Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 7: Der Krieg im
Osten 1917/18 (Forts.)
Oberstleutnant Hans Garcke
9. Der deutsche Vormarsch und der Friede von
Brest-Litowsk.12
Im Bereich des Oberbefehlshabers Ost war seit Dezember 1917 die Heeresgruppe Woyrsch aufgelöst; ihr südlicher Abschnitt war zur Heeresgruppe Linsingen, ihr nördlicher zur Heeresgruppe Eichhorn getreten.
Da Österreich-Ungarn sich zunächst nicht zur Wiederaufnahme der
Feindseligkeiten entschloß, traten Linsingen und Eichhorn am 18. Februar
1918 allein den Vormarsch an. Es handelte sich jetzt darum,
Sowjet-Rußland mit Waffengewalt zum Friedensschluß zu zwingen,
die Ukrainische Republik im Kampf gegen die [333] Bolschewiken zu
unterstützen und die von ihr den Mittelmächten zugesagten
Getreidevorräte zu sichern.
Das Vorrücken erfolgte in breiter Front und mit großer Schnelligkeit.
Widerstand wurde zunächst kaum gefunden. Wo Bahnen zur
Verfügung standen, wurden sie in weitestem Umfange zur
Vorbeförderung der Truppen ausgenutzt.
Schon am 18. Februar erklärte Trotzki sich durch Funkspruch bereit, den
Frieden unter den von deutscher Seite gestellten Bedingungen anzunehmen. Der
Oberbefehlshaber Ost antwortete auf demselben Wege, daß eine schriftliche
Bestätigung dieser Bereitwilligkeit durch einen nach Dünaburg zu
entsendenden Kurier notwendig wäre. Am 22. erschien dieser und nahm die
deutsche Note mit den nunmehr verschärften Friedensbedingungen in
Empfang.
Mit den Rumänen hatten bereits am 13. Februar Friedensvorbesprechungen
in Focsani begonnen. Da ihre Vertreter aber nicht ermächtigt waren, den
Frieden abzuschließen und die Besprechungen sich, ähnlich wie in
Brest-Litowsk, unfruchtbar in die Länge zu ziehen drohten, hatte das
Oberkommando Mackensen die Verhandlungen am 14. kurz abgebrochen. Am
22., also an demselben Tage, an dem die Russen die Note in Dünaburg in
Empfang nahmen, trafen die bevollmächtigten Unterhändler der
rumänischen Regierung in Focsani ein.
Zu dieser Zeit hatten die deutschen Truppen bereits die Linie
Nowogradwolynsk - Minsk - Rjetschiza - Wolmar
überschritten. Auf dem äußersten linken Flügel der 8.
Armee war das Nordkorps des Generals Freiherrn v. Seckendorff von den
baltischen Inseln her über den zugefrorenen
Moon-Sund gegangen und in Estland eingerückt.
Unaufhaltsam ging der Vormarsch jetzt weiter. Er wurde auch noch fortgesetzt,
als am 28. Februar die russische Friedensdeputation in
Brest-Litowsk eingetroffen war und als am 1. März hier die Verhandlungen
begonnen hatten. Nach wie vor wurde hauptsächlich an den großen
Bahnen entlang und unter ihrer denkbar gründlichsten Ausnutzung
vorgedrungen. Zuweilen kam es zum Kampf zwischen den beiderseitigen
Panzerzügen. Ungeheure Räume wurden mit schwachen
Kräften durcheilt. Die Beute an Kriegsgerät und an rollendem
Material war außerordentlich groß.
Ende Februar entschloß sich nun auch die Wiener Regierung, der Ukraine in
ihrem Unabhängigkeitskampfe beizustehen und ließ ihre Truppen in
Podolien einrücken. In der Hauptsache fiel aber die Durchführung
der Kämpfe in der Ukraine den deutschen Truppen der Heeresgruppe
Linsingen zu. Deren 2. Kavallerie-Division nahm am 25. Februar Schitomir, wo
sie sich mit ukrainischen Streitkräften vereinigte. Die
Rada-Regierung, die infolge der Bolschewikenwirren schon ihr Ansehen verloren
hatte, konnte sich in Rowno wieder einrichten. Nach heftigen Kämpfen mit
tschechoslowakischen Verbänden rückten deutsche Truppen am 1.
März in Kiew und Homel ein; der Südbahnhof von Kiew konnte erst
einige Tage später genommen werden. Andere Kräfte Linsingens
erreichten [334] zusammen mit
österreichisch-ungarischen Truppen den Knotenpunkt Zmerinka an der
Bahn Tarnopol - Odessa,
Die Heeresgruppe Eichhorn nahm inzwischen Bobruisk, Borissow, Polock,
Ostrow, Pskow, Rappin am Peipus-See, Dorpat und Reval, dessen Hafen die
russische Flotte vorher verlassen hatte, und drang weiter nach Osten vor. Bei
Pskow fanden Kämpfe mit roten Garden statt; im übrigen wurde nur
selten auf Widerstand gestoßen. Deutsche, Letten und Esten
begrüßten den Vormarsch mit Jubel; sie sahen in den deutschen
Truppen die Befreier von den zuchtlosen Mordbanden der roten Garde.
Dankgottesdienste wurden abgehalten, estnische Truppen unterstellten sich
deutschem Oberbefehl.
Durch das ununterbrochene Vordringen wurden die Beratungen in
Brest-Litowsk außerordentlich abgekürzt. Am 3. März, 5 Uhr
nachmittags, wurde der Friedensvertrag unterzeichnet, und am 16. wurde er von
dem großrussischen Kongreß in Moskau ratifiziert.
Die Russen waren hiernach verpflichtet, ihre Truppen aus der Ukraine, Livland,
Estland und Finnland zurückzuziehen. Alle diese Randvölker lagen
im Kampfe mit den roten Garden, die die bolschewistische Regierung gegen sie
vorgeschickt hatte, deren sie jetzt selber aber kaum noch Herr war. In ihrer
Bedrängnis waren sie auf deutsche Hilfe
angewiesen. - Wann mit dem bolschewistischen
Groß-Rußland geregelte wirtschaftliche Beziehungen
angeknüpft werden konnten, war bei dessen wirrer innerer Lage nicht
abzusehen. Um so wichtiger war es für Deutschland, daß wenigstens
in den abgetrennten Randstaaten bald geordnete Verhältnisse eintraten. Die
von ihnen erbetene Hilfe mußte daher gewährt werden.
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