Der Bromberger Blutsonntag Die letzte Station eines zwanzigjährigen Leidensweges - Teil 2 Marian Hepke Es ist nicht leicht, ein Bild davon zu zeichnen, was sich von Sonntag vormittag an, in und um Bromberg abspielte. Auffallend ist, daß wie auf einen Schlag in allen Teilen der Stadt mit der Verhaftung der Deutschen begonnen wurde. Auffallend ist weiter, daß die Blockkommandanten ausgezeichnet über die Zahl und die Wohnungen der Deutschen Bescheid wußten. An Hand der Zeugenaussagen bei den Verhandlungen des Bromberger Sondergerichts kommt man immer mehr zu der Überzeugung, daß dieses Massenmorden organisiert war. Es bedurfte dann nur noch des telefonisch gegebenen Befehls von Thorn durch den geflüchteten Starosten, um hier alle Deutschen festnehmen zu lassen. Dem Volke hatte man ja lange genug eingehämmert, die Deutschen seien die Angreifer, und deshalb war die Verhaftung in den meisten Fällen gleichbedeutend mit der Anweisung den Betreffenden umzubringen. Unendlich groß ist die Zahl der Einzelschicksale. Es gibt fast keine Familie in Bromberg, die nicht einen Toten unter ihren Angehörigen zu beklagen hat. Ein großer Teil von Volksdeutschen wurde zur Militärhauptwache und von dort zu einer Kaserne gebracht. Die jüngeren Leute mußten in den Reitstall auf einem Boxring Aufstellung nehmen, während sich die ältern Männer auf den Fußboden der Kaserne setzen konnten. Plötzlich trat aus dem Boxring ein jüngerer Mann hervor, der laut "Heil Hitler!" rief. Er wurde von den Wachmannschaften sofort erschossen. Gegen ½12 Uhr nachts mußten die 600 Menschen auf dem Ka- [29] sernenhof antreten. Dann marschierten die Verhafteten durch die Stadt an der Hauptwache vorbei zum Theaterplatz. Hier kamen zurückflutende Tankkolonnen und Infanterie die Straße herunter. Ein polnischer Leutnant erklärte, daß die Volksdeutschen jetzt die Truppen auf ihrem Marsch in besser vorbereitete Stellungen begleiten würden. Sie sollten auch einmal die deutschen Fliegerbomben schmecken. Die Truppen zogen sich auf der steil ansteigenden Kujawierstraße zurück, die Verhafteten marschierten strammen Schrittes in der Mitte der Straße. Links polnische Tanks und Panzerautos, rechts Infanterie. Sie wurden von den Infanteristen beschimpft und mit Kolben und Seitengewehren bearbeitet. In der Kujawierstraße, an der früheren Ziegelei "Kaiser", ließ der Leutnant die Deutschen haltmachen und sagte folgendes: "Jetzt werdet ihr den Großmut und den Anstand der polnischen Nation erfahren. Ihr werdet jetzt nach Hause entlassen, dafür müßt ihr aber zwanzigmal 'Hoch lebe Polen' rufen!" Nach diesen Hochrufen konnten die Verhafteten abtreten. Sie gingen nun auf der von Truppen überfüllten Straße zurück. Es bildeten sich einzelne Gruppen unter Führung eines gut polnisch Sprechenden, um möglichst ungehindert nach Hause zu gelangen. Ein Kaufmann schloß sich einer Gruppe von etwa 14 Männern an, die von der Kujawierstraße über Nebenstraßen der Schwedenhöhe nach der Altstadt gehen wollten. In jeder Straße sah man bewaffnete Fliegerschutzkommandos aus Männern und Frauen. Der Trupp wurde auf dem Heimweg zweimal von solchen Patrouillen angehalten, konnte aber nach längeren Verhandlungen weitergehen. In der Neuhöferstraße wurden die Deutschen von einer Patrouille von sechs Mann und einem Weib angehalten. Sie wurden mit gemeinen Worten belegt, man verlangte die Ausweise. Da fast allen vorher in dem Exerzierschuppen [30] der 62er-Kaserne von den Gendarmen die Ausweise abgenommen waren, so hatten viele keine Ausweispapiere bei sich. Jetzt forderten die wild schreienden Menschen die Volksdeutschen auf, zur Polizeiwache mitzukommen. Ein polnischer Bürger sagte, man soll die Deutschen nach Hause schicken, die seien doch schon aus der Haft entlassen worden. Damit kam er aber schlecht an. Seine Stammesbrüder fragten ihn, wie er sich als Pole für Deutsche einsetzen könne. Er sei ein Verräter. Er wurde dann mit einem Gummiknüppel blutig geschlagen und als Verhafteter den Deutschen eingereiht. Auf dem Weg zum Polizeirevier wurde die Gruppe von verwilderten Menschen mit Fleischermessern und Gummiknüppeln ständig bedroht. Kurz vor dem Polizeirevier kam zurückflutende Infanterie an den Deutschen vorbei. Die Infanteristen schrien den Schergen zu: "Ihr bringt die Deutschen nicht auf das Polizeirevier, wir werden uns ihrer annehmen!" Die Soldaten drängten die Deutschen auf den Kornmarkt. Darauf befahl ein Leutnant, daß die 15 Deutschen einen Kreis bilden sollten. Dann befahl er den Gefangenen, sechsmal "Hoch lebe Polen!" zu rufen. Etwa 60 Mann Infanterie standen um die Deutschen herum. Diesen gab der Offizier den Befehl, zu schießen. Es wurde in die Gruppe hineingeknallt und alle 15 Mann sanken um. Der schon oben erwähnte Kaufmann hatte sich schnell hingeworfen und verdankte nur seiner Geistesgegenwart das Leben. Er ist unverletzt geblieben. Neben ihm lag ein anderer Kaufmann mit einem Rückenschuß und rechts der Pole, der für die Deutschen ein gutes Wort eingelegt hatte und dafür mitverhaftet worden war. Der unverwundete Kaufmann beschmierte sich unauffällig mit Blut, um den Anschein zu erwecken, als habe er einen Kopfschuß erhalten. Der Pole, der nicht tödlich verletzt worden war, richtete sich nach einer Weile auf und schrie, man solle ihn doch retten, er wäre ein Pole und durch falsche Angaben mit verhaftet [31] worden. Ein in der Nähe stehender Soldat schrie ihn aber an, er solle nicht solch dummes Zeug reden, er sei wie alle ein Schwabe und Hitler-Anhänger. Darauf legte der Soldat an und schoß dem Polen in den Bauch. Das Blut floß in Strömen aus dem Körper heraus. Der unverletzte Kaufmann lag wie ein Toter zwischen den Leichen. Es kamen in der folgenden halben Stunde sehr viel zurückflutende Soldaten an der Blutstätte vorbei. Sie riefen: "Das sind verfluchte Deutsche, denen ist recht geschehen." Ein Soldat gab jedem Toten einen Fußtritt. Andere beraubten die Ermordeten. Als nach fünfzehn bis zwanzig Minuten auf dem Kornmarkt vollkommene Ruhe eingetreten war, erhob sich der unverletzt gebliebene Kaufmann. Als er sah, daß der Platz vollkommen leer war, ging er ruhigen Schrittes in die Kaiserstraße. Er versteckte sich nacheinander in einigen Häusern, bis er sich schließlich in der Futterkammer eines Pferdestalles an der Wallstraße sicher wähnte. Dort wurde er am Dienstag, dem 5. September, von den deutschen Truppen befreit. Eine andere Gruppe dieser Deutschen aus der Kaserne wurde von den Truppen durch die Stadt geführt und nach Hopfengarten gebracht. Von da führte man die Deutschen - es waren etwa 44 - nach Piecki. Die begleitenden Soldaten brachten die Deutschen in einem kleinen offenen Stall unter. Es war Montag morgen gegen 5 Uhr. Aus den Gesprächen der begleitenden Soldaten ging hervor, daß sie den Plan gefaßt, hatten, den Stall mit Benzin zu begießen und anzustecken. Aber es war kein Benzin aufzutreiben. Um ½8 Uhr forderten die Soldaten die Deutschen auf, immer zu drei Mann aus dem Stall herauszukommen. Die ersten drei traten ins Freie. Nach kurzer Zeit hörte man Schüsse fallen, dann wurden die nächsten drei herausgeholt. Schließlich erklärte der Korporal, daß die Kugeln zu schade seien. Die nächsten wurden mit Kolbenschlägen getötet. Nur drei Mann, ein Vater mit seinen beiden Söhnen, konnten, [32] da der Vater einen größeren Geldbetrag bei sich hatte, ihr Leben mit diesem Gelde erkaufen. Als die Soldaten sich über die Teilung des Geldbetrages nicht einig werden konnten, gelang es dem Deutschen mit seinen beiden Söhnen im Walde zu entkommen.
Ein entsetzliches Drama spielte sich am Jesuitersee hinter Hopfengarten ab. Dorthin hatte man ebenfalls eine Anzahl von Deutschen geführt. Zunächst stellte man die Festgenommenen im Walde vor einem Maschinengewehr auf, doch wurde dann von dem Plan der Erschießung Abstand genommen. Der Marsch ging weiter bis zu dem Badestrand am Jesuitersee. Hier mußten sich die Deutschen mit dem Gesicht zum See aufstellen, worauf ein heftiges Gewehrfeuer einsetzte. Die ersten stürzten zu Boden, als ein deutscher Flieger Zeuge dieser gräßlichen Erschießung wurde. Er ging sofort zum Tiefangriff aber und beschoß die polnischen Mordsoldaten mit seinem Maschinengewehr. Diese suchten unter den Bäumen Deckung. Einer der Deutschen, der unverwundet geblieben war, benutzte die allgemeine Aufregung, um zu flüchten. Er konnte sich unter den Auskleidezellen in den nassen Sand einbuddeln und wurde nun Zeuge der Erschießung aller noch lebenden Kameraden; denn als der Flieger verschwunden war, erschienen die Schergen wieder. Die Opfer des furchtbaren Verbrechens wurden auf den Badesteg gezogen. Wer nicht getötet war, wurde mit Kolben erschlagen. Dann warf man die Leichen in das Wasser. Ganz besonders arg wurde in den Vorstädten gehaust. Die Bewohner des Stadtteils Schröttersdorf haben furchtbare Stunden erlebt. Der Schlossereibesitzer Schmiede hatte, als die Schießereien begannen, seine deutschen Nachbarn aufgefordert, Schutz in seinem gut ausgebauten Luftschutzkeller zu suchen. Als am Sonntag das Schießen immer stär- [33] ker wurde, eilte ein Nachbar mit Schmiede auf das Haus zu. Die Soldaten schossen hinter den beiden Männern her. Der Schlossermeister wurde dabei tödlich getroffen. Der Nachbar hatte noch Zuflucht in dem Keller finden können. 16 Deutsche waren nun dort untergebracht. Die polnischen Soldaten forderten die Deutschen auf, aus dem Keller herauszukommen. Wer dieser Aufforderung Folge leistete, wurde erschossen. Darauf dachten die übrigen nicht mehr daran, aus dem Keller zu kommen. Nun steckten die Soldaten das ganze Gehöft in Brand. Als eine Frau versuchte, durch ein Kellerfenster ins Freie zu kommen, wurde sofort geschossen. Allmählich drang der beißende Rauch in den Keller. Die Eingeschlossenen verstopften alle Öffnungen, allmählich aber wurde es in dem Luftschutzraum so heiß wie in einem Backofen. Wenn die unglückseligen Deutschen die Tür leicht öffneten, flogen sofort einige Handgranaten in die Richtung des Kellerraumes. Schließlich wurde der Rauch so dicht, daß alle auf dem Fußboden lagen und kaum zu atmen vermochten. In der Not zerschnitt man einige Sandsäcke vor den Fenstern, so daß der Rauch abziehen konnte. So blieben die Bedauernswerten in dem Keller bis Montag mittag. Die polnischen Soldaten hatten das Gehöft verlassen mit der Bemerkung, das sei ja nur noch ein Friedhof. Als die Deutschen sich endlich an die frische Luft wagten, wurden sie von den polnischen Nachbarn der Polizei übergeben, die diese Volksgenossen nun nach dem Polizeikommando brachten, wo sie noch bis Dienstag mittag gefangengehalten wurden. Charakteristisch ist, daß selbst Kinder- und Altersheime nicht verschont geblieben sind. So ist das Kinderheim in der Thorner Straße der Ort einer sechsmaligen Haussuchung im Laufe von wenigen Stunden gewesen. Alle Hausbewohner - 28 Personen, darunter 18 Kinder - mußten auf dem Hof antreten und mit erhobenen Händen solange stehen, bis die Haussuchung durchgeführt war. Ein achtzehnjähriger [34] polnischer Bursche hatte behauptet, im Kinderheim werde ein Maschinengewehr versteckt gehalten. Aber trotz eifrigster Nachforschungen fand man nichts. Vom jüngsten Waisenkind bis zur leitenden Diakonisse wurden alle Hausinsassen als Spione bezeichnet und unter militärische Kontrolle gestellt. Den Schwestern hielt man die Pistolen an die Schläfe und forderte die Herausgabe von Waffen. Ebenso erging es den Schwestern, die in dem Altersheim in Jägerhof das Haus verwalteten. Hier erschien sogar schon am Nachmittag des 31. August ein Polizist und behauptete, daß aus dem Hause den Fliegern Lichtsignale gegeben worden seien. Eine Behauptung, die nicht zu beweisen war, da tatsächlich keinerlei Signale aus dem Heim gegeben worden waren. Am Freitag mittag erschienen etwa 50 Soldaten und bedrohten mit Revolvern und Bajonetten die Heiminsassen. Die Insassen sollten angeben, wo die Waffen versteckt seien. Da aber nichts Derartiges vorhanden war, konnten auch keine Angaben darüber gemacht werden. Schließlich verließen die Soldaten langsam den Hof. In diesem Augenblick stürzte ein Offizier herein, der den Befehl gab: "Zurück, alles vernichten und mitnehmen!" Die Soldaten drangen nun in das Haus, zerschlugen Fenster und Türen, Lampen, Spiegel, Stühle, Schränke und Waschtische und holten heraus, was in den Schubfächern verborgen war. Die alten Insassen wurden wieder aus dem Luftschutzkeller herausgetrieben. Einer zweiundneunzigjährigen Frau hielt ein Soldat einen Revolver vor die Brust und verlangte die Herausgabe von Geld. Schließlich raubten die Soldaten die Lebensmittelvorräte und verschwanden. Sie begaben sich dann zu einem in der Nähe wohnenden Gärtner namens Schrödter. Die Familie Schrödter hatte sich mit anderen Volksdeutschen in einem Keller versteckt. Als die Soldatenhorden auf dem Grundstück erschienen, warfen sie einige Handgranaten in den Keller und forderten die Insassen auf, herauszukommen. Kaum hatte der Gärtnereibesitzer Schrödter [35] den Keller verlassen, als er erschossen wurde. Ebenso ging es vier anderen Volksgenossen. Die Frau des Gärtnereibesitzers war durch Granatsplitter schwer verletzt worden. Man zerrte sie aus dem Keller heraus. Eine junge Frau mit ihrem zwei Monate alten Kinde wurde bespien und ins Gesicht geschlagen. Eine ältere Frau wurde mit 19 volksdeutschen Männern aus Jägerhof am Bahndamm aufgestellt. Diese Deutschen wurden dann der Reihe nach erschossen. Als die Volksdeutsche sah, wie nacheinander die Deutschen unter den Schüssen zusammenbrachen, sank sie ohnmächtig zu Boden. Der Pöbel, der diesem schrecklichen Schauspiel beiwohnte, johlte und bestand darauf, daß auch die übrigen Deutschen noch erschossen würden. Als der letzte Deutsche hingemordet war, stimmte der Mob das polnische Haßlied, die "Rota", an. Im Pfarrhaus in Jägerhof hatten andere Mordkommandos den vierundsiebzigjährigen Vater des Pfarrers Kutzer, den Pfarrer, den Brennereiverwalter Otto Kutzer, den sechzehnjährigen Gymnasiasten Milbitz, den vierundsiebzigjährigen Hoffmann, einen Fünfzigjährigen namens Lüneberg aus Oplawitz, den fünfzigjährigen Landwirt Tetzlaff und den fünfzehnjährigen Hütejungen Schollenberg erschlagen. Auch die Insassen des Luisenstiftes, eines Heimes für alleinstehende Damen, haben Schweres durchmachen müssen. Besonders schwer geprüft war der Stadtteil Schwedenhöhe. Hier am südlichen Rande der Stadt gelegen, zogen die vielen Flüchtlinge hindurch, die nach Hohensalza wollten. Eine ununterbrochene Reihe von Fahrzeugen aller Art war hier zu sehen. Mit den Flüchtlingen vereinte sich der Straßenpöbel, der am Sonntag die Haussuchungen vornahm. Auf der Straße und in den Höfen dieses ärmsten Stadtteils von Bromberg drangen Nachbarn in die Wohnungen von Deutschen, zerschlugen die Einrichtungen und töteten auf bestialische Weise die Deutschen, die sie an- [36] trafen. Auch in der evangelischen Kirche fanden Haussuchungen statt, desgleichen in dem Pfarrhause. Polizisten, Soldaten und Pöbel drangen immer wieder in das Pfarrhaus ein und zerschlugen unter dem Vorwand, Haussuchung zu halten, alles was ihnen in den Weg kam. Ein elektrischer Draht und eine Batterie zu einem Kinder-Lichtbildapparat wurden unter großem Gejohle als "Teile eines Geheimsenders entdeckt" und beschlagnahmt. Als dann nachher die Soldaten fortgegangen waren, drang der Mob noch einmal in das Haus ein. Den Pfarrer hatte man schon früher verhaftet und verschleppt, so daß die Frau mit sechs kleinen Kindern allein im Hause war. Sie flüchtete, als die Banditen das Haus stürmten. Die Frau suchte mit den Kindern in der Nachbarschaft Zuflucht bei katholischen Schwestern, wurde aber mit den Worten abgewiesen: "Gehen Sie dahin, wo Sie hergekommen sind. Für die verfluchten Deutschen haben wir keinen Platz! Machen Sie, daß Sie wegkommen!" Der Pöbel verfolgte die Flüchtenden, schlug den alten Kirchendiener nieder und trat ihm mit den Absätzen ins Gesicht. Der alte Mann wurde dann auf ein mit Deutschen beladenes Lastauto geworfen und ist nie wieder gesehen worden. Schließlich fand die Pfarrerfamilie im Hause eines Kirchenältesten Aufnahme. Aber immer wieder wurde das Haus erneut durchsucht. Am Montag mittag standen dann plötzlich die Evangelische Kirche und das Pfarrhaus in Schwedenhöhe in Flammen. Der polnische Propst der katholischen Kirche sprach angesichts dieses Feuers: "Nun kann man mit Recht sagen, wir sind Barbaren." Aber dieser Brand war noch das Geringste, was sich in Bromberg in diesen beiden Tagen abgespielt hat. Immer und immer wieder wurden Deutsche aufgestöbert, an die Wand gestellt oder an Bäume gebunden und erschossen. Ebenso wie in Schwedenhöhe so erlebte man auch in den anderen Stadtteilen, daß die polnischen Frauen eine [37] ganz besonders traurige Rolle an diesem Blutsonntag gespielt haben. Sie haben in furchtbarer Weise den Straßenmob und die verwilderte Soldateska aufgehetzt. Das haben besonders die Verhandlungen des Sondergerichts in Bromberg bewiesen. Das beweist das schreckliche Ende des volksdeutschen Kaufmanns Gollnick in der Breitstraße. Er war von einem Soldaten angeschossen und dann durch einen Kolbenschlag zu Boden gestreckt worden. In der Annahme, daß Gollnick offensichtlich tot sei, wollte der Soldat weitergehen. In diesem Augenblick erschien aber ein Weib, das schon vorher die polnischen Soldaten auf die Volksdeutschen gehetzt hatte. Wie eine Furie lief sie die Straße entlang, und als sie den bereits verletzten Gollnick auf der Erde liegen sah, schrie sie: "So müßten alle Deutschon abgeschlachtet und totgeschossen werden!" Die Horden wandten darauf den schwerverletzten Gollnick um, der zuerst mit dem Gesicht nach unten gelegen hatte, zogen ihm die Hosen herunter, worauf das entmenschte Weib die Soldaten aufforderte, den Verletzten zu entmannen. Das Weib ruhte nicht eher, bis man dem Deutschen mit einem Bajonettstich den Leib aufgeschlitzt hatte. Eine andere Angeklagte hatte, wie die Zeugenaussagen eindeutig belegten, an einem Mordkommando teilgenommen. Als eine deutsche Frau abgeführt wurde, hetzte diese Angeklagte hinter der Wehrlosen her, schlug sie mit den Fäusten, riß sie an den Haaren und stieß sie mit den Füßen, so daß die Unglückliche mehrmals zu Boden sank. Bereits vorher hatte die Angeklagte ihrer Freude Ausdruck gegeben, daß eine deutsche Familie erschossen worden sei und sie habe sich nicht beruhigen können vor Vergnügen, wie die Familienangehörigen nacheinander "umgekippt" seien. Aus den Zeugenaussagen ging hervor, daß die Angeklagte, als sie von der Ermordung der Familie erzählte, Schaum vor dem Munde gehabt habe. Ein deutscher Bauer aus dem alten Niederungsdorf [38] Langenau war dort vom Mob erschlagen worden. Bei einer Haussuchung wüteten dann Soldaten in unmenschlicher Weise. Die Frau des Bauern, Mutter von mehreren Kindern, wurde von einem polnischen Offizier vergewaltigt. Die Frau mußte dann mit einer Gruppe verschleppter Volksdeutscher, die durch das Dorf marschierten, mit nach dem Osten wandern. Als die Frau zurückkehrte, fand sie von ihrem Gehöft nur noch rauchende Ruinen vor. Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude waren, wie alle Bauernhöfe in den Niederungsdörfern Langenau und Otterau, durch Feuer zerstört. Als eine internationale Ärztekommission einige Wochen, nachdem das Gebiet von deutschen Truppen besetzt worden war, dieses besichtigte, kam sie auch nach Langenau. Es herrschte dort unter den Bewohnern große Aufregung. Als man sich erkundigte, was geschehen war, erfuhren die Ärzte: Die eingangs erwähnte Frau hatte sich erhängt. Nach ihrer Rückkehr hatte sie feststellen müssen, daß das schreckliche Erlebnis am Blutsonntag nicht ohne Folgen geblieben war. - Während der Beerdigung der Mutter nahm das kleine Töchterchen der Frau leise einen Offizier der deutschen Wehrmacht, der an der Trauerfeier teilnahm, beiseite und wies herüber zu einem Manne, der ebenfalls unter der Trauergemeinde weilte. "Onkel", sagte das Kind, "das ist der Mann, der den Vater totgemacht hat!" Die Aussagen des Kindes haben sich als richtig erwiesen. Der Mörder war ein Knecht aus dem Nachbardorf, der sich an den Morden beteiligt hatte. Erschütternd ist auch der Bericht einer deutschen Bauerntochter aus Eichenau-Abbau, Kreis Bromberg. Sie hatte aus ihrem Dorf flüchten müssen, ohne zu wissen, wo ihre Angehörigen geblieben waren. Sie hatte erleben müssen, wie man aus einem Flüchtlingszug Deutsche herausholte und diese erschoß. In Hohensalza sah sie, wie ein Deutscher getötet wurde. Man hatte dem armen Menschen die Kehle durchschnitten, und das Volk stand dabei und schrie [39] wie besessen. Erst 20 Kilometer hinter Kruschwitz wurde sie befreit. Über ihre Heimkehr schreibt das Mädchen:
