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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Seekrieg

Kapitel 5: Der Auslandskreuzerkrieg   (Forts.)
Fregattenkapitän Emil Huning

6. Tsingtau und die ostasiatischen Seestreitkräfte.

Scriptorium merkt an:
bei diesem Abschnitt verweisen wir
noch besonders auf das Kapitel
"Der Heldenkampf um Tsingtau"
aus dem Sammelwerk
"Das Buch der deutschen Kolonien".
Die zum Kreuzergeschwader gehörigen leichten Seestreitkräfte waren, soweit sie wegen mangelnder Gefechtskraft für den Hochseekampf nicht geeignet waren, [346] in den ostasiatischen Gewässern zurückgelassen. Hierzu gehörten der Kleine Kreuzer "Cormoran", die Kanonenboote "Iltis", "Tiger", "Jaguar" und "Luchs", die Flußkanonenboote "Otter", "Vaterland" und "Tsingtau" sowie das Torpedoboot "S 90". Diese Streitkräfte befanden sich bei Kriegsausbruch sämtlich im Hafen von Tsingtau oder wurden dorthin herangezogen, bis auf die drei Flußkanonenboote, die auf den chinesischen Flußläufen stationiert waren und an Ort und Stelle abgerüstet wurden. Von den Besatzungen blieben nur je zwei Mann als Wache an Bord zurück; und als auch China aus der Neutralität heraus- und auf die Seite der Feinde trat, gelang es den Wachmannschaften, wenigstens eins dieser Boote, "Tsingtau", zu versenken. Die Besatzung des "Cormoran" stellte, wie eingangs erwähnt, den aufgebrachten russischen Dampfer "Rjäsan" als Hilfskreuzer in Dienst, ebenso die Besatzungen der Kanonenboote "Tiger" und "Luchs" den deutschen Lloyddampfer "Prinz Eitel Friedrich". Auch die Artillerie und Schiffsausrüstung dieser Schiffe ging auf die beiden Hilfskreuzer über. Es blieben nur kampfbereit das Kanonenboot "Jaguar" und Torpedoboot "S 90", die zur Hafensicherung und späterhin zur artilleristischen Unterstützung der Landverteidigung herangezogen wurden. Außerdem stellte sich der Kommandant des in Tsingtau liegenden österreichisch-ungarischen Kreuzers "Kaiserin Elisabeth" vorbehaltlos dem Gouverneur der Festung zur Verfügung. Zwei Geschütze der 15-cm-Batterie dieses Kreuzers wurden zur Verstärkung der Landverteidigung ausgebaut.

Tsingtau, der einzige befestigte Stützpunkt unter den deutschen überseeischen Besitzungen, wurde bald nach Kriegsbeginn in die kriegerischen Verwicklungen mit einbezogen. Tausende von Meilen von der Heimat entfernt, hielt es treue Wacht im fernen Osten, wie ein Fels im brandenden Meer. Trotz der von allen Seiten hereinbrechenden Kriegserklärungen wäre es wohl imstande gewesen, sich dem Ansturm der Feinde gegenüber geraume Zeit zu halten, solange Japan sich neutral verhielt. Mit dem ersten Mobilmachungstage wurden die wichtigsten Maßnahmen zum Schutze der Kolonie getroffen. Die Hafeneinfahrt wurde durch eine Floßsperre gesichert, "Jaguar" und "S 90" patrouillierten in den Gewässern der inneren Kiautschou-Bucht, die Leuchtfeuer wurden gelöscht und nach Land zu wurde das Vorgelände mit den Bahnlinien unter militärische Bewachung gestellt. Die Verteidigungswerke wurden armiert, und als am 4. August auch England in den Krieg eintrat, wurden vor dem Hafen eine innere und eine äußere Seeminen-Sperre ausgelegt. Zu kriegerischen Aktionen kam es zunächst nicht; es herrschte eine gewisse, wenn auch unheimliche Ruhe - es sollte die Ruhe vor dem Sturm sein.

Aus verschiedenen Momenten konnte die Verteidigung Tsingtaus gleich in den ersten Kriegstagen schließen, daß die Haltung Japans recht zweifelhaft war. Der Verdacht, daß es in die Reihe der Feinde eintreten würde, verdichtete sich von Tag zu Tag. Diese quälende Ungewißheit erreichte ihr Ende - und es [347] wirkte trotz der Erschütterung wie eine Erlösung, als am 15. August das von brutalem Egoismus eingegebene und offenbar unter englischem Einfluß diktierte Ultimatum eintraf, das die sofortige Zurückziehung oder Abrüstung aller in den japanischen und chinesischen Gewässern befindlichen deutschen Kriegschiffe und Hilfskreuzer sowie die bedingungs- und entschädigungslose Auslieferung des gesamten Pachtgebiets von Kiautschou forderte. Dieses schamlose Ansinnen wurde einer Antwort nicht gewürdigt, dafür aber mit fieberhaftem Eifer an die letzte Verteidigung der deutschen Festung gegangen. Um keinen Zweifel an dem Verhalten der Verteidigung in der Heimat aufkommen zu lassen, sandte der Gouverneur, Kapitän zur See Meyer-Waldeck, das Telegramm an den Kaiser: "Einstehe für Pflichterfüllung bis zum äußersten." Diese am 18. August von Tsingtau aufgegebene Depesche kreuzte sich mit dem am 19. August von Berlin abgesandten Telegramm: "Seine Majestät haben befohlen, Tsingtau bis zum äußersten zu verteidigen." Wenn es dieser äußerlichen Zufälligkeit überhaupt noch bedurfte, so geht mit wundervoller Klarheit aus dieser Gleichförmigkeit der gewählten kurzen Worte hervor, wie einig man sich draußen wie in der Heimat darüber war, daß es auf die japanische Herausforderung nur die eine stumme Antwort geben konnte: Kampf!

Letzter Feldgottesdienst in Kiautschou.
Letzter Feldgottesdienst in Kiautschou.
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Aus: Um Vaterland und Freiheit, Bd. 1, S. 114.
Am 23. August lief das befristete japanische Ultimatum ab. Bis dahin mußte die letzte Waffe schußbereit, der letzte Mann kampfbereit sein. Und so war es; der 22. August sah die tapferen Verteidiger Tsingtaus bei feierlichem Gottesdienst, mit Gottvertrauen erwartete man den Feind. Bereits am ersten Abend fielen die ersten Schüsse. "S 90" stieß bei einer Erkundungsfahrt in der äußeren Bucht auf den englischen Torpedobootszerstörer "Kennet" und verwickelte diesen in ein Artilleriegefecht, das mit dem Rückzug des überlegenen Engländers endete. Dieser hatte eine Anzahl Verwundeter und Toter zu beklagen, unter letzteren den Kommandanten. Die Freude über diesen ersten, wenn auch kleinen Erfolg wurde erhöht durch das zu gleicher Zeit eintreffende Telegramm des Kaisers: "Gott mit Euch in diesem schweren Kampf. Gedenke Euer. Wilhelm."

Mit Ungeduld sah man in Tsingtau dem feindlichen Vormarsch entgegen. Es konnte nicht lange dauern, dann mußte die durch nichts gehinderte japanische Operationsarmee auf dem chinesischen Festlande erscheinen. Am 8. September trafen die ersten japanischen Vorposten in Pingtu ein und bald gewannen die beiderseitigen Vorhuten Fühlung miteinander. Gegen Mitte September drang der Feind von verschiedenen Seiten gegen die Festung vor, an allen Stellen entwickelten sich Kämpfe im Vorgelände, die mit dem 27. September ihren Höhepunkt erreichten. Der Gegner hatte seine Artillerie in Stellung gebracht und es tobte von beiden Seiten ein heftiger Kampf. Die Schiffe "Kaiserin Elisabeth", "Jaguar" und "S 90" griffen mit ihrer Artillerie in den Kampf ein und brachten durch ihre ausgezeichnete Flankenwirkung den feindlichen Vormarsch [348] vorübergehend ins Stocken. Am 28. September griffen die feindlichen Seestreitkräfte ins Gefecht ein; die japanischen Linienschiffe "Suwo", "Iwami" und "Tango" sowie das englische Linienschiff "Triumph" steuerten landwärts, sich außerhalb der Schußweite der Tsingtauer Batterie haltend, und überschütteten den Kamm der vorgelagerten Berge mit den schwerkalibrigen Geschossen ihrer Geschütze. Das Vorgelände hatte inzwischen unter hartnäckigster Verteidigung gegenüber der feindlichen Übermacht allmählich geräumt werden müssen und die Truppen hatten Befehl erhalten, sich in den engeren Festungsgürtel zurückzuziehen. Jetzt begann die eigentliche Einschließung der Festung und der Schlußakt in dem heldenmütigen Verzweiflungskampfe. Doch ehe es gelang, den deutschen Widerstand zu brechen, sollte es den schwachen Seestreitkräften noch beschieden sein, einen vollen Erfolg zu erzielen.

Der Kommandant von "S 90", Kapitänleutnant Brunner, erhielt den Auftrag, gegen die feindliche Blockadeflotte einen nächtlichen Vorstoß zu machen und zu versuchen, zum Torpedoangriff zu kommen. Er lief aus und stieß in der Nacht auf den japanischen Kreuzer "Takatschiho", der völlig überrascht wurde. "S 90" feuerte drei Torpedos auf den Gegner ab, der in wenigen Minuten sank. Von den 270 Mann der Besatzung konnten nur drei gerettet werden. "S 90" entkam in der Dunkelheit und wurde, um nicht bei Tagesanbruch in die Hände des Feindes zu fallen, an der Südküste Schantungs von der Besatzung auf Strand gesetzt. Dies war der letzte Erfolg des Restes des Kreuzergeschwaders. Die abgerüsteten Schiffe "Cormoran", "Iltis" und "Luchs" wurden Ende September an einer tiefen Stelle des Hafens versenkt. "Tiger" und die übrigen Schiffe und Fahrzeuge folgten ihnen auf diesem traurigen, aber unvermeidlichen Wege Ende Oktober, als keine Aussicht mehr vorhanden war, die Festung zu halten.

Wie sich die örtlichen Kämpfe um Tsingtau weiter entwickelten und wie die Festung schließlich fiel, hat an einer andern Stelle dieses Werkes die gebührende Würdigung erfahren.13 Der Gouverneur und die tapfere Besatzung haben ihr Wort gehalten:

"Einstehe für Pflichterfüllung bis zum äußersten."



13 [1/348]Vgl. hierzu Abschnitt "Der Krieg um die Kolonien". ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte