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[Bd. 9 S. 16]

1. Kapitel: Frankreichs Paktpolitik.
Rußlands Aufnahme in den Völkerbund.

1.

Im Juni 1934 konnte sich niemand mehr über den endgültigen Zusammenbruch der Genfer Abrüstungskonferenz täuschen. Gegenüber dem Grundsatz der Wahrhaftigkeit, den der Führer Deutschlands seiner Forderung eines ehrlichen Friedens zugrunde legte, konnte sich auf die Dauer das auf innere Unwahrhaftigkeit und Unehrlichkeit aufgebaute Versailler System nicht behaupten. –

  Frankreich  

Im französischen Volke gab es drei Lager, die in ihren politischen Ansichten auseinandergingen, sogar einander schroff entgegengesetzt waren. Das erste dieser Lager ist die Rechtsfront. Sie zeichnete sich durch starke Zersplitterung und große innere Widersprüche aus. Da stand neben der 1898 gegründeten monarchistischen "Action Française" die republikanische nationale Miliz "Jeunesse patriote", meist junge Leute der Universitäten, die den Gedanken der Jeunesse Dorré des 18. Jahrhunderts wieder aufgegriffen hatten und vor allem Frankreichs große Außenziele vertraten. Selbst der 68jährige Clemenceau war einst diesem Verbande beigetreten. Ehemalige Frontkämpfer unter Führung des Kolonialobersten de la Rocque gründeten 1927 die Kameradschaftliche Vereinigung "Croix de Feu", die gegen die "parlamentarische Korrumpierung" und für persönliche Verantwortung kämpfte; ausgesprochen völkische Ziele, wie die des deutschen Nationalsozialismus, waren der Bewegung fremd. Sie machte sich 1932 einen gewissen Namen, als sie im Trocadéro zu Paris eine Pazifistenversammlung sprengte. Marcel Bucard begründete 1933 die "Francisten" oder Blauhemden, die, vom schwerreichen Adel des Landes gefördert, sich den Kampf gegen Berufspolitiker und Freimaurer zur Aufgabe setzten. Im gleichen Jahre schuf sich der Großparfumeur, Verlagsdirektor und Deutschenhasser Coty eine Miliz, die "Solidarité Française", [17] die später der ehemalige Kolonialoffizier Jean Renaud übernahm. Da ein großer Teil der Mitglieder Farbige waren, gelang es diesem Bunde nicht, größeren Einfluß zu erlangen.

Nicht nur organisatorische Zersplitterung und Gegensätzlichkeit der Interessen lähmte die Rechte, das Sammelbecken der Großbourgeoisie und Aristokratie, sondern auch durch die Generationen ging ein tiefer Riß. Während die junge Generation der Nationalen vor allem aufrichtig eine deutsch-französische Verständigung wünscht, verharren die Älteren auf ihrem antideutschen Standpunkte. Im Lager der Jungen vernahm man die Stimmen, die den Frieden und die Annäherung an das Reich forderten. Allen Organisationen der Rechten gemeinsam aber war eine konservative Willensrichtung. Aristokratie, Geldfeudalismus, die Spitzen des Kulturlebens wünschten, daß das Zeitalter der Revolutionen mit 1871 abgeschlossen sei. Im Hinblick auf die Zunahme des revolutionären Elementes, des Marxismus, bedeutete eine solche Auffassung zugleich eine Entfernung von Demokratie und Republik, eine Hinwendung zu faschistischen Ideen und diktatorischen Plänen.

Das zweite politische Lager bildete die breite Front der bürgerlichen Mitte, Gewerbetreibende, Intellektuelle, Rentner. Ihr politisches Ideal ist die Demokratie, die große Errungenschaft von 1789, an der sie festhalten und die sie niemals durch den Faschismus beseitigen lassen würden. Für die Mitte bedeutet Demokratie soviel wie Ruhe, Beständigkeit, Beharrung. Mit dem gleichen Gefühl der Ablehnung, das sie dem Faschismus entgegensetzt, weist die Mitte den Marxismus und insbesondere den Bolschewismus, der sich im dritten Lager gesammelt hat, zurück.

Im Frankreich der Nachkriegszeit standen sich also die drei politischen Ideengruppen des Faschismus, der Demokratie und des Marxismus gegenüber. Der Ausgleich der Gegensätze ruhte in der auf breiter bürgerlicher Basis ruhenden demokratischen Mitte.

Als Adolf Hitler 1933 die deutsche Regierung übernahm, vollzog sich innerhalb der drei Lager ein bemerkenswerter Wandel. Die französische Freimaurerei begann im Interesse der internationalen Humanität unter der Losung "Gegen den [18] Faschismus!" alle demokratischen und marxistischen Kräfte des In- und Auslandes in einer großen Front zu sammeln. Seit Frühjahr 1933 läßt sich die große antifaschistische Innen- und Außenpolitik der französischen Freimaurerei verfolgen. Von nun an wurde gleichzeitig innenpolitisch an der Vereinigung der Demokratie mit dem Marxismus und der Niederknüppelung der Rechtsbünde und außenpolitisch an der Verbindung Frankreichs mit Sowjetrußland gearbeitet. Bereits im Mai 1933 wurde der neue Kurs, den man als eine Rückkehr zur revolutionären Aktion bezeichnen könnte, in den französischen Logen eingehend behandelt. (Vgl. Anlage 1.)

Es besteht kein Zweifel darüber, daß bereits im Frühjahr 1933 Moskau Beziehungen zur französischen Freimaurerei zum Zwecke eines Bündnisabschlusses unterhielt. Im Herbst 1933, wahrscheinlich nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, traten die bolschewistischen Unterhändler mit den Pariser Regierungsstellen hierüber in Unterhandlung. (Flandins Rede vom 25. 2. 1936.) Damals hat Rußland am Quai d'Orsay seine Bereitschaft erklärt, an einem System der Festigung des Friedens teilzunehmen und Verträge zur gegenseitigen Garantie und Unterstützung zu unterzeichnen. Frankreich war diesem Plane zugänglich, soweit er sich nicht auf den Fernen Osten bezog.

Um im Innern Demokratie und Marxismus, die an sich einander nicht freundlich gegenüberstanden, zusammenzuführen, mußte der Hebel am linken, kleinbürgerlichen Flügel der Demokratie, bei den Radikalsozialisten, angesetzt werden. Die radikalsozialistische Partei gab in den folgenden Monaten den parlamentarischen und revolutionären Ausschlag. Ihre Erfüllung mit revolutionärer Aktivität, ihre Unterordnung unter den Imperativ des Antifaschismus führte innenpolitisch nicht nur zur gänzlichen Ausschaltung der Rechtsorganisationen, sondern auch zur schließlichen Ausschaltung der Demokratie und zur Herrschaft des Marxismus in der Tarnung der Volksfront. –

Es war daher kein Zufall, daß der Mann, der als treibende Kraft am Anfang dieser neurevolutionären Entwicklung freimaurerischen Ursprungs stand, Gaston Bergerie, nicht nur [19] Freimaurer, sondern auch Radikalsozialist war. Er war ferner Kammerabgeordneter und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und verfügte über großen Einfluß. Dieser Vierzigjährige, der einst auch an der Front gekämpft hatte, war Gambetta und Catilina zugleich. Illegitimer Sohn eines deutschen Aristokraten, eines Herrn von Kaulla, und einer französischen Kleinbürgerin, deren Ehenamen er trug, lehnte er sich auf gegen die Gesellschaft, die ihn nicht anerkennen wollte. So mußte er im Anarchismus leben. Sein fanatischer Wille war es, die feindliche Gesellschaft zu stürzen, die satte konservative und feudale Geldaristokratie zu zerstören – diese Geldaristokratie, die ihm dasselbe bedeutete wie Faschismus, Diktatur, Knebelung der Menschenrechte, Niederwerfung der Humanität. Er fürchtete, daß, nachdem Italien faschistisch und Deutschland nationalsozialistisch war, nun auch für Frankreich die "faschistische Gefahr" akut werden würde. Das Geltungsbedürfnis des dritten Standes, das schon die Männer von 1789 beseelte, erfüllte auch ihn. Er versuchte 1933, das Beispiel Hitlers entfernt nachahmend, die demokratischen und marxistischen Parteien auszuschalten und eine neue, den freimaurerischen Weisungen folgende Linkspartei "Front commun" zu begründen, in der sich Radikalsozialisten, Sozialisten und Kommunisten vereinigen sollten. Aber in seiner eigenen Partei traten ihm Leute entgegen, die nichts von den Freimaurern wissen wollten, wie Edouard Dadalier. Dieser führte im Frühjahr 1935 die radikalsozialistische Partei in die Volksfront, deren Führung in den Händen des marxistischen Juden Leon Blum lag, also an die Seite der Marxisten. Das Ziel, das Gaston Bergerie vorschwebte, wurde also auch ohne ihn erreicht.

Die innerpolitischen Spannungen strebten in Frankreich bereits Ende 1933 einem Höhepunkte zu. Die Bünde der Rechten durften die Sammlung der antifaschistischen Linken nicht zur Vollendung kommen lassen. Die innere Unruhe nahm von Woche zu Woche zu. Der ungeheure Finanzskandal des Juden Stavisky, der Anfang Januar 1934 enthüllt wurde und Beamte und Parlamentarier bloßstellte, brachte das Pulver zum Explodieren. Feuerkreuzler und Angehörige der Action Française schritten zur Tat. Am Abend des 6. Februar 1934 [20] bewegte sich ein Zug von 20 000 ehemaligen Frontsoldaten vom Arc de Triomphe zur Place de la Concorde. Die Antifaschisten stiegen auf die Barrikaden, Straßenkämpfe entbrannten, die von der Gendarmerie unterdrückt werden mußten. Tagelang schüttelte sich Frankreich im Fieber des Bürgerkriegs, dessen Losung Antifaschismus gegen Faschismus war. Die Feuerkreuzler mußten den Rückzug antreten. Sie konnten zwar ihre Mitgliederzahl in der Folge erhöhen, aber die glückliche Stunde, da sie die Macht erringen konnten, war vorüber. "An den Ereignissen des 6. Februar in Frankreich zerschellte jede einheitliche Bewegung nationalen Wiederaufbaues", schreibt Clément Serpeille de Gobineau (in Der Aufbau, 4. Jahrgang 1936, Heft 11, Juni).

Aus den Februarwirren ging die Regierung Doumergue hervor, eine bürgerliche Rechtsregierung, die sich bemühte, die Macht der Republik zwischen Faschismus und Antifaschismus zu behaupten. Aber über dieser Regierung stand wie ein Verhängnis der Staviskyskandal. Doumergue versuchte seine schlimmen Folgen Mitte Juli 1934 durch den politischen Burgfrieden zu beseitigen. Aber der Widerstand der Linken machte ihm das Regieren auf die Dauer unmöglich.

Die Marxisten waren die eigentlichen Nutznießer des 6. Februar geworden. Im Juli 1934 schlossen die von Cachin geführten Kommunisten und die von Leon Blum geführten Sozialdemokraten die antifaschistische Front commun, der im Laufe 1935 auch die von Jouhaux geführten Gewerkschaften beitraten. Die Generalratswahlen von Anfang Oktober 1934 ließen allerdings noch nicht den Erfolg der gesammelten marxistischen Energie erkennen.

Der Außenminister Doumergues, Louis Barthou, ein Mann der alten Generation, der die Sicherheit Frankreichs gegen Deutschland in der Wiederbelebung des Bündnissystems von 1890–1914 sah, leistete der freimaurerisch-marxistischen Front commun durch seine Russenpolitik erheblichen Vorsprung. Mit Litwinow, den er noch 1927 einen "brutalen Sektierer" genannt hatte, kämpfte Barthou im Frühjahr 1934 in Genf Schulter an Schulter gegen Deutschlands Recht. Er entwarf mit Litwinow zusammen im Sonderkomité für Sicher- [21] heit, das die in den letzten Zügen liegende Abrüstungskonferenz im Juni 1934 einsetzte, einen regionalen Beistandspakt im Rahmen des Völkerbundes, in den Rußland eintreten sollte. In einem zweiten Vertrag sollte Frankreich im Rahmen der bestehenden Verträge Rußland gegen jeden Angriff unterstützen, der aus dem Bruch des Regionalpaktes hervorgehen sollte, während Rußland seinerseits Frankreich im Falle eines Angriffs beistehen sollte. Ein drittes Protokoll sollte feststellen, daß beide Verträge mit den Grundsätzen des Völkerbundes im Einklang stehen. Wie man sieht, handelte es sich dort um eine recht enge Allianz, die da geplant war. Barthou versäumte nichts, diese vor ihrer Geburt stehende Allianz legitim und vollwertig zu machen. Seine Überredungskunst bewirkte, daß im Augenblicke, da die Abrüstungskonferenz im Sterben lag, am 9. Juni 1934 in Genf Tschechoslowakei und Rumänien Sowjetrußland anerkannten. Damit war psychologisch der Verbindung Frankreichs mit Rußland die Bahn geebnet. Der nächste Schritt mußte es nun für Barthou sein, die Sowjetmacht als Gleichberechtigten in den Genfer Ring einzuführen. Dann war es auch nicht mehr weit bis zum dritten und endgültigen Schritt des französisch-sowjetrussischen Bündnisses. Nun, die Einführung der Sowjetunion in den Völkerbund wurde für Barthou die letzte politische Tat seines Lebens. Er selbst erlebte es nicht mehr, daß es unmöglich war, das außenpolitische Programm der Freimaurerei durchzuführen, ohne auch das innenpolitische anzunehmen. Erst seine Nachfolger scheiterten im Juni 1936 an dieser Inkonsequenz.

2.

Man darf ohne Bedenken sagen, daß England in Genf am aufrichtigsten und entschlossensten für Deutschlands militärische Gleichberechtigung als Voraussetzung für eine allgemeine Abrüstung eingetreten ist. Es war aber nicht in der [22] Lage, seinen Standpunkt durchzusetzen. Darüber täuschten sich die Engländer keineswegs. Schon seit Anfang 1934 waren sie sich darüber klar, daß, wenn in Genf die Gleichberechtigung Deutschlands durch die Abrüstung der anderen nicht erreicht werde, für sie selbst nichts anderes als eine verstärkte Aufrüstung in Frage kommen würde. Vor allem schien ihnen eine Vermehrung der Kriegsflotte und der Luftflotte nötig; die Rüstungsfirma Vickers-Armstrong hatte so viele Aufträge, daß sie gegenüber dem Januar in der Mitte 1934 dreitausend Arbeiter mehr beschäftigen konnte. Interessant waren in dieser Beziehung die Angaben, die der erste Lord der Admiralität, Sir Bolton Eyres Monsell in einer Rede zu London am Abend des 24. Juni machte: in den vergangenen acht Jahren habe Japan seine Rüstung um 80, Frankreich um 100, Rußland sogar um 197% vermehrt; der englische Marineminister sei der Ansicht, daß England nicht als einziges Land dem Traum einer internationalen Abrüstung anhängen könne, sondern eine genügend große Flotte brauche, um das Empire zusammenzuhalten. Auch begann man damit, jede der fünf Expeditionsarmeen (überseeische Kolonialtruppen) mit Tankbrigaden auszurüsten.

Englische Tankmanöver.
[Bd. 9 S. 304b]      Englische Tankmanöver:
Übung im Gelände.
      Photo Scherl.
Englische Tankmanöver.
[Bd. 9 S. 304b]      Englische Tankmanöver:
Manöver bei Salisbury.
      Photo Scherl.

Dem englischen Kriegsministerium bereiteten Belgien und die Niederlande Sorge. Dieses Amt hatte sich noch nicht ganz von den Vorkriegsvorstellungen befreien können, und Kriegsminister Lord Hailsham fürchtete, daß in einem künftigen Krieg der Feind in den Niederlanden Flugzeugstationen anlegen könnte, von denen aus England durch Bombengeschwader angegriffen würde. In London tauchte der Plan auf, daß sämtliche europäische Nationen, Deutschland eingeschlossen, sich verpflichten sollten, die Neutralität Belgiens und der Niederlande zu achten.

  Frankreich und England  
im Sommer 1934

Das War Office war der Ansicht, daß die Ostgrenze Frankreichs ausgezeichnet befestigt sei, daß aber im Norden, also in Belgien und Holland, das Tor für einen feindlichen Einfall offen stehe. Hier war der Punkt, wo die Heerführer Englands und Frankreichs ihre gemeinsamen Interessen zu erkennen glaubten, insbesondere, wenn man nach Art der Versailler Vorstellungswelt als Kriegsgegner Deutschland betrachtete.

Frankreichs Ostgrenze, gesehen von Osten.
[Bd. 9 S. 112b]      Frankreichs Ostgrenze,
gesehen von Osten.
      Photo Scherl.
Frankreichs Ostgrenze, gesehen von Westen.
[Bd. 9 S. 112b]      Frankreichs Ostgrenze,
gesehen von Westen.
      Photo Scherl.

Befestigung der französischen und belgischen Ostgrenze.
[Bd. 9 S. 289]      Befestigung der
französischen und belgischen Ostgrenze.
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[Aus der Zeitschrift "Völkerbund – Die Abrüstungskonferenz."]
Der [23] französische Generalstabschef Weygand traf am 20. Juni 1934 ein und verhandelte ein paar Tage mit den englischen Generälen, und kaum eine Woche später befand sich der englische Kriegsminister Lord Hailsham in Paris. Gegenstand der Besprechungen war die militärische Zusammenarbeit beider Länder im Falle eines deutschen Angriffs, – einer Zusammenarbeit, die nach den 1914–1918 gemachten Erfahrungen nicht wieder auf französischem Boden stattfinden sollte, sondern etwa im Raume von Amsterdam bis Koblenz. Für die Franzosen waren diese Verhandlungen keine reine Freude, da die Engländer der Ansicht waren, Frankreich sei durch sein Landheer besser und schneller als England in der Lage, Belgien und die Niederlande wirksam zu verteidigen. Für England war diese Feststellung insofern wichtig, als man in London die sowieso nicht sehr sympathische Vermehrung des Landheeres hinauszögern und die zur Verfügung stehenden Gelder zunächst einmal in die dem eigenen Schutze dienende Luft- und Kriegsflotte stecken könnte. Der Grundgedanke der englischen Rüstungen war der, lediglich die beiden Waffen, die durch den Charakter des Landes seine Verteidigungswaffen waren, Kriegsmarine und Luftwaffe, zu verstärken. Das Landheer kam da in zweiter Linie, und die einem solchen etwa zufallenden gemeinsamen Verteidigungsaufgaben konnten getrost auf das kontinentale Landheer des französischen Bundesgenossen abgewälzt werden.

General Weygand bei einer Übung englischer Tanks.
[Bd. 9 S. 320a]      Der Generalissimus der Französischen Armee, General Weygand, nimmt 1934 an einer Übung englischer Tanks in Salisbury teil.      Photo Scherl.
Truppenparade Mai 1935.
[Bd. 9 S. 320b]      Truppenparade zum englischen Königsjubiläum, Anfang Mai 1935.
Photo Scherl.

Gewisse Rückstände und Überbleibsel der Vorkriegsauffassung, die in Deutschland grundsätzlich und zwangsläufig den Gegner erblickte, bewogen England, in dieser Weise dem Zusammenbruch der Abrüstungskonferenz entgegenzuwirken. Es war nicht so sehr positive Politik, sondern Enttäuschung und Abwehr, ein Verlegenheitsversuch, die Stille, die dem Sturme folgte, irgendwie auszufüllen.

Für Frankreich aber war die Junikrisis ein Ansporn, mit allen Kräften seine Politik der Pakte, die zum guten Teile den Genfer Zusammenbruch mitverschuldet hatte, in der neuen, von der Freimaurerei inspirierten russischen Richtung fortzusetzen. Barthou war in seinem Elemente. Er sprudelte über von allerhand Paktplänen, jenen Fallstricken und Fußangeln Versailler Prägung, die dazu dienen sollten, Deutschland, dem die Gleich- [24] berechtigung nicht gewährt wurde, an jedem Versuch, die Versailler Fesseln abzustreifen, zu hindern.

Am 9. Juli 1934 traf der französische Außenminister Barthou mit dem Marineminister Piétri zu zweitägigen Besprechungen in London ein. Von englischer Seite nahmen daran teil der Außenminister John Simon, dessen Sekretär Eden sowie der Erste Lord der Admiralität, Eyres Monsell. Man sprach über die Vorbereitung der für 1935 geplanten Flottenkonferenz, auf die England Wert legte, nicht so sehr aber Frankreich. Man sprach dann auch über Barthous Lieblingsidee der regionalen Pakte, die Frankreich für sehr wichtig hielt, nicht so sehr aber im Augenblick England.

Barthou entwickelte den Engländern folgende Pläne: Die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Polen, die baltischen Staaten, Finnland und Deutschland sollten den nordosteuropäischen Pakt gegenseitiger militärischer Unterstützung schließen, Frankreich, Italien, die Balkanstaaten und die Türkei sollten einen Mittelmeerpakt schließen; die Unterzeichner des Locarnovertrages und der beiden neuen Regionalpakte sollten dann einen "contrat général" unterzeichnen, der die Hauptpunkte dieser Verträge in ihrer Beziehung zum Völkerbunde festlegen würde. Das war wieder einmal ein Gewirr von Beistandspakten, das so recht geeignet war, ganz Europa in Verwirrung zu stürzen, wenn in einem entlegenen Winkel einmal die Gewehre losgingen.

Die Engländer waren nicht sehr entzückt von diesen Vorschlägen. Für sich selbst neue Verpflichtungen in Europa zugunsten einer Mächtegruppe gegen eine andere zu übernehmen, waren sie keineswegs geneigt, immerhin wollten sie ein Ostlocarno in Berlin und Rom befürworten, wenn sich Frankreich verpflichtete, nach Abschluß eines solchen Vertrages seine starre Haltung vom 17. April 1934 fallen zu lassen und einer allgemeinen Abrüstung nicht mehr im Wege zu stehen. Abrüstung als Voraussetzung der Regionalpakte lehnte Barthou von vornherein ab, er gab höchstens die Möglichkeit zu, die Rückwirkung der Pakte auf die Abrüstung zu prüfen. Anderseits aber gab England mit Rücksicht auf die von ihm erstrebte Totalität des Völkerbundes ("Möchten Sie nun lieber, [25] daß diese ungeheure Macht – Sowjetrußland – innerhalb oder außerhalb des Kollektivsystems des Völkerbundes steht? Ich zweifle nicht an der Antwort auf diese Frage", sagte Simon am 13. Juli im Unterhaus) seine Einwilligung zum Eintritt Sowjetrußland in die Genfer Liga, den Frankreich als Voraussetzung für den Ostpakt erwünschte.

Die Aussprachen zwischen Paris und London hatten grundsätzliche Gegensätze, bedingt durch Englands Ruhebedürfnis und Friedenswillen einerseits und Frankreichs geschäftige Paktpolitik anderseits, nicht beseitigen können. Die Pariser Presse verkündete zwar, wie es die Regierung wünschen mußte, daß die englisch-französischen Beziehungen wieder einmal gefestigt seien; in England aber dachte man wesentlich kühler. Wenn die konservative Morningpost schrieb, ein politisches englisch-französisches Bündnis komme nicht in Frage, aber man habe sich über die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern geeinigt, so bedeutete eine solche Erklärung auch von konservativer Seite eine unzweideutige Absage an das französische Paktsystem. Wesentlich schonungsloser kritisierte der englische Zeitungsmagnat Lord Beaverbrook Mitte Juli im Sunday Expreß den französischen Paktplan: "Er bedeutet nichts anderes als die alte Kombination von 1914. Der einzige Zweck des französisch-russischen Bündnisses ist der, Deutschland zur Einhaltung des Versailler Vertrages zu zwingen; aber die Aufrechterhaltung des Versailler Vertrages geht England nichts an. England glaubt, daß die Gebietsfestsetzungen in Versailles ungerecht und unhaltbar sind und sicher geändert werden. Trotzdem verpflichten wir uns erneut, für einen Vertrag zu kämpfen, der ein ungeheuerlicher und unerträglicher Akt der Unterdrückung ist." –

Deutscher Appell an
  die ehemaligen Frontkämpfer  

3.

In diese Schwüle hinein ließ sich eine gewichtige deutsche Stimme des wahren Friedens vernehmen. Der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, betonte in seiner Rede auf dem Gauparteitag zu Königsberg am 8. Juli 1934 die aufrichtige Friedens- [26] liebe des neuen Deutschlands. Kühn schob Heß die betriebsame Zunft der Diplomaten, die die Völker trennen, aber nicht vereinen kann, beiseite und appellierte an ein Gefühl innerer Verbundenheit der Völker Europas, ein Gefühl der Ehre und des Friedenswillens zugleich, dessen Träger die Frontkämpfer in allen Ländern waren. "Die Frontkämpfer wollen den Frieden, die Völker wollen den Frieden, Deutschlands Regierung will den Frieden" so betonte Heß. Er schloß:

      "Die Welt weiß, daß der Frontkämpfer Adolf Hitler mit überraschender Offenheit seine wirklichen Gedanken ihr darlegt. Die Frontkämpfer in der Regierung Deutschlands wollen ehrlich Frieden und Verständigung. Ich appelliere an die Frontkämpfer in anderen Staaten, ebenso wie an die Gutwilligen in den Regierungen dieser Staaten, uns in diesem Ziele zu unterstützen. Ich richte diesen Appell von heiliger ostpreußischer Erde her an die Frontsoldaten der Welt." (Vgl. Anlage 2.)

Gauparteitag in Königsberg, Juli 1934.
[Bd. 9 S. 48a]      Gauparteitag in Königsberg, Juli 1934.
Rudolf Heß' Appell an die Frontkämpfer der Welt.
      Photo Scherl.

Das war ein ganz neuer Ton in der Politik. Nun, nachdem in Genf auch dem Einfältigsten die Unfähigkeit der Diplomatie klar geworden sein mußte, verlegte Heß die Erörterung der deutschen Gleichberechtigung vom Gebiet des grünen Tisches in das Gebiet der lebendigen, moralischen Öffentlichkeit der Völker. Er tat dies nicht wie die früheren Machthaber Deutschlands, indem er die Internationale des Pazifismus anrief. Diese Internationale war ohne innere Wahrhaftigkeit und ohne Ehre, sie war überhaupt nur ein Schemen, ein Mittel zum Zweck des Krieges. Alles, was dieser internationale Pazifismus im vergangenen Jahrzehnt erreicht hatte, war ein erlogener, feiger, schwacher Friede, an den kein Mensch glaubte und der nur darum Bestand hatte, weil die deutschen Regierungen sich täglich zutiefst erniedrigten. Heß rief eine andere Internationale an: die der Frontsoldaten. Sie hatten in Ehren einen langen Krieg gekämpft und seine Schrecken kennengelernt, sie kannten keinen größeren Wunsch als die Sicherung Europas durch einen wahrhaften, starken Frieden der Ehre, durch einen Frieden, der nicht zwangsweise durch den Druck eines Übermächtigen über einen völlig Schwachen erhalten wurde, sondern der geschützt wurde durch die Freiheit, Stärke, Ehre und Gleichberechtigung aller Beteiligten.

[27] Das deutsche Volk, das in schweren und harten Kämpfen sich durchgerungen hatte zu einer Regierung, die seine Sprache sprach und deren Sprache es verstand, wußte wohl, daß in diesem Appell der Anbruch eines neuen Zeitalters sich ankündigte. Draußen in der Welt aber wollte man diese Sprache noch nicht verstehen. Die Daily Mail stellte lediglich fest, daß Heß sich energisch für die Einigung mit Frankreich einsetzte, indem er sich auf die Tatsache berufen habe, daß die Frontsoldaten aller Länder den Frieden wünschten. Die Franzosen nahmen dankend den deutschen Friedenswillen zur Kenntnis und lobten es, daß Heß nicht auf die jüngsten Ereignisse zurückkam und Vorwürfe gegen gewisse Persönlichkeiten wegen ihrer Beteiligung im Schleicherkomplott nicht erhob. Aber den tieferen Sinn der Rede, der doch im Rechte Deutschlands auf die gleiche Ehre und die gleiche Stärke gipfelte, überging man oder man bezeichnete ihn als "politisches Manöver". (Jour.) Es schien fast, als sollten die mutigen Worte, wenigstens zunächst noch, ungehört verhallen.

Lediglich der Führer des nationalfranzösischen Frontkämpferbundes Solidarité Française (siehe Seite 16), Jean Renaud, bekannte sich in privater Unterhaltung mit einem deutschen Journalisten zwei Wochen später zu den Gedanken von Heß. Er befürwortete das starke Bündnis von Deutschland, Frankreich und Italien, das ein Bollwerk gegen Rußland und die revolutionären Mächte und eine sichere Grundlage des Friedens sein werde. Dies Bündnis sei "das einzige Mittel, den Krieg zu vermeiden".

Allerdings, die Regierenden waren anderer Ansicht. Dämonisch, zu sehen, wie jetzt, wo Deutschland der Welt zeigt, daß es ernst und endgültig mit den zerstörenden Mächten der Vergangenheit aufräumt, in Frankreich mit elementarer Gewalt jene geistigen Momente der freimaurerischen Gedankenwelt aufs neue wieder hervortreten, die die Welt einst in die Katastrophe von 1914 gestürzt hatten. Da hören wir Außenminister Barthou bei der Einweihung von Gedenktafeln für gefallene Portugiesen in Bayonne am 15. Juli erklären, er habe 1917 die Disziplin der portugiesischen Armee feststellen können, die ohne unmittelbaren Nutzen ihr Blut vergossen habe, einzig und allein des- [28] halb, um für die Freiheit, Gerechtigkeit und Zivilisation zu kämpfen, Begriffe, die in Schande untergegangen wären, wenn Frankreich und seine Verbündeten in diesem großen Kampfe besiegt worden wären! Eine Auffassung, aus der heraus sich für Barthou die zwingende Notwendigkeit des Ostpaktes ergibt, und die Deutschland den wahren inneren Kern dieses Ostpaktes enthüllt!

Schon zwei Tage später vertiefte Ministerpräsident Doumergue in einer Rundfunkansprache an das französische Volk die seit 1870 in der französischen Politik lebendigen Gedankengänge (vgl. mein Buch: Deutscher Reichsspiegel Seite 502 ff.) in dieser Weise:

      "Die Regierung hat nie nachgelassen, sich rege mit der Sicherheitsfrage und damit zu beschäftigen, die Grenzen Frankreichs in Verteidigungszustand zu versetzen. Ich spreche von Verteidigung, denn niemand in Frankreich denkt daran, mit irgend jemandem einen Streit anzufangen oder gar unter einem Vorwand die Initiative zu einem Angriff zu ergreifen. Wir sind leidenschaftlich dem Frieden verbunden, wir werden niemals den Frieden des anderen stören. Aber wir wollen auch nicht, daß die Unzulänglichkeit unserer Verteidigungsmittel und unserer Widerstandskraft irgend jemandem die Absicht beibringen könnte, mit Gewalt unsere Türe einzuschlagen und einen Einfall auf unser Gebiet zu unternehmen. Wenn ich Wert darauf gelegt habe, daß unser Land außenpolitisch eine Haltung einnimmt, die seiner Vergangenheit, seinem Ruhme und seiner Menschlichkeitsliebe entspricht, so deshalb, um so wirksam wie möglich zur Aufrechterhaltung des Friedens beizutragen und gleichzeitig die volle Sicherheit zu erlangen, die Frankreich braucht."

Gleichsam ergänzend bemerkte Kriegsminister Pétain am 22. Juli auf einer Tagung des Nationalen Reserveoffizierverbandes in St. Malo, der nächste Krieg werde wie ein Blitzschlag ausbrechen. Die Reserveoffiziere müßten sich schon im Frieden auf die schweren Aufgaben vorbereiten, die ihnen bei Kriegsbeginn zufielen. Frankreich dürfe nicht mehr zögern, wirklich das Volk in Waffen zu werden, wie es seine Nachbarn schon längst seien. Auch für die militärische Jugendausbildung [29] müßten nun endlich höhere Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Drei Ministerreden und ein geschlossener Friedenswille der Regierung. Der Präsident der Republik, Lebrun, erklärte am 22. Juli bei einer Denkmalsweihe in Aurillac, daß Doumergue und seine Minister sein volles Vertrauen besäßen.

"Friedenspolitik" nach alten Methoden! Um den angeblich von Deutschland bedrohten Weltfrieden zu schützen, steuert Frankreich mit vollen Segeln also auf den Bund mit Sowjetrußland los, mit jenem Staate, der infolge der von ihm angekündigten Weltrevolution die schwerste Gefahr überhaupt für den Frieden der gesamten Welt darstellt, ja, mit jenem Staate, dem das französische Rentnervolk den Verlust vieler Goldmilliarden zu danken hatte!

  Gefahrenquellen  

4.

Um zu ermessen, welche Gefahr für die Ordnung der Welt es bedeutete, wenn sich Frankreich mit der Sowjetunion verband, sei nur kurz ein Bild des Zustandes der Welt von Ende Juli 1934 bis Ende Januar 1935 gezeichnet. Niemals vorher ging das Schicksal mit schwereren Katastrophen schwanger als in jenen sechs Monaten. Das Feuer des Bolschewismus züngelte an allen Enden der Welt empor. Nicht zuletzt in Frankreich, wo die Arbeitslosigkeit gegenüber 1932 um 40-50% zunahm (– vom 1. bis 8. September 1934 stieg die Zahl der französischen Arbeitslosen um 3366 auf 329 021 –), wo eine Kette blutiger Auf- und Ausstände das Volk erschütterte, um schließlich in der Ermordung des Königs von Großserbien und Barthous eine anarchistische Tat par excellence zu treiben. Holland war aufs schwerste bedroht, wo von Amsterdam aus eine bolschewistische Woge das ganze Land zu verschlingen drohte. In Spanien wühlte der rote Aufruhr und konnte nur mit Mühe niedergehalten werden. Die spanische Regierung kämpfte [30] um ihren Kopf. Die Marxisten schmuggelten in großen Mengen Waffen ins Land, womit sie 3 bis 400 000 Arbeiter ausrüsten wollten, die Ermordung des Staatspräsidenten und der Regierungsmitglieder sollten das Sturmzeichen des beginnenden allgemeinen Aufstandes werden. Mitte September wurden diese Pläne aufgedeckt. In Amerika lähmten Massenstreiks das wirtschaftliche Leben und beunruhigten das Staatsleben. Vom 16. bis 19. Juli war die pazifische Küste, insonderheit San Franzisko, Schauplatz eines Generalstreiks, der nur mit Maschinengewehren in Schranken gehalten werden konnte. Acht Wochen später tobte in 22 Bundesstaaten ein mächtiger Textilarbeiterstreik, der eine halbe Million Streikende erfaßt hatte. Zahlreiche Plünderungen und blutige Zusammenstöße mit der Nationalgarde ereigneten sich. Der schreckliche Untergang des New Yorker Passagierdampfers "Morro Castle" ließ Verdachtsgründe gegen kubanische Kommunisten entstehen, die den Brand verursacht haben sollten. Im Fernen Osten, in der Mandschurei, sahen sich die Behörden gezwungen, der kommunistischen Propaganda der Sowjetangestellten entgegenzutreten. Ende August wurden fast täglich sowjetrussische Bahnbeamte durch die mandschurischen Behörden verhaftet, und die Dinge spitzten sich so zu, daß der Ausbruch eines russisch-japanischen Krieges nur noch auf des Messers Schneide stand.

Hinter diesen marxistischen Umtrieben, die drei große Weltteile in Unruhe versetzten, stand aber Rußland! In Moskau liefen die Fäden zusammen, die in Toulon und Paris, in Amsterdam und Madrid, in San Franzisko und Charbin den Geist des Aufruhrs bewegten. Und mit diesem Rußland, das dem Umsturz aller Weltordnung verschworen war, sich zu verbinden war Frankreich im Begriff.

Die durch den Marxismus verbreitete Unruhe wurde noch vermehrt durch gewisse Skandale, die ans Tageslicht kamen. Die jüdische Dämonie, die durch den Marxismus die Welt vergiftet, zerstört sie auch durch die Korruption. In Frankreich drohte der Stavisky-Skandal die Regierung in zwei auf den Tod verfeindete Lager zu spalten, und Doumergue mußte allen Einfluß aufbieten, um eine hieraus hervorgehende Regierungskrise zu vermeiden. Ein Sumpf von Korruption von [31] Parlament und Regierung wurde aufgedeckt, der in seinen Ausmaßen bodenlos war. –

Und dann auf der andern Seite der ungeheuerliche Rüstungsskandal, den ein Untersuchungsausschuß der Regierung in Washington aufdeckte! Am 5. September 1934 begann dieser Ausschuß zu arbeiten, er rechnete damit, daß er drei Wochen arbeiten würde; jedoch bereits am 14. September mußte Staatssekretär Hull dem Ausschußvorsitzenden, Senator Nye, mitteilen, daß allzuviele Regierungen, darunter z. B. die von England, Chile und Mexiko, sich über den Ausschuß und seinen Vorsitzenden beschwert hätten! Diese Beschwerden führten dazu, daß der Untersuchungsausschuß am 21. September seine Tätigkeit vorläufig einstellte. Was der Ausschuß aber bis dahin festgestellt hatte, genügte vollkommen: nämlich, daß es internationale Firmen und internationale Subjekte gibt, für die Krieg und Rüstung das größte Geschäft sind. So wurde die amerikanische Electric Boat Company und ihr englischer Bundesgenosse Vickers-Armstrong and Co., ferner der amerikanische Chemiekonzern Dupont-Nemours Company und der englische Chemietrust, Imperial Chemical Industries Ltd., die 1907 ein 25 Jahre geltendes Abkommen auf Austausch der Patente und Herstellungsgeheimnisse von Sprengstoffen geschlossen und dies 1928 erneuert und erweitert hatten, außerordentlich bloßgestellt. Als internationaler Vagabund und Gauner, der als Rüstungsagent viele Millionen eingesteckt hat, erschien der Levantiner Basil Zaharoff, einer der reichsten Männer Europas, der Zutreiber der Firma Vickers, der vom König von Großbritannien in den erblichen Adelsstand erhoben wurde!

Alles in allem war ein übler Sumpf der Bestechung zahlloser Staatsmänner und Offiziere, des Betruges und Verrates von Patenten und Material, des Feilschens und Schachers. Es war diesen Leuten ganz gleichgültig, ob sie für ihr eigenes Land oder Japan lieferten, wer mehr bot, bekam die Kanonen, die Granaten und die Unterseeboote! Das waren die Elemente, die an der Seite Frankreichs die Genfer Abrüstungskonferenz torpediert hatten; schrieb doch ein Sir Charles Craven von der Firma Vickers im Jahre 1932 an die Electric Boat Company, [32] daß "diese störenden Verhandlungen in Genf über die Abrüstung die Aufträge der britischen Regierung auf Unterseebootkreuzer aufhalten"! Übelste Tatsachen der Neutralitätsverletzung im Weltkriege, der Bestechung der Presse, der Beteiligung von Regierungsstellen kamen ans Tageslicht. Diesen Leuten war der Krieg Geschäft. Reihum lieferten sie gegen gute Bezahlung Verteidigungspläne an alle möglichen Staaten. In Polen arbeiteten sie mit Bestechungsgeldern, in der Türkei mit Halbweltdamen, nachdem Kemal Pascha die hauptsächlichsten Schmiergeldempfänger hatte aufhängen lassen. Senator Nye faßte am 15. September das Ergebnis der Untersuchung in folgenden nüchternen Sätzen zusammen:

      "Private Rüstungsfirmen malen das Kriegsgespenst an die Wand, um befreundete Völker argwöhnisch voreinander zu machen und die Abrüstungsbestrebungen zu vereiteln. Armee und Marine unterstützten den Verkauf von Kriegsmaterial an fremde Mächte. Amerikanische Rüstungsfabrikanten arbeiten eng zusammen mit europäischen Kollegen. Armee und Marine haben geheime Patente und Skizzen zur Unterstützung von Munitionsverkäufen ans Ausland preisgegeben. Bestechungsgelder werden in großem Umfange gezahlt und Riesengewinne werden eingeheimst."

Eine Feststellung, die sich sehen lassen kann! Ende Dezember 1934 wurden im weiteren Verlaufe der Rüstungsverhöre märchenhafte Zahlen genannt: Die Dupont Powder Company hatte im Weltkrieg einen Reingewinn von rund 230 Millionen Dollar, der Rüstungsindustrielle Alfred J. Dupont hatte 1920 bis 1926 ein Bruttoeinkommen von 30 Millionen Dollar, für das er keinerlei Einkommensteuer bezahlte!

Diese internationale Clique der Rüstungsprofitler stellte eine Pestbeule am Körper der Kulturvölker dar, eine stete Gefahr für Ruhe und Frieden. Wie die Marxisten die Kriegsgefahr von unten bildeten, so stellten diese Rüstungshyänen eine ständige Kriegsdrohung von oben her dar. Beide aber arbeiteten Hand in Hand auf das gemeinsame Ziel, die Welt in Unruhe zu stürzen. –

Aber noch zwei andere ständige Gefahrenherde beunruhigten Europa: Österreich und die Separatisten an der Saar. Diese [33] beiden Faktoren betrafen das Reich unmittelbar, hier aber darf ich mich auf eine kurze Andeutung beschränken, da ich in meinem ersten Bande der Errichtung des Deutschen Führerreiches eine eingehende Darstellung gegeben habe. –

Diese kurze Schilderung zeigt, daß also für Europa und die Welt höchste Gefahr im Verzuge war, als Frankreich seinen neuen sowjetrussischen Freund in das System seiner "Sicherheit" einzubauen begann. Dies sollte, wie gesagt, auf dreifache Weise geschehen: Durch den Abschluß eines Nordostpaktes, dessen tragende Säule Sowjetrußland sein sollte, durch die Aufnahme Sowjetrußlands in den Völkerbund und durch eine französisch-russische Militärallianz.

  Randstaaten und Ostpakt  

Rußland förderte mit Eifer Barthous Ostpaktpolitik. In diesem Sinne äußerten sich die Sowjetgesandten Ende Juli in London, Paris und Berlin. Mit lebhafter Betriebsamkeit arbeitete Moskau auch in den Randstaaten für den Gedanken. Jedoch ohne langes Zögern, etwa am 20. Juli, erklärte die Regierung Finnlands der russischen, eine Teilnahme Finnlands am Ostpakt sei nicht aktuell, da die friedlichen Beziehungen zwischen Finnland und Rußland durch eine Kette internationaler Verträge geschützt seien. Estlands Haltung war nicht eindeutig. Am 25. Juli stimmte der estnische Außenminister Seljamaa dem polnischen Außenminister Beck darin zu, daß man den neuen Paktvorschlägen gegenüber eine abwartende Haltung einnehmen müsse. Vier Tage später aber, nach persönlicher Aussprache mit Litwinow, läßt Seljamaa in Moskau mitteilen, daß die estnische Regierung einem östlichen Regionalpakt für gegenseitige Hilfeleistung, an dem sich die Sowjetunion, Polen, Deutschland, Tschechoslowakei und die baltischen Staaten beteiligen sollten, freundlich gegenüberstehe. Auch die litauische Regierung befürwortete Litwinow gegenüber den Ostpakt.

Jedoch auf die Länge der Zeit fand in den Randstaaten die russische Anregung immer weniger Anklang. Man erinnerte sich, daß schon einmal vor fünf, sechs Jahren, als die Pakte noch hoch in Konjunktur standen, Rußland ähnliche Vorschläge gemacht hatte und daß damals aus der Ablehnung der russischen Idee der Gedanke eines baltischen Staatenbundes [34] geboren wurde. So war es jetzt wieder: aus dem Ostlocarno wurde ein baltischer Zusammenschluß, nicht eigentlich Staatenbundes, aber die Vorstufe dazu. Am 29. August paraphierten in Riga die Vertreter Lettlands, Estlands und Litauens einen "Vertrag über das Einvernehmen und die Zusammenarbeit der baltischen Staaten", der eine enge außenpolitische Zusammenarbeit der drei baltischen Staaten durch periodische Zusammenkünfte von deren Außenministern vorsieht. Allerdings sollten nur solche Fragen, die alle drei Staaten gleichzeitig betreffen, behandelt werden; "spezifische", d. h. besondere, nur einen Staat betreffende Fragen, wie z. B. die von Memel und Wilna, waren von dieser Gemeinsamkeit ausgenommen. Am 12. September wurde der Freundschaftsvertrag in Genf unterzeichnet von den drei Außenministern.

  England und der Ostpakt  

5.

England stand nicht nur seit Jahren der französischen Betriebsamkeit bezüglich der Paktpolitik mit stillem Unbehagen gegenüber, sondern diesmal stand es auch vor ganz neuen Erkenntnissen und Entscheidungen. Schweren Herzens hatte England seit dem Weltkriege feststellen müssen, daß es keine Insel mehr war. Durch Artillerie und Flugzeuge war es ein Teil des europäischen Festlandes geworden. Aus diesem Grunde mußten Regierung und Parlament im Juli 1934 den Fünfjahresplan der Luftaufrüstung beschließen. Das war gerade genug, und England verspürte nicht das Bedürfnis, durch einen neuen Pakt unversehens in neue festländische Verpflichtungen, Abenteuer und Rivalitäten von gegensätzlichen Mächtegruppen verwickelt zu werden. Wenn England auch unmittelbar nicht in den Ostpakt hineinbezogen werden sollte, so war es doch mittelbar als Garant des Memelstatuts mit ihm verbunden, und ebenso mittelbar als Garant des Locarnopaktes, wenn einmal die Frage der assistence mutuelle gelöst [35] werden sollte. Es begannen in London Bedenken gegen den Ostpakt aufzusteigen, die ihren Grund vor allem darin hatten, daß Frankreich nicht im mindesten an Abrüstung dachte. Die englische These war: Ostpakt als Ausgleich für allgemeine Abrüstung, nicht aber als Maßnahme zur Erhöhung der militärischen Schlagkraft einer Partei gegen eine andere. Über die künftige Stellung Englands in Europa infolge der Ungewißheit über den angeregten Ostpakt schienen die Ansichten weit auseinander zu gehen. Die militärischen Kreise, ausgehend von der Versailler These der Entwaffnung Deutschlands, hielten sich in alter Tradition zu Frankreich. Die Politiker aber rückten deutlich sichtbar von einer politischen Verbindung mit Frankreich ab! Der Fünfjahresplan der Luftaufrüstung ging vom franzosenfreundlichen Kriegsminister Lord Hailsham aus, richtete sich demzufolge also zunächst einmal gegen Deutschland. Im Oberhaus aber trat am 23. Juli 1934 die oppositionelle Arbeiterpartei diesen Kreisen scharf entgegen. Lord Ponsonby bedauerte es, daß die englische Regierung nicht die Abrüstung aller Staaten auf den Stand Deutschlands durchgesetzt habe; die augenblickliche Lage lasse sich mit den Zuständen Anfang 1914 vergleichen. Sein Parteifreund, Lord Arnold, erklärte, der Locarnovertrag sei mausetot, keine britische Regierung werde imstande sein, ein Heer zusammenzubringen, wenn etwa der Locarnovertrag verteidigt werden müßte. Englands Haltung in der Ostpaktfrage wurde also durch zwei Gedankenreihen bestimmt: einmal durch die unmittelbaren Rückwirkungen auf das Gleichgewicht der Kräfte des Kontinents, das durch die tatsächliche Abrüstung erst hergestellt werden müßte, sodann durch die mittelbaren Rückwirkungen auf die britischen Verpflichtungen, als deren hauptsächliche der Locarnopakt galt, daneben das Memelstatut. Weil Großbritannien keinen unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung des Ostpaktes in beiden Richtungen hatte und empfand, daß Frankreichs Ziele nicht den britischen Interessen entsprachen, fühlte es sich unsicher und zweifelhaft.

  Das Reich und der Ostpakt  

Deutschland konnte einen Ostpakt unter keinen Umständen billigen. Ganz abgesehen von dem Widersinn, daß das nationalsozialistische Deutschland vielleicht einmal sein Blut zum [36] Schutze des bolschewistischen Rußland verpfänden sollte, würde das Reich selbst durch seine Zustimmung Frankreich dabei unterstützen, das deutsche Volk einzukreisen. Schon 1925 wiesen die damaligen deutschen Staatsmänner erfolgreich alle französischen Zumutungen wegen eines Ostlocarno zurück (vgl. Geschichte unserer Zeit IV, 185). Die Verknüpfung osteuropäischer Fragen mit der westeuropäischen Politik hätte das deutsche Volk ohne eigenes Zutun aus kleinstem Anlaß im Handumdrehen in den Wirbelstrom eines kriegerischen Chaos hineingeraten lassen. Die Tendenz des Ostpaktes war eben nicht auf Lokalisierung und Bagatellisierung von Streitigkeiten, sondern auf deren Generalisierung gerichtet. Die gegenseitige bewaffnete Hilfeleistung, die als erste und grundsätzliche "Sicherheit" im Vertrag geplant war, hätte Deutschland zum Tummelplatz, ja Kriegsschauplatz zahlreicher internationaler Armeen gemacht. Für Deutschland, das im Herzen Europas lag, war es wichtig, daß die beiden Sphären der west- und osteuropäischen Politik reinlich getrennt blieben. Wenn dies nicht mehr der Fall war, dann war das Deutsche Reich und das Deutsche Volk dem sicheren Untergange preisgegeben. Irgend ein kleiner Streitfall eines kleinen Randstaates hätte dann in seinen Paktauswirkungen zur Verwüstung und Vernichtung Deutschlands führen können. Die Sicherheit des deutschen Volkes beruhte im Gegensatz zur französischen "Sicherheit" nicht auf Kollektivverträgen gegenseitigen Beistandes, sondern auf zweiseitigen Nichtangriffsverträgen mit seinen Nachbarn.

Für Adolf Hitler aber hat die deutsche Außenpolitik nur einen einzigen Inhalt, den Frieden. Und es soll ein starker Friede der Ehre und der Gleichberechtigung sein, auf geradem Wege zu erreichen, nicht auf dem gewundenen Wege, der durch das Labyrinth der Pakte führt. Am 6. August 1934 gewährte der Führer dem Reisekorrespondenten Ward Price von der Daily Mail eine Unterredung, worin er ungefähr folgendes sagte: Soweit es an Deutschland liege, werde es keinen neuen Krieg geben. Deutschland kenne die schlimmen Folgen eines Krieges besser als irgend ein anderes Land. Die nationalsozialistische Bewegung sei überzeugt, daß niemand von einem [37] Krieg Nutzen, jeder aber nur Schaden haben könne. Deutschland werde bestimmt nicht kämpfen, es sei denn aus Notwehr; aber man dürfe Deutschland nicht verübeln, wenn es bei der gefährlichen Lage seinen nationalen Schutz innerhalb seiner Grenzen suche. Streitfälle zwischen Deutschland und Großbritannien gebe es nicht; Deutschland wolle nichts von England, im Gegenteil, er, Hitler, habe auf ein besseres Verhältnis zu Großbritannien hingearbeitet und tue es noch immer. Deutschland müsse immer mit der Möglichkeit rechnen, daß es auf dem Kontinent möglicherweise von einem Ring mächtiger Feinde umgeben sei. Danach habe es sich zu richten. Nicht durch das Ausmaß der Rüstungen sei die Kriegsgefahr gegeben, sondern durch die Ungleichheit der Rüstungen, sie ermutige die stärkere Nation, ehrgeizige Pläne zu hegen, welche die schwächere Nation nicht dulden könne.

Diese Ausführungen, deren Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit durch die nüchtern vorgebrachten Worte besonders betont wurden, konnten in den von der Paktomanie befallenen französischen Kreisen nur Mißfallen erwecken. Jeder aber, der ohne Vorurteil Deutschland gegenübertrat, mußte, in England und Amerika, die Berechtigung des deutschen Standpunktes anerkennen. Professor McKenzie aus Seattle (Washington), der am 19. August unmittelbar in Berlin die Führerwahl miterlebt hatte, sagte: Wenn Deutschland volle Gleichberechtigung, Gleichberechtigung nicht nur in politischen Fragen, sondern auch in der Abrüstungsfrage verlange, so erkläre er frei und offen, daß dies Deutschlands volles Recht sei. Andere Völker hätten zuerst den Versailler Vertrag gebrochen. Es würde zum Besten des Weltfriedens sein, wenn man Hitlers Abrüstungspolitik anerkennen würde. Doch wenn andere Nationen zum Angriff rüsteten – es sei ja nur eine technische Frage, ob sie es Verteidigung oder Sicherheit nennen –, warum nicht auch Deutschland?

Es mußte sich langsam gegen alle Verleumdungen durchsetzen, daß Hitlers Außenpolitik nur ein Ziel kannte: niemandem ein Haar zu krümmen, aber auch Deutschland von niemandem ein Haar krümmen zu lassen. Auf der großen Treuekundgebung der Saarländer am Deutschen Eck, den 26. August [38] 1934, richtete der Führer laut an die Welt zwei Worte von den außenpolitischen Grundsätzen des nationalsozialistischen Deutschland:

      "Erhaltung des Friedens, aber auch Sicherung der deutschen Gleichberechtigung. Hierzu Verteidigung der Freiheit und der Ehre unseres Volkes. Wir haben seit den Tagen der Machtübernahme nicht verfehlt, immer wieder diese Programmpunkte vor der gesamten Welt zu verkünden. Sie sind unveräußerlich und unveränderlich. Die Welt muß es zur Kenntnis nehmen, daß mit diesen Programmpunkten die nationalsozialistische Bewegung – und das ist Deutschland – steht und fällt."

Im Verlaufe dieser Rede erklärte Hitler weiter, daß die Saarfrage die einzige Territorialfrage sei, die Deutschland und Frankreich jetzt noch trenne. Nach ihrer Lösung bestehe kein sichtbarer vernünftiger Grund, daß zwei große Nationen sich ewig und in aller Zukunft weiter befehden sollten. Die Gemeinsamkeit der allen Nationen gestellten Aufgaben sei stark genug, daß sie die Nationen gemeinsam lösen, statt sich bekriegen sollten. Hitler vertraut auf die gesunde Vernunft und den gesunden Menschenverstand, er hofft, daß nach der Saarabstimmung am 13. Januar 1935 der Weg zur Verständigung und zum aufrichtigen Frieden frei sei.

Diese Gradlinigkeit der politischen Ideen beherrschte das deutsche Memorandum vom 10. September 1934 zum Ostpakt. Darin hieß es: Der Ostpakt wolle Deutschland, Rußland, Polen, die Tschechoslowakei, Finnland und die Randstaaten zur automatischen gegenseitigen militärischen Unterstützung im Kriegsfalle verpflichten. Außerdem solle die Sowjetunion eine Garantie für den Rheinpakt von Locarno und Frankreich eine Garantie für den Ostpakt übernehmen. Für dies System sei Zugehörigkeit zum Völkerbund Voraussetzung. Auch würden diese Staaten durch dies Paktsystem zu einer bestimmten Haltung im Völkerbund verpflichtet. Deutschland sehe zunächst grundsätzlich keine Möglichkeit, einem solchen Vertragssystem beizutreten, solange seine Gleichberechtigung auf dem Gebiete der Rüstungen noch von gewissen Mächten angezweifelt werde. Dieser Gesichtspunkt sei auch für die Frage von Deutschlands künftigem Verhältnis zum Völkerbund maßgebend. Auch könne Deutschland infolge seiner zentralen Lage inmitten [39] hochgerüsteter Staaten keine Verpflichtungen übernehmen, die es in einem östlichen Konflikt zum wahrscheinlichen Kriegsschauplatz machen würden. Für die im Paktsystem vorgesehenen Sondergarantien Frankreichs und der Sowjetunion liege kein reales politisches Bedürfnis vor. Andere Methoden der Friedenssicherung erscheinen der deutschen Regierung zuverlässiger, so z. B. zwei- oder auch mehrseitige Verträge, deren Schwerpunkt nicht auf der automatischen militärischen Unterstützungspflicht im Kriegsfalle, sondern auf der Nichtangriffsverpflichtung und auf der Verpflichtung der an einem Konflikt interessierten Mächte zur Konsultation liege. Diese Verpflichtungen ließen sich im Sinne friedlicher Kriegsverhütungsmaßnahmen sehr wohl zu realen Friedensgarantien ausgestalten, ohne daß damit die Gefahr ernster Komplikationen verbunden wäre, wie sie der jetzt von den anderen Mächten vorgeschlagene Unterstützungspakt sicherlich zur Folge haben müßte. (Vgl. Anlage 3.)

Mit diesem deutschen Memorandum vom 10. September, das die katholische Tijd in Amsterdam eine "ausgezeichnete diplomatische Leistung" nannte, war der Ostpakt bereits gerichtet. In Paris machte sich arge, zum Teil leidenschaftliche Verstimmung bemerkbar. Gegen besseres Wissen suchte ein Teil der Presse dem deutschen Führer friedensstörende, kriegerische Absichten unterzuschieben. Der polnische Außenminister Beck jedoch erklärte am 12. September in Genf dem Lordsiegelgeheimbewahrer Lord Eden, daß Polen endgültig beschlossen habe, sich nicht an dem Ostpakt zu beteiligen. Die drei Randstaaten schlossen sich dieser Auffassung an und vollzogen das in Riga paraphierte Bündnis. England beharrte jetzt umso fester auf seiner Forderung, der Ostpakt müsse gegenseitige Garantien für Deutschland auf dem Felde der Abrüstung enthalten, und so blieben allein als Ostpaktanhänger übrig Frankreich, Sowjetrußland und die Tschechoslowakei. Und mit zäher Verbissenheit hielt Barthou an seinem Plane fest. Wenn auch Deutschland ablehnte, nun, vielleicht war es doch noch möglich, Polen zu gewinnen, die ganze Kleine Entente, die Türkei, ja sogar Griechenland in das System einzubeziehen. Es war Barthous phantastischer Plan, ganz Osteuropa vom Weißen Meere bis zum [40] Mittelmeere in das System der französischen Friedenspolitik einzugliedern. Gewiß, den Polen traute man in Paris nicht. Am 20. September beschimpfte das Echo de Paris Polen, das kein Verbündeter Frankreichs mehr und ein Gegner des französischen Systems der Organisierung des Friedens sei. Tatsächlich bekannte sich Polen in seiner endgültigen Antwort vom 27. September zu Deutschland: solange das Reich nicht zustimme, sei auch Polen nicht für den Ostpakt zu haben; auch sei Polen nicht bereit, Litauen und der Tschechoslowakei gegenüber Verpflichtungen zu übernehmen; Nichtangriffspakte und zweiseitige Verträge seien vollauf genug, den Frieden in Mitteleuropa zu sichern. So hatte die junge deutsch-polnische Freundschaft in diesem Punkte segensreiche Frucht getragen. Barthou aber erlebte eine schwere Enttäuschung. Die mutige Tat Adolf Hitlers und der treue Beistand Polens hatten verhindert, daß die jahrzehntelange Politik der Unwahrhaftigkeit um ein neues bedenkliches Stück, nämlich den Ostpakt, vermehrt wurde.

  Rußlands Aufnahme  
in den Völkerbund

6.

Mit mehr Erfolg bemühte sich Frankreich, die Sowjetunion in den Völkerbund einzuführen. Moskau selbst wünschte lebhaft diese europäische Rückendeckung, weil im Fernen Osten Verwicklungen mit Japan drohten; dieses verhaftete nämlich Sowjetbeamte und plante Anfang September eine Besetzung der gesamten chinesischen Ostbahn. Am 7. September 1934 eröffnete Benesch die Ratssitzung, die in geheimer Arbeit in einer Vorabstimmung am Abend des 10. September einstimmig – Argentinien und Portugal wollten sich der Stimme enthalten – noch unverbindlich einen ständigen Ratssitz für das aufzunehmende Rußland beschloß. Am Vormittag des gleichen Tages hatte Benesch die 15. Vollversammlung des Völkerbundes eröffnet, an der sich die Vertreter von 52 Staaten beteiligten. Unter anderem begründete [41] Benesch in seiner Rede den bevorstehenden Eintritt der Sowjetunion damit, daß ohne deren Mitarbeit die Verhältnisse in Europa und in der Welt nie wieder normal werden könnten. Die Versammlung stand völlig unter dem Eindruck der französisch-sowjetrussischen Verbindung. Sprachen doch, wie Daily Expreß hörte, am Abend des 11. September französische Politiker bereits von der Möglichkeit eines Verteidigungsbündnisses zwischen Frankreich und Sowjetrußland – Gerüchte, die sich seit dem 20. September hartnäckig behaupteten und trotz aller Pariser Dementis noch verdichteten.

Die Einladung des Völkerbundes an Rußland vom 15. September, aus der erst noch einige den Russen nicht sympathische Punkte auf deren Antrag entfernt werden mußten, war von 30 Staaten unterzeichnet. Sie drückte deren Meinung aus, daß die Aufgabe der Organisation und der Aufrechterhaltung des Friedens, die den Hauptzweck des Völkerbundes darstelle, die Zusammenarbeit aller Staaten erfordere und daß deshalb die Sowjetunion eingeladen werde, in den Völkerbund einzutreten und ihm ihre wertvolle Arbeit zukommen zu lassen. Die skandinavischen Staaten und Finnland teilten Moskau auf diplomatischem Wege mit, daß sie zwar für die Aufnahme Sowjetrußlands in den Völkerbund stimmen würden, sich aber der offiziellen Einladung nicht angeschlossen hätten, weil sie nicht aus der Völkerbundsversammlung selbst hervorgegangen sei. Schweiz, Belgien, Portugal, Holland und Luxemburg beteiligten sich überhaupt nicht an ihr. Hartnäckigen Gerüchten zufolge lieferten die Genfer Juristen zugleich mit der Einladung den Russen den Text der von diesen zu erteilenden Antwort, aber diese Gerüchte sind nicht verbürgt.

  Rußland im Völkerbund  

Die Antwort der Sowjetregierung vom 15. September stellte mit Genugtuung fest, daß der Völkerbund die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion einsehe und daß diese sich verpflichte, Artikel I des Völkerbundpaktes zu beobachten; auch wolle die Sowjetunion das Schiedsgerichtsverfahren anerkennen für Vorgänge vom Zeitpunkte ihrer Aufnahme in den Völkerbund ab, jedoch nicht für Geschehnisse, die vor dem Eintritt zur Diskussion standen.

Aber die schon von Anfang an auftretenden Widerstände [42] gegen Rußlands Eintritt machten sich wieder bemerkbar. Polen und eine Anzahl kleinerer Staaten erhoben immer aufs neue Einwände, doch ohne Erfolg. Am gleichen 15. September beschloß der Völkerbundsrat mit knapper Zweidrittelmehrheit, mit 34 von 51 Stimmen, einen ständigen Ratssitz für Rußland. Am 18. September wurde die Sowjetunion in den Völkerbund aufgenommen. 38 Staaten stimmten mit Ja, die Schweiz, Holland und Portugal stimmten mit Nein, Belgien, Argentinien, Kuba, Luxemburg, Nicaragua, Peru und Venezuela enthielten sich der Stimme, überhaupt nicht anwesend waren Finnland, Panama, Paraguay und Siam. Das Ergebnis war also keineswegs übermäßig günstig.

Der schweizerische Bundesrat Motta begründete am 17. September in nüchternen Worten die bedingungslos ablehnende Haltung der Schweiz. Für Rußlands Eintritt in den Völkerbund stimmen heiße die diplomatischen Beziehungen zu Moskau wieder aufnehmen. Das sei nicht möglich wegen des bolschewistischen Regierungssystems, die Religionsfeindschaft und die Idee der Weltrevolution, die das Wesen des Bolschewismus darstellten, ließen Beziehungen der Schweiz zu Rußland unmöglich erscheinen. Ein großer Teil der Delegierten pflichtete dem schweizerischen Redner durch Beifall bei. Mit sehr matten Gründen suchte darauf Barthou die französische Haltung zu rechtfertigen: Wenn man Rußland zurückstoße, so werde die bolschewistische Propaganda erst recht gefährlich werden und sich gegen Europa richten. Wer das versuche, nehme eine schwere Verantwortung auf sich. Die Aufnahme der Sowjetunion liege im Interesse des Völkerbundes und des Friedens. Am Schlusse erklärte Barthou, England, Frankreich, Italien und Polen übernähmen die Verantwortung für Sowjetrußlands Aufnahme. Barthou wollte den Polen schmeicheln, indem er sie mit den drei Großmächten zusammen nannte und sie so auf die gleiche politische Basis mit ihnen stellte. Am folgenden Tage rühmte Litwinow, kühl von der Versammlung empfangen, vor einem immer mehr zusammenschmelzenden Kreis von Delegierten sprechend, die Freiheit und das Glück Sowjetrußlands in den rosigsten Farben, um dann die Friedensliebe seiner Regierung zu betonen. Mit diesen Worten in den Abendstunden des 18. September 1934 [43] war die Internationale der Weltrevolution in die Internationale der Demokratie eingegangen. Symbolisch war der Händedruck, den Litwinow und Barthou tauschten. Ein überstaatlicher Geist verband diese Männer, der, sei es mit der demokratischen Humanität, sei es mit der proletarischen Diktatur, vom Frieden sprach und den Krieg meinte. Die revolutionär-demokratische Idee von 1789, die sich seit 1848 in Liberalismus und Marxismus gespalten hatte, war wieder eins geworden, die Organisation ihrer neuen Einheit, ihr Treuhänder gewissermaßen, war der Völkerbund geworden. Wir Deutschen, die wir uns unserer völkischen Verantwortung bewußt waren, hatten seit Jahren diesen Zusammenschluß kommen sehen, der nur die natürliche Reaktion war gegen die Selbstbesinnung eines Volkes, das sich von den Fesseln der Internationalen von 1789 und 1848 befreit hatte.

  Genfer Sorgen  

7.

Von den anderen Problemen, die in Genf behandelt wurden, seien noch genannt die Saarfrage, die Abrüstungsfrage und die österreichische Frage.

Über die Saarfrage lese man in der Errichtung des Deutschen Führerreiches Bd. I, Seite 358 ff. nach.

Für die Abrüstung besaß man im Augenblick keinerlei Interesse, da man an eine Einigung nicht mehr glaubte. Die Meinungen gingen grundsätzlich auseinander. Frankreich verharrte auf seinem Standpunkt der einseitigen Abrüstung Deutschlands, England forderte allseitige Abrüstung, Italien war für eine bedingte Aufrüstung Deutschlands. Seit August 1934 verhandelte Frankreich mit Italien über eine Flottenvereinbarung. Im Hintergrunde der Besprechungen stand das Ziel einer künftigen politischen und militärischen Zusammenarbeit, die, von Frankreich aus, zu einer Entente gegen Deutschland werden sollte. Die Verhandlungen kamen nicht vom Fleck, sie scheiterten an der gegensätzlichen Auffassung beider Staaten über die deutsche Aufrüstung. Die französische Regierung hielt nach wie vor an ihrer Note vom 17. April fest, sie [44] weigerte sich, die "unter Mißachtung der Verträge vollzogene deutsche Aufrüstung" anzuerkennen. Italien wiederum hielt an seinem Memorandum vom 4. Januar fest. Barthou beschloß, am 10. Oktober selbst nach Rom zu fahren, und mit Mussolini zu verhandeln.

Die Schwierigkeiten erweckten in Barthou die Erkenntnis, daß die Genfer Abrüstungskonferenz keinen Sinn mehr habe. Henderson, der Vorsitzende der Abrüstungskonferenz, reiste bereits am 12. September aus Genf wieder ab, da er sich dort überflüssig fühlte. Denn zwischen Barthou und Henderson waren tiefe Gegensätze entstanden. Barthou erwartete von Genf ebenso wenig wie von Henderson. Er äußerte Mitte September, die Einberufung des Büros der Abrüstungskonferenz im November werde kaum mehr Zweck haben. Höchstwahrscheinlich werde Frankreich dafür eintreten, die ganze Abrüstungskonferenz zu beenden und die weitere Behandlung der Abrüstungsfrage dem Völkerbundsrat zu überlassen. Nach Barthous Meinung hatte Henderson versagt. Allerdings hatte Barthou nun nicht den Mut, in Genf seine Meinung selbst zu vertreten, da die Vorgänge des Frühjahrs noch allzufrisch in der Erinnerung waren. Was aber konnte es schaden, wenn man den neuen russischen Freund, den Neuling im Rate der alten Völkerbundsauguren, veranlaßte, einmal die Sache zur Sprache zu bringen? Und wirklich überreichte Litwinow dem Präsidenten der Völkerbundsversammlung, dem Schweden Sandler, am 26. September ein Schreiben, worin er bat, der Versammlung das bisherige Ergebnis der Abrüstungskonferenz mitzuteilen; der Völkerbund solle sich dann zum gegenwärtigen Stand der Abrüstungsfrage äußern. Das russisch-französische Manöver hatte jedoch lediglich Kenntnisnahme und Naserümpfen über dies "vorlaute" Benehmen zur Folge. Das kühne Wort der Erlösung wurde nicht gesprochen, aber die Konferenz wurde in mumifiziertem Zustand ad calendas graecas vertagt. In gewissem Sinne hatte ja Barthou mit diesem schlichten Begräbnis das erreicht, was er wollte. –

Dann war da noch ein Punkt, der alle Herzen bewegte: Österreich. Die verdunkelnden Hintergründe des Juliputsches (Vgl. "Errichtung des Deutschen Führerreiches" Bd. I, Seite 267) [45] ließen verschiedentlich die irrige Meinung oder den Verdacht aufkommen, als seien gewisse deutsche Stellen in irgend einer Weise an den Dingen beteiligt. Jedoch die versöhnliche und entschlossene Haltung, die der Führer sofort einnahm, erwies die Unhaltbarkeit dieser Ansichten und verhinderte, daß die Wiener Vorgänge sich zu einer europäischen Katastrophe auswuchsen.

Immerhin bewiesen gewisse Mächte für Österreich ein Interesse, das dem Geiste der Zeit seinen Tribut zollte und sich sozusagen paktmäßig äußerte. Allerdings hatten die drei, die das österreichische Problem anging, jeder etwas anderes im Sinne. Frankreich brauchte grundsätzlich das unabhängige Österreich, es war eine Chance mehr in der auf den Frieden Europas gerichteten Paktpolitik. Österreichs Regierung fühlte sich als der kleine, aber feste Fels, auf dem der politische Katholizismus seine neue europäische Zukunft begründen sollte. Bundeskanzler Schuschnigg war darauf bedacht, für seine Politik der Unabhängigkeit in Rom, Paris und Genf eine gemeinsame Plattform zu finden, für die er den Satz prägte: "Österreich ist lebensfähig, wenn man ihm erlaubt zu leben". (Genf, 12. 9. 1934.) Es war natürlich, daß er Paris näher stand als Rom, denn Mussolini erblickte in Österreich einen Teil des hadrianischen Imperiums, der in seiner Selbständigkeit nicht lebensfähig war, und richtete sein Verhalten entsprechend ein.

Einig waren die drei und mit ihnen die Tschechoslowakei lediglich in der Abwehr vermeintlicher deutscher Anschlußbestrebungen.

England verhinderte, daß die österreichische Sache in das bekannte Paktfahrwasser getrieben wurde. England war weder für einen Nichtinterventionspakt noch für einen abgeschwächten Garantiepakt mit Hilfeleistungsklausel zu haben. England war grundsätzlich für überhaupt nichts mehr zu haben, wodurch es auf dem Kontinent gebunden und vor eine Situation wie die im Juli 1914 gestellt werden könnte. Da auch Südslawien und Deutschland einem Donaupakt nicht geneigt waren, geriet dieser Plan ebenso in Erstarrung wie der um den Nordostpakt gesponnene.

[46] Die Genfer Völkerbundsversammlung vom September 1934 war nichts als die Bilanz eines großen Zusammenbruchs. England wollte die Ruhe, Deutschland, außerhalb des Völkerbundes stehend, forderte Frieden, Freiheit und Recht. An der Haltung der beiden Mächte scheiterten alle Versuche, Politik im Geiste der Vergangenheit zu machen. Frankreich kehrte in der Tat mit leeren Händen heim, sowohl was die Verbriefung der einseitigen deutschen Abrüstung für die Zukunft, wie auch was die Pakte, die Saar und Österreich betraf, es hatte nur einen Triumph gefeiert: Rußlands Aufnahme. Die Katastrophe des todmüden Geistes der Versailler Vergangenheit wurde durch diesen Vorgang nicht abgeschwächt oder verschleiert, im Gegenteil, sie wurde nur stärker betont und ins grellere Licht gerückt.

  Beginnende Neuordnung  
in Europa

8.

Dem oberflächlichen Betrachter möchte die Zeit von Mitte Juni bis Mitte September 1934, also im wesentlichen die Zeit zwischen den beiden Völkerbundstagungen, gleichsam als ein Vakuum in der internationalen Politik erscheinen, als eine Zeit, in der das Verneinen stärker ist als das Bejahen.

Das ist nicht richtig. Diese Sommermonate von 1934 sind eine Zeitenwende von allergrößter Bedeutung! Ein alter müder Geist, der sich weit von seiner Mittagshöhe in Versailles entfernt hat, liegt in den letzten Zügen, ein junger starker Geist schickt sich an, sein Recht in der Welt zu fordern.

Der alte Geist! Gewalt, Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit; sein Zuchtmeister auf der einen Seite eine politische Schule von Männern in Frankreich, die, hervorgegangen aus der Disziplin und Schule der freimaurerischen Ligue française de l'enseignement, mit dem Begriffe der internationalen Humanität das tyrannische Übergewicht einer Macht über die anderen Mächte verbindet, die von Frieden spricht, während sie den Krieg vorbereitet; sein Zuchtmeister auf der anderen Seite eine [47] Gruppe von Zerstörern in Rußland, die mit dem Begriffe der internationalen Diktatur des Proletariats die rücksichtslose Vernichtung sämtlicher Kulturen und völkischen Höhenwerte verbindet, die von Freiheit spricht, wahrend sie menschenunwürdige Knechtschaft vorbereitet. Imperialismus und Bolschewismus – zwei Reiser von gleicher artfremder Wurzel, erfüllt und rastlos vorwärtsgetrieben vom unsteten, vagabundierenden Element des Judentums, das sich seit je am großen Ringen der Völker Europas nur insoweit interessierte, als es deren Vernichtung zum Ziele hatte; diese destruktiven Mächte kennen keinen Willen zum Aufbau, sie kennen nur die Vernichtung. Fern von den Schlachtfeldern, auf denen neben grenzenloser Zertrümmerung in den Herzen der Kämpfenden ein heiliger Glaube an Auferstehung, ein fester Wille zu ernstem und edlem Aufbau und Neuschöpfung lebte, begann dies Unkraut zu wuchern und alles unter sich zu ersticken, was irgendwie zur Ehre und zum Rechte der Völker Beziehung hatte.

Von den beiden Brennpunkten Genf und Moskau aus wirkte der unduldsame Geist der Gewalt, selbst nicht mutig genug, ins helle Feuer des Kampfes zu treten, aber andere, Ahnungslose, Unschuldige in den Kampf hetzend und vernichtend. Es war nicht der Geist, der denjenigen, die sich zu ihm bekannten, befahl, daß sie zu ihrem Worte und zu ihrer Ehre stünden. Er ging auf Umwegen und Schleichwegen, er huschte durch Hintertüren. In den dunklen Kaschemmen der Großstädte wurden Moskaus Gifteier ausgebrütet. Durch die wilden Dschungeln der europäischen Politik schlichen mit leisen Sohlen die Söhne des Tigers auf den vielgewundenen und verworrenen Raubpfaden der Pakte. Weder die Kaschemmen noch der Dschungel ward je vom graden Strahl der Sonne erhellt und erwärmt.

Der Geist der völkischen Wahrheit, der völkischen Ehre und des völkischen Rechts, der den Frontkämpfern aller Nationen auf den blutigen Schlachtfeldern aller Himmelsstriche vier Jahre lang eingeprägt worden ist, ist genau das Gegenteil des Geistes der Gewalt. Er ist der Geist völkischer Pflichterfüllung in vorderster Kampffront wie in vorderster Friedensfront. So war Europa in zwei Lager geteilt: das imperia- [48] listisch-bolschewistische, das die Front gemieden hatte und den Krieg dennoch brauchte, um seine Ziele der Zerstörung und Verwirrung zu erreichen, und das frontsoldatische, das in der vordersten Schlachtlinie treu bis zuletzt gekämpft hatte und eben gerade darum den Frieden als Quelle des schöpferischen Aufbaues über alles liebte, aber nicht den feigen Frieden der Gewalt, sondern den mutigen Frieden des Rechtes.

Man kann, wenn man so will, auch von einer Internationale des Frontsoldatentums sprechen. Internationale nicht in dem Sinne der imperialistischen, pazifistischen, bolschewistischen, die mit Hilfe äußerer, mechanischer Methoden der materiellen Gewalt sich durchzusetzen versuchen, sondern einer seelischen Internationale, die sich auf die Anerkennung und Achtung des völkischen Rechtes und der völkischen Ehre der andren gründet! Wollte man in Versailles, in Genf und Moskau nur das eigene Recht und die eigene Macht gelten lassen, dann war das Frontkämpfertum aller Völker von der sozialistischen Solidarität des Rechts und der Ehre des anderen erfüllt. Das war schlicht und schnurgerade. Da gab es keine Windungen, keine krummen Schleichwege. Ein Frontsoldat, der nicht ritterlich genug denken konnte, seinem tapferen Gegner von einst in den letzten entscheidenden Dingen dasselbe Recht einzuräumen, das er selbst beanspruchte, in der Gesamthaltung dieselbe Ehre zuzugestehen, die er selbst forderte, hätte sich seiner Feigheit vor sich seihst schämen müssen.

Fünfzehn Jahre lang vermochte sich die Sinnesweise des Frontsoldatentums nicht durchzusetzen. Die anderen waren stärker. Selbst ein so ritterlicher Mann wie der Marschall Pilsudski in Polen mußte sich, häufig genug wider eigenen Willen, in den verflossenen Jahren der imperialistischen Gegenströmung fügen. Ein Mann erst mußte aufstehen, der den über den Völkern Europas lagernden Bann brach, der mutig die versöhnende Weltanschauung des Frontkämpfertums, die ehrlich den Frieden will, die niemals den Krieg will, um die eigenen Grenzen, die eigene Macht zu erweitern, sondern die das Recht der Waffen höchstens in der Notwehr, in der Pflicht der Selbstbehauptung fordert, über Imperialismus und Bolschewismus zum Siege führte.

[49] In Deutschland stand dieser Mann auf. Es war der Frontsoldat Adolf Hitler, der die Neuordnung des deutschen Volkes und Reiches nach den strengen Tugenden des soldatischen Geistes durchführte. Es war Hitlers Bestimmung, daß er, indem er Deutschland revolutionierte, hier mit dem Willen der völkischen Ordnung, der völkischen Ehre und des völkischen Rechtes die international-jüdische, pazifistisch-marxistische Gewaltherrschaft, die demokratische Diktatur überwand, notgedrungen auch das politische System des ganzen Europas dadurch in neue Bahnen lenken mußte.

Er begann die Fronten klar zu scheiden, indem er im Oktober 1933 aus dem Völkerbunde austrat und die Übereinstimmung des deutschen Volkes mit diesem Entschluß herbeiführte. Unmittelbar darauf schlug er eine empfindliche Bresche in das politische System Europas, indem er das von Marschall Pilsudski geschaffene Polen aus der Reihe der Gegner Deutschlands herausholte und mit Deutschland verband, im Januar 1934 (vgl. Errichtung des deutschen Führerreiches, Bd. I Seite 119 ff.). Seine dritte Tat war die schonungslose Aufdeckung der tiefen Unwahrhaftigkeit der Genfer Abrüstungskonferenz, welche die stürmischen Monate der ersten Hälfte des Jahres 1934 ausfüllten (vgl. a. a. O. S. 120-170). Dabei war Hitler stets noch von dem hoffenden Bemühen bewegt, die Konferenz vielleicht doch noch zu einem glücklichen Ende zu führen. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Abrüstungskonferenz brach im Juni 1934 innerlich zusammen, weil sie nicht von Versailles lassen konnte. Es war interessant zu sehen, wie die einzelnen Mächte auf diese Katastrophe reagierten: England fügte sich ins Unvermeidliche und betrieb Aufrüstung im schnellsten Tempo, Frankreich suchte sein Netz der Pakte fester zu knüpfen, Italien schickte sich an, den Donauraum fest in seine Gewalt zu bekommen, Deutschland antwortete mit dem Frontkämpferruf von Rudolf Heß.

Den Schlußstrich unter diese Entwicklung zogen die drei Sommermonate von Mitte Juni bis Mitte September 1934. Sie brachten, wie wir sahen, den Zusammenbruch der "Abrüstungs"politik und der französischen Paktpolitik auf der ganzen Linie, sie brachten den Zusammenbruch des Versailler [50] Systems in jener Verzweiflungstat, der Aufnahme Sowjetrußlands in den Völkerbund. Aber zugleich bilden diese drei Monate den Anfang und Ausgangspunkt einer unerhört kühnen Politik des Führers, der mit dem Elan des reinen Gewissem und des geläuterten Willens, d. h. mit dem Mute zum wahren Frieden der Freiheit, Ehre und Gleichberechtigung binnen kürzester Zeit das Deutsche Reich auf die Höhe seiner Gleichberechtigung und Souveränität emporführte.

Hier noch zwei Zeugnisse, wie tief die Wahrheit Hitlers bereits in anderen Völkern zu wirken begann. Anfang September hatte der Reichsleiter Alfred Rosenberg mit dem amerikanischen Zeitungsbesitzer William Randolph Hearst eine Unterredung in Bad Nauheim. Dieser sagte, daß heute die meisten Nordamerikaner glaubten, die Vereinigten Staaten seien besser daran gewesen, wenn sie nicht in den Krieg eingetreten wären; er sei sicher, daß sich die Vereinigten Staaten vom nächsten Krieg fernhalten würden. "Ihr in Europa könnt den nächsten Krieg für euch allein führen, und ich glaube nicht, daß dann viel von Europa übrig bleiben wird." Hearst schloß seine Ausführungen: "Der erste notwendige Schritt für den Frieden ist das Verlangen nach Frieden und die Basis des Friedens muß Gerechtigkeit sein."

Während in Genf die Sowjetunion in den Völkerbund aufgenommen wurde, schrieb Lord Snowden am 17. September in der Daily Mail:

      "Es wird keine Anstrengung gemacht, die Beschwerden gewisser Länder zu berücksichtigen, die, solange ihnen nicht abgeholfen ist, den Frieden Europas gefährden. Anstatt zu versuchen, diese Ungerechtigkeiten wieder gutzumachen, beschäftigen sich die Mächte, die die Urheber dieser Ungerechtigkeiten sind, damit, Bündnisse zu schließen, um die Ungerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Dieser Weg führt unmittelbar zu einem neuen Krieg. Die Hauptursache der europäischen Unruhe ist im Versailler Vertrag und in den Verträgen zu suchen, die zur Zerstückelung Österreich-Ungarns führten. Bevor diese Verträge nicht revidiert sind, wird es in Europa keinen Frieden geben. Inzwischen verschlimmert die Politik Großbritanniens, Italiens, Frankreichs und der Kleinen Entente neuerdings anscheinend mit Unterstützung Rußlands [51] die Lage. Sie gibt den gekränkten Nationen jeden Grund zu dem Glauben, daß ein vereinbarter und entschlossener Wille besteht, sie mit Gewalt in Unterwürfigkeit zu halten... Wenn Deutschland zu dem Versuche getrieben würde, seine Rechte mit Waffengewalt zu gewinnen, so würde die Schuld nicht ausschließlich bei Deutschland, sondern in der Hauptsache bei den Mächten liegen, die durch Versagung der Gleichheit Deutschland den Glauben und die Hoffnung auf etwas anderes als seine eigenen Waffen geraubt haben."

Wenn hin und wieder vor 1933 solche Stimmen im Ausland gehört wurden, dann hatten sie wenig Wert, weil das Reich, zu dessen Gunsten sie sprachen, keine innere Kraft besaß. Jetzt, wo Hitler dem Volke und Reiche der Deutschen ein neues moralisches Rückgrat aus soldatischer Kraft gegeben hatte, da stieg der Wert solcher Stimmen aufs Höchste, denn sie waren an ihrem Teile Künderinnen einer neuen Zeit. Aus diesem Grunde war auch der Empfang der Auslandsdiplomaten, den der Führer am 12. September 1934 im Reichspräsidentenpalais veranstaltete im Anschluß an die Führerwahl, mit den dabei gewechselten Reden ein bedeutsamer Markstein in der Entwicklung, in der sich Europa im Augenblick befand. Der Doyen des diplomatischen Korps, der Apostolische Nuntius Monsignore Cesare Orsenigo, hielt eine kurze Ansprache, deren Höhepunkte folgende Sätze waren:

      "Wir wissen wohl, daß man nur durch das Erstarken des Geistes der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe in der Welt zur Befriedung der Völker gelangen kann. Und wir sind glücklich darüber, daß Eure Excellenz zu wiederholten Malen die Erklärung abgegeben haben, daß Deutschland, im Herzen Europas gelegen, fest entschlossen ist, ein wirksamer Faktor des Friedens zu sein."

Der Führer antwortete mit einer Ansprache, deren Kernstück den Inhalt der deutschen Außenpolitik folgendermaßen charakterisierte:

      "Auch heute und vor Ihnen, meine Herren Vertreter der fremden Staaten, erkläre ich, daß es das unverrückbare Ziel meiner Politik ist, Deutschland zu einem festen Hort des Friedens zu machen. Nicht Macht und Gewalt sollen die Beziehungen unter den Völkern bestimmen, sondern der Geist der Gleichberechtigung sowie die Achtung [52] vor der Arbeit und Leistung eines jeden anderen Volkes. Unter dem Schutze des Friedens werden ich und mit mir die Reichsregierung alle Kräfte der seelischen Wiederaufrichtung unseres unter den Nöten des Krieges und der Nachkriegszeit fast zusammengebrochenen Volkes, der inneren Neuordnung unseres Reiches und der Überwindung seiner wirtschaftlichen und sozialen Not widmen. Wenn wir diese Aufgaben zu lösen vermögen – und wir werden sie lösen –, so dient Deutschland nicht nur sich selbst, sondern der ganzen Welt, und es trägt damit zu seinem Teil bei zum Wohle und zum Fortschritt der Menschheit. Zu diesem Werke, das hoffen wir zuversichtlich, wird uns der Segen der göttlichen Vorsehung, den Sie, Herr Nuntius, in so warmen Worten für uns anrufen, nicht versagt sein!"

Damit hatte der Führer in einem Augenblick, da die Lage Europas voller Gefahren war wie noch nie, erneut den Friedenswillen Deutschlands verkündet. Er hatte die Richtung gegeben, in der auch seine Mitarbeiter wirkten. Der Außenminister von Neurath betonte in zwei Reden am 13. und 19. September die deutsche Friedensliebe. Göbbels erklärte am 19. September, daß das deutsche Volk keine Revanche- und Kriegsgelüste hege, während am gleichen Tage der Intransigeant in Paris eine Unterredung mit Rudolf Heß veröffentlichte, worin dieser mit starker Betonung auf Hitlers Friedensliebe und seinen Wunsch nach einer Verständigung mit Frankreich hinwies.



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra