Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 7: Der Krieg im
Osten 1917/18 (Forts.)
Oberstleutnant Hans Garcke
6. Die Eroberung von Riga und
Jakobstadt.8
In den Sommerschlachten hatte es sich gezeigt, daß der Zustand des
russischen Heeres schwer erschüttert war. Nochmalige deutsche Erfolge
boten die Aussicht, es weiter zu zermürben und zum Zusammenbruch zu
bringen. Dies mußte um so mehr das Ziel der Obersten Heeresleitung sein,
als es ihr darauf ankam, möglichst bald freie Hand für den Westen zu
bekommen. Da in Rumänien und in Galizien die Verhältnisse
für eine erneute Offensive nicht günstig waren, wandte [316] sie sich dem
nördlichen Abschnitt der Ostfront zu. Eine besonders geeignete Stelle
für den Angriff bot sich bei Riga.
Der Wunsch, die Hauptstadt Livlands, den Mittelpunkt des Deutschtums in den
baltischen Provinzen, zu gewinnen, hatte seit langem bestanden und war dauernd
lebendig geblieben. Ein Angriffsentwurf war bereits im Jahre 1916 ausgearbeitet
worden. Das Armee-Oberkommando 8 war zu der Überzeugung
gekommen, daß ein frontales Zurückdrängen der Russen aus
dem Brückenkopf westlich der Düna kaum zum Ziele führen
würde; man hätte eine stark ausgebaute Stellung nach der andern
nehmen müssen, um dann schließlich vor dem schwer zu
überwindenden Stromhindernis zu stehen. Gelang es dagegen, oberhalb des
Brückenkopfes über die Düna zu gehen und so den von Osten
nach Riga führenden Weg zu öffnen, dann fiel nicht nur die Stadt,
sondern es war auch Aussicht vorhanden, starken Teilen des Feindes den
Rückzug abzuschneiden. Als geeignete Übergangsstelle war die
Gegend beiderseits der Insel Borkowitz erkundet worden. Da aber der
Feind - die 12. russische Armee unter Parski - der 8. Armee mit
drei- bis vierfacher zahlenmäßiger Überlegenheit
gegenüberstand, war die Durchführung des Unternehmens bisher
nicht in Frage gekommen.
Nach der glücklichen Beendigung der galizischen Offensive wurden die zur
Verstärkung erforderlichen Kräfte frei. Am 4. August erging daher
der Befehl an die 8. Armee, Riga zu nehmen. Drei Generalkommandos, acht
Infanterie-Divisionen, eine zusammengesetzte
Kavallerie-Division sowie reichlich schwere und mittlere Artillerie und
Pionier-Formationen wurden ihr dazu überwiesen. Von ihren eigenen
Truppen bestimmte die Armee für die Durchführung des Angriffs
über die Düna die 19. Reserve-, die 202. und die 203.
Infanterie-Division; die im Küstenschutz befindliche 1.
Kavallerie-Division wurde zur Mitwirkung bereitgestellt; im Angriffsraum
wurden alle irgend verfügbaren Fußartillerie-Batterien und
Minenwerfer-Kompagnien zusammengezogen.
Die Versammlung der Angriffstruppen vollzog sich völlig
planmäßig in dem Raum um
Merzendorf - Gr. Ekau - Neugut. Für den Beginn
des Unternehmens wurde der 1. September bestimmt.
Am 20. August räumten die Russen den am weitesten nach Westen
vorspringenden Teil ihrer Stellungen - offenbar weil sie die Gefahr erkannt
hatten, die den dort stehenden Truppen bei einem erfolgreichen deutschen Angriff
drohte - und gingen bis in die Gegend von Schlok zurück. Auch
weiter stromaufwärts gaben sie in den nächsten Tagen verschiedene
Stellungen auf dem südlichen Düna-Ufer auf; der Einfluß von
Soldaten-Abgeordneten, die die dort eingesetzten Truppen aus ihrer
gefährdeten Lage befreien wollten, hat dabei mitgesprochen.
Zur Täuschung des Feindes zog die 8. Armee in den Abschnitten der 4.
Kavallerie- und der 2. Landwehr-Division an einzelnen Stellen eine
größere Zahl von Batterien und Minenwerfern zusammen, die eine
ähnliche Feuervor- [317] bereitung wie bei dem
eigentlichen Angriff durchzuführen hatten.
