Sommer
1916.
Während die Türken auf der Kaukasusfront und gegen
Ägypten bald nach Beginn des Krieges angriffsweise vorgegangen, aber
nicht zum Erfolg gelangt waren, hatten sie sich im Irak von vornherein auf die
Verteidigung mit schwächeren Kräften beschränkt.
Die Engländer legten diesem Kriegsschauplatz eine besondere Wichtigkeit
bei, wie mehrfach von ihren leitenden Staatsmännern in jener Zeit betont
wurde. Aus den indischen Truppen konnten sie die Kräfte für den
Irak entnehmen. Bombay war der gegebene Einschiffungshafen.
Sie besetzten bereits am 22. November 1914 die Hafenstadt Basra, das die Basis
jeder militärischen Operation in Mesopotamien werden mußte, und
kaum drei Wochen später auch Gurna am Zusammenfluß des Euphrat
und Tigris. Anfang Juni 1915 rückten sie in Amara ein und Ende
September in Kut-el-Amara, nachdem sie die türkischen Truppen geworfen
und verfolgt hatten. Gegen Mitte November marschierte General Townshend mit
einer verstärkten Division - etwa 15 000 Mann, 24
Geschütze - von Azizie zur Eroberung von Bagdad vor. Er gelangte
bis in Höhe von Ktesiphon, das auf dem östlichen Tigrisufer etwa
35 Kilometer südöstlich von Bagdad gelegen ist. Hier kam es
zum entscheidenden Kampfe mit den von Oberst Nureddin befehligten
Türken. Der englische Angriff wurde am 22. November nach schweren
Kämpfen zurück- [444] geschlagen. Gewisse
englische Teilerfolge und starke türkische Verluste machten am Abend des
22. November den Oberst Nureddin schwankend, ob es nicht angezeigt sei, ein
weiteres Stück zurückzugehen. Er glaubte an eine Wiederholung des
englischen Angriffs. Ehe aber ein bezüglicher Entschluß gefaßt
und die Befehle hierfür ausgegeben waren, traf die Nachricht ein, daß
die Engländer auf dem östlichen Tigrisufer den Rückzug
angetreten hatten. Jetzt wurde der Befehl zum ungesäumten Folgen
gegeben. Die englischen schweren Verluste hatten naturgemäß auf
türkischer Seite nicht sogleich übersehen werden können. Wie
der Staatssekretär für Indien, Austen Chamberlain, am 9. Dezember
1915 im Unterhause erklärte, sind sie auf 643 Tote, 3330 Verwundete und
594 Vermißte festgestellt worden.
Generalfeldmarschall
Freiherr von der Goltz, der um Mitte Oktober zum
Oberbefehlshaber der 6. türkischen Armee im Irak ernannt worden war, und
dem zugleich die deutschen Offiziere der für Persien bestimmten
Expedition unterstanden, traf am 19. November von Konstantinopel in Aleppo
ein. Er verblieb dort einige Tage und erhielt hier die Nachricht über die
genannten Kämpfe. Von Aleppo hatte er noch über
800 Kilometer allein bis Bagdad zurückzulegen, bis er Anfang
Dezember auf dem Kriegsschauplatz eintraf.
General Townshend hatte nach der Schlacht von Ktesiphon den Rückzug
flußabwärts des Tigris angetreten, von den Truppen Nureddins
verfolgt. Am 3. Dezember erreichte General Townshend
Kut-el-Amara, etwa 130 Kilometer südöstlich von Ktesiphon,
dort wo der Tigris einen scharfen, 35 Kilometer langen Bogen nach
Nordosten macht. Der Rückzug konnte von hier nicht ohne weiteres in der
bisherigen südöstlichen Richtung fortgesetzt werden. General
Townshend entschloß sich, Kut, das aus der früheren Besetzung die
verschiedensten Hilfsmittel bot, zu halten, in der Hoffnung baldigen Entsatzes.
Am 7. Dezember wurde er vollständig durch die verfolgenden
Türken eingeschlossen.
Am 11. Dezember konnte das türkische Hauptquartier melden, daß
der Feind aus seinen vorgeschobenen Stellungen in die Hauptstellung
zurückgeworfen sei, und am Tage darauf, daß Scheikh Said, an der
englischen Rückzugsstraße flußabwärts, besetzt sei.
Es war ein ödes totes Land, in dem hier nach wenigen Wochen die
Kämpfe zum Entsatz der eingeschlossenen Engländer begannen.
Zwischen Amara und Kut-el-Amara sind die Ufer des Tigris arm und
eintönig. Statt der weiter stromabwärts sichtbaren
Schilfrohrhütten der Nomaden, sind hier nur einige schwarze
Ziegenhaarzelte zu beobachten. Zu beiden Seiten des Flusses harter getrockneter
Schlamm, in dem nur einige unansehnliche dornige Sträucher und der
Ageen - ein faseriges Gewächs mit langen Wurzeln, das für
Feuerung benutzt wird, - gedeihen. Die wenigen Palmen, die in den
Schlammdörfern wachsen, sind verkrüppelt und tragen keine
eßbaren Früchte. Weiter landeinwärts nach Osten eine
unfruchtbare traurige Ebene, bedeckt mit Geröll und hartem Schlamm,
[445] bis am östlichen
Horizont die Puscht-i-Kuh-Berge an der persischen Grenze dem Auge ein Halt
gebieten.
Die englische Kommission zur Untersuchung der Vorgänge in
Mesopotamien hat den Entsatzkämpfen für General Townshend
folgenden Ausdruck gegeben: "Die Geschichte der Versuche, Kut zu entsetzen, ist
eine wahrlich melancholisch stimmende Lektüre, der Bericht über
ein lang hingezogenes Ringen, das mit ungenügenden Mitteln, unter
abnormen Bedingungen abscheulichen Wetters durchgeführt wurde und mit
einem Fehlschlag endete."
Es muß hierbei betont werden, daß die später als
Entsatztruppen verwendeten englischen Kräfte ursprünglich nicht
für einen derartigen Zweck bestimmt waren, sondern für die
Besetzung von Bagdad, dessen Einnahme durch General Townshend die
britischen Führer vorher als sicher erachtet hatten.
Sir Fenton Aylmer führte die Entsatztruppen, von denen zwei Divisionen
vom französischen Kriegsschauplatz kamen und demgemäß
mit Schiff nur stückweise in Basra eintreffen konnten. General Townshend
drängte aber durch im Dezember aus Kut abgesandte Telegramme auf
Beschleunigung des Vormarsches, da er einen überlegenen
türkischen Angriff fürchtete, da er die Moral seiner Truppen
herabgemindert sah und auch Sorge um ausreichende Munition hegte.
Am 4. Januar 1916 begann General Aylmer den Vormarsch gegen Scheikh Said
mit den bis dahin bei Ali Gharbi - rund 90 Kilometer
stromabwärts von Kut - versammelten Entsatztruppen. Seine Vorhut
wurde von General Younghusband befehligt.
Die Türken hatten etwa 40 km östlich von Kut, dort, wo der Tigris
stromabwärts von Fellalieh wieder die Richtung nach Südosten
nimmt, mehrere befestigte Stellungen hintereinander auf beiden Flußufern
ausgebaut. Aus der vordersten bei Scheikh Said wurden sie am 7. bis 9. Januar
geworfen, aus der zweiten am 13. und 14. Januar, aber in der dritten leisteten sie
derart erfolgreichen Widerstand, daß das Entsatzkorps bis Anfang
März von weiteren Angriffen Abstand nehmen mußte. Die englischen
Verluste während dieser Kampftage betrugen an etwa 8000 Mann.
Als der Angriff am 7. März auf dem westlichen Tigrisufer an dem von Ali
Gharbi nach Kut führenden Karawanenwege erneut einsetzte, scheiterte er
an der Dujailah-Schanze bei Es Sinn. General Aylmer wurde nunmehr
durch Sir George Gorringe ersetzt.
Die Türken schlugen in ihrer letzten Stellung - von den Engländern
Sanna-i-yat genannt - am 9. und 22. April die von General Gorringe
geführten Angriffe zurück. Sie hatten hierzu von den
Einschließungstruppen vor Kut Verstärkungen herangezogen, ohne
daß ein gleichzeitiger Ausfall des Generals Townshend aus Kut erfolgte.
General Gorringe, dessen Truppen ein Drittel ihres Bestandes
einbüßten, mußte sich zurückziehen. Hiermit endigten
die Entsatzversuche für Kut!
Die Belagerung von Kut dauerte im ganzen 147 Tage. Im Monat
De- [446] zember hatten die
Türken, wie schon erwähnt, die feindlichen Vorstellungen
genommen und auch sonst an einzelnen Stellen heftige Angriffe geführt. Im
weiteren Verlaufe des Kampfes beschränkten sie sich im wesentlichen auf
die Beschießung der englischen Stellungen durch Artillerie und auf die
völlige Abschließung der Truppen des Generals Townshend, da die
Hauptaufgabe nunmehr in der Abwehr der englischen Entsatzversuche lag.
Am 29. April 1916 kapitulierte General Townshend. Die ganze Besatzung wurde
als Gefangene nach Norden abgeführt. Generalfeldmarschall Freiherr
v. der Goltz, der die gesamten Operationen auf diesem Kriegsschauplatz in
den letzten Monaten geleitet hatte, erlag kurz vor dem endgültigen Erfolge,
am 19. April, dem Fleckfieber, das sich der unermüdliche Führer
beim Besuche der Truppen oder Lazarette zugezogen hatte. Am 24. November
1915 hatte der Generalfeldmarschall in einer Rede, die er bei einem vom Vali von
Aleppo ihm zu Ehren gegebenen Bankett hielt, über die Auffassung seiner
Aufgabe folgendes ausgeführt:
"Ich sollte an die Spitze der Armee
treten, die dazu bestimmt war, den Feind, der mit Hilfe arabischer Stämme
ins Land eingedrungen war, zu verjagen. Im Hinblick auf mein Alter
überlegte ich natürlich sehr, ob ich eine solche Aufgabe noch auf
mich nehmen könne. Aber zwei Momente, die ich in Betracht zog,
veranlaßten mich doch, es zu tun. Erstens war es für mich eine ganz
ungewöhnliche Ehrung, als Mann von 72 Jahren mit solch großen
Aufgaben betraut zu werden und so noch meine letzten Lebensjahre
nützlich verwenden zu können. Sodann hatte ich die freudige
Gewißheit, daß die Armee durch Vertreibung der Feinde sich ein
großes Verdienst um das Osmanische Reich erwerben würde und
daß ich meiner Dankbarkeit gegen Ihr Land keinen besseren Ausdruck
geben könnte, wie als Führer dieser Armee wenigstens einiges dazu
beizutragen, dies zu erreichen. Auch glaube ich, in der mir völlig
unerwarteten Ehrung in so hohem Alter einen Fingerzeig Gottes zu
erkennen."
Nun hatte der Tod allem Wollen des hochbedeutenden Mannes ein Ziel
gesetzt.
Dem Generalfeldmarschall hatte in der letzten Zeit seiner Führung der 6.
Armee Oberst v. Gleich als deutscher Generalstabschef zur Seite
gestanden.
Enver Pascha ernannte nunmehr seinen 34jährigen Onkel, den Oberst Halil,
unter Beförderung zum Pascha, zum Oberbefehlshaber der 6. Armee.
Dieser hatte bereits den Generalfeldmarschall während dessen Krankheit
vertreten und blieb an der Spitze der 6. Armee bis zum Ende des gesamten
Feldzuges.
Nach der Kapitulation ließen die Türken die englische Entsatzarmee
in ihrer Stellung bei Fellalieh und verzichteten infolge der Bedeutung, welche sie
dem Marsch nach Persien zumaßen, auf einen Angriff mit gesamten
Kräften gegen diese.
Die Engländer bauten ihre Stellungen bei Fellalieh im Laufe des Sommers
aus und verbesserten die Transportverbindungen von Basra nach Fellalieh auf
Flußweg und Landweg ungestört derart, daß sie die Grundlagen
für spätere Operationen sicherstellten.
[447] War doch
Mesopotamien für die Engländer einer der am meisten zu
erstrebenden Preise des Krieges, mit dem reichen, gewinnversprechenden
Hintergrunde, daß aus dem jetzt straßenlosen
Wüstenland - ohne Holz und Steine, nur von einigen Sümpfen
durchsetzt - nach den Willcoxschen Plänen wieder ein Paradies an
Fruchtbarkeit erstehen sollte!
Nach der Kapitulation begannen türkische Operationen
größeren Umfangs nach Persien hinein, während bis dahin nur
Detachements beschränkter Stärke hierfür zur
Verfügung gestanden hatten und eine Abordnung deutscher Offiziere
versucht hatte, persische Truppen im Lande zu organisieren.
Die Türken erachteten eine Bedrohung von Bagdad aus Persien her
für vorliegend, da die Russen seit langem in Nordpersien festen Fuß
gefaßt hatten. Sie erhofften aber auch zugleich einen politischen und
militärischen Anschluß der ihnen durch die Religion verwandten
Perser. Die später noch schärfer betonten panislamitischen Ideen sind
wohl schon damals von Einfluß auf die militärischen Operationen
gewesen. Die führende türkische Tageszeitung, der Tanin,
hatte am 21. Januar 1916 einen flammenden Aufruf an die Perser
veröffentlicht. In diesem wurden die Perser aufgefordert, sich,
unbekümmert um die äußeren Vorgänge, mit den
türkischen Brüdern zu vereinigen, um für die Freiheit des
Islam zu kämpfen. Die Zukunft des Perservolkes verlange gebieterisch ein
gemeinsames Vorgehen mit den Osmanen!
Die Russen wiederum hatten im Herbst 1915 Truppen in Enseli am Kaspischen
Meere gelandet, welche auf Kaswin vorgegangen waren, weil nach russischer
Auffassung die persische Regierung unter
deutsch-türkischer Einwirkung nicht in der Lage sei, für ihre
Neutralität zu sorgen. So wurde auch hier im äußersten Osten
ein neutraler Staat zum Schauplatz von Kämpfen, welche allerdings
niemals eine entscheidende Bedeutung erlangt haben. Es besteht eine gewisse
Analogie zwischen dem Feldzuge auf Gallipoli und demjenigen um den Besitz
von Bagdad, weil in beiden Fällen die Russen nicht aktiv in die englischen
Kämpfe eingegriffen haben, obschon es möglich war.
Halil Pascha ließ das aus der 2. und 6. Division bestehende XIII.
Armeekorps über Hantkin auf Kermanschah nach Persien vorgehen. Auch
zwei mit Hilfe deutscher Offiziere für die 6. Armee in Konstantinopel
aufgestellte Pionier-Bataillone, von den Majoren Gottschalk und Althaus
befehligt, sowie verschiedene deutsche
Kraftwagen-Kolonnen, fanden später an der großen Heerstraße
nach Persien Verwendung.
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