[32]
Deutsches Leben während der
Verfolgungszeiten
Die
systematische
Vernichtung
des Deutschtums
bewirkt den Rückgang
des polnischen
bürgerlichen Lebens |
Mit der systematischen Vernichtung des deutschen Bürgertums
und der deutschen ländlichen Kolonisation war ein
entscheidender Wendepunkt in der inneren Entwicklung des polnischen
Reiches eingetreten. Im 16. und 17. Jahrhundert ist fast auf allen
Gebieten des bürgerlichen Lebens Stillstand und Rückgang zu
verzeichnen. "Polnische Schriftsteller (Górnicki) stellen die
Behauptung auf, Städte seien überhaupt
überflüssig, wobei auf die Tataren verwiesen wird, die keine
städtischen Ansiedlungen haben. Den
Getreide- und Viehhandel nahm der Adel selbst in die Hand. Die
Selbstverwaltung der Städte wird beschnitten; immer mehr werden sie
der Aufsicht der Hauptleute unterstellt, die ihr Amt nur zu eigener
Bereicherung ausnutzen. Die Reichstage erlassen Taxen, nach denen die
Kaufleute in den Städten sich zu richten haben. Der Wohlstand der
Städte beginnt zurückzugehen. Während einige Patrizier
in den Adel aufgenommen werden, wird 1633 bestimmt, daß ein
Adliger, der städtische Hantierungen verrichtet, den Adel verliere."1
Deutsches Wesen am
königlichen Hofe |
Nur in Warschau, das seit der Vereinigung
Masowiens mit Polen an Stelle von Krakau zur Hauptstadt des Landes
geworden war, konnte sich das deutsche Bürgertum noch frei bewegen.
Trotz seiner Feindschaft gegen die Reformation war König
Sigismund III. Wasa ein Freund deutschen Wesens. Am
Warschauer Hof wurden Sitten und deutsche Sprache eingeführt. Zur
Erziehung der Kinder aus seiner Ehe mit einer Habsburgerin wurde das
Kammerfräulein Ursula Meyer berufen. In zeitgenössischen
Berichten wird sie als ehrlich, klug, bescheiden, fromm und
liebenswürdig geschildert. Sie soll unbeschränkten
Einfluß am Hofe gehabt haben und das königliche Hauswesen
selbständig verwaltet haben. Die Jesuiten, und nicht zuletzt
der berühmte Jesuitenpater Peter Skarga, bemühten sich
erfolgreich um ihre Gunst und erreichten durch ihre Vermittlung die
Unterdrückung der Reformation. Papst Urban VIII. sandte ihr
seinen Segen nebst der goldenen Rose. - Auch die Inhaber anderer
Hofämter waren Deutsche. Propst Paul Giß, ein Sohn des
Ratsherrn Balthasar Giß, war Beichtvater der Königin. Leibarzt
des Königs war ein Doktor Katerle. Die erste Münze wurde von
Johann Schmidt eröffnet.
Die
Jesuiten in Warschau
als Vorkämpfer
des Deutschtums |
Der deutsche Jesuitenpater Georg Leyer, Beichtvater
des Prinzen Johann Kasimir, rief 1623 eine Anzahl Warschauer Deutscher
zusammen und legte ihnen nahe, nach dem Muster der von Pater Peter
Skarga 1592 gegründeten polnischen wohltätigen Gesellschaft
eine "Brüderschaft des heiligen Bennoni" zu
gründen. - Benno, Bischof von Meißen, galt als
Schutzpatron gegen die Pest, die in Warschau wiederholt große Opfer
[33] forderte. Die
Bennoni-Brüderschaft sollte sich mit der Unterstützung
hilfsbedürftiger Ausländer befassen und
Armen-, Kranken-, Waisen-, Findlings- und Leihhäuser sowie deutsche
Schulen gründen. Nach den Satzungen, die 1640 in Paris lateinisch
und 1663 in Warschau deutsch gedruckt wurden, sollten die Vorsteher und
Beisitzer Deutsche und der Direktor einer der Jesuitenpatres sein, weil diese
als tüchtige Organisatoren und Spendensammler bekannt waren.2
Es mutet uns heute sonderbar an, daß wir die Jesuiten, die eben dabei
waren, die Reformation in den deutschen Städten Polens auszurotten,
in Warschau als Vorkämpfer für das Deutschtum sehen. Sie
predigten im Schloß und seit 1626 auch in den zwei neuen
Jesuitenkirchen allsonntäglich in deutscher Sprache. Deutsche
Chorknaben, die die Jesuiten ausgebildet hatten, sangen
sonn- und feiertags vor den Häusern der Honoratioren der Stadt
deutsche Lieder. - Bemerkenswert sind die Anmerkungen zu den
Satzungen der Brüderschaft, in denen der Gebrauch des Lateinischen
gegeißelt wird: "Warumb soll dann ein Teutscher nicht teutsch
schreiben, so daß es ein jedweder Teutscher verstehen kann? Ja es ist
höchst notwendig, daß alle Sachen in teutscher Sprache
beschrieben werden." - An einer anderen Stelle heißt es:
"Daß die Vorsteher teutscher Nation sein sollen, ist nicht darumb, als
solte in einer Brüderschaft eine Nation für der andern einen
Vorzug haben, sondern darumb, weil die deutsche Nation in Warschau die
stärkeste und derselben Sprach die gemeineste und fast von allen
Fremden geredet und verstanden wird. Darumb ist billich, daß Alle
Sachen auf den Sessionen in einer, nemlich in teutscher Sprach tractiret und
die Bücher [34] in selbiger Sprach
geschrieben und gehalten werden, damit durch Vermischung vieler Sprachen
nicht eine babylonische Verwirrung erfolge." - Nachdenklich stimmt
noch folgende Bemerkung: "Man pflanze nicht Weinstöcke, Feigen
und Citronenbäume in unserer pohlischen rauhen Erde, in diesem
wilden und ungeschlachten Lande."
Wie biegsam die Warschauer Jesuiten waren, wenn es galt, mit den
Forderungen des politischen Lebens Kompromisse zu schließen, beweist
die Tatsache, daß die Bennoni-Brüderschaft den ins Land
gerufenen evangelischen deutschen Waffenschmieden ein Grundstück
zur Ansiedlung und Anlage eines Kirchhofs überließ.
In den Jahren 1624 und 1625 hatte die Pest unter den Warschauer
Einwohnern furchtbar aufgeräumt. Auch der Bürgermeister
Johann Korb und der Bürgermeister der Neustadt Johann Bucephalus
und andere angesehene deutsche Bürger sind ihr erlegen. Man suchte
deshalb neue Einwanderer in die Stadt zu ziehen. Die benachbarte wilde
Weichselinsel, die den nicht gerade anheimelnden Namen "Dohleninsel"
trug, wurde 1629 mit deutschen Kolonisten besiedelt. Sie erhielt den Namen
"Holländerinsel" und wurde später auf "Saska Kempa"
("Sächsische Insel") umgetauft.
Groß waren die Verheerungen, die Polen und seine Hauptstadt
während der schwedischen Kriege (1655-1660) erlitten. In Warschau
blieb nur der zehnte Teil der ursprünglichen Einwohnerschaft
übrig. Auch die einst so mächtige
Bennoni-Brüderschaft war stark zusammengeschmolzen und
zählte nur noch 36 Mitglieder. Sie hatte fast ihr ganzes
Vermögen verloren. Ihre Vorsteher, die deutschen Pröpste Rohn
und Ewart und die Neustädter Hausbesitzer Heinisch, Vogt, Opitz,
Krumloff, Bade und Ochs, taten ihr möglichstes, um der
Brüderschaft zu ihrer früheren Bedeutung zu verhelfen.
Für den Erlös der verkauften Grundstücke bauten sie ein
neues Hospital, riefen die deutsche Schule wieder ins Leben und sorgten
für Ausschmückung des erhalten gebliebenen Kirchleins. Die
Brüderschaft erhielt Geschenke und machte auch bald Erbschaften.
Ihre frühere Blüte erreichte sie indes nicht mehr.
Die Häuser am Markt der Warschauer Altstadt hatten nach einer aus
dem Jahre 1668 stammenden Urkunde noch im siebzehnten Jahrhundert
deutsche Besitzer. Genannt werden die Stadträte Burbach, Walter,
Kleinpold, Henriet, der königliche Sekretär Günther, der
Hofbarbier Jucht, der Weinhändler Richard, die Bürger
Witthof, Balzer und Busser. - Daß auch die deutsche Sprache in
Warschau ihre Bedeutung noch nicht verloren hatte, bezeugt die Tatsache,
daß die Abdankungsurkunde des Königs Johann Kasimir 1668
in deutscher Sprache gedruckt wurde.
Die
Anfänge des
deutschen Protestantismus
in Warschau |
Durch den willkommenen Zuzug deutscher
Handwerker und Kaufleute vermehrte sich in Warschau die Zahl der
Lutheraner.
Sie fanden einen mächtigen Gönner in der Person
des reformierten, in der Schweiz erzogenen Fürsten Boguslaus
Radziwill, der 1650 und 1651 in zwei Erlassen erklärte, "daß er
den der evangelisch-lutherischen Kirche ausburgischer unveränderter
Konfession zugetanen Einwohnern von Polen und Litauen, insonderheit den
Geistlichen, Vorstehern und Moderatoren, den Offizieren und Hofdienern
Ihrer königlichen Majestäten, nicht minder der merklichen
Anzahl Handels- und Handwerksleuten der königlichen Residenz
Warschau [35] seine Stadt
Wengrow und, bis zur Erbauung einer besonderen Kirche, die
daselbst bereits stehende reformierte Kirche zur freien und ungehinderten
Ausübung ihrer Religion zur Verfügung stelle, auch sich
verpflichte, einem von ihnen zu erwählenden
evangelisch-lutherischen Geistlichen jährlich 300 Gulden zu bewilligen
sowie für den Fall der Eröffnung einer Schule und der
Errichtung eines Hospitals noch weitere Hilfe zu leisten." Den lutherischen
Geistlichen wurde ebenso wie seinem reformierten Hofprediger Schutz und
Geleit für alle Reisen versprochen.
Der erste von den Warschauer Deutschen gewählte Pastor der
evangelisch-lutherischen Gemeinde Warschau-Wengrow war der
sächsische Theologe Jonas Columbus. Man hielt sich an die
sächsische Kirchenordnung und nahm auch die sächsische
Liturgie an. Die ersten Vorsteher der Gemeinde waren die Kaufherren
Wilhelm von Krecken, Gottfried Krel und Michael Trotz. Als Kirchenpatron
galt Fürst Boguslaus Radziwill. Pastor Columbus und der Pfarrer der
polnisch-reformierten Gemeinde in Wengrow Starzynski trafen eine
Vereinbarung, nach der der deutsche Gottesdienst allsonntäglich von
halb sieben bis halb neun Uhr früh und von zwölf bis zwei Uhr
mittags, außerdem Dienstag und Donnerstag früh um sieben
Uhr abgehalten werden sollte. Die Warschauer Evangelischen mußten
den 70 Kilometer langen Weg nach Wengrow, der einen Tag Fahrt
beanspruchte, zurücklegen, um am Gottesdienst teilnehmen zu
können. Zu Taufen und Begräbnissen kam der Pastor nach
Warschau. Trauungen fanden in Wengrow statt. Da oft evangelische
Offiziere und Hofleute daran teilnahmen, so kam das kleine Kirchlein in
Wengrow manchmal dazu, viel Glanz und Pracht in seinen schmucklosen
Mauern zu sehen.
Wie rechtlos die evangelischen Deutschen in Warschau sich damals noch
fühlen mußten, erhellt der Umstand, daß es ihnen als
"Dissidenten" verboten war, Grundbesitz zu erwerben. So kam es, daß
sie das durch ihren Fleiß erworbene Vermögen, das sie nicht in
Grundstücken anlegen konnten, an den Adel ausliehen. Erst dem
König Johann Kasimir hatten sie es zu verdanken, daß sie die
Erlaubnis zur Anlage eines eigenen Friedhofs erhielten. In der Nähe
des Friedhofs durften sie ein Schützenhaus
errichten. - Nicht nur Radziwill, auch ein anderer der Großen
des Reiches, der Großkanzler Johann Leszczynski, hatte den
evangelischen Deutschen seinen Schutz angedeihen lassen, indem er ihnen in
dem nahen, 1648 angelegten Städtchen Leschno
Aufenthalts- und Baurecht gewährte.
Dankbar empfanden es die Warschauer Evangelischen, als der Gesandte des
Großen Kurfürsten, der Freiherr Johann von Hoverbeck, in
seinem, "Brandenburger Hof" genannten, Hause seit 1664 abwechselnd
lutherische und reformierte Sonntagsgottesdienste abhalten ließ. Zu
diesen Andachten kamen auch Offiziere und Hofbeamte; es fügte
sich von selbst, daß der Gesandte und seine Frau nach Schluß des
Gottesdienstes die Gäste empfingen und bewirteten. Als Hoverbeck
1682 starb, setzte sein Nachfolger Loelhoeffel diese Gepflogenheit fort.
Aus den Berichten der deutschen Bennoni-Brüderschaft ist ersichtlich,
daß neben dem, trotz bestehender einengender und
demütigender Bestimmungen, kräftig sich entwickelnden
deutschen Protestantismus auch noch der Warschauer deutsche
Katholizismus sich behauptete. Im Jahre 1675 [36] wurde der Propst Federle angestellt. Als
Vorsteher werden genannt der Kommandant von Warschau Hennig, der
königliche Sekretär Makni und die Provisoren Bade und
Tießen. 1686 ist Bürgermeister Czauver ihr Vorsteher. 1687
wird ein neues Hospital gebaut, das ausschließlich der Krankenpflege
dient, da keine obdachlosen deutschen Armen mehr in der Stadt waren.
Spätere Vorsteher sind Johann Knabe, der auch als Pächter des
Brauhauses der Brüderschaft genannt wird, Konrad Schmidt und
Gottfried Gilbert. Propst und Direktor war am Ausgang des
17. Jahrhunderts Johann Georg Haß, der an der Marienkirche
in der Neustadt amtierte. Daß daneben noch zwei Jesuitenpater, Riedig
und Friedrich, in deutscher Sprache predigten, beweist, wie stark das
katholische Deutschtum in Warschau noch um das Jahr 1700 vertreten
war.
Verfolgung der
Evangelischen
in Großpolen und Kleinpolen |
In Großpolen hat sich
während der Gegenreformation der deutsche Protestantismus, und mit
ihm das deutsche Bürgertum, nur schwer behaupten können. Es
gab Zeiten, wo die deutschen Bürger glaubten, daß es mit dem
lutherischen Deutschtum aus sei. Kirchen- und Schulwegnahmen,
Pastorenverfolgungen, Einkerkerungen und Pöbelverfolgungen
machten den Deutschen das Leben zur Last.
Johann von Laskis überragende Bedeutung war dem reformierten
Zweig des Protestantismus zugute gekommen. In Kleinpolen
umfaßte die reformierte Kirche in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts 122 Kirchengemeinden. Aber die verheerende
Wirkung der Gegenreformation vernichtete alles evangelische Leben: Als
1772 bei der ersten Teilung Polens der größte Teil Kleinpolens
an Österreich fiel, ließen sich nur noch kärgliche Spuren
des Protestantismus und des deutschen Bürgertums entdecken.
Krakaus große deutsche Vergangenheit war fast vergessen.3
[37] Im 17. Jahrhundert zog der in
Großpolen begüterte Adel deutsche Kolonisten aus Pommern,
Brandenburg und Schlesien heran und legte zahlreiche deutsche
Dörfer und einige neue Städte (wie Rawitsch, Schwersenz,
Bojanowo u. a.) an. Die Einwanderer hatten ihre Heimat infolge
[38] der Verheerungen
des Dreißigjährigen Krieges und nachdem ihnen von den
Grundbesitzern freie Religionsübung zugesichert worden war,
verlassen.
Einzelne Auswandererpartien wurden auch in östlichere Gebiete
geleitet. Schon 1563 hatte der Großgrundbesitzer
Leszno-Leszczynski pom- [39] mersche Bauern nach dem Bugufer
verpflanzt. Da die beiden Bugansiedlungen Neudorf (Nejdorf) und
Neubrau (Nejbrow) die einzigen aus alter Zeit erhalten gebliebenen
deutschen Dörfer Kongreßpolens sind, so dürfen ihre
Schicksale nicht unerwähnt bleiben. Während [40] des Kosakenaufstandes hatten sie viel zu
leiden, so daß ihr erster lutherischer Pastor Jonas Columbus, der
einem wegen Irrlehre abgesetzten Böhmen Joram im Amte gefolgt
war, das zerstörte Neuendorf verließ und Seelsorger der neuen
Gemeinde in Wengrow wurde. Als tatkräftiger Seelenhirt [41] erwies sich Martin Ohloff, der sein Amt
1690 antrat. Ihm hatte die Gemeinde den Ausbau des baufällig
gewordenen Schuppens, der ihm zum Gotteshaus dienen mußte, zu
danken. Die Jesuiten hatten es durchgesetzt, daß den noch im Lande,
dank dem Schutze mächtiger Adliger, geduldeten [42] Evangelischen der Bau neuer Kirchen
verboten wurde. Da half man sich in Neudorf so wie an anderen Orten:
stückweise wurden die morschen Teile durch neue ersetzt. Auch
während des Nordischen Krieges hatten die Bugdeutschen unter den
Truppendurchmärschen viel zu leiden. Pastor [43] Abrahamowicz, der 1720 nach Neudorf
kam, berichtet über neue Bauarbeiten, die er zu leiten hatte. Einem
Teil der Gemeindeglieder war die deutsche Sprache nicht mehr
geläufig, so daß er wohl noch in deutscher Sprache predigte, die
Katechisationen aber schon in polnischer Sprache abhielt. Abrahamowicz
muß ein furchtloser Bekenner seiner kirchlichen Überzeugung
gewesen sein. Wiederholt mußte er sich vor dem geistlichen und
weltlichen Tribunal verantworten. Man verbot ihm das Predigen in den
Filialgemeinden Piaski und Kobryn, die Ausbesserung der Kirche in
Neudorf, das Anlegen der Amtstracht der lutherischen Pastoren und die
Taufe von Kindern aus gemischten Ehen. Eine treue Fürsprecherin
fand er in der Fürstin Radziwill. Von ihrem Schlosse in Biala aus
besuchte sie die Gemeinde. In den Zeiten der Verfolgungen, während
des 18. Jahrhunderts, hatte die Gemeinde eine Reihe treuer
Seelenhirten, die sich um das geistliche und leibliche Wohl ihrer Herde
bemühten. Zu ihnen gehörte der Straßburger Simon
Pusch, der seit 1743 im Amte war und 1776, nach einer beschwerlichen Reise
zur Bedienung der Filialgemeinden, starb. Ein inniges Band der Liebe und
des Vertrauens umschloß Pastoren und Gemeinde.
In den ruhigeren Zeiten des 19. Jahrhunderts hören wir von
Kämpfen und Zwistigkeiten, die zwischen den geistlichen Herren und
ihren Schutzbefohlenen ausgebrochen waren. Einer von ihnen, Nikolai, wird
von dem kurländischen Konsistorium, dem die Gemeinde unterstellt
war, seiner geistlichen Würde verlustig erklärt. Zu
wiederholten Malen bleiben die Dörfer eine Reihe von Jahren ganz
ohne geistliche Pflege, so daß ihre Insassen zu verwahrlosen
beginnen.
Die
ältesten deutschen
Bauernsiedlungen der Neuzeit |
[44] Die Dörfer Neudorf und Neubrau
sind Mutterkolonien einer Anzahl Tochteransiedlungen geworden, die sich
bis nach Wolhynien hinziehen. Da die kleinen Hofstellen in den
Stammkolonien ihre Besitzer nicht mehr ernährten, so zog in den
letzten Jahrzehnten vor dem Kriege ein großer Teil der Dorfbewohner,
Männer, Frauen und Kinder, auf Wanderarbeit. Es ging die Rede,
daß überall, wo Chausseen oder Eisenbahnen gebaut wurden,
ganz gleich ob es in Polen, im hohen Norden Rußlands, im Ural oder in
Sibirien, auch Neudorfer zu finden seien. In den ersten Frühlingstagen
zogen sie in langen Wagenreihen aus und kamen erst zu Beginn des Winters
in die Heimat zurück. Sie waren als zuverlässig Arbeiter
bekannt und begehrt. Andere Dorfinsassen fanden als Zimmerleute und
Flößer während des Sommers Beschäftigung.
Manche von ihnen kamen bis nach Danzig und den anderen
preußischen Städten und frischten die Beziehungen zur alten
Heimat auf. Sie brachten evangelische Erbauungsbücher in polnischer
Sprache mit, nach denen in Neudorf und den anderen Dörfern
große Nachfrage war.
Ein deutscher Lehrer, der 1868 nach Neudorf kam, bemühte sich um
Wiedereinführung der vergessenen deutschen Muttersprache im
Unterricht. Nach vierjähriger Arbeit zog er weg. Auch Pastor Freyer,
der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts längere
Zeit in Neudorf im Amte war, versuchte wieder deutsch zu predigen.
Vielleicht wäre der Versuch, die Neudorfer dem Volkstum ihrer
Vorfahren zurückzugewinnen, mehr erfolgreich gewesen, wenn
Freyers Nachfolger die von ihm begonnene Arbeit fortgesetzt
hätten.
Durch das Wanderleben ist die Sittlichkeit zurückgegangen; manche
alte deutsche Tugend, die bis in die letzten Jahrzehnte herübergerettet
war, ist verschwunden. Gerühmt wird die Heimatsliebe der
Neudorfer. Auch die Anhänglichkeit an Kirche und kirchliche
Einrichtungen hat sich erhalten. Die Gottesdienste waren immer gut besucht.
Auch bei schlimmem Wetter ist der Fluß von Hunderten von Booten
belebt; alt und jung strömt in die Kirche. Jedes konfirmierte
Gemeindemitglied, Knabe und Mädchen, Knecht und Magd, Besitzer
und Taglöhner, ist verpflichtet durch einen Beitrag das Kirchenwesen
zu unterhalten. Die Zahlungen erfolgen willig und pünktlich.
Das aus "Hauland" entstellte Wort "Holland" hat aus den
ursprünglich pommerschen Deutschen "Holländer" gemacht. In
den russischen Akten wurden die Ansiedler "Ausländer
holländischer Abstammung" genannt. Diesem Umstande hatten es die
Neudorfer und Neubrauer zu verdanken, daß sie von der Aussiedlung
verschont blieben, von der alle anderen, auch polonisierten
Abkömmlinge deutscher Kolonisten betroffen wurden, als die
russische Front verschoben wurde. Auch die Neudorfer sollten ihre
Heimstätten räumen, da rettete sie der Hinweis auf ihre
"holländische" Abstammung.
Während der Zeit der deutschen Okkupation haben die Neudorfer
und Neubrauer den Wunsch geäußert, durch Einrichtung von
deutschen Schulen der Sprache ihrer Vorfahren wieder Heimatsrechte zu
geben. Durch die Ereignisse im November 1918 ist die Fortsetzung des
Schulwerks ebenso ungewiß geworden, wie ihr weiteres Verbleiben auf
heimatlicher Scholle.
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1E. Zivier: Polen. Seite 196.
...zurück...
2Pater Georg Leyer blieb von 1623
bis 1633 Direktor der Brüderschaft. Vorsteher und Beisitzer waren
in dieser Zeit abwechselnd: Kaufmann Johann Jaski aus Danzig,
Hausbesitzer und Maurermeister Ulrich, Johann Lobmeyer, Gabriel Possen,
Johann Clauda, Königlicher Perlhäfter Nikolaus Kersten,
Posamentier Alexander Abraham Nasson, Carolus li Grandi, Ihrer
Königlichen Majestäten Oberster Bartenirer (Oberster der
Leibwache, in Deutschland Hellebardiere genannt), die Goldschmiede
Alexander Moedi und Kaspar Mieber, Bildschnitzer Hans Häulein,
Maurermeister Leonhard Pigler, Hans Tadewaldt, Elias Hempel. Unter den
Protektoren und Spendern befanden sich: der Bürgermeister der
Altstadt Paul Dlugosz, dessen Frau Barbara, geborene Giß, der
Königliche Kammerherr Johann von Rottenburg, die Capitaine Jakob
Buttler und Wilhelm Winterroy, der königliche Sekretär
Ursino, der Maurermeister Johann Tirian, welcher der Brüderschaft
sein Haus vermachte. Schon im Jahre 1623 wurde auf der Zakroczyner
Straße ein Haus gekauft und zum Hospital (Armenhaus) eingerichtet,
auch ein Pferdestall ausgebaut, 1628 wurde am Neustädter Markt ein
Grundstück gekauft und eine Kapelle darauf errichtet, 1629 entstand
durch Schenkung des Bürgermeisters Dlugosz an der Weichsel ein
Waisenhaus. Neben Pater Leyer wurde der Inländer Petrus Hacerus
als Probst angenommen, welcher für die Mitglieder der
Bennoni-Brüderschaft in deutscher Sprache predigte.
Sämtliche Bauten wurden von Mitgliedern
nach Feierabend unentgeltlich ausgeführt. Spenden und Erbschaften
erlaubten den Brüdern den Ankauf von Häusern und
Plätzen; einen Platz verkauften sie 1638 dem König zum Bau
eines neuen Zeughauses. 1636 erhielt die Brüderschaft das
Privilegium, daß die bei ihr erzogenen Findlinge und unehelich
Geborenen volle Rechte genießen und zu allen Studien, Künsten,
Handel und Gewerbe zugelassen werden sollten. 1637 hatte die
Bennonibrüderschaft bereits zwei Hospitäler, davon eins mit
Badestube und Brauhaus, ferner eine Kirche und ein Waisenhaus mit
Elementarschule. Auch verlieh sie Gelder auf Häuser und gegen
Pfand, kaufte und verkaufte Plätze und Häuser. ...zurück...
3Erst 1816 ist in Krakau wieder
eine aus frisch eingewanderten Deutschen zusammengesetzte evangelische
Gemeinde lutherischer Prägung entstanden. Anläßlich des
Reformationsjubiläums veröffentlichte 1817 der Bibliothekar
Professor Dr. Bandke "in aller Stille" die von Wojciech
Wengierski, dem Senior der reformierten Gemeinden des Krakauer
Bezirks, 1657 in polnischer Sprache verfaßte "Geschichte der
evangelischen Gemeinde zu Krakau von ihren Anfängen bis
1657".
Nach Wengierski ist keine andere evangelische
Kirchengemeinde Polens so reich an denkwürdigen Ereignissen wie
die Krakauer. Er schloß seine Geschichte 1651 ab und
übergab das Manuskript elf seiner vornehmsten und
zuverlässigsten Gemeindeglieder. Nach seinem Wunsche sollte die
Geschichte erst später gedruckt werden, "sobald der evangelischen
Kirche in Polen gefahrlosere und freiere Zeiten geschenkt sein werden".
Diese Hoffnung erfüllte sich erst 1817. Und obwohl die Drucklegung
ohne viel Aufhebens erfolgte, ist "dennoch viel Anstoß" erregt worden.
Dr. C. F. Wilhelm Altmann hat 1880 eine deutsche Bearbeitung des
polnischen Originals erscheinen lassen, der die nachstehenden Angaben
zugrunde gelegt sind.
Hussitische Lehren waren im Jahrhundert vor der
Reformation nach Polen gedrungen und hatten auch in Krakau
Anhänger gefunden. Die deutsche Reformation, deren Zeugnisse
auch nach Krakau kamen, fand vorbereiteten Boden. Der Träger der
Reformationsgedanken war der Adel gewesen. Aber auch das deutsche
Bürgertum nahm sie freudig auf, sehr zum Unwillen der Geistlichkeit,
die die neuen Ideen grausam zu unterdrücken suchte. Katharina
Malcher wurde 1539 auf Betreiben des Bischofs Gamrat verbrannt; sie soll
freudig den Feuertod erlitten haben. Die der neuen Lehre zugetanen Hofleute
und Gelehrten fanden sich zu evangelischen Andachten und Besprechungen
zusammen. Evangelische Adlige brach- [37] ten ihre Prediger mit und veranstalteten in
ihren Häusern Gottesdienste, die auch von Bürgern besucht
wurden. Der Unterkämmerer von Lenczyca Stanislaus Lasocki wagte
es, im Jahre 1552 im Dorfe Wola Justowa bei Krakau öffentlich
predigen zu lassen. Der damalige Bischof Maciejowski konnte dem
Umsichgreifen der neuen Lehre nicht mehr wehren. Jan Bonar, der
Gouverneur des Krakauer Schlosses, überließ 1557 der sich
bildenden evangelischen Gemeinde ein Grundstück vor dem
Nikolaitor. Zum ersten Prediger wurde Gregor Pauli aus Brzeziny berufen.
Im nächsten Jahr ließ man zur Bedienung der
deutschsprechenden Gemeindeglieder den Prediger Daniel aus Schlesien
kommen.
Lange Zeit hindurch wurden die Gottesdienste in
Mietshäusern abgehalten. Im Jahre 1568 wurde die Errichtung eines
eigenen Schul- und Bethauses erwogen. Adel und Bürgerschaft
brachten erhebliche Beträge zusammen; auch entfernt Wohnende
opferten. Aus der Sammelliste geht u. a. hervor, daß auch die
Witwe des 1545 verstorbenen gelehrten Schriftstellers Justus Dicz (Decius)
sich zur Gemeinde hielt. Dicz war aus dem Elsaß eingewandert und
diente dem König Sigismund I. als Sekretär. Der
König hatte ihn seinerzeit beauftragt, Luther zu besuchen und ihn um
Lehrer für Polen zu bitten.
Der Reichstag zu Lublin erteilte den Krakauer
Evangelischen 1569 ein Privilegium für einen
Begräbnisplatz - und drei Jahre später gab Sigismund
August auf dem Reichstag zu Warschau der Krakauer Gemeinde ein
Privilegium für Schule und Bethaus, mit dem die Freiheit des
Gottesdienstes verbrieft und verbürgt und allen geistlichen und
weltlichen Ständen der Schutz desselben zur Pflicht gemacht
wurde.
Ein sehr tatkräftiges Mitglied der
evangelischen Gemeinde war der Krakauer Wojewode und
Großkronmarschall Jan Firlej. Nach dem Tode des Königs
Sigismund August (1574) wurde der französische Prinz Heinrich zum
König gewählt. Während der Wahlhandlung trat Firlej,
der in guten Beziehungen zu Heinrich stand, für die Freiheit der
Evangelischen ein. Als, auf Anstiften des päpstlichen Gesandten,
Heinrich bei der Krönung die Abgabe des Toleranzversprechens
zugunsten der Evangelischen unterließ, nahm Firlej die Krone aus der
Hand des Königs und wollte sie aus der Kirche tragen. "Wenn du
nicht schwörst, kannst du nicht König werden!" rief er dem
König zu. Erst als der König und die Anwesenden riefen: "Es
wird alles zugestanden!" händigte er die Krone aus. Firlej starb aber
bald darauf, wie behauptet wird, an Vergiftung. Sein Amtsnachfolger wurde
der Wojewode von Sandomir Peter Zborowski, der ebenfalls Anhänger
der evangelischen Lehre war.
König Heinrich war nach dreimonatiger
Regierung nach Frankreich zurückgekehrt. Man hielt Ausschau nach
einem neuen König. Da hielten die Feinde der evangelischen Gemeinde
in Krakau die Zeit für gekommen, um zu einem Vernichtungsschlage
auszuholen. Studenten und Pöbel rotteten sich am 10. Oktober 1574
zusammen. - "Sonntags von zwölf Uhr ab Tag und Nacht bis
Dienstags wurde gegen das Bethaus gewütet, indem man mit
Maurerwerkzeug die eisernen Türen aufbrach und die Gitter mit aller
Gewalt aus den Mauern herausriß. Als man in das Gebäude
eingedrungen war, wurde von boshaften Händen alles zerstört,
das Stockwerk demoliert und zerhackt, Gewölbe und eingemietete
Läden ausgeräumt, den Edelleuten und verschiedenen
Bürgern, welche dort Gold, Silber, Kleider und Gelder aufgehoben
hatten, alles genommen und weggebracht.... In Sachen der
Bethauszerstörung wurde von dem Adel der Krakauer Wojewodschaft
eine Klage nach allen übrigen Wojewodschaften gesandt; weil es aber
damals keinen König gab, ließ sich bei dem Stande der Dinge
weiter nichts ausrichten."
Wegen des Raubes wurden fünf
Zimmer- und Maurergesellen hingerichtet. Das abschreckende Beispiel hat
indessen die Studenten nicht abgehalten, einige Monate später, am 16.
Juni 1575, den evangelischen Begräbnisplatz zu zerstören und
die Leiche des dort beerdigten Krakauer Wojewoden Stanislaus Myszkowski
aus dem Grabe zu reißen und andere Leichen zu schänden. Der
Friedhof wurde [38] 1577,
während der neue König Stefan den Feldzug gegen
Preußen unternahm, ein zweites Mal zerstört, wobei die
Grabsteine zertrümmert, die Umfriedung vernichtet und wiederum
eine aus dem Grabe gerissene Leiche geschändet wurde." Vorher noch
hatte man einen der evangelischen Prediger beschimpft und
verwundet.
Einen Monat später plünderte der
Pöbel, angeführt von Studenten, einige Häuser
evangelischer Bürger und verletzte einen Adligen. König Stefan
griff nun ein und gab dem Krakauer Grodgericht und der
Universitätsobrigkeit Weisung, nach dem Rechten zu sehen. Aber die
königlichen Befehle blieben ohne Wirkung. Im nächsten Jahr
überfielen Studenten das Leichenbegängnis einer evangelischen
Frau, jagten die Leidtragenden auseinander, rissen die Leiche aus dem Sarg,
zerhieben sie und warfen sie zuletzt in die Weichsel. Kurze Zeit darauf
rotteten sich Studenten und Pöbel in der Nähe der
evangelischen Kirche zusammen und drohten, sie zu vernichten. Adel und
Bürgerschaft wandten sich um Schutz und Sühne an den
König. - Daraufhin bestätigte König Stefan das
von Sigismund August gegebene Privilegium und erließ eine von ihm
und den angesehensten Senatoren unterschriebene Bekanntmachung, in der
der Schutz der evangelischen Gottesdienste verbürgt wurde. Trotz der
schützenden Hand des Königs unternahmen Studenten mit
ihrem Anhang noch im selben Jahr einen Angriff auf das evangelische
Gotteshaus und zertrümmerten Türen und Fenster. Immerhin
hatten die Strafandrohungen das Gute, daß zu Lebzeiten des
Königs keine Ausschreitungen mehr vorkamen.
Erst nach des Königs Tode, als (1587) der
Adel sich außerhalb der Stadt zu einer Heerschau versammelte,
überfielen Studenten, Schüler und Pöbel die Kirche,
zerschlugen alle Gegenstände, die ihnen in die Hände fielen und
zündeten sie an, so daß die Stadt in Feuersgefahr kam. Zwei
Jahre zog sich die Untersuchung hin, ohne daß sie ein Ergebnis
zeitigte.
Die evangelische Gemeinde ließ das
Gotteshaus wieder in Stand setzen. Aber schon 1591 ging ein neuer Sturm
über sie hin. Wieder vereinten sich Studenten und Pöbel, um
alles kurz und klein zu schlagen und zum Schluß Feuer an das
Gebäude zu legen, so daß nur die Umfassungsmauern
übrig blieben. König Sigismund III., der sich damals in
Krakau aufhielt, soll dem Feuer untätig zugesehen haben.
Nun sahen Älteste und Gemeinde ein,
daß sie den königlichen Schutzbriefen zum Trotz der rohesten
Willkür ausgesetzt waren. Sie beschlossen deshalb, von einem
Wiederaufbau der Kirche abzusehen. Mit Dank nahmen sie das Anerbieten
eines der Kirchenpatrone, des Ritters Karminski, an, die Kirche nach
seinem, eine Meile entfernten Besitztum Alexandrowice zu verlegen.
Einzelne Gemeindeglieder mußten es nun
büßen, daß das Gemeindeeigentum den Händen des
Pöbels entzogen war. So drang man 1593 in das Haus des
Bürgers Kalaj, mißhandelte ihn und plünderte sein Haus
gänzlich aus. Im Jahre 1597 wurde die Leiche einer Jungfrau
ausgegraben und geschändet. Kurz darauf überfielen Studenten
den Pastor Jakob Wolf, der einer Taufe wegen aus Alexandrowice nach
Krakau gekommen war, und richteten ihn arg zu.
Bis dahin hatten die Gemeinden polnischer und
deutscher Zunge ein Gemeinwesen gebildet. Man achtete
im Gemeindevorstand darauf, daß neben dem polnischen Prediger ein
deutschpredigender Geistlicher im Amte war. Die reiche polnische Gemeinde
genoß einige Vorrechte. So mußte die deutsche Gemeinde ihre
Gottesdienste in der Schule abhalten und zwar ohne Gesang, um nicht die
polnische Andacht zu stören. Nachdem unter den Mitwirkungen der
Gegenreformation die Zahl der polnischen Evangelischen immer geringer
geworden war und der deutsche Teil der Gemeinde größere
Lasten zu tragen hatte, beanspruchten die Deutschen die gleichen Rechte.
Darüber kam es zu Zwistigkeiten. Pastor Eisenmenger, der damals
beide Gemeinden bediente, trat für die Rechte der Deutschen ein, sehr
zum Unwillen der polnischen Gemeindeglieder, die ihn einen
Ausländer schalten, der die Verhältnisse nicht kenne. Die
Synoden zu Wloszczowa und Secymin befaßten [39] sich 1609 mit den Streitigkeiten. Sie
entschieden, daß den Nichtpolen (außer deutschen gab es auch
noch französische Gemeindeglieder) gleiche Rechte
einzuräumen seien.
Während polnisch- und deutschsprechende
Evangelische ihre Streitigkeiten austrugen, setzten die Gegner der Gemeinde
ihre feindlichen Unternehmungen fort. Der Adelsaufstand von 1607
erschütterte das Gefüge des polnischen Reiches und gab den
Krakauer Studenten willkommene Gelegenheit, ihr altes Treiben ungestraft
fortsetzen zu können. Abermals wurde der Begräbnisplatz
zerstört, eine Anzahl Leichen ausgegraben und mit den
Füßen nach oben an die Mauer gestellt oder aufs Feld hinaus
geschleppt. Im Mai 1610 wurde das Haus des Bürgers Kilian Schmidt
zerstört. Im nächsten Jahr überfielen Schüler
einen evangelischen Leichenzug und verletzten die Leidtragenden. Am
Himmelfahrtstage 1611 verübte der Pöbel unter Leitung der
Studenten einen Überfall auf das Haus der Witwe Zagrzebska, das
während einiger Tage belagert wurde. Der Bürgermeister
entsandte zu ihrem Schutze 40 Mann von der Stadtwache, die aber nichts
ausrichten konnten, weil sie den Befehl bekamen, nicht zu schießen. Sie
wurden, als der Pöbel sah, daß sie in die Luft schossen, hart
bedrängt, so daß sie sich durch die Flucht retten mußten.
Durch eine Hinterpforte brachte sich die Witwe mit ihren
Angehörigen in Sicherheit. Die Belagerer erstürmten das Haus,
plünderten es aus und zerstörten es bis auf die Grundmauern.
Da die Unruhe weiter um sich griff, so wurden Fußtruppen aus dem
Schlosse in die Stadt geschickt, denen es gelang, die Ruhe wiederherzustellen,
nachdem sie während der Handgemenge zwanzig Aufrührer
getötet hatten.
Auf der Synode zu Oksza berichteten die Krakauer
Laienabgeordneten Lyszkiewicz und Hans Heyde über die Krakauer
Vorkommnisse. Die Synode stellte an die anwesenden Vertreter des Adels das
Ersuchen, auf den nächsten Land- und Reichstagen die fortdauernde
Verfolgungen der Krakauer Evangelischen zur Sprache zu bringen. Auf
Anordnung der Synode sollten am 30. August, dem Tage des Zusammentritts
der Landtage, und am 26. September, dem Tage der
Reichstagseröffnung, überall mit Fasten verbundene
Betgottesdienste stattfinden. Als die Widersacher der Evangelischen von
Hans Heydes Schritten vernahmen, trachteten sie ihm nach dem Leben. Er
mußte sich mehrmals in Sicherheit bringen und übersiedelte
zuletzt ganz nach Lublin.
Am Abend des 14. April 1613 machten sich
Studenten, Schüler und "allerlei Volk" auf den Weg nach
Alexandrowice und überfielen das Pfarrhaus. Der einheimische Pastor
Andreas Hermann konnte sich noch rechtzeitig flüchten. Um so
schlimmer verfuhren die Wüteriche mit einem Gast der
Pastorenfamilie, dem um die evangelische Kirche verdienten Senior des
Zatorer Bezirks, Pastor Barthol. Bittner, der in einem abgelegenen Zimmer
schlief und zu spät erwachte. "Er wurde bei dem plötzlichen
Überfall von dem Haufen ergriffen, aller Kleider beraubt, hinter das
Tor geschleppt und so mörderisch geschlagen, daß er
fünfzehn Wunden hatte und zwei Finger der linken Hand verlor; als
er so im bloßen Hemde über und über blutend dalag,
ließen sie ihn für tot liegen und gingen davon. Dabei
plünderten sie das Pfarrhaus, zündeten es schließlich an
und brannten es gänzlich herunter."
Wenige Wochen später schlug der Kleriker
Gryma den Küster der evangelischen Gemeinde Habicht
während eines Zusammentreffens auf der Straße so
unbarmherzig mit einer Latte, daß der Geschlagene nach einigen
Stunden seinen Verletzungen erlag.
Nach diesen Ereignissen riet der wiederhergestellte
Senior Bittner von einem Wiederaufbau des Pfarrhauses in Alexandrowice
ab. Er veranlaßte, daß Pastor Hermann nach dem vier Meilen
entfernten Gute Wielkanoc übersiedelte, wo der Ritter Wielowiejski
im Begriff stand, eine evangelische Kirche zu bauen. Weil man mit dem
Schlimmsten rechnen mußte, ging Hermann auf das Angebot ein.
Durch ganz Polen brauste ein Verfolgungssturm gegen die Bekenner des
evangelischen Glaubens. In Lublin und Posen wurden die evangelischen
Kirchen zerstört.
[40] Um diese
Zeit entstand in Krakau eine Gemeinde augsburgischen Bekenntnisses. Ihre
Ältesten wandten sich an die Verwaltung der reformierten Gemeinde
mit dem Ersuchen, ihnen die Mitbenutzung des Gotteshauses in
Alexandrowice zu gestatten. Am Palmsonntag 1615 fand der erste lutherische
Gottesdienst statt. Ihm folgten Besprechungen, die in den nächsten
Jahren sich zu einer Union der beiden Gemeinschaften formten. Ihre Losung
war: "Brüderliche Liebe und christliche Eintracht sollen in den
rechtgläubigen Gemeinden des Herrn nicht erkalten!"
Während die Unionsverhandlungen
schwebten, unternahm am Himmelfahrtstage 1615 der Krakauer
Pöbel einen Überfall auf das Haus des evangelischen
Bürgers Piaskowski. Nachdem die Stürmenden die Gitter
durchbrochen und die Türen zertrümmert hatten, retteten die
Hausinsassen sich durch Flucht über die Dächer der
Nachbarhäuser. Der wackere Bischof Tylicki kam mit einer Anzahl
Ritter und Stadträten und seinem Fußvolk auf den Platz der
Zerstörung und trieb den Haufen auseinander, nachdem er zwei
Anführer erschossen und andere gefesselt
hatte. - Der um sich greifende Glaubenshaß veranlaßte
viele angesehene evangelische Familien, sich nach anderen, mehr sicheren
Wohnorten umzusehen. Die Ältesten der Gemeinde kamen bei dem
Rat um Gewährung freien Abzuges ein. Aber das Ratskollegium
machte geltend, daß der Wegzug der wohlhabenden evangelischen
Bürger "große Einbuße an Einnahmen für die
Stadtkasse, zumal da, wenn die Stadt Abgaben ausschrieb, die meisten
Lasten auf die Evangelischen und Ausländer gewälzt wurden",
mit sich bringen würde und verweigerte die Erlaubnis. Es versprach,
die beiden Reichstagsabgeordneten der Stadt zu beauftragen, den Reichstag
um wirksameren Schutz der Krakauer Evangelischen anzugehen. Mit den
beiden Abgeordneten machten sich auch zwei Älteste der
evangelischen Gemeinde auf den Weg; sie besaßen
Empfehlungsschreiben an Angehörige des Königshauses und an
einige Senatoren. König Sigismund III. willfahrte den ihm von
verschiedenen Seiten vorgetragenen Wünschen und gab Erlasse an
den Stadtrat, den Krakauer Wojewoden, den Bischof und die
Universitätsobrigkeit, denen der Schutz der evangelischen Einwohner
zur Pflicht gemacht wurde.
In den Verzeichnissen der Ältesten der
Gemeinde jener Zeit stoßen wir fast ausschließlich auf deutsche
Namen. Ein Beweis dafür, wie sehr die Zahl der polnischen
Evangelischen während der Zeit der Verfolgung
zurückgegangen war. Nach dem Tode des Patrons der Gemeinde, des
Besitzers von Alexandrowice, Peter Goluchowski, wurde sein ältester
Sohn dem Glauben des Vaters untreu. Er verhinderte nach seinem
Übertritt nicht nur die Abhaltung weiterer Gottesdienste in der
Kirche zu Alexandrowice, sondern verunehrte auch die bisherige
Andachtsstätte. Nun konnten die Gottesdienste nur noch in Wielkanoc
und Lucianowice, dem Gute des Kirchenpatrons Zelenski, abgehalten
werden.
Am Tage nach dem Himmelfahrtsfeste 1617
ergriffen Studenten den vor der Tür seinen Hauses stehenden
evangelischen Arzt Dr. Lyszkowicz, schleppten ihn auf die Straße,
tauchten ihn in den Schmutz und schleiften ihn an den Beinen bis zur
Stadtpforte, um ihn in den Fluß zu werfen. Universitätslehrer
retteten ihn aus den Händen der
Unholde. - Am 16. Mai 1620 sollte die Bürgersfrau Hunter
begraben werden. Zum Schutze des Trauergeleites gingen zwölf
städtische Heiducken und 12 schottische Soldaten mit, die sich damals
gerade in Krakau aufhielten. Bewaffnete Studenten griffen den Zug an und
überschütteten die Soldaten mit einem Steinhagel. Schon
wollten die Schotten auf die Angreifer feuern. Hunter gelang es indessen, die
Studenten zu beruhigen, indem er ihnen 50 Gulden schenkte.
Recht unduldsam zeigte sich 1624 der Rat, der
keinem Evangelischen mehr das Bürgerrecht verleihen wollte. Einige
junge Männer fielen indessen von ihrem Glauben ab; andere
übersiedelten nach anderen Städten. König
Wladyslaus IV. veranlaßte später den sich
zunächst noch sträubenden Rat, die ungerechtfertigte
Maßnahme rückgängig zu machen.
[41] Am
Sonntag nach Himmelfahrt 1625 zogen Studenten mit ihrem Anhang nach
dem Gute Lucianowice und zerstörten die Grabstätte der
Familie Zelenski. - Am 6. Juli 1629 entschlief der Franzose Franz
Arbi, einer der Ältesten der Gemeinde. Die Studenten hatten sein
Ende erwartet und sich auf einen Angriff auf den Leichenzug gerüstet.
Um die Leiche vor Schändung zu bewahren, legten die
Angehörigen sie in ein Faß und brachten sie in aller Stille auf
den Friedhof. Die Studenten behelligten nachher die Witwe mit
Nachforschungen über den Verbleib der Leiche. Es gelang ihr, die
Frager mit 100 Gulden zu beschwichtigen. - Am Ostersonntag 1630
drangen die Studenten in das Haus des Zuckerbäckers Isaak
Mayerhöfer, dessen Frau gestorben war. Eben war man dabei, die
Leiche unauffällig auf den Friedhof zu bringen. Die Eindringlinge
raubten zunächst den Laden aus und zerhieben dann die Leiche; in
der Wohnung warfen sie alles durcheinander und mißhandelten sogar
ein kleines Kind in der Wiege. - Im selben Jahre versuchten
katholische Geistliche eine evangelische kranke Frau gewaltsam zu bekehren.
Sie kamen in das Haus des Lukas Rzeczynski und sagten, als er ihnen den
Eintritt verwehren wollte, die Kranke habe nach ihnen verlangt. Der
Kranken wurde eine Hostie in den Mund gesteckt. Nach ihrer Genesung
blieb die Frau ihrem evangelischen Glauben
treu. - Am Himmelfahrtstage 1631 überfielen Studenten die
Läden der Goldarbeiter Brikiet und Strachon und die Wohnungen der
Bürger Barson und Forbeß. Der Starost Zamojski
verfügte eine strenge Untersuchung. Infolge des Dazwischentretens
der Geistlichkeit verlief sie ebenso ergebnislos wie die früheren.
Während der Krönung Wladyslaus IV.
(1633) wurde in Krakau nach langer Zeit wieder evangelisch gepredigt.
Verschiedene evangelische Adlige hatten ihre Prediger mitgebracht und
ließen in ihren Häusern evangelische Gottesdienste abhalten, die
auch von der Bürgerschaft besucht wurden. Bald nach der
Krönung verbreitete sich in Krakau das Gerücht, daß
neue Gewalttätigkeiten gegen die Evangelischen geplant seien. Das
Himmelfahrtsfest, der von den Studenten für ihre Unternehmungen
bevorzugte Tag, rückte heran. Die evangelische Bürgerschaft
hatte nicht unterlassen, den Rat an die vom König erneuerten
Schutzbriefe zu erinnern. Alle von Evangelischen bewohnten Häuser
blieben tagsüber geschlossen; kein Evangelischer ließ sich auf
der Straße sehen. Schon glaubte man, daß der gefürchtete
Tag ruhig verlaufen werde, als Schüler der Marienschule den
evangelischen Bürger Mayerhöfer auf der Straße
auskundschafteten. Sie setzten dem Flüchtenden nach, entdeckten ihn
in einem Hause und schleppten ihn an den Füßen auf die
Straße, wo sie ihn in den Schmutz warfen und entsetzlich schlugen. Er
kam zwar noch lebend aus den Händen seiner Peiniger, blieb aber bis
an sein Ende ein siecher Mann.
Im September 1633 starb die Frau des
französischen Bürgers Ledluble. Der Witwer beabsichtigte die
Leiche in aller Heimlichkeit auf den Friedhof zu bringen. Eine böse
Nachbarin vereitelte aber sein Vorhaben. Die von ihr benachrichtigten
Studenten holten ihn am Tore ein; sie warfen den Wagen um, trugen die
Leiche zurück, entkleideten sie, schleiften sie durch Pfützen und
warfen sie schließlich in die Weichsel. Einer der
Übeltäter, Iskra, wurde bald nachher aus einem anderen
Anlaß gefänglich eingezogen. Da er als
Rädelsführer erkannt worden war, mußte sich das
Grodgericht mit dem Fall befassen und den Verbrecher, wie es das Gesetz
verlangte, zum Tode verurteilen. Der Wojewode von Bjelsk, Leszczynski,
drang in den noch schwankenden König, das Urteil zu
bestätigen. Aber geistlicher und anderer weitreichender Einfluß
machte sich geltend. Man drohte mit dem Schlimmsten, falls das Urteil
vollstreckt werden würde. So kam es, daß Iskra, für den
durch Kirchensammlungen eine hohe Kaution zusammengebracht worden
war, nach einjähriger Haft freigelassen wurde.
In der Fastnachtszeit 1639 wurden während
eines Streites in einer Weinstube zwei unbeteiligte deutsche Jünglinge
getötet. Bei ihrer Beerdigung wieder- [42] holten Studenten die uns schon bekannte
Aufführung. - Im August 1640 suchten Studenten in das Haus
des evangelischen Bürgers Forbeß einzudringen. Ihr Plan
mißlang, weil die Hauseingänge starke Sicherungen
aufwiesen. - Am Himmelfahrtstage 1641 zerstörten und
plünderten Studenten die Häuser der Bürger Cypser und
Sznuk. Die Insassen flüchteten durch die Fenster und über die
Dächer der Nachbarhäuser, wobei die schwangere Frau Sznuk
so unglücklich fiel, daß sie an den Folgen des Falles starb.
Diesmal ging der Wojewode Lubomirski unnachsichtlich vor und ließ
die Anführer gefangennehmen. Die ungewohnte Strenge erbitterte die
Studenten und sie beschlossen, die Evangelischen dafür
büßen zu lassen. Sie glaubten die Gelegenheit gekommen, als ein
auf einem Ausflug begriffener Haufe auf den einsamen Pachthof des Kalaj in
Chorowice aufmerksam wurde. Sie überfielen den Hof,
gebärdeten sich wie Straßenräuber, plünderten das
Haus aus und mißhandelten den Besitzer. Ein verlorenes
Täschchen führte auf die richtige Spur. Fünf von den
Tätern wurden hingerichtet. - Aus Furcht vor dem
Kommenden waren die evangelischen Bürger um die Zeit des
Himmelfahrtsfestes 1647 aus Krakau weggereist. Nicht ohne
Ursache, - denn drei Häuser wurden von den Studenten und
ihren Helfern erstürmt und geplündert. Eine Abteilung
Dragoner jagte den Haufen auseinander. Da die Dragoner mit einem
Steinhagel empfangen wurden, so machten sie von ihren Waffen Gebrauch
und erschossen einen Studenten. Die Beerdigung des Getöteten bot der
Studentenschaft willkommenen Anlaß zu einer Demonstration. Sie
wurde gegen die evangelische Gemeinde klagbar und brachte
verleumderische Beschuldigungen vor.
Am Himmelfahrtstage 1650 zerstörten
Studenten und ihre Freunde das Haus des Bürgers Delentz und den
Laden des Krolik. Während viele wohlhabende evangelische Familien
sich zum Wegzuge aus Krakau rüsteten und andere mit den
Vorbereitungen zu einer ausführlich begründeten Klage bei
dem Reichstag befaßten, brach die Pest aus, die in den Jahren 1651
und 1652 in Krakau an 30 000 Menschen hingerafft haben soll. Im
Jahre 1653 folgte ihr eine "kleine Epidemie". Auch die über Krakau
und ganz Polen hereingebrochene schwere Zeit vermochte nicht den
Glaubenshaß der Krakauer Studenten zu zügeln; schon zu
Himmelfahrt 1655 bereiteten sie sich zu neuen Untaten vor und entwarfen
einen Plan zum Überfall auf das Haus des begüterten
Bürgers Czamer. Den vereinten Bemühungen der
Universitätsobrigkeit und der katholischen Geistlichkeit gelang es, die
Menge von der Ausführung ihrer Absicht abzulenken. Polen
durchlebte damals schwere Heimsuchungen, sein Untergang schien besiegelt.
Von der einen Seite waren Kosaken und Russen ins Land gerückt, und
vom Norden her kam das schwedische Heer, das bis nach Krakau gelangte
und die Stadt einnahm.
Schwedische Reiter durchzogen plündernd
das Land und kamen auch bis nach Wielkanoc, wo sie Gut, Kirche und
Pfarrhaus ausraubten. Die Familien des Gutsbesitzers und des Pastors
Wengierski hielten sich in den benachbarten Wäldern versteckt und
flüchteten nachher nach Schlesien. Erst nach einigen Wochen konnten
die Flüchtlinge zurückkehren. Sie fanden ausgeplünderte
Wohnungen vor und lebten in der Furcht vor neuen Überfällen
schwedischer und polnischer Soldaten und des Pöbels. Denn auch die
Bauern der Umgegend rotteten sich zusammen und begannen unter Leitung
des Propstes Kondziolka einen Religionskrieg zu führen. Im
Städtchen Siewierz nahmen sie eine Anzahl Edelleute gefangen und
töteten unterwegs, in Kozieglowy, einen von ihnen, Dembicki. Die
übrigen evangelischen Adligen flüchteten nach dem
Städtchen Zarki und dem (in der Nähe des heutigen Zawiercie
gelegenen) befestigten Schlosse Ogrodzieniec. Auch nach den evangelischen
Geistlichen fahndeten die aufrührerischen Bauern.
Auf Anraten seiner Freunde beabsichtigte
Wengierski nach dem Dorfe Kozy (deutsch Seyffersdorf) zu flüchten.
Da hörte er, daß die Bauern auch dort schon ihr Unwesen
trieben, das Pfarrhaus überfallen und die in der Erde vergrabene
Bibliothek des Pastors entdeckt und weggeführt hatten. Wengierski
faßte den Ent- [43] schluß, bei seiner Gemeinde in
Krakau zu bleiben, wo er im Stillen Gottesdienst halten konnte.
Während dieser Wirren verübte der Pöbel zahlreiche
Morde und Raubüberfälle. Auch die Kirche in Wielkanoc
wurde verbrannt. Die Mordbrenner schleppten die nebenan wohnende
evangelische Witwe Niedzielska auf den Brandplatz und töteten sie.
Ein den Haufen führender betrunkener Mönch schlug grausam
auf den greisen Spitalinsassen Manusz ein und verletzte ihn schwer.
Im September 1656 konnte der verstorbene
Krakauer Bürger Adalbert Blackhal unter dem Schutz der
schwedischen Garnison mit großem Geleit zu Grabe getragen werden,
nachdem über 60 Jahre hindurch kein öffentliches
evangelisches Leichenbegängnis mehr war.
Wengierski schloß seine Aufzeichnungen im
Jahre 1657 ab. Während seines Aufenthaltes in Krakau erlebte er vier
Belagerungen der Stadt durch das polnische Heer. Die Evangelischen in
Krakau erfreuten sich nun des Schutzes der schwedischen Verwaltung und
atmeten nach den Zeiten der Verfolgung wieder freier auf.
Wie die weiteren Schicksale der Gemeinde sich
gestalteten, haben die Geschichtsschreiber nicht ermitteln können.
Altmann erwähnt, daß in der Geschichte der Gemeinde eine ein
Jahrhundert umfassende Lücke entstanden ist. In der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hielt sich das kleine
Häuflein der Krakauer Evangelischen zur Kirche des benachbarten
Podgórze. Am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wurde die
abermalige Selbständigmachung der Krakauer Gemeinde erwogen.
Der Plan ließ sich 1816 verwirklichen.
Wengierskis nüchterne, jede
Übertreibung und Ausschmückung vermeidende Darstellung
redet eine erschütternde Sprache. Er steht mit seiner
Gegenwartsschilderung in schärfstem Gegensatz zu den heutigen
Geschichtsklitterern, die, wie die Verfasser der Denkschriften der
Warschauer evangelisch-lutherischen Gemeinde, das frühere Polen als
ideales Asyl für alle in Westeuropa verfolgten Märtyrer
hinstellen. ...zurück...
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