Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 4: Die große Offensive 1915 im
Osten (Forts.)
Generalleutnant Max Schwarte
2. Der Durchbruch von
Gorlice - Tarnow.
Mit dem Einschießen auf die feindlichen Stellungen begann am 1. Mai
mittags der Kampf, aus dem sich ein anfangs bescheidenes Ziel mit
fortschreitendem Erfolge zu einer der größten Operationen des
Weltkrieges auswachsen sollte. Nach beendetem Einschießen folgten sich in
wechselnden Zwischenräumen Feuerwellen gegen die den Batterien
zugewiesenen Ziele; in den Feuerpausen schob sich die Infanterie an die
Drahthindernisse, bei deren Zerstörung Pioniere erfolgreiche Hilfe
brachten. Noch bevor die 11. Armee selbst zum Angriff antrat, setzte die
k. u. k. 4. Armee sich mit dem linken Flügel in Bewegung,
um den vor ihrer Front fließenden Dunajec zu überschreiten und
durch den Stoß die Aufmerksamkeit des Gegners vom eigentlichen
Einbruchspunkt abzulenken.
Nach gleichgestellten Uhren begann am 2. Mai auf der ganzen Front ein
vierstündiges Wirkungsschießen von einer bis dahin im Osten
unbekannten Wucht; nach eineinhalbstündiger Dauer traten auch die
Minenwerfer in Tätigkeit. Während weittragende
Flachbahngeschütze die Anmarschstraßen hinter der feindlichen
Front befeuerten und Luftgeschwader die Unterkunftsorte des Hinterlandes mit
Bomben belegten, vereinigte sich das Feuer aller anderen Batterien auf die
Hauptstützpunkte und die ausgewählten Einbruchsstellen sowie auf
die anscheinend nicht zahlreichen Batterien. Aus den brennenden Ortschaften und
einer Anzahl von offenliegenden Gräben flüchteten die
aufgeschreckten Russen; die Masse der Grabenbesatzung fand aber in den gut
ausgebauten Unterständen der Gräben und im hinteren Hang der
Kuppen und Wellen gedeckten Unterschlupf.
Um 10 Uhr brach das Feuer einen Augenblick ab, um sofort gegen die hinteren
Linien der vorderen Stellung und die Wege wieder einzusetzen. Und gleichzeitig
schritt, überall von Zügen der
Feldartillerie-Regimenter begleitet, die [132] Infanterie zum Angriff. - Das auf dem
rechten Flügel stehende kombinierte Korps Kneußl (11. bayerische
und 119.
Infanterie-Division) sah als Einbruchsstelle den
Zamczysko-Berg und die Höhen nördlich Sokol vor sich; das
XXXXI. Reservekorps setzte seine Divisionen gegen den Kirchhof von Gorlice
und den
Kaminiec-Wald, das k. u. k. VI. Armeekorps gegen den
Pustki-Berg und die Wiatrowo-Höhe an; das Gardekorps stieß auf
Staszkowka und die Höhen nördlich des Ortes vor. Wo das
Artillerie- und Minenfeuer die feindlichen Gräben wirksam hatte fassen
können, da war der innere Halt der Russen derart erschüttert,
daß sie den Angriff nicht abwarteten, sondern mit hochgehobenen Armen
sich ergaben; tatsächlich hatte das gut geleitete Feuer auch
mörderisch gewirkt. An vielen anderen Stellen aber kam es zu erbitterten
Kämpfen; die Tapferkeit des russischen Soldaten, sein Opferwille, aber
auch seine Geschicklichkeit im Verteidigungskampfe zeigten sich in hellem
Licht.
Gleichzeitig mit der 1. Armee trat auch die linke
Flügel- (21. Infanterie-Truppen) Division der k. u. k. 3.
Armee südlich des
Przegonina-Baches zum Angriff an; in unwiderstehlichem Anlauf nahm sie die
Höhen östlich Malastow und erleichterte der 11. bayerischen
Infanterie-Division ihren schweren Kampf um die steilhangigen Höhen
östlich der Sekowa; die dichte Bewaldung hatte eine ausreichende
Beobachtung und Wirkung gegen die dort in mehreren Stockwerken angelegten
Schützengräben verhindert. Aber was anderen, der deutschen
Tiefebene entstammenden Truppen eine besondere Schwierigkeit bereitet
hätte, der ausgeprägte Gebirgscharakter des Abschnitts, war den
bayerischen Hochländern eine Lust. Am Nachmitag waren der
Zamczysko-Berg und die südlich anschließenden Höhen, am
Abend auch der Ort Wapienne in der Bayern Hand.
An sie anschließend ging mit starkem, rechtem Flügel die 119.
Infanterie-Division gegen die stark befestigten und zäh verteidigten
Höhen von Sokol vor. Ein während des blutigen Ringens von Biecz
her vorbrechender russischer Gegenangriff wurde rechtzeitig erkannt und durch
die Divisionsreserve,
Infanterie-Regiment 46, aufgefangen. Durch sofortigen Nachstoß hinter den
zurückflutenden Russen konnte es sich in den Besitz der hinter den
Höhen liegenden Orte Kryg und Kobylanka setzen und den Kampf um die
Höhen zur siegreichen Entscheidung bringen.
Die rechte Flügel-Division (82.) des XXXXI. Reservekorps setzte ein
Regiment gegen das von der Artillerie stark unter Feuer gehaltene
Städtchen Gorlice an, richtete aber den Hauptstoß gegen die
beherrschende Kirchhofshöhe nördlich davon. In energischem
Anlauf und zähem Ringen konnte sich
Reserve-Infanterie-Regiment 272 in den Besitz der Höhe setzen und gegen
Gorlice einschwenkend, dem Regiment 271 den Weg in die brennende Stadt (die
Russen hatten alle Naphtha-Tanks in Brand gesetzt) bahnen helfen. Ein russischer Gegenstoß
konnte vom Regiment 272 und der beschleunigt auf die eben eroberte
Kirchhofshöhe vorjagenden Artillerie vor der Entwicklung abgewiesen
werden.
[133] Einen besonders schweren Kampf hatte die 81.
Reserve-Division zu führen. In dem stark bewaldeten
Kaminiec-Walde waren infolge fehlender Beobachtung die feindlichen Stellungen
nicht zerstört; in die Schützenlinien schug aus Norden, vom
Pustki-Berge, flankierendes Maschinengewehrfeuer, so daß der erste
Ansturm nicht zum Ziele führte. Als die Artillerie die Stellungen nochmals
bearbeitet hatte und die Maschinengewehre des jetzt selbst angegriffenen
Pustki-Berges ausgeschaltet wurden, brachte der zweite Ansturm den zäh
verteidigten Stützpunkt in deutsche Hand. Die Kampffront konnte bis zum
Moszanka-Bach vorgetragen werden; zahlreiche Gefangene und
Maschinengewehre kennzeichneten den Erfolg, aber auch das zähe
Aushalten der Russen.
Der Pustki-Berg wurde durch den energischen Anlauf der k. u. k. 12.
Infanterie-Truppen-Division verhältnismäßig schnell
erstürmt; erst auf der Höhe selbst kam es zu einem wütenden
Handgemenge. Der Erfolg brachte nicht nur für die 81.
Reserve-Division, sondern auch für die weiter links kämpfende 39.
Honved-Division wirksame Hilfe. Teile der Eroberer des
Pustki-Berges konnten, links schwenkend, die von ihr angegriffenen Höhen
südlich Staszkowka wirkungsvoll flankieren. Bis zum späten
Nachmittag dauerte der Kampf um die
Wiatrowka-Höhe; aber am Abend erreichte auch das k. u. k.
VI. Armeekorps den
Moszanka-Bach.
Das Gardekorps griff Staszkowka und die von dort nach Norden bis zur
Bialowka-Höhe sich erstreckenden waldigen Höhen an. Der rechte
Flügel fand an dem hartnäckig verteidigten und von der
Wiatrowka-Höhe flankierten Ort erbitterten Widerstand; die nördlich
anschließenden Höhen wurden schnell genommen, so daß
schon ¾ Stunden nach Beginn des Angriffs die selbständig
vorgeeilte Feldartillerie dort in Stellung gehen konnte. Die der vordersten Linie
folgende Reserve schwenkte von Norden gegen Staszkowka ein und brach den
russischen Widerstand. Obschon der rechte Flügel der benachbarten
k. u. k. 4. Armee noch um die
Bialowka-Höhe kämpfte, stießen beide
Garde-Divisionen sofort energisch weiter vor. Russische Verstärkungen,
die sich auf den Höhen östlich
Turza - Rzepienik festsetzen wollten, wurden im Bajonettangriff
geworfen und von der abermals vorjagenden Artillerie unter wirkungsvolles
Verfolgungsfeuer genommen.
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Das Vorgehen der preußischen Garde brachte auch dem Verbündeten
Hilfe; der russische Widerstand ließ nach. Das k. u. k. IX.
Armeekorps konnte die
Bialowka-Höhe überschreiten und sich auf den Höhen
nördlich Rzepienik festsetzen. Gemeinsam mit dem k. u. k.
XIV. Armeekorps eroberte es auch die jenseits der Biala sich fortsetzenden
russischen Stellungen; erst an der Höhe östlich Lubcza gelang es den
Russen, das Vorgehen aufzuhalten und die russische Front, die hier ein
Stück am Dunajec entlang lief, zu stützen.
Die 11. Armee erfocht am 2. Mai einen nachhaltigen Erfolg, der die beste
Grundlage für den Durchbruch sicherte. Die ganze erste Stellung der
Russen war erobert und Gelände weit darüber hinaus in Besitz
genommen; 17 000 Gefangene, [134] viele Geschütze und Maschinengewehre
waren die Beute. Der schnelle Erfolg und die vielfach geringen Verluste
bewiesen, daß die russische Führung tatsächlich
überrascht worden war. Das Massenfeuer der Artillerie und der
Minenwerfer hatte zwar stark moralisch, sonst aber nicht in dem erwarteten
Maße gewirkt; viele Gräben waren unversehrt, die Drahthindernisse
nicht zerstört; aber die ungestüme Tapferkeit und der
glänzende Angriffsgeist der Truppen hatten alle Hindernisse und die
zähe Widerstandskraft der Russen überwunden.
Eine für den Deutschen unbegreifliche Erscheinung war es, daß
die - an sich nicht besonders zahlreiche - Artillerie nicht in der
Verteidigung mit der Infanterie aushielt, sondern früh ihre Geschütze
nach rückwärts zu retten suchte. Daraus erklärt sich auch die
an diesem Tage und in der Folgezeit verhältnismäßig geringe
Beute an Geschützen.
Sollte sich die Überraschung zur Entlastung der k. u. k. 3.
Armee auswirken, mußte der Stoß am 3. Mai energisch
weitergeführt werden. Die Rücksicht auf das Ziel nötigte aber
auch zur Verlegung der Stoßrichtung. Der anfangs
frontal - nordostwärts - gegen die feindliche Front gerichtete
Angriff mußte zuerst nach Osten, später nach Südosten
abgedreht werden, um in die Flanke und den Rücken der russischen
Karpathen-Armee zu kommen. Erforderte diese Absicht sehr große
Marschleistungen vom linken Flügel und u. U. eine Staffelung der
11. Armee, so hatte der rechte Flügel im Gebirge schweres Gelände
und stärkeren Widerstand zu überwinden. Den Oberbefehl
über das durch die 20.
Infanterie-Division verstärkte kombinierte Korps erhielt General der
Infanterie v. Emmich, Kommandierender X. Armeekorps, der
Erstürmer von
Lüttich. - Die 19. Infanterie-Division sollte als Armeereserve bis an
den
Biala-Fluß vorrücken, die 11.
Honved-Kavallerie-Division zur k. u. k. 4. Armee treten.
Die Erschütterung des ersten Schlachttages zeigte sich in dem geringen
Widerstande, den die
Russen - außer auf dem rechten Flügel -
anfänglich den vorgehenden deutschen Schützen leisteten. Erst in der
Nähe der zweiten Stellung und beim Einsatz beschleunigt herangeholter
Verstärkungen kam es zu schweren Kämpfen. Nur die 11.
bayerische
Infanterie-Division stieß bei Wapienne schon früh auf zähen
Widerstand; sie nahm den Ort, konnte aber, erschöpft, nicht weiter folgen.
Überall kam es zu Bajonettkämpfen, da die Artillerie infolge der
schweren, von den brennenden Naphthaquellen her das Gelände überziehenden Rauchschwaden nicht wirken
konnte. - Die 119. Infanterie-Division nahm Libusza, das XXXXI.
Reservekorps nach starkem Widerstand den
Wilczak-Berg; ein Gegenstoß der Russen wurde
abgewiesen. - Das k. u. k. VI. Armeekorps eroberte die
Höhen östlich Bugay. Beim Gardekorps nahmen während des
Vordringens die Kämpfe an Heftigkeit zu, da ihm gegenüber der
russische Führer erhebliche Verstärkungen in die Front werfen
konnte. Erst am späten Abend flutete der Gegner, von den erstürmten
Stelllungen des
Lipie-Berges und nördlich Olszyny herabgeworfen, ostwärts
zurück.
[135] Auch die anstoßenden Flügel der
Nachbararmeen machten gute Fortschritte. Das k. u. k. X.
Armeekorps (k. u. k. 3. Armee) eroberte die Höhen
nördlich Banica und half dadurch den Bayern im Kampf um
Wapienne. - Das k. u. k. IX. Armeekorps, links der Garde,
eroberte in hartnäckigen Kämpfen den
Brzanka-Berg, die Dobrotyn-Höhe und machte auch in Richtung Tuchow
gute Fortschritte, während weiter nördlich die Russen an diesem
Tage noch die
Dunajec-Stellung hielten, bis weiter unterhalb die preußische 47.
Reserve-Division sich den Übergang erkämpfte und sie unhaltbar
machte.
Das starke zweite russische Stellungssystem wurde am 3. Mai erstürmt,
obschon nicht unerhebliche Verstärkungen, allerdings verzettelt, vom
Gegner in den Kampf geworfen wurden. Sieben verschiedenen Divisionen
gehörten die 4000 Gefangenen des Tages an; die eigenen Verluste waren
nicht groß. Jedenfalls steigerten sich erneut die Aussichten auf ein Gelingen
des Durchbruchs. Voraussetzung war, daß auch weiterhin das Vorgehen im
guten Fluß blieb; auch neue Verstärkungen des
Gegners - Nachrichten deuteten auf die Versammlung des III. kaukasischen
Armeekorps hinter dem angegriffenen
Abschnitt - durften keine Hemmung herbeiführen.
Um dies klar zum Ausdruck zu bringen, legte Generaloberst v. Mackensen die
von den Korps zu gewinnenden Ziele weit vorwärts fest; er bezeichnete als
zu erreichende Punkte die Übergangsstellen über die weit hinter der
dritten russischen Stellung fließende Wisloka; die von den Korps
innezuhaltenden
Marsch- und Gefechtsstreifen regelte ein weiterer Befehl. Er wies dem
kombinierten Korps den Flußabschnitt von Zmigrod aufwärts zu;
dem XXXXI. Reservekorps die Flußstrecke von Osiek bis Dembowiec; dem
k. u. k. VI. Armeekorps anschließend bis Jaslo und endlich
dem Gardekorps die Flußstrecke
Jaslo - Kolaczyce. Gleichzeitig sollte sich dieses Korps zur
Sicherung der Armeeflanke links rückwärts staffeln in Richtung auf
den Dobrotyn, bis wohin das k. u. k. IX. Armeekorps vorgehen
sollte. Die Reserve (19.
Infanterie-Division) hatte dem Gardekorps zu folgen und enge Verbindung mit
ihm zu halten.
Aber bevor die Armee diese Ziele erreichte, sollten ihr schwere Kämpfe
bevorstehen. Es war der russischen Führung gelungen, erhebliche
Verstärkungen dem Kampffeld zuzuführen, die nicht nur in der
dritten Stellung
(Ostra Gora - Kunowa - Obszar) kraftvollen
Widerstand leisteten, sondern vielfach sogar zum Angriff übergingen. Teils
aus den Karpathen mit Fußmarsch, teils von anderen Fronten mit der Bahn
nach Jaslo herbeigeführt, traten fünf
Infanterie- und zwei Kavallerie-Divisionen am 4. Mai neu in den Kampf; weitere
Kräfte mußten erwartet
werden. - Es war ein Glück, daß die russische Gefechtsleitung
in ihrer Sorge um das Halten der Front anscheinend die Ruhe verlor: die
Verstärkungen wurden sofort nach dem Eintreffen den gefährdet
scheinenden Frontstellen
zugeführt - so ging ihr einheitliches, entscheidendes Eingreifen
verloren.
Während das kombinierte Korps (Emmich) in zähem Kampfe um die
Ostra [136] Gora langsam Boden gewann, stieß eine
russische Division von Dembowiec her gegen seine linke Flanke und gewann
zuerst Gelände. Dann aber gelang es, unter Einsatz der letzten Reserven
und glänzend unterstützt durch wirkungsvollstes Artilleriefeuer den
Gegner in wuchtigem Stoß zu werfen und, über die Ostra Gora
folgend, ihn zum schnellen Rückzug zu zwingen. Unterdes hatte auch der
rechte Flügel (11. bayerische Division) schwere Kämpfe zu bestehen.
Das benachbarte k. u. k. X. Armeekorps trat erst spät
zumVorgehen an und kam nicht vorwärts. Nur langsam gewannen die
Bayern in dem unwegsamen Gelände Boden; aber unbeirrt drangen sie
weiter
vorwärts - ihrer aufopfernden Zähigkeit gelang es, das
bezeichnete Ziel tatsächlich zu erreichen. Ein ausgesuchtes Bataillon mit
Maschinengewehren des bayerischen
Infanterie-Regiments 22 traf nach unsäglichen Mühen am
späten Abend auf den das
Wisloka-Tal beherrschenden Höhen westlich Zmigrod ein; die erste der
russischen Nachschubstraßen, der Zugang zum
Krempna-Paß, lag unter deutschem Feuer und war gesperrt.
Weniger Fortschritte machte das XXXXI. Reservekorps. Das Überschreiten
der Ropa verursachte durch Brückenschläge Aufenthalt, die
Erstürmung der feindlichen Höhenstellung östlich Wojtowa
führte zu langdauernden, schweren Kämpfen. Auch zwang das
langsame Vorwärtskommen des k. u. k. VI. Armeekorps, mit
Teilen flankierend in dessen Gefecht einzugreifen. Es mußte stark
ermüdet auf den eroberten Höhen zur Ruhe übergehen.
Schwere Kämpfe hatte auch das k. u. k. VI. Armeekorps. Die 12.
Infanterie-Truppen-Division durchschritt mittags Biecz, mußte dann aber
um die Höhen von Kunowa erbittert
kämpfen - hier von der 81. Reserve-Division unterstützt. Die
39. Honved-Infanterie-Division stürmte gegen die starke russische Stellung
östlich der Olszynka an, sechsmal vergeblich; erst der siebente Angriff
hatte Erfolg - er durchbrach die dritte russische Stellung.
Beiderseits des west-östlichen Laufs der Olszynka vorgehend griff das
Gardekorps die Stellungen südlich Olpiny an. Starkes Artilleriefeuer, auch
von rechts flankierend, konnte die Garde ebensowenig aufhalten wie ein
Mißgeschick des k. u. k. IX. Armeekorps, dem ein russischer
Gegenstoß vorübergehend den Obszar wieder entriß. Die
Russen warteten den Sturm nicht ab, sondern ergaben sich. Das Korps setzte sich
auf den Höhen östlich der (hier südwärts)
fließenden Olszynka fest.
Das k. u. k. IX. Armeekorps nahm am Nachmittag den Obszar wieder. Auch die
übrigen Verbände der k. u. k. 4. Armee gewannen,
nachdem die Russen die
Dunajec-Stellung geräumt hatten, erheblich Gelände in Richtung
Tarnow. Die 47.
Reserve-Division konnte mehrere starke Angriffe abweisen und den tags vorher
gewonnenen Brückenkopf erweitern.
Die Tagesziele hatten Mitte und linker Flügel der Armee zwar nicht
erreicht, aber sich ihnen stark genähert; der rechte Flügel hatte den
Krempna-Paß gesperrt. Die Reserven der Armee hatten noch nicht
eingesetzt zu werden brauchen; sie [137] folgten eingreifbereit hinter den
Flügeln. - Anscheinend machte sich die Wirkung der bisherigen
Erfolge schon jetzt geltend; Flieger meldeten nach Nordost gerichtete
Truppenbewegungen vor der k. u. k. 3. Armee. Das forderte erneut
die energische Fortsetzung der Offensive über die Wisloka hinaus,
zugleich aber auch festes Zupacken seitens der k. u. k. 3. Armee, um
den Gegner am Abzug zu hindern.
Eine Aufforderung, in diesem Sinne zu handeln, erbat Mackensen bei der
k. u. k. Heeresleitung. Für die eigene Armee befahl er
Fortsetzung der Offensive unter stärkerem Zusammenziehen nach dem
rechten Flügel; dem rechten Flügel der k. u. k. 4.
Armee befahl er, sich dem Vormarsch auf Brzostek und Pilzno
anzuschließen, während ihr Rest die linke Flanke des Vorgehens
sichern sollte.
Die großen Erfolge erweiterten aber auch bei der deutschen Obersten
Heeresleitung, die - um der Hauptentscheidung näher zu
sein - nach Pleß übergesiedelt war, die Aussicht auf eine
größere Entscheidung. Voraussetzung dazu war natürlich die
ungesäumte und energische Fortsetzung der Operation. Um ihr einen
stärkeren Nachdruck zu verleihen, überführte sie die 56.
Infanterie-Division vom Westen nach Galizien.
Ein vom k. u. k. Armee-Oberkommando angeordnetes energisches Zufassen der
k. u. k. 3. Armee stellte sich als um so dringender heraus, weil
Flieger feststellten, daß die Russen vor ihrem linken Flügel und der
Mitte in vollem Rückzuge seien. Auch vor der Front der 11. Armee
machten Flieger die gleiche Erkundung. Infolgedessen ordnete Mackensen
schärfstes Nachstoßen aller Divisionen
an - ein Befehl, der mit der vom k. u. k.
Armee-Oberkommando später einlaufenden Weisung
übereinstimmte. Der k. u. k. 3. Armee gab es Krempna als
Marschrichtung für den linken Flügel
an. - Auch jetzt befahl Mackensen seinen Korps wieder weit voraus
liegende Marschziele: die
Jasiolka-Übergänge in richtung Dukla, Rowne und Krosno.
General v. Emmich schob an diesem Tage die frische 20.
Infanterie-Division in die vorderste Linie und erreichte, während das
k. u. k. X. Armeekorps bis an das noch vom Gegner festgehaltene
Krempna kam, tatsächlich in starkem Marsche den Ort Dukla und damit
auch die zweite Nachschubstraße der russischen
Karpathen-Front. Die übrigen Korps (die 19.
Infanterie-Division wurde dem Gardekorps unterstellt) konnten nicht gleichen
Schritt halten. Unter dauernden Kämpfen erreichten sie den Abschnitt der
Wisloka von Zmigrod abwärts bis Bukowa; auch das k. u. k.
IX. Armeekorps der k. u. k. 4. Armee gelangte bis zur Wisloka in
Höhe von Brzostek, während deren Mitte die Biala überschritt.
In Tarnow und auf den Höhen südöstlich konnten sich die
Russen am 5. Mai noch
halten. - Außer der bisherigen Aufgabe (Sicherung der linken Flanke
der 11. Armee) erhielt die k. u. k. 4. Armee Befehl, von ihrem linken
Flügel starke Kavallerie zur Unterbrechung der nach Norden und Osten
führenden Bahnen vorzutreiben und Debica durch eine Abteilung zu
besetzen - ein Auftrag, den sie nicht auszuführen vermochte.
[138] Die Rückzugsbewegungen der Russen
griffen immer weiter nach Süden über. Während die
k. u. k. 3. Armee am 6. Mai die Paßhöhen von Taslika
und Dukla in Besitz nehmen konnte, gingen auch schon auf der Straße des
Lupkow-Passes russische Trains und Kolonnen zurück. Aber die Russen
wollten nicht widerstandslos ihre Straßen sperren lassen: gegen das Korps
Emmich griffen sie von Osten
und - mit den abgeschnittenen Kräften - von Süden in
wiederholten, energischen, aber trotz aller Tapferkeit vergeblichen
Stößen an. Was deutsche Truppen und ein Emmich in die Hand
genommen, das gaben sie nicht heraus, besonders hier, wo jeder Mann die
Größe des erstrebten Zieles kannte. Um im Vormarsch durch diese
Kämpfe nicht behindert zu werden, verlegte das
Armee-Oberkommando die Marsch- und Gefechtsstreifen der anderen Korps nach
Norden: für die linke Flügeldivision des Korps Emmich wurde
Besko, für das XXXXI. Reservekorps Haczow, für das
k. u. k. VI. Armeekorps Krosno, für das Gardekorps
Wojaszowka bestimmt und damit die Marschziele abermals erheblich nach Osten
vorverlegt.
Die in den Durchbruchskämpfen erreichten Erfolge prägten sich in
den Gefangenen- und Beutezahlen aus, die in ganz unwahrscheinliche Ziffern
ausklangen. Vor allem war die russische Front auf einer bis zur Weichsel
reichenden Breite von 160 Kilometern von vollem Rückzuge; die
Bewegung mußte schon in kürzester Frist sich auf die
anstoßenden Frontstrecken ausdehnen. Das ursprüngliche Ziel des
Durchbruchs war erreicht; aber zur vollen Wirkung konnte er erst kommen, wenn
er mit voller Kraft weitergeführt wurde. Dementsprechend ordnete das
k. u. k.
Armee-Oberkommando die Fortsetzung der Offensive auf der ganzen Front gegen
den Abschnitt des Dnjestr und des San an. Der Raum für die 11. Armee
wurde rechts durch die Linie
Zarszyn - Mrzyglod, links durch
Frysztak - Tyczyn begrenzt unter Sperrung der aus den Karpathen
nordwärts führenden Straßen. Links anschließend sollte
die k. u. k. 4. Armee von Rzeszow vorgehen und den noch
zwischen Wisloka und Weichsel nördlich Tarnow haltenden Gegner
angreifen. - Rechts der 11. Armee erhielt die k. u. k. 3. Armee
Befehl, in Richtung
Sanok - Zarszyn anzugreifen, um den südöstlich
anschließenden Gegner zu lockern; ihrem Vorschreiten sollte sich dann die
k. u. k. 2. Armee staffelweise vom linken Flügel
anschließen.
Der stärkste Widerstand des Feindes war gebrochen; die nächsten
Tage brachten zwar mehr oder minder heftige Gefechte mit den russischen
Nachhuten, die sich tapfer opferten, um den Hauptkräften die Zeit zum
geordneten Rückzug zu verschaffen. Aber die bessere Führung, die
größere Gewandtheit und die erfolgreiche Art des
Kampfes - rücksichtsloses Vorgehen in tiefer Gliederung innerhalb
der Gefechtsstreifen ohne Rücksicht auf die
Nachbarn - brach den Widerstand schnell. Starke Artillerie, sogar
10-cm-Kanonen, in der Vorhut halfen dabei wirksam mit.
Schon am 7. Mai wurde der Wislok überschritten; selbst das Korps
Emmich [139] gewann Gelände nach Osten, obschon es
an diesem und den nächsten Tagen von überlegenen Kräften
angegriffen wurde, die unter rücksichtslosem Menscheneinsatz den
abgeschnittenen Divisionen wieder freien Weg zu schaffen suchten. Frische
Kräfte, darunter Teile der Festungsbesatzung Przemysl,
stellten sich auch
der Mitte der 11. Armee entgegen. Es war vergeblich; selbst ein zur Entlastung
angesetzter, energischer Flankenstoß gegen den äußersten
rechten Flügel der Südarmee vermochte das allgemein gewordene
Vorgehen aus der
Karpathen-Front nicht mehr aufzuhalten. Vergeblich war das immer wiederholte
Hineinwerfen neu ankommender Kräfte, vergeblich der Befehl des
Führers der russischen 3. Armee, die
San-Linie und die stark ausgebauten Brückenköpfe von Radymno,
Jaroslau und Sieniawa zu halten. Generaloberst v. Mackensen erwirkte das
Einverständnis der
österreichisch-ungarischen Heeresleitung, aus der am 11. Mai erreichten
Linie Mrzyglod - Dynow - Blazowa - Tyczyn sofort auf
Jaroslau zum Angriff vorzugehen.
Durch den konzentrischen Vormarsch der Armeen hatten sich diese in engerer
Front zusammenschieben müssen; von den dadurch bei der
k. u. k. 3. Armee frei werdenden Kräften schob General Conrad
v. Hötzendorf zwei Divisionen nach Tarnow, um den linken
Flügel der k. u. k. 4. Armee zu schärferem Vorgehen zu
kräftigen; ein Korps wurde der Südarmee zugeteilt, ein Korps an die
Front gegen Italien geschoben, das trotz der Erfolge der Verbündeten eine
immer drohendere Sprache führte.
Von den benachbarten Armeen erreichte der linke Flügel der k. u. k. 3.
Armee am 11. Mai Sanok, der rechte Flügel der k. u. k. 4.
Armee Rzeszow; dorthin sollte auch die 11.
Kavallerie-Truppen-Division vorgeholt werden. Während die
k. u. k. 3. Armee zum Angriff gegen die
Süd- und Südwestfront der - jetzt
russischen - Festung Przemysl angesetzt wurde, um sie möglichst
durch Handstreich zu nehmen, erhielt die k. u. k. 4. Armee Befehl,
mit dem linken Flügel zum Angriff gegen den Brückenkopf
Sandomierz vorzugehen.
General Emmich gab den Befehl über den rechten, so erfolgreich
geführten Flügel ab, um das auf dem linken Flügel jetzt wieder
zusammengezogene X. Korps in die vorderste Linie einzuschieben; die unterdes
ausgeladene 56.
Infanterie-Division wurde Armeereserve.
Wenn die 11. Armee bisher in ununterbrochenem Siegeszuge bis zum Wislok
hatte vorschreiten und 100 000 Gefangene, 80 Geschütze und 250
Maschinengewehre einbringen können, so war das nur möglich
gewesen durch das ununterbroche gute Wetter; die Hitze war für die
Truppen oft außerordentlich
anstrengend, - sie hatte aber die Wege brauchbar gehalten. Doch jetzt
wurden die Entfernungen von den Bahnendpunkten zu groß; beim
Rückzug hatten die Russen alle Bahnhöfe und Brücken
völlig zerstört, wobei ihnen die Naphthaquellen des Landes
vortrefflich zustatten kamen. War jetzt schon, falls schlechtes Wetter eintrat, bei
den traurigen Wegeverhältnissen der Nachschub [140] nicht mehr gesichert, so mußte er nach
Erreichen der San-Linie völlig neu aufgebaut werden.
Auf eine entsprechende Meldung ordnete die Oberste Heeresleitung an: nach
Erzwingung des
San-Abschnitts und Regelung des Nachschubs solle die 11. Armee den Angriff,
mit dem rechten Flügel auf Lemberg, weiter vortragen, falls nicht schon
vorher durch Vorgehen der k. u. k. 2. und der Südarmee die
russische Offensive in der Bukowina abgewiesen sein würde. Sei dies aber
erreicht, so solle die 11. Armee den
San - Wisznia - Dnjestr-Abschnitt halten, aber zu anderer
Verwendung bereitgestellt
werden. - Mackensen regelte den weiteren Vormarsch dahin: Kombiniertes
Korps Kneußl (11. bayerische und 119.
Infanterie-Division) deckt den Marsch gegen Przemysl; XXXXI. Reservekorps
Richtung Radymno; k. u. k. VI. und Gardekorps Richtung Jaroslau;
X. Armeekorps Richtung Manasterz unter Sicherung gegen den
Brückenkopf Sieniawa. Über den Gegner hatten der Verlauf der
letzten Tage und Aufklärungen keinen sicheren Schluß zugelassen;
deshalb ging der Befehl dahin, daß, falls der Gegner starken Widerstand
leisten würde, alle Vorbereitungen zu einem planmäßigen,
oder abgekürzten Angriff gegen die Brückenköpfe getroffen,
im anderen Falle sofort der Vormarsch angetreten und auf dem östlichen
Ufer des San Brückenköpfe geschaffen werden sollten, um für
alle späteren Aufgaben frei zu sein.
Am 14. Mai fühlten die k. u. k. 3. Armee und Korps Kneußl gegen
Przemysl vor; die übrigen Korps der 11. Armee näherten sich unter
schweren Nachhutkämpfen dem San. Das Gardekorps drang sogar in
Jaroslau ein, konnte aber den Übergang nicht erzwingen. Da sich auch am
folgenden Tage die Abwehr in den Brückenköpfen nicht
verminderte, entschied sich Mackensen, den Angriff erst nach wirksamer
Artillerievorbereitung anzusetzen. Die Armeereserve (56.
Infanterie-Division und 11. Honved-Kavallerie-Division) wurde näher
herangezogen; Korps Kneußl schob sich nahe an die Außenforts der
Nordwestfront vor; den ihm aufgetragenen Handstreich gegen die Festung
führte die k. u. k. 3. Armee nicht durch. Die
k. u. k. 4. Armee schloß den Brückenkopf von
Sandomierz ab.
Trotz energischer Kämpfe konnte nur das Gardekorps am 16. Mai bei
Jaroslau den Uferwechsel erzwingen und begann, vom k. u. k. VI.
Armeekorps gefolgt, den Übergang. Am späten Abend gelang es auch
dem X. Armeekorps bei Winzownika, Vortruppen über den Fluß zu
werfen. Da auch am folgenden Tage die Fortschritte der linken Korps gering
waren (obgleich dem X. Armeekorps die 56.
Infanterie-Division als Verstärkung zugewiesen war) und XXXXI.
Reservekorps den Fluß bei Radymno nicht überschreiten konnte,
ließ Mackensen hier den Kampf einstellen, übertrug dem XXXXI.
Reservekorps gemeinsam mit der 11. bayerischen
Infanterie-Division die Deckung der Armee gegen Przemysl und zog die 119.
Infanterie-Division als Armeereserve hinter die Front. Die
Nachschubverhältnisse machten sich erneut als recht schwierig geltend. Um
Przemysl zu Fall zu bringen, sollte schwere und schwerste Artillerie eingesetzt,
ein
infante- [141] ristischer Angriff aber nicht durchgeführt
werden, da diese Aufgabe der k. u. k. 3. Armee übertragen
war.
Wie die k. u. k. 4. Armee den San forcieren konnte, mußte von den
Verhältnissen vor ihrer Front und jenseits der Weichsel abhängig
gemacht werden; tatsächlich hatte das rechte Flügelkorps, hinter dem
X. Armeekorps folgend, schon den Übergang über den San
begonnen. Wenn irgend möglich sollte ihr linker Flügel den
Brückenkopf von Sandomierz
angreifen. - Die k. u. k. 3. Armee lag vor Przemysl und der
von dort nach Südost sich erstreckenden starken Stellung der russischen 8.
Armee in hartnäckige Kämpfe verwickelt, ohne Fortschritte zu
machen. Auch sie litt sehr unter Nachschubschwierigkeiten.
Die Absichten des Oberkommandos waren zunächst nicht
durchführbar. Zwar meldeten die Flieger Rückmärsche und
rückläufige Bahntransporte; anderseits aber griffen die Russen die
drei Korps des rechten Flügels heftig an und konnten nur nach schweren
Kämpfen abgewiesen werden. Weiter kam die Weisung der Obersten
Heeresleitung, daß der unmittelbar bevorstehende Eintritt Italiens in den
Krieg einen Abschluß der Kämpfe in Galizien erwünscht
erscheinen lasse. Dazu sei der Gewinn des
San - Wisznia - Dnjestr-Abschnitts notwendig, der mit
schwächeren Kräften gehalten werden könne. Da die
k. u. k. 3., 2. und 7. Armee dies Ziel nicht erreicht hätten,
müsse ein erneuter Durchbruch mit massierten Kräften beiderseits
der Wisznia nach Südost es erzwingen.
Mackensen befahl dazu eine Umgruppierung der Armee: k. u. k. 4. Armee und X.
Armeekorps sollten den Stoß gegen Nordosten decken, die anderen Korps
ihn durchführen; 11. bayerische
Infanterie- und 11. Honved-Kavallerie-Division gegen Przemysl sichern. Ein
entsprechender Befehl der k. u. k. Heeresleitung setzte den
gleichzeitigen Beginn für die k. u. k. 2. und 3., sowie die 11.
Armee fest.
Am 23. Mai erklärte Italien den Krieg. Am 24. Mai erfolgte der Angriff der
Mackensenschen Korps aus der Linie
Sosnica - Grabowiec; er brachte nicht den erhofften vollen Erfolg,
jedoch eine wesentliche Erweiterung des Brückenkopfs, dazu 20 000
Gefangene und fast 60 Geschütze als
Beute. - Die k. u. k. Armeen hatten aber keine Fortschritte
gemacht. Um die eigenen Korps voll einsetzen zu können, erhielt die
k. u. k. 4. Armee Befehl, den steckengebliebenen Angriff auf
Sandomierz zu unterlassen, aber Teile des X. Armeekorps und der Sicherung
abzulösen, um sie für den Angriff auf Przemysl frei zu machen. Die
Artillerie der Festung beteiligte sich am 24. und 25. Mai am Kampfe nur schwach,
so daß es schien, als ob sie nicht nachhaltig verteidigt werden sollte. Auch
das XXXXI. Reservekorps sollte nunmehr den San
überschreiten. - Vor der beabsichtigten Durchbruchsfront zeigte sich
der feindliche Widerstand am stärksten, wohl um die Flanke der zwischen
Przemysl und den
Dnjestr-Sümpfen haltenden Armee zu sichern. Um den Widerstand zu
brechen und damit auch der k. u. k. 2., 3., und 4. Armee Luft zum
weiteren Vorgehen zu bringen, mußte der Angriff der 11. Armee energisch
fortgeführt werden.
[142] Während die deutschen Divisionen sich
mühsam gegen die Straße
Przemysl - Medyka - Lemberg vorwärtsrangen, die 56.
Infanterie-Division, das k. u. k. X. Armeekorps einen russischen
Angriff an der Lubaczowka abwiesen, versagte die 10.
Infanterie-Truppen-Division im Brückenkopf Sieniawa völlig. Ein
russischer Stoß nahm ihr die schwere Artillerie und warf ihre
Trümmer in einer solchen Verfassung über den San, daß er bei
starkem Willen der Führung hätte über den Fluß
weitergetrieben werden und die Lage der 11. Armee aufs schwerste hätte
bedrohen können.
Trotzdem und obgleich auch die k. u. k. 3. Armee nicht vorwärts kam,
beharrte Mackensen bei seinem Entschluß und erweiterte ihn dahin, nun
selbst den Angriff gegen die Nordfront der Festung
durchzuführen. - Eine gewisse Verzögerung trat nun dadurch
ein, daß Ende Mai die Russen mehrere Tage hindurch die Mitte und den
linken Flügel der 11. Armee
angriffen - anscheinend zur Entlastung der unter schwerem
Geschützfeuer liegenden Festung. Nach vorübergehender Krisis beim
k. u. k. VI. Armeekorps wurden die Russen mit schwersten
Verlusten abgewiesen. Dem für den 1. Juni beabsichtigten Sturm auf
Przemysl kam die bayerische 11.
Infanterie-Division zuvor. Während noch die letzten Anstürme der
russischen Divisionen in vergeblichem Kampfe an der Lubaczowka verbluteten,
glaubten die Bayern zu erkennen, daß die Werke der Nordfront sturmreif
seien; ihr Angriff am 31. Mai nachmittags hatte Erfolg. Gleichzeitig drang auch
ein Regiment der k. u. k. 3. Armee in ein Werk der
Südwestfront, mußte es aber wieder räumen.
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Auch an den folgenden Tagen setzten die Russen ihre Angriffe gegen die inneren
Flügel der 11. und der k. u. k. 4. Armee fort, die sogar zu
einem Ausweichen der letzteren und zu Zersetzungserscheinungen sowie zu
einem russischen Überschreiten des San führten. Trotz dieser
schweren Sorge wurde der Angriff auf Przemysl fortgesetzt; 11. bayerische
Infanterie-Division, Teile der 119. Infanterie-Division und das Gardekorps
nahmen ein Werk nach dem anderen und standen am 2. Juni abend dicht vor der
zweiten Verteidigungslinie. Die Besatzung wartete den Sturm nicht ab; am 3. Juni
zog die 11. bayerische
Infanterie-Division und das 3. Garderegiment [zu Fuß] in Przemysl ein,
ohne Widerstand zu finden. Das k. u. k. X. Armeekorps folgte ihnen
unmittelbar.
Trotz des großen Erfolges der deutschen 11. Armee war die Lage der
Ostfront nicht gut. Zu den sehr bedenklichen Zersetzungserscheinungen bei der
k. u. k. 4. Armee trat die Erkenntnis, daß die
k. u. k. 2. und 3. Armee nahezu versagt hatten und daß auch
die k. u. k. 7. Armee in der Bukowina ohne Erfolg kämpfte.
So drohte nicht nur ein Stillstand der ganzen Ostfront und eine völlige
Fesselung der 11. Armee dort auf lange Zeit, sondern möglicherweise auch
Rückschläge bei den verbündeten Armeen, die als weitere
Auswirkung einen Zusammenbruch
Österreich-Ungarns befürchten ließen.
Die deutsche Oberste Heeresleitung mußte sich entschließen, neue
Kräfte nach [143] dem Osten zu führen. Bis dahin aber
mußte ein Stillstand eintreten. Allerdings hatte der Fall von Przemysl zur
Folge, daß die weiter südöstlich stehenden russischen
Kräfte jetzt hinter den
Dnjestr-Wisznia-Abschnitt zurückgingen und die k. u. k.
Divisionen sich entsprechend verschieben konnten. Auch gelang es, die unterhalb
der Lubaczowka-Mündung übergesetzten Russen wieder über den
San zurückzuwerfen und die k. u. k. 4. Armee in ihrer auf
Tarnobrzeg an der Weichsel verlaufenden Stellung zu festigen. Aber erst von
neuen deutschen Kräften war eine erneute Offensive zu erwarten. Immerhin
waren große Fortschritte erzielt, reiche Beute an Gefangenen und
Gerät
eingebracht - das größte hierbei geleistet zu haben, durften sich
Mackensen und die tapfere 11. Armee zuschreiben.
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