Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von
Bayern
im Jahre 1917 (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries
8. Ereignisse bis zur
Flandernschlacht.
Beim Oberkommando der Heeresgruppe wurden die Gefahren, die der 4. Armee
drohten, sehr ernstlich geprüft und durchdacht; da den Engländern
daran gelegen sein mußte, sich Flandern als des Hauptausgangspunktes des
U-Bootkrieges zu bemächtigen, rechnete man nicht nur mit dem
kommenden großen Schlage bei Ypern, sondern auch mit einem Angriff
unmittelbar an der Küste im Dünengelände, mit
Beschießungen der belgisch-flandischen Küste und
Landungsversuchen dort oder auf niederländischem Gebiete unter
Verletzung der holländischen Neutralität. So war es geboten, der 4.
Armee jede verfügbare Verstärkung zuzuwenden, wozu die 6. und 2.
Armee geschwächt werden mußten. Dabei war sich das
Oberkommando bewußt, daß auch diesen Armeen keine
Stürme [127] erspart bleiben
würden; Arras und St. Quentin waren Brennpunkte, um die immer
wieder Kämpfe erwachen konnten, weil die Gegner das Interesse hatten, die
deutschen Kräfte zu fesseln.
Bei der 4. Armee blieb es im Juni und Juli verhältnismäßig
ruhig insofern, als größere Infanteriegefechte selten waren. Im
Dünengebiet wurden auch fernerhin feindliche Angriffsvorbereitungen
beobachtet: Vermehrung der Batterien und Eisenbahngeschütze,
erhöhter Bahnbetrieb; auffällig schien die am 20. Juni gemachte
Feststellung, daß die französischen Truppen, die bisher die
Küste bei Nieuport bewacht hatten, durch Engländer abgelöst
waren. Die deutsche Artillerie bekämpfte lebhaft die feindlichen Arbeiten
und richtete schwerstes Feuer auf Dünkirchen und die Eisenbahn
Dünkirchen - Furnes. Beiderseits waren die Flieger mit
Bombenwürfen sehr tätig, wobei die englischen Flugzeuge
wiederholt holländisches Gebiet überflogen.
Dem vermuteten feindlichen Angriff wäre es zustatten gekommen,
daß sich zwischen der Küste und Lombartzyde ein englischer
Brückenkopf auf dem Ostufer der Yser befand. Er mußte genommen
werden. Nach gründlicher Artillerievorbereitung stürmte ihn am 10.
Juni abends die Marineinfanterie in einer Breite von 3 km und einer Tiefe
von 1 km. Der Feind wurde über die Yser geworfen und verlor,
neben schweren blutigen Verlusten, 1250 Gefangene und 40 Maschinengewehre.
Die deutschen Flieger hatten in hervorragender Weise mitgewirkt. Dem Gegner
war diese Einbuße sehr schmerzlich; am 12. Juli begann er mit
Gegenangriffen, erst schwächlich, dann mehr und mehr sich
verstärkend, wurde aber, wie am 12., so auch am 13., 15., 16. und 19. Juli
erfolgreich abgewehrt.
Vom 20. Juli an steigerte sich neben der Fortsetzung der Angriffsarbeiten die
feindliche Artillerie- und Fliegertätigkeit im Küstengebiet ganz
wesentlich. Die deutschen Batterien und Fluggeschwader wirkten heftig dagegen.
Der erwartete Angriff schien näher zu rücken.
Auf der See ereignete sich nichts von Bedeutung. Englische Monitore erschienen
zwar mehrfach an der belgischen Küste, aber schossen nicht. Bei
Dünkirchen und Calais wurden wiederholt feindliche Seestreitkräfte
gesichtet. Nordwestlich Zeebrügge machte sich Ende Juli eine neue
Netzsperre gegen die deutschen U-Boote geltend.
Im Überschwemmungsgebiet der Yser, zwischen Nieuport und
Noordschote, wo die Belgier standen, waren Angriffsvorbereitungen nur bei
Dixmude erkennbar, ohne Besorgnisse hervorzurufen. Die Gefechtstätigkeit
blieb gering; deutsche Streifen brachten wiederholt Gefangene ein.
Um so schärfer gestalteten sich die Verhältnisse im Juli zwischen
Bixschote und Frélinghien, auf der voraussichtlichen Hauptangriffsfront.
Zwar hielt der Feind in der ersten Hälfte des Monats seine Batterien und
Flieger noch zurück, dann begann aber die planmäßige
Vorbereitung seines Stoßes auf [128] der ganzen Front. Seine
gehäuften Batterien schossen sich ein und belegten die Stellungen in
ihrer ganzen Tiefe mit stärkstem Zerstörungs-, vielfach mit
Trommelfeuer. Die Gräben verwandelten sich in Trichterfelder. Das
Fernfeuer schlug bis Staden, Ledeghem, Ménin, also nahezu 20 km
hinter die vorderste Linie, und war überaus hinderlich. Einzelne
Feldbatterien der Engländer schossen aus weit vorgeschobenen Stellungen;
ihre Infanterie lief immer häufiger in großen Streifen an; ihre
Fluggeschwader verdichteten sich über dem Kampfgefilde oft bis zu 1000
Fliegern.
Die deutsche Gegenwehr war äußerst kräftig. Die Batterien
wirkten auf die feindlichen hauptsächlich mit Gas, brachten oft ganze
Artilleriegruppen zum Schweigen und schufen der eigenen Infanterie
Erleichterung, so daß sie fähig blieb, die feindlichen Streifen
abzuweisen, und selbst Gegenstöße machte. Trotz der gewaltigen
Übermacht wurden auch die deutschen Flieger ihren Aufgaben gerecht und
fügten dem Feinde schwere Verluste zu.
Das sicherste Zeichen der kommenden Entscheidung war die fortschreitende
Verdichtung der feindlichen Front und die Ablösung der Besetzung durch
frische Truppen. Nördlich Ypern sollte ein neues englisches
Oberkommando eingeschoben sein. Zwischen Noordschote und Boesinghe wurde
um die Mitte des Monats der belgische linke Flügel durch Franzosen
ersetzt; wie sich bald herausstellte, waren dort zwei Divisionen eingerückt,
die hinter sich die Hauptmasse der französischen 1. Armee hatten. Es
standen nunmehr: von der Küste bis Nieuport Engländer, von
Nieuport bis Noordschote Belgier, von Noordschote bis Boesinghe Franzosen,
von Boesinghe nach Süden Engländer. Auch seine Batterien
vermehrte der Feind fortgesetzt.
Vom 20. Juli an wurde täglich mit dem Beginn des Sturms gerechnet.
Wenn der Feind noch zauderte, so war das augenscheinlich auf den deutschen
artilleristischen Widerstand zurückzuführen, der ihn
veranlaßte, sich immer mehr zu verstärken, um des Sieges ganz
sicher zu sein. Die Annahme war berechtigt, daß noch für keinen
Angriff die Entente so gründliche Vorbereitungen getroffen und so
übermächtige Mittel bereitgestellt hatte, wie hier in Flandern.
Für die 6. Armee waren die Monate Juni und Juli ereignisreich. Der rechte
Flügel nördlich des La Bassee-Kanals griff am 7. Juni mit
seiner Artillerie in den Kampf um den Wytschaetebogen ein und veranlaßte
dadurch vorübergehend schärfere Betätigung der feindlichen
Batterien. Dann folgte Beruhigung, die bis Ende Juli vorhielt. In der englischen
Front wurden wiederholt portugiesische Truppen festgestellt.
Südlich des Kanals waren die Engländer sehr zu Teilangriffen
geneigt; infolgedessen erreichte der Artilleriekampf häufig
größte Heftigkeit, besonders in den Abendstunden. Die Schlacht von
Arras setzte sich in kleineren Unternehmungen fort, die offenbar den Zweck
hatten, die Aufmerksamkeit von den Angriffsvorbereitungen weiter
nördlich abzulenken. Ganz besonders war die [129] Gegend von Lens der
Zielpunkt, wo die Engländer am 8., 12., 19. und 21. Juni angriffen, am
letzten Tage mit kleinem Geländegewinn. Im Sinne der Ausweichtaktik
wurden in der Nacht zum 24. Juni die deutschen Hauptkräfte
vorwärts Lens in eine rückwärtige Stellung Westrand von
Lens - Méricourt zurückgenommen. Die
zurückgebliebenen Außenposten wiesen am 24. und 26. Juni neue
Angriffe ab, mußten aber südlich des Souchezbaches bis Avion
zurückgehen. Am 28. Juni trommelte der Feind beiderseits des
Souchezbaches und stürmte wiederholt gegen Lens und die Fronten
Hulluch - Lens und Lens - Méricourt an,
erreichte aber auch bei Fortsetzung der Anläufe am Abend nur, daß
die Vortruppen südlich Lens auf die neue Hauptstellung
zurückgenommen wurden. Wenn es des Feindes Nebenabsicht war, sich
mit seinen Anstrengungen der dortigen Kohlengruben zu bemächtigen, so
mußte er auf diesen Gewinn verzichten.
Nördlich der Scarpe wurde am 5. Juni bei Roeux an alter Kampfstelle
gerungen; dem Feinde verblieb ein kleiner Teil der deutschen Stellung. Am 14.
und 16. Juni stürmte er südlich des Flusses bei Monchy zwischen
Fontaine les Croisillers und Bullecourt, wurde durch Gegenangriffe abgewiesen,
packte aber immer wieder an. Am Schlachttage des 28. Juni, als er sich der
Gegend von Lens zu bemächtigen trachtete, stieß er auch gegen die
Front Fresnoy - Gavrelle vor, konnte sich aber nur den Besitz eines
Teiles des Parkes von Oppy sichern.
Auch im Juli gab der Feind seinen Bemühungen hauptsächlich die
Richtung auf Hulluch und Lens. Während aber Hulluch nur durch
Streifunternehmungen betroffen wurde, blieb die Gegend von Lens das Ziel
stärkerer Angriffe, so am 1., 2., und 9. Juli, ohne daß der Gegner
Fortschritte machte. Dann kam eine Zeit starken Beschusses, auch mit Gasminen,
der am 23. Juli ein heftiger, aber ergebnisloser Sturm auf die Linien zwischen
Avion und Méricourt folgte. Weiter südlich wurde gelegentlich bei
Fresnoy und Gavrelle gekämpft.
Südlich der Scarpe überwog die deutsche Gefechtstätigkeit.
Am 11. Juli brachen Stoßtrupps bei Monchy in die englischen Linien ein
und brachten Gefangene zurück. Gegenstöße wurden am 17.
und 19. Juli erfolgreich abgewiesen. Am 25. Juli wurde abermals bei Monchy ein
englischer Grabenteil gestürmt. Vergebens bemühte sich der Feind
am 26. und 28. Juli, diese Schlappe wieder gutzumachen.
Vor der 2. Armee führten die Engländer im Juni zwischen
Quéant und Pontruet Kleinkrieg mit den deutschen Streifen und
Vorposten. Scharfes Artilleriefeuer lag auf der Front vor Cambrai.
Südwestlich dieser Stadt in der Linie
Havrincourt - Banteux verstärkte der Feind seine Truppen, so
daß mit Angriffsmöglichkeit gerechnet wurde. Südlich
Pontruet waren die Franzosen zurückhaltend mit der Infanterie, aber
St. Quentin wurde immer wieder von den französischen Batterien
gefaßt, und die Arbeiten an den Stellungen im Umkreise der Stadt trugen
sichtlich offensiven Charakter.
[130] Im Juli herrschte auf
dem englischen Frontteil verhältnismäßige Ruhe. Auch die
Franzosen blieben im allgemeinen still; als aber am 18. Juli ein deutscher
Vorstoß südwestlich St. Quentin ihre Stellungen in einer
Breite von 1000 m und in einer Tiefe von 300 m aufriß, rafften
sie sich am 19. Juli zu Gegenstößen auf, die sich dreimal
wiederholten und erfolgreich abgewiesen wurden. Die französischen
Angriffsarbeiten vor St. Quentin schienen im wesentlichen abgeschlossen
zu sein.
Engländer und Franzosen richteten sich nun auch in der Tiefenzone ihrer
neuen Stellungen ein; jene bauten zwischen Epéhy und Maissemy an einer
rückwärtigen Stellung, letztere besserten ihre Verbindungen und
schufen sich bei Ham einen großen Stapelplatz.
Bei den Ententemächten standen die Vorbereitungen für
den Flandern-Angriff im Vordergrunde. Am 15. Juni lösten die
Engländer das französische XXXVI. Armeekorps im
Dünengelände bei Nieuport ab, so das britische Interesse an der
Küstensicherung schärfer betonend. Die Franzosen entgingen
dadurch dem Schicksal, am 10. Juli bei Lombartzyde von der deutschen
Marine-Infanterie überrannt zu werden.13 Dann erhielten die Engländer
für den Flandern-Angriff die erwartete Unterstützung durch die
französische 1. Armee.14 Während sich die Belgier nach
Norden zusammenschoben, besetzte sie den Raum von Noordschote bis
Boesinghe und ging sofort daran, die Offensive durch Ausbau der Stellungen, der
Unterkünfte und Verbindungen vorzubereiten. Auf der englischen Front,
wo das Oberkommando der 5. Armee den Befehl im Raume von Boesinghe bis
Zillebeke übernommen hatte, während südlich
anschließend bis Armentières die 2. Armee stand, herrschte
gleichfalls fieberhafte Tätigkeit, um sich unter allen Umständen die
Überlegenheit für den großen Schlag zu wahren.
Der erste Stoß sollte am 31. Juli auf der Strecke von Warneton bis
Steenstrate geführt werden. Für ihn wurden bei einer Ausdehnung
von 25 km vierzehn englische und bei Steenstrate eine französische
Division angesetzt. Starke Kräfte blieben zur Kampfnährung und
Ablösung im Rückhalt.
|