Beginnender Verfall der deutschen Kolonisation des
Mittelalters
Das, was Wladyslaw Lokietek begonnen, die Unterdrückung der
bevorrechteten Deutschen, führte sein Sohn, Kasimir der
Große (1333 bis 1370) fort. Er versetzte dem Deutschtum einen sehr
empfindlichen Schlag durch die
Gründung eines Oberhofes
in Krakau
durch Kasimir den Großen
und Störung der Beziehungen
der Deutschen in Polen
zur alten Heimat |
Einrichtung eines Oberhofs für alle Gerichtssachen in Krakau. Die
mit deutschem Recht ausgestatteten Städte durften sich hinfort nicht
mehr mit ihren Appellationen nach Magdeburg, Halle oder Lübeck
wenden. Mit dieser Neuordnung und anderen Maßnahmen wurden die
Beziehungen der Deutschen in Polen zur alten Heimat unterbunden.
Kasimir, der "Bauernkönig", war aber kein Feind des
Städtewesens, sondern wußte dessen hohe Bedeutung für
die Entwicklung des Landes zu schätzen und begünstigte die
Ansiedlung deutscher Handwerker.
Höchste wirtschaftliche
Blüte
der deutschen Städte |
Für die Städte war die Zeitspanne seiner Regierung die Zeit
ihrer höchsten Blüte. "Der Entwicklung ihres Wohlstandes kam
besonders die lange Friedenszeit unter Kasimir dem Großen und der
den Städten angediehene Schutz zugute. Die Blockholzbauten wichen
den massiven Steinbauten. In Holz hatte
Kasimir - nach den Worten des alten Historikers
Dlugosz - Polen vorgefunden, in Stein hat er es zurückgelassen.
Dem Luxus, der in den Städten sich breitzumachen anfing und den
man einem stark entwickelten Handel verdankte, mußte durch
besondere Verordnungen gesteuert werden. Krakaus Handelsbeziehungen
hatten besonders durch die Angliederung Reußens (Rotrußlands)
gewonnen, dessen Hauptstadt Lemberg einen ansehnlichen Handel mit den
Gebieten des Schwarzen Meeres und der Levante unterhielt. Durch den
Frieden von Kalisch waren für die Städte Großpolens die
Beziehungen zu Thorn und Danzig und zum ganzen Ostseegebiet hergestellt.
Nach Osten und Nordosten gingen Handelswege, nach Litauen und
Groß-Nowgorod, wo Breslauer Kaufleute, die der Weg dorthin
über Polen führte, schon im 13. Jahrhundert
Niederlagen unterhielten. Gegenstände der Ausfuhr waren, neben
meist aus [21] russischen Gebieten
eingeführtem Pelzwerk und dem von Ungarn durchgeleiteten Kupfer,
Holz, Teer, Asche, Getreide vornehmlich Roggen, Felle, Wachs und Honig,
Salz aus den berühmten Salinen von Wieliczka und Bochnia, und die
Früchte des Bergbaues bei Slawkow und Olkusch, die in der
Hauptsache aus Blei bestanden. Außer diesen Rohprodukten
führte Polen im 14. Jahrhundert die berühmten
»polenschen Laken« aus, die selbst friesischen und
flandrischen Tuchen Konkurrenz machten."1 Die
letzten Angaben über die Exportartikel sind noch dahin zu
ergänzen, daß sowohl die polnischen Tuche wie auch die
Erzeugnisse der Salinenbetriebe und der Bleibergwerke deutschen
Ursprungs waren.
Besiegung des
deutschen Ordens |
Während der Regierungszeit des ersten
Jagiellonen, Wladyslaws II., wurde in der Schlacht bei
Tannenberg und Grunwald (1410) die Macht des Deutschen Ordens
niedergerungen. Der Teilfürst Konrad von Masowien hatte einst den
Orden zu Hilfe gegen die unbotmäßigen heidnischen
Preußen und Litauer gerufen und ihm das Kulmer Land und andere
noch zu erobernde Gebiete als Besitz überlassen. Damit war der
Grund zu späteren kriegerischen Auseinandersetzungen gelegt, die
den nationalen Gegensatz zwischen Polen und Deutschen verschärften.
Der Zusammenbruch des verhaßten Ordens der "Kreuzritter" blieb
nicht ohne Einfluß auf die Behandlung der deutschen
Bevölkerung Polens, die der Verhöhnung und
Unterdrückung ausgesetzt war. Die deutschen Städte verloren
nicht nur die frühere ausschlaggebende Rolle bei
den Thronfolgefragen, sondern wurden auch von der Reichsverwaltung
ferngehalten. Ihr wirtschaftlicher Aufschwung wurde zwar nicht gehemmt,
aber der Adel und der seinem Willen unterworfene König, der
allmählich zum Schattenkönig wurde, kürzten
systematisch ihre politischen Rechte. Die Städte durften nur noch
selten Abgeordnete zu den Landtagen entsenden; das deutsche
Bürgertum wurde immer mehr entrechtet.
Als Johann I. Albrecht (1492-1501) einen Feldzug gegen die
Türken plante, ließ sich der Adel auf dem Reichstag zu Petrikau
(1496) eine Reihe neuer Vorrechte einräumen. Den Bürgern
wurde untersagt, geistliche Stellen zu bekleiden und Landgüter zu
erwerben. Der Adel wurde von allen Zöllen, Marktgeldern und
sonstigen städtischen Abgaben befreit und ihm die
Brauereigerechtsame zugestanden. Aber nicht nur die deutschen
Städte - auch die mit deutschem Recht ausgestatteten
Dörfer wurden angetastet, die Schulzen beseitigt und deren
Erbgüter beschlagnahmt. Mit der Entrechtung der deutschen
städtischen und bäuerlichen Ansiedler trat auch der
wirtschaftliche Rückgang der Träger des polnischen
Wirtschaftslebens, die damals die Deutschen waren, ein. Das Land verarmte.
Schon eine Gesetzesurkunde von 1496 berichtete, daß es im polnischen
Reiche so viel Bettler gebe, wie in keinem anderen Lande.
Die
Entdeckung der überseeischen Länder
lenkt den deutschen Auswanderungsstrom
nach anderen Richtungen |
Nach der Entdeckung der überseeischen
Länder fand die deutsche Auswanderungs- und Unternehmungslust
neue Betätigungsfelder, die den Reiz des Neuen und Abenteuerlichen
hatten. So konnte es dahin kommen, daß der Massenzuzug in die
deutschen Städte und Bauernansiedlungen aufhörte.
In kleineren Partien sind Deutsche auch später noch in Polen [22] eingewandert. Aber die neuen Einwanderer
rechneten gleich von vornherein mit der Ungunst der Verhältnisse und
waren bereit, dem Beispiel der alten Geschlechter in den Städten zu
folgen und sich, im Zuge der Zeit bleibend, zu polonisieren.
Die
geistige
Unfruchtbarkeit der
polonisierten Städter |
Das waren nicht mehr die weit ausblickenden Pioniere der früheren
Jahrhunderte. Das polnische Reich hat von den Leistungen der aus ihrem
nationalen Boden Entwurzelten weder kulturellen noch wirtschaftlichen
Nutzen gehabt. Ein herbes Urteil über die geistige Impotenz der
entnationalisierten deutschen Bürger fällt der polnische
Literaturforscher Brückner: "Sie hatten sich der neuen
Umgebung assimiliert und waren schließlich völlig
zerschmolzen. - Nur in den städtischen Ordnungen und
Rechten, an den alten gotischen Bauten, in den Eigennamen erinnert alles an
den fremden Ursprung. Aber die einst Deutschen, die sich im
16. Jahrhundert nur noch als Polen fühlten, hatten bei ihrer
Häutung die Vorzüge ihrer Rasse verloren und von den Polen
nur deren Schwächen übernommen. Der Fleiß, die
Ausdauer, die Ordnungsliebe, durch welche diese Städte einst
groß, schön, reich geworden waren, gingen ganz verloren, und
von den Polen erwarb man nicht ihr Unabhängigkeitsgefühl,
ihre Beweglichkeit und Gewandtheit, sondern nur ihre Sorglosigkeit,
Gemächlichkeit und Genußsucht. Die Folgen waren,
daß die Städte sich nicht in die neuen ungünstigen
Verhältnisse zu fügen wußten, daß sie sanken und
verarmten und, statt ihre letzten Kräfte zu Widerstand und Rettung
zu vereinen, alle getrennt ihren erschrecklichen Niedergang nur zu
bejammern, nicht aufzuhalten wußten."2
Deutsche
Kunst
auf polnischem Boden |
Allgemein genommen hat Brückner - der
übrigens seinem nationalen Empfinden nach als Vollpole, nicht als
Deutscher angesprochen sein will - nicht unrecht. Wenn er den
Deutschen den Vorwurf macht, daß sie zur polnischen Literatur nichts
beigetragen haben, so vergißt er, daß es zu den Gewohnheiten
der Renegaten jener Zeit gehörte, sich vollständig, auch mit
ihrem Namen, zu polonisieren und ihre deutsche Abstammung durch
Namhaftmachung erfundener polnischer Ahnen zu verschleiern. Sicher
befinden sich unter den polnischen Schriftstellern auch
Sprößlinge deutscher Familien. Sichtbar und unsichtbar
durchflutet deutsches Wesen das ganze polnische Leben. Dafür sei
nur ein Beispiel erwähnt: Einer der Nürnberger Maler, die sich
in Krakau niederließen, Peter Wunderlich, der
Schöpfer des großen Altargemäldes in der
Stephanskirche, wird in den polnischen Urkunden, in Übertragung
seines Namens, Dziwak genannt.
In Krakau lebte damals eine Anzahl deutscher Künstlerfamilien.
Hans Dürer, der Bruder des Nürnberger Meisters Albrecht Dürer,
malte die Wände der
Schloßgemächer in der Königsburg Wawel. Eine Anzahl
anderer deutscher Meister war mit dem Ausmalen von Kirchen und
Schlössern beschäftigt. So Armknecht, Libnau, Lantz,
Kurze, Worst, Rambogen, Hesse, Szneberg,
Niko- [23] laus Maler
von Krems, Vinzenz Berger de Freistat, Nikolaus
Speekfleisch, Matthis Keyller, Johann Schilling,
Jörg Huber u. a. - "Die dominierende Stelle
unter den Künstlern des Mittelalters nimmt jedoch der große
Bildschnitzer Veit Stoß ein, der für die Entwicklung
der deutschen und polnischen Schnitzkunst für immer seine
unumstrittene Bedeutung behalten wird, dessen Stil in der Plastik, wie
Dürers in der Malerei, all seine Zeitgenossen zur Nachahmung reizte.
Viel umstritten war die Frage nach der Nationalität des Meisters. Da
er viele Jahre in Krakau zugebracht hat, wo er sich im Jahre 1477
niederließ, eine Polin heiratete, hier auch seine besten Werke
entstanden sind, nahmen ihn die Polen für sich in Anspruch,
während es urkundlich festgelegt ist, daß er ein Deutscher ist.
Sein Vater, der Gürtler Michael Stoß, wurde in Nürnberg
als Neubürger aufgenommen und stammte wahrscheinlich aus dem
Orte Harro, der auf dem Wege nach den
sächsisch-siebenbürgischen Städten Schäßburg und Hermannstadt liegt, woher auch ein Bruder
Veits, Matthias Stoß, der "Schwab" genannt, ein Goldschmied, nach
Krakau zugewandert kam."3
Befruchtung
des polnischen Lebens
mit deutschem Kulturgut |
Je weiter man in die weitverzweigte deutsche
Kolonisationsgeschichte in Polen eindringt, um so klarer tritt die vielseitige
Befruchtung des polnischen Lebens mit deutschem Kulturgut hervor. Wenn
Polens Kulturentwicklung der seiner östlichen Nachbarn weit voran
war, so verdankt es dies nur den Deutschen. "Alle Zweige der materiellen
und geistigen Kultur der Polen beruhen auf deutscher Grundlage, oder sie
sind doch von ihr in überaus reichlichem Maße beeinflußt
worden. Wir treffen auf überaus viele deutsche Ausdrücke in
Polnischen in der Landwirtschaft, der Müllerei, Brauerei, der
Waldwirtschaft, im Schiffbau und Bergwesen, den Gewerben und ihren
Erzeugnissen, dem Handel, Zunftwesen, städtischen und staatlichen
Leben, in Künsten und Wissenschaften."4
|