Es ist nicht möglich, alle Schicksale aufzuzählen, über all die Gräßlichkeiten zu schreiben, die hier verübt worden sind. Die Wunden sind noch zu frisch, als daß man sie berühren dürfte. Nur einiges sei erwähnt, was sich bei Sezierungen der Leichen herausgestellt hat: Es ist keineswegs so, daß die Opfer durch Exekutionen, also standrechtliche Erschießungen ihr Leben lassen mußten. Die Leichenbefunde haben ergeben, daß auf liegende Menschen ebenso wie auf stehende geschossen wurde. Sehr viele Erschießungen erfolgten mit Hilfe von Pistolen. Da Handfeuerwaffen in allen Armeen nur von Chargierten getragen werden, kommt man zu der Überzeugung, daß nicht nur einfache Soldaten, sondern auch Unteroffiziere und Offiziere als [40] Täter in Frage kommen. Da bekannt ist, daß sich auch Zivilisten an dem Blutbad beteiligt haben, ergibt sich die Tatsache, daß der Massenmord organisiert gewesen sein muß, zumal man Karabiner an die Zivilisten ausgeteilt hat. An den Leichen sind schließlich furchtbare Verstümmelungen festgestellt worden. Es bleibt im Rahmen dieses Berichtes noch die Aufgabe, das eigene Erlebnis, dessen Auftakt zu Beginn geschildert worden ist, kurz wiederzugeben: In das Regierungsgebäude, in das auch ich eingeliefert worden war, kamen im Laufe des Sonntags mehr und mehr Deutsche, die man dort in den verschiedensten Räumen untergebracht hatte. Ich selbst hatte zu Hause hinterlassen, daß, falls ich zu einer bestimmten Zeit nicht zurückgekehrt sein würde, nach mir gesucht werden sollte. Beunruhigt durch mein langes Fernbleiben veranlaßte meine Frau zwei Herren, sich trotz der Schießerei auf den Straßen nach dem Regierungsgebäude zu begeben. In dem wüsten Durcheinander, das dort herrschte, konnten sie mich jedoch nicht ausfindig machen. Ich hörte sogar die Stimme des einen im Nebenzimmer, konnte mich aber nicht bemerkbar machen, da der Posten, der mich bewachte, mit Erschießen drohte, falls ich mich bewegen oder rufen würde. Wir wurden dann mit weiteren Deutschen in einem engen Raum zusammengepfercht und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Ich muß gestehen, daß ich noch immer an einen guten Ausgang glaubte. Die anderen, später eingelieferten Deutschen hatten jedoch die Leichen bereits auf den Straßen liegen sehen. Zum Teil kreideweiß und zitternd kamen sie herein. Ich versuchte, so gut es ging sie aufzurichten, aber sie alle waren, nach dem was sie gesehen hatten, gewiß, daß wir nicht mehr lebend diese Räume verlassen würden. Dennoch hat ein Teil jener Gruppe die Befreiung miterleben können. In meiner Nachbarschaft wohnt ein Herr, der aus dem [41] litauischen Gebiet um Wilna stammt. Er war 1914 in die polnische Legion eingetreten und hatte dann in der polnischen Wehrmacht gedient, die auf die Mittelmächte vereidigt war und dem Generalgouverneur v. Beseler unterstand. Nach der Errichtung des polnischen Staates hat man diesem Manne es nicht verwinden können, daß er den Eid auf die Mittelmächte geleistet hatte. Er wußte als Hauptmann seinen Abschied nehmen. Zurückgezogen wie in einem Schmollwinkel lebte er seit dieser Zeit. Als ihn meine Frau am Blutsonntag bat, etwas für mich zu tun, schlug er die Hacken zusammen, zog sich die Uniform an, schnallte das Koppel mit der Revolvertasche um, legte alle Orden an und begab sich nach dem Regierungsgebäude. Er suchte alle Räume ab, bis er mich schließlich fand. Ich hatte mir einen Platz dicht an der Tür gesichert, da dort noch immer etwas frische Luft hinein kam. Da die Offiziere alle geflüchtet waren, war der Hauptmann, der nun erschien, der höchste anwesende Offizier. Er ging auf mich zu und erklärte, daß ich zum Verhör müßte. Ein Wachposten rief einen anderen Soldaten herbei, der zur Begleitung mit sollte. Aber der Hauptmann wehrte ab, zog den Revolver aus der Tasche und sagte: "Mit dem Burschen werde ich alleine fertig! - Marsch", wandte er sich an mich. Ich mußte vorausgehen, der Offizier mit der Waffe in der Hand hinter mir. Auf der Treppe beschleunigte er seine Schritte, daß er neben mir gehen konnte, steckte den Revolver in die Tasche, drückte mir die Hand und sagte leise: "Ruhig, ruhig!" Dann führte er mich durch alle Postenketten hindurch, brachte mich ins Freie und entließ mich. Auf Umwegen kam ich in die Nähe meines Hauses und sah plötzlich einen großen Auflauf vor meiner Wohnung. Ich machte sofort kehrt. Unterwegs rief mir ein Eisenbahner, der mich für einen Polen hielt, lachend zu: "Heute räumt man mit den Deutschen ordentlich auf. Dort liegt auch einer!" Und ich sah unweit den ersten Erschossenen, von denen ich dann [42] später so unendlich viele noch habe sehen müssen. Ich fand im Hause eines Deutschen Aufnahme. Es gab dort ein Telefon. Ich rief in meiner Wohnung an. Der Apparat gab nach der Verbindung Lautzeichen - aber geantwortet wurde nicht. Ich mußte annehmen, daß in meinem Hause alles kurz und klein geschlagen war und mußte um das Leben von Frau und Kindern fürchten. Ich rief in verschiedenen Nachbarhäusern an, erhielt aber auch dort keine Antwort. Erst jetzt erkannte ich die Gefahr, in der ich geschwebt hatte. Die eine Stunde der Ungewißheit über das Schicksal der Meinen war entsetzlicher als die vielen Stunden der Verhaftung. Und wenn ich an diese Zeit denke, begreife ich die furchtbaren Qualen, die in jenen Septembertagen deutsche Menschen, die in Ungewißheit über den Verbleib der Ihren gewesen sind, zu erdulden hatten. Nach einer Stunde etwa stellte der Mann, der mich aufgenommen hatte, auf den Straßen eine Beruhigung fest. Ich schlich mich nach Hause und erlebte das Wunder, daß die Horde, die ich gerade vor meinem Hause gesehen hatte, dort nicht eingedrungen war. Sie war nur vorbeigezogen. Meine Frau, die sich während des ganzen Tages standhaft gehalten hatte, um den Kindern nichts merken zu lassen, brach bei meiner Rückkehr zusammen. Der Hauptmann, der lange vor mir nach Hause gekommen war, hatte gemeldet, daß ich befreit sei. Da ich aber noch immer abwesend blieb, mußte das Schlimmste befürchtet werden. Nun war alles überwunden! War es überwunden? Noch nicht! In der Nacht zum Montag starkes Artilleriefeuer, dazwischen schwere Detonationen. Die Brücken wurden gesprengt. Am Montag, morgens gegen 4 Uhr, erschienen zahlreiche polnische Familien aus der Nachbarschaft und baten, in meinem Hause Zuflucht nehmen zu dürfen, denn das deutsche Militär würde ihnen die Ohren abschneiden oder sie mißhandeln. Die wüste [43] Pressehetze trug hier weitere Früchte. Ich konnte nicht ablehnen, ich nahm die Leute in mein Haus. Es waren zeitweise gegen 40 Personen. Aber etwa um 9 Uhr vormittags machte sich etwas Sonderbares bemerkbar. Zunächst verließen die Männer das Haus und standen auf der Straße in Gruppen vereint. Langsam gingen auch die Frauen, nahmen ihre Koffer wieder mit, und allmählich, ganz allmählich, wurde das Haus wieder leer. Die Stille, die entstanden war, war unheimlich. Was sollte das bedeuten? Waren die deutschen Truppen etwa geschlagen? Was hatte die Leute bewegt, das Haus zu verlassen, in das sie vor wenigen Stunden voll Furcht gekommen waren? Offensichtlich war hier wieder einmal eine Flüsterparole ausgegeben worden. Wie ich später feststellte, lautete sie: Die Deutschen sind geschlagen, die Höhen am Südrande der Stadt sind von polnischer Artillerie besetzt, beim Einzug der Deutschen in die Stadt würde alles zerschossen werden. Wir warteten und warteten. Die deutschen Truppen kamen nicht. Langsam schlich der Tag dahin. Man fand keine Ruhe, gegessen wurde nicht. Aus den einzelnen Stadtteilen kamen erneut Nachrichten, daß die Jagd auf Deutsche auch am Montag fortgesetzt wurde. Der Nachbar, der mich befreit hatte, erbot sich, einen anderen Volksdeutschen und mich in der Nacht bei sich zu beherbergen. Um Mitternacht gab das polnische Radio bekannt, daß Bromberg und Graudenz von den polnischen Truppen geräumt worden sei. Artilleriefeuer wurde hörbar - jetzt konnte es uns nicht mehr schrecken. In wenigen Stunden mußte die Not ein Ende haben! Am Dienstag, dem 5. September, wiederholte sich das, was sich am Tage vorher abgespielt hatte. Wieder erschienen zahlreiche polnische Familien und baten um Schutz. Wieder gab es Stunden des Wartens. Es war ein klarer, ruhiger Morgen mit warmer Septembersonne. Eine deutsche Frau, welche die Tage bei uns zugebracht hatte, trat ans Fenster. [44] Sie sieht plötzlich Soldaten, einen Offizier und etwa 10 Mann. Sie ahnt mehr als sie erkennt, daß da deutsche Soldaten vor dem Hause stehen. Sie haben Aufstellung genommen in dem kleinen Villenviertel und suchen nach den Resten polnischer Truppen und nach bewaffneten Zivilisten. Die Deutsche, verwirrt durch die Aufregung, die Freude des Augenblicks und die Angst der letzten Tage, stürzt an die Tür, eilt auf den nächststehenden deutschen Soldaten zu und fragt - die Deutsche, die die polnische Sprache nur mangelhaft beherrscht! - fragt ausgerechnet auf polnisch: "Sind das deutsche Soldaten?" Was tut der Gefragte, was tut der Soldat, der da auf dem Kriegspfade und auf der Suche nach versteckten Gegnern oder Heckenschützen ist? Er lächelt und sagt: "Verzeihung, Frollein, ick versteh' kein Wort!" Nur der Zaun, der den Vorgarten von der Straße trennt, hat verhindert, daß die Deutsche dem Befreier, den sie mit der schwierigen fremden Sprache angeredet hatte, um den Hals gefallen ist. Unter den Personen, die in meinem Hause Zuflucht vor den "bösen" deutschen Soldaten gesucht hatten, war auch eine ältere russische Dame. Sie zittert am ganzen Leibe, und ich versuchte sie zu beruhigen. Ich erklärte ihr, daß sie es doch mit deutschen Soldaten zu tun habe, die alle wohlerzogen und gut diszipliniert seien. Die Dame schüttelt den Kopf. "Ich kenne den Krieg, ich kenne die Revolutionen, wenn die Soldaten auch gut erzogen sind - ich habe den Keller voll Wein - die Soldaten worden ihn finden, sie werden sich betrinken, sie werden plündern, ich kenne das!" Der Zufall will es, daß eine neue deutsche Patrouille vorbeikommt. Die Soldaten bitten um einen Trunk Wasser. Ich hatte zur Feier des seit langem erwarteten Tages eine Flasche Wein geöffnet. Ich biete den Soldaten ein Glas Wein an, sie lehnen ab, danken, ziehen Obst und Himbeerwasser vor. Die Russin neben mir hat zu zittern aufgehört. "Was", [45] fragt sie, "die Soldaten trinken den Wein nicht. Was sind das für Soldaten!" Die Frau ist fassungslos. Mit großen erstaunten Augen, welche die russische Revolution gesehen haben, aber die heutige Welt nicht mehr zu begreifen scheinen, blickt sie den Soldaten nach. Ein anderes Erlebnis: Einige Soldaten fragen Volksdeutsche auf einer Straße nach dem Weg, sie sind von ihrer Abteilung abgekommen. Man kommt ins Gespräch. Plötzlich sagt einer der Soldaten, ein junger Mann mit Brille und klugen ernsten Augen: "Sie müssen schon entschuldigen, ich sehe wohl etwas verwildert aus, aber ich konnte mich jetzt zwei Tage nicht rasieren!" Wie hatte die polnische Presse die deutschen Soldaten durch Artikel und Karikaturen in den letzten Wochen schlecht gemacht. Heute stehen die Leser dieser polnischen Blätter mit aufgerissenen Augen und sagen immer wieder: "Was sind das für Soldaten! Was ist das für ein Heer! Nach schweren Märschen sehen die Leute sauber aus, die Uniformen sind intakt, nicht zerrissen. Und die Offiziere! Und die Autos! Und der ganze Apparat! Und die Organisation! Und am Grabe des Marschalls eine Ehrenwache - zu polnischer Zeit stand dort keine Ehrenwache!" Ich glaube, die Leute sind Zeit ihres Lebens gegen die deutschfeindlichen Greuelmeldungen immun geworden. Dieses Wunder hat der deutsche Soldat mit seiner wundervollen ritterlichen Haltung vollbracht.
Aber erst allmählich, ganz allmählich, hatte sich in der Stadt herumgesprochen, daß die deutschen Truppen Bromberg bereits besetzt haben. Die deutschen Bürger dieser Stadt, die in Kellern, auf Dachböden und anderen Verstecken Zuflucht hatten suchen müssen, kamen langsam auf die Straße. Es läßt sich nicht beschreiben, wie aus den Augen dieser Menschen, die so Furchtbares gesehen hatten und [46] das entsetzlichste Blutbad hatten miterleben müssen, das wohl einer Stadt außerhalb des eigentlichen Kriegsgeschehen jemals beschieden gewesen ist, wie aus diesen Augen voller Angst und Schrecken die Tränen hervorbrachen, Tränen der Freude. Wir haben den deutschen Truppen keinen jubelnden Empfang bereiten können. Manche Soldaten sagten es uns vorwurfsvoll. Aber das Furchtbare der letzten Erlebnisse, die Ungewißheit über das Schicksal von vielen Hunderten, ja Tausenden, die Ungewißheit darüber, ob die Verschleppten, die unterdessen den Höllenmarsch nach Lowitsch hatten antreten müssen, jemals zurückkehren würden - das alles lastete viel zu schwer auf uns allen. Deutsche, die sich nicht näher kannten, sind sich auf den Straßen um den Hals gefallen, aus Freude darüber, noch einen Volksgenossen wiederzusehen. Der Tag der Befreiung war endlich gekommen. Aber erst langsam, ganz langsam wich der Druck, den diese ersten Septembertage 1939 für uns gebracht hatten.
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