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[Bd. 8 S. 171]

5. Kapitel: Der Kampf um die Saarabstimmung.

  Zustände an der Saar  

1.

Die letzten fünfzehn Monate waren für die Saardeutschen eine Nervenprobe von ganz ungeheurem Ausmaße. Durch das Versailler Diktat war an die Spitze des unter Völkerbundsverwaltung gestellten Saargebietes die Saarregierungskommission gesetzt worden, deren, wenn auch nicht öffentlich bestimmte, so doch eigentliche Aufgabe es war, Saardeutschland an Frankreich auszuliefern.

Seit dem 30. Januar 1932 stand an der Spitze der Saarregierung Geoffrey George Knox, der aus dem englischen diplomatischen Dienst hervorgegangen war. Er trieb eine einseitig frankreichfreundliche Politik, die in offener Bedrückung der Deutschen nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler ausartete. Ganz schlimm wurde diese Regierungspolitik seit dem Herbst 1933.

Es war ganz selbstverständlich, daß der Sieg des Nationalsozialismus auch an der Saar das völkische Bewußtsein der Deutschen erhöhte. Der Zusammenbruch des Parteiwesens, insbesondere des Marxismus, ließ sich nicht mehr aufhalten. Trotzdem versuchte die Regierungskommission mit allen Drangsalen und Schikanen den Vormarsch des Nationalsozialismus zu verhindern. Nur ein kurzer Überblick über die Regierungspolitik vom Februar bis Juni 1933: am 2. Februar: Vorgehen gegen freiwilligen Arbeitsdienst, 3. März: Verbot aller öffentlichen und nichtöffentlichen politischen Versammlungen, 26. März: Verbot der Sprechabende der NSDAP., 21. April: zwangsweise Einholung der Reichsflagge, 25. April: Verbot der Teilnahme am Tag der nationalen Arbeit für die Beamten, 27. April: Verbot der Saarpresse auf zwei Wochen, 26. Mai: Verbot der Veranstaltungen und des Fahnenhissens zu Schlageters zehnjährigem Todestage; 2. Juni: neues Vereinsgesetz, das die Rechtlosigkeit der Saarbevölkerung in ein- [172] schneidender Weise festlegt und den Aufbau der Arbeitsfront verhindert, 7. Juni: Auflösung der NSBO., 29. Juni: Neue Serie von Zeitungsverboten. Die Bevölkerung aber, die nun anderthalb Jahrzehnte unter der Herrschaft der Fremden geschmachtet hatte, die die rücksichtslose Vergewaltigung nicht nur durch die Regierungskommission, sondern auch durch den an der Spitze der zunächst an Frankreich geratenen Saarkohlengruben stehenden Direktor Guillaume und seinen Gehilfen Rossenbeck über sich ergehen lassen mußte, die jederzeit gewärtig sein mußte, von ehrlosen Spitzeln und Verrätern hinterrücks angefallen zu werden, begann sich entschlossener denn je den französischen Methoden zu widersetzen.

Die beiden Mittelpunkte der Gewaltherrschaft waren die Regierungskommission des Völkerbundes und die französische Grubenverwaltung, die Brücke zwischen beiden bildete der Saarminister Morize. Dieser Mann, Schwiegersohn des früheren Saarpräsidenten Rault, vereinigte in seinen Händen alle Fäden antideutscher Politik. Er übte seinen Einfluß auf die Grubenverwaltung aus durch den ihm befreundeten Generaldirektor Octave Raspail, den Vorgesetzten Guillaumes; er drangsalierte die Bevölkerung mit Hilfe der Polizeigewalt durch seine Kreatur Heimburger; er bahnte korrupten marxistischen Emigranten des Saargebiets den Weg zu Barthou und Doumergue; er war das gefügige Werkzeug der französischen Schwerindustrie. Er hatte Beziehungen zu Theodor Laurent, dem Vizepräsidenten des Comité des Forges, und über dessen Mitarbeiter Artur Bommelaer, Generaldirektor der "Société Alsacienne de Constructions mécaniques", geheime Verbindungen zu Tardieu und Poincaré. Dieser Morize war wirklich eine sehr wichtige Person: er war der Mittelpunkt jener Front, die von Poincaré und Tardieu, Doumergue und Barthou, Laurent und Bommelaer, Raspail und Guillaume über Rossenbeck und Heimburger, Loriot und Rietzel bis zu Matz Braun und seiner Verräterklique reichte! Und dieser Regisseur des Saarseparatismus saß als maßgeblicher Minister und zugleich als Schutzpatron für alle Landesverräter in der Saarregierung. [173] Er war in Wahrheit der eigentliche Saarregent. – Guillaume, der gewaltige Schirmherr der "Association Française de la Sarre" und seiner Untergruppe, des Saarbundes, und seine Spitzel, marxistische Emigranten und Separatisten, übten einen wachsenden Druck auf die deutsche Bevölkerung aus, daß sie ihre Kinder in die ursprünglich für französische Beamtenkinder eingerichteten französischen "Domanialschulen" schickte. Ein Beamter, Angestellter und Arbeiter, der diesem Drucke nicht nachgab, war so gut wie sicher, daß er Stellung und Brot verlor, und viele deutsche Eltern fügten sich aus diesem Grunde dem französischen Verlangen, insbesondere, da sie von ehrlosen Spitzeln aus ihren eigenen Reihen, Bergleuten, Steigern, beobachtet und denunziert wurden. Viel Herzensnot zog auf diese Weise in die deutschen Familien ein, viel Kummer und Friedlosigkeit war die Folge davon, daß die Kinder der deutschen Schulen mit Verachtung sich abwandten von jenen deutschen Kindern, die von ihren Eltern auf eine französische Domanialschule geschickt wurden. Hier war keine Regierungskommission des Völkerbundes zu finden, welche das Recht der wehrlosen Deutschen gegen die französische Macht verteidigt hätte! In den Augen von Knox war Saardeutschland ein zweites Irland, seine Handlungen wenigstens bewiesen es. Um so entschlossener half sich das Volk selbst. Hier zeigte sich das mannhafte Bekenntnis der Saardeutschen zu ihrem Vaterlande am allerdeutlichsten: Von den 120 000 Schulkindern der 45 000 Bergmannsfamilien besuchten nur 2000 die Domanialschulen, die Zahl hat in den Jahren von 1919 bis 1932 überhaupt 5000 nicht überschritten. Der französische Druck hatte also keinen nennenswerten Erfolg gehabt.

  Bedrängung der Saardeutschen  

Ein Licht auf diese Zustände wirft der Prozeß gegen den Kommerzienrat Röchling. Dieser hatte im September 1933 ein Flugblatt verteilen lassen, das sich gegen die Regierungspolitik und den Schulzwang richtete: Eine Verordnung der Regierungskommission vom 6. April 1922, die den Kindern den Besuch der französischen Schulen gestattete, sei unzulässig. Die deutschen Bergleute sollten dem auf sie ausgeübten völkerrechtswidrigen Zwang begegnen mit dem Hinweis, [174] daß es keineswegs die Aufgabe der französischen Grubenverwaltung und der Saarregierung sei, sie zu zwingen, ihre Kinder in die Schulen der Franzosen zu senden. Röchling wurde noch im Herbst 1933 und in der Berufungsverhandlung im Februar 1934 mit einigen "Mittätern", die den Druck und die Verteilung des Flugblattes besorgt hatten, wegen "Aufreizung" der saarländischen Bevölkerung zu hohen Geldstrafen verurteilt. Er teilte das Schicksal aller deutschen Menschen, die sich der giftigen Hintertreppenpolitik zu widersetzen wagten. Jedoch war es Röchling gelungen, auf Grund einwandfreier Zeugenaussagen den gewalttätigen Druck der französischen Grubenverwaltung auf die Deutschen zugunsten der französischen Schule zum erstenmal gerichtlich feststellen zu lassen. Es war so, daß die Kreaturen Guillaumes die deutschen Arbeiter und Angestellten vor die Wahl stellten, mit ihren Familien entweder zu hungern oder ihr Vaterland zu verraten.

Durch die französische Verwaltung, die mehr Raubbau als sinnvolle Wirtschaft trieb, sank das Saargebiet auch von seiner technischen und wirtschaftlichen Höhe. Röchling sagte einmal darüber:

      "Die Gruben sind in der technischen Entwicklung zurückgeblieben; an den wichtigsten Stellen sind die notwendigsten Ausgaben zur Aufrechterhaltung der dauernden Lebensfähigkeit der Gruben nicht gemacht worden. Wo Geld ausgegeben wurde, ist meistens infolge mangelnder Ingenieurkunst fehl investiert worden. Kurzum: ein technischer wirtschaftlicher Tiefstand, infolgedessen schlechte Ware, hohe Selbstkosten, schlechte Geschäftsergebnisse und Schwierigkeiten auf allen Absatzmärkten."

Eine Feststellung, die durch ihre Nüchternheit Herrn Guillaume stark erregte, die aber dadurch noch schwerer wog, daß die betriebstechnische Vernachlässigung eine ständig wachsende Gefahr für das Leben der Bergleute selbst darstellte.

Der verbissene Stellungskrieg zwischen Knox und den Franzosen einerseits und den Saardeutschen andererseits setzte, wie gesagt, ausgangs 1933 mit voller Stärke ein. Das Tragen von Partei-, SA.- und SS.-Abzeichen wurde von Knox unter Strafe gestellt. Er zog in wachsendem Maße die aus Deutsch- [175] land geflohenen marxistischen Emigranten an sich, bekleidete sie mit hohen Polizeiposten und ließ sich von ihnen nachdrücklich beraten, wie man die Deutschen am besten knebeln könne. So wurden am 1. Dezember 1933 die Kriminalassistenten Lehnert und Lauriot, der Kriminalkommissar Machts, der frühere Oberregierungsrat Ritzler und der frühere Regierungsrat Danzebrink, Beamte, die sämtlich im Reich fristlos entlassen waren und zum Teil von der Staatsanwaltschaft gesucht wurden, weil sie Beziehungen zu französischen Spionagestellen unterhielten, in maßgebliche Stellungen gebracht. Der französische Direktor des Innern, Heimburger, der ein sehr guter Freund von Knox war, bevorzugte diese Subjekte noch ganz offensichtlich, indem er ihnen die fünffache Weihnachtsgratifikation zahlte von dem Betrage, den die übrigen Beamten der Landeskriminalpolizei, und diese auch nur zum Teil, erhielten.

Die marxistische Emigrantenpresse gefiel sich seit Monaten darin, den deutschen Reichskanzler Adolf Hitler und den Reichspräsidenten in der unflätigsten Weise zu beschimpfen, ohne daß Knox eingegriffen hätte. Die Deutschen waren sehr langmütig, aber Mitte November 1933 sah sich die Landesratsfraktion der Deutschen Front doch genötigt, sich über diese Zustände beim Völkerbunde zu beschweren. Sofort nahm Knox diesen Vorgang, den er als eine "Aufreizung der Bevölkerung" bezeichnete, zum Anlaß, um ausnahmslos jede nationalsozialistische Versammlung, alle nationalsozialistischen Abzeichen und Fahnen zu verbieten. Der Landesrat der Saar lehnte zwar mit Ausnahme der Marxisten die neuen Gewaltverordnungen ab, aber Knox setzte sie dennoch in Kraft. Dem Völkerbunde gegenüber rechtfertigte er sich, von den Emigranten Ritzler und Lehnert beraten, mit der Behauptung, die nationalsozialistischen "Terrorakte" hätten im letzten Vierteljahr 1933 sehr zugenommen, täglich liefen darüber Klagen aus den verschiedensten Teilen der Bevölkerung ein; geschlossene Versammlungen seien zwar grundsätzlich erlaubt, doch seien sie verboten für die "extremen" Parteien der Nationalsozialisten und der Kommunisten (seit April 1933). Allerdings versuche die NSDAP. das Verbot durch Elternabende und Heimatabende zu um- [176] gehen, und deshalb seien scharfe Maßnahmen nötig. Die Regierungskommission habe nichts zu bereuen oder abzuschwächen, sie vertraue vielmehr auf die Unterstützung des Völkerbundes. – Von nun an verdoppelte Knox seine Anstrengungen, marxistische Emigranten an einflußreiche Stellen der Saarpolizei zu bringen.

Der Kampf zwischen den Saardeutschen und Knox und seinen Emigranten nahm Anfang 1934 immer erbittertere Formen an. Natürlich schwieg die Deutsche Front nicht, sondern antwortete dem Völkerbundsrat auf die Vorwürfe von Knox mit einer Denkschrift; darin führte sie folgendes aus: alle Terrorakte gingen von Kommunisten, Autonomisten und Separatisten aus, während die Nationalsozialisten meist nur wegen angeblichen Tragens von Uniformstücken vor Gericht stünden; es solle zugegeben werden, daß einzelne Entgleisungen vorkämen, dann müsse man aber auch sagen, daß Staatsrat Spaniol, der Führer der NSDAP. im Saargebiet, alle diese Entgleisungen aufs rücksichtsloseste ahnde und jegliche Übergriffe unterdrücke. Es sei nicht statthaft, daß Knox gerade dies verschweige, vor allem aber sei es zu verurteilen, wenn er die nationalsozialistische Bewegung auf eine Stufe stelle mit dem kommunistischen Moskowitertum! Alle wichtigen Verwaltungsposten seien fast ausnahmslos von französischen Beamten besetzt; der englische Präsident der Regierungskommission sehe alle Dinge durch die französische Brille und stelle nur Emigranten ein; die Regierungskommission werde sich damit abfinden müssen, daß sie im Saargebiet eine geschlossene deutsche Bevölkerung unter einheitlicher deutscher Führung zu regieren habe, die zu 99% das "demokratische" System der Völkerbundsregierung ablehne. Die Regierungskommission werde den Vorwurf der Neutralitätsverletzung auf sich nehmen müssen, solange sie einseitig die Politik der aus Deutschland geflüchteten nichtabstimmungsberechtigten Emigranten unterstütze; das saarländische Mitglied der Regierungskommission, Koßmann, habe es abgelehnt, die Verantwortung für den letzten Vierteljahresbericht, die Novemberverordnungen und die Erwiderung der Regierungskommission auf die Denkschrift der Deutschen Front zu tragen. Die Denkschrift schloß mit der Bitte, der Rat möge Zustände herbei- [177] führen, die dem Interesse des Saarlandes wie dem Ansehen des Völkerbundes dienen.

Doch Knox ließ sich gar nicht stören. Er versuchte den immer stärker werdenden Unwillen der Bevölkerung durch immer schärfere Maßnahmen zu knebeln. Nach Genf schickte er einen Brief, worin die Zustände im Saargebiet als außerordentlich bedenklich geschildert wurden. Es schien hiernach so, als könne stündlich durch die Schuld der Nationalsozialisten im Saargebiet Revolution und Chaos ausbrechen. Unterstützt wurde die sonderbare Beweisführung durch die von Matthias (Matz) Braun aus Neuß am Rhein geleitete Bewegung der Saarseparatisten, von der drei verschiedene Gruppen Denkschriften nach Genf schickten. Zwei Punkte waren hier besonders wichtig: erstens wollten die Separatisten infolge der "täglich unsicherer werdenden Zustände", natürlich infolge der "Hetzarbeit der Nationalsozialisten", die Abstimmung auf mehrere Jahre verschieben, zweitens sollte das saarländische Regierungsmitglied Koßmann, der "nicht aktiv genug gegen die Deutschen vorgehe", durch den marxistisch-jüdischen Rechtsanwalt Dr. Sender in Saarbrücken ersetzt werden.

In den separatistischen Kreisen um Knox nahm jetzt eine unsinnige Idee Form an: man behauptete nämlich, aus dem Reiche kämen zahlreiche Personen ins Saargebiet, um hier Terror zu verüben und die Bevölkerung zu bespitzeln. Ein solches Treiben gefährde die Abstimmung und die Sicherheit aller "Nichtgleichgeschalteten". Da gebe es nur drei Möglichkeiten: entweder Verschiebung der Abstimmung auf unbestimmte Zeit, oder Besetzung durch internationale Polizei oder schließlich Besetzung durch französische Truppen. Obwohl Knox und die Separatisten sehr wohl wußten, daß Adolf Hitler täglich die strengste Disziplin forderte, jede Einmischung von Amts-, Partei- und Privatpersonen in die saarländischen Angelegenheiten rücksichtslos mit Strafen bedrohte und immer wieder erklärte: die Saarländer führen ihren Kampf allein, unterließ es Knox nicht, Mitte Februar beim neugegründeten und aus Aloisi, Cantillo (Argentinien) und Madariaga (Spanien) bestehenden Dreierausschuß kurz und bündig zu verlangen, daß die saarländische Polizei durch internationale Truppen ver- [178] stärkt werde. Allerdings, der Dreierausschuß war durchaus nicht gewillt, das Saargebiet wie eine Kolonie oder wie Irland zu behandeln, er lehnte zunächst eine Antwort an Knox ab und vertagte sich bis Mitte März.

Die Politik, die in dem Dreimännerverein Knox, Guilleaume und Matz Braun gemacht wurde, spitzte sich auf das Ziel zu, zu verhindern, daß das Saargebiet an Deutschland zurückfalle. Guilleaume vertrat hierbei die Interessen des französischen Großkapitals und der französischen Schwerindustrie, die in und nach dem Kriege bereits Poincaré, Ribot, Clemenceau verteidigt hatten. Matz Braun dagegen nahm das Interesse des Marxismus wahr, und dies gipfelte darin, das Saargebiet als Zufluchtsstätte der emigrierten Marxisten so lange von Deutschland fernzuhalten, als in Deutschland Adolf Hitler und der Nationalsozialismus die Politik bestimmten. In der Tat, eine ungleiche und in sich widerspruchsvolle Koalition zwischen Kapitalismus und Proletariat, das Bündnis zwischen Guilleaume und Braun!

Unterdessen wurden die Saardeutschen weiter schikaniert. Am Tage der nationalen Erhebung durften sie nicht flaggen. Eine Woche später wurde wieder einmal der gesamten nationalsozialistischen Presse das Erscheinen untersagt. Das Tragen des Stahlhelmabzeichens wurde Mitte Februar verboten. Die Jagd auf die aus dem Reiche einreisenden Träger der Abzeichen der SA., der SS. und der NSDAP. wurde verschärft. So stellte die Grenzgendarmerie in der mittleren Februarwoche an einer saarländischen Grenzstation 24 Personen fest, die mit Hoheits-, Partei- und SA.-Abzeichen ins Saargebiet eingereist waren.

Aber weder Nadelstiche noch Keulenschläge konnten die Saardeutschen ihrem Vaterlande und Volke abwendig machen. Im Gegenteil, stärker und unzertrennlicher denn je schlossen sie sich zusammen. Anfang Juni 1933 nahte der Zusammenbruch des Marxismus, aber durch das Vereinsgesetz der Regierungskommission war der Aufbau der Arbeitsfront unmöglich gemacht worden. Da nun aber durch die Beseitigung des marxistischen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, des christlich-nationalen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Hirsch-Dunckerschen Deutschen Gewerkschaftsringes in [179] Deutschland auch den Gewerkschaften des Saargebiets die Spitzenorganisationen genommen waren, gingen diese dazu über, sich eine neue, einheitliche Spitzenorganisation nicht wirtschaftlicher, sondern betont nationaler Richtung zu begründen. So wurde am 11. Oktober 1933 die "Deutsche Gewerkschaftsfront Saar" gegründet; die umfaßte 11 Arbeiterverbände, 7 Angestelltenverbände, 3 Staatsbedienstetenverbände und 3 Frauenverbände, die vorher allen drei gewerkschaftlichen Richtungen angehört hatten, jetzt aber im Bewußtsein ihrer großen und heiligen nationalen Mission in einem Bund sich zusammengeschlossen hatten. Ein kleiner Rest des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, der in der Folgezeit immer mehr zusammenschmolz, verblieb in der neugebildeten, aber nicht lebensfähigen "Freien Gewerkschaftsfront".

  Die "Deutsche Front"  

So war der erste große Schritt zur nationalen Einigung aller Deutschen unter dem einen großen Willen zum Reich getan. Der tatkräftigen Führung der deutschen Saarvereine, die in gewaltigen Kundgebungen wie der am 18. Februar 1934 zu Koblenz den Willen zum Reiche über den Parteien hinweg schmiedeten, gelang alsbald der zweite Schritt. Am 1. März 1934 gingen alle Parteien in der "Deutschen Front" auf.

Landesleiter Jakob Pirro.
[Bd. 8 S. 240a]
Landesleiter Jakob Pirro.
Photo Scherl.
Unter Glockengeläut und wehenden Fahnen begruben die Saardeutschen allen Parteihader, sie unterstellten sich jener großen zusammenfassenden Organisation, die vom Landesleiter Pirro geführt wurde, und selbst die ehemaligen Marxisten wollten nichts mehr wissen von der franzosenfreundlichen Politik der durch die Emigranten beeinflußten Freien Gewerkschaftsfront. Nur ein kleines Häuflein Sozialdemokraten und Kommunisten blieben zurück im Banne der Emigrantenbonzen.

Dieser Zusammenschluß aller Deutschen angesichts einer feindlichen Regierung war eine wahrhaft großartige Tat deutschen Bekennermutes. Alle Zeitungen – mit Ausnahme natürlich der landesverräterischen, brachten den Aufruf der Deutschen Front, der so lautete:

      "Deutsche Männer und Frauen! Mit dem heutigen Tage geht der Wunsch in Erfüllung, dessen Verwirklichung wir Saarländer ausnahmslos ersehnten. Es ist Schluß mit allem Parteihader. Wir haben die große Pflicht und Ehre, der [180] Welt zu sagen, was in der Stunde des Gebotes es heißt: Deutscher zu sein. Am heutigen Tage schließen wir ein Bruderbündnis.
      Der Katholik geht in die katholische Kirche, der Protestant in die seine – aber beide sprechen das gleiche Gebet: unser Deutschland. Der Arbeiter, der Bauer, der Unternehmer, der Beamte, jeder tut an seiner Stelle seine Pflicht, alle aber tragen sie das Gemeinsame in ihrem Herzen: Unser Deutschland. Der Sozialdemokrat, der Kommunist, der Zentrumsmann, der Nationalsozialist, der christliche Gewerkschaftler, der freie Gewerkschaftler, jeder mag politisch anders gedacht haben, nun aber treffen sie sich alle bei dem einen Gedanken: Unser Deutschland.
      Von diesem geschichtlichen Augenblick an sind wir eine eingeschworene Genossenschaft, in der einer für den anderen einsteht und keiner gegen den anderen aufsteht. Mit diesem Wollen gehen wir nun an die Arbeit! Der Sieg wird unser sein! Es lebe die Deutsche Front!"

Zehntausende strömten sogleich zu den Anmeldungsstellen und füllten stolz ihre Aufnahmeerklärung aus, die folgendermaßen lautete:

      "Ich bin Deutscher und bitte um Aufnahme in die Saarvolksgemeinschaft 'Deutsche Front'. Gleichzeitig erkläre ich, daß ich mit dem Tage meines Eintritts in die Deutsche Front mich lossage von allem, was Partei heißt und nur die eine Parole kenne: Unser Deutschland."

Diese nun völkische Neuordnung hatte zur Folge, daß der gesamte Parteiapparat der saarländischen NSDAP., deren Leiter bisher Spaniol war, auf die Deutsche Front überging und die Mitgliedschaft zur Partei bei den einzelnen Mitgliedern ruhte. Spaniol selbst übernahm die Leitung der Deutschen Front im Reiche, die alle außerhalb des Saargebiets wohnenden abstimmungsberechtigten Saardeutschen umfaßte, während im Saargebiet Pirro die Führung innehatte. Grundsätzlich und ausdrücklich aber verbot die Reichsregierung jede, und auch nur die geringste Einmischung von Reichsangehörigen in die Angelegenheiten der Saar.

Erstes Grundgesetz der Deutschen Front war Disziplin. [181] Disziplin gegen das eigene Volk, Disziplin gegenüber den Verordnungen und Maßregeln der Regierungskommission, Disziplin gegenüber den Herausforderungen der Emigranten und Franzosenfreunde. Sie forderte Pirro ausdrücklich und um so mehr, als er das unablässige hämische Wühlen der Emigranten und Franzosenfreunde und den lauernden Groll der Regierungskommission kannte und alles vermieden sehen wollte, was dem Gegner Grund zu Klagen in Genf geben konnte. Die Disziplin ging sogar so weit, daß nicht einmal für die Deutsche Front geworben wurde, sondern jedem Deutschen der Beitritt aus eigenem Willen freigestellt war. Aber Treue und Aufrichtigkeit wurde von jedem verlangt! Erwies es sich, daß jemand, ganz gleich ob Arbeitgeber oder Arbeiter, die Deutsche Front zu sabotieren versuchte, wurde er unverzüglich ausgeschlossen.

Schon bald umfaßte die Deutsche Front die überwältigende Mehrheit der Saardeutschen. Der erste große Appell am 11. März in Zweibrücken ward ein riesenhaftes Bekenntnis zu Führer und Volk, zum Reiche.

  Adolf Hitler und die Saar  

2.

Die Rückgliederung der Saar war für den deutschen Führer Adolf Hitler eine außerordentlich wichtige Angelegenheit. Es handelte sich dabei nicht um materiellen Gewinn, nicht um Machtsteigerung, sondern für den Führer des Reiches und Nationalsozialismus handelte es sich einzig und allein um eine Frage des Volkstums, deren Lösung streng im Rahmen des Gesetzmäßigen zu geschehen hatte. Bereits nach dem 12. November 1933 ernannte der Führer den Vizekanzler von Papen zum Reichsbeauftragten für Saarfragen, um die Deutschtumsarbeit der verschiedenen Regierungsstellen zusammenzufassen und unter einheitlichem Gesichtspunkt zu leiten. Es kam darauf an, daß die Vorarbeiten für die Volksabstimmung geleistet wurden. Dazu gehörte auch die Überwachung der Disziplin, die Abwehr jeglicher Verstöße gegen den augenblicklich herrschenden völkerrechtlichen Zustand, aber auch die Ver- [182] eitelung aller hinterlistigen Angriffe auf das Deutschtum der Saar, so wenn z. B. im Januar 1934 in Frankfurt a. Main und in Berlin zwei marxistische Subjekte verhaftet wurden, weil sie die Absicht hatten, sich mit Emigranten und Franzosen am Verrat an der Saar zu beteiligen. Und schließlich gehörte zu den Aufgaben Papens der Schutz der Saardeutschen im völkerrechtlichen Verkehr, wenn die Regierungskommission den Saardeutschen den berechtigten Schutz versagte.

Adolf Hitler hatte Ende November 1933 bei seiner Begegnung mit François Poncet die Franzosen wissen lassen, daß das Reich Frankreich starkes Entgegenkommen zeigen würde, wenn dieses von sich aus bereit wäre, auf eine Volksabstimmung zu verzichten, durch die Frankreich nur einen erheblichen Prestigeverlust erleiden würde. Dieses hochherzige Angebot wurde in der französischen Presse von Grund aus entstellt: Hitler habe sofortige Rückgliederung des Saargebietes ohne Volksabstimmung verlangt, als Gegenleistung sei die deutsche Regierung damit einverstanden, daß die französische Regierung die Saargruben bis zum Jahre 1935 benutze, dem Jahre, in dem laut Versailler Vertrag die Volksabstimmung hätte stattfinden müssen; es sei nicht gesagt, daß 1935 die deutsche Regierung bereit sein würde, die Gruben von der französischen Regierung wiederzukaufen, wie das im Versailler Diktat vorgesehen sei, falls die Volksabstimmung für Rückgliederung an Deutschland ausfallen werde. So schrieb die Pariser Presse. Sie ging, wie die von Juden und Emigranten beeinflußte französische Regierung bei ihrem Bemühen, das französische Volk gegen den Führer der Deutschen einzunehmen, von der falschen Voraussetzung aus, Hitler brauche einen außenpolitischen Erfolg, den suche er an der Saar und den müsse Frankreich vereiteln, wobei der Erfolg für Frankreich ein doppelter war: das französische Großkapital durfte weiterhin die Saarwirtschaft ausbeuten und der den französischen Imperialisten und Kapitalisten verhaßte Adolf Hitler mußte auf den angeblich sehnlichst gewünschten Erfolg verzichten. Frankreich lehnte also das Angebot des Führers ab und verlangte, daß laut Versailler Vertrag die Abstimmungsrechte der Bevölkerung nicht "angetastet" würden. Die besonnenen Stimmen der Front- [183] kämpfer, die zur Verständigung mit Hitler rieten, gingen unter im hysterischen Geschrei des Chauvinismus.

In seiner großen Rede am 30. Januar 1934 bedauerte der Führer, daß Frankreich auf seinen Saarvorschlag nicht eingegangen sei. Die Saarfrage sei die einzige territoriale Frage, die zwischen Deutschland und Frankreich stehe, und wenn sie geklärt sei, werde es für eine Verständigung mit Frankreich kein Hindernis mehr geben. Warum er diesen Vorschlag gemacht habe, dafür führte Adolf Hitler folgende Gründe an:

"1. Diese Frage ist die einzige, die territorial zwischen beiden Ländern noch offensteht. Die deutsche Regierung ist nach Lösung dieser Frage bereit und entschlossen, die äußere Formulierung des Locarnopaktes auch innerlich zu akzeptieren.

2. Die deutsche Regierung befürchtet, daß, obwohl die Abstimmung eine unerhörte Mehrheit für Deutschland ergeben wird, dennoch im Zuge der Vorbereitung der Abstimmung eine propagandistische neue Aufstachelung nationaler Leidenschaften stattfindet.

3. Ganz gleich, wie die Abstimmung ausgehen würde, sie wird in jedem Falle bei einer der beiden Nationen zwangsläufig das Gefühl einer Niederlage zurücklassen.

4. Wir sind überzeugt, daß, wenn Frankreich und Deutschland diese Frage vorher in einem gemeinsamen Vertragsentwurf entschieden hätten, die gesamte Bevölkerung der Saar bei einer Abstimmung in überwältigender Mehrheit freudig für diese Regelung eintreten würde. Ich bedauere daher auch heute noch, daß französischerseits geglaubt wurde, diesen Gedanken nicht folgen zu können."

  Der Völkerbund und die Saar  

Nun, Frankreich hatte eine direkte deutsch-französische Verständigung über die Saar abgelehnt, es wollte, daß die politische Initiative auf den Völkerbund übergehen sollte, und zwar sollte ein doppelter Zweck damit erreicht werden: erstens sollte Deutschland dadurch wieder in den Völkerbund hineingelockt werden und sich damit seinen Entscheidungen nicht nur in der Saarfrage, sondern auch in anderen Fragen bedingungslos unterwerfen; zweitens sollte die politische Initiative des Völkerbundes im Saargebiet einer zumindest franzosenfreundlichen Propaganda nutzbar gemacht werden; denn das glaubte Frankreich zu erreichen, daß der Völkerbund wenigstens im eigenen Interesse für den status quo Propaganda machen [184] würde, und damit könnte Frankreich zufrieden sein. Also Ablehnung aller direkten deutsch-französischen Verhandlungen, Übertragung der Saarinitiative auf den Völkerbund. Das war Frankreichs Absicht, die sich in Genf Mitte Januar 1934 offen zeigte. Der Völkerbundsrat tagte in geheimer Sitzung unter Vorsitz des polnischen Außenministers Beck und zur Überraschung aller Anwesenden beantragte Frankreichs Vertreter Massigli, die deutsche Reichsregierung telegraphisch einzuladen zur Beteiligung an den Vorbereitungen der Saarabstimmung; die Ratssitzung solle aus diesem Grunde eine Woche vertagt werden, um Deutschland Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu äußern.

      "Aus Gründen der Loyalität, da Deutschland noch zwei Jahre den Ratssitz innehat, wünscht die französische Regierung, daß die Aufmerksamkeit der deutschen Regierung auf diesen Punkt gelenkt wird."

Es solle Deutschland Zeit gelassen werden, sich im Völkerbund vertreten zu lassen. Dieser scheinbar höchst versöhnliche Antrag wurde einstimmig angenommen, Deutschland wurde nach Genf eingeladen.

Aber Deutschland lehnte ab! Und zwar traf die deutsche Ablehnung am 17. Januar in Genf ein, gerade als der Völkerbundsrat das Mandat der amtierenden Saarregierung, das am 31. Januar 1934 ablief, einstimmig bis zum 31. März 1935 verlängert hatte. Der italische Saarreferent Aloisi schlug vor, die Saarregierung erneut in ihrem Posten zu bestätigen und ihr "angesichts der Gewissenhaftigkeit, mit der sie sich ihrer Aufgabe unterzogen habe, das Vertrauen des Rates auszusprechen". Das geschah denn auch einstimmig zum Kummer der Separatisten, denen es nicht geglückt war, Koßmann durch Sender zu ersetzen. Der Engländer Knox blieb Regierungschef, in der Regierung verblieben der Finnländer Ehrenroth, der Franzose Morize, der Saarländer Koßmann und der Südslawe Zoritschitsch.

Die Weigerung Adolf Hitlers, nach Genf zu kommen, ermutigte die Separatisten, ihre dunklen Umgarnungsversuche beim Völkerbundsrate zu verstärken. Man lag dem Rate in den Ohren, "besondere Schutzmaßnahmen" gegen den "nationalsozialistischen Terror" zu treffen, die angeblich bedrohte [185] Freiheit der Abstimmung zu sichern. Der Plan, die Fremdherrschaft durch Einsetzen fremder Truppen oder Polizeikräfte zu verschärfen, nahm greifbare Formen an. Eine angebliche Saarabordnung, persönlich von Matz Braun und Petri geführt, bemühte sich, die Völkerbundskreise in diesem Sinne zu beeinflussen. Diese Herren, die sich der besonderen Gunst Frankreichs erfreuten, stellten die Alternative, entweder die Abstimmung um mehrere Jahre zu verschieben, bis die Möglichkeit einer "freien Abstimmung" wieder hergestellt sei, d. h. bis die nationalsozialistische Regierung Adolf Hitlers in Deutschland verschwunden sei, oder die Abstimmung unter fremden Bajonetten vor sich gehen zu lassen. Um ihren Worten besonderen Nachdruck zu geben, zeigten diese Geschäftemacher persönliche Empfehlungsbriefe von Knox vor. Auch andere separatistische Vereine erschienen und unterbreiteten dem Rate ihre Vorschläge, so eine "Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung der saarländischen Interessen" und eine "Saarländische Wirtschaftsvereinigung".

Der Völkerbund sah dem Kommen dieser unsauberen Gesellen nur mit kritischen Blicken entgegen. Da aber Frankreich warm für die Separatisten Partei ergriff, bestanden im Rat Gegensätze, wodurch Entschließungen unmöglich wurden. Grundsätzlich jedoch wurde am 20. Januar 1934 beschlossen, dem italischen Saarreferenten Baron Aloisi noch einige Ratsmitglieder zuzuteilen und dieser neuen Kommission den Auftrag zu geben, die Vorarbeiten für die Abstimmung zu leisten.

Der Dreierausschuß, der auf diese Weise zustande kam – er bestand aus Aloisi, dem Argentinier Cantillo und dem franzosenfreundlichen Spanier Madariaga – beendete bis zum 10. April 1934 seine Arbeiten, die sich mit der Frage der Abstimmungsberechtigung beschäftigten. Danach war abstimmungsberechtigt jeder, der am 28. Juni 1919 im Saargebiet wohnte, ohne Unterschied der Nationalität, und der am Tage der Abstimmung das 20. Lebensjahr vollendet haben würde. Die Abstimmung soll bezirksweise erfolgen. Da die Souveränität des Saargebiets bei Deutschland verblieben sei, könne der Völkerbund dem deutschen Reiche als souveränem [186] Staate für die Übergangszeit weder Forderungen noch Anweisungen erteilen.

Dies war keineswegs nach dem Sinne der Franzosen, der Separatisten und des Regierungschefs Knox. Die Franzosen wünschten gemeindeweise Abstimmung; sie wurde nicht anerkannt. Knox trat dafür ein, daß auch die sogenannten Saargänger (französische Bergarbeiter) und die französischen Besatzungstruppen aus der Zeit von 1919 abstimmen sollten! Der Völkerbundsrat lehnte diese sonderbare Auffassung ab. Mitte Februar erhob Knox in Genf die Forderung nach 4000 Mann internationaler Polizei. Er erklärte die Ansicht von der Notwendigkeit militärischen Schutzes für seine eigene, er habe mit seinen Ministerkollegen noch nicht darüber gesprochen. Diese Erklärung dürfte nicht ganz stimmen, es liegt begründeter Anlaß vor, anzunehmen, daß Morize seinem Regierungschef sehr nachdrücklich die Notwendigkeit internationaler Polizei eingeflüstert habe. Lebten doch die Franzosen der Überzeugung, daß in diesem Falle nur französische Truppen in Frage kämen. Jedoch der Dreierausschuß verhielt sich ablehnend: er war keineswegs von dieser Notwendigkeit überzeugt.

Wachsende Not
  der Saardeutschen  

3.

Nun ging das Elend im Saargebiet erst recht los. Wie die Dinge standen, das zeigte der schreckliche Vorgang, daß am 2. April ein Hitlerjunge von einem 15jährigen Kommunisten niedergeschossen wurde. Aber solche Verbrechen erschienen Knox weniger gefährlich als das Vorhandensein der Deutschen Front. Am 16. April reichte Knox dem Völkerbundsrat eine große Beschwerdeschrift ein: die Deutsche Front gehe in die Häuser, sammele Unterschriften und werbe die Mitglieder, "sich mit aller Kraft der Entwicklung der Deutschen Front zu widmen, deren Ziel es sei, alle Kreise der Bevölkerung des Saargebietes um sich zu scharen, um am gemeinsamen Werke teilzunehmen im Hinblick auf die Rückkehr der Saar zum Reich". All dies sei nicht erlaubt. Auf seinen Einspruch hin habe wohl die [187] Deutsche Front ihre Propaganda etwas gemildert, arbeite aber noch immer in der gleichen Richtung weiter. Es handle sich hier um ein mit der Abstimmung zusammenhängendes Problem, ein Manöver, das heute schon die Freiheit, das Geheimnis und die Aufrichtigkeit einer etwaigen Abstimmung gefährde.

Dies war der Auftakt, gleichsam die Begründung zu dem, was er nun tat. Nur ein Überblick über zehn Tage Saarpolitik: Am 17. April 1934 verbietet die Regierungskommission die deutschen Theaterfestspiele. In ihren Augen galt Schillers "Wilhelm Teil" aus guten Gründen als staatsgefährlich. Am 18. April 1934 eröffnet die Regierungskommission gegen 400 Annahmestellen der Deutschen Front Strafverfahren auf Grund einer alten Polizeiverordnung, wonach die Schilder nicht vorschriftsmäßig seien. Am 23. April 1934 stellt Knox 10 ehemalige deutsche Polizeibeamte des früheren Systems ein, Emigranten, die wegen Betrug und Untreue in Deutschland verfolgt werden. Er kündigt an, daß er diese Methode fortsetzen werde. Die deutschen Polizeibeamten in Saarbrücken protestieren, um ihre Ehre, ihr gutes Recht und ihr Ansehen zu wahren. Am 24. April 1934 wird dem Fahrpersonal der Straßenbahn in Saarlouis verboten, schwarz-weiß-rote Kokarden zu tragen. Am selben Tage verbietet Kultusminister Dr. Zoritschitsch den Schulkindern das Singen auf Straßen und Plätzen innerhalb geschlossener Ortschaften ganz allgemein; im besonderen ist das Singen "politischer Lieder" (hierzu gehört z. B. das schöne Lied "Fuchs, du hast die Gans gestohlen"), selbstverständlich bei Strafe verboten! Am 28. April 1934 ereilt den Saarbrücker Polizeibeamtenverein sein Schicksal: er wird aufgelöst, die Vorstandsmitglieder werden suspendiert, Disziplinarstrafen mit dem Ziele der Dienstentlassung werden angekündigt. Warum? Weil die ehrlichen deutschen Polizeibeamten ihre Ehre schützen wollten und vier Tage zuvor gegen die Einstellung der ehrlosen Emigranten protestiert hatten! Am gleichen Tage verfügt der Kultusminister Dr. Zoritschitsch an sämtliche Schulen, daß der 1. Mai weder gesetzlicher noch kirchlicher Feiertag sei, daß ordnungsmäßiger Unterricht stattzufinden habe und daß alle über das normale Maß hinausgehenden Beurlaubungen von Lehrern und Schülern ver- [188] boten seien. Der Emigrant Heinrich Rietzel wird zum Leiter des saarländischen Kriminalwesens in Saarbrücken ernannt (dafür zieht die Reichsregierung sein in Deutschland befindliches Vermögen ein). Um die Unruhe und Nervosität in der Bevölkerung zu steigern, wird planmäßig von den Emigranten das bewußt falsche Gerücht verbreitet, daß die SA. zur Abstimmung mobilisiert werden solle. Obwohl es im Saargebiet keine SA. mehr gibt, werden solche Gerüchte ausgestreut, um den Boden für Verhaftungen und Ausweisungen vorzubereiten.

Diese Art Saarpolitik verfehlte nicht ihren Eindruck in Genf, insbesondere, da sich die Franzosen unentwegt bemühten, die Richtigkeit der Politik des Knox gründlich zu unterstreichen. Der Völkerbundsrat, der ursprünglich beschlossen hatte, auf der Maitagung des Völkerbundes den Abstimmungstermin festzusetzen, glaubte am 25. April, diese Festsetzung zu verschieben, d. h. auf die Herbsttagung hinauszuschieben und damit auch den Abstimmungstermin selbst zu verschieben, denn die Vorbereitung der Abstimmung nehme mindestens zehn Monate in Anspruch! Inzwischen gingen neue, von Knox inspirierte Emigrantenschriften ein, die dem Völkerbund klar machten, Knox habe Recht mit seiner Meinung, daß die aus dem Saargebiet rekrutierte Polizei für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung nicht genüge. Völlig abwegig sei die deutsche Ansicht, die Ruhe und Ordnung lediglich durch ein Zusammenarbeiten der Saarregierung, der Abstimmungskommission und der politischen Parteien sicherzustellen.

Aber stärker als alle diese Umtriebe war die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung. Den diplomatischen und hinterhältigen Spitzfindigkeiten stand der gesunde und kraftvolle Wille des deutschen Volkes gegenüber. Ihm mußte im Verlaufe dieses Kampfes endlich der Sieg gehören. Davon waren das deutsche Volk und sein Führer fest überzeugt. Anfang Mai erließ die Reichsregierung folgenden Aufruf an alle Abstimmungsberechtigten:

      "Der Zeitpunkt, an dem die Saarbevölkerung nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages im Wege der Volksabstimmung über ihr künftiges Schicksal entscheiden soll, rückt heran. Der genaue Zeitpunkt steht noch nicht fest; fällig ist [189] die Volksabstimmung vom 10. Januar 1935 ab. Abstimmungsberechtigt ist ohne Unterschied des Geschlechts, wer am Tage der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, d. h. am 28. Juni 1919, im Saargebiet gewohnt hat und am Abstimmungstag wenigstens 20 Jahre alt ist.
      An alle im Reich außerhalb des Saargebiets wohnenden Personen, die am 28. Juni 1919 im Saargebiet gewohnt haben und vor dem 11. Januar 1915 geboren sind, ergeht die Aufforderung, sich in der Zeit von Donnerstag, den 3. Mai, bis Sonnabend, den 12. Mai, bei ihrer Gemeindebehörde (Einwohnermeldeamt), in den Städten auf den Polizeirevieren ihres jetzigen Wohnsitzes zu melden. Das gilt auch für Personen, die sich schon früher als Saarabstimmungsberechtigte gemeldet haben. Personalausweise und, soweit möglich, Nachweise über den Wohnsitz am 28. Juni 1919 (An- und Abmeldebescheinigungen, Beschäftigungszeugnisse usw.) sind mitzubringen. Wo und zu welchen Tageszeiten die Meldung entgegengenommen werden, wird durch jede Gemeinde rechtzeitig besonders bekanntgegeben."

  Bekenntnis der Saardeutschen  

Die Saardeutschen selbst bekannten sich vor aller Welt einmütig und begeistert zum Reiche Adolf Hitlers. Am 6. Mai 1934 fand in Zweibrücken in der Pfalz eine gewaltige Kundgebung der Saardeutschen statt, in welcher Reichsminister Goebbels den unerschütterlichen Willen Adolf Hitlers aussprach, das Saarland nach der Abstimmung wieder mit dem Reiche zu vereinigen:

      "Wir alle kennen zu euch nur ein Gefühl brüderlicher Verbundenheit, und wir wollen euch gegenüber aller Welt bekennen, soweit man in anderen Fragen der Außenpolitik auch gehen mag, will oder kann: in der Saarfrage kennen wir kein Zurückweichen und keinen Kompromiß. Saarland ist deutsch! Saarland wird deutsch bleiben!"

Dann ermahnte er die Saardeutschen, den Landesverrätern mit Verachtung den Rücken zu kehren. Nachdem der Minister die großen wirtschaftlichen Pläne zur Rettung des Saarlands entwickelt hatte, schloß er:

      "Als Vertreter des deutschen Volkes sage ich euch: ihr werdet die Sieger sein, wenn ihr tapfer und zäh, besonnen, klar und zielbewußt euren Weg geht."

Mit ungeheurer Begeisterung wurde die Rede des Ministers aufgenom- [190] men. Joseph Pirro gab dann einen Aufruf der Deutschen Front bekannt, worin es hieß, daß heute bereits 93% der Abstimmungsberechtigten, d. h. 455 174 Männer und Frauen, in den Reihen der Deutschen Front stünden.

Knox hatte diese gewaltige Kundgebung auf seine Weise gewürdigt, indem er, von Emigranten beraten, den Geistlichen bei der geplanten evangelischen und katholischen Morgenfeier in Saarbrücken das Predigen verbot. Die Morgenfeiern wurden kurzerhand nicht genehmigt, so daß sie vom Reiche aus durch Rundfunk dem Saargebiet zugänglich gemacht werden mußten! Drei Zeitungen, die die Nachricht vom Verbot der Morgenfeier gebracht hatten, wurden von der Regierungskommission verboten. –

In der Annahme, daß Beharrlichkeit zum Ziele führe, und in der wachsenden eingebildeten und von den Emigranten genährten Furcht, daß das eigene Regiment immer mehr ins Schwanken gerate, schrieb der Präsident der Saarregierung nach der Zweibrücker Kundgebung einen neuen Brief nach Genf, worin er die Beschwerde der Saarbrücker Polizeibeamten gegen die Emigranteneinstellungen und die im Volke verbreiteten Gerüchte von der "Möglichkeit eines Handstreichs gegen das gegenwärtige Saarregime", obwohl allerdings kein sicherer Beweis für die Existenz solcher Pläne vorhanden sei, als Beweise anführt, wie ernst die Lage im Saargebiet sei – natürlich durch die Schuld des Nationalsozialismus. Der stehende Schlußvers war wieder der Ruf nach der internationalen Polizei, jenes wunderbar scheinheilige Argument, das die Unparteilichkeit und Rechtlichkeit der Saarregierung gegen den brutalen nationalsozialistischen Terror bekräftigen sollte.

Die ganze Methodik war wahnwitzig. Im Landesrat des Saargebiets warf der Abgeordnete Schmelzer von der Deutschen Front Knox vor, daß er mehr als irgendein Franzose taub sei für das, was ihm alle Welt in die Ohren schreie: daß das Saargebiet und die Bevölkerung ein Recht darauf habe, mit stärkster Beschleunigung in ihr Vaterland zurückgeführt zu werden. Eine Verschiebung der Abstimmung komme keineswegs in Frage. Ohne eine Rückkehr des Saargebiets nach Deutschland sei eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich unmög- [191] lich. Um das Verhalten von Knox zu veranschaulichen, wies Schmelzer noch darauf hin, daß seit März 1933 im Saargebiet 35 Zeitungen der Deutschen Front auf insgesamt 397 Tage verboten worden seien.

  Der Kampf um die Abstimmung  

4.

Mitte Mai setzte in Genf der Großkampf um den Abstimmungstermin ein. Am Sonnabend nachmittag, dem 12. Mai 1934, tagte der Dreierausschuß des Barons Aloisi, um den Bericht über die Abstimmungsvorbereitungen an den Völkerbundsrat fertigzustellen. Der Ausschuß neigte einer baldigen Festsetzung des Abstimmungstermins zu, wenn man auch den Widerstand Frankreichs befürchtete. Am 14. Mai trat der Völkerbundsrat zusammen.

Es wurden große und stürmische Tage in Genf. Im Mittelpunkte der Weltpolitik stand die Saarfrage. Eine Abordnung der Deutschen Front, an ihrer Spitze Pirro und Röchling, war erschienen. Die von Knox geführte Saarregierung war ebenfalls anwesend. Die Gegner waren gerüstet für einen heftigen Kampf zwischen Macht und Recht.

Der erste Zusammenstoß ereignete sich im Dreierausschuß des Barons Aloisi. Dieser Ausschuß hatte eine Besprechung mit der Saarregierung. Aloisi teilte das Ergebnis seiner Arbeiten mit: es solle eine aus drei Mitgliedern bestehende Abstimmungskommission gebildet werden, deren Aufgabe Organisation und Kontrolle der Abstimmung sein solle. Außerdem solle ein aus zwei neutralen Mitgliedern bestehendes Abstimmungsgericht eingesetzt werden, das zuständig sei für die Eintragung in die Stimmlisten, für die Gültigkeit der Abstimmung und für die Aburteilung aller Verstöße. Es sei nicht zulässig, berichtete Aloisi weiter, daß besondere Abstimmungsbezirke geschaffen würden, die Abstimmung hätte in den bereits bestehenden Bezirken zu erfolgen.

Demgegenüber vertrat nun Knox seinen Standpunkt. Es war ihm unangenehm, bei der Abstimmung so gut wie ausgeschaltet zu sein, und er rückte die Notwendigkeit in den Vordergrund, [192] daß bei der "unsicheren" Lage es dienlich sei, wenn der Regierung Befugnisse und Machtmittel zur Verfügung stünden. Dem aber widersprach Koßmann heftig. Das brachte nun wieder den Franzosen Morize auf. Dieser berief sich auf den soeben überreichten 57. Vierteljahrsbericht der Saarregierung über die Lage der Saar und verwies auf die von ihm stammende Anlage dazu. In ihr machte nämlich Morize einen neuen Vorstoß zur Ausschaltung des Deutschtums an der Saar: er bezweifelte die Unparteilichkeit der ordentlichen Gerichte und behauptete, daß hierunter viele Bewohner des Saargebietes, vor allem Franzosen, durch die parteiischen Richter zu leiden hätten. Aus diesem Grunde schlug Morize die Bildung von Gerichten vor, die aus neutralen Richtern zusammengesetzt seien und denen alle "politischen" Fälle überwiesen werden sollten. Nun hatten allerdings in einer zweiten Anlage zum Vierteljahresbericht die übrigen Regierungsmitglieder die Schaffung besonderer neutraler Gerichte für politische Vergehen abgelehnt und lediglich einen Gerichtshof gefordert, der sich mit allen, mit der Abstimmung selbst zusammenhängenden Zwischenfällen befassen solle – eben so, wie es auch der Dreierausschuß vorschlug. Jetzt nun erneuerte Morize seinen Vorschlag, der die Ausschaltung der ordentlichen Gerichte und des internationalen Obersten Gerichtes zugunsten von Gerichten, die die Saarregierung in der Hand hatte, bezweckte, stieß aber bei den anderen Regierungsmitgliedern auf denselben starken Widerstand, und trotz der Vermittlungsversuche von Aloisi erhitzten sich die Gemüter derart, daß Morize schon drohte, aus der Regierungskommission auszuscheiden.

Diese Vorgänge lösten in der Pariser Presse ein wildes Kampfgeschrei aus: das Saargebiet müsse durch eine internationale Streitmacht besetzt werden, ja, die französische Regierung müsse aus dem Völkerbund austreten, wenn ihr in Genf keine Genugtuung geschehe!

Während dies im Dreierausschuß vor sich ging, übergaben Pirro und Röchling dem Völkerbundsrat eine Denkschrift der Deutschen Front. Hierin wurde zunächst gesagt, daß hinter der Deutschen Front 93% aller Abstimmungsberechtigten stünden [193] und daß die Deutsche Front daher allein berechtigt sei, im Namen der Saarbevölkerung zu sprechen. Weiter wurde ausgeführt, daß Knox die Notwendigkeit internationaler Polizei damit zu begründen suche, daß er von "Terrormaßnahmen der Deutschen Front" und "Putschplänen" spreche. Das sei nicht wahr. Die Deutsche Front lehne jeden Terror ab und verlange von ihren Mitgliedern strengste Disziplin. Die Saarbevölkerung habe in den letzten 15 Jahren unter den schwersten Verhältnissen Ruhe und Ordnung bewahrt, obwohl 1918 bis 1924 durch französisches Militär 13 Saardeutsche getötet worden seien. Die mustergültige Saarpolizei sei jetzt durch Emigranten innerlich zerrüttet worden, das sei eine Provokation der Saarbevölkerung gegenüber. Die Deutsche Front sei nicht so töricht, ihre sichere Rückkehr zum Reiche durch lächerliche Putsche zu gefährden. Bemerkenswert sei noch, daß die Saarregierung vom Mai 1933 bis April 1934 der Deutschen Front 32 Zeitungen auf 367 Tage verboten habe, während nur drei Separatistenblätter auf zusammen 30 Tage verboten wurden.

Der internationalen Presse gegenüber erklärte Pirro folgendes: Jede Verschleppung der Abstimmung müsse zurückgewiesen werden, ausländische Polizei sei keinesfalls nötig, im Gegenteil, die fremden Truppen seien nur ein Anlaß zur Unruhe, die Deutsche Front sorge selbst für Disziplin; die Einstellung von Emigranten sei eine bewußte Zersetzung der ausgezeichneten saarländischen Polizei, eine wahllose Amnestie, wie sie die Leute um Knox verlangten, sei nichts weiter als ein Freibrief für jeden Terror. Pirro formulierte die Forderungen der Saarfront in folgenden Punkten:

1. Der Abstimmungstermin müsse sofort festgesetzt werden, dadurch werde sich die politische Lage nicht nur im Saargebiet, sondern auch draußen beruhigen.

2. Der Abstimmungsausschuß solle sofort ins Saargebiet entsandt werden.

3. Das Abstimmungsgericht habe sich lediglich mit den technischen Fragen der Abstimmung zu befassen, dagegen müsse die Autorität der ordentlichen Gerichte und des internationalen obersten Gerichts gewahrt werden; dem Abstimmungsgericht dürfe keine Strafgerichtsbarkeit zustehen. [194] Und

4. Internationale Polizeitruppen dürfen das Saargebiet nicht betreten, sie würden nur Unruhe bringen.

Das war genau das Gegenteil von dem, was die Franzosen wollten. Der Gegensatz zwischen Saardeutschland und Frankreich hatte sich also klar herauskristallisiert. Die Aufgabe des Völkerbundes war es nun, ihn zu beseitigen.

Zunächst versuchten es die Franzosen mit der Verschleppungstaktik, nachdem sie mit ihrer Forderung der "neutralen" Gerichte, die vor allem als Schutzmaßnahmen für Emigranten und Landesverräter gedacht waren, und der "internationalen" Polizei nicht durchgedrungen waren. Sie reichten Gegenvorschläge ein, wonach eine Entscheidung in der Saarfrage vertagt werden sollte. Die deutsche Regierung solle erst Sicherheiten geben, daß weder Terror noch Putsch von deutscher Seite die etwaige Abstimmung beeinträchtigen würden. Auch müßte die Frage der Heranziehung einer internationalen Polizei zunächst bejahend entschieden werden. Bevor dies nicht geschehen, könne Frankreich der Festsetzung des Abstimmungstermins nicht beipflichten und beantrage Vertagung dieser Angelegenheit auf den Herbst. Obwohl Adolf Hitler denkbar größtes Entgegenkommen den französischen Forderungen der Garantien und Zurückhaltung gegenüber bewies, entstellte die französische Presse das deutsche Verhalten immer wieder aufs schwerste. Die drängenden Vermittlungsversuche Aloisis hatten daher wenig Aussicht auf Erfolg: der Abstimmungstermin, die Garantien und die Polizeifrage bildeten scheinbar unüberbrückbare Hindernisse im gegenwärtigen Augenblick. Barthou aber befleißigte sich, vor der Öffentlichkeit alle Schuld für das Scheitern der Verhandlungen wegen dem Abstimmungstermin auf Deutschland zu wälzen.

Der Völkerbund wußte wirklich keinen Rat. Die Polizeifrage konnte überhaupt nicht entschieden werden, da sich England und die neutralen Staaten weigerten, Polizei für das Saargebiet zur Verfügung zu stellen. Hier war also eine restlos bejahende Entscheidung von vornherein unmöglich. Die Franzosen aber wankten und wichen nicht von ihren Forderungen. Drei Tage dauerte das frivole Spiel. Am 19. Mai schließlich verschob der Völkerbund die weiteren Verhand- [195] lungen auf den 30. Mai. Das, worum es jetzt ging, war einmal die gemeinsame Garantieerklärung Deutschlands und Frankreichs über die Sicherheit einer freien, unabhängigen und geheimen Abstimmung im Saargebiet, indem gleichzeitig der Abstimmungstermin festgesetzt werden sollte, und zweitens die Errichtung und Zuständigkeit der Abstimmungsgerichte und andere Maßnahmen zum Schutze von Ruhe und Ordnung bei der Abstimmung, wobei die Polizeifrage in den Hintergrund trat.

Während der letzten zehn Maitage wurde der Kampf gegen die Saarabstimmung mit Wucht in Paris fortgesetzt. Beharrlich forderte die Pariser Presse eine starke internationale Polizei im Saargebiet. In der Presse wie in der Kammer war es eine feststehende Formel: Hitler brauche einen außenpolitischen Erfolg und suche ihn an der Saar. Barthou rechtfertigte auf dieser Basis seine Politik in der Kammer am 25. Mai und stellte sich als den wohlwollenden Menschenfreund hin: für ihn trage die Saarfrage internationalen Charakter. Frankreich wünsche eine baldige Regelung, aber frei, aufrichtig und umfassend müsse die Abstimmung sein. Bisher seien alle Verhandlungen an Deutschland gescheitert. Barthou habe es abgelehnt, die Einwohner des Saargebietes gewissen Vergeltungsmaßnahmen auszusetzen. (Ins Deutsche übersetzt: er hat den Schutz für Separatisten und Emigranten gefordert.) Er könne der Festsetzung des Termins nicht eher zustimmen, bevor nicht ausreichende Schutzmaßnahmen getroffen wären. Ein bloßes Versprechen Deutschlands genüge nicht. Solange nicht ausreichende Garantien gegeben seien, könne er zur Zeit einer Festsetzung des Termins nicht zustimmen.

Des Pudels Kern war also, daß von Frankreich die Saarfrage von der garantierten unbehinderten Bewegungsfreiheit der Emigranten und Separatisten abhängig gemacht werden sollte. Diesen Elementen wollte Barthou den Weg ebnen, daß sie ungefährdet vor der Abstimmung ihre deutschlandfeindliche Propaganda treiben konnten. Barthou hoffte, daß es den dunklen Umtrieben dieser Subjekte gelingen würde, die Abstimmung im deutschlandfeindlichen Sinne zu beeinflussen! Nun, im Bewußtsein seiner moralischen Stärke konnte Adolf Hitler [196] hier Entgegenkommen zeigen, er wußte ja, daß das Saarvolk restlos deutsch war und fast ebenso restlos für Deutschland stimmen würde. Warum sollte man es wegen einiger abtrünniger Subjekte länger unter der Fremdherrschaft schmachten lassen?

Freiherr von Lersner fuhr als Vertreter Papens nach Genf. Zwei Tage lang verhandelten Lersner, Aloisi und Barthou. Die Polizeifrage, die sich als undurchführbar erwiesen hatte, trat in den Hintergrund, es ging jetzt vor allem um die Frage der Garantie und der Abstimmungsgerichte. Am späten Abend des 31. Mai, nachdem der deutsche Vertreter den Franzosen einen Grund nach dem andern entzogen hatte, war man endlich der Einigung nahe.

  Die Einigung  

Die Verhandlungen wurden am nächsten Tage mit Nachdruck fortgesetzt, und am Nachmittage des 1. Juni einigten sich Deutschland und Frankreich unter der Vermittlung Aloisis auf den 13. Januar 1935 als Abstimmungstermin. Beide Regierungen garantierten geheime und freie Abstimmung und nahmen alle Maßnahmen in Aussicht, die geeignet sein würden, Ausschreitungen und politische Verfolgungen jeder Art zu unterbinden. Zur Überwachung und Rechtsprechung sollten Abstimmungsgerichte eingesetzt werden, und zwar acht Gerichte erster Instanz und ein Obergericht. Die Funktion dieser Gerichte sollte ein Jahr nach der Abstimmung erlöschen. Die Saarregierung sollte ermächtigt werden, falls notwendig, die bereits vorhandene Polizeitruppe zu verstärken, aber in erster Linie durch Rekrutierung aus der Saarbevölkerung; erst wenn diese nicht ausreichen sollte, dürfen auch vereinzelte Rekrutierungen im Auslande vorgenommen werden, und zwar unter weitgehender Einschaltung des Völkerbundes. Man einigte sich auch darüber, daß der Völkerbund demnächst die Abstimmungskommission aus neutralen Mitgliedern berufen solle. Um die Kosten der Abstimmung zu decken, waren Deutschland und Frankreich bereit, einen Vorschuß von je fünf Millionen französischer Franken zu zahlen, wozu die Saarregierung von sich aus noch eine Million beisteuern sollte.

Diese Einigung fand ihren dokumentarischen Niederschlag in der gleichlautenden Garantieerklärung, die Deutschland und [197] Frankreich am 3. Juni Baron Aloisi übergaben. Der deutsche Text lautet:

      "Herr Präsident! Mit Beziehung auf Ihr Schreiben vom 1. Juni 1934, betr. die Volksabstimmung im Saargebiet, beehre ich mich, Ihnen namens der deutschen Regierung folgendes mitzuteilen:

I. Die deutsche Regierung verpflichtet sich, unbeschadet der Bestimmungen des § 39 der Anlage zu Art. 50 des Vertrages von Versailles,

a) sich jedes unmittelbaren oder mittelbaren Druckes zu enthalten, der die Freiheit und die Aufrichtigkeit der Stimmabgabe beeinträchtigen könnte;

b) sich ebenso hinsichtlich der abstimmungsberechtigten Personen jeder Verfolgung, Vergeltungsmaßnahme oder Schlechterstellung wegen der politischen Haltung, die diese Personen während der Verwaltung durch den Völkerbund mit Beziehung auf den Gegenstand der Volksbefragung eingenommen haben, zu enthalten;

c) die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um jede diesen Verpflichtungen zuwiderlaufende Handlung ihrer Staatsangehörigen zu verhindern oder ihr Einhalt zu gebieten.

II. Wenn ein Streit zwischen Deutschland und einem Mitglied des Völkerbundsrates über die Auslegung oder Anwendung der in dieser Erklärung übernommenen Verpflichtungen entsteht, ist die deutsche Regierung damit einverstanden, daß dieser Streit gemäß den Bestimmungen des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 vor den Ständigen Schiedshof gebracht wird.

III. Außerdem ist die deutsche Regierung damit einverstanden, daß für den Zeitraum eines Jahres, gerechnet von der Einführung des endgültigen Regimes an, das Abstimmungsobergericht unter folgenden Bedingungen beibehalten wird:

a) Jede im Saargebiet abstimmungsberechtigte Person kann beim Abstimmungsgericht Beschwerde einlegen, wenn sie wegen ihrer während der Verwaltung des Gebietes durch den Völkerbund mit Beziehung auf den Gegenstand der Volksbefragung eingenommenen politischen Haltung einen [198] Druck, eine Verfolgung, eine Vergeltungsmaßnahme oder eine Schlechterstellung erlitten hat;

b) das Gericht ist zuständig, über die Beschwerden zu entscheiden und alle Maßnahmen wegen angemessener Wiedergutmachung, geldlicher oder sonstiger Art, anzuordnen;

c) falls eine Person, die im Saargebiet abstimmungsberechtigt ist, von einer Strafverfolgungs- oder Verwaltungsbehörde außerhalb des Gebietes verfolgt wird, kann sie unter denselben Bedingungen beim Abstimmungsgericht eine Entscheidung darüber beantragen, ob die Verfolgung im Widerspruch zu den in dieser Erklärung übernommenen Verpflichtungen steht.

      Die deutsche Regierung verpflichtet sich, alle Vorkehrungen zu treffen, um die Ausführung der Entscheidungen zu sichern, die unter den vorstehenden festgelegten Bedingungen ergehen."

Am folgenden Tage nahm der Völkerbundsrat einstimmig diese Einigung an. Barthou erklärte dazu, die Autorität der Regierungskommission müsse jedoch unbedingt gewahrt bleiben, sie müsse auch jederzeit auf die Unterstützung durch den Völkerbundsrat rechnen können. Von jetzt ab gebe es im Saargebiet keinerlei Entschuldigung mehr für Gewalttaten. Drohungen, Reden und Rundfunksendungen, die die Gemüter erregten und auf deren Gefahr die Regierungskommission oft genug hingewiesen habe, müßten in Zukunft unterbleiben.

Nach längerem Zögern, hervorgerufen durch das Suchen nach einem Schweizer Mitglied, ernannte der Präsident des Völkerbundsrats nach Besprechung mit den anderen Ratsmitgliedern auf Vorschlag der Dreierkommission des Barons Aloisi Mitte Juni die Abstimmungskommission. Sie bestand aus dem Schweizer Victor Henry, dem Holländer D. de Jonah und dem Schweden Altan Rhode. Als technische Sachverständige wurde der Kommission die Amerikanerin Miß Sarah Wambaugh beigeordnet, die befugt war, nötigenfalls auch ein Mitglied der Kommission zu vertreten.

  Abstimmungstermin  
13. Januar 1935

Diese Abstimmungskommission veröffentlichte Anfang Juli in den Zeitungen des Saargebietes folgenden Aufruf:

      "Die Bevölkerung des Saargebietes ist berufen, über die Souveränität des Gebietes ihren Willen zu äußern. Der Völker- [199] bundsrat hat als Termin für diese Volksabstimmung Sonntag, den 13. Januar 1935, bestimmt. Über folgende drei Fragen hat die Bevölkerung sich zu entscheiden: Beibehaltung der durch den Vertrag von Versailles geschaffenen Rechtsordnung; Vereinigung mit Frankreich; Vereinigung mit Deutschland. Mit dem heutigen Tage tritt die Volksabstimmungskommission im Saargebiet ihr Amt an. Damit beginnt die Abstimmungsperiode. Die Volksabstimmungskommission wird nichts unterlassen, was erforderlich erscheint, die freie, geheime und unbeeinflußte Stimmabgabe sicherzustellen."
5.

Die Genfer Entscheidung Anfang Juni löste im Saargebiet ungeheure Freude aus. Als der Abstimmungstag bekannt wurde, brauste eine gewaltige Begeisterung über Saardeutschland hin. In den Straßen Saarbrückens wogten die freudigen Menschenmassen seit dem frühen Morgen, Fahnen über Fahnen flatterten über den Straßen im hellen Sonnenhimmel, am Mittag klangen von allen Türmen der Stadt die Glocken, und am Abend fanden in allen Kirchen Dankgottesdienste statt. Wie so oft schon, wenn deutsches Volk und Land aus tiefster Not erlöst worden sind, klang auch diesmal wieder das Danklied aus hunderttausend frohen Herzen auf: "Nun danket alle Gott".

  Erhöhte Not an der Saar  

Aber eine Gruppe gab es, die war über die Genfer Wendung arg verstimmt, das war die Separatisten- und Emigrantenrotte um Knox, die Frankreichs Silberlinge nahm und Frankreichs Geschäfte besorgte. In Genf hatte Barthou sich dem übermächtigen moralischen Drucke fügen müssen, aber trotz aller Garantieerklärungen flossen aus dunklen Pariser Quellen der separatistischen "Saarvereinigung" Gelder zu, um die Propaganda gegen das Deutschland Adolf Hitlers zu treiben, um vom wirtschaftlichen Zusammenbruche und Währungsverfall Deutschlands der Saarbevölkerung täglich neue Lügen aufzutischen.

Vor allem aber wurde ein hinterhältiger Angriff auf die Deutsche Front geplant und vorbereitet. Unmittelbar nach der [200] Genfer Tagung begann das niederträchtige Manöver. Eine Schlägerei zwischen ehemaligen Kommunisten kam den Feinden Deutschlands sehr gelegen: "Terror der Deutschen Front"! zeterte die Emigrantenpresse. Flugs war auch Knox auf dem Plan. Auf Grund der Hetze entzog er dem Bürgermeister Latz von Saarlouis die Polizeigewalt und übertrug sie dem ihm genehmen Landrat des Kreises Saarlouis. Ungehört verhallte der Einspruch der Deutschen Front.

Der große Schlag aber wurde am 17. Juli geführt. An diesem Tage, kurz nach 17 Uhr, erschien unter Führung des übel berüchtigten Emigranten Polizeikommissar Machts ein aus Emigranten-Kriminalbeamten bestehendes Kommando im Hause der Landesleitung der Deutschen Front zu Saarbrücken und hielt im Büro des Freiwilligen Arbeitsdienstes eine gründliche Haussuchung ab. Vor dem Hause sammelte sich eine vielhundertköpfige Menschenmenge und brach in laute unmutige Zurufe aus. Machts ließ zwei Überfallkommandos kommen, welche die Straße räumten. Der Emigrant Kriminalbeamte Gereke stürzte mit erhobenem Revolver ins Haus und bedrohte dort die Angestellten, weil sie nach seiner Meinung das Volk aufwiegelten. Um 18 Uhr zog Machts mit den Akten des Arbeitsdienstes ab.

Daß der Emigrant Machts mit dieser Aufgabe betraut worden war, empfand die deutsche Bevölkerung als offene Herausforderung und als Beleidigung des Landesleiters Pirro. Trotzdem übte sie, den Weisungen ihres Landesleiters folgend, strengste Disziplin und ließ sich zu keinerlei Ausschreitungen hinreißen. Disziplin war seit je die vornehmste Tugend der Deutschen Front. Aber immerhin glaubte die deutsche Presse doch, ihre Empörung ausdrücken zu können. Der Erfolg war, daß Knox auf je 3 Tage 26 Saarzeitungen verbot, am folgenden Tage Zeitungen aus dem Reiche beschlagnahmte und am 23. Juli noch zwei Zeitungen aus dem Reiche verbot. Alle Proteste, unter denen sich auch solche der evangelischen Synode von Saarbrücken und St. Johann befanden, waren vergeblich.

Schon am 24. Juli ereignete sich ein neuer aufregender Vorfall. Ein Johann Baumgärtner schoß auf Machts, dieser aber [201] verwundete in der Gegenwehr Baumgärtner schwer. Trotzdem Baumgärtner nichts mit den Nationalsozialisten zu tun hatte, schrie die Marxisten- und Emigrantenpresse im Chore über den "nationalsozialistischen Terror". Knox ordnete erneut eine Haussuchung bei der Deutschen Front an, auch das Saarbrücker Abendblatt und das Deutsche Nachrichtenbüro wurden durchsucht. Sechs Tage lang ließ Knox die Büros der Deutschen Front in Saarbrücken versiegeln. Verschiedene in der Deutschen Front tätige Männer wurden verhaftet. Als am 25. Juli auf einer Kundgebung der Deutschen Front in Kaiserslautern Pirro über die skandalösen Zustände im Saargebiet sprach, wurde die Rundfunkübertragung verboten.

Obwohl der Untersuchungsrichter gegen Knox entschied und am 8. August Herausgabe der Akten der Deutschen Front und der Saarkorrespondenz verfügte, fügte sich Knox diesem Spruche nicht. Er hatte damit in der Folge noch viel größere Dinge im Sinne. Allerdings, die im Zusammenhange mit den Haussuchungen verhafteten Angehörigen der Deutschen Front mußten wieder auf freien Fuß gesetzt werden. – Zunächst aber wurden der Saarbevölkerung noch andere Schläge versetzt: Sammeleinreisen ins Saargebiet wurden im Einvernehmen mit der Abstimmungskommission verboten, und so hatte Knox den Rechtstitel dafür, daß er das für den 7. und 8. September in Saarbrücken geplante Sängerfest des Saar-, Mosel- und Nahegaues verbot, so daß es nach Trier verlegt werden mußte. Die Lumpen und Verräter aber ließ Knox frei gewähren. Er duldete, daß die schurkische Emigrantenpresse täglich unwürdige Angriffe gegen den verstorbenen Reichspräsidenten brachte. Erst nach einer scharfen deutschen Einspruchsnote und nach einem heftigen Auftritt im Saarparlament (Landesrat) Mitte August, als die Fraktion der Deutschen Front, von Kommunisten und Sozialdemokraten beschimpft, nach zornigem Protest geschlossen die Sitzung verließ, sah sich Knox genötigt, für fünf Tage die marxistische Volksstimme wegen gemeiner Verleumdung deutscher Staatsmänner zu verbieten.

Um diese Zeit hatten Knox und sein Emigrantenklüngel die Akten der Deutschen Front in ihrem Sinne ausgewertet und eine Denkschrift an den Völkerbund (17. August) verfertigt, [202] welche die Berechtigung der ewigen Forderung nach internationaler Polizei erneut begründen sollte. In dieser Denkschrift war etwa folgendes zu lesen: die Deutsche Front bereite einen Umsturz vor. Es sei nötig, gemäß der Entschließung des Rates vom 4. Juni, die Polizei zu verstärken; man könnte sie durch Rekrutierung im deutschsprachigen "Ausland" (d. h. Schweiz), aber nicht in Deutschland vermehren. Man bedürfe etwa 2000 Hilfspolizisten, die fließend deutsch und französisch sprechen müßten (diesen Vorschlag quittierte die Schweiz mit Spott und Ablehnung). Es hätten sich Querverbindungen zwischen der Deutschen Front und Reichsstellen, sowie zwischen der Deutschen Front und Beamten der Polizei und anderer Dienststellen an der Saar ergeben; die Deutsche Front und der reichsdeutsche Rundfunk hetzten systematisch die Bevölkerung auf, so daß Rekrutierungen aus der Saarbevölkerung nicht zweckmäßig seien; deshalb bäte die Regierungskommission um die Erlaubnis für Werbungen im Ausland. Und dann: die beschlagnahmten Akten der Abteilung "Freiwilliger Arbeitsdienst" der Deutschen Front hätten Beziehungen zur Geheimen deutschen Staatspolizei und zu Beamten der Saarpolizei und anderer Stellen der Regierungskommission ergeben.

Die von Knox festgestellten Beziehungen der Saarpolizei zur Geheimen Staatspolizei in Trier hatten zur Verhaftung des Reichsdeutschen Majors a. D. Dr. Schäfer in Saarbrücken geführt, weil sein von der Polizeidirektion Darmstadt ausgestellter Paß einen falschen Namen trage. Allerdings war auch dieser Vorgang wieder eine Seifenblase, die alsbald zerplatzte: denn am 16. August hob der Internationale Oberste Gerichtshof den Haftbefehl auf.

Die Aktivität, die Knox im Verein mit den Emigranten darauf verwandte, die Deutsche Front zu knebeln, führte dazu, daß die Zustände im Saargebiet immer chaotischer wurden. Überfälle und Mordversuche nahmen zu. Nur zwei Beispiele. In Sulzbach wurde ein Revolveranschlag auf den Organisationsleiter der Deutschen Front verübt. In Saarbrücken eröffneten in der Nacht vom 15. zum 16. August zwanzig bis fünfund- [203] zwanzig Kommunisten eine heftige Schießerei auf vier Angehörige der Deutschen Front.

  Angriff auf den Arbeitsdienst  

Man hat nicht gehört, daß Knox energisch um die Beseitigung dieser Zustände bemüht gewesen wäre. Die Deutsche Front und ihre Angehörigen waren geächtet, somit waren die Saardeutschen schlechthin geächtet! Das bewies der neue Schritt des Knox vom 20. August: er kündigte das Verbot des Freiwilligen Arbeitsdienstes an. Schriftstücke aus dem Oktober 1933, die bei den Haussuchungen in der Deutschen Front der Regierungskommission in die Hände gefallen waren, wurden als Beweis angeführt, daß junge Saarländer zum Freiwilligen Arbeitsdienst im Reiche herangezogen würden. Gänzlich unbegründet aber war die Folgerung von Knox, daß dies zum Zwecke der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Saargebiet geschehen sollte. Es sollten 10 000 junge Saarländer eine "besondere Ausbildung für den Saarkampf" erhalten im Innern Deutschlands, und dafür sei ein Kredit von 12 Millionen zur Verfügung gestellt. Ganz abgesehen davon, daß es sich bei den Plänen der Reichsregierung um eine ganz allgemeine und normale charakterliche Ausbildung handelte, die nichts mit den ihr von Knox unterstellten militärischen Absichten zu tun hatte, waren die Maßnahmen besonderer Arbeitslager für Saardeutsche bereits im Frühjahr 1934 durch das Reich längst wieder eingestellt worden, so daß die Beschuldigungen durch Knox in jeder Weise unbegründet waren.

Doch für Knox waren diese Märchen gut genug, um mit ihnen dem Völkerbunde gegenüber ein generelles Verbot der gesamten Organisation zu begründen, die sich mit der Förderung des außerhalb des Saargebietes überhaupt abzuleistenden Freiwilligen Arbeitsdienstes im Rahmen der allgemeinen deutschen Organisation befasse. Ja noch mehr. Knox kündigte ferner eine entwürdigende Meldepflicht für alle Saardeutschen an, die außerhalb des Saargebietes im Freiwilligen Arbeitsdienst beschäftigt gewesen seien oder die innerhalb und außerhalb des Saargebietes der SA., der SS., der NSDAP. oder der Eisernen Brigade Spaniol angehört hätten! Alle diese Leute sollten sich innerhalb 15 Tage bei ihrer Polizeibehörde melden und angeben, welcher Organisation sie angehört hätten, [204] und dann sollten sie sich jede Woche zweimal bei der Polizeibehörde ihres Wohnortes melden. Zu solchen entehrenden Maßnahmen entschloß sich Knox, um dem Völkerbunde glaubhaft zu machen, daß Ruhe und Ordnung gefährdet seien durch die, wie er meinte, mit der deutschen Reichsregierung "in engster Verbindung" stehende Deutsche Front.

Aber all solche Dinge vermochten den volkstreuen Geist der Saarländer, ihre eiserne Disziplin nicht zu erschüttern. Ein großartiger Beweis hierfür war die Treuekundgebung, die 2000 seit dem 16. August in Berlin weilende Saardeutsche des Rundfunkverbandes am 20. August für den Führer veranstalteten. Unter den Klängen des Badenweiler Marsches begaben sie sich vor die Reichskanzlei. Als der Führer das Fenster öffnete, brach die Menge in Heilrufe aus. Der Führer winkte, und die Saarländer drängten sich näher an das Fenster, Frauen streckten ihm die mitgebrachten Blumensträuße entgegen. Ein einladender Wink Adolf Hitlers und freudig eilten sie ins Portal. Die Kapelle spielte: Deutsch ist die Saar! und begeistert sangen die 2000 Menschen das Lied der Treue mit. Der Verbandsleiter Herb sprach dann:

      "Mein Führer! Unser aller Führer! Zweitausend vom Verband deutscher Rundfunkteilnehmer an der Saar kommen hierher, um Sie zu beglückwünschen. Es tat uns allen in der Seele weh, gestern (19. 8.) nicht unsere Stimme abgeben zu können. Wir zweitausend bringen Ihnen deshalb unsere Jastimmen persönlich. Wir stehen bis zu unserem letzten Atemzuge zu unserem großen Führer Adolf Hitler, dem Kanzler des großen deutschen Volkes und damit unserm Kanzler an der Saar. Wir wollen ihm ein dreifaches Siegheil ausbringen!"

Totenstille herrschte, als nun der Führer sprach. Gestern hätten sie ein Zeichen der Einigkeit des deutschen Volkes gesehen. Genau so einig sei das deutsche Volk in dem brennenden Wunsche, das Saargebiet wieder bei Deutschland zu sehen. Was deutsch sei und zusammengehöre, müsse auch zusammenstehen. Am 13. Januar werde daher das ganze deutsche Volk die Abstimmung mit einem heißen Gebet begleiten, und alle seien überzeugt, daß damit die Leidenszeit des deutschen Volkes ein Ende haben werde. Deutschland respektiere die Verträge. Es verlange nichts, als daß sie den [205] andern ebenso heilig seien. Seine, des Kanzlers glücklichste Stunde werde sein, wenn er die Saarländer nicht mehr in Berlin begrüßen, sondern wenn er zum ersten Male in ihre Heimat kommen könne.

Führerappell
  auf dem Ehrenbreitstein  

Ein Treuebekenntnis von überwältigender Wucht stellte der Abschluß der Saartreuestaffel am 26. August auf dem Ehrenbreitstein bei Koblenz dar. Tag und Nacht hatten Sonderzüge aus allen Teilen des Reiches 200 000 Deutsche herangebracht, und ebensoviel Deutsche waren aus dem Saargebiet herbeigeströmt. Im Mittelpunkt jenes wundervollen sonnigen und begeisterungsfrohen deutschen Sommersonntags stand die Rede des Führers.

Saarkundgebung am Ehrenbreitstein bei Koblenz.
[Bd. 8 S. 224b]      Saarkundgebung
am Ehrenbreitstein bei Koblenz.

Photo Scherl.
Er entwickelte die großen Ziele des einigen deutschen Volkes. Außenpolitisch sei das Ziel: "Erhaltung des Friedens, aber auch Sicherung der deutschen Gleichberechtigung. Hierzu Verteidigung der Freiheit und Ehre unseres Volkes. Die Welt muß zur Kenntnis nehmen, daß mit diesen Programmpunkten die nationalsozialistische Bewegung – und das ist Deutschland! – steht und fällt." Dann aber wandte sich Adolf Hitler besonders an die Saarländer.

      "Das Glücklichste, was wir in diesem Jahre erlebten, war die Festsetzung des Abstimmungstermins für die Deutschen an der Saar, weil er einen Zustand beendet, unter denen nicht 800 000, sondern 67 Millionen Deutsche gelitten hatten. Denn nicht nur Sie, meine Volksgenossen von der Saar, leiden und litten unter dem Getrenntsein vom Vaterlande, nein, Deutschland hat genau so darunter gelitten. Deutschland sieht Sie als einen unzertrennlichen Bestandteil seines eigenen Ichs an. Ihnen ist nichts zugefügt worden, was man nicht ganz Deutschland zugefügt hat. Wenn aber nun die Stunde kommt, da Sie zurückkehren, werden wir dafür auch in Ihnen nichts anderes sehen als Deutsche, denen wir die Hand reichen zum Eintritt in das deutsche Vaterhaus. So wie Sie sich selbst in der großen Deutschen Front sich gefunden haben, so sollen Sie am 13. Januar die deutsche Heimat wiederfinden. Wir werden in Ihnen keine Partei sehen, wir werden nicht sehen, was in der Vergangenheit war, sondern werden in Ihnen die 800 000 uns entrissenen Deutschen sehen, die zurückkehren zu uns und denen wir dann die Tore öffnen, auf daß Sie einziehen in ein festlich ge- [206] schmücktes Haus, das Ihrer wartet... Aber noch aus einem anderen Grunde sind wir glücklich über diesen 13. Januar. Immer noch ist das Saarproblem das Streitobjekt zwischen Frankreich und uns; wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß, wenn erst diese Frage gelöst ist, vielleicht doch auch auf der anderen Seite die Bereitwilligkeit wachsen wird, die Probleme zu sehen, wie sie sind und mit uns einen aufrichtigen Frieden zu schließen. Die Saarfrage ist die einzige Territorialfrage, die uns heute noch von Frankreich trennt. Nach ihrer Lösung besteht kein sichtbarer vernünftiger Grund, daß zwei große Nationen sich ewig und in aller Zukunft weiter befehden. Und wenn auch einzelne gewissenlose internationale Hetzer sich bemühen, diese beiden großen Völker in eine dauernde Feindschaft hineinzuhetzen, so vertraue ich auf die gesunde Vernunft und auf den gesunden Menschenverstand! Ich hoffe, daß einmal doch die Vernunft siegreich hervorgehen wird und daß über dem Saargebiet und über dem 13. Januar eine Verständigung auch auf dieser größeren Ebene erfolgen kann und erfolgen wird. Und so haben Sie am 13. Januar noch eine besondere große und friedliche Mission zu erfüllen. Wir würden glücklich sein, daß, wenn am 14. in ganz Deutschland die Glocken läuten, sie nicht nur die Rückkehr unseres verlorenen Gebietes und unserer verlorenen Deutschen, sondern die Einkehr des Friedens einläuten würden. So bitte ich Sie denn: Fassen Sie nun aufs neue Mut und Kraft. Gehen Sie hinein in diesen letzten Abschnitt Ihres Kampfes als aufrechte und wahrhaftige Deutsche. Leben Sie in der Überzeugung, daß hinter Ihnen der Wille der ganzen Nation steht!"

Nach der Rede des Führers brausten das Horst-Wessellied und das Saarlied aus 400 000 Kehlen über den blinkenden Rhein und das sommerlich leuchtende deutsche Land, und der frohlockende Jubel der Menschenmenge hallte hinter dem abfahrenden Wagen des Führers her.

In England hinterließ die Kundgebung einen tiefen Eindruck. Man erkannte den Friedenswillen Adolf Hitlers und rechnete ihm hoch an, daß er Frankreich eine friedliche Regelung der Saarfrage vorschlug. Bei dieser Gelegenheit konnten sich die Engländer wieder nicht eines unbehaglichen Gefühles erwehren [207] wie so oft in den verflossenen Monaten, daß Knox, der die Saardeutschen knechtete und knebelte, ein Engländer war.

Die Franzosen aber machten böse Mienen zum guten Spiel: sie hatten nämlich genau am gleichen Tage eine heftige Schlappe erlitten. Die Separatisten hatten eine große "Antifa"-Gegenkundgebung in Sulzbach aufziehen wollen, wozu 50 000 Menschen erscheinen sollten. Aber ach! Es kamen nur 12 000 Teilnehmer, Frauen und Kinder miteingerechnet, auch die vielen Elsässer und Lothringer, die über die nahe Grenze kommandiert worden waren. Von den vier Sonderzügen mußten noch am Sonnabend, dem 25. August, zwei wieder in Saarbrücken abbestellt werden.

Der Verlauf der "Gegenkundgebung" war lächerlich. Zunächst konnte der Emigrantenkommissar Machts, der den "Ordnungsdienst" leitete, nicht verhindern, daß sich infolge einer geworfenen Tränengasbombe eine gründliche Schlägerei entwickelte. Dann sprach vor den gottlosen Kommunisten ein ehemaliger katholischer Ordensgeistlicher Dörr, der einem Missionsorden angehört hatte, bzw. aber um diese Zeit ausgeschlossen war. Seine taktlose Handlungsweise, für die keine Kirchenbehörde die Verantwortung trug, erklärte sich aus seinem Geisteszustand: er hatte bereits einige Zeit in einer Heilanstalt verbringen müssen. Die Hauptrede hielt der Marxistenführer Matz (Matthias) Braun, der sich in den üblichen Beschimpfungen und Hetzereien gegen Adolf Hitler und das neue Deutschland erging.

  Maßnahme von Knox  

Auf Knox jedoch machten die beiden Kundgebungen von Ehrenbreitstein und Sulzbach tiefen Eindruck derart, daß er überzeugt war, er müsse neue Maßnahmen treffen, um Separatisten und Marxisten gegen die Deutsche Front zu kräftigen. Bereits am 31. August erlebte das Saarland die neue Maßnahme: das am 19. April 1933 ausgesprochene Verbot geschlossener kommunistischer Versammlungen und Veranstaltungen wurde aufgehoben! So wurde der üblen Hetze der Separatisten, die jetzt identisch waren mit den Kommunisten, die den gewaltsamen Umsturz wollten, eine neue Tür geöffnet. Das schurkische Spiel um die Saar trat in ein neues Stadium, der rücksichtslose Kampf um das Endschicksal der Saar begann.



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra