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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

14. Der Plan der Wiedereroberung von Bagdad (Jildirim).

Wenig mehr als sechs Wochen nach dem Fall von Bagdad erging am 28. April 1917 eine Kabinettsorder S. M. des Kaisers, durch welche der General der Infanterie v. Falkenhayn unter Entsendung nach der Türkei beauftragt wurde, der Frage der Wiedereroberung von Bagdad näherzutreten.

Dieser Entschluß war das Ergebnis von Verhandlungen des deutschen Militärbevollmächtigten in Konstantinopel mit Enver Pascha einerseits und mit der deutschen Obersten Heeresleitung anderseits.

Am 7. Mai traf General v. Falkenhayn in Konstantinopel ein und trat fast unmittelbar darauf eine Reise zur Orientierung bei der 6. Armee an, während welcher am 20. Mai eine Besprechung mit den dort bisher leitenden Persönlichkeiten in Kerkuk stattfand, und an die sich ein kurzer Aufenthalt zum gleichen Zwecke in Palästina anschloß.

[464] In mancherlei hierauf folgenden Verhandlungen in Konstantinopel und auch Berlin wurde vorläufig festgelegt, daß neben den Kräften der 6. Armee fünf weitere türkische Divisionen und ein deutsches Hilfskorps der Mindestbedarf für die ihm gestellte Aufgabe seien.

Von den genannten fünf Divisionen sollte eine zunächst zur Reserve der Sinaifront nach Jerusalem gehen, um der - trotz der Frühjahrserfolge bei Gaza - nicht für unbedingt sicher erachteten Front einen festen Halt zu geben. Für spätere Zeit war ihre Heranziehung nach dem Euphrat zur Bagdad-Operation in das Auge gefaßt.

Es stand zur Erwägung, ob die letztgenannte Operation durch das Gebirgsland von Luristan oder durch die Steppen westlich des Euphrat geführt werden sollte. Verschiedene Erkundungen wurden dazu angeordnet. Einer der wesentlichen Punkte der Vorbereitung mußte der Verbesserung der überaus unvollkommenen Verbindungslinien nach Mesopotamien gelten. Sowohl die Vermehrung des Eisenbahnmaterials auf der Anatolischen und Bagdadbahn und der beschleunigte Weiterbau der Bahnstrecke von Rsebin auf Mossul, wie die Mitwirkung der Marine für die Organisation der Flußetappen auf Euphrat und Tigris wurden gefordert und, soweit es möglich war, eingeleitet. Wenn alle Forderungen erfüllt wurden, so konnte als frühester zeitlicher Termin für den Beginn der Operationen die Mitte September in Betracht kommen.

Durch eine Verfügung Enver Paschas vom 11. Juni 1917 wurde die Bezeichnung "Jildirim" für die Offensive nach dem Irak bestimmt, um die Geheimhaltung zu sichern.

Während sich der Name zuerst nur auf die genannten Operationen selbst beziehen sollte, wurde er sehr bald die allgemeine Bezeichnung für die Befehlsstelle und dann auch für alle unter dieser Befehlsstelle stehenden Truppen.

Jildirim, auf deutsch Blitz, war ein Ausdruck, der gerade in der Türkei bei Operationen, die monatelange Transporte und Märsche bedingten, nur schwer seine Berechtigung nachweisen konnte. Ein blitzartiges schnelles Handeln ist ungefähr das schwerste, was mit türkischen Befehlshabern und Truppen zu erreichen ist. Im Orient gewährleistet ein geschriebener Befehl noch lange keine sofortige Ausführung. Sie hat oft recht lange Wege. Der türkische Gedankengang kann vielleicht am schärfsten so klargestellt werden, wie ihn ein vortrefflicher Kenner des Orients, Professor Rodenwaldt, in seiner Schrift Seuchenkämpfe zum Ausdruck bringt:

      "Die Bestimmungen des Scheria sind schwer, meint der Muslim, so schwer, daß der schwache und sündige Mensch sie nicht immer erfüllen kann. Aber Gottes größte und vornehmste Eigenschaft ist die Barmherzigkeit. Darauf verläßt man sich. Der Mensch hat Gott auch im Verzeihen nachzueifern: infolgedessen kann auch der militärische Untergebene auf die Verzeihung seines Vorgesetzten rechnen, wenn er Befehle nicht befolgt. So war es in diesem Zusammenhange eine der verblüffendsten Erfahrungen, die man als in deutschen [465] militärischen Verhältnissen erzogener Mensch zu machen hatte, daß höhere militärische Vorgesetzte einem auf die Frage, was mit dem oder jenem ungehorsamen Untergebenen geworden sei, antworteten: »Wir haben ihm verziehen.«"

Daß der Deutsche sich diese Erwägungen nicht so schnell zu eigen machen kann, ist selbstredend. - Die deutsche Bezeichnung für Jildirim war Heeresgruppe F (Falke). Die Zusammensetzung des vorwiegend aus deutschen Offizieren bestehenden Stabes wurde durch das preußische Kriegsministerium bestimmt. Chef des Generalstabs wurde Oberst v. Dommes, Oberquartiermeister Major Ludloff.

Das deutsche Hilfskorps, welches für Jildirim aufgestellt wurde, erhielt die Bezeichnung "Pascha II" (Asienkorps). Sein Kommandeur wurde der Oberst v. Frankenberg und Proschlitz. Den Kern des Asienkorps bildeten die drei Infanterie-Bataillone 701, 702 und 703, die aus ausgewählten Mannschaften deutscher Regimenter in der Heimat zusammengestellt waren. Den Bataillonen waren Maschinengewehrkompagnien, Kavalleriezüge und Minenwerfertrupps zugeteilt. Zum Asienkorps traten ferner Artillerie verschiedener Art, Pioniere, Fernsprechabteilungen, Funkenstationen, Flieger-Abteilungen sowie Sanitätsformationen, Kraftwagenstaffel usw. Die Bezeichnung "Asienkorps" hat manchen Irrtum hervorgerufen, weil die beschränkte Stärke der Formation, an den in der Front verwendeten Gewehren gemessen, vielfach überschätzt worden ist.

Bis in den Spätherbst 1917 hinein mußten die fechtenden Teile des Asienkorps auf der asiatischen Seite von Konstantinopel zurückgehalten werden, weil die durch die türkischen Verhältnisse bedingten Schwierigkeiten die völlige Fertigstellung und den Transport der Truppen immer wieder verzögerten. Einzelne Teile des Asienkorps sind überhaupt erst im Frühjahr 1918 an die Kampffront gelangt.

Im Sommer 1917 schien es noch möglich, das Asienkorps auf der Euphratetappe bis zu dem 150 Kilometer westlich von Bagdad gelegenen Hit vorzuführen. Bis zum Herbst hatten sich aber alle Verhältnisse geändert. Es ist die im Orient häufig wiederkehrende Erscheinung, daß die ursprünglichen Absichten nicht zur Ausführung gelangen können, weil vermöge der ungeheuren Entfernungen und der überaus beschränkten Verkehrsmittel ein zu langer zeitlicher Zwischenraum zwischen Plan und Ausführung liegt.

Die Rückgabe der nach den europäischen Kriegsschauplätzen abgegebenen türkischen Divisionen wurde von Enver Pascha bei der deutschen Obersten Heeresleitung beantragt, um die notwendigen bewährten Truppen für Jildirim zur Verfügung stellen zu können. Sie erfolgte allmählich; der erste Abtransport aus Europa begann Anfang Juni. Die Bildung der 7. türkischen Armee wurde angeordnet, welche neben der 6. Armee operieren sollte.

Für die Heeresgruppe F wurde eine besondere Etappeninspektion unter dem Befehle des Generalmajor Greßmann errichtet. Für den Etappeninspekteur bestanden außerordentliche Schwierigkeiten, um eine straffe und schnell arbeitende [466] Organisation auf den weiten Wegstrecken durchzuführen. Der Einsatz deutscher Offiziere allein konnte, trotz aller ihrer Tatkraft, hier nicht den gewünschten Wandel schaffen. Für die Ausnutzung der primitiven Hilfsmittel, welche dieses Land bietet, ist der Deutsche, der an die Verkehrsmittel von Mitteleuropa gewöhnt ist, nicht immer geeignet. Auf der Etappe, ebenso wie in allen technischen Betrieben, stößt der Deutsche häufig auf rätselhafte Widerstände, die nur dadurch erklärlich werden, daß verschiedene Personen aus den ungeregelten Zuständen Vorteile ziehen, welche der scharf durchgeführte deutsche Geschäftsgang nicht kennt. Für die Maßnahmen, welche von General Greßmann durchgeführt werden sollten, war in Anbetracht aller Erschwerungen und passiven Widerstände die Zeit viel zu kurz!

Das Oberkommando der Heeresgruppe F verblieb bis zum Ende August 1917 in Konstantinopel. Durch eine Allerhöchste Kabinettsorder vom 25. Juni war befohlen worden, daß sämtliche deutschen Offiziere der Heeresgruppe F von der Militär-Mission unabhängig seien.

Die Verstärkung der englischen Truppen an der Palästinafront und der dortige Befehlswechsel deuteten im Spätsommer auf eine baldige Fortsetzung der englischen Offensive gegen Palästina. Wie am Schlusse des später veröffentlichten Berichts des General Allenby ausgesprochen ist, wurde als bestes Mittel, um eine Unternehmung gegen Bagdad zu parieren, die kräftige Offensive gegen Palästina erachtet!

Schon am 24. August 1917 erfolgte ein erster Vorschlag Enver Paschas über eine Änderung der beabsichtigten Operationen in Asien von Bagdad nach Palästina. Am 1. September teilte Enver Pascha dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe F vorerst seine Absicht mit, die Sinaifront als 8. Armee unter dessen Befehl zu stellen. Die 7. Armee war im Sommer mit größeren Teilen nach Aleppo vorgezogen worden. Ende August ging auch das Oberkommando der Heeresgruppe nach Aleppo.

Im Laufe des September trat die Notwendigkeit, die nächste Operation in Palästina zu führen, immer stärker hervor.

General Ludendorff schreibt in seinen Kriegserinnerungen: "Die Operation gegen Bagdad fiel sang- und klanglos unter den Tisch". Der Kriegsschauplatz stand durch den Zwang von Palästina schließlich fest, aber nicht die dortigen Befehlsverhältnisse.

Der Marineminister Djemal Pascha hatte seit November 1914 als Oberbefehlshaber der 4. Armee das Kommando in Syrien und Palästina geführt. Enver Pascha erachtete sich durch besondere - zumeist politische - Rücksichten ihm gegenüber gebunden und scheute sich, einen direkten Wechsel des Oberbefehls zu verfügen. So kam ein Kompromiß zustande, welcher der Sache nicht förderlich sein konnte. Während Jildirim die Leitung der Operationen an der Palästinafront mit der 7. und 8. Armee erhielt und ihm auch diejenige der 6. Armee in [467] Mesopotamien verblieb, wurde Djemal Pascha zum Oberbefehlshaber von Syrien und Westarabien ernannt mit Unterstellung der dortigen Truppen. Die 4. Armee als solche verschwand zeitweilig, um später wieder zu erstehen.

Die Befehlsverhältnisse wurden erst klar, als Djemal Pascha als Oberbefehlshaber von Syrien und Westarabien in dieser Verwendung beurlaubt wurde, und am 12. Dezember 1917 die Rückreise aus Damaskus nach Konstantinopel antrat, um dort weiter als Marineminister zu wirken.

Die in das Auge gefaßte Absicht des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe F, durch eine Offensive den englischen Bewegungen zuvorzukommen, konnte nicht mehr zur Durchführung gelangen, da der große englische Angriff am letzten Oktober eingesetzt hatte, ehe alle Truppen, über die General v. Falkenhayn verfügen sollte, hatten zur Front gelangen können.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte