Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
15. Die englische Offensive in Palästina im
Winter 1917/18.
Im Laufe des Sommers 1917 hatten mehrfach größere englische
Kavalleriestreifen gegen den linken Flügel der türkischen Front in
der Gegend Birseba stattgefunden. Sie wiederholten sich im Herbst in
verstärktem Maße, zum Teil unter Beteiligung von gepanzerten
Kraftwagen.
Am 28. Oktober wurde durch die deutschen Flieger festgestellt, daß
südlich und westlich von Birseba zwei englische
Kavallerie-Divisionen und starke Infanterie ständen, während vor der
Gazafront etwa fünf feindliche Divisionen massiert waren. Am 30. Oktober
setzte verstärktes Artilleriefeuer gegen die Gazastellung ein, während
feindliche Monitore die Bahnlinie nördlich von Gaza von der See her
beschossen. Am 31. Oktober griffen die Engländer Birseba mit starken
Kräften umfassend an. Die dort stehende 27. türkische Division,
welche größtenteils aus Arabern bestand, schlug sich schlecht. Das
von der 16. Division zur Unterstützung gesandte 48.
Infanterie-Regiment kämpfte tapfer, aber am Nachmittage mußten die
Türken ihre Stellungen räumen und gingen in nordwestlicher
Richtung von Tell Scheria zurück. Sehr erhebliche Teile der 27.
Division gerieten in Gefangenschaft.
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Nun erhielt das Oberkommando der 7. Armee, das in Hebron eingetroffen
war - Oberbefehlshaber Fewsi Pascha, Chef des Generalstabs Major
v. Falkenhausen -, den Oberbefehl über den Abschnitt
östlich der Bahnlinie Arak el
Menschije - Birseba. Ihm wurde zunächst das III. Armeekorps
mit der 24. Division, 16. Division und 3.
Kavallerie-Division sowie den Resten der 27. Division unterstellt.
Oberstleutnant Willmer mit Teilen der von ihm befehligten 24. Division
war am Nachmittage des 31. Oktober von Tell Scheria in die Gegend
nördlich Birseba entsandt worden, konnte aber nur noch mit einigen
Batterien in den bereits verlorenen Kampf eingreifen. Am Abend erhielt er Befehl
zum Abmarsch [468] nach
El Daharije, um hier und weiter westlich bei Abu Chuff die
Straße über Hebron nach Jerusalem zu sichern. (El Daharije ist
ungefähr halbwegs Birseba und Hebron gelegen.)
Die Engländer verblieben zunächst bei dem gewonnenen Birseba und
schanzten dort. Nur Kavallerie-Patrouillen folgten den weichenden Türken.
Erst am 1. November ging eine englische
Kavallerie-Division gegen die von den Vortruppen der 24. Division besetzte
Stellung etwa vier Kilometer südlich El Daharije vor.
Die Engländer hatten aber schon auf andere Art versucht, die
rückwärtigen Verbindungen der Türken nach Hebron zu
unterbrechen. Sie hatten eine Kavallerie-Abteilung von 6 Offizieren, 90 Mann, auf
Kamelen beritten, mit Maschinengewehren entsandt, welche von Osten an die
Straße Hebron - El Daharije herangekommen war, einen
dort arbeitenden deutschen Fernsprechtrupp zersprengt und sich vier Kilometer
nördlich El Daharije festgesetzt hatte und so die Straße
sperrte.
Oberstleutnant Willmer ließ sie in der ersten Frühe des 2. November
durch mehrere, von dem sächsischen Hauptmann Eulitz geführte
Kompagnien umzingeln und nahm die ganze Abteilung nach heftigem Kampf
gefangen.
An diesem Tage, dem 2. November, begann der feindliche Angriff gegen die
Gazastellung.
Die türkische 8. Armee stand mit dem XXII. Armeekorps bei Gaza und mit
dem XX. Armeekorps östlich davon bis Tell Scheria. Die 53.
Division war nördlich Gaza in Reserve. Den Engländern gelang es,
direkt an der Küste bis El Mine durchzustoßen, wo ihr
weiteres Vorgehen abgeriegelt werden konnte. Weiter im Osten drängte
englische Kavallerie bis
Ras-en-Nukh vor. Die übrige Front konnte sich vorläufig
behaupten.
Die feindlichen Angriffe wiederholten sich in der Nacht vom 2./3. und am 3.
November. Die Engländer verschoben Kräfte nach Osten in Richtung
Tell Scheria und verstärkten dort ihren Druck. Während dann die
türkische 8. Armee aus der Gazastellung - gegen die auch das Feuer
von Kriegschiffen vom See aus flankierend
einwirkte - zurückging, gelang es den Engländern in erneutem
Angriff östlich von Tell Scheria durchzubrechen.
Die 8. Armee wich hinter den Wadi-el-Hessi, zwölf Kilometer
nördlich von Gaza, zurück. Die Ordnung der Verbände hatte
mehrfach gelitten. Die 7. Armee verblieb in Höhe der vorher genannten
El Daharije, wo es einem von Oberstleutnant Willmer aus der Gegend von
Anab geführten Angriff bereits am 3. November gelungen war, die an der
Straße Birseba - Hebron vorgegangene starke feindliche
Kavallerie erfolgreich zurückzuweisen.
Der Stab von Jildirim unter General v. Falkenhayn
traf am 5. November von Aleppo in Jerusalem ein.
Die durch lange Monate von den türkischen Truppen unter Oberst Freiherrn
[469] v. Kreß so
tapfer verteidigte Stellung am Südrand von Palästina ging durch die
Kämpfe vom 31. Oktober bis 6. November ganz verloren. Die
türkischen Armeen mußten auch noch die nächsten Wochen im
Rückzug von Abschnitt zu Abschnitt verbleiben, da die
Engländer - wenn auch trotz ihrer weit überlegenen
Kräfte mit einer gewissen Bedächtigkeit und
Vorsicht - nachdrängten, und da die Haltung der türkischen
Truppen, insbesondere bei der 8. Armee, nicht mehr ausreichte, um einen
Umschwung der Lage herbeizuführen.
Zunächst mußte die 8. Armee hinter den Wadi Kusseir - halbwegs
zwischen Gaza und Jaffa - zurückweichen. Am 11. November wurde
sie weitere 15 Kilometer in die ungefähre Linie
Jebna - Katra zurückgenommen. Eine östlich von ihr
stehende, unter dem Befehl des Kommandierenden Generals des XX.
Armeekorps, Ali Fuad Bey, zum Gegenstoß angesetzte Gruppe konnte
diesen nicht mehr zur vollen Durchführung bringen. Als es den
Engländern am 13. November gelang, die türkische Front bei
Zernuka zu durchbrechen, ging die 8. Armee bis in die Linie
Jaffa - Wadi Nusra, die 7. Armee mit ihrem rechten
Flügel in die von Natur gute und auch verstärkte Latronstellung
zurück. (Latron liegt an der Straße
Jaffa - Ramle - Jerusalem. Die Eisenbahnlinie
Jaffa - Jerusalem bleibt von Ramle aus weit südwestlich bzw.
südlich genannter Straße.)
Die 7. Armee verblieb derart vorwärts der 8. Armee gestaffelt. Ihr linker
Flügel stand sogar noch etwa 7 Kilometer südwestlich von Hebron in
Linie Dura - Jutta. Diesem Flügel gegenüber wurden
nur englische Kavallerie-Postierungen beobachtet. Ein wesentlicher Druck seitens
des Feindes erfolgte in dieser direkten Richtung auf Jerusalem nicht.
Eine Zwischengruppe, die 19. Division und 3. Kavallerie-Division, stand bei Bet
Dschibrin, ungefähr mitten zwischen Hebron und der Meeresküste.
So verlief die Front der Heeresgruppe scharf in Richtung von Nordwest nach
Südost, nicht direkt von West nach Ost, weil die 8. Armee dem feindlichen
Druck am meisten nachgegeben hatte, und weil sich die Gefährdung von
Jerusalem aus westlicher und nicht aus südlicher Richtung zu entwickeln
schien.
Wenn auch am 15. November englisches Vorgehen durch Truppen der 8. Armee
am Wadi Nusra abgewiesen wurde, zwang doch die allgemein geringe
Widerstandsfähigkeit ihrer Verbände diese Armee, noch weiter
hinter den Wadi Audscha auszuweichen.
Am 16. November besetzte englische Kavallerie Jaffa, den einzigen wichtigen
Hafen des südlichen Palästina.
Um der 8. Armee einen besseren Halt zu geben, wurden ihr die 16. und 19.
Division unterstellt, welche beide als gute Truppen galten. Die 19. Division war
erst kürzlich von den Schlachtfeldern Galiziens herangekommen. Das XX.
Armeekorps unter Ali Fuad Bey erhielt den Auftrag, Jerusalem zu verteidigen.
Das III. Armeekorps, das nach dem Norden von Jerusalem in Gegend
El Bire gezogen wurde, sollte zugleich die Verbindung mit der 8. Armee
aufrechterhalten.
[470] Das Oberkommando
von Jildirim wurde von Jerusalem nach Nablus verlegt.
Die Meldungen vom Feinde besagten, daß dieser drei bis vier Divisionen im
Raume Ramle - Chalda versammele, scheinbar um Jerusalem
anzugreifen. Am 20. November fanden einige Kämpfe ohne Entscheidung
bei Bet Likia - Saris, westlich von Jerusalem,
statt. - Am Abend des 2l. November gelang es den Engländern, die
wichtige Höhe von Nebi Samwil, nordwestlich von Jerusalem, in
Besitz zu nehmen. In dortiger Gegend wurde in den nächsten Tagen durch
Angriff und Gegenangriff weiter gekämpft. Auch in Gegend der
Audja-Mündung fanden kleinere Gefechte statt, bei denen es dem vorher
weiter nach Norden zurückgegangenen rechten Flügel der 8. Armee
gelang, am 25. November englische Kavallerie, die über den Audja
vorgekommen war, über den Fluß zurückzuwerfen.
Um die Engländer an der Weiterführung des Angriffs auf Jerusalem
zu verhindern, wurden nunmehr die 7. und 8. Armee vom Oberkommando
Jildirim zum Gegenangriff angesetzt. Nach örtlichen, an verschiedenen
Stellen der ganzen Front erzielten Erfolgen traten auch wieder an einzelnen
Stellen Rückschläge ein. Am letzten November stand die 8. Armee
in einer Front von der Mündung des Wadi Audscha über
Fedscha - El Tireh - Naalin, die 7. Armee bei und
nördlich Jerusalem. Bet Ur et-Tahta in Höhe von
Ramallah, das vorübergehend in Händen des türkischen III.
Armeekorps gewesen war, gehörte wieder den Engländern.
Die englischen Hauptkräfte standen Anfang Dezember westlich und
nordwestlich von Jerusalem, während südlich und südwestlich
von Jerusalem nur einzelne feindliche Abteilungen beobachtet wurden.
Nach kleineren Kämpfen an verschiedenen Stellen ohne entscheidende
Bedeutung ging das XX. türkische Armeekorps, das sich durch Umfassung
von Nordwesten bedroht glaubte und von dem wohl auch einzelne Teile in ihren
Höhenstellungen bei Dunkelheit überrascht worden waren,
schließlich auf die Höhen östlich und nordöstlich von
Jerusalem zurück, und die Engländer konnten am 9. Dezember 1917
Jerusalem - ohne jeden Straßenkampf in der heiligen
Stadt - besetzen.
Der damit erzielte moralische Erfolg war von sehr viel größerer
Bedeutung, als der militärische, der den Engländern erst sechs
Wochen nach ihrem Siege van Birseba zugefallen war, obgleich die Entfernung
von Birseba nach Jerusalem auf direkter Straße nur 80 Kilometer
beträgt und die Truppen der türkischen 8. Armee nach den
unglücklichen Kämpfen bei Birseba und Gaza nur noch sehr geringe
Kopfstärken aufwiesen.
Immer wieder hat sich die Erscheinung in der Türkei wiederholt, daß
wirklich geschlagene Truppen nur sehr schwer und langsam ihren vollen
moralischen Halt wiedergewinnen.
Die beiden nächsten Monate, in welche zugleich die Regenzeit fällt,
die alle Bewegungen in dem wegearmen Lande erschwert, brachte nur
Kämpfe, welche [471] die Gesamtlage nicht
mehr ausschlaggebend beeinflußten. In der Nacht vom 20./21. Dezember
1917 überschritten die Engländer auf Flößen und
leichten Brücken den Wadi Audscha und drangen über Schech
Muannis vor. Die 8. Armee ging daraufhin am 21. Dezember in die Taborstellung
zurück. Den Oberbefehl über die 8. Armee hatte Djewad Pascha
schon vorher übernommen. Das X X. Armeekorps überließ
dem Feinde nach und nach in kleineren Kämpfen die Höhen
nordöstlich von Jerusalem.
Das Oberkommando Jildirim ging von Nablus nach Nazareth, und das
Oberkommando der 7. Armee nahm sein Quartier in Nablus.
Während das türkische III. Armeekorps Ende Februar in Höhe
des Tell Azur beiderseits der großen Straße nach Nablus in
verhältnismäßig guten Stellungen stand, hatte das XX.
Armeekorps am 20. Februar Jericho aufgeben müssen. Der Ort wurde am
21. Februar von den Engländern besetzt. Das XX. Armeekorps wurde auf
das östliche Jordanufer zurückgenommen, behielt aber eine
brückenkopfartige Stellung auf dem westlichen Flußufer in der
Hand.
Im Ostjordanlande waren die Araber unter dem Scherif Faisal, von den
Engländern mit Offizieren und allen denkbaren Kriegsmitteln
unterstützt, in den letzten Monaten des Jahres 1917 sehr lebhaft tätig
gewesen. Immer wieder unternahmen sie Angriffe gegen die Hedjasbahn und die
örtlichen türkischen Besatzungen.
Auch gegen Medina, wo Fachri Pascha befehligte, wiederholten sie ihre Angriffe.
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