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Deutsche Not im niedergehenden Polen

Die Korruption bei
den Königswahlen
Bei der Wahlhandlung nach dem Tode des Königs Sobieski zeigte sich der vorgeschrittene Zerfall des einst so mächtigen polnischen Reiches. Der Adel war in Parteien zersplittert und ließ sich von den Bewerbern um die polnische Königskrone bestechen. Nicht nur auf dem Wahlfelde, sondern auch in Warschau und in der Krönungskirche spielte sich der Kampf der Meinungen ab. Als endlich die für den sächsischen Kurfürsten eintretende Partei siegte, atmeten alle Einsichtsvollen auf; schien es doch, als ob dem polnischen Lande der so nötige bürgerliche Frieden beschert werden sollte.

Nöte der deutschen Bürger
in Warschau während
des Nordischen Krieges
August II. Bündnis mit den Gegnern des jungen Karl XII. von Schweden, dem russischen Kaiser Peter I. und dem dänischen König Friedrich IV., sollte Polen zum Verhängnis werden. Im Mai 1702 mußte August II. Warschau verlassen, weil die schwedischen Truppen herannahten. Um und in Warschau selbst wurden wiederholt Schlachten geschlagen. Die deutsche Bürgerschaft mußte hohe Kontributionen zahlen; die Stadt war verpflichtet, wöchentlich 20 000 Tympfen (so benannt nach dem deutschen Münzmeister Tympf) und große Posten Naturalien an die schwedischen Truppen abzuführen. Einige Jahre dauerte der Kampf um die Herrschaft in Polen. Auf Betreiben des schwedischen Königs wurde Stanislaus Leszczynski als Gegenkönig gewählt. Warschau ging wiederholt aus einer Hand in die andere. Auch die Russen waren eine Zeitlang seine Herren. Zar Peter fand schon eine verarmte Bürgerschaft vor, aus der kaum noch etwas herauszupressen war. Er mußte sich darauf beschränken, Kunstgegenstände aus dem königlichen Schloß nach Petersburg mitzunehmen. Im Oktober 1707 zogen die Russen weg; August II. nahm wieder Besitz von der unglücklichen Stadt. Im nächsten Jahre wurde sie schwer von der Pest heimgesucht; sie raffte 30 000 Einwohner dahin. Von den 40 Bediensteten des königlichen Schlosses blieben nur noch drei übrig und von den 36 deutschen Schuhmachern starben 33. Bei der Bekämpfung der Seuche leistete die alte deutsche Bennonibrüderschaft Hervorragendes. Ihre Vorsteher waren unermüdlich in der Pflege der Erkrankten. Nicht weniger als 49 ihrer besten Mitglieder, darunter auch der opferbereite Pater Heinrich, fielen der Pest zum Opfer. In den nächsten Jahren trat die Epidemie noch zweimal auf. Zwei größere Feuersbrünste und eine bedeutende Überschwemmung vermehrten die Nöte der deutschen Bürgerschaft.

Weitere Unterdrückung
der evangelischen Deutschen
Während der kriegerischen Ereignisse waren die die Protestanten bedrückenden Bestimmungen außer Kraft gesetzt worden. Stanislaus Leszczynski begünstigte sogar den protestantischen Adel. Nach der Schlacht von Poltawa mußten die Protestanten ihre Hoffnungen auf Gleichberechtigung der Konfessionen fahren lassen. Unter Mitwirkung des russischen Gesandten wurde 1716 in Warschau von den Bevollmächtigten des Königs [46] August II. unter Berufung auf frühere Bestimmungen ein Vertrag geschlossen, nach welchem es den Protestanten nicht erlaubt war, neue Kirchen zu bauen. Sie durften nur zu Hausandachten zusammenkommen. Die Kirchen, die in neuerer Zeit in Städten, Dörfern und Adelsschlössern errichtet worden waren, sollten abgetragen oder an die Katholiken übergeben werden. Alle ihnen von dem schwedischen König verschafften Religionserleichterungen wurden rückgängig gemacht.

Das Thorner Bluturteil
und seine Folgen
Die Jesuiten achteten auf strenge Ausführung der neuen Verordnungen. August II. hatte 1717 den Evangelischen Milderungen versprochen. Aber die mißverständliche Fassung einiger Sätze bot den Jesuiten und ihren Freunden willkommene Handhaben zur weiteren Unterdrückung. - Bekannt ist das Thorner Blutgericht von 1724. Zöglinge der Jesuitenschule hatten die Schüler einer evangelischen Lehranstalt der deutschen Stadt Thorn in Großpolen angegriffen. Ein über frühere Vorkommnisse erbitterter Volkshaufe drang darauf in die Jesuitenschule und zerstörte die Einrichtung, ohne zu morden oder zu rauben. Die Jesuiten behaupteten, daß bei dem Tumult der Altar der Kapelle entweiht worden sei. Bürgermeister Rößner und andere Bürgerschaftsvertreter wurden zur Verantwortung gezogen. Eine nur aus Katholiken bestehende Kommission führte die Untersuchung durch. Das Ergebnis war, daß der Bürgermeister und zehn andere angesehene Bürger zur Enthauptung verurteilt wurden. Das Bluturteil rief in ganz Europa flammende Entrüstung hervor. Die protestantischen Höfe machten Vorstellungen beim polnischen König. Der preußische König und der englische Gesandte drohten mit einem Kriege, falls die Evangelischen in Polen noch weiter drangsaliert werden sollten. Während der Tagung des polnischen Reichstages von 1726 verlas man die Proteste der fremden Mächte. Es entstand eine allgemeine Aufregung. Die deutschen und polnischen Protestanten sollten dafür büßen, daß die ausländischen Regierungen Partei für sie genommen hatten. Man verbot ihnen bei Todesstrafe, den Schutz der anderen Mächte anzurufen. Nun wurde das Schicksal der Evangelischen in Polen noch härter. In Großpolen allein verloren sie in den Jahren 1718 bis 1754 über dreißig Kirchen, die man wegnahm oder zerstörte. Überall beschnitt man ihre bürgerlichen Rechte.

Zum Stammeshaß
gesellt sich
die Glaubenswut
Gustav Freytag bietet erschütternde Schilderungen aus jener Zeit: "Zu dem Gegensatz der Sprache kam jetzt auch der Gegensatz der Konfession, zu dem Stammhaß die Glaubenswut. Gerade in dem Jahrhundert der Aufklärung wurde in diesen Landschaften die Verfolgung der Deutschen fanatisch, eine protestantische Kirche nach der anderen wurde entzogen, niedergerissen, die hölzernen angezündet; war eine Kirche verbrannt, so hatten die Dörfer das Glaubensrecht verloren, deutsche Prediger und Schullehrer wurden verjagt und schändlich mißhandelt. Einer der größten Grundherren des Landes, ein Unruh aus dem Hause Birnbaum, Starost von Gnesen, wurde zum Tode mit Zungenausreißen und Handabhauen verurteilt, weil er aus deutschen Büchern beißende Bemerkungen gegen die Jesuiten in ein Notizbuch geschrieben hatte. Es gab kein Recht, keinen Schutz mehr. Die nationale Partei des polnischen Adels verfolgte im Bunde mit den Pfaffen am leidenschaftlichsten die, welche sie als Deutsche und Protestanten haßte. Zu den Patrioten oder Kon- [47] föderierten lief alles raublustige Gesindel; sie warben Haufen, zogen plündernd im Lande umher, überfielen kleinere Städte und deutsche Dörfer, nicht nur aus Glaubenseifer, noch mehr aus Habsucht. Der polnische Edelmann Roskowski zog einen roten und einen schwarzen Stiefel an, der eine sollte Feuer, der andere Tod bedeuten; so ritt er brandschatzend von einem Ort zum anderen, ließ endlich in Jastrow dem evangelischen Prediger Willich Hände, Füße und zuletzt den Kopf abhauen und die Glieder in einen Morast werfen. Das geschah 1768."1

Nachdem friedlichere Verhältnisse Platz gegriffen hatten, begann der sächsische Hof in Warschau mit dem Wiederaufbau der zerstörten Teile der Hauptstadt. Sächsische und italienische Meister wurden nach Warschau berufen, um die noch heute vorhandenen Prachtbauten aufzuführen. Bereits 1724 konnte August II. mit seinem Hofstaat das Sächsische Palais beziehen. Im nächsten Jahr fand die Eröffnung des großen Hoftheaters statt, für welches Sänger und Tänzer aus Dresden berufen worden waren. In der Nähe der neuen Bauten entstand der Sächsische Garten. Für die vielen sächsischen Kriegsvölker, die öfter gegen die die Ostgrenze überschreitenden räuberischen Tataren und Kosaken ausgeschickt werden mußten, wurden große Kasernenbauten errichtet. An der Ujasdower Allee, dort wo sich heute der botanische Garten befindet, ließ der König einen Kalvarienberg errichten. Die erste der dreiunddreißig gemauerten Kapellen war aus Marmor. Zwei neue Stadtteile, die Krakauer Vorstadt und die Neue Welt und auch die Ujasdower Allee verdankt Warschau der Bautätigkeit der beiden sächsischen Könige.

Neue deutsche
Einwanderungen in
Warschau während
der Regierung der
sächsischen Könige
In den ruhigeren Zeitläuften erholte sich auch die deutsche Bürgerschaft der Hauptstadt. Von der Bennonibrüderschaft erfahren wir, daß sie wieder an Vermögen und Ansehen zunahm. Einer der berühmtesten Vorsteher war Franz Witthoff aus dem alten deutschen Bürgergeschlecht der Witthoffs. Er starb 1719, nachdem er achtmal Vogt und einmal Präsident der Altstadt gewesen war und ein großes in Häusern und Liegenschaften bestehendes Vermögen erworben hatte. Sein einziger Sohn, ein Jesuitenpater, starb 1727 und vermachte das große Vermögen dem Jesuitenorden. Die Töchter des Hauses waren an polnische Adlige verheiratet. Nur eine von ihnen wurde die Frau eines Deutschen mit französischem Namen, des Barons Peter de Riaucourt, der sich in Warschau als Buchhändler niedergelassen hatte und später ein Bankgeschäft gründete. - Jan Naumanski, dessen deutsche Abkunft der Name verrät, gründete 1729 die beiden ersten polnischen Zeitungen.

Ein Teil der mit dem sächsischen König nach Polen gekommenen evangelischen Hofleute war kirchlich gesinnt. Diese Würdenträger und die aus Sachsen herangezogenen deutschen Handwerker wie auch die einheimischen evangelischen Deutschen besuchten im Jahre 1711 die Gottesdienste, die die beiden Wengrower Pastoren, der lutherische und der reformierte, einige Sonntage hindurch in der Kapelle des "Brandenburger Hofes", dem Wohnsitz des preußischen Gesandten, abhielten. Der Bischof von Posen, Tarlo, [48] ließ durch die Warschauer katholische Geistlichkeit die evangelischen Gottesdienste verbieten und ein Verzeichnis der Teilnehmer an den Gottesdiensten anfertigen, um sie durch das Tribunal zur Verantwortung zu ziehen. Der preußische Gesandte von Loelhoeffel (der Großvater des polnischen Patrioten Lelewel) berichtete nach Berlin über das Vorkommnis, worauf ihm Friedrich I. die Weisung zugehen ließ, die Gottesdienste nicht einzustellen. Dem Bischof in Posen aber ließ der preußische König mitteilen, daß er die Jesuiten aus Danzig, Tilsit und Königsberg vertreiben würde, falls der Bischof bei seiner Absicht verharre. Kurze Zeit darauf kam der Wengrower lutherische Pastor wieder nach Warschau und hielt an drei Tagen Gottesdienste, die von den Warschauer Evangelischen gut besucht waren. Auch in der Folge wurden seitens der katholischen Geistlichkeit kein Einspruch mehr gegen die Abhaltung der evangelischen Gottesdienste erhoben. Gern wäre die Warschauer Gemeinde zu einem eigenen Prediger gekommen, aber weder sie noch der preußische Hof gaben die Mittel zum Unterhalt eines solchen her. Aushilfe boten die in den nächsten Jahren für die sächsischen Truppen berufenen beiden lutherischen Militärpfarrer, die für ihre Predigten die preußische Botschaftskapelle mitbenutzten. Im Jahre 1732 wurde in einer der sächsischen Kasernen eine evangelische Kapelle eingerichtet, in der der Feldprediger Gering seine berühmt gewordenen Predigten hielt.

Die Gründung
und der Ausbau
der evangelischen
Gemeinde in Warschau
Weniger gehindert in der Ausübung ihres Glaubens wurden die Evangelischen während der Regierungszeit des Königs August III. Die leitenden Staatsmänner Sulkowski und Brühl standen unter dem Einfluß der russischen Regierung. Weil der Petersburger Hof für die griechisch-katholischen Einwohner Polens freie Religionsübung erwirken wollte, nahm er sich auch der Interessen der einheimischen Evangelischen an. So kam es, daß während der Regierungszeit des zweiten sächsischen Königs die Warschauer deutsch-lutherische Gemeinde ein erfreuliches Wachstum zu verzeichnen hatte. Lutheraner und Reformierte durften 1736 ihren Friedhof erweitern. Beide Religionsverwandte schlossen einen Vertrag über die gemeinsame Benutzung des Friedhofs, dessen Verwaltung abwechselnd besorgt wurde. In den Jahren 1700-1750 werden uns folgende lutherische Gemeindeältesten genannt: Klempenau, Schmidt, Rautenberg, Greßner, Gutterley, Ernst, Wessel, Brettschneider, Witt, Hartknoch, Golzsch, Neumann, Pohl, Biber, Hübschmann, Lehner, Köster, Harrwald, Höse und Jentsch. Die Zusammensetzung des Gemeindevorstandes beweist den deutsche Ursprung der lutherischen Gemeinde in Warschau.

Mit der Berufung des Bankiers Peter Tepper zum Gemeindeältesten besserten sich die Verhältnisse der Gemeinde wesentlich. Auf einer am 6. Juli 1761 in seinem Hause stattgefundenen Gemeindeversammlung beschloß man, dem Wengrower Pastor Reis, der noch immer die Warschauer Gemeinde seelsorgerisch bediente, die Mittel zum Wiederaufbau der abgebrannten Pfarr- und Schulhäuser in Wengrow zu geben. Die Warschauer lutherische Gemeinde zählte damals 5000 Mitglieder. Im Einverständnis mit seiner Regierung hatte der dänische Gesandte eine Kapelle eingerichtet und einen Gesandtschaftsprediger angestellt. Der kleine Raum konnte den Bedürfnissen nicht mehr genügen. Deshalb erbaute der Gesandte [49] Saphorin in der Nachbarschaft, unfern der Stelle, an der sich der Bau der gegenwärtigen lutherischen Kirche erhebt, ein Holzgebäude, in welchem der aus der Walachei berufene Pastor Scheidemantel 1767 den ersten Gottesdienst hielt. Die Stadtgemeinde, die noch immer als Filiale von Wengrow galt, setzte zur Besoldung des Predigers 200 Taler aus. Erst 1775 konnte sie sich als eigenes Kirchspiel selbständig machen. Der mit Beginn der Regierung des Königs Stanislaus August Poniatowski noch stärker gewordene russische Einfluß hatte diesen Fortschritt ermöglicht. Der erste Pastor der neuen Gemeinde war der erwähnte Scheidemantel. "Ein treuer Bekenner Christi, ein eifriger Verkünder des göttlichen Wortes, ein unerschütterlicher Kämpfer für die Reinheit der Kirchenlehre, erbaute er durch seine glänzende Rednergabe die das ärmliche Bethaus überfüllenden Zuhörer. Das Innere dieses Gotteshauses, die kahlen Wände, die statt der Kanzel errichtete kleine Erhöhung, der mit einer Decke und einem Kreuz geschmückte, den Altar vertretende Tisch, die ärmlichen Abendmahlsgeräte, alles dies erinnerte an die ersten Zeiten des Christentum: dafür lebte aber in dem Hirten und der Gemeinde der Geist des Glaubens und der Liebe."2 Scheidemantel gelang es, die Gemeinde für die Errichtung einer eigenen Schule zu gewinnen. Man mietete einen Schulraum und berief Pastor Cerulli zum Rektor und Nachmittagsprediger. Scheidemantel starb schon 1777; die Gemeinde ging ihres besten Freundes und Beraters verlustig. Kurz vor seinem Tode hatte er vom sächsisch-gothaischen Hofe eine Beihilfe von 3000 polnischen Gulden für Schulzwecke erwirkt.

Scheidemantels Aussaat blieb nicht ohne Frucht. Noch im Jahre 1777 raffte sich die Gemeinde zu tatkräftigeren Entschlüssen auf. Sie kaufte den Platz, auf dem das Bethaus stand, um eine der Bedeutung der Gemeinde entsprechende Kirche zu bauen. Tepper bemühte sich um die Bauerlaubnis des Königs. Von drei ihm vorgelegten Entwürfen bestätigte der König den dritten, der einen Rundbau mit Kuppel vorsah. Er scheute sich, den Bau einer Kirche mit Glockenturm zuzulassen, um nicht die katholische Geistlichkeit zu erzürnen. Tepper opferte 75 000 Gulden zum Bau. Andere Gemeindeglieder folgten seinem Beispiel nach Maßgabe ihrer Mittel. Die Warschauer Gemeinde brachte 390 000 polnische Gulden zum Bau auf; ausländische Glaubensgenossen spendeten 124 000 polnische Gulden. Der Bau wurde von dem sächsischen Architekten Zug errichtet; er gilt als eines der schönsten Werke protestantischer Baukunst in Europa. Scheidemantels Nachfolger, Pastor Ringeltaube, vollzog 1781 die Einweihung.

Während der Kirchbau seiner Vollendung entgegenging, wurde die Gemeinde von inneren Fehden zerrissen. Der größere Teil der Gemeindeglieder, vornehmlich aber die Sachsen, wünschten die Beibehaltung bzw. die Wiedereinführung der sächsischen Liturgie. Pastor Ringeltaube hatte die reformierte Agende übernommen. Der heftige Streit, um dessen Schlichtung sich der russische Gesandte Baron Stackelberg bemühte, zog [50] immer weitere Kreise. Beschlüsse und Gegenbeschlüsse folgten einander, Synoden wurden einberufen und die fremden Mächte, die 1768 die Freiheiten der Dissidenten durch einen Vertrag garantiert hatten, in die Streitigkeiten gezogen. Der ärgerliche Handel endete erst 1783 durch ein königliches Reskript, das die Unabhängigkeit der Warschauer Gemeinde erklärte. A. F. Büsching, der Direktor des Gymnasiums im Grauen Kloster zu Berlin, behandelt auf 250 Seiten seines dickleibigen Werkes Neue Geschichte der Evangelischen beyder Confessionen im Königreich Polen (Halle 1784) mit größter Ausführlichkeit den Warschauer Agendenstreit, der mit der Annahme der sächsischen Liturgie schloß.

Cerullis Nachfolger, der zweite Prediger und Rektor der Schule, K. L. Hemmerich aus Dresden, der sich seit 1784 in Warschau befand, befreundete sich mit dem polnischen General Dombrowski. Als letztere sich dem von Kosciusko vorbereiteten Aufstand anschloß, verschwand auch Hemmerich aus Warschau. Er blieb einige Jahre verschollen. Erst 1794 kam die Kunde, daß er Führer einer Kompagnie der polnischen Legion geworden sei. Er fiel 1796 bei der Belagerung von Mantua.

Von den 89 448 Einwohnern, die Warschau 1787 hatte, waren etwa 8000 deutsche Lutheraner und von 181 christlichen Geschäften, die 1789 in Warschau gezählt wurden, lagen die meisten in deutschen Händen. Auch die Inhaber der Bankgeschäfte waren fast ausschließlich Deutsche. Sechs von ihnen: Tepper, Schultz, Arndt, Kabryt, Meysner und Blank wurden 1790 geadelt.

Um sich ein Gegengewicht gegen den allmächtig werdenden Jesuitenorden zu schaffen, berief König Wladyslaus IV. 1642 den Piaristenorden nach Polen. Auch die Piaristen befaßten sich mit der Erziehung; auch sie hatten zahlreiche deutsche Mitglieder. Da die Piaristen für Aufklärungsfragen eintraten, so nimmt es uns nicht wunder, daß sie 1757 als Herausgeber der ersten deutschen Zeitung in Warschau, der Warschauer Zeitungen, erscheinen. Die Zeitung kam zweimal wöchentlich heraus und bot politische Nachrichten. Sie hatte eine Nachfolgerin in der gleichfalls von 1757 bis 1763 herausgegebenen Königl. poln. priv. Warschauer Zeitung. Einen Vorläufer hatte die Gründung der Piaristen in der kurzlebigen, 1753 ins Leben gerufenen Warschauer Bibliothek der gründlichen Nachrichten. Noch sechs andere Wochenblatt- und Monatsschrift-Gründungen verzeichnet das 18. Jahrhundert, während im 19. Jahrhundert nur dreimal der Versuch gemacht worden ist, in Warschau deutsche Zeitungen erscheinen zu lassen.

Mit der Bedeutung der Bennonibrüderschaft ging es abwärts. Der in Polen sich so oft wiederholende Vorgang, daß der katholische Deutsche noch eher als der evangelische Landsmann geneigt ist, im fremden Volkstum aufzugehen, läßt sich auch an der Entwicklung der Brüderschaft feststellen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen eine Anzahl Gärtnerfamilien aus Bamberg nach Warschau. Sie verpflanzten die Kunstgärtnerei auf polnischen Boden. Auch sie sind, gleich den Bambergerdörfern bei Posen, restlos polonisiert worden. - Kapuzinermönche übernahmen 1738 an Stelle der Jesuiten die geistliche Leitung der Bennoni-Brüderschaft. Sie führten strenge Aufsicht über Spital und Waisenhaus [51] und schreckten nicht davor zurück, zanksüchtige Insassen des Frauenspitals in Halseisen vor die Kirchtür zu stellen.

Auch während des 18. Jahrhunderts wurden neue deutsche Vorortgründungen unternommen. Die neuen Siedlungen erhielten Kulmer Stadtrecht. So hören wir von der Jurisdiktion des Grafen Zamoyski auf der Ordynacka. Das Rathaus stand auf der "Neuen Welt"; Johann Brandt war der erste Bürgermeister. - Zwischen König- und Kranzstraße entstand 1757 der von Marschall Bielinski angelegte Vorort Bielany und 1762 wurde vom Ehepaar Eustachius und Maria Potocka der Vorort Marienstadt mit Kulmer Stadtrecht gegründet.

Unter den vielen deutschen Gästen, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zu der deutsch-lutherischen Gemeinde in Warschau in Beziehungen getreten waren, befand sich auch der Philosoph Fichte. Er kam im Juni 1791 nach Warschau, um eine Hauslehrerstelle in der Familie des Grafen Plater zu übernehmen. Verhältnisse und Behandlung sagten ihm nicht zu, so daß er die eingegangenen Verpflichtungen löste. Vor seiner Abreise entsprach er der Bitte des Pastors Ringeltaube und hielt am 23. Juni eine Predigt.

Wirtschaftliche Rückschläge, verursacht durch den Zusammenbruch der reichen deutschen Handelshäuser nach den Aufständen der 90er Jahre, brachten die Rechnungsverhältnisse der deutsch-lutherischen Gemeinde in Unordnung. Da nahm sich Friedrich Wilhelm III. der bedrängten deutschen Glaubensgenossenschaft an und schenkte ihnen 1801 19 600 Taler, womit alle Schulden, auch die vom Kirchenbau verbliebenen, ausgeglichen werden konnten. Im April 1806 konnte die neue evangelische Schule eingeweiht werden. Entgegenkommenderweise hatte die preußische Verwaltung sich bereit erklärt, das Rektorgehalt zu zahlen.

Nach bekanntem Muster benutzte die französische Intendantur nach dem Einmarsch der Franzosen längere Zeit hindurch die lutherische Kirche als Heumagazin, bis es der Gemeindeverwaltung durch ihre Vorstellungen bei dem Kommandanten Dentzel, einem evangelischen Offizier, gelang, die Kirche wieder zur Abhaltung von Gottesdiensten freizubekommen.

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1Gustav Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit, IV. Band, Seite 274. Leipzig. ...zurück...

2E. H. Busch: Beiträge zur Geschichte und Statistik des Kirchen- und Schulwesens der evang.-augsburg. Gemeinden im Königreich Polen. Leipzig 1867, Seite 78. ...zurück...

Das Deutschtum in Kongreßpolen
Adolf Eichler