Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 4: Die große Offensive 1915 im
Osten (Forts.)
Generalleutnant Max Schwarte
3. Der Durchbruch auf Lemberg.
Die Grundlagen für das weitere Vorgehen wurden in mündlicher
Aussprache in Jaroslau zwischen der Obersten Heeresleitung und Mackensen
festgestellt; es sollte bis zur völligen Niederwerfung der Russen
durchgeführt werden. An neuen Kräften sollte Mackensen
viereinhalb Divisionen erhalten (8. bayerische, 107., 22.
Infanterie-Division und das Generalkommando XXV. Reservekorps mit
eineinhalb Divisionen). Auch eine Neugliederung der Angriffstruppen schien
erforderlich. Mackensen schlug vor, die k. u. k. 3. Armee
aufzulösen und von ihr zwei Korps (k. u. k. X. und
k. u. k. XIV. Armeekorps) der k. u. k. 4. Armee
zuzuführen; das Beskidenkorps sollte zur k. u. k. 2. Armee
treten und beide Nachbararmeen (k. u. k. 2. und 4.) Mackensen
unterstellt werden. - Die neue Aufgabe Mackensens wurde dahin
festgestellt: Zunächst sollte das linke Flügelkorps der 11. Armee aus
Gegend Sieniawa angreifen, um der k. u. k. 4. Armee das
Überschreiten des San zu ermöglichen; dann sollten
k. u. k. 2. und 11. Armee nach Osten vorbrechen,
k. u. k. 2. Armee gegen die starke Stellung beiderseits Grodek, 11.
Armee gegen die feindliche Stellung
Janow - Magierow - Rawa Ruska. Der k. u. k. 4.
Armee fiel wieder die Deckung der linken Flanke des Angriffs zu; sie sollte mit
zwei Korps gegen Rawa
Ruska - Narol Miasto angreifen und mit zwei Korps die Deckung
gegen den Tanew-Abschnitt bewirken. - Mackensen behielt die bisherigen
Korps (119. und 56. Infanterie-Division als kombiniertes Korps auf dem linken
Flügel) in vorderster Linie und nahm die anrollenden neuen Divisionen
dicht hinter die Front in zweiter Linie.
Die k. u. k. Heeresleitung stimmte den Vorschlägen zu und erließ
entsprechende Befehle. Beim Vorgehen sollte das Beskidenkorps der
k. u. k. 2. Armee Anschluß an das XXXXI. Reservekorps
nehmen; damit würden sich die inneren Flügel der Armeen
berühren.
Die russische Führung hatte die Hoffnung auf einen Erfolg noch nicht
aufgegeben; während die deutschen Transporte schon im Anrollen waren,
richtete sie dauernd starke Angriffe gegen die 11. und die k. u. k. 4.
Armee. Vor der [144] deutschen Front brachen sie restlos zusammen;
aber Erzherzog Josef Ferdinand, der Führer der k. u. k. 4.
Armee, mußte um Unterstützung bitten, da er die Gewähr
für ein Festhalten seiner Front nicht übernehmen könne. Ihm
sollte die 22. Infanterie-Division nach ihrem Eintreffen zur Verfügung gestellt werden.
Für alle Fälle wurde der Wiederausbau der Festung Przemysl
angeordnet.
Die Nachrichten über den Gegner standen mit den andauernd wiederholten
Angriffen im Widerspruch; sechs Divisionen hatte er aus der Front
herausgezogen, auch frische eingeschoben, so daß allein der 11. Armee 23
Divisionen gegenüberstanden. Flieger hatten anderseits den Abtransport
nicht unerheblicher Kräfte nach Süden festgestellt, die die russische
Fühung anscheinend zur Verstärkung ihres Angriffs gegen die
Südarmee benutzte; auch der Marsch von Kolonnen auf den nach Osten
führenden Straßen (Jaworow, Nakaczow usw.) wurde erkannt, stark
ausgebaute Stellungen nördlich und südlich Grodek und zwischen
Janow und Narol Miasto sowie mehrere Zwischenstellungen erkundet.
|
Als Ziele für den am 12. und 13. Mai geplanten Angriff wurden bestimmt:
für XXXXI. Reservekorps Jaworow, für k. u. k. VI.
Armeekorps Nakaczow, für Gardekorps Klonice, für XXII.
Reservekorps (43.
Reserve- und 107. Infanterie-Division) Holodowska, für X. Armeekorps
Lubaczow. Das kombinierte Korps Behr (56. und 119.
Infanterie-Division) sollte der k. u. k. 4. Armee den
San-Übergang durch einen Vorstoß nach Norden ermöglichen.
Zum gleichen Zweck wurde ihr die 22.
Infanterie-Division unterstellt. Sobald der Übergang erzwungen, sollten die
drei deutschen Divisionen dem rechten Armeeflügel
folgen. - Der Befehl für den Angriff lautete ähnlich wie der
für Gorlice erlassene Angriffsbefehl: Einschießen der Artillerie am
12. Mai; eineinhalbstündiges Wirkungsschießen am 13. Mai
früh morgens; gemeinsamer Angriff aller Korps um 5 Uhr 30 Minuten
vormittags. Gleichzeitiger Angriff der Nachbararmeen; ein Antrag der
k. u. k. 2. Armee um Verschieben des Angriffs konnte um so
weniger berücksichtigt werden, als die Nachricht einging, daß die
Russen Lemberg räumen wollten.
Der Angriff des kombinierten Korps Behr am 12. Mai glückte. Die
benachbarte 22.
Infanterie-Division überschritt, als vorderste Truppe der
k. u. k. 4. Armee, noch an diesem Tage den San, dicht gefolgt vom
k. u. k. XVII. Armeekorps, das am folgenden Tage die 119.
Infanterie-Division ablösen und zunächst nordwärts
vorstoßen wollte, um den anderen Verbänden das
Überschreiten des Flußabschnitts zu ermöglichen.
Der Angriff der 11. Armee hatte Erfolg; die Korps eroberten die
gegenüberliegenden feindlichen Stellungen und stießen teilweise
noch erheblich darüber hinaus vor. Der Feind leistete auf der ganzen Front
zähen Widerstand, erlag aber der Tapferkeit der unwiderstehlich
vorbrechenden Divisionen. Am Abend des 13. Mai hatten diese ihre Kampflinien
um 3 bis 9 km
vorgetragen. - Der gleichzeitige Angriff der k. u. k. 2. Armee
hatte, mit Ausnahme des Beskidenkorps, kein [145=Karte] [146] Gelände gewinnen, die
k. u. k. 4. Armee aber hatte Kräfte über den San
hinüberführen
können. - Das Verhalten des Gegners war auch an diesem Tage
unverständlich. In der Stellung standen nicht, wie man erwartet hatte,
Nachhuten, sondern dreieinhalb frische, aufgefüllte Korps; zwei andere, zur
Retablierung zurückgegangene Korps, die bei Jaworow und Lubaczow
hinter der Mitte ihrer Front standen, wurden aber nicht etwa zum Gegenstoß
vorgeführt, als der deutsche Angriff vorwärts kam, sondern nach
rückwärts, nach Osten, in Marsch gesetzt. Aus dieser Fliegermeldung
schloß das Oberkommando, daß der Feind nicht die Absicht haben
könne, in der nächsten Zwischenstellung
Krakowiec - Lubaczow ernstlichen Widerstand zu leisten, besonders
dann nicht, wenn das am weitesten vorgedrungene Gardekorps von Kobylnica aus
deren Mitte durchstoßen könne. Der Befehl für den 14. Mai
gab diesem Gedanken Ausdruck.
In der Nacht ging der Gegner in die Zwischenstellung, auch vor der
k. u. k. 2. Armee, zurück. Beide Armeen (k. u. k.
2. und 11.) folgten sofort, um am 14. Mai den Angriff weiterzuführen.
K. u. k. 2. und rechter Flügel der 11. Armee arbeiteten sich
dicht an die Stellung vor, ohne aber an diesem Tage zum entscheidenden
Stoß zu kommen. Dagegen durchbrach das Gardekorps, tapfer
unterstützt von den anstoßenden Flügeln der Nachbarkorps, die
feindliche Stellung und gewann auch noch mehrere Kilometer weiter
ostwärts Raum. - Das kombinierte Korps Behr und der rechte
Flügel der k. u. k. 4. Armee stießen in den Waldungen um
Molodycz auf hartnäckigen Widerstand; weiter abwärts konnte die
Armee den Uferwechsel fortsetzen.
Fliegermeldungen berichteten über den Abmarsch langer, wenig geordneter
Kolonnen nach Norden und Osten, so daß das Oberkommando seine
Anschauung zunächst bestätigt sah. Dann aber hatten die Russen
doch ihre Reserven in die Schlacht eingreifen lassen; 19 Divisionen hatten
Mackensen an diesem Tage
gegenübergestanden - damit war auch der an den meisten
Frontstellen nur geringe Fortschritt trotz energischen Angriffsdrangs
erklärt.
Erst der nächste Tag brachte entscheidende Fortschritte. Die
k. u. k. 2. Armee eroberte die Gora Graniczna und mit dem
Beskidenkorps die befestigten Höhen nördlich der Bahn
Przemysl - Lemberg. Die Mitte der 11. Armee (k. u. k.
VI., Garde- und X. Armeekorps) stießen energisch weiter vor und gelangten
bis Drohomysl und an den Südrand von Lubaczow. Auch der Angriff des
Korps Behr hatte Erfolg; allerdings hatte die 119.
Infanterie-Division starke Verluste und mußte durch die 8. bayerische
Division abeglöst werden. Der Befehl über das kombinierte Korps
ging damit an Generalleutnant v. Stein
über. - Mackensen konnte für den folgenden Tag befehlen,
daß die Armeen die Verfolgung energisch fortsetzen sollten; dabei wurde
die k. u. k. 2. Armee angewiesen, sich nach dem linken Flügel
zu massieren, um im Anschluß an die 11. Armee in die
Grodek-Stellung des Feindes einzudringen und sie von Norden her aufzurollen.
[147] Die Russen hatten ihre ursprüngliche
Absicht, den Angriff Mackensens durch Nachhuten in den gut ausgebauten
Stellungen so lange aufzuhalten, bis ihr Angriff gegen die k. u. k. 7.
und die Südarmee und das Eingreifen Italiens zur Schwächung der
verbündeten Armeen zwingen würden, aufgegeben und auch ihre
Hauptkräfte einsetzen müssen. Denn in dem Augenblick, wo die
Grodek-Stellung verlorenging, wurde auch ihre Front am Dnjestr und weiter
südwärts unhaltbar.
Die Möglichkeit, die Grodek-Stellung in schneller Ausnutzung der
bisherigen Erfolge zu nehmen, schien Mackensen durch den Erfolg des 15. Mai
erreichbar. Deshalb befahl er für den 16. Mai: daß die
k. u. k. 2. Armee in breiter Front mit den k. u. k. XVIII.
und XIX. gegen die Stellungen nördlich und südlich der Stadt
Grodek vorzugehen, k. u. k. IV. und Beskidenkorps sich aber stark
nach links zu schieben hätten, um dann, nach Südosten
einschwenkend, beiderseits Janow in die Stellung einzubrechen. Nördlich
der Bahn
Przemysl - Lemberg sollte die 11. Armee mit vier Armeekorps in
erster, einem Korps in zweiter Linie die feindliche Stellung durchbrechen,
während zwei Korps links gestaffelt folgen sollten, um je nach Erfordern in
dem sich zur k. u. k. 4. Armee erweiternden Raum zur Abwehr
feindlicher Gegenangriffe zur Verfügung zu sein.
Schon um diese Zeit trug sich das Oberkommando mit dem Gedanken, den
Stoß nach Osten so schnell und so weit vorzutragen, daß eine
Trennung der russischen Front erzielt wurde, um dann die Verfolgung des
russischen Südflügels anderen Kräften (k. u. k. 7.
und Südarmee) zu überlassen und selbst, nordwärts
einschwenkend, die russischen Hauptkräfte zu vernichten. Diese
Auffassung wurde den Armeen und den Korps der 11. Armee mitgeteilt.
Vor der k. u. k. 2. und der Mitte der 11. Armee wich der Feind in der Nacht zum
16. Mai auf die
Grodek-Stellung zurück; unter Nachhutkämpfen folgten die Korps
sofort. Dagegen leistete er vor dem linken Flügel der 11. und vor der
k. u. k. 4. Armee auch weiter zähen Widerstand.
Während die k. u. k. 2. Armee die Linie Konjuszki
Krolewskie - Szolomienice - Rodatycze -
Moloszkowice - Szklo am 16. abends erreichte, schob sich die 11. Armee
bis Jazow Nowy - Niemierow mit Front nach Osten, dann auf Lubaczow
zurückliegend mit Front nach Nordosten vor. In Linie
Cewkow - Cieplice schloß sich die k. u. k. 4.
Armee an, der gegenüber jenseits des San bis zur Weichsel die Russen
immer noch ihre alte Stellung festhielten. Es war verständlich, daß die
k. u. k. 4. Armee bei der gewaltigen Frontausdehnung ihre Lage
nicht beneidenswert ansah und sie durch Angriff in nördlicher Richtung
verbessern wollte. Mackensen behielt aber rücksichtslos sein Ziel, das nur
durch baldigsten, energischen Vorstoß nach Osten zu erreichen war, fest; er
ordnete, um die 11. Armee dazu einheitlich einsetzen zu können,
wagemutig eine stärkere Ausdehnung der k. u. k. 4. Armee an,
um seine Armeeflanke gesichert zu wissen. Und als Flieger
rückgängige russische Bewegungen vor der Front der
k. u. k. 4. Armee meldeten, befahl er ihr, mit dem [148] linken Flügel zwischen San und
Weichsel energisch anzugreifen. Für die ostwärts strebenden
Verbände galt das "Eindringen in die
Grodek-Stellung" als nächstes Ziel.
Am 17. Mai drang die k. u. k. 2. Armee in Grodek ein und scharf an
die Sperren der Seenreihe
Grodek - Komarno vor. Die 11. Armee schob sich so nahe an die
anscheinend stark ausgebaute Stellung vor, daß deren
planmäßige Erkundung durchgeführt werden konnte. Bei allen
Korps lautete das Ergebnis dahin, daß zwar die Unordnung im russischen
Heere zugenommen haben und ein gewisser Mangel an Waffen zu herrschen
scheine, doch von einer allgemeinen Auflösung keine Rede sein
könne; man müsse mit nachhaltigem Widerstand in der starken
Stellung rechnen; ein planmäßiger Angriff sei
notwendig. - Dementsprechend befahl Mackensen für den 18. Mai
den Aufmarsch der Artillerie, Herangehen an die Stellung und für den 19.
Mai den Angriff. Während die k. u. k. 2. und die 11. Armee
die Vorbereitungen zum Sturm durchführten, gelang es endlich der
k. u. k. 4. Armee am 18. Mai, einen starken Schritt nach
vorwärts zu machen; sie erreichte von Cieszanow abwärts bis zur
Mündung in den San das linke Ufer des Tanew. Mit diesem starken
Abschnitt vor der Front (hinter dem Flusse erstreckten sich neue russische
Stellungen) konnte sie eine eigene Armeereserve (3 Divisionen) ausscheiden und
die deutschen Kräfte an die 11. Armee zurückgeben.
Mackensens Angriffsbefehl für den 19. Mai ordnete an:
- 11. Armee stößt mit den vier rechten Flügelkorps
beiderseits Magierow bis zur Chaussee
Lemberg - Rawa Ruska durch, um die feindlichen Kräfte zu
trennen; X., kombiniertes Korps und 11.
Kavallerie-Truppen-Division übernehmen unter General v. Emmich
die Deckung des Angriffs gegen Rawa Ruska; 11.
Kavallerie-Truppen-Division bricht bei entstehender Lücke durch die
feindliche Front in nordöstlicher Richtung durch;
- k. u. k. 2. Armee schließt sich nach gelungenem Angriff
dem Vorgehen an, nimmt Lemberg und drängt den Feind nach Osten ab,
um so die Dnjestr-Stellung aufzurollen;
- k. u. k. 4. Armee stellt ein Armeekorps zum eventuellen
Vorgehen auf Narol Miasto bereit und behält als Aufgabe die Deckung des
Angriffs gegen Tanew und Weichsel.
Der Feind setzte sich in seinen Stellungen, an deren Ausbau 30 000
Landeseinwohner viele Monate hindurch hatten arbeiten müssen, zum
Kampfe fest; er wurde entscheidend geschlagen! Allle Mühen und
Anstrengungen, alle schweren Verluste der letzten Wochen wurden vergessen, als
Mackensen seine tapferen Divisionen noch einmal zum Sturm aufrief. Dem
unwiderstehlichen Siegeswillen konnte der zähe Russe auch in diesen
vollendet ausgeführten Befestigungen nicht standhalten. Am Abend waren
sie in 30 km Breite durchbrochen und der Stoß bis zu 12 km
Tiefe darüber hinaus vorgetragen. Das Gardekorps brachte die [149] erste große Schlachtentscheidung; die zur
Deckung von Magierow bestimmte rückwärtige Stellung konnte den
Stoß nur vorübergehend hemmen. Bei einbrechender Dunkelheit
erreichte es bei Dobrosin die Chaussee
Lemberg - Rawa Ruska. Rechts und links von der Garde schlossen
sich k. u. k. VI. Armeekorps und XXII. Reservekorps dem
Siegesweg an. Zum viertenmal in sieben Wochen führte Mackensen und
seine Tapferen eine große Durchbruchsschlacht gegen einen tapferen
Gegner in starker Stellung siegreich zu Ende; nicht einmal des Einsatzes der
Armeereserve (11. bayerische und 119.
Infanterie-Division) bedurfte es - deutschem Ungestüm hielt kein
Russe stand.
Der Befehl für den 20. Juni forderte die tatkräftige Ausgestaltung des
Sieges. Alle Armeekorps der 11. Armee sollten sich bis an die Bahn und Chaussee
Lemberg - Rawa Ruska vorarbeiten; das verstärkte Korps
Emmich bis in die Linie
Dabrowka - Einsingen vorgehen und die 11.
Kavallerie-Truppen-Division, die am 19. nicht hatte durchbrechen können,
erneut gegen die Hauptrückzugsstraße des Gegners
Zolkiew - Mosty Wielkie ansetzen. Auch die k. u. k. 4.
Armee sollte links von Emmich sich dem Vorgehen
anschließen. - Von der k. u. k. 2. Armee erhielt das
Beskidenkorps (linker Flügel) Befehl, in Richtung Kulikow gleichfalls die
Straße
Lemberg - Rawa Ruska zu gewinnen.
Unter Hinweis auf die erreichten und die für den 20. Juni erwarteten
Erfolge meldete Mackensen der k. u. k. Heeresleitung, daß er
die Straße
Lemberg - Rawa Ruska ostwärts zunächst nicht
überschreiten, dagegen die Armee zur Verfolgung der nach Norden
zurückgehenden Hauptmasse des Feindes links gestaffelt ansetzen werde. General v. Conrad
erklärte sich einverstanden, wies aber darauf hin,
daß es unter Umständen nötig sein werde, die
k. u. k. 2. Armee bei ihrem umfassenden Vorgehen gegen die
Nordfront von Lemberg zu unterstützen.
Deren Oberkommando glaubte allerdings, falls die Russen die mit starken
Befestigungen auf den
nord-, west- und südwärts vorgeschobenen Höhen
geschützte Stadt nicht freiwillig räumte, sie von allen Seiten zum
planmäßigen Angriff einschließen zu müssen;
Mackensen hielt einen von starker schwerer Artillerie unterstützten
gewaltsamen Angriff gegen die Nordfront für genügend, weil das
Gewinnen der dortigen Höhen den Verteidiger auf die Südarmee
werfen müsse. Schwerpunkt der k. u. k. 2. Armee liege in der
späteren Verfolgung nach Norden; die Verfolgung nach Osten könne
der k. u. k. 7. und der Südarmee überlassen bleiben; es
müßten deshalb baldigst Kräfte für das Vorgehen nach
Norden durch den beschleunigten Angriff freigemacht werden.
Während vor dem rechten Flügel und der Mitte der 11. Armee der
Gegner in der Nacht zum 20. Juni den Rückzug antrat, erstürmte die
k. u. k. 2. Armee die vor ihr liegenden Teile der
Grodek-Stellung; sie folgte dem weichenden Feinde und stand am 20. Juni abends
dicht vor den Befestigungen von Lemberg. Auch der rechte Flügel der 11.
Armee (XXXXI.
Reserve- und k. u. k. VI. Armeekorps) stieß südwestlich
Zolkiew auf eine neue starke russische Stellung, die er am 20. nicht [150] mehr gewinnen konnte. Die Gruppe Emmich
nahm Rawa Ruska, so daß die Chaussee
Dobrosin - Rawa Ruska fest in deutschen Händen war. Die
k. u. k. 4. Armee hatte keine Fortschritte machen können.
Während am 21. Juni die k. u. k. 2. Armee den Angriff auf
Lemberg einzuleiten hatte, sollten Beskidenkorps, XXXXI.
Reserve- und k. u. k. VI. Armeekorps sich endgültig in Besitz
der erstrebten Straße setzen.
Neue Weisungen der Obersten Heeresleitung, die am 20. Juni bei Mackensen
einliefen, waren von ihm vorweg eingeleitet: Einnahme von Lemberg und
Verfolgung nach Norden durch k. u. k. 2. Armee, 11. Armee und
k. u. k. 4. Armee, während k. u. k. 7. und
Südarmee den Dnjestr überschreiten und durch Vorstoß nach
Osten Mackensens rechte Flanke sichern sollten. Daran anschließend aber
wies der deutsche Generalstabschef auf die Möglichkeit hin, daß die
Verhältnisse auf den anderen Kriegsschauplätzen (in Frankreich
tobten die Durchbruchskämpfe bei Arras) jetzt oder später eine
Verminderung der Streitkräfte nötig machen könnten; auch
werde k. u. k. 2. Armee mit k. u. k. 7. und
Südarmee in östlicher Richtung eingesetzt werden.
[144a] Von der galizisch-russischen Front.
Russische Gefangene aus der Schlacht von Lemberg 1915.
|
Jedenfalls brauchte Mackensen an seinen Anordnungen zunächst nichts zu
ändern. Am 21. Juni führten die einleitenden Maßnahmen bei
Lemberg und Zolkiew zu teilweise heftigen, aber unentschiedenen
Kämpfen; nur das k. u. k. VI. Armeekorps erreichte, rechts an
das Gardekorps anschließend, die Chaussee südlich Dobrosin. Die
Stellungen vorwärts
Lemberg - Zolkiew hielten die Russen stark besetzt.
Als aber am 22. Juni die Verbündeten zum entscheidenden Stoß
ansetzten, brach der feindliche Widerstand zusammen. Am Morgen nahmen die
tapferen Truppen der k. u. k. 2. Armee mit stürmender Hand
die Werke der ganzen
West- und Nordwestfront von Lemberg; der Gegner floh nach Osten. Auch vor
der weiter südwärts sich erstreckenden Front der k. u. k.
2. Armee und beim Beskidenkorps räumte er nach zähem
Widerstande seine Stellungen. Überall drängten die Sieger nach und
standen am Abend teils an, teils östlich der Straße
Mikolajow - Lemberg - Kulikow - Zolkiew, um am
folgenden Tage Hand auf die von Lemberg nach Südosten, Osten und
Nordosten führenden Straßen zu legen. Nach schweren
Kämpfen setzte sich auch das XXXXI. Reservekorps in Besitz der Stellung
südlich Zolkiew, der Stadt und der sie im Osten und Nordosten
umgebenden Waldungen. Die 11.
Kavallerie-Truppen-Division konnte weder an diesem noch in den vorhergehenden
Tagen den Durchbruch erreichen.
Generaloberst v. Mackensen hatte in genialer Führung und konsequentem
Festhalten auch unter schwierigsten Verhältnissen mit seinen tapferen,
opferwilligen Truppen die ihm gestellte ungeheure Aufgabe restlos erfüllt
und die Bahn zu weiteren Möglichkeiten geöffnet. Die Ernennung
zum Generalfeldmarschall hatte er sich in ehrenvollster Weise erkämpft!
|