Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
Kapitel 3:
Die militärischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten
Heeresleitung und die
Zusammenhänge der Operationen bis April
1915 (Forts.)
Oberst Gustav v. Bartenwerffer
3. Die Marneentscheidung.
Der Funkspruch der Obersten Heeresleitung vom 4. September abends
(Seite 118),
wurde ergänzt durch eine Beurteilung der Lage, die sämtlichen
Armeen am 5. September zuging und für die 1. und 2. Armee die
Anweisung enthielt, die Masse ihrer Truppen soweit von Paris anzuhalten,
daß genügend Bewegungsfreiheit für die Armeen
gewährleistet wäre. Das 2. Kavalleriekorps sollte zwischen unterer
Seine und Marne die Nordfront von Paris beobachten, Flieger der 1. Armee hatten
die Aufklärung über die Linie
Lille - Amiens gegen die Küste zu übernehmen.
Die 1. Armee befand sich am 5. September noch im Vormarsch gegen die Seine
und hatte auch dem die rechte Flanke gegen Paris sichernden IV. Reservekorps
den Befehl gegeben, von Nanteuil le Haudouin weiter südlich sich in die
Gegend westlich von Lizy zu ziehen, als 7,15 Uhr vormittags der Funkspruch der
Obersten Heeresleitung eintraf, demzufolge die Armee zwischen Oise und Marne
verbleiben sollte. Der Oberbefehlshaber konnte sich auch jetzt noch nicht [121] entschließen, die Bewegungen
abzustoppen; er sah die Lage bei Paris nicht so ernst an, und glaubte den Feind
ohne Mühe hinter die Seine drücken zu können; nur das rechte
Flügelkorps versuchte er noch festzuhalten, dieses hatte aber seine
Marschziele beim Eingang des Befehls zum Halten schon erreicht. Die Armee
überschritt mit ihren Spitzen an diesem Tage den Grand Morin, stand also
20 Tage nach Antritt des Vormarsches von der Maas nördlich von
Lüttich mit einer Marschleistung von rund 250 Kilometern
einschließlich der Schlachten und Gefechte 15 Kilometer vom
östlichen Fortgürtel von Paris entfernt; eine wohl beispiellose
Leistung einer Armee!
Ihre Lage war in dem Drange, die englische Armee zu fassen und zu vernichten,
allerdings gefährlich geworden. Sie hatte die große Lagerfestung
Paris, auf die auch von Südosten, Süden und Südwesten
Kräfte herangeführt sein, wohin sich auch Teile der
Engländer - die man seit geraumer Zeit nicht mehr hatte fassen
können - gewandt haben konnten, in der rechten Flanke. Die 2.
Armee war um anderthalb Tagesmärsche gegen die 1. Armee zurück;
letztere hing also am 5. September in der Luft. Das Oberkommando der 1. Armee
aber hielt es für zeitig genug, erst vom 6. September ab der Weisung der
Obersten Heeresleitung zu entsprechen.
Die 2. Armee stellte auf den Funkspruch der Obersten Heeresleitung hin am 5.
September sofort den Vormarsch ein; sie nahm nur zur Einleitung der
Rechtsschwenkung gegen Paris ihren linken Flügel bis an den Pt. Morin
vor. Sie beobachtete im Laufe des 5. September vor ihrer Front starken
Eisenbahnverkehr über
Remilly - Nogent nach Paris, der auch der Obersten Heeresleitung
noch am Abend des 5. September bekannt wurde. Es war kein Zweifel mehr,
daß der französische Generalissimus alles Verfügbare nach
Paris warf und eine neue Offensive gegen die deutsche rechte Heeresflanke
vorbereitete. Zur Verstärkung des rechten Heeresflügels standen der
Obersten Heeresleitung keine Kräfte zur Verfügung; der
Funkspruchbefehl, gegenüber der Pariser Ostfront zu verbleiben,
mußte zunächst genügen. Da aber auch Meldungen über
bevorstehende Landungen der Engländer in Ostende und Zeebrügge
und über die Absicht eines neuen Ausfalls aus Antwerpen wieder
häufiger einliefen, kam die Oberste Heeresleitung zu dem Entschluß,
den Schutz der rückwärtigen Verbindungen des Heeres, nachdem die
1. Armee in ihrer, der Auffassung der Obersten Heeresleitung nicht
entsprechenden Beurteilung der Lage aus dem Rahmen der Gesamtoperation
herausgetreten war, einer neu zusammenzusetzenden Armee zu übertragen.
Die Korps dieser Armee mußten den Fronten entnommen werden, an denen
der Kampf die erhofften Erfolge nicht mehr bringen konnte und ein Herausziehen
von Kräften möglich sein durfte. Das war auf dem linken
Heeresflügel der Fall. Hier dauerte der Kampf der 6. und 7. Armee nach
kleinen Anfangserfolgen, aber unter erheblichen Verlusten ohne Aussicht auf ein
günstiges Ergebnis fort. Kronprinz Rupprecht wurde daher angewiesen, zwei [122] Armeekorps aus der Front zu ziehen und am 7. und 10. September nach Belgien abzutransportieren; unter dem Befehl des
bisherigen Führers der 7. Armee, Generaloberst v. Heeringen, sollten diese
dort als neue 7. Armee den Schutz der rückwärtigen Verbindungen
des Heeres übernehmen. Als sich am 8. September herausstellte, daß
die Meldungen über Landungen der Engländer falsch waren, gab die
Oberste Heeresleitung der neuen Armee nunmehr den Befehl, den rechten
Heeresflügel zu verstärken, und unterstellte ihr weiter das bisher in
der Gegend Brüssel verbliebene IX. Reservekorps und das durch den Fall
von Maubeuge freigewordene VII. Reservekorps. Ersteres wurde allerdings auf
erneute Nachrichten von großen Landungen zunächst doch wieder in
Gegend westlich Brüssel festgehalten.
Die 6. Armee setzte, durch die Hauptreserve von Metz von Norden her
unterstützt, trotz der Abgabe der beiden Korps, ihren Angriff auf die
Stellungen bei Nancy zunächst fort. Da aber der Angriff der 4. und 5.
Armee, der, durch die Argonnen in südöstlicher Richtung
geführt, am
Rhein - Marne-Kanal ins Stocken geriet und ihr nicht die erwartete
Entlastung brachte, verbot sich die Fortführung des Angriffs auf die
Nancyer Stellungen von selbst. Ansammlungen französischer Kräfte
bei St. Mihiel, die die aus der
Woëvre-Ebene von Osten her angesetzten Angriffsvorbereitungen auf die
Maas-Forts bedrohten und eine französische Durchbruchsabsicht an dieser
Stelle vermuten ließen, veranlaßten die Oberste Heeresleitung, das
von der 6. Armee für die neue 7. Armee bestimmte Korps (XIV.
Armeekorps) bei Metz am 9. September anzuhalten und den Ausbau einer
Stellung zwischen 5. Armee und Metz in die Wege zu leiten. Das bedeutete den
Übergang zur Abwehr auch an dieser Stelle; und auch die 6. Armee begann
am 10. September mit einer Rückschwenkung zur Abwehr in die Linie
Metz - Saarburg in Lothringen, an die sich die Sicherungen
Straßburgs und des Oberelsaß nach Süden anschlossen.
Das nördlich der Marne befindliche IV. Reservekorps der 1. Armee stellte
durch einen Erkundungsvorstoß in Richtung Dammartin überlegene
Kräfte mit schwerer Artillerie vor sich fest. Diese Klärung der
Verhältnisse vor Paris veranlaßte das Oberkommando der 1. Armee,
dem Befehl der Obersten Heeresleitung nunmehr durch Rechtsabmarsch mit allem
Nachdruck nachzukommen. Mit bewundernswürdiger Schnelligkeit warf
das Armeeoberkommando den rechten Flügel der Armee zur
Unterstützung des IV. Reservekorps beiderseits Lizy über den Ourcq.
Ihr linker, bei
Sancy - Esternay dem Feinde am nächsten stehender
Flügel (III. und IX. Armeekorps) wurde am 6. September beiderseits
umfassend angegriffen, hielt sich aber, unterstützt durch Teile der 2.
Armee. Da die 1. Armee durch die Schlacht am Ourcq voll in Anspruch
genommen war, bat sie die 2. Armee, den Befehl über den linken
Flügel und damit die Sicherung ihrer Flanke und ihres Rückens zu
übernehmen. Als aber am 7. September mittags die 1. Armee ihre beiden
Armeekorps dringend zur Unterstützung ihrer [123] Kräfte westlich des Ourcq anforderte und
die Sicherung der Lücke zwischen Pt.
Morin-Mündung und Montmirail lediglich dem Kavalleriekorps zufiel,
wurde die Lage des rechten Flügels der 2. Armee, gegen den die 5.
französische Armee nunmehr freiere Hand bekam, schwierig.
Die Oberste Heeresleitung hatte in der Nacht vom 6. zum 7. September Kenntnis
von dem Befehl des französischen Generalissimus für eine
allgemeine Gegenoffensive erhalten, blieb aber am 7. September über die
Lage bei der 1. und 2. Armee unorientiert und hatte auch am 8. September, als der
Chef der Nachrichtenabteilung zwecks Orientierung zu den
Armeeoberkommandos entsandt wurde, noch keine Nachrichten. Es war daher
ausgeschlossen, diesen mit bestimmten Weisungen für die Armeen
auszustatten. Nur für die 1. und 2. Armee war ihm die Weisung
mitgegeben, jede rückgängige Bewegung zu verhindern; wenn eine
solche aber schon eingeleitet wäre, Fismes als Marschrichtung für
die inneren Flügel der 1. und 2. Armee zu bezeichnen. Am 8. September
ging die Meldung ein, daß vier Kolonnen (Engländer) im Anmarsch
beiderseits Coulommiers gegen die Marne wären. Der 9. September brachte
Gewißheit. Die Kavallerie am Petit Morin war an einzelnen Stellen
durchbrochen. Ein mitgehörter Funkspruch der 2. Armee an die noch
südlich der Marne befindliche
Garde-Kavallerie am 9. September mittags, in dem letzterer bekanntgegeben
wurde, daß die 2. Armee den Rückzug mit rechtem Flügel auf
Damery einleitete, und die Funksprüche des Vormittags, nach denen der
Feind in mehreren Kolonnen die Marne bei und östlich von La
Ferté sous Jouarre überschreite, ließen die Lage des linken
Flügels der 1. Armee kritisch erscheinen. Bald aber meldete das
Oberkommando der 2. Armee, daß die 1. Armee sich der Umfassung von
Süden her durch Zurückschwenken ihres linken Flügels auf
Coulombs - Gandelu entzöge und die 2. Armee ihren
fortschreitenden Angriff einstellen und das nördliche
Marne-Ufer mit dem rechten Flügel bei Dormans gewinnen wolle.
Daraus schloß die Oberste Heeresleitung, daß die einzig
gefährdete Stelle der Heeresfront der rechte Flügel der 2. Armee
wäre, und daß für die 3. und 1. Armee kein Grund zur
Fortsetzung des Rückzuges vorläge, zumal die Nachrichtenabteilung
meldete, daß sicheren Nachrichten zufolge die Franzosen am Ende ihrer
Kraft wären. Die Oberste Heeresleitung befahl daher am 9. September
abends der 1. Armee, sich rückwärts gestaffelt zur 2. Armee
bereitzustellen und die Umfassung des rechten Flügels der 2. Armee zu
verhindern, der 3. Armee aber, die südlich von Chalons bleiben sollte, und
der 4. Armee, die Offensive wieder aufzunehmen.
Die 3. Armee, im Vormarsch auf Troyes - Vendeuvre, hatte schon
am 6. September den Bitten ihrer Nachbararmeen nachgeben müssen und
sich in zwei Gruppen
geteilt - eine rechte, die den Angriff des linken Flügels 2. Armee bis
zum 9. September durch siegreiches Vordringen über den
Maurienne-Abschnitt bis über Champenoise vortrug, eine linke, die den
schwer ringenden rechten [124] Flügel der 4. Armee südwestlich
von Vitry le François gegen alle Umfassungsversuche der Franzosen
sicherte. Generaloberst Freiherr v. Hausen hegte die berechtigte Hoffnung, durch
weiteres erfolgreiches Vordringen der westlichen Gruppe die schwierige Lage des
rechten Flügels der 2. Armee zu bessern, als die Mitteilung dieser Armee
einlief, daß sie den Rückmarsch hinter die Marne einleitete, und
daß der rechte Flügel 3. Armee sich diesem anschließen
müsse. Die 3. Armee fügte sich nur widerwillig, glaubte aber, auch
der linken Gruppe den Befehl zum Rückzuge im Anschluß an das
VIII. Armeekorps erteilen zu müssen. Die Oberste Heeresleitung konnte
sich mit dem Rückmarsch hinter die Aisne nicht einverstanden
erklären und befahl der 3. Armee, sich südlich von Chalons zur
Wiederaufnahme der Offensive bereit zu
halten. - Die 4. und 5. Armee hatten in Ausführung des Befehls vom
4. September abends ihre Offensive in südlicher und
südöstlicher Richtung fortgesetzt und gelangten bis in die allgemeine
Linie Vitry le
François - Revigny - Vaubecourt, die 4. Armee
sogar über den
Rhein - Marne-Kanal. In dem für den Verteidiger
günstigen Gelände erlahmte aber nach vielen wundervollen
Ruhmestaten ihre Angriffskraft. Die Bewegung der 5. Armee um die Festung
Verdun herum, ihr Angriff gegen die Höhen südlich der oberen
Aisne mit der Festung im Rücken und der besetzten
Maas-Linie in der linken Flanke zeitigten glänzende Leistungen von
Führung und Truppe, blieben aber ohne den erhofften durchschlagenden
Erfolg.
Die am 6. September einsetzende französische Gegenoffensive hatte den
Erfolg, daß die Offensive des deutschen Heeres zwischen Oise und Maas
zum Stillstand kam. Die Kräfte der deutschen Truppen waren durch die
dauernden Kämpfe und Märsche mitgenommen, die
rückwärtigen Verbindungen lang und schwierig geworden und dabei
trotz der für sie ausgeschiedenen großen Abgaben nicht einmal
ausreichend gesichert; die Nachführung von Bedürfnissen aller Art
war unzureichend; die Lage war überspannt! Einheitlich geführt
hätte der rechte Flügel des Heeres auch dem umfassenden Angriff
aus Paris heraus standhalten können, ohne allzuviel Boden
aufzugeben - jedenfalls ohne die anderen Armeen in Mitleidenschaft zu
ziehen. Die Direktive der Obersten Heeresleitung vom 27. August, nach der die
1. Armee westlich der Oise gegen die untere Seine marschieren und den
Flankenschutz des Heeres übernehmen sollte, ist vom Augenblick des
Eingangs ab nicht befolgt worden; der Flankenschutz des Heeres, der eine
Rückwärtsstaffelung der 1. Armee zur 2. voraussetzte, wurde von ihr
erst aufgenommen, als sie zu der verspäteten Einsicht kam, daß ihr
Wunsch, die Engländer von Paris abzuschneiden, nicht mehr in
Erfüllung gehen konnte, und sie sogar wahrnehmen mußte, daß
Teile ihres bisherigen Gegners ungehindert nach Paris abmarschieren
konnten.
