Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
Kapitel 3:
Die militärischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten
Heeresleitung und die
Zusammenhänge der Operationen bis April
1915 (Forts.)
Oberst Gustav v. Bartenwerffer
[138] 6. Operationen im
Westen von der Mitte Oktober ab und der Stellungskrieg.
Das am 13. Oktober von Antwerpen frei gewordene III. Reservekorps erreichte
schon am 15. Oktober die Küste, besetzte Ostende und richtete sich in den
Häfen und Küstenplätzen ein. Die neuaufgestellte 4. Armee
war am 17. Oktober in der Linie
Ursel - Anseghem operationsbereit, um zum großen Schlage
und zur Eroberung der Kanalküste anzutreten (vergleiche Seite 132). Helle
Begeisterung, an den Feind zu kommen, sprühte aus den Augen der jungen
Krieger. Wer diese blühende Jugend Deutschlands im Augenblick des
Antretens zum Kampfe gesehen hat, denkt mit Wehmut an sie zurück, der
eine so unerwartet schwere Aufgabe bevorstand, versteht aber auch das
Heldentum deutscher Söhne, das sich auf den Fluren des sumpfigen
Flanderns selbst das stolzeste Denkmal gesetzt hat.
Die 6. Armee verhielt auf Befehl der Obersten Heeresleitung ihren rechten
Flügel in der Linie
Menin - Werwicq, um den Feind zum Angriff auf diese Front zu
veranlassen und ihn in seiner offenen linken Flanke um so wirksamer mit der
neuen 4. Armee zu fassen. Die 6. Armee war sogar ermächtigt, vor
überlegenem feindlichen Angriff diesen Flügel bis in die Linie
Tourcoing - Lille zurückzubiegen und die Kavallerie auf
Kortrik ausweichen zu lassen. Stieß der Feind gegen den rechten
Flügel der 6. Armee nicht vor, was bei rechtzeitig eingehender Nachricht
über den Aufmarsch der 4. Armee anzunehmen war, so hoffte die Oberste
Heeresleitung ihn in der Linie
Poperinghe - Bailleul oder in Höhe von St. Omer anzutreffen.
Hierfür war die Stoßrichtung der 4. Armee mit vorgenommenem am
Meer entlangstreichendem rechten Flügel gewählt; es fiel dann der 6.
Armee die Aufgabe zu, nach Durchbrechen der Front in Gegend Arras gegen die
Verbindungen des Feindes vorzugehen und den abgerissenen feindlichen linken
Flügel gegen das Meer zu werfen. Auf jeden Fall mußte der Einsatz
der 4. Armee die feindlichen Umfassungsversuche endgültig unterbinden
und zum
mindesten den Abschluß der Operationen im Artois und in Flandern
herbeiführen.
Schon am 19. und 20. Oktober stieß die 4. Armee auf starke, auf dem
rechten
Yser-Ufer weit vorgeschobene feindliche Stellungen. Der Feind ließ sie
anlaufen; in der Hauptsache waren es Engländer, die hier zur Verteidigung
der
Küste - ihres ureigensten
Interessengebietes - zusammengezogen waren. Der zähe Widerstand
auf der ganzen Front zeigte bald., daß die Ziele der Obersten Heeresleitung
kaum erfüllbar waren, die Kräfte zum Durchbruch bei Arras nicht
ausreichten und die 4. Armee, deren rechter Flügel unter dem Feuer von
See her die Vorwärtsstaffelung nicht beibehalten konnte, nur mit ihrem
linken
Flügel - allerdings auch schon schwer
ringend - Gelände gewann.
Die Begeisterung und Opferfreudigkeit der jungen Truppen reichten allein zum
[139] Siege nicht aus; mit dem stark durchschnittenen
Gelände, in dem der hohe Wasserstand vielfach ein Eingraben
unmöglich machte, fanden sich die neuen
Korps - deren Artillerie noch dazu gänzlich unzureichend
war - nur schwer ab. Auch die Führer, die großenteils lange
vor dem Kriege aus der Armee geschieden waren, versagten vielfach mangels
jeglicher Schulung im modernen Gefecht. Der Feind rang zäh um jede
Scholle; bald erlahmte die Kraft des Angreifers, und auf Pistolenschußweite
lagen sich Feind und Feind, wie auf der übrigen Front, scheinbar
unbeweglich gegenüber.
Durch Zusammenfassen der Kräfte auf dem linken Flügel der 4. und
rechten Flügel der 6. Armee versuchte die Oberste Heeresleitung noch
einmal die Offensive in Fluß zu bringen und führte alle auf der
Gesamtwestfront irgend verfügbaren Kräfte zum Durchbruch dorthin
zusammen. Zur Unterstützung des nur langsam vordringenden rechten
Flügels der 4. Armee, der in Richtung Dünkirchen vorstoßen
sollte, löste sie die in den Hafenplätzen als Besatzung
zurückgelassenen Truppen durch die in Antwerpen noch beschäftigte
Marine-Division ab und betraute letztere, als für den Dienst in
Hafen- und Küstenplätzen besonders geeignet, mit der Einrichtung
einer Marinestation zur Eröffnung des Kleinkrieges gegen England.
Weder der Durchbruch aus der Linie
Werwicq - Deulemont am 30. Oktober, noch der Vorstoß des
rechten Heeresflügels hatten größeren Erfolg. Diesiges Wetter,
geringe Gefechtsstärke und für die schwere Aufgabe unzureichende
Munition wirkten lähmend auf die Stoßtruppen an der Lys; die durch
Zerstörung der Nieuporter Schleusen herbeigeführte
Überschwemmung des
Polder-Geländes zwang den schon übergangenen rechten
Heeresflügel zum Rückzug auf das rechte
Yser-Ufer. Dieser Flügel war damit vollkommen festgelegt, bedurfte
angesichts der Wasserverhältnisse vor seiner Front aber auch keiner
besonderen Stärke. Aus ihm bekam die 4. Armee Truppen für einen
Angriff auf Ypern frei, für den sich die Oberste Heeresleitung auch
ihrerseits nach Scheitern der Angriffe an der Lys entschloß und für
den sie unter Verzicht auf andere geplante große Unternehmungen weitere
Kräfte der Westfront verfügbar machte. Jedoch auch diese
Anstrengungen sollten vergeblich sein; sie schwächten die Verbände
erheblich, und als der Ruf aus dem Osten nach Unterstützung immer lauter
wurde, hatte die Oberste Heeresleitung nur noch stark zusammengeschmolzene
Divisionen verfügbar, die allerdings dem Ruf nach dem Osten voll
Begierde folgten, dem wohl an Zahl überlegenen, aber sonst gering
eingeschätzten russischen Gegner ihre in den schweren Kämpfen
des Westens gestählte Faust zu zeigen und dem Bundesgenossen Hilfe zu
bringen.
Trotz des Mißerfolges der ersten Angriffe auf Ypern am 10. November
entschied sich die Oberste Heeresleitung im Hinblick auf die günstigen
Aussichten für die Offensive Mackensens, die am 11. November beginnen sollte, zunächst für die Fortsetzung dieser Angriffe. Beim Feinde
machten sich zudem [140] Anzeichen von Erschöpfung und
Munitionsmangel bemerkbar; noch ein kräftiger Schlag, und der
Abschluß der Operationen im Westen konnte erreicht werden! Dann waren
erhebliche Kräfte für den Osten frei!
In einer Besprechung mit den Armeechefs am 12. November brachte der Chef des
Generalstabes des Feldheeres zum Ausdruck, daß die Fortnahme Yperns
unter allen Umständen noch erzwungen werden müsse, im
übrigen aber die Lage im Westen für den Winter 1914/15 zum
Abschluß gelangt sei, und nunmehr der Osten zu seinem Recht kommen
müsse; zwei
Kavallerie-Divisionen und vier Armeekorps sollten in Bälde abtransportiert
werden. - Die Angriffe auf Ypern scheiterten aber sämtlich, der
Feind war aus dem sogenannten
"Ypern-Bogen" nicht herauszuwerfen; und als die 4. Armee meldete, daß
die zur Verfügung gestellten Stoßtruppen nicht mehr die
erforderlichen Gefechtsstärken hätten und weitere Angriffe mit den
nicht mehr kampffähigen Truppen aussichtslos wären, befahl die
Oberste Heeresleitung am 18. November den Abtransport von sechs Divisionen
aus dem Bereiche der 6. Armee nach dem Osten.
Das war für den Westen das Signal "Halt"! Die Armeen, die bis zur Neige
ausgepumpt waren, ihren letzten verfügbaren Mann für "Ypern"
abgegeben hatten, atmeten auf. Aber die Front im Westen bekam auch
äußerlich ein anderes Gepräge: die Armeen wurden am 25.
November zu Heeresgruppen zusammengefaßt und unter
Heeresgruppenkommandos gestellt. Der rechte Flügel unter dem
Generalobersten Rupprecht, Kronprinzen von Bayern, umfaßte die 4., 6.
und 2. Armee, die Mitte unter dem Generalleutnant v. Heeringen die 1., 7. und 3.
Armee, der linke Flügel unter dem Generalleutnant Wilhelm, Kronprinzen
des Deutschen Reiches und von Preußen, die 5. Armee und die
Armeeabteilungen des Generals der Infanterie v. Strantz, des Generalobersten v.
Falkenhausen und des Generals der Infanterie Gaede. Die Aufgabe der
Oberbefehlshaber der Heeresgruppen, die nebenher die Führung ihrer
Armeen beibehielten, war, für Offensivunternehmungen und zur Abwehr
feindlicher Angriffe bewegliche Heeresreserven auszuscheiden, für die der
Feldeisenbahnchef die nötigen Wagenreserven verfügbar zu halten
hatte. Durch diese Maßnahmen sollte einerseits das Zusammenwirken der
Armeen innerhalb der Heeresgruppen und mit den Nachbargruppen gesichert,
andererseits eine Reserve der Obersten Heeresleitung für
größere Offensiven und lang andauernde Abwehrkämpfe
geschaffen werden.
Der beginnende Stellungskrieg kam der stark verbrauchten und ermüdeten
Truppe zustatten. Nachdem die Stellungen eine gewisse Stärke erreicht
hatten, konnte man sich mit geringerer Besatzung begnügen und Reserven
ausscheiden, die bei den Mittelmächten infolge der breiten Fronten und der
Abgaben nach dem Osten im Westen nicht allzu zahlreich waren. Die Oberste
Heeresleitung hatte aber auf der inneren Linie doch die Möglichkeit, auch
mit nur geringen Reserven erfolgreich zu operieren und gefährdete Stellen
der Front verhältnismäßig schnell [141] zu unterstützen. Die
Bahnverhältnisse besserten sich unter der umsichtigen und energischen
Leitung des Feldeisenbahnchefs zusehends; innerhalb der Reichsgrenzen wurde
großzügig an den Zubringerlinien gearbeitet, hinter der Front
erweiterte sich das Bahnnetz schnell; leistungsfähige Querverbindungen
entstanden, die rasche Verschiebungen der Reserven auf dem gleichen
Kriegsschauplatz ermöglichten und damit ihren Mangel an Stärke
etwas ausglichen.
Auch die Heimat zog in gewisser Beziehung aus dem unvermeidlich gewordenen
Stellungskrieg ihre Vorteile. Manche Bedürfnisse konnten aus dem
Operations- und Etappengebiet befriedigt werden, die Heimat wurde entlastet. Bei
der Starrheit der Front konnten die Magazine erheblich weiter nach vorn gebracht
werden; Fabriken wurden von Sachkundigen in Betrieb genommen;
Reparaturwerkstätten in nächster Nähe der Front entstanden
und ermöglichten eine unvergleichlich schnellere Instandhaltung vieler
Gegenstände. Sehr zustatten kamen der Armee wie der Heimat die
großen Vorräte in den Industriegebieten Nordfrankreichs, die auf
Monate hinaus den Bedarf deckten und die Blockade erträglicher machten.
Die überaus traurige Munitionslage aber konnte nur ganz allmählich
gebessert werden; sie blieb bis zum Frühjahr 1915 recht mangelhaft und
legte der Truppe manche nicht leicht zu tragende Entsagung auf. Die
Rohstoffgewinnung im eroberten Gebiet war für die infolge der englischen
Blockade ganz auf sich angewiesenen Mittelmächte ein tröstlicher
Faktor in dieser schweren Lage. Sie ermöglichte zum Teil überhaupt
erst die Steigerung in der Herstellung von Kriegsmaterial aller Art, dessen
Verbrauch durch die Vermehrung des Heeres, besonders durch die schnelle
Abnutzung in den rücksichtslos geführten Kämpfen zu vorher
nicht geahnter Höhe
anschwoll. - Der Hauptvorteil des aufgezwungenen Stellungskrieges aber
war, daß Wissenschaft und Technik Zeit fanden, sich auf die ungeheuren
Anforderungen des Feldheeres einzustellen, um das kostbare Menschenmaterial
durch Erfindung und Vermehrung von Maschinen zu schonen und zu
ersetzen.
Andererseits drängte der Stellungskrieg den bisher so glänzenden
Offensivgeist aller deutschen Truppen zurück und stellte bei den breiten
Fronten und der geringen Besatzung in der Verteidigung ebenso große
Anforderungen an die Truppe, die bei Ausbau und Erweiterung der Stellung zu
einem regelrechten Grabensystem allein auf ihre eigene Kraft angewiesen war.
Unbedingtes Halten der vordersten Linie wurde von der Obersten Heeresleitung
befohlen; wo die Linie ungünstig lag, durfte
sie - um die Stimmung des Feindes nicht durch das Aufgeben einmal
gewonnenen Geländes zu
heben - nur durch Anlage einer neuen Linie nach vorwärts verbessert
werden. Durch bis ins Kleinste vorbereitete Angriffsunternehmungen suchte man
die Angriffsfreudigkeit zu erhalten und zu fördern, die sich auch auf den
verschiedenen Kriegsschauplätzen immer wieder glänzend
bewährte. Wo eine Linie verloren ging, war sie in gut vorbereitetem, meist
vorgeübtem Verfahren wieder zu nehmen. Der Ausbau
rückwärtiger [142] Stellungen wurde empfohlen, um bei etwaigem
feindlichen Einbruch in der Lage zu sein, in diesen hinteren Stellungen den
feindlichen Stoß mit den Reserven abzufangen und die Gefahr des glatten
Durchbruchs eines überlegenen Feindes möglichst zu beseitigen. Auf
Ausscheiden von Reserven und Unterbringung im rückwärtigen
Gebiet zur Auffrischung der Truppe wurde größter Wert gelegt. Die
Verminderung der Verluste war die vornehmste Aufgabe jedes Führers;
einmütiges Zusammenarbeiten der verschiedenen Waffen, besonders
zwischen Infanterie und Artillerie, war dazu geboten.
Die lebhafte Kampftätigkeit der Franzosen von Mitte Dezember ab, die den
Eindruck eines Abtastens der Front nach empfindlichen Stellen machte, erforderte
bei dem Mangel an Reserven erhöhte Aufmerksamkeit der Obersten
Heeresleitung. Die als so notwendig erkannte Ausbildung und die nötige
Zeit zum Zusammenschweißen der jetzt allmählich
aufgefüllten Verbände, konnte man den Truppen nicht überall
angedeihen lassen. Die wiederholten hartnäckigen Angriffe auf
empfindliche Stellen unserer Front im Westen nahmen die Truppe hart mit; auf
rechtzeitige Ablösung und auf Zuführung von Ersatz mußte
Bedacht genommen werden. Der Mangel an Munition gestattete nicht, das
überlegen starke Feuer des Feindes, das meistens die vollkommene
Einebnung unserer Gräben als Vorbereitung seines Sturmangriffs zum Ziel
hatte, in ausgiebiger Weise zu erwidern. Zudem machte sich die Minderleistung
des deutschen Feldgeschützes gegenüber dem weittragenden
französischen Feldgeschütz im Stellungskrieg besonders
unangenehm fühlbar. Die Oberste Heeresleitung entschloß sich daher
sehr früh schon zur Einführung eines neuen Feldgeschützes,
dessen Konstruktion, Herstellung und Einstellung aber lange Zeit beanspruchten.
Die schwere Artillerie dagegen erwies sich auch weiterhin als vollwertig, sogar
der feindlichen sehr überlegen; aber auch hier mußte mit der
Munition gespart werden, um an wichtigen Stellen der Heeresfront
wünschenswerte Vorteile zu erzielen und dem Feinde zu zeigen, daß
der deutsche Angriffsgeist trotz des lähmenden Stellungskrieges in der
Truppe nicht erloschen sei.
Im Osten begann der Stellungskrieg in Ostpreußen im Augenblick der
Zurücknahme der Front auf die
Seen- und Angerapp-Linie in der ersten Hälfte November, in Polen erst
Anfang
Januar - also erst mitten im Winter. Die Eisenbahnverhältnisse in
Polen waren recht traurige, die Wiederherstellung und Inbetriebnahme der
Bahnlinien nahm längere Zeit in Anspruch, so daß die Versorgung
der Truppe hier auf größere Schwierigkeiten stieß. Der
Grabenkrieg gestaltete sich aber im Osten ungleich einfacher als im
Westen - verfügte doch der Gegner nicht über die zahlreiche
Artillerie und die Munitionsmassen, wie sie im Westen wenigstens an vielen
Stellen der Front zum Einsatz durch die Gegner kamen.
Nach Abschluß der Mobilmachung der bei Ypern und in Ostpreußen
im Oktober eingesetzten neuen Korps, war man in der Heimat sofort an die
Auf- [143] stellung weiterer neuer Verbände
gegangen. Wieder wurden, dank der unermüdlichen Tätigkeit der
Kriegsministerien, 4½ Armeekorps aufgestellt, wobei man sich die
Erfahrungen aus der ersten Neuschöpfung, soweit angängig, zu
Nutzen machte. Längere Ausbildungszeit, kriegserprobte Führer und
Unterführer, reichlichere Artillerieausstattung sollten diese
Neuschöpfungen auf eine derartige Höhe bringen, daß sie
imstande waren, die ihnen bevorstehenden großen Winteranstrengungen
besser zu überwinden, als es die ersten überhasteten Neubildungen
vermochten.
Das Jahr 1914 hatte eine Entscheidung nicht gebracht; bei der
Überlegenheit an Zahl, Kriegsmaterial, Rohstoffen usw. auf seiten der
Entente, der die ganze Welt mit Lieferungen behilflich war, mußte sich die
Oberste
Heeresleitung - das hatte sich jetzt
gezeigt - auf einen langen Krieg vorbereiten. Immerhin hoffte sie, und mit
ihr das Heer und die Heimat, auf die Entscheidung im Jahre 1915, für die
die Vorbereitungen im Winter zu treffen waren. Hauptgewicht sollte auf
Schonung der Truppe gelegt werden. Leider ließ sie sich nicht überall
erreichen. Die geringen, oft wechselnden Reserven der Obersten Heeresleitung
saßen meist auf der Bahn, um von einem Brennpunkte zum anderen zu
fahren und da helfend einzuspringen, wo es nottat.
Trotz empfindlicher Verluste, die besonders unter den Führern manche
nicht zu beseitigende Lücke gerissen hatten, blieb das deutsche Heer ein
scharfes Instrument in der Hand der Obersten Heeresleitung, gefürchtet von
seinen Gegnern, die Hoffnung der Heimat!
7. Der Winter 1914/15.
Osten.
Die beiden verbündeten Heeresleitungen waren sich in der Beurteilung, wo
im Jahre 1915 die Entscheidung zu suchen wäre, um die Jahreswende noch
nicht einig. Die deutsche Oberste Heeresleitung vertrat die Ansicht, daß die
Entscheidung im Westen herbeigeführt, daß auch nur dort die neuen,
mit aller Sorgfalt aufgestellten Korps zum Einsatz gebracht werden
müßten; wäre der stärkste Feind erledigt, so
würde auch Rußland die Aussichtslosigkeit eines Kampfes mit
Deutschland und der Doppelmonarchie erkennen. Anders das k. u. k.
Armeeoberkommando, das mit seiner Auffassung der Lage mit der des
Oberbefehlshabers Ost übereinstimmte, daß vorerst die Entscheidung
im Osten errungen werden müsse! Erst müsse Rückenfreiheit
gegen Rußland gewonnen sein, ehe man viribus unitis den
Hauptfeind im Westen zu Fall bringen könnte. Die Ansichten des
k. u. k. Armeeoberkommandos und des Oberbefehlshabers Ost, wie
man im Osten die Entscheidung herbeiführen könne, waren
allerdings nicht die gleichen; bei beiden sprachen mehr oder weniger eigene
Interessen mit. Wo im Westen die Entscheidung gesucht werden sollte,
darüber war sich die Oberste Heeresleitung Anfang Januar aber auch noch
nicht klar.
[144] In der zweiten Dezemberhälfte trat das
k. u. k. Armeeoberkommando mit dem Vorschlag an die Oberste
Heeresleitung heran, [durch] eine große
konzentrische Offensive über den San einerseits und aus
Westpreußen heran über den Narew andererseits in allgemeiner
Richtung auf Siedlce zu unternehmen. Die Oberste Heeresleitung verwarf diesen
Plan, da eine Offensive aus Westpreußen heraus angesichts des starken und
nur mit großer Mühe an der Seenlinie Ostpreußens in Schach
gehaltenen Feindes nicht angängig, und andererseits die Aussicht auf ein
Gelingen der Operation über den San bei Winterszeit, bei den
mißlichen Wegeverhältnissen und dem Zustande der
österreichisch-ungarischen Truppen sehr gering wäre. Die
Möglichkeit auch, daß sich das russische Heer durch einen nicht allzu
weiten Rückzug, der nach den Anstrengungen des Spätherbstes nicht
ausgeschlossen schien, der Entscheidung entziehen könnte, sprach gegen
diesen Plan. Die Oberste Heeresleitung lehnte ab.
Noch lag die 9. Armee im Weichsel-Bogen in heftigem Kampf, fest entschlossen,
die Russen über die Weichsel zu drängen und damit zu einem
gewissen Abschluß zu kommen. Der Frontalangriff schien nicht mehr
aussichtsreich. Die Oberste Heeresleitung war mit dem k. u. k.
Armeeoberkommando einig, den Rückzug der Russen hinter die Weichsel
und den San mit einem Durchbruch zwischen Nida und Pilica zu erzwingen. War
das erreicht, so konnte der Osten zu einem hinhaltenden Verfahren
übergehen; beide Obersten Heeresleitungen stimmten auch in der
Auffassung überein, daß man die Russen nicht zu früh zur
Ruhe kommen lassen dürfe, damit sie im Frühjahr 1915 sich nicht
allzu zeitig zu regen begännen. Als Ende Dezember der Oberbefehlshaber
Ost meldete, daß die 9. Armee am Ende ihrer Stoßkraft wäre,
schlug die Oberste Heeresleitung ihm vor, die Gräben stark auszubauen,
dünn zu besetzen und die gewonnenen Reserven zum Durchbruch an der
Pilica einzusetzen.
Hierzu kam es nicht mehr; die Verhältnisse an der Karpathenfront spitzten
sich zu, am 1. Januar 1915 ging der Uszoker Paß, das Einfalltor nach
Ungarn, verloren; das k. u. k. Armeeoberkommando war nicht
imstande, die für den Durchbruch an der Nida seinerseits zu stellenden
Kräfte aufzubringen, und kam zu einem anderen Vorschlage. Angesichts
der drohenden Haltung Italiens und Rumäniens wäre ein schneller
und sichtbarer Erfolg nötig, um beide Staaten vom Beitritt zur Entente
zurückzuhalten. Für einen solchen raschen Erfolg seien die
Karpathen das geeignete Feld. Die Entsetzung des hartbedrängten
Przemysls fiel bei diesem Vorschlag gleichfalls ins Gewicht.
Die deutsche Oberste Heeresleitung war der Überzeugung, daß Italien
nur durch Befriedigung seiner territorialen Wünsche sich von einem
Eingreifen auf seiten der Entente abhalten lassen dürfte, und versuchte
alles, um das k. u. k. Armeeoberkommando von seiner Ansicht zu
überzeugen. Vor allen Dingen wollte sich die Oberste Heeresleitung nicht
die letzte Verbindung über Italien nach der Außenwelt, die für
die Mittelmächte eine Lebensfrage war,
ver- [145] schließen lassen. Sie versprach sich von
einem Schlage gegen Serbien und von der Fortnahme des Negotiner Kreises, von
der Herstellung einer sicheren Verbindung mit der Türkei mehr und glaubte
damit auch die Geneigtheit der Balkanstaaten für einen Beitritt zum
Mittelmächtebund eher zu gewinnen.
Dem Drängen des k. u. k. Armeeoberkommandos, dem der
Oberbefehlshaber Ost beipflichtete, daß sich die politische Lage nur durch
einen Erfolg gegen Rußland zugunsten der Mittelmächte gestalten
ließe, gab die Oberste Heeresleitung schließlich nach und willigte in
eine Abgabe deutscher Truppen, der sogenannten "Kaiserlich deutschen
Südarmee", zur Stützung der
Karpathen-Front und zum Angriff in Richtung Stryi ein, der von einer
österreichisch-ungarischen Offensive aus den Karpathen nach Norden und
einer solchen in der Bukowina begleitet werden sollte.
Die Oberste Heeresleitung war dabei, wenn auch schweren Herzens, von einem
Einsatz ihrer Neuformationen zur Entscheidung im Westen abgekommen, und das
k. u. k. Armeeoberkommando benutzte die günstige
Gelegenheit, der Obersten Heeresleitung eine große konzentrische
Offensive - nunmehr gegen die beiden äußeren russischen
Heeresflügel - vorzuschlagen, von der sich das k. u. k.
Armeeoberkommando wieder einen entscheidenden Erfolg gegen die Russen
versprach. Die Oberste Heeresleitung war nicht abgeneigt. Auch sie versprach
sich von einem Einsatz der zur 10. Armee vereinigten drei neuen Armeekorps und
des gegen ein neues Korps eingetauschten XXI. Armeekorps gegen den rechten
russischen Heeresflügel, sowie von einem Angriff der verstärkten 8.
Armee südlich des
Spirding-Sees viel und glaubte nicht nur die endgültige Befreiung
Ostpreußens, sondern auch die Lahmlegung russischer Angriffslust und
Angriffsmöglichkeit für lange Zeit erhoffen zu können. Die
Zweifel der Obersten Heeresleitung aber, ob die
österreichisch-ungarische Operation zu einem durchschlagenden Erfolge
gegen den russischen linken Flügel sich ausreifen würde, waren nur
zu berechtigt. General Ludendorff, der durch seine vorübergehende
Verwendung als Chef der deutschen Südarmee Einblicke in die inneren
Verhältnisse der durch die harten Schläge arg heimgesuchten
österreichisch-ungarischen Armeen gewonnen hatte, gab später selbst
zu, daß er für den Einsatz deutscher Kräfte zur gemeinsamen
Offensive nicht zu haben gewesen wäre, wenn er den Zustand der
k. u. k. Armeen gekannt und gewußt hätte, daß
die neuen Korps in Ostpreußen zur Verwendung bestimmt gewesen seien,
es also in Kürze zu einer großangelegten deutschen Operation
kommen sollte, bei der kein verfügbarer deutscher Verband hätte
fehlen dürfen. In den Karpathen wurde zunächst nichts Wesentliches
erreicht; zwar wurde der Schutz Ungarns gefestigter, aber die
Karpathen-Divisionen fehlten bei der Entscheidung auf dem
Nordflügel.
Die von der 8. und 10. Armee gemeinsam eingeleitete, am 7. Februar beginnende
Winterschlacht in Masuren führte dank der energischen und umsichtigen
Führung, der Heldenhaftigkeit und Ausdauer der Truppen zu einem
herrlichen Erfolge. Der Aufmarsch der neuen Korps vollzog sich in
mustergültiger Weise [146] und vollkommen geheim, so daß die
Überraschung glückte. Leider begleiteten die denkbar
ungünstigsten Witterungsverhältnisse die Operation: Schnee, Regen,
umbeschreiblicher Schmutz behinderten die Truppen in ihrem Drange nach
vorwärts, konnten sie aber nicht aufhalten, das Werk, die
Zertrümmerung der 10. russischen Armee im Walde von Augustowa, zu
vollenden. Mit dieser glänzenden Waffentat waren die Kräfte der 10.
deutschen Armee aber erschöpft. Trotz des Einsatzes der Armeeabteilung
Gallwitz, deren Truppen zum größeren Teil der 9. Armee entnommen
waren, und die den Auftrag hatte, südlich Mlawa über den Narew zu
stoßen, um die vor ihr befindlichen Russen an einer Verschiebung nach
Osten zu verhindern, gelang es der 10. deutschen Armee nicht, die
Narew - Bobr-Linie zu erzwingen und in die
rückwärtigen Verbindungen der in Polen stehenden russischen
Armeen zu stoßen. Alles, was die russische Heeresleitung an anderen
Fronten freimachen konnte, warf sie an den Narew und Bobr, um ihre rechte
Flanke zu schützen. Großfürst Nikolai erkannte, in welcher
Gefahr sein ganzes Heer schwebte; auf des Messers Schneide schwankte die
Entscheidung; einige frische Divisionen, und der Bobr wäre erzwungen
worden, das russische Heer hätte Polen räumen müssen.
Immerhin war doch viel erreicht. Der große Plan des
Großfürsten, die Armee in Ostpreußen zu überrennen
und durch Einbruch in Westpreußen von hinten zu zerschmettern,
während starke Kräfte die k. u. k. Armeen durch die
Karpathen nach Ungarn hineinwerfen sollten, war vereitelt; geschlagen freilich
war das russische Heer noch nicht.
Die österreichisch-ungarische Offensive blieb in den Karpathen stecken.
Auch die Südarmee kam nicht so vorwärts, wie man es erhofft hatte;
nur in der Bukowina konnte die Armeeabteilung des Generals
Pflanzer-Baltin schnell Boden gewinnen, sogar Czernowitz am 17. Februar
besetzen. Der gewünschte Erfolg blieb auf diesem Kriegsschauplatz aus;
Przemysl, auf dessen Entsetzung das k. u. k. Armeeoberkommando
mit Bestimmtheit gerechnet hatte, fiel, sich selbst überlassen, am 22.
März in russische Hände.
Gegen Serbien war nichts unternommen; das k. u. k.
Armeeoberkommando sah sich sogar gezwungen, zur Unterstützung der
Karpathen-Front, an der die Russen zur Gegenoffensive schritten, von der Donau
erhebliche Kräfte fortzuziehen. Die Türkei blieb auf sich
angewiesen. - Die Haltung Italiens wurde drohender; ein am 8. Februar von
der Obersten Heeresleitung dem k. u. k. Armeeoberkommando
erneut unterbreiteter Vorschlag, durch Gebietsabtretungen den einstigen
Bundesgenossen zu strenger Neutralität zu veranlassen, wurde trotz
dringender Vorstellungen und trotz der Überzeugung, daß Italien in
Bälde zur Entente abschwenken würde, abgelehnt. Noch glaubte die
Oberste Heeresleitung an einen durchschlagenden Erfolg gegen die Russen und
hoffte, nach Abschluß der Winteroperation erhebliche Kräfte im
März vom Osten auf den westlichen Kriegsschauplatz ziehen zu
können. Als aber die Offensive sich am
Narew - Bobr festlief, [147] die Russen sogar aus Grodno und
nördlich zum Gegenangriff gegen den deutschen linken Flügel
ausholten, und der Oberbefehlshaber Ost die 10. Armee durch
Zurückschwenken in die Linie
Augustowo - Sejny und nördlich dieser Umfassung
ausweichen lassen mußte, entschloß sich die Oberste Heeresleitung
am 5. März, dem Osten keine Kräfte zu entziehen.
Im März wurde die Lage des k. u. k. Heeres ernst;
Großfürst Nikolai verstärkte nach dem Fall Przemysls durch
die vor der Festung frei gewordenen Truppen seine
Beskiden-Front und schien in Richtung auf Budapest durchbrechen zu wollen.
Glückte ihm dieser Plan, so war die Widerstandskraft der Doppelmonarchie
endgültig gebrochen. Wiederum sah sich die Oberste Heeresleitung
veranlaßt, deutsche Divisionen an die gefährdete Stelle ins
Laborza-Tal zu schieben, denen es Anfang April mit Leichtigkeit gelang, den
Russen Halt zu gebieten, sie sogar bis in die Pässe zurückzuwerfen.
Wiederum war durch deutsche Truppen der russische Einbruch verhindert.
Westen.
Im Westen packten die Franzosen an verschiedenen Stellen der Front zu.
Hartnäckige Kämpfe entwickelten sich Ende Dezember an der
Südostecke der Vogesen, im Januar im
Vogesen-Gebirge selbst. Durch rechtzeitigen Einsatz von Verstärkungen
gelang es der Armeeabteilung Gaede, die Franzosen in Schach zu halten, ihnen
sogar wichtige Frontteile zu entreißen. Auch in Lothringen verlegte die
Armeeabteilung Falkenhausen durch unermüdliche Tätigkeit ihre
Front um ein beträchtliches Stück vorwärts. Die Angriffe der
Franzosen auf den übrigen Teilen der Westfront machten den Eindruck des
Abtastens und des Versuches, die Aufmerksamkeit von den ihnen wichtig
erscheinenden Frontteilen abzuziehen. Fast täglich sich wiederholende
Angriffe in der Champagne, die stets nach gründlicher
Artillerievorbereitung erfolgten und anscheinend den Zweck hatten, über
die Haltung der deutschen Truppen andauernd unterrichtet zu sein, wurden von
Mitte Dezember 1914 bis Mitte Januar 1915 mit Hilfe von Verstärkungen
der Nachbararmeen abgewiesen. In den Argonnen war der Grabenkrieg
außerordentlich rege und abwechslungsreich, aber nirgends hatten die
Franzosen Erfolg; der deutsche Grabenkämpfer blieb ihnen
überlegen, nur nicht im Raffinement und in der Gemeinheit. Wegen des
großen Munitionsmangels von deutscher Seite nur vereinzelt unternommene
Angriffe glückten im vollen Umfange. Eine sorgsam vorbereitete
Unternehmung der 1. Armee vom 12. bis 14. Januar 1915 bei Soissons brachte
beträchtlichen Geländegewinn und war für weitere Angriffe
auf der Westfront für längere Zeit vorbildlich. Angriffe bei Hurtebise
am 25. Januar und bei Massiges am 3. Februar waren glänzend vorbereitete
Waffentaten und legten Zeugnis ab von dem nicht erstorbenen Angriffsgeist der
deutschen Truppen. Ernst wurde die Lage Mitte Februar in der Champagne am
linken Flügel der 3. Armee, wo die Franzosen eine
ver- [148] wundbare Stelle der deutschen Front gefunden
zu haben glaubten. Brachen sie hier durch, so mußte die ganze, weiter
westlich gelegene Front erschüttert, sogar gefährdet werden. Fast
1½ Monate bemühten sie sich hier vergeblich; 6½
französische Korps verbluteten sich im Angriff gegen knapp zwei deutsche.
Die Kreidewüste der Champagne pouilleuse blieb bis auf einzelne
Grabenstücke in deutscher Hand. Der deutsche Grabenkämpfer blieb
Sieger.
Örtliche Stellungskämpfe bei der 6. Armee an der
Loretto-Höhe verliefen zugunsten der deutschen Truppen; nur in der
Lys-Niederung bei Neuve Chapelle nördlich von La Bassée war ein
mit mehr als zehnfacher Überlegenheit von den Engländern
geführter Angriff verlustreich, blieb aber trotzdem ohne durchgreifenden
Erfolg. Im März sich entwickelnde Kämpfe an der
Combres-Höhe, auf den Côtes Lorraines und an der Südfront
der Armeeabteilung Strantz waren hartnäckig, teilweise schwer, endigten
aber mit einem vollen Erfolg der deutschen Truppen und mit dem Wiedergewinn
des umstrittenen Geländes. Kämpfe im März und April um
den Hartmannsweiler Kopf gaben Zeugnis von der Unternehmungslust, dem
Schneid und der Überlegenheit des deutschen Soldaten über den
französischen "poilu".
Ruhe fanden die Truppen somit nicht gerade viel im Westen. Der Ausbau der
Gräben, der viel Kraft und Zeit beanspruchte, nahm aber an Stärke
dauernd zu. Die Truppe leistete in der Verteidigung Glänzendes, obwohl sie
im Frieden für diese Art der Kampfführung so gut wie gar nicht
vorgebildet war.
Die Oberste Heeresleitung kam nach Abgabe der Neuformationen nach dem Osten
im Februar 1915 zu der Überzeugung, daß angesichts der
großen Aufgaben, die die allgemeine Lage an sie stellte, eine weitere
Anspannung der Heimat unbedingt nötig wäre. Beträchtliche
Heeresreserven für Abwehrzwecke standen ihr nicht zur Verfügung,
Kräfte für neue Aufgaben fehlten. An notdürftig ausgebildeten
Mannschaften war in der Heimat kein Mangel, wohl aber waren die Kadres
aufgebraucht. Der Ersatz an Artilleriegerät und an Maschinengewehren
hatte Fortschritt gemacht und genügte. Sie entschloß sich daher, neue
Kampfeinheiten nur aus ausgebildeten, mit Führern versehenen Abgaben
der bestehenden Verbände zusammenzustellen. Neue
Infanterie-Divisionen entstanden durch Entnahme je eines Regiments der
Divisionen zu vier Regimentern und dem Zusammenschluß zu Divisionen
zu drei Regimentern. Die notwendige
Feld- und schwere Artillerie wurde durch Abgabe bestehender Batterien und
Schaffung neuer Verbände aufgebracht.
Die Munitionslage besserte sich nach bangen Monaten im Frühjahr
zusehends; war es doch der Obersten Heeresleitung in der
Champagne-Schlacht schon möglich, größere
Munitionsreserven dauernd zur Verfügung zu halten. Zur Herstellung von
Kriegsmaterial aller Art war die Heimatindustrie in
größtmöglichem Umfange herangezogen worden. Die
Rohstofffrage hatte ihre Lösung [149] schon bald nach Kriegsbeginn gefunden und
bereitete der Obersten Heeresleitung vorerst keine Sorge.
Am 6. März 1915 hob die Oberste Heeresleitung die
Heeresgruppeneinteilung, die am 27. Januar noch eine Wandlung dahin
durchgemacht hatte, daß man aus der 2. und 1. Armee eine besondere
Heeresgruppe unter dem Befehl des Generalfeldmarschalls v. Bülow
gemacht hatte, auf, da der Instanzenweg von der Obersten Heeresleitung zur
Armee zu lang war und die Heeresgruppenkommandos der Obersten
Heeresleitung nicht den Nutzen gebracht hatten, den diese von ihnen erwartet
hatte.
Die Marine (Marinekorps) fand nach Ablösung der Truppen des III.
Reservekorps an der flandrischen Küste viel Arbeit; sie war bemüht,
die Flanke des Heeres unangreifbar zu machen und die flandrischen Häfen
zu brauchbaren Stützpunkten für ihre
Torpedo- und Unterseeboote auszubauen. Im Februar 1915 trat der Chef des
Admiralstabes an die Oberste Heeresleitung mit der Mitteilung heran, daß
die Vorbereitungen für den Unterseebootkrieg seitens der Marine so weit
gefördert seien, daß sie mit diesem beginnen könne. Da sich
England über das Völkerrecht in verschiedener Hinsicht in
schamloser Weise hinweggesetzt hatte, glaubte die Oberste Heeresleitung auf
dieses Vergeltungsmittel, das geeignet schien, die Verbindungen Englands mit
seiner Armee, aber
auch - wenn der Kampf ohne Einschränkungen geführt werden
konnte - die Zufuhr nach England zu unterbinden, nicht verzichten zu
sollen, und beschloß, dem Vortrag des Chefs der Admiralität
gemäß, den uneingeschränkten Unterseebootkrieg.
Im selben Monat erreichten die Türken angriffsweise den
Suez-Kanal. Unzureichende rückwärtige Verbindungen und
Schwierigkeiten aller Art, besonders Verpflegungsschwierigkeiten, aber zwangen
sie, wieder nach Syrien zurückzugehen. Am 19. Februar begann die
englisch-französische Flotte mit der Beschießung der Dardanellen,
der Landungsversuche folgten; die Entente beabsichtigte offenbar einen
Land- und Wasserangriff gegen die Einfahrtsbefestigungen des
Marmara-Meeres, um Bulgarien und Rumänien auf ihre Seite zu ziehen und
um vor allem einen freien Verkehrsweg nach Rußland zu schaffen. Die
Oberste Heeresleitung hielt diese Angelegenheit für so wichtig, daß
sie am 21. März beim k. u. k. Armeeoberkommando vorstellig
wurde und sofortige Aufnahme der Offensive gegen Serbien unter Einstellung der
Offensive in der Bukowina und in den Karpathen verlangte. Klare
Verhältnisse im Rücken des k. u. k. Heeres im Falle
eines Krieges mit Italien seien notwendig, die Unterbrechung der Verbindung
Rußland - Serbien erforderlich, ein Druck auf Rumänien
wünschenswert und die Öffnung des Weges zur Türkei
dringend. Das k. u. k. Armeeoberkommando hielt den Einsatz von
zehn deutschen und
österreichisch-ungarischen Divisionen gegen Serbien für das
mindeste, glaubte aber, keinesfalls die in den Karpathen eingesetzten deutschen
Divisionen entbehren zu können. Die Beteiligung Bulgariens am Feldzuge
gegen Serbien war noch zweifelhaft, aber beim Erscheinen starker [150] deutscher Kräfte auf diesem
Kriegsschauplatz zu erwarten. Als aber Anfang April die
Karpathen-Front an drei Stellen durchbrochen wurde, mußte die Oberste
Heeresleitung den Plan gegen Serbien zunächst zurückstellen, mit
veranlaßt durch die immer drohendere Haltung Italiens.
Der Beginn des italienischen Aufmarsches gegen Österreich wurde am 1.
April bekannt. Die Forderungen Italiens bezüglich der Gebietsabtretungen
waren so unmäßig, daß die, an sich jetzt zu Abtretungen
geneigten Bundesgenossen auf sie nicht mehr eingehen konnten. Neben
Landsturmformationen glaubte
Österreich-Ungarn sieben Divisionen gegen Italien und drei gegen
Rumänien einsetzen zu müssen, die aus der russischen Front
genommen und dort durch deutsche Truppen ersetzt werden sollten. Die Oberste
Heeresleitung schlug dem k. u. k. Armeeoberkommando vor, die
Kräfte nicht vorzeitig und unnötig zu zersplittern, gegen
Rumänien nichts anderes wie Grenzschutz stehen zu lassen und den
Italienern einen Teil des strittigen Gebietes zu überlassen, dafür aber
alle Kräfte zusammenzufassen und einen der Hauptgegner zu erledigen.
Das k. u. k. Armeeoberkommando griff diesen Vorschlag auf und
schlug seinerseits der Obersten Heeresleitung vor, alle Neuformationen dem
Osten zuzuführen und den Entscheidungsschlag gegen die Russen zu
führen. Nur ein Sieg über Rußland könne Italien noch
vom Eingreifen abhalten.
Im Westen waren die Kämpfe bei der Armeeabteilung Strantz um diese Zeit
noch nicht abgeschlossen; die Oberste Heeresleitung glaubte es daher nicht
verantworten zu können, die neuen Kampfeinheiten für den Osten
abzugeben. Da aber das k. u. k. Armeeoberkommando an seinem
Plan festhielt, den Italienern am Isonzo und in Tirol Halt zu gebieten, und letztere
aller Wahrscheinlichkeit nach im Mai losschlagen zu wollen schienen, entschied
sich die Oberste Heeresleitung am 13. April 1915 für den Abtransport eines
Teiles der westlichen Heeresreserve nach dem Osten zu einem
großangelegten Durchbruch südlich der oberen Weichsel und damit
zur Entscheidungsschlacht gegen die Russen.
|