Stoßtruppunternehmungen über die Düna hinüber
schlossen sich an. Auch auf den beiden Flügeln der Armee, den
großen Brückenköpfen von Jakobstadt und Riga
gegenüber, wurde für die dem Übergang vorangehenden Tage
erhöhte Feuertätigkeit, Einschießen mit Fliegerbeobachtung
usw. angeordnet.
Für die Durchführung der Hauptoperation kam es zunächst
darauf an, das Übersetzen der drei vordersten Divisionen sicherzustellen,
die den Brückenschlag und den Übergang der nachfolgenden
Verbände zu schützen hatten. Den Befehl über sie erhielt
General v. Berrer.
Die gesamte Artillerie und die Minenwerfer wurden unter den Befehl des
Oberstleutnant Bruchmüller gestellt, der dem
Armee-Oberkommando unmittelbar unterstand. Entsprechend den drei Divisionen
erster Linie wurden drei Gruppen zur Niederkämpfung der feindlichen
Stellungen gebildet. Jede dieser Gruppen arbeitete auf das engste mit der
Division, in deren Abschnitt sie zu wirken hatte, zusammen. Eine Artilleriegruppe
wurde zur Bekämpfung der feindlichen Batterien bestimmt, und die
wenigen weittragenden Geschütze wurden zu einer Sondergruppe
vereinigt.
Der Oberbefehlshaber der 8. Armee, General v. Hutier, begab sich zur Leitung des
Angriffs bereits am 29. August nach Baldon, wo am 31. auch Prinz Leopold von
Bayern eintraf. Trotz allen Bemühungen, dem Feinde die beabsichtigte
Einbruchstelle geheimzuhalten, wurde sie ihm im letzten Augenblick doch noch
verraten; drei Elsaß-Lothringer, die am Abend des 31. August
überliefen, gaben ihm genaue Nachrichten. Aber jetzt war es für die
Russen, die den Angriff westlich der Düna erwartet hatten, zu spät,
um wirksame Gegenmaßnahmen zu treffen.
Fast wäre eine für die Durchführung des Unternehmens
bedenkliche Verzögerung eingetreten. Die Wetterlage bot nach dem Urteil
der Sachverständigen für das Gasschießen wenig
günstige Aussichten. Da aber für die kommenden Tage keine
Besserung, eher eine Verschlechterung zu erwarten war, auch die Witterung an
Ort und Stelle in der Nacht vom 31. August zum 1. September nicht
ungünstig schien, gab General v. Hutier um Mitternacht den Befehl,
die bis in alle Einzelheiten getroffenen Anordnungen für die
Artillerievorbereitung und den Übergang zur Ausführung zu bringen.
Der Erfolg gab ihm recht.
Um 4 Uhr morgens setzte das Gasschießen ein, das sich gegen die
feindlichen Batterien, Beobachtungsstellen und Truppenlager richtete; um 6 Uhr
begann das Wirkungsfeuer der gesamten Artillerie, um 7 Uhr 30 Minuten das
Zerstörungsfeuer der Minenwerfer. Die Gegenwirkung der Russen war
gering; nur einzelne Batterien auf den Flügeln, die vorher nicht erkannt und
daher in die Gaszone nicht eingezogen waren, eröffneten das Feuer und
zerschossen ein paar Pontons. Bei den übrigen feindlichen Batterien
verließen die Bedienungsmannschaften fast durchweg fluchtartig die
Geschütze.
[318] Bevor das allgemeine
Übersetzen der Infanterie begann, nahm eine Kompagnie des
Landsturm-Bataillons Tilsit die Insel Borkowitz, um eine Flankenwirkung von
dort auszuschalten. Die Besatzung wurde gefangen. Gleichzeitig wurde die
Elster-Insel besetzt, die schon früher vom Feinde geräumt war.
Als Punkt 9 Uhr morgens das Feuer der Artillerie und der Minenwerfer von dem
feindlichen Uferrand der Düna wegverlegt wurde, war bereits der
größte Teil der Pontons zu Wasser gelassen und bemannt. Bald
darauf war die vorderste Infanterie übergesetzt und entwickelte sich,
unterstützt durch Flammenwerfer-Stoßtrupps und Flieger, zum
Angriff.
Um das Übersetzen der Sicht des Feindes zu entziehen, hatte man die
Flanken abgenebelt. Die russische Artillerie feuerte in den Nebel, der etwa
100 m von den Übergangsstellen entfernt
war, - in der falschen Annahme, daß in ihm die Truppenbewegungen
stattfänden. Verluste traten daher nur in geringem Umfange ein.
Um 10 Uhr vormittags konnte bereits mit dem Brückenschlag an den drei in
Aussicht genommenen Stellen begonnen werden. 12 Uhr 30 Minuten mittags war
die mittlere Brücke - zwischen der Insel Borkowitz und der
Elster-Insel - fertiggestellt, 2 Uhr 30 Minuten auch die beiden anderen.
In ununterbrochenem Vorgehen wurden die Erfolge der Durchbruchsdivisionen
ausgebaut. Das für den ersten Tag gesetzte Ziel, Schaffung eines
Brückenkopfes auf den Höhen des nördlichen
Düna-Ufers, war bereits in den ersten Nachmittagstunden erreicht. Da
jedoch der Feind in Unordnung zurückging, gab General v. Hutier
den Befehl zur alsbaldigen Fortsetzung der Operationen.
Bis zum Abend erreichte von den drei Durchbruchsdivisionen die mittlere, die 14.
bayerische, nach heftigen Kämpfen den Kl. Jägel zwischen
Rybnik und Augstkaln; die dortigen Übergänge hielt der Feind mit
starken Kräften besetzt. Rechts schloß die 19.
Reserve-Division an, die mit ihrem rechten Flügel Oger Galle erreicht
hatte; links stand die 2. Garde-Division bei Pelsche und südlich.
Inzwischen hatte der Übergang der rückwärtigen Divisionen
über die Düna-Brücken begonnen; die ganze Nacht und den 2.
September über wurde er fortgesetzt. Die für die Operationen auf
dem rechten Stromufer bestimmten Kräfte waren jetzt in drei Gruppen
eingeteilt: Die mittlere, unter General v. Berrer, sollte über den Kl.
und Gr. Jägel nach Norden vordringen, die rechte, unter General
v. Kathen, die Sicherung gegen Osten übernehmen, die linke, unter
General Riemann, in nordwestlicher Richtung auf Riga vorstoßen.
Die Kämpfe des 2. September waren erheblich schwerer als die des
vorhergehenden Tages. Die Russen hatten den Rückzug aus dem Rigaer
Brückenkopf nach Nordosten eingeleitet; sie hatten die Gefahr erkannt, in
der die noch westlich Riga stehenden Truppen schwebten, und leisteten den
Truppen Berrers erbitterten Widerstand. Am Nachmittage brach nach einem
Vorstoß der 1. Garde-Division die Verteidigung am Kl. Jägel
zusammen. Die Verfolgung nach Norden [319] wurde sofort
aufgenommen. Noch in der Nacht erreichte die 14. bayerische Division bei Gut
Waldenrode den Gr. Jägel, dessen jenseitiges Ufer vom Feinde stark
besetzt war. Links davon waren Teile der 42. Division in nordwestlicher Richtung
vorgegangen, um dem aus Riga weichenden Feinde die Enge von Kulpe zu
verlegen. Die Gruppe Kathen hatte im Laufe des Tages heftige feindliche
Gegenangriffe abgewehrt; die Divisionen des General Riemann hatten sich
langsam in Richtung Riga vorgearbeitet.
Bei den auf dem linken Düna-Ufer dem Rigaer Brückenkopf
gegenüberliegenden Truppen war am Morgen des 2. September durch
vorgesandte Patrouillen festgestellt worden, daß die feindlichen
Gräben unbesetzt waren; auf der ganzen Front wurde darauf der Vormarsch
angetreten. Die auf dem rechten Flügel vorgehende 1.
Reserve-Division stieß nördlich Warower auf eine stark ausgebaute
feindliche Stellung und bereitete den Angriff darauf für den folgenden Tag
vor. Eine Abteilung der Division besetzte inzwischen die in ihrer rechten Flanke
liegende Insel Dalen, um von hier aus durch Feuer in den Rücken der
russischen Stellung bei Kirchholm den Angriff der auf dem linken Flügel
Riemanns befindlichen 2. Garde-Division zu unterstützen. Links von der 1.
Reserve-Division hatten sich unter Befehl des Generals v. Pappritz
(Generalkommando 60) die 22. Landwehr- und 205.
Infanterie-Division Riga genähert.
Für den kommenden Tag galt es, die Verfolgung des weichenden Feindes
rücksichtslos fortzusetzen.
Bei der Gruppe Berrer gelang es der 14. bayerischen Division, im Morgengrauen
den Gegner bei Waldenrode zu überrumpeln und so das nördliche
Ufer des Gr. Jägel zu gewinnen. In den folgenden erbitterten
Kämpfen war die Lage besonders dadurch erschwert, daß die
Artillerie infolge der schlechten Wege nur langsam herankommen konnte.
Trotzdem ging der Angriff bis Balin vorwärts; hier aber blieb die Division
bei Einbruch der Dunkelheit dem Feinde gegenüber liegen. Die ihr
unterstellte Leib-Husaren-Brigade war nach Überschreiten des
Gr. Jägel nach Nordwesten vorgeschickt worden, um die Enge
zwischen Weißem See und Jägel-See zu sperren, war aber schon nach
wenigen Kilometern auf starken Widerstand gestoßen und nicht weiter
vorgekommen. Rechts von der 14. bayerischen Division, der die 75.
Reserve-Division folgte, kam im Lauf des Tages die 1.
Garde-Division bis in die Gegend von Waltersal, die 20. bis Nikolaja vor; die
verstärkte 1. Kavallerie-Division war auf dem rechten Flügel.
Der Gruppe Riemann setzte der Feind ebenfalls heftigen Widerstand entgegen, um
den Abmarsch seiner Kolonnen nach Nordosten zu decken. Die 42. Division
nahm nach schweren Kämpfen Kulpe und ging dann in nördlicher
Richtung gegen den Gr. Jägel vor, um den linken Flügel der
Gruppe Berrer zu unterstützen. Die
Garde-Ersatz-Division stieß westlich des Sees von Kulpe vor, sperrte die
Übergänge über den Unterlauf des Kl. Jägel und
ging weiter in die Gegend von Bickern. Ein Regiment blieb im Vormarsch gegen
die Enge [320] zwischen
Jägel- und Kisch-See, wo die große Straßenbrücke
abgebrannt vorgefunden wurde. Bis zum Abend wurde eine Behelfsbrücke
hergestellt, über die die Infanterie noch in der Nacht auf das östliche
Ufer überging, um die Enge für einen etwa zur Unterstützung
der 42. Division erforderlichen Vorstoß offenzuhalten. Die auf dem linken
Flügel der Gruppe Riemann vorgehende 2.
Garde-Division erreichte 5 Uhr nachmittags den Ostrand von Riga und besetzte
sodann die Stadt ohne Kampf.
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Im Brückenkopf hatte der Feind, der der 1. Reserve-Division bei Warower
gegenüberstand, seine Stellungen am Morgen freiwillig geräumt. Die
Division folgte und drang, ebenso wie die Truppen des Generals
v. Pappritz, in die Mitauer Vorstadt ein. Ein weiteres Vordringen nach
Osten war zunächst nicht möglich, da die
Düna-Brücken von den Russen gesprengt worden waren.
In der Nacht zum 4. September wurde ein russischer Fernspruch aufgefangen,
nach dem das VI. sibirische Korps auf das Nordufer der Livländischen Aa
zurückging, um die überlastete Rückmarschstraße
Riga - Wenden - Pskow freizumachen, dem sibirischen II.
Korps aber zur Deckung des Abmarsches der Angriff nach Süden befohlen
war. Aufgabe der Gruppe Berrer war es jetzt, möglichst schnell die
große, von Riga nach Wenden führende Straße zu erreichen.
Der 20. Division gelang es, durch umfassenden Angriff dem Feinde den Bahnhof
Hinzenberg zu entreißen. Links von ihr brach die 1.
Garde-Division feindlichen Widerstand, überschritt die Hinzenberger
Chaussee in Gegend Neu-Grike, machte hier große Beute an Gefangenen,
Geschützen und Fahrzeugen und erreichte im weiteren Vordringen nach
Norden die Livländische Aa. Die links von ihr befindliche 14. bayerische
Division war mit der Leib-Husaren-Brigade der Gruppe Riemann unterstellt
worden, um mit der 42. Division zusammen gegen die Aa unterhalb Wangasch
vorzudringen. Nach kurzem Gefecht nördlich Kussau erreichte sie den
Abschnitt und sicherte im Anschluß an die 1.
Garde-Division bis Ringenberg. Die 42. Division ging links von ihr, beiderseits
des Großen und Kleinen Weißen Sees nach Norden vor und kam,
ohne auf Widerstand zu stoßen, ebenfalls bis an die Aa heran. Das
nördliche Flußufer war vom Feinde besetzt; die Brücken waren
sämtlich zerstört.
Die Garde-Ersatz-Division schob Teile über den Mühlgraben
nördlich Riga bis an die Küste vor, ohne einen Feind zu treffen. Sie
und die 1. Garde-Infanterie-Division schieden am Abend des 4. September aus
dem Verbande der Gruppe Riemann aus und wurden zum Abtransport
bereitgestellt.
Das Generalkommando 60, dem jetzt auch die 1.
Reserve-Division unterstellt war, hatte Befehl, bis auf weiteres auf dem
westlichen Düna-Ufer zu bleiben. Dünamünde wurde von
einem Regiment der 205. Division kampflos genommen.
Die Gruppe Kathen stand zur Flankensicherung mit ihren Hauptkräften in
der Linie Bersig Galle - östlich Rybnik. Brennende
Dörfer und starke Detonationen zeigten, daß jetzt auch vor ihrer
Front der Feind im Rückzuge begriffen [321] war, und zwar
einschließlich der Truppen, die der 2. bayerischen
Landwehr-Division an der Düna, westlich Friedrichstadt,
gegenübergestanden hatten. Zu nennenswerten Kämpfen kam es hier
nicht mehr.
Am 5. September war bei der ganzen 8. Armee die Gefechtstätigkeit nur
noch gering. Die geschlagene russische 12. Armee befand sich in vollem
Rückzuge.
Die Divisionen Kathens und Berrers hielten ihre erreichten Linien. Die Gruppe
Riemann ging über die Livländische Aa und schob ihren linken
Flügel bis in die Enge zwischen Lilast-See und Rigaer Bucht vor. Von
einem weiteren Vormarsch der Armee wurde abgesehen; mit dem Ausbau der
neuen Stellungen wurde begonnen. Vor der ganzen Front wurden jedoch
Kavallerie- und gemischte Abteilungen weit vorgetrieben, die dem Feind die
Fortsetzung der Verfolgung vortäuschten, seinen Verbleib feststellten und
wertvolle Vorräte zurückführten.
Die Beute der Rigaer Operation betrug 8900 Gefangene, 262
Geschütze - darunter etwa ein Drittel
schwere -, 150 Maschinengewehre, 45 Minenwerfer und zahlreiches
anderes Kriegsgerät.
Nicht geglückt war das Abschneiden der feindlichen Kräfte, die
westlich der Düna gestanden hatten. Die Russen hatten den Abmarsch
bereits befohlen, als die vordersten deutschen Truppen kaum auf dem feindlichen
Flußufer Fuß gefaßt hatten, und sie bewiesen wieder ihre
Gewandtheit in der Durchführung von Rückzügen.
Ein großer Erfolg war aber doch errungen. Die der 8. Armee gestellte
Aufgabe, Riga zu nehmen, war überraschend schnell gelöst worden.
Die Stadt, zumal der deutsche Teil der Bewohner, war vor Plünderungen,
Raub und Brandstiftung bewahrt worden, und die Oberste Heeresleitung wurde in
die Lage versetzt, sofort wieder über einen Teil der eingesetzten
Kräfte für anderweitige Aufgaben verfügen zu
können.
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Im Bereich der 8. Armee folgte nun alsbald der Angriff auf den
Brückenkopf von Jakobstadt.
Überragende Höhen gestatteten hier den Russen Einblick bis tief in
das Hintergelände der deutschen Stellungen. Schon seit langem bestand der
Wunsch, durch Angriff eine vorteilhaftere Linienführung zu schaffen.
Eingehende Vorarbeiten lagen bereits vor, doch hatte es bisher zur
Durchführung stets an den erforderlichen Kräften gefehlt. Als der 8.
Armee die Verstärkungen für die Rigaer Unternehmung
zugeführt wurden, bat das Generalkommando 58 (General Graf
Schmettow), ihm nach Beendigung der Kämpfe auf dem linken
Armeeflügel vor der endgültigen Abbeförderung noch einige
Truppen für den Stoß auf Jakobstadt zuzuleiten.
Die ursprünglichen Angriffspläne hatten für die Eroberung des
dortigen Brückenkopfes eine Verstärkung um mehrere Divisionen
vorgesehen. Nach der starken Erschütterung aber, die die Russen durch den
Schlag von Riga erfahren [322] hatten, mußten
für einen überraschend und entschlossen geführten
Vorstoß auch schwächere Kräfte genügen. Nur die
bewährte 14. bayerische Division wurde daher vom nördlichen
Düna-Ufer dem Generalkommando 58 zugeführt. Zur Leitung des
Artilleriekampfes wurde Oberstleutnant Bruchmüller zur Verfügung
gestellt.
Als Einbruchsstelle wurde die Gegend von Roshe gewählt, als Angriffstag
der 21. September bestimmt.
Nach Vergasung der feindlichen Batterien und Bearbeitung der
Infanteriestellungen begann 6 Uhr 30 Minuten morgens der Sturm. Rechts
drangen die 14. bayerische, links die 105. Division siegreich vor. Die Bayern
nahmen mehrere feindliche Batterien in dem bewaldeten
Höhengelände nordwestlich Gusten, sicherten sie gegen Osten und
Südosten, wandten sich nach Norden und gewannen bereits 11 Uhr
vormittags die beherrschenden Renneberger
Höhen, - kurz bevor eine starke feindliche Kolonne sich ihnen
näherte. Die 105. Division hatte schweren feindlichen Widerstand zu
überwinden, kam aber gegen 11 Uhr vormittags bis an die Eisenbahnlinie
vor. Hier zwang starkes Artilleriefeuer zum vorläufigen Halten.
Strömender Regen verwandelte die an sich schon schlechten Wege in
grundlosen Morast. Das Nachziehen der Artillerie, ohne deren
Unterstützung der feindliche Widerstand nicht gebrochen werden konnte,
wurde dadurch in hohem Grade erschwert. Bis zum Einbruch der Dunkelheit war
aber der Nordteil des Brückenkopfes unbestritten in deutscher Hand. Unter
dem Schutze schweren Artilleriefeuers vom nördlichen
Düna-Ufer war es allerdings dem größten Teil der 60.
russischen Division gelungen, sich über den Fluß zu retten und die
Brücken hinter sich abzubrennen. Die Nachhuten hatten zähen
Widerstand geleistet; besonders die Artillerie, deren Geschütze teilweise von
Offizieren bedient wurden, hatten hohen Opfermut bewiesen.
Die bayerische Division war nach der Fortnahme der Renneberger Höhen
zum Angriff auf Jakobstadt angesetzt worden. Durch den aufgeweichten Boden
im schnellen Vordringen behindert, erzwang sie nach hin und her wogenden
Kämpfen gegen Abend den Übergang über den
Sussei-Bach, schlug die hier sich entgegenwerfenden feindlichen
Verstärkungen und drang am 22. September, 4 Uhr morgens, in Jakobstadt
ein.
Auf dem rechten Flügel der Stoßgruppe schloß sich die 29.
Landwehr-Brigade, auf dem linken die 4.
Kavallerie-Division dem Vorgehen an. In noch nicht 24 Stunden war der ganze
Brückenkopf restlos in deutschem Besitz; drei russische Divisionen waren
unter schweren blutigen Verlusten geschlagen. 32 Offiziere und 4700 Mann waren
gefangen, 55 Geschütze - zum Teil
schwere -, eine große Anzahl von Maschinengewehren und
Minenwerfern, zahlreiches Gerät und reiche Vorräte waren erbeutet.
Die deutschen Verluste waren gering. Wenn es dem Gegner gelang, seine
Divisionen noch rechtzeitig der völligen Vernichtung [323] zu entziehen, so lag
dies vornehmlich an den durch die Regengüsse grundlos gewordenen
Wegen, die die Operationen erschwerten.
Mit Gewinnen der Düna-Linie war das erstrebte Ziel erreicht; am 22.
September richteten sich die Truppen in ihren neuen Stellungen ein.
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