Das wäre vielleicht vermieden worden, wenn die Oberste Heeresleitung die
Zügel früher und fester in die Hand genommen hätte. Die
rechtzeitige Vorverlegung wenigstens eines Teils des Großen
Hauptquartiers in die Gegend [125] von Rethel wurde wohl erwogen, kam aber
nicht zur Ausführung. So verlor die Oberste Heeresleitung in den ersten
Tagen des September jede sichere Verbindung mit der 1. Armee, die infolge
mangelnder Orientierung auch ihrerseits nicht in der Lage war, im Rahmen des
Ganzen richtig zu handeln. Die Oberste Heeresleitung andererseits konnte, vor
vollendete Tatsachen gestellt, meistens nur nachträglich und notgedrungen
ihre Zustimmung zu den Maßnahmen der 1. Armee geben und die
großen Operationen nach der Lage bei der 1. Armee notdürftig
einrenken. So erklärte sie sich auch mit der Abdrängung des Feindes
von Paris einverstanden, allerdings in der Annahme, daß die 2. Armee diese
Aufgabe erledigte, während die 1. Armee den Flankenschutz des Heeres
ausübte. Als die
französisch-englische Gegenoffensive einsetzte, und die englischen
Kolonnen sich gegen den rechten Flügel der 2. Armee in Bewegung setzten,
wäre die 1. Armee vielleicht noch in der Lage gewesen, durch
Zurücknahme ihrer auf das westliche
Ourcq-Ufer geschobenen Korps den Schutz der Heeresflanke zu
übernehmen. Sie aber war der Auffassung, daß ihre Aufgabe nur
offensiv zu lösen sei, unterschätzte die Gefahr, die der 2. Armee
drohte, und griff in ihrer Notlage auf ihre beiden letzten Korps zurück, von
denen sie wußte, daß sie in schwerem Kampfe ständen. Das
Fehlen einer einheitlichen Leitung der rechten Flügelarmeen machte sich
gerade in diesem Augenblick sehr unangenehm fühlbar; die 2. Armee allein
konnte sich aus Mangel an Reserven nicht helfen. Der Druck auf die rechte Flanke
der 2. Armee, der Vormarsch des Feindes über die Marne in das Loch
zwischen 1. und 2. Armee konnte in weiterer Fortsetzung das deutsche Heer wie
ein Keil auseinanderdrücken. Der feindliche Durchbruch drohte, die Lage
war "ernst, wenn auch nicht
aussichtslos" - aber die deutsche Offensive war gescheitert.
Die Hoffnung der Obersten Heeresleitung, durch Zurückstaffelung der 1.
Armee zur 2. Armee die Lage am 9. September wiederherzustellen, ging nicht in
Erfüllung. Die 1. Armee hatte unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft einen
entscheidenden Schlag westlich des Ourcq gegen Maunoury geführt; die
feindliche Umfassungsoffensive war zusammengebrochen, die 1. Armee Herrin
des Schlachtfeldes, als sie glaubte, die günstige Lage ausnutzen und der ihr
vom Oberstleutnant Hentsch überbrachten Weisung der Obersten
Heeresleitung entsprechen zu müssen, den Rückzug einzuleiten.
Anstatt aber in die von der Obersten Heeresleitung angegebene Linie
Soissons - Fismes auszuweichen und damit die Entfernung zwischen
ihr und der 2. Armee zu verkürzen, marschierte sie, unter dem Druck der
energischer vorwärtsstrebenden englischen Korps, nach Norden ab. Den
Befehl der Obersten Heeresleitung vom 9. September, aus einer
Rückwärtsstaffelung zur 2. Armee heraus den zwischen ihr und der
2. Armee eingebrochenen Feind anzugreifen, erhielt die 1. Armee nicht mehr
rechtzeitig; sie hatte ihren Rückzug in Richtung auf Soissons und westlich
schon einleiten müssen. Auch dem Befehl der Obersten Heeresleitung vom
10. September [126] früh: "Kampf auf ganzer Linie
günstig. Sicherung der Flanke der 2. Armee durch Eingreifen der 1. Armee
unbedingt erforderlich", konnte die 1. Armee nicht mehr nachkommen. Als es zu
spät war, sprach die Oberste Heeresleitung die Unterstellung der 1. unter
den Befehl der 2. Armee aus. Die Lage war durch diese Anordnung nicht mehr zu
meistern, die beiden Armeen waren auf dem kurzen Rückmarsche schon
zu weit auseinandergekommen, der Feind hatte schon zu lange freie Hand
gehabt.
Die Oberste Heeresleitung sah zunächst ihre Aufgabe darin, zu verhindern,
daß bei den weiter links stehenden Armeen ohne Grund Gelände
aufgegeben würde, und befahl am 10. September, mit Rücksicht auf
den Entschluß der 2. Armee, hinter die
Vesle - linker Flügel Thuisy - zurückzugehen, der 3.
Armee den Anschluß an die 2. Armee in der Linie Mourmelon le
Petit - Francheville zu suchen, der 4. Armee, anschließend den
Rhein - Marne-Kanal bei Revigny zu halten, während die 5.
Armee in ihren erreichten Stellungen verbleiben, V. Armeekorps und
Hauptreserve Metz von Osten her den Angriff auf die
Maas-Forts südlich Verdun fortsetzen sollten. Auch mit
persönlichem Eingreifen versuchte der Chef des Generalstabes des
Feldheeres am 11. September einer Fortsetzung des Rückzuges zu steuern.
Eine Meldung der 2. Armee aber, die den Hauptdruck des Feindes gegen den
rechten Flügel der 3. Armee vermuten ließ, veranlaßte die
Oberste Heeresleitung mit Rücksicht auf die große Frontbreite und
die geringe Gefechtsstärke der 3. Armee zur Zurücknahme der 2. bis
5. Armee bis in die Linie
Reims - Verdun unter Absperrung der Festung Verdun und zum
Aufgeben des Angriffs auf die Sperrforts südlich Verdun, wodurch das
gegen Toul sichernde Korps zu anderer Verwendung frei wurde. Dem Wunsche
der Obersten Heeresleitung, den Südrand der Argonnen auf alle Fälle
festzuhalten, glaubte die 5. Armee aus Mangel an Unterkunft, Wasser und guten
Stellungen nicht nachkommen zu können. Die Oberste Heeresleitung
erkannte, daß man dadurch große Vorteile preisgab; sie sah voraus,
daß bei der Wiederaufnahme der Offensive schwere Kämpfe in den
Argonnen notwendig sein würden und daß durch den weiteren
Rückzug die Abschließung Verduns und damit die Fortnahme der
Festung zunächst undurchführbar sein würde. Die
Kräfte zur Abschließung der Festung waren vorhanden, der Angriff
auf die
Maas-Forts hätte seine Bedeutung behalten,die große
französische Zufuhrlinie Ste.
Menehould - Clermont - Verdun blieb in deutscher
Hand. Die 5. Armee aber war nicht zu überzeugen, die Oberste
Heeresleitung gab nach.
Auf dem rechten Flügel stand die 1. Armee am 12. September hinter der
Aisne beiderseits Soissons, linker Flügel bei Condé; der rechte
Flügel der 2. Armee hatte bei Chalons an der Vesle nicht standhalten
können und stand abends bei Berry au Bac. Der Zwischenraum zwischen
der 1. und 2. Armee betrug immer noch über 30 km und war nur
notdürftig durch das Kavalleriekorps Marwitz ausgefüllt, das aber
am 13. September nicht verhindern konnte, [127] daß englische Infanterie über die
Aisne bis Amifontaine, Kavallerie sogar bis Sissonne durchstieß. Vom 13.
September ab schloß sich die Lücke durch Einsatz der nach und nach
eintreffenden Truppen der 7. Armee, die Durchbruchsgefahr aber war noch
keineswegs beseitigt. Die Oberste Heeresleitung, die den Gedanken an die
Wiederaufnahme der Offensive nach genügender Verstärkung des
rechten Heeresflügels nicht aufgegeben hatte, entschloß sich, aus der
3., 4. und 5. Armee je ein Armeekorps herauszuziehen und zunächst in der
Richtung auf den rechten Flügel der 2. Armee in Marsch zu setzen. Die
Korps gelangten zwar sämtlich nicht bis zum rechten Heeresflügel,
trugen aber zur Festigung der Front wesentlich bei.
Damit fand die Marneschlacht ihren Abschluß. Das deutsche Heer hatte am
6. September die Initiative allerdings verloren, die französische
Heeresleitung hatte sie aber nur vorübergehend gewinnen können.
Am 13. September war sie ihr wieder entrissen, die erhoffte Entscheidung blieb
dem General Joffre versagt, dazu war der Druck auf den rechten deutschen
Heeresflügel zu schwach und der Durchbruch nicht in einer die
Entscheidung versprechenden Richtung angesetzt.
Die Gegenoffensive der Franzosen hatte nur zu einer Festigung ihrer Linien
geführt, hatte aber eine Verteidigungsfront für sie geschlossen, die
bei der meisterhaften Veranlagung der Franzosen für die Abwehr nicht
leicht zu durchbrechen war.
4. Beiderseitige
Umfassungsversuche.
Halbe Maßregeln sind stets von Übel! Die Umfassung des deutschen
Heeres durch Maunoury war mit unzureichenden Mitteln versucht, und der
englische Durchbruch lief sich tot, als zur Sicherung der Flanken desselben nicht
mehr genügend Kräfte verfügbar waren. Allzu eilig entschied
sich Joffre für erneute Umfassungsversuche, ohne sich entschließen
zu können, sie in wirklich entscheidender Richtung mit genügend
starken Kräften anzusetzen. Ihm stand das große Bahnnetz, sein
großer Kraftwagenpark, sogar die See zur Verschiebung seiner an Zahl den
deutschen weit überlegenen Kräfte zur Verfügung. Er hatte mit
der Umgruppierung früher begonnen, seine rückwärtigen
Verbindungen waren nur kurz, alles, was das Heer brauchte, konnte schnell
herangeführt werden. Die Deutschen dagegen hatten als Verbindungen zur
Front nur die notdürftig wieder hergestellten belgischen Bahnen über
Löwen - Brüssel und über
Luxemburg - Namur, von denen die nördliche, durch
Antwerpen gefährdet, auf der ganzen Strecke starke Sicherungen
beanspruchte. Dicht hinter der Front entlangführende Bahnen konnten noch
nicht in Betrieb genommen werden; die Nachführung von
Kriegsgerät aller Art, von Ersatz an Mannschaften und besonders an
Offizieren, die in den ersten Schlachten ihr Leben für Vaterland so freudig
hingegeben hatten, war überaus schwierig, da die Bahnen überbelegt
waren. Die
Munitions- [128] ergänzug stockte vielfach. Und doch
bedurfte das Heer nach der großen Operation des August/September alles
dessen dringend.
Dazu war die Lage im westlichen Belgien noch durchaus ungeklärt;
fortwährend liefen bei der Obersten Heeresleitung Meldungen über
Landungen bei Dünkirchen, Ostende, Zeebrügge ein. Der starke
Ausfall aus Antwerpen vom 11. bis 13. September, der bis dicht an Löwen
heranführte, konnte sich wiederholen; die Bevölkerung in Belgien
und im französischen Grenzgebiet neigte auch jetzt noch zu
völkerrechtswidrigen Handlungen und beanspruchte ebenfalls scharfe
Aufsicht, so daß einzelne für den Westflügel bestimmte Korps
auf ihrem Durchtransport in Belgien vorübergehend festgehalten werden
mußten. Um wenigstens die Hauptgefahr in Belgien zu beseitigen, befahl
die Oberste Heeresleitung am 17. September den Angriff auf Antwerpen,
für dessen Durchführung allerdings ausreichende Truppen kaum zur
Verfügung standen. Eine großzügige Operation der Entente
gegen Flanke und Rücken hätte zu jener Zeit, als die deutschen
Truppenverschiebungen vom linken nach dem rechten Flügel unter den
geschilderten Schwierigkeiten im Gange waren, großen Erfolg haben
können.
Am 14. September 1914 übernahm für den erkrankten General v. Moltke der Generalleutnant
v. Falkenhayn zunächst vertretungsweise die
Geschäfte des Chefs des Generalstabes des Feldheeres unter Beibehaltung
seines Amtes als Kriegsminister. Die Vereinigung beider Ämter in einer
Hand war zu jener Zeit des Krieges außerordentlich nutzbringend.
Reibungslos arbeiteten beide Behörden auf das eine Ziel hin, die
großen Schwierigkeiten, die für das von aller Welt abgeschlossene
Deutschland in der Kriegsmaterialbeschaffung entstanden, zu überwinden.
Der neue Chef hielt an dem Entschluß der Obersten Heeresleitung fest, nach
Verstärkung des rechten Heeresflügels die Offensive wieder
aufzunehmen - ein Entschluß, der angesichts der Lage im Osten, die
sehr bald zur Stützung des Bundesgenossen den Einsatz stärkerer
Kräfte verlangte, unbedingt richtig war, da Verstärkungen nach dem
Osten - wenigstens in dem erforderlichen
Umfange - nur nach Abrechnung mit dem Westfeinde verfügbar sein
konnten. Nicht einheitlich waren aber die Anschauungen, ob man den rechten
Flügel des Heeres hinter der Aisne belassen oder ihn bis in die Linie
Reims - Laon - La Fère zurücknehmen
solle. Bei der Obersten Heeresleitung neigte man zu letzterer Ansicht; man entzog
sich der Umfassung, verkürzte den Weg der heranzuführenden
Armeekorps und konnte diese zu der beabsichtigten Offensive besser vom
Flügel absetzen. Die 1. Armee aber, in ihrem Drange nach vorwärts,
wollte mit den ersten eintreffenden Unterstützungen wieder zum Angriff
schreiten. Generaloberst v. Bülow, der Oberkommandierende des
Westflügels, dagegen befahl der 1. Armee eine starke Staffelung ihres
rechten Flügels, die schon insofern geboten war, als starke feindliche
Kavallerie, den rechten Heeresflügel bedrohend, sich von Roye her
fühlbar machte und eine Kolonne aller Waffen von Clermont aus
Compiègne erreicht hatte. Die Oberste Heeresleitung ihrerseits ordnete
eine [129] Zurücknahme der 1. Armee nur
für den Fall an, daß der rechte Flügel an der Aisne sich nicht
würde halten können, obwohl alle bei ihr eingegangenen Nachrichten
darauf hindeuteten, daß Joffre den größten Teil seiner
Ostkräfte aus der Festungsfront fortgezogen hatte, daß sich also die
Gefahr der Umfassung steigern würde. Die Folge dieses Entschlusses war,
daß die 1. Armee am 16. September sich tatsächlich gezwungen sah,
anzugreifen, um durch Zurückwerfen des Feindes über die Aisne sich
der Umfassung zu erwehren. Der Angriff hatte den erhofften Erfolg nicht. Der
Feind blieb auf dem nördlichen
Aisne-Ufer; die 1. Armee biß sich mit dem Feinde fest und konnte ihren
rechten Flügel nicht mehr loslösen. So mußte die Oberste
Heeresleitung nun für Sicherung des gefährdeten Flügels
sorgen, während bei rechtzeitigem
Ausweichen - das allerdings auch der Generaloberst v. Bülow nicht
für notwendig gehalten
hatte - sich der Flügel selbst hätte sichern können.
Zunächst übernahm die an der
Aisne-Front freigewordene Kavallerie den Schutz der Flanke in Gegend
Noyon.
Auf die Nachrichten über das Fortziehen mehrerer französischer
Korps aus der
Maas - Mosel-Front entschloß sich die Oberste Heeresleitung,
nun auch die Hauptkräfte der 6. Armee, deren Angriff am 9. September
angehalten war, nach dem rechten Flügel zu nehmen. Ihr Abtransport
konnte am 17. September beginnen. Sie sollten bei St. Quentin und Cambrai zur
Ausladung gelangen und geschlossen gegen die linke Flanke des Feindes
geführt werden. Die französische Heeresleitung aber durchkreuzte
den Plan; schon am 16. September griff französische Kavallerie St. Quentin
an, am 19. September wurden französische Ausladungen bei Montdidier und
südlich von Roye bekannt; starke feindliche Heereskavallerie bedrohte
nördlich St. Quentin die rückwärtigen Verbindungen der 1.
Armee; sogar bei Arras und Douai wurde bald feindliche Infanterie
verspürt. Der Plan des einheitlichen Einsatzes der 6. Armee scheiterte. Die
eintreffenden Verbände mußten notgedrungen nacheinander
eingesetzt werden.
Dem mehrfach beobachteten Herausziehen von Kräften vor der Front der 2.
bis 4. Armee, beabsichtigte die Oberste Heeresleitung durch einen allgemeinen
Angriff zu steuern, mußte aber von einem solchen absehen, als sich
herausstellte, daß der Feind noch für die Verteidigung hinreichende
Kräfte an der Front belassen hatte, und begnügte sich mit einem
Angriff der 5. Armee in Richtung Vienne la Ville zur Entlastung der 4. Armee
und zur Unterstützung des erneuten Angriffs aus der
Woëvre-Ebene gegen die Maas-Forts oberhalb von Verdun.
Der Fehlschlag in dem geplanten Einsatz der 6. Armee veranlaßte die
Oberste Heeresleitung zu neuen Entschlüssen, um die Umfassung zu
erzwingen; sie griff zu denselben Mitteln wie Joffre, zog aus der Front alles, was
entbehrlich schien, nahm sogar dem Generalgouvernement Belgien Teile der zum
Angriff auf Antwerpen bestimmten, schon äußerst knapp bemessenen
Kräfte wieder fort, indem sie ihm andere in Aussicht stellte, um die
Offensive mit möglichst starken Kräften zum Erfolge zu
führen. Die vom Oberkommando der 6. Armee in Aussicht genommene
An- [130] griffsrichtung beiderseits Nesle nach
Südwesten wurde auf Befehl der Obersten Heeresleitung, der diese
Richtung nicht aussichtsreich genug erschien, erheblich weiter nach Norden
verlegt. Diese Anordnung machte eine Rechtsschiebung der zuerst eintreffenden
Korps erforderlich, die aber durch das frühzeitige Auftreten
französischer Kräfte im
Somme-Bogen, südwestlich von Peronne, unmöglich gemacht
wurde. Die Franzosen hatten ihre Ausladungen nach Norden
verlegt - Amiens und Corbie wurden als Sammelpunkte
französischer Truppen
gemeldet - und glaubten zum vernichtenden Flankenstoß aus der
Ecke südlich der mittleren Somme heraus ausholen zu können.
"L'armée de poursuite" hatten sie diese neue Armee genannt. Sie
griff am 25. September fest zu, fesselte die zum Angriff angesetzten deutschen
Kräfte, konnte sie aber nicht über den Haufen werfen, bedrohte
immerhin aber die neue Flanke südlich der Somme, die zunächst nur
vom 2. Kavalleriekorps gesichert werden konnte. Gegenmaßnahmen
wurden notwendig; statt selbst zu umfassen, mußte sich die deutsche
Oberste Heeresleitung des unausgesetzt mit Umfassung drohenden, dank seiner
guten Verbindungen schneller operierenden Feindes erwehren.
Was einzelne gewichtige Politiker schon zu Anfang des Feldzuges als
erstrebenswertestes Ziel der Gesamtoperation bezeichnet hatten, Erreichung des
Kanals und Bedrohung der Verbindungen Englands mit dem Festlande, wurde
jetzt, nachdem die Entscheidung und mit ihr der Besitz der Kanalküste der
deutschen Obersten Heeresleitung versagt geblieben war, die Hauptaufgabe. Der
Wettlauf nach der Küste begann. Die Oberste Heeresleitung forderte
weitere Schwächung der Front zugunsten des rechten Heeresflügels,
und Korps auf Korps rollte nach dem Artois, um immer nur den rechten
Flügel zu verlängern. Man brauchte alle verfügbaren
Kräfte auf der äußeren Flanke der neuen Front so notwendig,
daß man nicht einmal Teile der Kavalleriekorps entbehren zu können
glaubte, um endlich einmal Klarheit über die Verhältnisse in
Westbelgien zu gewinnen, über dem ein tiefes Dunkel und ein Wirrwarr
von übertriebenen Gerüchten schwebte. Die Kavalleriekorps wurden
dazu sogar noch durch die in der Verteidigung entbehrlich werdenden Teile der
Divisions-Kavallerie-Regimenter und die
Kavallerie-Division der 5. Armee verstärkt, um sie zu einem
wirkungsvollen Stoß in die Flanke und Rücken des
französischen Heeres zu befähigen, der die Umfassung des Feindes
lahmlegen, seine Verbindungen unterbrechen und Klarheit über die
Verhältnisse an der Küste bringen sollte. Der Stoß gelang
nicht: der Einblick blieb versagt, die Hoffnung, wieder zum Bewegungskrieg zu
kommen, schwand mehr und mehr. Die Front verlängerte sich Ende
September und Anfang Oktober von westlich
Peronne - westlich von Bapaume - östlich von
Arras bis westlich von Lens; der Feind verlegte auf seinen intakten Bahnen seine
Ausladungen wieder weiter nach Norden; die Bahnhöfe von Bethune und
La Bassée waren belegt, schon stellte die deutsche Aufklärung
starken Bahnschutz an der Linie
Hazebrouck - Bailleul fest. Dazu kamen Nachrichten, daß
starke [131] feindliche Kräfte bei Ostende gelandet
würden, die den Anschluß in südlicher Richtung suchen
sollten. An der Lys nördlich Lille verstärkte sich der Feind
andauernd, die Kavalleriekorps hatten schweren Stand; da entrissen in kurzem,
aber heftigem Kampf am 12. Oktober die Sachsen dem Feinde den
Schlüsselpunkt Lille und beseitigten damit die dem Rücken des
Heeres drohende Gefahr endgültig, so daß das durch den Fall von
Antwerpen freigewordene III. Reservekorps statt auf Kortrik auf
Brügge - also zur Küste - in Marsch gesetzt werden
konnte. Auch hinter der Front gab es Erleichterung.
Antwerpen fiel am 9. Oktober; auf schmalem Angriffsstreifen war man von
Süden her dem Stadtinnern mit Hilfe der schweren und schwersten
Artillerie schnellstens näher gerückt. Mangel an Kräften
schloß eine Verbreiterung des Angriffs aus; sogar auf die doch so
notwendige Abschließung der Festung nach Westen, um ein Entkommen
der Besatzung zu verhindern, mußte der Kommandierende General des III.
Reservekorps verzichten. Aber noch bevor die letzten Forts von Antwerpen sich
ergeben hatten, erhielt das III. Reservekorps schon Befehl, nach Flandern
abzumarschieren. Die Besatzung Antwerpens war zum Teil über die
holländische Grenze, zum großen Teil aber ungefährdet nach
Westen entkommen.
Der Kanal wurde nicht, wie erhofft, erreicht; wohl aber gelang es, sich in den
Besitz der belgischen Küste beiderseits von Ostende zu setzen. Die Front
des Heeres erstarrte immer mehr, das Herausziehen von Kräften zum
Einsatz auf dem rechten Heeresflügel raubte den Armeen ihre Offensivkraft
fast vollständig, die Stellungen wurden tiefer und fester,
Durchbruchsversuche immer aussichtsloser. Letztere verboten sich für die
deutschen Armeen auch insofern, als die Munition so knapp wurde, daß
man jeden einzelnen Schuß zu zählen begann. Mit einem
Munitionsverbrauch, wie ihn die bisherigen Operationen verlangten, hatte man
nicht gerechnet. Es mußte geraume Zeit dauern, ehe sich die deutschen
Fabriken auch nur einigermaßen auf eine ausreichende Fabrikation
eingestellt hatten.
Erstaunlich schnell vollzog sich aber, trotz empfindlichsten Mangels an allem, die
Bereitstellung der in der Heimat neuaufgestellten sechs Korps, eine willkommene
Verstärkung, die nur leider zu spät kam. Daß eine solche
umfangreiche Neuaufstellung in verhältnismäßig kurzer Zeit
möglich war, gibt Zeugnis davon, wieviel Kräfte in der Heimat zu
Beginn des
Krieges - also im entscheidenden Augenblick -
zurückgelassen werden mußten, die trotz eindringlichster Vorstellung
des Generalstabes seit Jahren und auch wieder bei der letzten Heeresvorlage vor
dem Kriege aus falscher Sparsamkeit zur Ausbildung im Frieden nicht
herangezogen worden waren.
Die Eingliederung der neuen Korps, von denen eins nach dem Osten ging,
erforderte im Westen eine neue Befehlsregelung. Das
Armee-Oberkommando der 4. Armee wurde aus der Front gezogen und erhielt
den Oberbefehl der neuen, [132] in Flandern zusammenzufassenden 4. Armee,
die für eine Offensive nördlich um Lille herum zur Säuberung
des belgischen Gebietes und zum Einschwenken nach Süden bestimmt war,
um mit Hilfe der sich ebenfalls zum Angriff vorbereitenden 6. Armee die
Kanalküste doch noch in die Hand zu bekommen. Die Front der bisherigen
4. Armee wurde auf die 3. und 5. Armee verteilt.
5. Die Ereignisse im Osten bis Mitte Dezember
1914.
Das Ersuchen des k. u. k. Armeeoberkommandos vom 13.
September um Abgabe erheblicher Kräfte nach dem Osten traf im
deutschen Großen Hauptquartier gerade ein, als die Oberste Heeresleitung
selbst nach Aushilfen suchte, um ihre ins Wanken geratene Westfront wieder zu
festigen. Daß in diesem Augenblick im Westen kein Mann entbehrt werden
konnte, war klar. Und doch mußte dem Bundesgenossen geholfen werden.
Lag doch die Gefahr vor, daß die
österreichisch-ungarische Armee bei ihrem losen Gefüge durch den
Rückzug allzuviel innere Kraft einbüßte und der Bestand der
Monarchie einen schweren Stoß erleiden könnte. Die
größte Gefahr aber, nicht nur für die Deutschen, sondern auch
für die Bundesgenossen, lag in der Gefährdung Schlesiens, dessen
Hilfsquellen zur Fortführung des Krieges unbedingt notwendig waren, und
dessen auch nur vorübergehende Überflutung durch russische
Horden verhindert werden mußte. Nicht zu unterschätzen war auch
der Eindruck, den ein Versagen der Doppelmonarchie auf die Balkanstaaten
gemacht haben würde. Eine Niederlage
Österreich-Ungarns hielt sie unweigerlich vom Anschluß an die
Mittelmächte zurück. Ein baldiger Beitritt der Türkei zum
Zweibund war besonders erwünscht; nur durch ihn konnte Rußland
von seinen Alliierten durch Schließung der Dardanellen getrennt und
vollkommen isoliert werden. Auf ihre eigene unzureichende Produktion
angewiesen, mußte ihre Heeresmacht bald erheblich an Kraft verlieren.
Die von der 8. Armee vorgeschlagene und von der Obersten Heeresleitung bisher
auch als erfolgversprechend angesehene Operation ins Herz Polens, um den gegen
die
österreichisch-ungarische Armee angesetzten russischen Kräften in
die rechte Flanke zu stoßen, kam angesichts des Rückzuges der
k. u. k. Armeen nicht mehr in Frage. Die Russen hatten durch ihre
Erfolge zu viel Kräfte frei, die sie zur Abwehr eines Flankenstoßes
einsetzen konnten; einen entscheidenden Schlag, wie ihn die 8. Armee bei
Tannenberg
und an den masurischen Seen
geführt hatte, konnte man
angesichts der starken Befestigungen im nördlichen Polen und den schwer
zu überwindenden Flußlinien nicht erhoffen. Verstärkungen
aus dem Westen waren, zunächst wenigstens, ausgeschlossen, deren diese
Unternehmung zum Schutz ihrer linken Flanke unbedingt bedurfte, die aber auch,
wenn sie verfügbar gewesen wären, zum Teil als Stützen des
linken Flügels des k. u. k. Heeres hätten verwendet
werden müssen. Das k. u. k. Heer bedurfte dieser Hilfe
[133] auf breitester Grundlage und in unmittelbarer
Fühlung, um so mehr, als es ihm nicht gelungen war, die
San-Linie zu halten.
Die Oberste Heeresleitung befahl daher am 14. September dem Oberbefehlshaber
der 8.
Armee - nach eben durchgeführter Säuberung
Ostpreußens - schweren Herzens, nur so viel Kräfte in
Ostpreußen zu belassen, wie nach den beiden großen Erfolgen zum
Schutz der Provinz für die nächste Zeit notwendig zu sein schienen,
mit den Hauptkräften aber in Schlesien und Südposen
aufzumarschieren und die k. u. k. Armeen durch Vorgehen gegen die
Weichsel zu erneuter Offensive vorzureißen. Eine Entscheidung konnte
diese Operation nicht bringen, das war der Obersten Heeresleitung vollkommen
klar; man konnte aber hoffen, den inneren Halt der
österreichisch-ungarischen Truppen wieder zu kräftigen und die
Russen so lange in Schach zu halten, bis die Lage im Westen gestatten
würde, stärkere Kräfte für den Osten verfügbar zu
machen. Einem ausdrücklichen Wunsche des k. u. k.
Armeeoberkommandos entsprechend, verschob die Oberste Heeresleitung am 17.
September den Aufmarsch weiter, als er ursprünglich geplant war, nach
Süden, um durch den unmittelbaren Anschluß an die
k. u. k. Truppen bei Krakau auf diese noch mehr Einwirkung zu
haben. 12½ Divisionen stark, vollzog die nunmehrige 9. Armee unter dem
Befehl des Generalobersten
v. Hindenburg zwischen Krakau und Czenstochau
ihren Aufmarsch und veranlaßte das k. u. k.
Armeeoberkommando, noch eine Armeegruppe von 5½
Infanterie- und 2 Kavallerie-Truppen-Divisionen auf das linke
Weichsel-Ufer zu gemeinsamer Operation mit der 9. Armee
herüberzunehmen.
Die Ende September begonnene Offensive der 9. Armee zwang die Russen zu
schleuniger Verschiebung starker Kräfte von der
österreichisch-ungarischen Front nach Norden, so daß sich das
dadurch entlastete k. u. k. Heer südlich der Weichsel ihrem
Vorgehen anschließen konnte. Der San wurde wieder erreicht und Przemysl
entsetzt; doch reichte der Druck nicht aus, daß nicht unausgesetzt weitere
russische Truppen, von dieser Front nach Norden geworfen, die linke Flanke der
9. Armee andauernd stärker bedroht hätten. Mit der Stillegung der
k. u. k. Armee am San war die Operation als gescheitert anzusehen.
Das Vordringen der Österreicher längs der Weichsel war für
ein erfolgreiches Vorschreiten der 9. Armee Erfordernis, nur durch eine
Entlastung des rechten Flügels der 9. Armee konnte diese die zum Schutz
ihres linken Flügels notwendigen Divisionen freibekommen. Trotz dieses
Versagens entschloß sich Generaloberst v. Hindenburg, seinen Nachdruck
auf seinen linken Flügel zu verlegen und die Gefahr der Flankierung durch
einen kräftigen Stoß in die Versammlung der Russen bei Warschau
zu beseitigen. Der Stoß hatte Erfolg, der Großfürst zog aber
unaufhörlich weitere Korps, sogar von der Preußenfront weg, nach
Warschau heran. Eine Verstärkung des linken Flügels der 9. Armee
war nicht mehr möglich, eine erdrückende Übermacht ballte
sich ihm gegenüber [134] zusammen. Der drohenden Vernichtung
mußte sich die 9. Armee rechtzeitig entziehen, zumal auch durch das
Ausweichen ihrer rechten Nachbararmee ihr rechter Flügel bedroht war.
Der Bitte des Generalobersten v. Hindenburg vom 26. Oktober um
Unterstützung konnte die Oberste Heeresleitung nur noch durch
Überlassung von zwei
Kavallerie-Divisionen und etwa 40 000 Mann Ersatz entsprechen. Die
Forderung des k. u. k. Armeeoberkommandos vom 29. Oktober,
mindestens 30 Divisionen zur Entscheidung nach dem Osten herzugeben,
mußte glatt abgelehnt werden. Eine solche Abgabe war nach Ansicht der
Obersten Heeresleitung vor Abschluß der Operationen im Westen
völlig ausgeschlossen. Der Transport solcher Massen hätte auch so
lange Zeit in Anspruch genommen, daß ihr Einsatz die augenblickliche
Gefahr nicht beseitigte und erst zu einer Jahreszeit wirksam werden konnte, in der
große Operationen im Osten außerordentlich schwierig, zum Teil
wegen der sogenannten Wegelosigkeit ausgeschlossen waren, also keine Aussicht
auf einen durchschlagenden und entscheidenden Erfolg boten. Die Entscheidung
im Osten kam demnach für die Oberste Heeresleitung zu dieser Zeit des
Jahres 1914 nicht mehr in Frage, ganz abgesehen davon, daß man im
Westen dem Feinde Gelegenheit geboten hätte, mit den an sich schon um
600 000 Mann überlegenen Heeren über die noch um eine
solche Masse geschwächten deutschen Armeen herzufallen und ihnen die
mühsam erkämpften Vorteile wieder zu entreißen.
Die Oberste Heeresleitung blieb auf ihrem Standpunkt und empfahl beiden
Oberkommandos, bis zum Eintritt besserer Jahreszeit ein hinhaltendes Verfahren
den Russen gegenüber zur Anwendung zu bringen. Unter Ausnutzung der
größeren Operationsfähigkeit müsse man sich den
Massenangriffen der Russen entziehen und die dabei freigemachten Kräfte
gegen die Flanken des Feindes zum Einsatz bringen. Die Oberste Heeresleitung
gab auch der Ansicht Ausdruck, daß es vorteilhafter sei, die 9. Armee
wieder von der k. u. k. Armee abzusetzen, um ihr mehr
Bewegungsfreiheit zu sichern.
Da sie vorderhand außerstande war mehr zu tun, übertrug sie dem
Generalobersten v. Hindenburg, unter Entbindung von der Führung der 9.
Armee, deren Führung dem General v. Mackensen übertragen wurde,
am 1. November als Oberbefehlshaber des Ostens (Oberost) die freie
Verfügung über alle deutschen Truppen der Ostfront. Schon am 3.
November reiften beim Generalobersten v. Hindenburg die auf dem Rückzuge aus Polen angestellten Erwägungen, wie man den mit
Sicherheit zu erwartenden russischen Einfall in preußisches Gebiet vereiteln
könne, zum Entschluß. Nur der Angriff gegen die rechte russische
Flanke versprach Erfolg. Vorbedingung dazu war eine Verschiebung der
deutschen Kräfte bis in die Gegend
Gnesen - Thorn, die sofort befohlen wurde. Das k. u. k.
Armeeoberkommando mußte sich schweren Herzens in die neue
Verwendung der 9. Armee fügen und beschloß, seine Armeen
über die
Nida- und Dunajec-Linie bis in die Höhe von Krakau sowie in die
Karpathen-Pässe zurückzuführen.
[135] Inzwischen hatte sich die Lage in
Ostpreußen wieder zugespitzt. Den vom Generaloberst v. Hindenburg zur
Entlastung der übrigen Ostfront befohlenen Angriff der 8. Armee gegen die
Bahn
Grodno - Wilna hatte Großfürst Nikolai Nikolajewitsch
mit einem Angriff von Grodno aus und einem zweiten aus der Linie
Olita - Kowno erwidert und die weit unterlegene 8. Armee
allmählich an die Grenze Ostpreußens, sogar bis auf die
Angerapp-Linie zurückgedrückt. Die stark mitgenommene 8. Armee
bedurfte einer Unterstützung, die ihr auch durch ein im Innern
Deutschlands neu aufgestelltes Armeekorps zuteil wurde. Mit diesem zusammen
nahm die 8. Armee Mitte Oktober die Offensive wieder auf. Der Angriff, der
angesichts der vielfachen russischen Übermacht allerdings nur das Ergebnis
hatte, daß die feindlichen Kräfte gefesselt wurden, kam Ende Oktober
gänzlich zum Stillstand, als die Armee noch erhebliche Kräfte
für die Offensive in Polen abgeben mußte.
Der Großfürst Nikolai kam durch den energischen Entschluß
Hindenburgs, die 9. Armee der drohenden Vernichtung durch die bei Warschau
über die Weichsel geworfenen Massen zu entziehen, um seinen
großen Erfolg. Während er die Masse der 9. Armee noch hinter der
Warthe oberhalb Kolo vermutete, sammelte sich diese nach gründlicher
Zerstörung aller erst für den Vormarsch in Polen mühsam
hergestellten Verbindungen, in ihrem neuen Aufmarschraum zwischen Gnesen
und Thorn zum Angriff gegen den rechten Flügel des zum Stoß ins
Herz Preußens ansetzenden russischen Massenaufgebots. Die Provinz Posen
lag südlich der Warthe so gut wie offen, an der schlesischen Grenze
verblieben beiderseits Czenstochau zwei deutsche Korps, die durch vier
österreichisch-ungarische Divisionen aus der
Karpathen-Front verstärkt wurden. Was bedeutete das aber gegen eine
Walze von vier russischen Armeen! Die Lage an der ostpreußischen Front
ähnelte der Kriegsanfangslage - die an Zahl stark überlegene
Armee Rennenkampfs
stand der 8. Armee an der Ostgrenze gegenüber und
eine vier Korps starke Armee südöstlich Mlawa nur deutschem
Grenzschutz. - Hier rang sich der Oberbefehlshaber zum schweren
Entschluß durch, die Verteidigung in das Seengebiet Ostpreußens
zurückzuverlegen und den Grenzstreifen Ostpreußens wieder
vorübergehend aufzugeben. Die Gefahr, die für die östlichen
Provinzen vorlag, wurde im Großen Hauptquartier keineswegs verkannt.
Die Oberste Heeresleitung hatte ihre Hände bei Ypern noch gebunden,
teilte aber dem k. u. k. Armeeoberkommando am 8. November mit,
daß in etwa 14 Tagen eine größere Anzahl Korps nach dem
Osten abgegeben werden könnte, die zur weiteren Durchführung der
längs der Weichsel oberhalb Thorns beabsichtigten Offensive zum Einsatz
gebracht werden sollten. Das k. u. k. Armeeoberkommando ging im
Hinblick auf den zu erwartenden großen Erfolg bereitwillig darauf ein,
durch Verschiebung von Teilen seiner 2. Armee an den Nordflügel der bei
Czenstochau verbliebenen deutschen Kräfte die ungarische
Karpathen-Front erheblich zu schwächen, und entschloß sich zu
einem allgemeinen Angriff des k. u. k. [136] Heeres beiderseits der oberen Weichsel. Dieser
Angriff begann am 17. November, stieß aber auf starke Stellungen und
überlegene Gegner, so daß der Erfolg nur ein indirekter war; er hielt
die gegenüberstehenden russischen Kräfte fest.
Die Oberste Heeresleitung setzte ihre Hoffnung einer kraftvollen Entscheidung
auf die gewandte strategische Ausnutzung der Lage durch den Oberbefehlshaber
Ost, dem allerdings zur Zeit nur zwei
Kavallerie-Divisionen aus dem Westen zugeführt werden konnten. Am 14.
November beabsichtige der Großfürst die Offensive anzutreten, aber
am 11. November schon brach die neuformierte 9. deutsche Armee zum
Flankenstoß vor, der den Erfolg zeitigte, daß der völlig
überraschte Großfürst seinen nach Schlesien und Posen
geplanten Einmarsch aufgab und seine Kräfte gegen die neue Gefahr
abdrehte und festlegte. Der Stoß war glänzend gelungen; es war aber
klar, daß der Angriff gegen die russische Übermacht bald ins Stocken
kommen würde, wenn nicht sehr bald die in Aussicht gestellten Korps aus
dem Westen nachgeschoben werden konnten. Deshalb wandte sich der
Oberbefehlshaber Ost am 16. November an die Oberste Heeresleitung mit dem
erneuten dringenden Ersuchen um baldige Verstärkungen, die am 18.
November - allerdings immer noch in der unverbindlichen Form in
Aussicht gestellt wurden, daß die Divisionen nur nach und nach der
Westfront entzogen werden könnten. Erst am 30. November, als nach den
ruhmreichen, heftigen und wechselvollen Kämpfen die Kräfte der 9.
Armee in der Linie Zdunska
Wola - Alexandrow - Sobota - Kiernozia zu erlahmen
schienen, war Generaloberst v. Hindenburg in der Lage, die ersten Westdivisionen
einzusetzen. Der linke Flügel erhielt eine sehnsüchtig erwartete Hilfe
gegen die sich andauernd vom rechten
Weichsel-Ufer her verstärkenden Russen, der rechte Flügel wurde
durch Einsatz des II. Armeekorps in Richtung Lodz vorgerissen und damit auch
die südlich anschließende Armeeabteilung Woyrsch zur Aufnahme
der Offensive befähigt. Der Angriff der Armeeabteilung Woyrsch hatte bis
zum 5. Dezember Erfolg, während die 9. Armee sich am 6. Dezember in
Besitz von Lodz setzte, dann aber wegen starken Widerstandes auf diesem
Flügel den Nachdruck ganz auf den linken Flügel verlegte. Der hier
am 10. Dezember wieder einsetzende Angriff führte die Armee nach langen
heftigen Kämpfen bis Mitte Dezember bis an die Rawka und Bzura, die
stellenweise sogar überschritten wurden. Der Druck der 9. Armee war so
stark, daß der Großfürst sich entschloß, seinen
großen Einbruchsplan für das Jahr 1914 aufzugeben und seine ganze
Front im Anschluß an den
Rawka-Abschnitt bis in die Linie
Nida-Abschnitt - Chesiny - Paradys - Rawa
zurückfallen zu lassen.
Preußen war dank der überraschend geschickten, die empfindlichste
Stelle der russischen Walze treffenden Offensive Hindenburgs gerettet. Welche
Folgen hätte dieser kühne Schachzug haben können, wenn die
Verstärkungen aus dem Westen früher und ausgeruht wie
aufgefrischt zu einheitlichem Einsatz hätten gebracht werden
können! So standen die Russen noch immer westlich der [137] Weichsel, wenn auch zur Offensive nicht mehr
befähigt, aber immer noch so stark, daß ein Herausziehen von
erheblichen deutschen Kräften Mitte Dezember nicht möglich
erschien.
An der österreichisch-ungarischen Front, südlich der oberen
Weichsel, hatte sich die k. u. k. Armee einer Umfassung von
Süden durch Zurückschwenken entziehen müssen. Mit Hilfe
einer deutschen
Reserve-Division wurden durch den Sieg in der zwölftägigen
Schlacht bei
Limanowa - Lapanow die Russen wieder über den Dunajec
zurückgeworfen und die Verbindung mit ihrer rechten Nachbararmee Mitte
Dezember wiederhergestellt, der es unter diesem Erfolge gelang, das
Gelände bis zur Linie
Dukla - Zmiegrod - Grybow zurückzugewinnen.
Der Winter brach herein; zur Entscheidung war es, wie vorauszusehen war, im
Osten nicht mehr gekommen, im Stellungskrieg mußten beide Gegner Atem
zu neuen Schlägen schöpfen.
Auf dem Balkan hatte sich die Lage in den ersten fünf Kriegsmonaten noch
nicht entwirrt. Die anfänglich eingeleitete Offensive des Bundesgenossen
gegen Serbien wurde zugunsten der Operationen in Galizien schon im August
abgebrochen. Erst im September wieder aufgenommen, lief sie sich
zunächst fest, schritt aber im November gut vorwärts und
führte am 2. Dezember zur Einnahme Belgrads. Dem kräftigen,
gegen den rechten k. u. k. Armeeflügel geführten
serbischen Gegenangriff hielt die Armee aber nicht stand, räumte unter
nicht unerheblichen Verlusten materieller und moralischer Art den gewonnenen
Boden und am 16. Dezember die serbische Hauptstadt wieder.
Bulgariens Interesse für die Mittelmächte ließ nach der
Marne-Schlacht stark nach; dafür aber schloß sich Ende Oktober die
Türkei dem Zweibund an. Die Verbindung Rußlands mit den
Westmächten war mit diesem Entschluß unterbunden; nur noch
über die sibirische Bahn konnte das unermeßliche Reich seine Zufuhr
erhalten. In Georgien von den Türken
angegriffen - wegen klimatischer Schwierigkeiten allerdings ziemlich
erfolglos - sah sich Rußland gezwungen, erhebliche Kräfte
zum Schutze dieses Gebietes abzusondern und dauernd dort zu halten. Auch
England wurde durch das Auftreten türkischer Truppen am
Suez-Kanal zur Belassung einer nicht unerheblichen Schutzarmee in
Nordägypten gezwungen.
Auf die Balkanstaaten wirkte der Beitritt der Türkei ernüchternd;
immerhin verweigerte Rumänien die Durchfuhr von Kriegsmaterial aller
Art durch sein Gebiet, so daß die Oberste Heeresleitung Mitte November in
ernste Erwägungen trag, den Negotiner Kreis, die Nordostecke Serbiens,
mit vereinten Kräften den Serben zu entreißen, um eine sichere
Zufuhrstraße zur Türkei zu gewinnen. Bulgarien wollte sich einer
Durchfuhr von Kriegsgerät nicht widersetzen. Der Fehlschlag der
österreichisch-ungarischen Offensive in Serbien zerschlug diese Absicht
für den Herbst 1914, so daß die Türken zunächst auf
ihre eigenen kärglichen Hilfsmittel allein angewiesen waren.
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